Geschichte des Gerechtigkeitsbegriffs: Neuzeit
In: Handbuch Gerechtigkeit, S. 14-20
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In: Handbuch Gerechtigkeit, S. 14-20
In: Gesundheitskommunikation und Geschichte: interdisziplinäre Perspektiven
Im Beitrag beschreibe ich ausgewählte Aspekte des Gesundheitswesens im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit. Dabei spielen obrigkeitliche Verordnungen zur Regelung des Gesundheitswesens ebenso eine wichtige Rolle wie die verschiedenen Akteure in einer überwiegend ländlich und ständisch geprägten Gesellschaft. Auf die stationären Gesundheitseinrichtungen der Hospitäler, Apotheken und Heilbäder aufbauend entwickelte sich ein ausdifferenziertes Gesundheitssystem, das unter hygienisch und medizinisch schwierigen Bedingungen ein hohes Vertrauen der Bevölkerung genoss. Ein Großteil der Behandlungen wurde von praktisch ausgebildeten Barbieren, Badern, Wundärzten, "Kräuterhexen", Hebammen und Chirurgen vor Ort erbracht. Die gelehrten Mediziner waren dagegen fernab an den wenigen Universitäten in der Lehre für den akademischen Nachwuchs tätig oder praktizierten in den größeren Städten. Sie repräsentierten das Gelehrtenwissen und veröffentlichten in hoher Zahl ihre überwiegend in lateinischer Sprache verfassten Schriften. Eine Ausnahme hiervon bildeten die sogenannten Pesttraktate, die den Bewohnern in deutscher Sprache Handlungsanleitungen an die Hand gaben, wie man sich vor den Seuchen schützen könne.
In: Quantitative Methoden in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Vorneuzeit, S. 168-171
Ziel des vorgestellten Projekts ist "eine möglichst vollständige Rekonstruktion der Geld- und Währungsverhältnisse in Mitteleuropa von ca. 1300-1800". Der Verfasser stellt die Schwierigkeiten eines Preisvergleichs angesichts der Währungsvielfalt im Untersuchungszeitraum dar und benennt Anforderungen an ein "umfassendes Arbeitsinstrument", das vergleichende Untersuchungen von Preisen und Löhnen ermöglichen soll. Abschließend wird auf Quellenlage und Datenaufbereitung eingegangen. (WZ)
Der vorliegende Band fasst historische Studien zur Demokratietheorie zusammen, die Richard Saage zwischen 1974 und 2006 vorgelegt hat. Er spiegelt nicht nur seine intellektuelle Entwicklung wider, sondern markiert auch Verschiebungen in den jeweiligen Gegenständen des Erkenntnisinteresses und zeigt stattgefundene Perspektivwechsel. Saages Forschungen sind zudem "Reaktion auf die Frage, unter welchen Bedingungen demokratische Systeme sich entfalten, stabilisieren und weiterentwickeln können, welchen Gefährdungen sie ausgesetzt sind und wie sie damit fertig zu werden vermögen" (Udo Bermbach). Ihre Bandbreite reicht von den Emanzipationskämpfen der Frühen Neuzeit, der Politischen Philosophie des Deutschen Idealismus über Impulse, welche die moderne Demokratie der Arbeiterbewegung verdankt, bis hin zu den gegenwärtigen Debatten über die Zukunft der liberalen Demokratie. Ein besonderes Merkmal bildet die Verbindung der politischen Dimension der Sozialgeschichte mit den hegemonialen Kämpfen um Begriffe und Konzepte, wie sie in der politischen Theorie geführt werden. Das Verhältnis der Geschichte zu Politik und Demokratie eint die zeitlich und inhaltlich voneinander entfernten Beiträge.
In: "Alles käuflich", S. 207-238
Den Ausgangspunkt des Aufsatzes bildet die Annahme, wonach sich die moderne Gesellschaft als eine Konsumgesellschaft präsentiert, "in der Prestige zunehmend durch die Verschwendung von Gütern, also durch 'Konsum', und immer weniger durch demonstrative Muße erreicht wird". Diesem Charakteristikum nachgehend, unternimmt die Autorin den Versuch, "die Geschichte der Konsumkritik aus soziologischer Perspektive kaleidoskopartig nachzuzeichnen". Der historische Streifzug erfolgt in exemplarischer Art und Weise und lässt die politischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Epoche weitestgehend unberücksichtigt. Er nimmt seinen Anfang in der griechischen Philosophie der Antike (Platon u.a.), gefolgt von der Konsumkritik bei Rousseau, Marx und Nietzsche. Daran schließt sich der Zeitabschnitt nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Hauptvertretern Adorno, Gehlen, Bell sowie Gross an. (ICG)
In: 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Soziologie - Gesellschaften im Umbruch: Sektionen und Arbeitsgruppen, S. 709-712
Ausgehend von seiner Grundidee von 1887: 'Es gibt keinen Individualismus in Geschichte und Kultur, außer wie er ausfließt aus Gemeinschaft und dadurch bedingt bleibt, oder wie er Gesellschaft hervorbringt und trägt. Solches entgegengesetztes Verhältnis des einzelnen Menschen zur Menschheit ist das reine Problem, 'die Tönnies 26 Jahre später modifiziert: 'in und aus den gemeinschaftlichen Zusammenhängen und Verbänden, mehr aber noch neben ihnen her, entwickelt sich das Individuum und der Individualismus', analysiert er die zunehmende Differenzierung ursprünglich kollektiver Gebilde. Das Prinzip der Neuzeit entfaltet sich als Fortsetzung, Umkehr, Umwälzung und Erneuerung des Mittelalters und erzeugt für Tönnies eine Tendenz zur Bildung neuer kollektiver Gebilde. Bei diesen neuen Formen der Allgemeinheit handelt es sich um Gebilde der 'gesellschaftlichen' Sphäre, also um abstrakte, artifizierte, konstruierte Gebilde. Auf ökonomischer Ebene zeigen sie sich in den wirtschaftlichen Assoziationen sowie in den staatlichen Institutionen zur Beeinflussung des Wirtschaftsprozesses. Auf politischer Ebene finden sie in der Bildung der Nationalstaaten und in der Sphäre der Weltpolitik ihren Ausdruck. Auf geistiger Ebene ist die moderne Wissenschaft ein Produkt dieser Tendenz. Mit Bezug auf sein Gemeinschaft-Gesellschaft-Theorem versucht Tönnies die verschiedenen Bewegungsformen der historischen Entwicklung zu erfassen. Das Wesen der Moderne (im Mittelalter war es noch die natürliche Einheit des Volkes mit seiner Heimat) kristallisiert sich in den letzten fünf Jahrhunderten als Weltgesellschaft (ein künstliches, aus dem Bewußtsein vieler hervorgegangenes Gedankengebilde), welche der homo oeconomicus, der homo politicus und der homo scientificus als gedachte, isolierte Individuen zu erwerben, zu erobern und zu beherrschen trachten. Diese Welt ist die Fremde, sie 'absorbiert fortwährend fremde Elemente', sie 'ist in der Hauptsache gleichgültig gegen die Abstammung, weniger gleichgültig gegen Reichtum'; ihr Idol und das gemeinsame Lebenselement aller ist der Nutzen. (LO2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 3114-3122
"Die Etablierung der Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin verdankt sich nicht zuletzt der Entwicklung von Theorien sozialen Handelns, die das Individuum in den Mittelpunkt rücken, um gesellschaftliche Phänomene zu erklären. Nicht nur die Soziologie, sondern auch die Handlungstheorie beruht auf Grundideen der Aufklärung und ist damit letztlich ein Produkt der Moderne. Die Vorstellung eines Individuums, das als freier und eigenverantwortlicher Handlungsträger losgelöst von Tradition und Gemeinschaft rational kalkulierend agiert, wäre für vormoderne Zeiten ebenso undenkbar, wie die Idee der gestaltenden Handlungsfähigkeit der selbstbestimmt koordinierten Individuen. Bei aller Kritik die dem homo oeconomicus und dem demokratisch gelenkten Staat immer wieder entgegengebracht wurde, ist doch beides zumindest als Idealtypus nicht aus der Geschichte der Neuzeit wegzudenken. Dass nun beides zugleich - sowohl der Glaube an die 'Trägerschaft' der Handelnden als auch jener an die selbstbestimmte Gestaltungsfähigkeit der Demokratie - schwindet, dürfte kein Zufall sein. Die industrielle Revolution war ebenso wie das gesamte Industriezeitalter von der kollektiven Erfahrung getragen, dass rationales, intentionales, individuelles Handeln wie auch absichtsvoll koordiniertes im Staat es vermag, die Welt zu verändern. Heute schwindet dieses moderne Selbstverständnis mehr und mehr dahin. Der individuelle Lebensweg hängt, so hat man den Eindruck, eher von verschiedensten Zufällen als von den intendierten Handlungen des Einzelnen ab. Die Entwicklung des Staates wirkt mehr von den unentrinnbaren Folgen der Globalisierung gelenkt als vom Volk selbstbestimmt. Das eigene ebenso wie das Schicksal der Gesellschaft scheint sich unabhängig von den Handelnden gemacht zu haben. Damit verlässt man aber die Gedankenwelt der aufgeklärten Moderne, die auf der Überzeugung von der Gestaltbarkeit der Welt durch das handelnde Individuum gründet. Wenn sich nun einerseits so manche Soziologen von der Handlungstheorie abwenden, und andererseits andere zwar an ihr festhalten, aber sie in einem Maße modifizieren, dass sich geradezu eine 'De-Individualisierung' der Handlungsträgerschaft ergibt, dann bildet der Wandel der Sozialtheorie den Spiegel einer 'konjunktiven Erfahrung', wie sie für Mannheim im Mittelpunkt des sozialen Lebens und Denkens steht." (Autorenreferat)
In: Chronotopographien : Agency in ZeitRäumen, S. 185-196
Der Beitrag zu dem Untersuchungsgegenstand des handelnden Akteurs in den sozialen Koordinaten Zeit und Raum geht diskursanalytisch Konzepten von Handlungsfähigkeit und Zeitsouveränität im historischen Wandel seit der Renaissance nach. Mit der sich in der Neuzeit ausbildenden Vorstellung von Zukunft als politisch gestaltbarem Handlungsraum, in dem sich der Mensch als geschichtsbildendes Subjekt zu begreifen beginnt, gewinnen Raum-Zeit-Utopien und daran anknüpfende Gesellschaftsentwürfe an Bedeutung. Die Autorin setzt solche Zukunftsentwürfe, die in der Aufklärung die Vorstellung von linearer Zeit mit Fortschrittsdenken verknüpfen, im 20. Jahrhundert mit der Zukunftsforschung Zukunft zu bestimmen versuchen und heute mit dem Begriff der Nachhaltigkeit operieren, in ihre jeweiligen historischen Kontexte. Dabei wird nach den Spielregeln der Konstruktionen gefragt, mit denen Zukunft aus der Vergangenheit (und Gegenwart) abgeleitet wird, und nach den Möglichkeiten von Agency im Sinne von Handlungsmacht. (ICG2)
In: Freikörperkultur und Lebenswelt: Studien zur Vor- und Frühgeschichte der Freikörperkultur in Deutschland, S. 43-68
Der Beitrag untersucht die Geschichte des Badens bzw. der Badekultur als "Schnittstelle" zwischen Hygiene und Scham im Rahmen einer Rekonstruktion der Vorgeschichte der Freikörperkulturbewegung. Der Autor sieht hier einen fruchtbaren Ansatzpunkt, an dem sich der "Umgang mit Nacktheit und die damit verbundenen moralischen Auseinandersetzungen" darstellen lassen. Die zeitlich und gesellschaftlich bedingte Verhaltenspraxis der Scham verweist in der Verbindung mit Bademode und dem Ort des Badens (im Freien oder der Badeanstalt) nicht nur auf ein wichtiges Moment der Distinktion von Lebensstilen, sondern auch auf den Anteil von für "natürlich" gehaltener Hygiene am Zivilisationsprozeß. Der Autor zeigt insgesamt, dass das Baden mit oder ohne Badehose bzw. Badekleid nicht nur eine Frage lokaler Gegebenheiten war, sondern auch im Deutschen Kaiserreich zu einer "Weltanschauungsfrage" wurde. (ICA)
In: 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Soziologie - Gesellschaften im Umbruch: Sektionen und Arbeitsgruppen, S. 43-47
"Die Selbsterzählungen von Kaufleuten und Unternehmern werden hier im Hinblick auf die dominanten Publikationsmedien ihrer Zeit analysiert: Handschrift im Spätmittelalter, Druckpresse und Buch in der Neuzeit, illustrierte Presse, Film und Fernsehen im 20. Jahrhundert. Der handschriftlich niedergelegten Selbsterzählung kommt vor allem im Spätmittelalter eine hervorgehobene Bedeutung zu. Der kaufmännische Autobiograph jener Epoche blieb in der Regel zeitlebens sein einziger realer Leser. Implizite Leser sind seine Nachkommen und vor allem Gott. Im kaufmännischen Schreiben mischten sich praktische und moralische Zwecke auf eine eigenwillige Art. Der praktische Zweck kaufmännischen Schreibens im Spätmittelalter war das Zählen und Bilanzieren. In der kaufmännischen Autobiographietendenz jener Zeit wird dieses Verfahren auch der Ordnung der eigenen Lebensgeschichte dienstbar gemacht. Im Analogieverfahren entsteht so das Erzählformat der Lebensbilanz. Seine wirtschaftlichen und politischen Erfolge und Mißerfolge notierend und bilanzierend, vergewissert sich der Kaufmann seines Standes vor Gott, der ihm durch die damals vorherrschende Moral des Adels und des Klerus mit ihren Verdikten gegen das Erwerbsstreben streitig gemacht wurde. Im Zeitalter von Druckpresse und Buch wandelt sich der Adressatenkreis. Man richtet sich nunmehr auch an Zeitgenossen, schreibt ihnen zum Vorbild seine Lebensgeschichte. Benjamin Franklins Exemplumgeschichte diente Max Weber zur Analyse der protestantischen Ethik. Der Unternehmer präpariert und konserviert in seiner Autobiographie die säkulare Moral von Erfolg und Verantwortung. Im Zeitalter von illustrierter Presse, Film und Fernsehen versucht der Autobiograph - zumeist mit Hilfe von 'Geisterhand' (Ghostwritern) - seine Lebensmoral gegen die moralisch-dramatisierenden Manager-Bilder der Massenmedien ins rechte Licht zu rücken." (Autorenreferat)
In: Social change and modernity, S. 320-349
Der Verfasser formuliert eine Kritik der Modernisierungstheorie. Für ihn sind Differenzierung und Rationalisierung Elemente des Modernisierungsprozesses, keine Variablen, die die Modernisierung erklären können. Der Verfasser schlägt eine alternative Sichtweise vor, die gesellschaftliche Widersprüche als Generatoren sozialer Entwicklung und sozialen Wandels begreift. Damit wird der Modernisierungsprozess nicht mehr als unidirektionaler Entwicklungspfad oder als Ausdruck einer eigenständigen Kraft (Rationalisierung) begriffen. Der Verfasser schlägt eine theoretische Perspektive vor, die zwei Schwerpunkte aufweist: kollektive Lernprozesse und Klassenkämpfe. Er zeigt, welchen Beitrag das Konzept der gesellschaftlichen Produktion der Moderne zu einer systematischen Rekonstruktion der Entwicklungsprozesse der Moderne zu leisten vermag. Im Mittelpunkt steht hier die Rolle der "Aufklärungsgesellschaften" in der Frühen Neuzeit. Die Entstehung und Entwicklung der modernen Gesellschaft kann so evolutionstheoretische als Ergebnis von Lernprozessen und Klassenkonflikten beschrieben werden, das von Differenzierung und Rationalisierung reproduziert wird. (ICE)
In: Inventar der Migrationsbegriffe
Behandelt wird die sprachliche Entwicklung, Ausformung und politische Aufladung des Begriffs 'Ausländer' seit der Frühen Neuzeit. Mit Reinhart Koselleck wird die Kernfrage der Begriffsgeschichte gestellt, "wann, wo, von wem und für wen welche Absichten oder welche Sachlagen wie begriffen werden" (Koselleck 2006: 99). Wortgeschichtlich ging die personale der territorialen Verwendung von 'Ausländer' voraus und stand in enger Verbindung mit dem älteren und umfassenderen Wortfeld 'fremd/Fremder'. Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts formten sich 'Ausländer/Fremder' und 'Deutscher/Einheimischer' als Gegenbegriffe aus, in denen der Gegensatz zwischen einem positiv konnotierten Innen und einem tendenziell abgewerteten Außen festgeschrieben wurde. Als Gegenbegriff des 'Deutschen', der unter dem Einfluss eines integralen Nationalismus von der politischen Rechten bis in bürgerliche Parteigruppierungen zunehmend auf die ethnisch-kulturelle Homogenität der Nation abzielte, verwies 'Ausländer' im Verlauf des 20. Jahrhunderts über den (rechtlichen) Aspekt einer fremden Staatsangehörigkeit hinaus auch auf die substantielle (Nicht-)Zugehörigkeit. Mit 'Ausländer' wurden in der politischen Alltagssprache nach 1945 bis an den linken Rand des politischen Spektrums nicht nur Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bezeichnet, sondern auch Menschen, die etwa aufgrund ihrer kulturell-ethnischen oder religiösen Herkunft als fremd wahrgenommen wurden. Sprachpolitische Versuche, diese diskriminierende Wirkung durch Verdrängung des Begriffs Ausländer zu beseitigen, führten indessen zur Verschiebung der negativen Konnotationen in andere Wörter des Begriffsfeldes wie z.B. 'Wirtschaftsflüchtling' oder 'Asylant'.
In: 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Soziologie - Gesellschaften im Umbruch: Sektionen und Arbeitsgruppen, S. 198-203
"Es existieren sachlogische und thematische Zusammenhänge zwischen der Rationalisierungs- und Entzauberungsthese Max Webers, der Zivilisationstheorie Norbert Elias' und den Forschungsresultaten der an Jean Piaget orientierten transkulturellen Psychologie. Die Rationalisierungsthese Webers thematisierte die Überwindung von Mythos und Magie durch intellektuelle Rationalisierung und Entzauberung im Verlaufe der europäischen Neuzeit. Ähnlich verbindet Elias die Erklärung der Entstehung neuzeitlicher Institutionen mit psychisch-kognitiven Transformationen (Langsicht über verlängerte Handlungsketten, rationale Regulierung von Affekten, Selbstkontrolle). Die Thesen Webers und Elias' sind oft unter Hinweis auf ihre fehlende erfahrungswissenschaftliche Basis bezweifelt worden. Das theoretische Instrumentarium der transkulturellen Psychologie thematisiert nun psychologische Phänomene, die mit den psychisch-kognitiven Phänomenen, die in den genannten soziologischen Ansätzen verbaut sind, nahe verwandt oder sogar identisch sind. So können die Ergebnisse der transkulturellen Psychologie der letzten beiden Jahrzehnte zur erfahrungswissenschaftlichen Prüfung, Korrektur, Rahmung und Fundierung der beiden soziologischen Ansätze herangezogen werden. Die Resultate der transkulturellen Psychologie können nun streng empirisch nachweisen, daß Kausalzusammenhänge von traditionalen Sozialstrukturen und traditionalen Denk- und Verhaltensweisen einerseits, wie sie Weber und Elias beschrieben haben, sowie von Modernisierungsprozessen und abstrakten rationalen Denkweisen andererseits tatsächlich existieren." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5151-5168
"Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit findet sich in verschiedenen europäischen Ländern das Phänomen der formal rechtlichen Behandlung von Tieren als Straftäter und Prozessparteien. Dabei lassen sich zwei Grundformen unterscheiden: Tierstrafen richteten sich gegen domestizierte 'Nutztiere'. Sie wurden von weltlichen Gerichten verhängt, hatten ihren Anlass typischerweise in der Tötung eines Menschen durch das Tier und bestanden in der Regel in der Todesstrafe. Tierprozesse verhandelten die Taten von 'wilden', als 'Schädlingen' auftretenden Tieren. Sie fanden vor kirchlichen Gerichten statt, die darüber befanden, ob Maßnahmen wie z.B. die Exkommunikation ergriffen werden dürften und sollten, um die Schädlinge zu vertreiben. In beiden Fällen waren die Verfahren offenbar ganz ernst gemeint und vollzogen sich formal ganz wie solche gegen menschliche Angeklagte. Intuitiv erscheint dies als Ausdruck einer 'Personifizierung' von Tieren und einer mittlerweile vermeintlich überwundenen, geradezu grotesk anmutenden Irrationalität. Ein genauerer Blick auf die Tierstrafen und -prozesse sowie, vergleichsweise, das moderne System der tierschutzrechtlich geregelten industrialisierten Tierausbeutung offenbart jedoch, dass die moderne Gesellschaft keineswegs eine rationalere Konzeption des Status der Tiere entwickelt hat. Der Widerspruch hat sich nur ins Gegenteil verkehrt: Während die Kontrolle der Tiere in den Tierstrafen und -prozessen es erforderlich machte, die Tiere als Rechtssubjekte zu konzipieren, obwohl sie der zeitgenössischen Ansicht zufolge moralisch-rechtliche Objekte waren, bedingt die gewaltsame Kontrolle der machtlosen Nutztiere der Moderne die Negation des Status der Tiere als Rechtssubjekte, der ihnen der Logik der Moral und des Rechts zufolge tatsächlich zukommt." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 3616-3627
"Basierend auf der Hazard-Theorie sollen die Deutungsmuster für Naturgefahren (hauptsächlich am Beispiel Hochwasser und Rutschungen) seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart analysiert werden. In der Theorie interagieren mit naturwissenschaftlichen Methoden beschreibbare Naturprozesse mit gesellschaftlichen Handlungsmustern, die einerseits in die Naturprozesse anderseits in die Gesellschaft zurückwirken. Die Veränderung der Muster von religiösen, über naturwissenschaftlich/ technische zu gesellschaftlichen Deutungen, wodurch der Begriff der Naturgefahr seine Bedeutung ändert, wird in dem Beitrag auf empirischer Basis dargestellt. Bemerkenswert ist dabei z.B., dass mit Beginn des Ökologiediskurses in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Deutungsmuster der 'Rache der Natur' bei Hochwasserkatastrophen vorherrscht. Die Rache Gottes, als dominierendes Deutungsmuster bis Ende des 18. Jahrhunderts wird durch die 'mystische' Natur abgelöst. Ab ca. 1800 spielt die Wissenschaft eine bedeutende Rolle bei der Generierung neuer Erklärungsansätze. Beispiele sind im neunzehnten Jahrhundert das Abholzungsparadigma zur Erklärung von Hochwasserereignissen und im zwanzigsten Jahrhundert der Klimawandel. Die Wirksamkeit dieser wissenschaftlichen Deutungsmuster hängt nicht nur von ihrer logischen Überzeugungskraft ab, sondern auch von zufälligen Häufungen von Naturkatastrophen, die im statistischen Auftreten außergewöhnlicher Wetterlagen begründet sein können. Von Interesse sind auch die gesellschaftlichen Handlungen, die sich abhängig von den Deutungsmustern weg von Bußpredigten über technische Schutzmaßnahmen hin zu einem komplexen Naturgefahrenmanagement entwickeln. Aufgrund der technischen Maßnahmen wurden Jahrhunderte alte Anpassungsstrategien (= Adoptions z.B. Lawinen angepasste Bauweise und Raumnutzung) aufgegeben. Das moderne Gefahrenmanagement besonders in der Antizipation des Deutungsmusters Klimawandel versucht nun, solche Adoptions wieder einzuführen. Die Analyse der Deutungsmuster liefert einen Beitrag zur Erklärung der Grenzziehung zwischen Mensch und Natur, die wiederum das Handeln des Menschen im Bezug auf 'Naturgefahren' beeinflusst." (Autorenreferat)