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das war eine schöne Premiere: Zum ersten Mal, seit ich Sie für diesen Blog um Ihre finanzielle Unterstützung bitte, wurde im Dezember das Ziel von 5.500 Euro klar überschritten. Am Ende standen stolze 6.423 Euro (zuzüglich Umsatzsteuer in der Bilanz). Ganz herzlichen Dank an alle, die das ermöglicht haben! Zur Wahrheit gehört allerdings, dass es die Einmal-Überweisung einer Stiftung in Höhe von 2500 Euro netto war, die den großen Sprung ausgemacht hat. Insgesamt ist die Zahl der unterstützenden Einzelpersonen und Institutionen im Dezember gegenüber dem Vormonat sogar zurückgegangen: um elf auf 180.
Die Finanzierung des Blogs bleibt also prekär, wie auch die bisherigen Zahlen für Januar zeigen. Am Dienstag stand das Barometer erst wieder bei knapp 1.100 Euro. Positiv gewendet zeigt die Entwicklung wiederum, dass größere Einzelspenden hin und wieder durchaus drin sind – vielleicht eine Anregung für Nachahmer?
Vergleichsweise verhalten fiel im Dezember die Blognutzung aus. Mit rund 89.000 gezählten Besuchern auf der Seite gab es im Vergleich zum Dezember 2022 sogar einen Rückgang um gut 14 Prozent. Die meistgelesenen Artikel waren: meine Analyse der Pisa-Ergebnisse ("Zu müde, um erschüttert zu sein?"), mein Kommentar zu dem angeblich so entspannten Wissenschaftlerdasein ("Leichter Beruf mit hohem Gehalt gefällig?") und das Interview mit Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski ("Die Wissenschaft hat sich zu wenig den Bedürfnissen der Gesellschaft gestellt – das ist vorbei").
Insgesamt war 2023 trotz des Rückgangs im Dezember ein leserintensives Jahr – mit einem Zuwachs bei den Leser:innen um 26 Prozent.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben alles Gute, Gesundheit und Erfolg zum neuen Jahr und freue mich, wenn Sie mir und meiner Arbeit gewogen bleiben – durch Ihre Besuche des Blogs, durch Ihr Feedback und durch Ihre tatkräftige Unterstützung. Alle Informationen zu allen völlig freiwilligen Zahlungsoptionen finden Sie hier. Vielen herzlichen Dank!
Mit den besten Wünschen zu einer anregenden Lektüre
Ihr Jan-Martin Wiarda
PS: Ich halte den Blog frei von Bezahlschranken und Werbung, weil ich an den freien Informationsfluss glaube, meine Arbeit viel Spaß macht und ich darüber hinaus häufig die Rückmeldung erhalte, dass mein Blog für die bildungs- und wissenschaftspolitische Berichterstattung wichtig sei.
Warum 5.500 Euro im Monat für den Betrieb benötige? Erst ab etwa 2.500 Euro netto im Monat bleibt nach Abzug der Unkosten, der Finanzierung der nötigen Lizenzen und Technik überhaupt etwas übrig zur Bezahlung meiner journalistischen Arbeit. Solange am Ende des Monats weniger als 5.500 Euro netto stehen, arbeite ich also hier im Blog unterhalb eines angemessenen Honorars. Das ich deshalb querfinanzieren muss durch journalistische Aufträge anderswo oder Moderationen. Das bedeutet eine sehr hohe Arbeitsbelastung, wenn ich einerseits diesen Blog praktisch in Fulltime betreibe und dennoch so viel dazu verdienen muss.
Insofern unterstützen Sie mich mit einer Zahlung direkt, sorgen zugleich aber auch dafür, dass dieser Blog langfristig für Menschen frei zugänglich bleibt, die sich ein verpflichtendes Bezahlmodell nicht leisten könnten.
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Die Plattform TikTok ist mittlerweile sehr stark in unserer Gesellschaft verbreitet und vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt. Die im Jahr 2016 in China gegründete Plattform bietet eine Bühne für Tanz, Lypsinc und kreative Videos, die sich meist sehr schnell verbreiten. Ob Kochvideos, Haustiervideos, Restauranttipps oder Beauty Videos - für jeden ist etwas dabei und das macht die Platform wahrscheinlich auch so beliebt. TikTok ist mittlerweile die am stärksten wachsende Social Media Plattform und ist aus dem Alltag vieler jungen Menschen gar nicht mehr wegzudenken.Natürlich zeigen sich auf den ersten Blick auch eventuelle Vorteile. Es entstehen oft lustige Videos, Reisetipps oder Kochrezepte werden geteilt, also sehr positiv und harmlos. Je länger man sich aber mit der Thematik beschäftigt, umso deutlicher wird, dass diese Plattform sehr negative Auswirkungen hat und vor allem bei Jugendlichen und Kindern zu großen Problemen führen kann.Denn immer häufiger werden etwa Themen wie Sucht und Suizid aufgrund von TikTok oder Mutproben auf TikTok präsent. Ein Beispiel hierfür ist die Blackout-Challenge. Es geht bei dieser Challenge darum, dass man sich filmt, wie man sich die Kehle zuschnürt, und anschließend filmt, wie man wieder zu Bewusstsein kommt. Diese Videos erreichen Tausende Jugendliche, die dann angestiftet werden, es auch zu tun, obwohl sie überhaupt keine Ahnung haben, was sie da tun. Viele Jugendliche sind schon durch diese Challenge gestorben, die jüngsten waren 8 und 9 Jahre alt.Ich habe mich an dieser Stelle gefragt, warum sich solche Videos überhaupt verbreiten, wieso schaut man sich an, wie andere Kinder ohnmächtig werden? Warum möchte man das nachmachen? Und wieso werden solche Videos nicht gesperrt? Studien zufolge verbreiten sich Videos mit Emotionen, die aufregen, berühren und Wut und Zorn erzeugen, am schnellsten und erreichen die größte Reichweite.Diese Tatsache sorgt dann natürlich dafür, dass diese Videos auch den Benutzer*innen angezeigt werden, da TikTok seine Nutzer so lange wie möglich auf der Plattform halten möchte. Schaut man sich beispielsweise Videos über bestimmte Challenges an, dann werden einem immer mehr solche Videos angezeigt und der Algorithmus schlägt ganz bestimmte Videos vor. Man verliert sich in einer Welt voller Videos, die es schwer machen, den Realitätsbezug zu bewahren, vor allem für Kinder und Jugendliche, die eigentlich laut Geschäftsbedingungen gar nicht auf dieser Plattform unterwegs sein dürfen.Denn häufig sind die Kinder einfach noch nicht bereit, um zu verstehen, dass Soziale Medien die Nutzer*innen komplett manipuliert. Diese Tatsache ist ja sogar für Erwachsene schwer greifbar. TikTok kann für diese gefährlichen Konsequenzen zwar nicht verantwortlich gemacht werden, aber es stellt sich trotzdem die Frage, ob es nicht gezielter möglich ist, diesen Algorithmus mit solchen Inhalten zu stoppen. Bis sich jedoch die Regeln auf TikTok verändern, sollten Eltern ganz genau beobachten, ab wann sie ihren Kinder die App TikTok erlauben.Denn zusätzlich zu den gefährlichen Challenges zeigen sich auf TikTok noch weitere Probleme für Jugendliche. Beispielsweise äußert sich der kalifornische Generalstaatsanwalt Rob Bonta in einer Debatte in den USA, in der es darum geht, ob TikTok nicht komplett gesperrt werden sollte, so:"Unsere Kinder wachsen im Zeitalter der sozialen Medien auf - und viele haben das Gefühl, dass sie sich mit den gefilterten Versionen der Realität messen müssen, die sie auf ihren Bildschirmen sehen".Diese Aussage lässt sich definitiv bestätigen. Denn auf TikTok werden überwiegend ästhetische Videos hochgeladen, alles wirkt perfekt und schön. Mit dieser Scheinwelt, die auf TikTok oder generell in Sozialen Media dargestellt wird, schadet man Kindern und Jugendlichen bewiesenermaßen sehr. Es werden häufig Schönheitsideale transportiert, welche bei Jugendlichen verheerende Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit hervorrufen.Denn vielen Jugendliche und vor allem Kindern ist häufig nicht bewusst, dass man sich als Influencer ganz genau überlegt, was man postet, und natürlich darauf achtet, dass alles perfekt, glamourös und ästhetisch wirkt. Da die Videoclips häufig nur einen kurzen Ausschnitt von einem Tag abbilden und der Rest des Tages vielleicht gar nicht schön war, oder das verschiedene Posen oder Fotoshop das perfekte Bild projizieren, ist für viele Kinder nicht greifbar. Sie vergleichen sich mit diesen Darstellungen und so werden Unsicherheiten verstärkt. Diese Problematik wird immer präsenter und viele Länder überlegen, TikTok sogar zu sperren.Insgesamt zeigt sich, dass die Plattform TikTok höchst problematisch für Jugendliche ist. Damit sich die negativen Auswirkungen dieser App auf Jugendliche reduzieren, ist es wichtig, dass Jugendliche den richtigen Umgang mit Medien lernen, Stichwort digitale Bildung vor allem für junge Kinder. Eltern sollten die Zeit auf dieser Plattform begleiten und zusammen mit den Kindern über ihre Erfahrungen auf dieser Webseite sprechen. Die Kinder müssen diese Plattform nämlich zunächst verstehen, um so die gefährlichen Seiten zu durchschauen. Man muss achtsam sein und die Kinder vor solchen Challenges warnen und sie über die Folgen aufklären.Vielleicht schafft man es so, die Neugier, die natürlich in jedem Kind steckt, so etwas auszuprobieren, zu beruhigen.Quelle: https://www.zeit.de/2023/17/blackout-challenge-tiktok-jugendliche-tod
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In diesem Beitrag stellt Louis Karl folgenden Text vor: Bauer, Friederike (2006): Die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen; in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.: UN Basis Informationen Nr. 33, online unter: http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2009/694/pdf/BI_Millenniumsziele_V33.pdf.Der Text beschreibt die Entstehungsgeschichte, Entwicklung und Rolle der im Jahr 2000 vereinbarten Millenniums-Entwicklungsziele. Hierbei geht Bauer auf die Ziele im Einzelnen, die Finanzierung und die Bedeutung für die Entwicklungspolitik ein und zieht fünf Jahre nach Vereinbarung Bilanz.Bauer konstatiert zunächst, dass jeder sechste Erdbewohner in extremer Armut, Hungernot oder ohne Menschenrechte am Rand der Gesellschaft leben muss. Diese Tatsache widerspricht allen Ansprüchen von Menschenwürde und Menschenrechten, weshalb es ein Kernanliegen der Vereinten Nationen ist, betroffene Menschen aus der Not zu befreien und bessere Lebensverhältnisse zu ermöglichen.Trotz einer Vielzahl von Sonderorganisationen und Spezialorganen, wie das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), das Welternährungsprogramm (WFP), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNPFA), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und vielen mehr, ist es den Vereinten Nationen nicht gelungen die sich bis 1995 immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich auch nur annähernd zu schließen.Der damalige UN-Generalsekretär sieht die Jahrtausendwende als Anlass, um einige Entwicklungsziele mit konkreten Indikatoren und Zieldaten vorzuschlagen, deren Erreichung die globalen Missstände beenden oder zumindest stark einschränken würde. Aufgrund des Zeitpunkts wurden diese Ziele "Millenniums-Entwicklungsziele" (Millennium Development Goals, MDG) genannt.Das erste Ziel auf Annans Liste lautet "Extreme Armut und Hunger bekämpfen". Konkret soll die Anzahl der Menschen, die täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen bis 2015 halbiert werden. Das zweite Ziel "Grundschulbildung für alle" ist vor allem für Entwicklungsländer eine zentrale Herausforderung, da 97 Prozent der Kinder ohne Grundschulbildung dort leben. Bis 2015 sollen möglichst alle Mädchen und Jungen das Privileg genießen dürfen, eine Grundschulbildung zu absolvieren, um damit den Grundstein für ein Entkommen aus der Armut legen zu können.Das dritte Ziel konzentriert sich auf die Gleichstellung von Männern und Frauen und soll durch die Beseitigung des Geschlechtergefälles in Grund- und Sekundarschulbildung bis 2005 und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015 erreicht werden. Die Minderung der Kindersterblichkeit bildet das vierte Ziel und soll durch bessere Basis-Gesundheitsdienste und flächendeckende Impfkampagnen gegen Krankheiten wie Polio, Diphterie und Tuberkulose erreicht werden.Das fünfte Ziel fokussiert eine Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Senkung der Müttersterblichkeit bei Geburten, die durch eine zugänglichere und bezahlbare medizinische Grundversorgung verwirklicht werden soll. Das sechste Ziel beinhaltet die Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Infektionskrankheiten. Diese sollen durch bessere Aufklärung, leichterem Zugang zu Verhütungsmitteln und verstärkte Betreuung von Betroffenen bis 2015 stark eingeschränkt werden.Das vorletzte Ziel auf Annans Liste widmet sich der Verbesserung des Umweltschutzes. Hierbei soll der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung in Politik und Staatenprogramme eingeführt werden, um den Verlust von Umweltressourcen umzukehren. Weiterhin sollen bis 2015 mehr als 500 Millionen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen erhalten.Das achte und letzte Ziel beschreibt den Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Dieses Ziel gilt als das umfassendste, da es finanzielle, organisatorische und institutionelle Grundlagen schaffen soll. Diese Grundlagen beinhalten ein berechenbares Handels- und Finanzsystem, weitere Schuldenerleichterung, gute Regierungsführung und Armutsbekämpfungsstrategien in den Staaten. Die Millenniums-Entwicklungsziele entwickeln sich zum Leitfaden für alle betroffenen UN-Organisationen und bilden den Rahmen für internationale Entwicklungspolitik.Fünf Jahre nach dem Millenniums-Gipfel sind die Meinungen zu den vorläufigen Ergebnissen gespalten. Es gibt große Unterschiede innerhalb einzelner Länder, die entweder sehr weit oder kaum fortgeschritten sind. Die meisten Ländern werden sehr wahrscheinlich einige der Ziele bis 2015 erreichen. Jedoch spitzt sich die Lage in bestimmten Gebieten, wie südlich in Zentralafrika, zu. HIV/AIDS, sinkende Nahrungsmittelproduktion pro Kopf, verschlechterte Wohnbedingungen und zunehmende Umweltzerstörung spiegeln dort die Realität wider.Nordafrika, Süd- und Südostasien sowie Lateinamerika sind vor allem im Kampf gegen Hungernöte auf einem guten Weg, werden jedoch nicht alle Ziele bis 2015 erreichen. Weltweit ist das Ausmaß der Unterernährung weiterhin hoch, die Grundschulbildung verzeichnet zwar Fortschritte, ist aber nach wie vor erschreckend schlecht.Die Gleichstellung von Mann und Frau bleibt selbst in Nicht-Entwicklungsländern ein unerfülltes Ziel. Die Kindersterblichkeit ist generell zurückgegangen, jedoch bleibt die Müttersterblichkeit in jeder Weltregion unverändert hoch. Der Bevölkerungsanteil mit Zugang zu sauberem Trinkwasser kann einen deutlichen Zuwachs verzeichnen. Es mangelt der öffentlichen Entwicklungshilfe an Geld, sodass zahlreiche Länder des globalen Südens die Ziele bei gleichbleibender Geschwindigkeit massiv verfehlen werden.Bauer bezeichnet den Zwischenstand 2005 nicht als Anlass zu überzogenem Optimismus, führt jedoch den Ökonomieprofessor und Sonderberater des Generalsekretärs, Jeffrey Sachs, an. Laut Sachs sei es immer noch möglich, die extreme Armut bis 2015 zu halbieren, da die nötigen Voraussetzungen dafür in der Weltgemeinschaft vorhanden sind. Kofi Annan ruft die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu auf, mit den bisherigen Vorgehensweisen zu brechen und endlich ihren Willenserklärungen Taten folgen zu lassen.
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Die Kanzlerin der Freien Universität Berlin darf schon lange ihre Amtsgeschäfte nicht mehr führen. Doch das Verfahren um die Personalie läuft noch immer – mit Folgen für alle Beteiligten.
SEIT 15 MONATEN ist die Kanzlerin der Freien Universität (FU) Berlin nicht im Dienst. Doch ganz weg ist sie auch nicht, denn bezahlt wird sie offenbar weiterhin. Der Fall ist schwebend – die ungeklärte Lage belastet alle Beteiligten.
Wie ist es dazu gekommen? Die damalige Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hatte Ende Februar 2022 verfügt, dass Kanzlerin Andrea Bör, seit 2016 an der FU, "mit sofortiger Wirkung für die kommenden drei Monate" ihre Amtsgeschäfte nicht wahrnehmen dürfe. Vorangegangen war ein jahrelanger Streit mit FU-Präsident Günter M. Ziegler, der im Herbst 2021 eskalierte.
Damals stand die Präsidentschaftswahl im Februar 2022 an. Ziegler wollte eine zweite Amtszeit, was Bör und eine Gruppe von Professoren unbedingt verhindern wollten. Recherchen des Tagesspiegel ergaben, dass Bör an allen Unigremien vorbei eine Personalagentur damit beauftragt hatte, Gegenkandidaten zu finden. Das Manöver führte zu tiefen Verwerfungen an der FU – auch wenn der Auftrag später zurückgezogen wurde. Da war jedoch bereits eine fünfstellige Honorarsumme aus FU-Haushaltsmitteln geflossen.
Akademischer Senat sprach Misstrauen aus
Der Akademische Senat sprach Bör seine Missbilligung und mit knapper Mehrheit sogar das Misstrauen aus, das Verhältnis war auch aus anderen Gründen zerrüttet. Zunächst leitete die Wissenschaftsverwaltung ein Disziplinarverfahren gegen Bör ein. Nach einigem Hin und Her untersagte schließlich Senatorin Gote der Kanzlerin die Ausübung ihrer Amtsgeschäfte. Kurz zuvor war Ziegler deutlich wiedergewählt worden. Spätestens damit war Börs Rückkehr kaum vorstellbar.
Doch rechtlich scheint sich die Sache anders darzustellen. Im Mai 2023 steht auf der FU-Homepage zwar unter Kanzlerin: „Andrea Güttner“. Doch in Klammern heißt es: "mdWdAb", die amtliche Abkürzung für "mit der Wahrnehmung der Geschäfte betraut". Weiter ist zu lesen, Bör nehme ihre "Amtsgeschäfte zurzeit auf Veranlassung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung nicht wahr".
Das "Zurzeit" dehnt sich
Das "Zurzeit" dehnt sich an der FU immer weiter – und kostet. Die Kanzlerin bezieht offenbar weiter ihr Gehalt, Stufe B5, was knapp 10.000 Euro monatlich entspricht. Noch schlimmer aber ist die Ungewissheit, in der sich die FU-Verwaltung, das Präsidium, aber auch die Kanzlerin selbst befinden. Wie lange wird das so weitergehen?
Zieglers Sprecher Goran Krstin sagt auf Anfrage, das Verbot der Amtsführung, gesetzlich zunächst auf drei Monate begrenzt, sei per Mitteilung der Wissenschaftsverwaltung auch über den 23. Mai 2022 verlängert worden. "Aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes können wir uns zu weiteren Details in dieser Personalangelegenheit nicht äußern", fügt Krstin hinzu. "Sämtliche Verfahren bezüglich der Tätigkeit von Bör" würden durch die zuständige Senatsverwaltung geführt. "Verfahren" wohlgemerkt im Plural. Welche das im Einzelnen sind?
Die Senatsverwaltung teilte am 26. April mit, zur Causa Bör "im Einzelnen keine Auskunft" geben zu können, "da es sich um eine Personaleinzelangelegenheit handelt und das Verfahren noch läuft".
Allerdings befindet sich seit dem 27. April die neue Senatorin Ina Czyborra (SPD) im Amt. Wird sie die Beendigung des Schwebezustands zur Chefinnensache machen? Wissenschaftspolitisch wird die Angelegenheit auch deshalb immer brisanter, weil nach dem Regierungswechsel jetzt kurzfristig die Verhandlungen um die neuen Hochschulverträge abgeschlossen werden müssen. Dabei spielen die Kanzler eine wichtige Rolle, denn es geht um die Finanzierung der Unis. Ein strategisches Handicap kann sich die FU insofern schon jetzt nicht mehr leisten.
Andrea Bör würde sich wohl gern äußern, darf aber nicht. Auf Anfrage verwies sie darauf, dass ihr für eine öffentliche Stellungnahme keine Zustimmung der Senatsverwaltung vorliege.
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In diesem Beitrag stellt Lina Buchloh folgenden Aufsatz vor: Klatzer, Elisabeth / Schlager, Christa (2016): Gender Mainstreaming oder Mainstream ohne Gender? Wirtschaftspolitische Steuerung in der Europäischen Union: geschlechterblind und gleichstellungsriskant; in: Femina Politica 2-2016, S. 37-48, online unter: https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v25i2.25351. Die Autorinnen tragen mit ihrem Artikel zu einer kritischen Bilanz der Errungenschaften der Gleichstellungspolitik bei. Die Gleichstellungspolitik wurde 1997 von der Europäischen Union mit dem Vertrag von Amsterdam als Querschnittsziel vertraglich festgelegt (vgl. S. 37). Des Weiteren analysieren die Autorinnen den geschlechterpolitischen Gehalt der EU-Wirtschaftspolitik und untersuchen den Einfluss der Gleichstellungspolitik in der budget- und wirtschaftspolitischen Steuerung der EU (S. 38). Das Ziel der Autorinnen ist es, reagierend auf die Defizite der Geleichstellungspolitik Handlungsansätze zu entwickeln, damit die Gleichstellungspolitik in Zukunft wirksamer werden kann. Im folgenden Abschnitt des Artikels fassen die Autorinnen die Charakteristika der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung ("EU Economic Governance") zusammen:"Regelgebundenheit mit hoher rechtlicher Bestandskraft führt zu einer einseitigen Defizit- und Verschuldungsabbau-Ausrichtung und zu Sparzwang und Abbau von Sozialstaatlichkeit." (S. 38f.)"Mit der Formel "Wettbewerbsfähigkeit" wurden Regelungen geschaffen, die den Druck auf Löhne erhöhen, den Abbau von Arbeitsrechten forcieren und Gewerkschaften schwächen." (S. 39)"Ein hohes Maß an wesentlichen wirtschafts- und budgetpolitischen Entscheidungskompetenzen wurde an eine kleine Gruppe der Wirtschafts- und Finanzelite übertragen." (S. 39)Die Autorinnen schildern, dass im Zusammenhang der Economic Governance die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, die Finanzministerien, das Generalsekretariat und der Rat der Finanzminister bei Entscheidungen im Bereich Budget und Wirtschaftspolitik einen großen Machtzugewinn erfuhren. Die daraus resultierenden Entscheidungen sind durch ihre Komplexität schwer nachzuvollziehen. Diese Prozesse, in die auch die Europäische Zentralbank mit eingebunden ist, bezeichnen die Autorinnen als intransparent. Entscheidungen auf wirtschaftspolitischer Ebene werden laut den Autorinnen demokratischen Institutionen entzogen und an informelle oder bürokratische Machtzentren übergeben (vgl. S. 39).Im folgenden Abschnitt weisen die Autorinnen darauf hin, dass der Gender-Mainstreaming-Auftrag nicht zufriedenstellend erfüllt wurde. Bis auf die Arbeitsmarktpolitik sind "die Wirtschafts-, Budget- und Geldpolitiken ebenso wie die wirtschaftspolitischen Institutionen weiterhin weitgehend geschlechterblind […] und mit geschlechterpolitischen Schieflagen verbunden" (S. 40). Die bisherigen Errungenschaften der Gleichstellungspolitik werden durch die geschlechterblinde Politik gefährdet.Die Autorinnen beschreiben einzelne Aspekte dieser Machtverschiebung: Die institutionellen Veränderungen aufgrund der Economic Governance sind bereits geschlechterpolitisch, da die Institutionen, wie oben beschrieben, über größere wirtschaftspolitische Entscheidungsmacht verfügen und in einem hohen Ausmaß von Männern dominiert werden (vgl. S. 40).Laut den Autorinnen nimmt die Überbeanspruchung von Frauen zu, allerdings werde die Notwendigkeit, bezahlte und unbezahlte Arbeit gleich zu betrachten, von den EntscheidungsträgerInnen untergraben. Die Autorinnen beschreiben, dass der Sozialabbau Frauen stärker betrifft, da sie z.B. durch Betreuungspflichten und gesellschaftliche Diskriminierung durchschnittlich niedrigere Erwerbseinkommen haben (vgl. S. 41).Die Wirkung der Gleichstellungspolitik kann durch das Europäische Semester ermittelt werden. Hierbei soll sichergestellt werden, dass Empfehlungen (von EK und Rat) umgesetzt werden. Die Berichte der Kommission, die jedes Jahr im November mit Blick auf die Prioritäten und wirtschaftspolitischen Analysen für das kommende Jahr veröffentlicht werden, sind laut den Autorinnen häufig geschlechterblind. Die Mitgliedsstaaten sind nur bezüglich der Beschäftigungsquote dazu angehalten, Maßnahmen zu befolgen, die die Arbeitsanreize erhöhen sollen."Gleichstellungsaspekte sind, trotz der eindeutigen Rechtslage, dass sie eine Querschnittsmaterie sind, in den umfangreichen Dokumenten in den allerwenigsten Fällen enthalten. Im gesamten Mechanismus der Economic Governance wurde auf EU-Ebene kein Aspekt eines Gender Mainstreaming-Prozesses verankert" (S. 42).Die Autorinnen beschreiben, dass die Auswirkungen auf Frauen und Geschlechterverhältnisse in den länderspezifischen Empfehlungen 2014-15 "zur fiskalischen Konsolidierung, zur Förderung von Wachstum und Wettbewerb, zu Reformen des Gesundheits-, Pensions- und Steuersystems sowie zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung […]" (S. 42) nicht thematisiert werden. Die EK erwähnt Frauen laut den Autorinnen nur in Bezug auf die Ziele zur Erhöhung der Beschäftigungsquote.Die Autorinnen bezeichnen die EU als Wettbewerbsstaat, dessen Wettbewerbsstaatlichkeit durch die Economic Governance, den Euro-Plus Pakt und die Wettbewerbsfähigkeitsräte in den EU-Staaten weiter angetrieben wurde (vgl. S. 44). Genetti, auf den sich die Autorinnen im Folgenden beziehen, beschreibt Veränderungen von Politik, Gesellschaft und Staat mit folgenden geschlechterrelevanten Charakteristika:"Orientierung neoliberaler Diskurse und Praxen an männlichen Normen,Reprivatisierung und Refeminisierung von sozialen Reproduktionsaufgaben,Verschiebungen in den Bedeutungen von Privat und Öffentlichkeit sowieHerausbildung einer neuen hegemonialen Geschlechterordnung und eines neuen Genderregimes im Postfordismus" (S. 44)In der Schlussfolgerung kommen die Autorinnen zu folgenden Ergebnissen:Die Gleichstellungspolitik der EU erfährt eine Krise.Bisherige Errungenschaften der Gleichstellungspolitik werden durch geschlechterblinde Politiken und Institutionen, die männlich dominiert sind, gefährdet."Trotz des Bekenntnisses der EU zu Gender Mainstreaming und der Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsziel in den EU-Verträgen spielen gleichstellungspolitische Überlegungen in der Economic Governance praktisch keine Rolle" (S. 45).Die Autorinnen sehen für die Weiterentwicklung und Umsetzung der Geschlechterpolitik eine Transformation auf drei Ebenen für notwendig:Neukonzeptionierung von Ökonomie. Wirtschaft soll als vor- und versorgende Wirtschaft konzeptualisiert werden (dadurch können geschlechterpolitische Schieflagen erkannt werden) (vgl. S. 45)Emanzipatorische Transformation von Staatlichkeit: "Die öffentliche Organisation von universellen Care-Dienstleistungen für Kinder, Alte, Kranke und Behinderte, ein emanzipatorischer Um- und Ausbau des "Öffentlichen" sowie wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Macht des Finanzsektors und multinationaler Unternehmen sowie zum Abbau der enormen Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen sind dabei wesentliche strategische Ansatzpunkte" (S. 46)."Ausbau geschlechtergerechter partizipatorischer Institutionen und Entscheidungsprozesse" (S. 46).Die Autorinnen sehen diese drei Faktoren "als Basis für praktische Gleichstellungspolitik" (S. 47), durch welche Emanzipation und Gleichstellung in der EU wirksam werden können.
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Bewerben sich Frauen um eine Professur, haben sie bei gleicher Leistung teils höhere Erfolgschancen als Männer. Allerdings gibt es viel weniger Frauen, die für eine Professur in Frage kommen. Ändert sich das allmählich?
Bild: Pixabay, CCO.
ZUERST DIE GUTE NACHRICHT. Bei gleicher Leistung haben Frauen an deutschen Universitäten mindestens dieselbe Chance wie Männer, auf eine Lebenszeit-Professur berufen zu werden – wenn sie sich denn bewerben. In der Politikwissenschaft, der Psychologie und der Soziologie sogar eine um 20 bis 40 Prozent höhere, wobei ihr Vorteil nur in der Soziologie statistisch signifikant ist. So haben es der Soziologe Martin Schröder von der Universität des Saarlandes und seine Mitautoren durch die Analyse tausender Karriereverläufe herausgefunden.
Was sich mit den Erkenntnissen eines Forscherteams um die Soziologin Heike Solga vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung deckt. In einer Studie ließen sie rund 1800 Professor*innen verschiedener Fächer die Lebensläufe hypothetischer Bewerber*innen bewerten, Ergebnis: Bei gleichem Inhalt wurden Frauen tendenziell für berufbarer und kompetenter gehalten, und zwar gleichermaßen von Frauen und Männern.
Wobei manche in solchen Zahlen solche Zahlen keine guten Nachrichten erkennen werden, sondern Hinweise auf Diskriminierung – von Männern.
Leaky Pipeline, entgrenzte Arbeitszeiten und Corona-Nachteile
Moment, kann man da nur sagen, die Sache ist komplexer. Erstens: Nur eine Minderheit von Frauen kommt überhaupt so weit, dass sie sich auf eine Professur bewerben kann. Die meisten verlassen, Stichwort Leaky Pipeline, die akademische Welt lange, bevor sie die nötigen Credentials (Postdoc-Jahre, Auslandsaufenthalte, Publikationen, Habilitation etc.) zusammen haben.
Weil – zweitens – in der Wissenschaft immer noch vielerorts entgrenzte Arbeitszeiten verbreitet sind und oft sogar heroisierend mit einem "Brennen" für die Wissenschaft gleichgesetzt werden. Was automatisch jene ins Aus schiebt, die sich genau das nicht leisten können oder wollen – etwa weil sie Kinder oder Angehörige zu versorgen haben, weil sie auf ihre eigene Gesundheit Rücksicht nehmen oder weil sie sich schlicht ein Leben neben der Wissenschaft gönnen wollen.
Vor allem der Betreuungsnachteil trifft überwiegend Frauen, wie sich beklemmend eindrucksvoll in der Corona-Pandemie zeigte: Die Publikationsleistungen von Wissenschaftlerinnen mit Kindern sanken überdurchschnittlich stark. Die von Wissenschaftlern stiegen dagegen teilweise sogar – hatten wiederum Solga und ihre Kolleg*innen schon nach den ersten Lockdowns herausgefunden. Was also nützt es Frauen dann, dass sie auch bei gleichem Paper-Output leichter eine Professur ergattern, wenn sie oft weniger begutachtete Fachzeitschriftenartikel publiziert haben?
Mit der gleichen Selbstverständlichkeit bewerben wie selbst mediokre Männer
Natürlich gibt es viele weitere Gründe für die Leaky Pipeline, von männlich geprägten Fächerkulturen bis hin zu offener Diskriminierung. Umso wichtiger, dass sich – drittens – zumindest diejenigen Frauen, die durchkommen, mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf eine Professur bewerben, wie selbst mediokre Männer es tun.
Unterdessen berichtet das Statistische Bundesamt, dass der Anteil von Frauen an allen Habilitationen zwischen 2012 und 2021 um zehn Prozentpunkte auf 37 Prozent gestiegen ist, während die Zahl der Habilitationen insgesamt zuletzt deutlich zurückging. Womit diese Statistik eine doppelte Botschaft enthält: Die Habilitation verliert insgesamt an Bedeutung, sie ist seltener als früher die Voraussetzung, um auf eine Professur berufen zu werden. Gleichzeitig scheint sich die Leaky Pipeline ein Stück schneller als bislang zu schließen. Was wäre erst möglich, wenn sich an mehr Orten die Erkenntnis durchsetzte, dass die Wissenschaft durch ihre weit verbreiteten Arbeitsbedingungen systematisch Talente vertreibt – und man deshalb genau diese Arbeitsbedingungen ändern muss?
Fest steht: Mehr Frauen werden berufungsfähig. Und ihre Chancen, dann auch berufen zu werden, stehen außerordentlich gut. Überkompensieren Berufungskommissionen zuungunsten männlicher Bewerber frühere Karrierenachteile für Frauen? Möglicherweise. Wer das allerdings für einen Aufreger hält, sollte sich zuerst das ganze Bild anschauen.
Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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An den Universitäten ist die Zahl der Chefinnen innerhalb von zwölf Monaten stark gewachsen. Deutet sich eine Prinzip-Umkehr bei den Bemühungen um mehr Gleichberechtigung an? Währenddessen sinkt der Anteil der HAW-Rektorinnen weiter. (02. Mai 2023) >>>
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An sich handelt es sich hierbei nicht um neue Erkenntnisse. Wer mit dem Fahrrad fährt und sein Auto stehen lässt, tut der Umwelt (und sich selbst) etwas Gutes. Trotzdem sind die Straßen in den Städten regelmäßig verstopft und es dauert oft lange, um im Dschungel der roten Ampeln ans Ziel zu kommen. Wissen über die Vorteile des Radfahrens besteht bereits seit langer Zeit, allerdings lassen die Rahmenbedingungen oft zu wünschen übrig. Damit ist gemeint, dass Radwege teilweise im Nichts enden oder gar nicht vorhanden sind. Oft sind Übergänge unübersichtlich gestaltet und die Radwege voller Schlaglöcher und anderer Gefahren. Vorbeirauschende Autos und LKW sorgen regelmäßig für gefährliche Situationen, genauso wie Radwege, die gleichermaßen als Fußgängerwege ausgeschrieben sind. Nicht selten kommt es zu Konflikten zwischen Radfahrenden, Fußgängerinnen und Fußgängern und den Autofahrenden.Dies sind nur einige Beispiele, die mir selbst als regelmäßiger Radfahrer eingefallen sind. Da ich selbst betroffen bin, möchte ich heute ein Projekt vorstellen, welches genau diesen Problemen (und mehr) auf den Grund gehen will. Dabei steht die vom Klimawandel bedrohte Umwelt im Vordergrund. Nur wenn Radfahren für alle Menschen attraktiver wird, kann damit ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden.STADTRADELN – radeln für ein gutes Klima "ist ein Wettbewerb, bei dem es darum geht, 21 Tage lang möglichst viele Alltagswege klimafreundlich mit dem Fahrrad zurückzulegen. Dabei ist es egal, ob man bereits jeden Tag fährt oder bisher eher selten mit dem Rad unterwegs ist. Jeder Kilometer zählt – erst recht wenn man ihn sonst mit dem Auto zurückgelegt hätte" (STADTRADELN - Darum geht es!).Aber worum geht es genau? Anstatt die Menschen über die Vorteile des Radfahrens aufzuklären, sollen diese am eigenen Körper erfahrbar gemacht werden. Deshalb sollen so viele Personen wie möglich für 21 Tage auf das Fahrrad umsteigen. Die Ergebnisse der Aktion sollen aufzeigen, wie viele Menschen bereits mit dem Fahrrad unterwegs sind und dadurch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.Damit aber noch mehr Menschen dauerhaft vom Auto aufs Rad umsteigen, braucht es eine angemessene Radinfrastruktur, auf der sie schnell und sicher ans Ziel kommen. Um dieses Ziel erreichen zu können, werden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker einbezogen. Diese sind die Befähigten und Entscheidungstragenden, wenn es um die passende Radinfrastruktur und damit verbunden den praktischen Klimaschutz vor Ort geht.Die Aktion lädt dazu ein, selbst die Perspektive der Radfahrenden einzunehmen und Vorteile sowie Probleme am eigenen Leib zu erfahren. So lernen die Verantwortlichen, wo die Kommune bereits fahrradfreundlich ist und an welchen Stellen Nachbesserungsbedarf besteht. Um die Arbeit der Kommunalverwaltung zusätzlich verbessern zu können, wurde eine Bürgerbeteiligungsplattform (RADar!) ins Leben gerufen, um auf das Wissen und die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger zurückgreifen zu können.Die Radfahrenden melden der Verwaltung Schlaglöcher, plötzlich endende Radwege oder unübersichtliche Verkehrsführungen und können diese direkt in einen digitalen Stadtplan eintragen. Durch die "STADTRADELN-App" kann die Radverkehrsplanung vor Ort zusätzlich profitieren. Die anonym getrackten Strecken werden an der Technischen Universität in Dresden ausgewertet, aufbereitet und anschließend den betroffenen Kommunen und deren Verantwortlichen zur Verfügung gestellt, wie beispielsweise Geschwindigkeit, Radverkehrsfluss, Nadelöhr (vgl. ebd.).Hintergrund der Aktion ist, dass das Auto lange Zeit die dominierende Kategorie im Bereich Mobilität war. Um Abgase zu vermeiden und damit verkehrsbedingte Umweltschäden zu reduzieren, muss sich dieses Verständnis schnell ändern. Eine willkommene Alternative ist dabei das Fahrrad. Die Verkehrswende muss zunächst im Kopf beginnen, um das Thema Radverkehr im öffentlichen Diskurs präsenter zu machen. STADTRADELN nimmt die Kommunen dabei in die Verantwortung und sorgt für überregionale und lokale Kommunikationsanlässe (vgl. ebd.).Die zentralen Ziele sind die Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen sowie die Förderung des Radverkehrs. Laut dem Umweltbundesamt entstehen über 20% der klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland im Verkehr (vgl. Umweltbundesamt, 2021)."Im Jahr 2020 verursachten PKW und Motorräder 61% der Kohlendioxid-Emissionen im EU-weiten Straßenverkehr" (Statistisches Bundesamt 2022).Nach Hochrechnungen des Umweltbundesamt können durch Radverkehr und Fußverkehr rund 140g Treibhaus-Emissionen pro Personenkilometer im Vergleich zum PKW eingespart werden. Ein zusätzlicher Vorteil entsteht dadurch, dass gesundheitsschädigende Luftschadstoffe durch mehr Radverkehr verringert werden können (vgl. Umweltbundesamt 2021). Somit profitiert die Gesundheit der Bevölkerung gleich doppelt – mehr Bewegung und bessere Luft.Dazu kommt, dass "in deutschen Großstädten 40-50% der Autofahrten über Strecken von weniger als fünf Kilometer Länge führen. Entfernungen, die auch gut mit dem Fahrrad zu bewältigen sind. Insgesamt könnten Schätzungen zufolge rund 30% der PKW-Fahrten in Ballungsgebieten durch Radverkehr ersetzt werden" (Umweltbundesamt, 2021). Das "Bundesministerium für Digitales und Verkehr" hat in einer Umfrage 2021 herausgefunden, dass zwischen 53% und 62% der Befragten der Meinung sind, dass die Politik im Ausbau von Fahrradwegen Nachholbedarf habe. Eine weitere Mehrheit spricht sich zudem für eine bessere Trennung von Radverkehr und PKW-Verkehr aus (vgl. BMDV, 2021). So kann nicht zuletzt Verkehrsfläche eingespart werden, womit weniger Böden versiegelt werden müssen.Quellen: STADTRADELN - Darum geht es! (letzter Zugriff 26.04.23) https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/kohlendioxid-emissionen#kohlendioxid-emissionen-im-vergleich-zu-anderen-treibhausgasen (letzter Zugriff 26.04.23) https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Verkehr/Auto.html (letzter Zugriff 26.04.23) https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/nachhaltige-mobilitaet/radverkehr#gtgt-umweltfreundlich-und-klimaschonend (letzter Zugriff 26.04.23) https://fahrradklima-test.adfc.de/ergebnisse (letzter Zugriff 26.04.23) https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/nachhaltige-mobilitaet/radverkehr#gtgt-schnell (letzter Zugriff 26.04.23) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/209013/umfrage/meinung-zum-einsatz-der-politik-fuer-den-radverkehr/ (letzter Zugriff 26.04.23) https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/nachhaltige-mobilitaet/radverkehr#gtgt-umweltfreundlich-und-klimaschonend (letzter Zugriff 26.04.23)
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Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski wissen, dass am Ende einige hunderttausend, vielleicht sogar nur einige zehntausend Stimmen darüber entscheiden können, wer Präsident wird. Sie versuchen daher, die Wähler*innen der geschlagenen Kandidaten des ersten Wahlgangs auf die eigene Seite zu ziehen. Ob dies letztlich für den Sieg reicht, bleibt bei beiden Kandidaten fraglich. Neben Versuchen, die Anhänger des Konkurrenten zu demobilisieren, kämpfen sie deshalb besonders intensiv um die Nichtwähler*innen des ersten Wahlgangs.Diese Gruppe war gerade bei diesen Wahlen kleiner als früher. Nur im Jahr 1995 war im ersten Wahlgang die Wahlbeteiligung geringfügig höher (1995 – 64,7%, 2020 – 64,51%). Die heutige Spaltung der Gesellschaft und die starke Polarisierung haben viele Wähler*innen mobilisiert. Tabelle: Präsidentschaftswahlen – Wahlbeteiligung in Polen seit 1990 Quelle: Staatliche Wahlkommission Dennoch ist eine große Zahl potenzieller Wähler*innen zu Hause geblieben. Die Ergebnisse der exit polls und die offiziellen Daten der Staaatlichen Wahlkommission zeigen, welche Gruppe unter den Nichtwähler*innen besonders zahlreich war. Hiermit lassen sich wiederum einige Ereignisse der letzten Tager des Wahlkampfes erklären. Je größer die Gemeinde, desto mehr Wahlberechtigte stimmen ab Der größte Prozentsatz der Wähler ging in Großstädten (ab 500.000 Einwohnern) zur Wahl. Man kann fast (mit einer kleinen Ausnahme) sagen: Je größer die Gemeinde ist, desto mehr Bürger*innen nehmen an den Wahlen teil – bis zu 72 Prozent in den größten Städten. So wundert es nicht, dass die Kandidaten in den zwei Wochen zwischen erstem und zweitem Wahlgang besonders oft in kleinere Orte gefahren sind, um sich dort den Bürger*innen zu präsentieren. Dabei motivieren sie nicht immer mit positiven Aussagen. Nicht selten schüren sie vorhandene Ängste vor dem Rivalen und wollen so weitere Wähler*innen für sich gewinnen. Andrzej Duda beschreibt Rafał Trzaskowski gerne als Repräsentanten der "Warschauer Eliten", der die Bürger*innen kleiner Orte nicht verstehe. Trzaskowski wiederum zeigt sich in seiner Funktion als Bürgermeister (er ist Stadtpräsident von Warschau) als Kenner der täglichen Sorgen auf kommunaler Ebene und wirft Duda und der PiS-Partei vor, die kommunale Verwaltung zu unterdrücken. Tabelle : Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach WoiwodschaftenQuelle: Staatliche Wahlkommission Karte: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Woiwodschaften (je dunkler die Farbe, desto höher die Wahlbeteiligung) Quelle: Staatliche Wahlkommission Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 in Großstädten (über 250000 Einwohner) Quelle: Staatliche Wahlkommission Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Stadt und Land Quelle: Staatliche Wahlkommission Tabelle: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach der Bevölkerungszahl der Gemeinde Quelle: Staatliche Wahlkommission Die Jüngsten und die Ältesten bleiben oft zu HauseAuch das Alter der Wähler*innen spielt eine besondere Rolle. Die geringste Wahlbeteiligung war einerseits bei den jüngsten und andererseits bei den ältesten Wähler*innen zu verzeichnen. Grafik: Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Polen 2020 nach Altersgruppen laut Nachwahlbefragungen Quelle: IPSOS für TVN24, TVP und Polsat. Während die Ergebnisse bei den jüngsten Wählern nicht überraschen, da diese Gruppe immer schwer zu mobilisieren war, mögen die niedrigen Zahlen bei den über Sechzigjährigen auf den ersten Blick verwundern. Die Antwort liegt in der Corona-Pandemie. Gerade diese Personengruppe hat am meisten Angst vor der Krankheit und ist deshalb teilweise zu Hause geblieben. Die gerade für diejenigen, die sich um die Gesundheit sorgen, eingeführte Möglichkeit per Briefwahl abzustimmen (mehr dazu im Blogbeitrag Nr. 5), haben diese Wähler*innen nicht genutzt, weil der Beantragungsprozess kompliziert wirkte. Das genau ist wiederum die Wählerschaft von Andrzej Duda. Die Ergebnisse der Nachwahlbefragungen zeigen, dass bei den Wähler*innen über Fünfzig der amtierende Präsident in der ersten Runde gewonnen hätte. Tabelle: Unterstützung für die einzelnen Kandidaten im ersten Wahlgang 2020 nach Altersgruppen laut Nachwahlbefragungen Quelle: IPSOS für TVN24, TVP und Polsat. Deshalb wollen die PiS und Duda diese Gruppe besonders stark ansprechen und davon überzeugen, am 12. Juli in die Wahllokale zu gehen. So sind die Worte von Premierminister Mateusz Morawiecki zu verstehen, dass man vor dem Coronavirus keine Angst haben solle, und seine Ermutigung an die älteren Menschen, sich vor den Wahllokalen zu "drängen". Dabei muss betont werden, dass sich die Daten über die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Polen nicht wesentlich von denen im April unterscheiden, als Gesundheitsminister Łukasz Szumowski argumentierte, dass Wahlen mit traditionellem Urnengang frühestens in zwei Jahren stattfinden sollten. So kann man auch eine jüngst von der Regierung eingeführte Regelung verstehen. Senioren über 60, Menschen mit Behinderung und schwangere Frauen müssen am kommenden Sonntag beim zweiten Wahlgang nicht in der Schlange warten, sondern dürfen außer der Reihe abstimmen. Grundlage ist eine Verordnung des Gesundheitsministeriums. Auch wenn die Verordnung richtig ist, weil sie die gesundheitlich Schwächeren schützt, kann man sie als Wink mit Zaunpfahl verstehen, um die potenzielle Wählerschaft von Andrzej Duda zum Urnengang zu bewegen.Die beiden Kandidaten tun auch einiges, um diese Wähler für sich zu überzeugen. So hat Andrzej Duda schon am Wahlabend nach dem ersten Wahlgang die 14. Monatsrente angesprochen. Sie wurde schon vor einigen Monaten von der PiS versprochen (nach dem die 13. Monatsrente kurz vor der Europawahlen 2019 ausgezahlt wurde), noch ist sie aber nicht verabschiedet und angesichts der Virenkrise wird von vielen bezweifelt, ob sie jemals beschlossen wird. Der amtierende Präsident hat sie aber wieder ins Spiel gebracht. Auch die antideutschen Stimmen, die gerade in den letzten Tagen des Wahlkampfes von ihm zu hören waren, richteten sich an die ältere Wähler, die angeblich (die repräsentativen Untersuchungen der Deutsch-Polnischen Barometer Studie bestätigen dies nur teilweise) dafür empfänglicher sind. Rafał Trzaskowski weiß, dass er bei dieser Wählergruppe weniger erreichen kann, trotzdem hat auch er einen Versuch gemacht. Genauer gesagt hat sich hier seine Frau geäußert und vorgeschlagen, über die Ergänzung der Renten von Müttern um 200 PLN (50 Euro) monatlich nachzudenken.In wieweit diese Maßnahmen sich als wirksam erweisen werden und wer von den beiden Kandidaten es schaffen wird, mehr Nichtwähler*innen zu mobilisieren, wird sich am 12. Juli zeigen. Am Ende sind viele weitere Aspekte (Urlaubszeit, Mobilisierung der bisherigen Wähler*innen, Wählerwanderung) genauso relevant für das endgültige Ergebnis.
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In diesem Beitrag stellt Franka Hartnagel folgenden Text vor: Stern, Verena (2021): Die Profiteure der Angst? - Rechtspopulismus und die COVID-19-Krise in Europa; Friedrich Ebert Stiftung, online unter https://library.fes.de/pdf-files/dialog/17736-20210512.pdf.Stern geht in ihrem Text auf die Situation verschiedener europäischer Länder während der Corona-Pandemie ein. Des Weiteren geht sie anhand mehrerer Länderanalysen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2020 der Frage nach, inwiefern extrem rechte und rechtspopulistische Parteien von dieser Krise profitieren konnten."Da die Pandemie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht überwunden ist, handelt es sich bei den vorgestellten Länderanalysen um Momentaufnahmen" (S. 1).DeutschlandDie rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Oppositionspartei, Alternative für Deutschland (AfD), forderte am Anfang der Pandemie einen strikteren Lockdown, geschlossene Grenzen und versuchte außerdem, auf das ihrer Ansicht nach defizitäre Handeln der Regierung hinzuweisen. Nachdem diese Maßnahmen umgesetzt wurden, schlug sich die AfD auf die andere Seite und reagierte auf den sich in der Bevölkerung vermehrenden Missmut gegenüber den neuen Regelungen. Fortan wies die Partei auf die durch die Lockdowns entstehenden wirtschaftlichen Schäden und auf die "geraubte Freiheit" der Bevölkerung hin.Im Frühjahr 2020 bildete sich, trotz mehrheitlicher Zustimmung der Bürger_ innen hinsichtlich der Maßnahmen, eine heterogene Gruppe, die gegen die Corona-Regelungen protestierte. "Zum Schutz der Demokratie" gingen Impfgegner_innen, Esoteriker_innen mit Corona-Leugner_innen und Reichsbürger_innen auf die Straßen, um gegen die Einschränkungen zu protestieren (vgl. S. 2). Die Zustimmungsrate der AfD blieb wie vor der Pandemie bei etwa 9 bis 10 Prozent. Trotz der vermehrten rechten und rechtsextremen Proteste konnte die AfD ihre Zustimmungswerte nicht verbessern (vgl. S. 3).FinnlandDie rechtspopulistische Partei "Die Finnen" stellte sich im Gegensatz zur AfD in Deutschland nicht gegen die verordneten Corona-Maßnahmen, sondern versuchte, einen demokratisch-legitimierten Weg zu beschreiten. Außerdem forderte sie wie auch die bürgerlichen Oppositionsparteien "ökonomische Disziplin" (S. 3) und konnte auf diese Weise ihre Normalisierung weiter verstärken. Die Partei forderte die Schließung aller Unternehmen für einen kurzen Zeitraum, um später umso schneller wieder öffnen zu können. Zudem war es ihnen möglich, ihre Kritik an den EU-Hilfs- und Wiederaufbauprogrammen als ein plausibles Thema im Land zu etablieren.Durch den wachsenden Zuspruch der Bevölkerung zu den Regierungsparteien, vor allem während der ersten Welle der Pandemie, konnte die Finnen-Partei keine gestiegene Zustimmung verzeichnen. Die Umfragewerte vor der Pandemie lagen bei 24 Prozent. Dieser Wert sank während der Krise auf unter 20 Prozent. Sie konnte von der Corona-Krise also nicht profitieren (vgl. S. 3).FrankreichAuch der Rassemblement National (RN) verfolgte eine Strategie, welche die Kritik an der Regierung im Umgang mit der Pandemie und Forderungen nach härteren Maßnahmen beinhaltete. Der RN ließ ebenfalls auf rechtspopulistische Weise den Glauben entstehen, sich für "die Befreiung der Bürger_innen" (S. 3) einzusetzen. Wie auch "Die Finnen" kritisierte der RN die EU-Hilfs- und Wiederaufbauprogramme "und sprach dabei von einer "antinationalen Vision"" (S. 3).Sicherheit war und ist für den RN eines der wichtigsten Themengebiete, das die Partei auf unterschiedliche Weise immer wieder für sich nutzt. In diesem Zuge lehnten sie bspw. den Vorschlag der Regierung ab, die Verbreitung des Virus in Gefängnissen einzudämmen, indem bestimmte Gefangene früher entlassen werden dürfen (vgl. S. 3). Der RN konnte sich schlussendlich nicht wirklich profilieren, jedoch bleibt ungewiss, ob die Partei nicht doch noch aus den Spätfolgen der Corona-Krise Profit schlagen könnte (vgl. S. 4).ItalienAm Anfang der Pandemie waren die Forderungen der rechtspopulistischen Parteien eher wechselhaft, da sie abwechselnd mal für eine sofortige Öffnung waren und dann wieder eine komplette Schließung forderten. Extrem rechte und rechtspopulistische Parteien wie die Lega oder Forza Italia versuchten zu Beginn der Pandemie eine antieuropäische Einstellung zu verbreiten, Italien werde von der EU wieder allein gelassen (vgl. S. 4). Jedoch gehörte Italien zu den Hauptbegünstigten mit 209 Milliarden Euro durch die EU-Hilfs- und Wiederaufbauprogrammen, und so hatte dieses Argument keine Grundlage mehr.Maskenpflicht, Impfungen sowie die Gefahr, die von dem Virus ausging, wurden von den Rechten nicht angezweifelt. Durch die genutzten klassisch rechten Zugänge wie Fake News und die Angst vor Immigration entstand zunehmend Unsicherheit bei den Bürger_Innen, weswegen das Krisenmanagement rechter Parteien schlussendlich in Frage gestellt wurde. "Traditionelle Frames" (S. 5), die in früheren Krisen eine positive Wirkung für rechte Parteien erzielt haben, stellten sich in dieser neuen Krise als falsche Herangehensweise heraus. Die Zustimmung der Bevölkerung gegenüber rechtspopulistischen Parteien blieb in Italien vor und während der Pandemie auf demselben Stand. Es gab keinen Verlust, aber auch keine Zugewinne (vgl. S. 5).SchwedenSchweden ging in der Pandemie von Beginn an einen anderen Pfad. Die Regierung setzte auf die Vernunft und Freiwilligkeit ihrer Bürger_Innen, da es den Politikern wegen der schwedischen Verfassung nicht möglich war, so strikte Maßnahmen zu verhängen oder gar einen Ausnahmezustand auszurufen. Anfangs gab es einen "Waffenstillstand" (S. 5) zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Alle Parteien, auch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die normalerweise immer wegen ihrer extrem rechten Ausrichtung ausgeschlossen wurden, trafen sich bis Juni einmal in der Woche, um über Maßnahmen in gesundheitlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereichen zu beraten.Die Schwedendemokraten äußerten Kritik an der Regierung einerseits in Bezug auf die Regelungen und andererseits hinsichtlich des verantwortungslosen Verhaltens angesichts der hohen Zahl an Todesopfer. Außerdem beschuldigten sie die Pfleger_Innen in Altersheimen, von denen viele eingewandert sind, in Bezug auf Hygiene nicht genug auf schwedische Kenntnisse zu achten. Durch die wöchentliche Beratschlagung, an denen die Schwedendemokraten teilnehmen durften, und durch den damit entstandenen Kontakt mit etablierten Parteien erreichten sie eine gewisse Normalisierung im Parlament. Ein indirekter Profit durch die Corona-Krise lässt sich also erkennen (vgl. S. 5-6).SpanienAuch die rechtspopulistische Partei Vox wechselte von einer zunächst konsensualen Position mit den regierenden Parteien zu einer komplett ablehnenden Position gegenüber den Maßnahmen. Durch den immer größer werdenden Unmut der Bürger_Innen gelang es der Partei, Proteste gegen die regierenden Parteien zu mobilisieren, die aber im Vergleich zu den deutschen Demonstrationen bescheidener ausfielen.Durch die Einflussnahme auf die konservative Partido Popular (PP) während der ersten Welle konnte Vox dazu beitragen, dass diese die Maßnahmen der Regierung nicht mehr unterstützte (vgl. S. 6). Wegen eines Misstrauensantrags von Vox gegen die Regierung grenzte sich die PP wieder klar von Vox ab, was zur Folge hatte, dass Vox wieder eindeutig rechtspopulistisch statt konservativ angesehen wurde und dass die Partei im Parlament wieder isoliert wurde. Vox konnte sich durch die Pandemie weder einen Vorteil verschaffen, noch ihre Umfragewerte substanziell erhöhen (vgl. S. 7).Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es vielen rechten Parteien am Anfang der Pandemie schwer fiel, ihren "rechten Platz" zu finden. Das Thema Gesundheit, das auf einmal so wichtig wurde, befand sich eher selten im Programm rechter Parteien. Diese anfängliche Unentschlossenheit zeigte sich v.a. in der Kooperation zwischen rechten und rechtspopulistischen Parteien und der Regierung. Diese Phase der Ungewissheit entwickelte sich jedoch rasch zu einer Strategie des Angriffs auf die Regierungsparteien und ihre Maßnahmen.Momentan sieht es nicht danach aus, dass extrem rechte und rechtspopulistische Parteien Profit aus der Corona-Pandemie schlagen konnten. In Deutschland konnten durch die Demonstrationen rechte Initiativen vorangetrieben werden, diese blieben aber Randerscheinungen. Die spanische Partei Vox konnte die Rhetorik nach rechts rücken, steuerte sich aber "selbst ins parlamentarische Aus" (S. 7). Eine gewisse Normalisierung und Eingliederung konnten "Die Finnen" und in Teilen auch die Schwedendemokraten erlangen, was aber vereinzelt schon vor der Corona-Krise der Fall war.
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Der Podcast wurde von Deutschlandfunk Nova am 13.06.2021 veröffentlicht. Gegenstand des Podcasts ist ein Online-Vortrag des Umweltpsychologen Gerhard Reese mit dem Titel "Wandel dich, nicht das Klima", den er am 29.10.2020 gehalten hat. In seinem Vortrag geht er der Frage nach, warum wir trotz des Wissens, dass wir mit unserem Verhalten der Umwelt schaden, nicht in erforderlichem Maße intervenieren, obwohl wir sogar wissen, was wir tun müssten. Auch thematisiert er, was uns dazu bringen kann, unser Verhalten zu ändern und klimafreundlicher zu leben. Die wichtigsten Erkenntnisse seines Vortrages werden hier zusammengefasst.Die oben genannten Fragestellungen sind Gegenstand der Klimapsychologie, eines neuen Forschungszweigs (vgl. 01:35 - 01:55). Zunächst betont Reese, dass laut einer repräsentativen Studie vom Bundesamt für Naturschutz 95% der Menschen angeben, dass es die Pflicht des Menschen sei, die Natur zu schützen (vgl. 12:01 - 12:12). Dabei betont er, dass nicht auszuschließen sei, dass einige der Befragten lediglich aufgrund der sozialen Erwünschtheit antworteten, dass ihnen der Umweltschutz wichtig sei, und diese Auffassung in Wirklichkeit nicht vertreten und dementsprechend nicht umweltbewusst handeln. Dennoch wäre, auch wenn man diesen Anteil herausrechnet, der weit überwiegende Teil der Menschen tatsächlich der oben genannten Auffassung (vgl. 13:16 - 13:31).Umso verwunderlicher sei es, dass in Sachen Klimaschutz nicht ausreichend interveniert wird. Zu den möglichen Gründen hierfür kommt Reese an späterer Stelle in seinem Vortrag. Er führt eine weitere Studie aus dem Jahr 2018 an, die belegt, dass Menschen mit einem hohen Umweltbewusstsein dazu neigen, einen höheren CO2-Abdruck zu hinterlassen (vgl. 16:10 - 16:31). Gründe hierfür seien, dass die Menschen mit einem hohen Umweltbewusstsein häufig einen höheren Bildungsgrad haben, dadurch ein höheres Einkommen und dadurch mehr konsumieren (vgl. 16: 32 - 17:00).Als Antwort auf die Frage, warum wir trotz besserem Wissen nicht umweltbewusster handeln, nennt Reese 5 Hauptargumente:1. (Angenommene) zeitliche und räumliche Distanz + Klimakrise nicht die einzige Krise, welche es zu bewältigen giltDie Folgen der Klimakrise waren lange Zeit sowohl zeitlich als auch räumlich gesehen weit weg. Man dachte, dass spürbare Folgen erst in einigen Jahrzehnten folgen könnten und dann auch primär nicht bei uns, sondern in weit entfernten Ländern wie z.B. dem globalen Süden. Jedoch ließ sich dies nicht bestätigen (vgl. 17:07 - 18:01). Da man dies lange Zeit jedoch nicht erkannte, führte es dazu, dass man wenig interveniert hat, da das Problem zeitlich wie räumlich gesehen weit weg schien und die Risiken für uns somit als gering eingeschätzt wurden (vgl. 18:15 - 18:23).Hinzu kommt, dass die Klimakrise nicht die einzige Krise ist, welche der Mensch bewältigen musste, und so andere Krisen wie z.B. die Corona-Pandemie mehr Aufmerksamkeit und Priorität im Handeln erfahren haben, auch weil hier die Auswirkungen unmittelbar spürbar waren (vgl. 18:24 - 18:34). An dieser Stelle betont Reese auch die Bedeutung von Emotionen, welche uns dazu bewegen, ein bestimmtes Verhalten zu veranlassen – je nach Emotion mag dies positiv oder negativ für die Umwelt ausfallen (vgl. 18:45 - 19: 14).2. Fehlende SelbstwirksamkeitWir Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach dem Gefühl der Selbstwirksamkeit, so auch in Bezug auf umweltbewusstes Verhalten. Wir wollen sehen und erleben, dass wir durch unser umweltbewusstes Verhalten im positiven Sinne etwas bewirken können. Dieses Feedback sei jedoch in Hinblick auf die Umweltkrise sehr begrenzt zu erzeugen, was einen stark demotivierenden Charakter haben kann, weiterhin umweltbewusst zu handeln (vgl. 20:11 - 21:15). Reese sieht die Möglichkeit des Erzeugens von Selbstwirksamkeit in dieser Thematik darin, dass man sich als Teil einer Gruppe sieht, welche in Summe etwas bewegen kann (vgl. 21:16 - 21:45).3. ,,Wenn andere nicht mitziehen, dann bringt es doch eh nichts" (vgl. 21:47 - 22:03)Reese betont, dass dieses Denken ebenfalls viele Menschen davon abbringt, sich umweltbewusst zu verhalten. Danach betont er, wie sehr die sozialen Gruppen, welchen wir angehören, beeinflussen, wie umweltbewusst wir uns verhalten (vgl. 22:07 - 22:17). So wird ein Freundeskreis, der gerne Flugreisen unternimmt, vermutlich dazu führen, dass man selbst auch gerne Flugreisen unternimmt. Während ein Freundeskreis, welcher sich vegetarisch ernährt, dazu führen könnte, dass man selbst auch seine Ernährung umstellt und so umweltbewusster lebt (vgl. 22: 18 - 22: 37).4. Der Einfluss des Politik- und Wirtschaftssystems, in welchem wir lebenReese betont, dass dieses Argument in keinem Fall damit zu tun hat, die Schuld von der Einzelperson oder Gruppe abzuschieben. Jedoch ist es ein Fakt, dass unser Wirtschaftssystem ein System des Konsums ist, was sich unmittelbar auf uns auswirkt (vgl. 23:12 - 23:18). So sagt Reese:"Wir leben in einem System, welches unser Handeln begünstigt. Wir bräuchten eigentlich ein System, was umweltgerechtes Handeln fördert und das haben wir zur Zeit nicht" (vgl. 23:50 - 23:55).Des Weiteren könne ein bestehendes System auch Handeln erschweren. Wenn man z.B. eigentlich eine positive Einstellung zur Bahn hat und eine negative Einstellung zum Auto, aber die fehlende oder schlecht ausgebaute Nahverkehrsanbindung dafür sorgt, dass man gezwungen ist, aufs Auto umzusteigen (vgl. 24:50 - 25:10). Eine Studie von Sebastian Bamberg aus dem Jahr 2007 zeigte, dass Umweltverhalten sehr stark geprägt ist von Intentionen, welche einen Teil des Verhaltens begünstigen / erklären. Diese Intentionen hängen von einer Reihe psychischer Variablen ab, z.B. der eigenen Einstellung, dem eigenen moralischen Kompass, von Schuldgefühlen oder auch der eigenen Problemwahrnehmung. Allerdings können diese Intentionen nur ein Viertel unseres Verhaltens erklären. Daher entspringt nur ein kleiner Teil unseres Umweltschutzverhaltens aus der Intention. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass noch andere Faktoren eine bedeutende Rolle spielen (vgl. 26:01 - 27:23).5. Die wichtige Rolle von GruppenzugehörigkeitenDie Umweltpsychologie hat nach Auffassung von Reese die soziale Dimension, deren Bedeutung im Vortrag mehrfach verdeutlicht wurde, lange Zeit vernachlässigt (vgl. 27:30 - 29:30). Wichtig sei es, nachhaltiges Handeln als eine kollektive Aufgabe zu verstehen. Daher ist ein Umdenken erforderlich, welches Reese wie folgt beschreibt:"Denken weg von einem 'Was kannst du tun', hin zu einem 'Was können wir tun'."Wie in Punkt 3 bereits erwähnt wurde, können uns Gruppenzugehörigkeiten positiv oder negativ im Hinblick auf unser nachhaltiges Verhalten beeinflussen (vgl. 29:37 - 30:10). Auch geht im positiven Falle damit eine kollektive Wirksamkeitserwartung einher, welche es wahrscheinlicher macht, dass man sich umweltgerechter verhält (vgl. 30:11 - 30:56). Wichtig ist hier auch die Idee einer globalen Identität. Diese umfasst, dass man Umweltprobleme aus einer globalen Perspektive betrachtet, welche mit sich bringt, dass die gesamte Menschheit intervenieren will (vgl. 31:07 - 32:18).Auch wenn Reese immer wieder betont, wie stark uns Gruppenzugehörigkeiten und auch unser politisches und wirtschaftliches System in unserem umweltbewussten Verhalten in positiver oder negativer Weise beeinflussen können, betont er am Ende seines Vortrages, dass diese Erkenntnis den Einzelnen nicht aus seiner Handlungsverantwortung nehme (vgl. 33:35 - 35:38). Demnach müssen wir nicht erst politische Prozesse abwarten, sondern können selbst durch unser Verhalten etwas gegen den Klimawandel tun. Hier nennt Reese beispielsweise eine pflanzenbasierte Ernährung, das Nutzen von Ökostrom oder auch den Verzicht auf das Auto. Hierbei bleibe es jedem selbst überlassen, welche Intention diesem Verhalten zugrunde liege. In einem abschließenden Satz betont er in diesem Zusammenhang auch den Wert von Umwelt und Natur für unsere Gesundheit. QuelleDeutschlandfunk Nova Podcast, Klima: Warum wir wider besseren Wissens der Umwelt schaden und wie wir es besser machen können, 16.02.2023; online verfügbar unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klima-warum-wir-wider-besseren-wissens-der-umwelt-schaden-und-wie-wir-es-besser-machen-koennen (zuletzt geprüft am 16.11.2023)
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Berlin setzt seine Postdoc-Reform um, bevor das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, und wer den Sanierungsstau im Hochschulbau auflösen will, muss sich jetzt an Tabus herantrauen: ein Gastbeitrag von Henry Marx.
Henry Marx (SPD) ist seit April 2023 Staatssekretär für Wissenschaft in der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Foto: Nils Bornemann.
PANDEMIE, PREISSCHOCK, KLIMAKRISE, Fachkräftemangel, Inflationsspirale und der anhaltende Zuzug von vielen Geflüchteten: Die Herausforderungen und die multiplen Krisen der vergangenen Jahre machen vor den Hochschulen nicht halt. Welcher Auftrag ergibt sich daraus für die Wissenschaftspolitik, wie muss die hochschulpolitische Strategie für die nächsten Jahre lauten?
Ein wesentlicher Teil der Antwort heißt: fünfmal fünf Prozent. Jedes Jahr steigern wir die Globalzuschüsse an die staatlichen Berliner Hochschulen und die Charité um fünf Prozent. Das bedeutet, dass wir die Grundfinanzierung von insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf über zwei Milliarden 2028 steigern werden. Darüber hinaus geben wir den Hochschulen weitere Mittel: bis zu 35 Millionen Euro jährlich etwa für den Ausbau der Lehrkräftebildung an den Universitäten.
Das Wesentliche bleibt aber die Zahl "5". Ihre Bedeutung liegt nicht nur in der realen jährlichen Steigerung der Budgets, sondern in ihrer demonstrativen Wirkung: als deutliches Bekenntnis des Berliner Senats zur Berliner Wissenschaft gerade in Zeiten knapper öffentlicher Haushaltskassen, Kürzungen in anderen Politikfeldern, Belastungen durch Energiekosten und anhaltende Inflation. Fünf Prozent jährlich mehr sind zugleich eine Festlegung für die Zukunft. Aktuelle und künftige (Landes-)Regierungen werden sich an ihr messen lassen müssen.
Besonders in Berlin, aber nicht nur. Denn diese Steigerungen sind bundesweit einmalig, und ich bin stolz darauf, dass Berlin hier Trendsetter ist.
Die Berliner Hochschulen verpflichten sich im Gegenzug, ambitionierte Ziele umzusetzen. Unter anderem finden sich auf den über 20 Textseiten der Hochschulverträge:
o Das Niveau der Berliner Studierendenzahlen werden wir halten. Berlin und seine Hochschulen sind weiter so attraktiv, dass wir im Gegensatz zu anderen Wissenschaftsstandorten nicht mit sinkenden Zahlen rechnen.
o Nach der gesetzlichen Einführung der Anschlusszusagen für PostDocs wird es keinen haushaltsfinanzierten Qualifizierungsvertrag mit einer geringeren Laufzeit von vier Jahren und schrittweise mit einem Beschäftigungsanteil von weniger als 75 Prozent geben.
o Den Anteil dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse im Mittelbau werden wir auf 40 Prozent steigern.
o Berlin ist bereits heute Spitzenreiter beim Frauenanteil unter den Professuren. Diesen Anteil wollen wir weiter verbessern mit einer Steigerung der Berufungsquote von Frauen um zehn Prozent.
Dabei setzen die Hochschulverträge auf Hochschulautonomie. Wir wollen und werden den Hochschulen nicht detailliert vorgeben, wie sie ihre Ziele zu erfüllen haben. Dafür sind diese zu unterschiedlich, und es wäre für eine Landesregierung unangemessen zu denken, sie könne jede Hochschulstruktur von außen durchdringen. Wir setzen auf Output-Steuerung.
Doch auch wenn das Land Berlin in einer bundesweit einzigartigen Vereinbarung die Hochschulen mit deutlichen finanziellen Steigerungen für ein halbes Jahrzehnt abgesichert hat, sehe ich drei große Herausforderungen für das Wissenschaftssystem:
1. Mehr Kooperationen in der Wissenschaft: Gerade die Berliner Universitäten und die Charité haben bewiesen, was die Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen bewirken kann. Mit der Berlin University Alliance wird ein bundesweit einzigartiger Exzellenzverbund im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert. Bald steht dessen Evaluation an, und die BUA wird sicherlich erfolgreich darlegen, wie sehr diese Kooperationsplattform in die vier Einrichtungen und ihre Exzellenzcluster hineinwirkt.
Aber diese Kooperation muss nachhaltig und tiefgreifend sein, sonst bleibt sie ein schönes Aushängeschild ohne spürbare Veränderungen der Wissenschaftsstruktur. Es geht darum, die Versäulung in einzelne Einrichtungen zu überwinden, ohne im Verbund aufzugehen. Ziel muss sein, durch Kooperation akademische Skaleneffekte zu erzeugen, mehr zu sein als die Summe der Einzelteile. Die BUA hat gezeigt, wie es geht und in Berlin entstehen viele andere Kooperationen, die es ihr nachmachen wollen: Berlin Research 50, Science & StartUps, die Berlin Quantum Alliance, das Climate-Change-Center Berlin-Brandenburg. Aber solche Kooperation können noch so sehr politisch gepusht werden, am Ende hängt es an den Wissenschaftler*innen und den Hochschulpräsident*innen, dass sie ernsthaft diese Kooperationen verfolgen und stärken. Wissenschaftler*innen müssen sie mit Leben füllen, und Hochschulleitungen müssen ihnen die notwendige Priorität geben.
2. Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Mit den Hochschulverträgen haben wir – wie ich oben geschrieben habe – ambitionierte Ziele vereinbart. Doch diese Ziele können nur ein Baustein sein. Mit der Einführung des Anschlusszusagen-Modells für Post-Docs hat Berlin einen mutigen Weg eingeschlagen. Diesen werden wir umsetzen, ohne erst ausstehende Bundesverfassungsgerichtsurteile abzuwarten. Doch würde uns eine WissZeitVG-Novelle helfen, die uns Ländern diesen Spielraum gibt. Berlin soll nicht nur ein exzellenter Standort für Wissenschaft bleiben, wo junge Wissenschaftler*innen gern forschen, sondern wir wollen jungen Menschen auch Perspektive und Sicherheit bieten. Diese Regelung umzusetzen, wird die Personalentwicklung an Universitäten in ihren Grundzügen ändern. Das haben die Berliner Universitäten schon verinnerlicht, die mit uns gemeinsam Modelle der Umsetzung entwickeln. Diese Umsetzung wird Zeit brauchen, aber am Ende sollen verlässliche und rechtssichere Perspektiven für Post-Docs stehen.
3. Investitionen in den Hochschulbau: Die einstürzenden Decken einer Berliner Universität waren im Sommer 2023 der mediale Höhepunkt einer Debatte über den Sanierungsstau in der Wissenschaft. Dieser betrifft nicht nur Berlin. Eine finanziell gut ausgestattete Wissenschaft bringt uns gar nichts, wenn sie in heruntergekommenen Gebäuden arbeiten muss. Die Vorkommnisse sind Symbol für eine über Jahrzehnte vernachlässigte öffentliche Infrastruktur. Die Berliner Hochschulen müssen deshalb in den kommenden Jahren ihren deutlichen Beitrag leisten: mehr Mittel in den Bauunterhalt und einen sehr deutlichen Abbau ihrer hohen Rücklagen zugunsten von Sanierungsprojekten.
So wichtig diese Stellschrauben sind, sie werden dieses über einen so langen Zeitraum akkumulierte Problem nicht allein lösen.
Die Minimierung des Investitionsstaus ist in meinen Augen deshalb die zentrale Herausforderung in der Wissenschaft. Wir merken, dass öffentliche Haushalte immer weniger dazu in der Lage sind, ihn aufzulösen. Auch wenn ich mir eine stärkere Beteiligung des Bundes beim Hochschulbau wünschen würde, auf ihn kann in dieser Frage wahrscheinlich kein Verlass sein. Deshalb müssen wir über alternative Finanzierungen nachdenken. Dabei müssen wir Tabus der vergangenen Jahre aufbrechen: Wir müssen auch in den Kategorien öffentlich-öffentlicher Partnerschaften denken, etwa in Form von öffentlichen Hochschulbaugesellschaften. Auf bessere Haushaltszeiten zu hoffen, wird nichts nützen.
Wenn wir wollen, dass unsere exzellente Wissenschaft auch unter den bestmöglichen Bedingungen entstehen kann, müssen wir jetzt aktiv werden. Dazu braucht es Mut und Entschlossenheit. Als Politik sind wir bereit, ihn zu zeigen.
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In diesem Beitrag stellt Fiona Hamann folgenden Aufsatz vor:Bauer, Christian (2019): Heimat im Offenen? - Rechtspopulismus als theologische Herausforderung; in: International Journal of Practical Theology, 23 (1), S. 78-97, online unter: https://doi.org/10.1515/ijpt-2018-0031.Der vorliegende Habilitationsvortrag von Christian Bauer thematisiert zu Beginn den Begriff und das Gefühl von "Heimat". Es ist ein "schwer zu definierender" (S. 79) Ort der Sehnsucht, der Erinnerung, der vor allem im Blick zurück zu finden ist und nicht im Unmittelbaren erlebbar zu sein scheint. Einige Menschen verlieren heute das Gefühl von Heimat. Sie sind "auf der Suche nach identitätsstiftenden Narrativen des Eigenen im Gegenüber zum herandrängenden Fremden" (S. 80). Rechtspopulisten können mit ihren Ideologien einfach an dieses Gefühl anknüpfen. Da Heimat die Sehnsucht aller Menschen sei, kommt "die Frage nach entsprechenden Ressourcen einer nichtexkludierenden, aber dennoch heimatgebenden Identität im offenen Raum unserer Gesellschaft auf" (S. 80).Nach diesem Einstieg hat Bauer seinen Vortrag in vier Teile gegliedert. Er beginnt mit dem Blick in das "gesellschaftliche Praxisfeld", berichtet anschließend über "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv" und dem "praxistheologischen Diskursarchiv" bevor er sein "Resümee" zieht. Unter der Überschrift "Spurensuche im gesellschaftlichen Praxisfeld" fasst Bauer sowohl Beobachtungen der heutigen Zeit als auch der Vergangenheit zusammen und gibt erste Hinweise, wie sich eine Gesellschaft verhalten sollte.Es werden unterschiedliche Möglichkeiten aufgezeigt, auf Rechtspopulismus, der "heimatliches Brauchtum" (S. 83) vereinnahmt, zu reagieren. Man könnte dem Verhalten etwas entgegensetzen indem man auf den "kompromittierten Heimatbegriff" (S. 83) verzichtet. Bauer beobachtet allerdings, dass die meisten Menschen einen anderen Weg wählen. Sie wollen nach Vorfällen möglichst schnell zum "business as usual" (S. 83) zurückkehren, indem sie die Umstände akzeptieren und sich in ihr "heimatliches Nest" (S. 83) zurückziehen. Von SoziologInnen wird dieses Verhalten als "Cocooning" bezeichnet. Menschen machen sich ihr Leben möglichst behaglich, ohne die Schwierigkeiten der Zeit zu betrachten.In der Zeit zwischen den Kriegen konnte in Frankreich Ähnliches beobachtet werden. Das "Collége de Sociologie" versuchte, eine 'Sakralsoziologie' entstehen zu lassen, um dem Faschismus "mit Hilfe von gemeinschaftsbildenden Mythen" (S. 84) entgegenzutreten. Diese Art des Umgangs wurde damals wie heute auch kritisiert. Man sollte "nicht das politische Framing eines totalitären oder faschistoiden Denkens übernehmen, sondern […] den 'Diskursrahmen wechseln" (S. 84). Das bedeutet im theologischen Zusammenhang, "für die unteilbare Würde aller Menschen in einer offenen Welt" (S. 84) einzutreten.Der Auftrag geht weiter mit den "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv". Bauer untersucht, inwiefern die Untersuchungen der Gesundheit von Holocaustüberlebenden des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky auf den heutigen Zuwachs des Rechtspopulismus zu übertragen sind. Dieser hielt fest, dass es ein 'Kohärenzgefühl' (S. 85) gibt. Er beschreibt es als 'eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein […] Gefühl des Vertrauens hat' (S. 85), dass Dinge verständlich, bedeutsam und handhabbar sind. Wenn in der heutigen Zeit der Alltag undurchsichtig wird, kann dieses Lebensgefühl verloren gehen.Es gibt unterschiedliche Reaktionen auf eine komplexe Welt. Entweder "im Aufbruch in den heterogenen Freiraum einer offenen Gesellschaft oder aber in der Flucht in den homogenen Schutzraum einer geschlossenen Gemeinschaft" (S. 86). Bauer beobachtet, dass sich die Gesellschaft momentan immer weiter in Richtung der zweiten Möglichkeit entwickelt. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit betont, sich dem beispielsweise durch ein "alternatives 'Framing' der politischen Debatte" (S. 86) entgegenzustellen.Thematisiert wird daraufhin der Begriff 'Narrativ' (S. 86). Bauer widerspricht teilweise dem französischem Philosophen Jean-François Lyotard, der behauptet, dass es heutzutage zu einer 'Dekomposition der großen Erzählungen' (S. 87) kommt. Aufkommender "religiöser Fundamentalismus und politischer Populismus" (S. 88) sprechen zwar gegen diese These, jedoch gibt es tatsächlich viele 'kleine Erzählungen', die sich stets erneuern und dem Wunsch nach der einen Erzählung entgegenstehen (vgl. S. 87 f.).Problematisch ist, dass diese "großen Erzählungen" (S. 88) für einige Menschen immer noch wichtig sind. "Es gibt ein Grundbedürfnis nach narrativen Deutungsrahmen" (S. 88). Solange diese eine "freiheitliche Form" (S. 88) aufweisen, sind sie weniger gefährlich, als wenn sie eine "geschlossene, potentiell totalitäre" (S. 88) Form aufweisen. Nach dem Soziologen Bruno Latour "gibt es eine narrative Konstruktion von Heimat, deren nie voll auserzählte Geschichten diachron Geschichte und synchron Gesellschaft formieren" (S. 88). Armin Nassehi spricht von einer "'Unmöglichkeit einer gemeinsamen Welt' für alle Menschen" (S. 89). Erzählungen, die Gemeinsamkeiten erzeugen, sind daher ausschließlich "mit einem lokal begrenzten Geltungsanspruch möglich" (S. 89).Rechtspopulisten versuchen, die aufgekommene Komplexität auf ein möglichst verständliches und haltgebendes Narrativ zu beschränken. Um die offene Gesellschaft zu erhalten, muss es deshalb in einschließender Weise gelingen, "wieder Geschichten zu erzählen, die Identität stiften und Heimat geben" (S. 89). Das erreichen könnten Frames, die die Möglichkeit einer 'Weltoffenheit ohne Selbstverneinung' (S. 89) darstellen. Es muss also eine 'Erfahrungswelt' geschaffen werden, deren Bewohnbarkeit in offener Weise gesichert werden kann (vgl. S. 90).Bauer zitiert verschiedene Politiker und Historiker, die alle der Meinung sind, dass das aufgezeigt werden muss, was alle Menschen verbindet. Eine "'mitreißende Gegenerzählung' weltoffener Heimatlichkeit" (S. 90 f.) kann aber nur dann erfolgreich erzählt werden, wenn Menschen respektvoll aufeinander zugehen, sich austauschen und ein positiver Begriff von Heimat nicht tabuisiert wird (vgl. S. 90 f.).Im nächsten Abschnitt beschreibt Bauer "Erkundungen im praxistheologischen Diskursarchiv". Die Theologie und Kirche muss rechtspopulistischen Frames mit "eigene(n) Narrative(n) einer gelingenden Existenz im Offenen" (S. 91) entgegenwirken. Warum das gerade dem Christentum gut gelingen kann, beschreibt Lieven Boeve. "Durch die eigene Struktur ist [das christliche Narrativ] dazu bestimmt, sich selbst als einen offenen Diskurs zu rekontextualisieren" (S. 91).Das Zweite Vatikanische Konzil bietet für die Rekonstruktion eine gute Grundlage, weil die Texte "aus den heilsgeschichtlichen Erzählungen der Bibel gespeist sind und daher über weite Strecken auch selbst "den Charakter von Gottesgeschichten" tragen" (S. 92). Gewollt wurde "die 'Corporate identity' der Kirche in dieser Weise narrativ als eine heiluniversal entgrenzte, pastoral weltoffene Identität zu bestimmen" (S. 92). Nach der transzendentalen Anthropologie von Karl Rahner "ist ein Mensch durch seine 'Transzendenz ins Offene gesetzt' und führt folglich eine 'Existenz in das Unvorhergesehene hinein', sich selbst in die unendliche Offenheit der Zukunft entwerfend" (S. 92), was natürlich auch den 'Mut zum Wagnis ins Offene' (S. 92) erfordert.Dieser Mut ist vor allem heutzutage wichtig, weil das "Weltganze" (S. 93) laut Jean-Luc Nancy nur noch als 'in sich selbst offen' (S. 93) denkbar ist. Das Christentum beschreibt er 'als Öffnung – Selbst-Öffnung und Selbst als Öffnung' (S. 93). Die Kirche hat daher die Aufgabe, das, was in der Welt passiert, bewusst wahrzunehmen. Damit dies gelingen kann, muss sie eigene Schutzvorrichtungen abbauen und dann in ihrer Verletzlichkeit allen den Dialog anbieten (vgl. S. 93 f.).Pastorale Orte können aber auch "Orte eines 'hearing of speech'" (S. 94) werden. Hier könnte ein offener, gesellschaftlicher Austausch stattfinden, der die "milieuspezifische Selbstbeschränkung" (S. 94) auflöst und stattdessen verständnisvolle Gespräche auf Augenhöhe ermöglicht. Es geht darum, die eigene Geschichte zu erzählen, anderen zuzuhören und Gefühle mit in das Gespräch miteinzubeziehen, anstatt nur mit "Kopfargumenten" (S. 94) zu entgegnen (vgl. S. 94).Es können Orte entstehen, an denen Menschen die "Abenteuer des existenziell Offenen angstfrei erprob(en)" (S. 95) können, ohne Angst haben zu müssen, für Fehler verurteilt zu werden. Ohne die Homogenisierung vieler kleiner Geschichten kann ein "offenes Narrativ von Solidarität und Freiheit (entstehen, was) so etwas wie Heimat ermöglichen" (S. 95) kann. Bauer ermutigt "mehr Demokratie (zu) wagen" (S. 94), "denn man kann eine offene Gesellschaft nicht mit einem geschlossenen Geist verteidigen" (S. 94).Zum Abschluss des Vortrages zieht Bauer noch ein Resümee. Er definiert Heimat als "ein 'Horizont intersubjektiver Erzählungen' im Kontext einer 'offenen Gesellschaft', in der heterogene Elemente 'ineinander greifen und sich vermischen'" (S. 95 f.). Da sich das Leben und die Lebensumstände ständig verändern, müssen alle lernen, in diesem Wandel Heimat zu finden (vgl. S. 96). Christen sollten damit keine Schwierigkeiten haben und sich für die Offenheit einsetzen, da sie ihrem Glauben nach selbst "Heimatlose" (S. 96) und Gäste auf Erden sind.Heimat wird von Rolf Zerfaß als "Ausdruck für das Paradies" (S. 96) beschrieben, das es momentan nur verloren gibt. Da Heimat also etwas "prinzipiell Entzogenes" (S. 97) ist, ist sie sowohl "Sehnsucht" als auch "Vorgeschmack" auf "die Vollendung der Schöpfung" (S. 97). "Pastoraler Auftrag von Kirche" ist es, daran zu erinnern, dass auch schon "hier und heute situativ erfahrbare Heimat im Offenen einer noch nicht vollendeten guten Zukunft" (S. 97) erfahrbar werden kann (vgl. S. 97).
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Für die Fleischproduktion in Deutschland müssen jedes Jahr 800 Millionen Lebewesen sterben. Dabei leben über 95% der Tiere in Massentierhaltung, auf engstem Raum, ohne Auslauf oder Beschäftigung, bis sie Jahre vor ihrer üblichen Lebenserwartung in den Schlachthöfen getötet werden (Fleisch kostet Leben: Leid und Tod in der Intensivtierhaltung, 2023). Die konventionelle Fleischproduktion, die die Massentierhaltung beinhaltet, birgt einige Probleme. Diese Art der Produktion des Fleisches schadet der Umwelt, der menschlichen Gesundheit und verschärft das Leid der Tiere.Seit geraumer Zeit werden aus diesem Grund Alternativen für die Fleischherstellung gesucht. Die Herstellung von Fleisch in einem Labor könnte dabei vielversprechend sein, die Aspekte Nachhaltigkeit und Verringerung von Tierleid zu vereinen und zu verbessern. Diese Seminararbeit widmet sich der Fragestellung, ob die Produktion und der Konsum von Laborfleisch zur Förderung der Nachhaltigkeit und des Tierwohles beitragen kann.Dabei wird zu Beginn die Problematik der herkömmlichen Fleischproduktion auf Umwelt und Tierwohl betrachtet. Es wird beschrieben, weshalb diese Form der Fleischherstellung kritisch zu betrachten ist und welche Folgen diese aufweist. Im nächsten Schritt wird auf Laborfleisch als alternative Produktionsmethode eingegangen. Es wird erklärt, was Laborfleisch ist, die Anfänge der Forschung werden beschrieben sowie das bisherige Herstellungsverfahren vorgestellt.Die Frage, ob Laborfleisch wirklich nachhaltiger ist, wird anhand von drei Aspekten näher betrachtet. Die Aspekte sind Reduzierung von Ressourcen, Energieeinsparung und Verringerung von Landnutzung. Auch die Tierwohlaspekte sind ein wichtiger Teil dieser Arbeit, weshalb auch hier mehrere Aspekte betrachtet werden. Es wird diskutiert, ob Laborfleisch tatsächlich zu weniger Tierleid führt, ob auf Antibiotika verzichtet werden kann und es wird auch das Töten von Tieren angesprochen.Kritisch betrachtet werden zudem die ethischen Dilemmata, die gesundheitlichen Auswirkungen, die Laborfleisch auf den Menschen haben könnte, sowie die Akzeptanz, die innerhalb der Gesellschaft zu diesem Thema herrscht. Abschließend wird ein Blick in die Zukunft gewagt, es werden Herausforderungen, die sich noch stellen könnten, eingebracht. Im Fazit wird die Fragestellung beantwortet inwiefern Laborfleisch zur Nachhaltigkeit und zum Tierwohl beitragen kann.Problematik der konventionellen Fleischproduktion für die UmweltAuch wenn in Deutschland seit einiger Zeit der Fleischkonsum sinkt, so steigt er doch weltweit seit Jahrzehnten immer weiter an. Finanziell geht es vielen Menschen besser als noch vor einigen Jahrzehnten, weshalb Fleisch schon längst nicht mehr als "Luxusgut" zählt. Die Produktion von Fleisch hat jedoch enorme Auswirkungen auf unsere Umwelt.Weltweit werden ungefähr 1,6 Milliarden Rinder, eine Milliarde Schweine und Schafe sowie 33 Milliarden Hühner gehalten. Um diese Tiere aufzuziehen und zu versorgen, benötigt man viel Fläche, außerdem viel Anbaufläche, um das Futter für diese Tiere anpflanzen zu können. Weltweit werden fünf Milliarden Hektar Fläche für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. Vier Milliarden Hektar werden allein für die Tierhaltung und den Anbau des Futters verbraucht. Doch auch diese Fläche reicht längst nicht mehr aus. Die Fläche, die durch das Abholzen des Regenwaldes gewonnen wird, wird zum größten Teil für die Tierhaltung und als Anbaufläche genutzt.In Deutschland wird fast die Hälfte der Gesamtfläche landwirtschaftlich genutzt, aber auch diese Fläche reicht nicht aus, um unsere eigene Gesellschaft zu versorgen. Futtermittel, das auf einem Flächenanteil angebaut wird, das fast so groß wie Bayern ist, müssen wir noch importieren. Der größte Anteil der Fläche wird für den Anbau des Futtermittels benötigt. Soja als Futtermittel ist seit einigen Jahren sehr stark nachgefragt. Anstatt das Soja für den menschlichen Konsum zu verwenden, wird über 70 Prozent des angebauten Sojas für die Fütterung der Tiere in Tierhaltung verwendet. Auch der Regenwald wurde für den Anbau von Sojaflächen abgeholzt. Dadurch wird der Lebensraum von vielen Pflanzen und Tieren zerstört. Es kommt zu einem Aussterben vieler Arten und unsere Biodiversität wird zerstört (Der Appetit auf Fleisch und seine Folgen, 2022).Biodiversität ist die Vielfalt von Lebewesen, wie beispielsweise Tier- und Pflanzenarten. Laut eines UN-Berichtes aus dem Jahr 2019 sind wir gegenwärtig im sechsten Massenaussterben, das wir selbst verursachen. Ungefähr eine Million Pflanzen- und Tierarten sind derzeit vom Aussterben bedroht. Unser gesamtes Ökosystem ist davon bedroht. Ein funktionierendes Ökosystem ist sehr wichtig für jedes Leben auf der Erde. Nur durch dieses haben wir gute Luft, sauberes Wasser und nährstoffreiche Böden, um überhaupt Landwirtschaft betreiben zu können (Verlust der Biodiversität: Ursachen und folgenschwere Auswirkungen, 2020).14,5 Prozent der Treibhausgasemissionen werden durch die Tierhaltung verursacht. Die Hälfte davon entsteht bei der Produktion und dem Anbau des Futtermittels für die Tierhaltung. Pflanzliche Ernährung macht nur 29 Prozent der Treibhausgasemissionen von der gesamten Produktion an Lebensmitteln für den Menschen aus (Wilde 2022).Problematik der konventionellen Fleischproduktion für das TierwohlIm Jahr 2022 wurden pro Sekunde ungefähr 1.400 Tiere für den Fleischkonsum getötet. Zwar sind das fast 8 Prozent weniger als im Jahr zuvor, die Zahl jedoch bleibt schockierend. Auch schockierend ist, dass Fleischbetriebe eher noch größer werden müssen, um wirtschaftlich zu sein. Es müssen also noch mehr Tiere auf noch kleinerem Raum gehalten werden, um rentabel zu bleiben. Kleinere Betriebe können kaum noch wirtschaftlich betrieben werden. Massentierhaltung findet meist in großen Betrieben statt, die mehrere tausend Tiere auf engstem Raum halten. Die Tiere haben meist keine Möglichkeit, nach draußen zu gehen. Ziel ist es, mit möglichst geringen Kosten eine sehr große Menge an Fleisch, Eiern oder Milch herzustellen (Kubon 2022).Die meisten Tiere in der Tierhaltung werden ihr ganzes Leben lang gequält. Sie müssen in ihren eigenen Exkrementen und derjenigen der anderen Tiere stehen. Es ist eng in den Ställen, und somit kommt es auch zu häufigen Verletzungen untereinander. Es breiten sich Krankheiten aus, und es kann in den schlimmsten Fällen sogar zum Kannibalismus führen. Damit sich Krankheiten nicht so schnell oder gar nicht erst ausbreiten können, werden den Tieren verschiedene Antibiotika in ihr Futter gemischt. Dies hat auch Auswirkungen auf den Menschen. Es kann zu einer Antibiotikaresistenz führen (Kubon 2022). Die Tiere werden außerdem so gezüchtet, dass sie noch mehr Ertrag bringen, beispielsweise eine höhere Menge an Eiern, Milch oder eben Fleisch (Fleischkonsum in Deutschland: Trotz sinkender Zahlen leiden Tiere weiterhin, 2023).Teilweise werden die Tiere ohne jegliches Tageslicht gehalten, Schweine bekommen maximal 0,75 Quadratmeter Platz. Nachkommen der Tiere werden rasch von ihrer Mutter getrennt. Das Verstümmeln der Tiere steht in Massenbetrieben auf der Tagesordnung. Der Schwanz der Schweine wird ihnen oft in den ersten Tagen ihres Lebens abgeschnitten, dabei ist es für Schweine ein Organ, um mit ihren Artgenossen kommunizieren zu können. Bis 2021 war eine Kastration von Ferkeln ganz ohne Betäubung legal (Kubon 2022).Auch das Bio-Siegel bedeutet nicht zwangsläufig eine bessere Behandlung der Tiere. Diese müssen trotz allem mehr Eier oder mehr Milch produzieren, als sie es im Normalfall tun würden. Tierwohl und Wirtschaftlichkeit lassen sich nicht vereinbaren (Kubon 2022). Die normale Lebenserwartung wird von den Tieren nicht erreicht. Sie werden zuvor zum Schlachthaus gebracht, um anschließend vom Menschen verzehrt zu werden. Doch aufgrund von diversen Gründen können viele getötete Tiere nicht verzehrt werden. Sie wurden völlig ohne Nutzen getötet (Fleisch kostet Leben: Leid und Tod in der Intensivtierhaltung, 2023).Definition und die Anfänge von LaborfleischAls Laborfleisch wird im Labor industriell hergestelltes Fleisch bezeichnet. Es müssen also keine Tiere mehr gezüchtet, gehalten und geschlachtet werden. Genau das Teil des Tieres, welches gegessen werden soll, kann im Labor aus den Zellen des Tieres gezüchtet werden (Rempe 2023).In den 2000ern wollte der Gefäßspezialist Mark Post bereits das erste Laborfleisch herstellen. Allein für die Forschung, um ein Stück Rindfleisch herzustellen, brauchte er ungefähr eineinhalb Jahre. Außerdem brauchte es nochmals drei Monate, um dann die Frikadelle wirklich herzustellen. Leider war das Endergebnis noch zu teuer. 250.000 Euro hat die erste laborgezüchtete Frikadelle gekostet. Die Konsistenz soll einer normalen Rindfleischfrikadelle geähnelt haben, der Geschmack war etwas anders (Wildermuth, 2023).Mark Post hat daraufhin ein Start-Up gegründet, das weiterhin am Laborfleisch forschen sollte. 2015 kostete eine Frikadelle dann noch 70 Euro. Gegenwärtig konnte der Preis gesenkt werden und liegt bei 9 Euro pro Stück (In-vitro-Fleisch und Clean Meat: Gibt es Fleisch aus dem Labor, 2019). Im Lauf der Jahre wurden noch weitere Start-Ups, die sich mit Laborfleisch auseinandersetzen, gegründet. Das Produkt wird heute nicht mehr in Laboren hergestellt, sondern in großen Behältern in einer Art "Brauerei" (In-vitro-Fleisch und Clean Meat: Gibt es Fleisch aus dem Labor, 2019).Herstellung von LaborfleischUm Laborfleisch herstellen zu können, werden Stammzellen benötigt. Diese werden mithilfe einer Muskelbiopsie aus den Muskeln oder aus den Fettzellen des Tieres entnommen. Dies kann bei Rindern, Schweinen oder Hühnern entnommen werden. Die Tiere stehen dabei unter Narkose (Rempe, 2023).Damit aus diesen Stammzellen letztendlich Laborfleisch entstehen kann, benötigt es noch die Zugabe von einer Nährlösung, damit sich die Zellen vermehren können, und eine Substanz, die die Zellen zu einer dreidimensionalen Substanz wachsen lassen. Als Substanz wird meist Chinin oder Kollagen benutzt. Anschließend können die entnommenen Zellen sich dann in einem Behälter vermehren. Dieser Behälter ist ein Bioreaktor, in dem die Zellen alle notwendigen Nährstoffe bekommen, um dann die Muskelentwicklungsschritte durchlaufen zu können, um letztendlich zu einem Stück Fleisch kultiviert zu werden (Rempe 2023).Nachhaltigkeit von LaborfleischIn den folgenden Unterpunkten wird die Nachhaltigkeit von Laborfleisch kritisch untersucht.Reduzierung des RessourcenverbrauchsDie Herstellung von konventionellem Fleisch bedarf vieler Ressourcen. Sollte der Bedarf an Fleisch weiterhin anwachsen über die nächsten Jahre, dann wird die Erde die nötigen Ressourcen nicht mehr produzieren können. Am Beispiel des Rindfleisches, das vergleichsweise sehr viele Ressourcen benötigt, wird deutlich, wie umweltbelastend die Fleischproduktion ist. Ein Kilogramm benötigt ungefähr 9 Kilogramm Getreide, 15.400 Liter Wasser und bis zu 49 Quadratmeter Land. Für dieses eine Kilogramm Fleisch entstehen dabei circa 22 Kilogramm Treibhausgase. Im direkten Vergleich: Ein Kilogramm Laborfleisch würde nur ungefähr zweieinhalb Kilogramm Getreide für die Herstellung benötigen (Gerhard 2020).Schockierend ist auch, dass genug Nahrung erzeugt wird, um theoretisch jeden Menschen versorgen zu können. Durch die immer weiter ansteigende Fleischherstellung gehen aber Ressourcen, mit denen man Menschen weltweit ernähren könnte, verloren. Mit den dabei verlorenen Ressourcen könnten 3,5 Milliarden Menschen ernährt werden. Allerdings ist anzumerken, dass der Welthunger noch von anderen Faktoren abhängt. Ein Umstieg auf Laborfleisch würde das Problem des Hungers nicht lösen. Welthunger entsteht beispielsweise durch Faktoren wie Naturkatastrophen, Armut und auch durch mangelnde Produktionsmöglichkeit von Nahrung (Ferrari 2018).Verschiedene Studien zeigen aber auch, dass Laborfleisch genauso viel Treibhausgase ausstoßen und der Wasser- und Energieverbrauch sogar noch höher liegen könnte.EnergieeinsparungVerschiedene Studien ergaben unterschiedliche Ergebnisse. Während die einen von einer deutlichen Energieeinsparung von bis zu 45% sprechen, wird in anderen Studien davon ausgegangen, dass Laborfleisch eventuell sogar einen noch höheren Energiebedarf haben könnte. Der Bio-Reaktor sollte konstant 37 Grad aufweisen, weshalb dafür sehr viel Energie benötigt wird (Ferrari 2018). Da wir den Absprung von fossiler Energie noch nicht geschafft haben, schadet ein hoher Energieverbrauch weiterhin der Erde. Der Zellbiologe Kai Fiedler entgegnete in einem Interview folgendes:"Wie viel Energie und andere Ressourcen letztendlich wirklich benötigt werden für die Laborfleischherstellung, können wir erst ermitteln, wenn die Produkte in Massen produziert werden und auf den Markt kommen" (Gerhard 2020).Verringerung der LandnutzungEine Sache kann jedoch gesichert als Vorteil von Laborfleisch aufgelistet werden. Die Landnutzung würde definitiv verringert werden. Durch den Wegfall von Massentierhaltung, Weideflächen für die Tiere, aber vor allem durch die Senkung der Anbauflächen für das Futtermittel der Tiere würde eine geringere Landnutzung entstehen. Es könnte dementsprechend wieder mehr angepflanzt werden für die menschliche Ernährung. Und auch die ökologischen Auswirkungen auf das Land würde sich verbessern. Außerdem würde auch der Wasserverbrauch für die Herstellung sehr viel geringer ausfallen. Forscher*Innen nennen sogar sehr positive Zahlen: es soll bis zu 99% weniger Land benötigt werden und bis zu 90% weniger Wasserverbrauch (Ehrenfeld 2021).Weniger TierleidLaborfleisch soll Tierleid beenden. Doch wie tierfreundlich ist Laborfleisch wirklich? Es soll nur diesen einen Eingriff geben, der dazu noch unter örtlicher Betäubung oder Narkose vorgenommen wird, um die Stammzellen entnehmen zu können. Der Vorteil: Die Tiere müssen nicht mehr getötet werden, damit wir in den Genuss von Fleisch kommen. Es ist jedoch noch unklar, wie viele Schmerzen die Tiere bei einer Biopsie verspüren.Der Nachteil: Die Nährstoffe, die bislang verwendet werden, um den Stammzellen die notwendige Grundlage zu verschaffen, werden aus Kälberserum gewonnen. Dieses Kälberserum wird aus dem Blut von ungeborenen Kälbern gewonnen, weshalb es auch "fetales Kälberserum" genannt wird. Bei diesem Vorgang sterben jedoch das Muttertier und das ungeborene Kalb. Das Muttertier muss geschlachtet werden, um ihr den bis dahin noch lebenden Kälberfötus aus der Gebärmutter zu entnehmen. In einem nächsten Schritt wird dem Kalb dann das gesamte Blut entnommen. Bei diesem Prozess lebt das Kalb noch und bekommt keinerlei Betäubung. Aus diesem Grund kann das Kalb dabei Schmerzen empfinden. Pro Kalb kann etwa ein halber Liter Blut entnommen werden.Derzeit werden pflanzliche Alternativen getestet und einige scheinen sehr vielversprechend zu sein. Einige Unternehmen nutzen nur noch pflanzliche Alternativen, um einen Nährboden für das Laborfleisch zu schaffen. Aber auch, wenn das Kälberserum durch eine pflanzliche Alternative ersetzt wird, ist das Laborfleisch trotz alledem nicht vegan. Es bleibt die Biopsie, um die Stammzellen gewinnen zu können. Vorteilhaft ist, dass mit einer einzigen Biopsie mehrere Tonnen Fleisch hergestellt werden können. Es müssten weitaus weniger Tiere gehalten werden. Das bedeutet, dass die Haltung der Tiere verbessert werden könnte. Die klassische Massentierhaltung mit mehreren tausenden Tieren auf engstem Raum könnte abgeschafft werden. Dies würde dazu beitragen, das Tierleid zu verringern (Rempe 2023).Vermeidung von AntibiotikaeinsatzAntibiotika wird eingesetzt, um Krankheiten einzudämmen. Die Bakterien werden gehemmt und können sich nicht weiter im Körper vermehren. Bei Viren zeigt Antibiotika keine Wirkung. Aber Antibiotika kann auch schlechte Auswirkungen haben, wenn es falsch angewandt wird. Wird Antibiotika zu viel und zu früh eingesetzt, können sich Antibiotikaresistenzen entwickelt. Das bedeutet, dass die Antibiotika im Körper nicht mehr wirken, da sich der Körper bereits vorab an das Präparat gewöhnt hat.Infektionen, die normalerweise mit der Gabe eines Antibiotikums vollständig geheilt werden können, können nun einen schweren bis tödlichen Verlauf haben. In der Massentierhaltung wird Antibiotika meist ohne Notwendigkeit eingesetzt, um das Ausbrechen von Krankheiten zu vermeiden. Hier entstehen dann häufiger Resistenzen. Bricht eine Krankheit in diesen Anlagen aus, erkranken doch wieder vermehrt Tiere.In Deutschland wurden im Jahr 2021 insgesamt 601 Tonnen Antibiotika an Tiere vergeben. Schweine und Ferkel bekommen dabei am häufigsten Antibiotika verabreicht. Tiere, die krank sind, sollten behandelt werden. Problematisch ist nur, dass innerhalb der Massentierhaltung nie einzelne Tiere behandelt werden, sondern Antibiotika an alle Tiere vergeben werden, um das Ausbreiten von Krankheiten zu vermeiden (Kainz 2023).Das im Labor gezüchtete Fleisch benötigt kein oder viel weniger Antibiotika. Es werden nur einzelnen Zellen Antibiotika hinzugefügt, um Infektionen eindämmen zu können. Wenn das Laborfleisch steril hergestellt werden könnte, dann wäre dies eine Möglichkeit, gänzlich auf Antibiotika verzichten zu können (Clean Meat – Ist Laborfleisch die Zukunft, 2023).Bei der Produktion von Laborfleisch kann derzeit nicht ganz auf Antibiotika verzichtet werden, doch der Einsatz kann bis auf ein Minimum reduziert werden. In dieser Hinsicht wäre dies ein weiteres Argument, welches für das Laborfleisch spricht.Vermeidung von Tiertransporten und Töten der TiereIn Europa werden jährlich rund eine Milliarde Tiere in Tiertransporten durch Europa gefahren, um die Tiere zu einem Schlachthof zu bringen. Die Transportwege können teilweise mehrere hunderte Kilometer lang sein. Die Tiere werden dabei lebendig auf engstem Raum, ohne Trinkwasser oder ausreichend frischer Luft eingesperrt. Im Sommer leiden sie unter Hitze und im Winter unter Kälte. Es gibt zudem nicht ausreichend Platz, um sich hinzulegen, was wiederum zu Verletzungen führen kann. Einige Tiere sterben bereits auf dem Weg ins Schlachthaus. Es wird keine Rücksicht genommen, ob die Tiere schon vor dem Transport verletzt, trächtig oder krank sind.Die EU-Richtlinien für den Tiertransport sind häufig ungenau formuliert, weshalb die Tiere trotz Krankheit auf den Tiertransporter aufgeladen werden. Die maximale Transportdauer ist generell auf acht Stunden angelegt, diese kann jedoch unter bestimmten Umständen auch verlängert werden. Schweine dürfen bis zu 24 Stunden lang transportiert werden, wenn ein ständiger Zugang zu Trinkwasser gewährt wird. Dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden, wenn den Tieren nach dem Entladen 24 Stunden Ruhezeit gewährt wird mit Zugang zu Trinkwasser und Nahrung.Noch schockierender ist der Transport auf dem Meer. Tiere werden oft tage- oder wochenlang auf dem Meer auf einen anderen Kontinent transportiert. Dieser Transport gilt jedoch nicht als Transport, dabei leiden die Tiere hier häufig noch mehr. Über Wochen hinweg werden die Tiere auf engstem Raum, mit schlechter Luftzufuhr und in kotbedeckten Innenräumen zusammengepfercht gehalten. Nahrung, Wasser sowie medizinische Versorgung sind kaum vorhanden. Viele Tiere sterben bei dem langen Transportweg und werden daraufhin einfach im Meer entsorgt.Die Regelungen innerhalb der EU sind lückenhaft, verlassen die Tiertransporte jedoch die EU, dann gibt es keinerlei Möglichkeiten, die Einhaltung der Richtlinien zu überprüfen. Kontrollen innerhalb der EU finden zu wenig statt. Bei Kontrollen, die durchgeführt werden, zeigen sich schwere Verstöße gegen die Richtlinien, die wenig bis gar nicht sanktioniert werden (Tiertransporte – Zahlen, Fakten & aktuelle Regeln, 2022).In Deutschland wurden 2021 rund 760 Millionen Tiere in Schlachthöfen getötet. Nach dem Stress, den sie bereits beim Transport erleiden mussten, kommt im Schlachthof weiteres Leid auf die Tiere zu. Sie werden aus den Transportern getrieben und im Schlachthof betäubt. Dieses Betäuben fügt den Tieren schon Schmerzen zu. Teilweise wird fehlerhaft und unzureichend betäubt. Das bedeutet, dass die Tiere unter Umständen bei Bewusstsein sind, wenn sie getötet werden. Getötet wird, indem die Hauptschlagader durchtrennt wird (Schlachthof: So leiden und sterben Tiere in Schlachthöfen, 2022).Sollte Laborfleisch sich durchsetzen können und zukünftig auch für den Privatgebrauch zugänglich sein, dann würde der langwierige Transport, der immer mit Stress und Leid für die Tiere verbunden ist, wegfallen. Es würden insgesamt weniger Tiere gehalten und aufgezogen werden. Auch das Töten der Tiere in den Schlachthäusern würde wegfallen, da bei Laborfleisch keine Tiere mehr sterben müssten.Laborfleisch würde also insgesamt dazu beitragen, dass weniger Tiere leiden müssten. Antibiotika würde gar nicht mehr oder nur noch in kleinen Mengen verabreicht werden. Die grauenvolle Massentötung würde gänzlich entfallen. Es kann gesagt werden, dass Laborfleisch dazu beitragen würde, dass die Tiere vor Qualen geschützt werden würden.Doch laborgezüchtetes Fleisch bringt nicht nur Vorteile mit sich. Es gibt ethische Dilemmata, gesundheitliche Risiken können noch nicht abgeschätzt werden und auch innerhalb der Gesellschaft gibt es noch einige Bedenken. Diese Themen werden im nächsten Abschnitt betrachtet.Ethische ÜberlegungenDie Herstellung von Laborfleisch wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Ein Argument, das für das im Labor hergestellte Fleisch spricht, ist, dass die Entnahme von Zellen und Gewebe bei Tieren in etwa gleichzusetzen ist mit einer Blutspende durch den Menschen. Dieses Argument gilt jedoch nur, wenn die Lebewesen bei der Entnahme des fetalen Kälberserums nicht sterben oder leiden.Ein ethisches Dilemma sehen viele innerhalb der Gesellschaft darin, dass noch einige Tiere leiden oder sogar getötet werden müssen, um das Laborfleisch herzustellen, weshalb Laborfleisch für viele keine Option oder Verbesserung darstellt. Werden jedoch keine Tiere für die Herstellung gequält, dann sehen die meisten Personen keinen Grund mehr, das Laborfleisch nicht zu testen. Wenn sichergestellt wird, dass das Laborfleisch ein Stück Fleisch ohne tierischen Inhalt wird, dann würden auch einige Personen, die sich bisher vegetarisch oder vegan ernährt haben, sich von dem tierfreien Fleisch ernähren.Ein Nachteil des Laborfleisches besteht darin, dass die Bedeutung des Fleisches innerhalb unserer Gesellschaft noch weiter anwächst. Die Ernährung könnte noch einseitiger werden, da keine moralischen Vorbehalte mehr gegenüber dem Fleisch bestünden. Ein Ernährungsstil, der fleischbasiert ist, kann beispielsweise vermehrt zu Übergewicht, einem zu hohen Blutdruck oder auch zu Diabetes führen.Viele Personen stehen dem Laborfleisch sehr kritisch gegenüber. Fleisch im Labor zu züchten, das klingt für sehr viele Menschen unnatürlich oder auch ungesund. Vorurteile gibt es viele, weshalb sie das Laborfleisch meist nicht für geeignet halten. Die Angst vor neuen Technologien bringt bei einigen negative Emotionen hervor. Dabei besteht das Laborfleisch aus denselben Zellen wie das konventionell hergestellte Fleisch. Das Argument, dass Laborfleisch unnatürlich und ungesund ist, ist nicht rational begründet.Aber auch die Vorteile werden von einigen gesehen. Es gibt die Überzeugung, dass das Züchten von Fleisch im Labor einen moralischen Fortschritt mit sich bringt. Es könnte beinhalten, dass das Halten von Tieren auf kleinstem Raum oder auch das Töten als etwas sehr Negatives angesehen wird, das in Zukunft sehr kritisch betrachtet werden wird (Ferrari 2018).Gesundheitliche Auswirkungen von LaborfleischDie gesundheitlichen Auswirkungen, die der Konsum von Laborfleisch mit sich bringen könnte, sind noch unzureichend erforscht, weshalb bisher nur Annahmen getroffen werden können. Gesichert ist jedoch, dass das Laborfleisch keinerlei Antibiotikarückstände beinhaltet, wenn das Laborfleisch steril hergestellt wird. Antibiotikaresistenzen durch den Genuss von im Labor gezüchteten Fleisch könne also ausgeschlossen werden. Dies wird als sehr vorteilhaft für die Gesundheit angesehen.Da das gezüchtete Fleisch jedoch dieselben Eigenschaften wie das konventionelle Fleisch aufweist, ist davon auszugehen, dass es auch dieselben Risiken mit sich bringt. Ein übermäßiger Konsum des Laborfleisches könnte ebenfalls zu Übergewicht, Bluthochdruck und anderen gesundheitlichen Risiken, beitragen. Eine Möglichkeit, um das Laborfleisch gesünder zu machen, könnte die Zugabe von Nährstoffen oder eine Veränderung der Fettzusammensetzung sein.Da Laborfleisch bisher noch nicht oder nur wenig konsumiert wird, lassen sich noch keine validen Aussagen über die gesundheitlichen Auswirkungen treffen. Aussagen darüber werden sich erst Jahrzehnte nach der Zulassung treffen lassen (Clean Meat- Ist Laborfleisch die Zukunft?, 2023).Akzeptanz von Laborfleisch innerhalb der Gesellschaft und potentielle WiderständeDie Universität Osnabrück hat im Jahr 2021 eine Studie durchgeführt, wie hoch die Akzeptanz für das Laborfleisch in Deutschland ist. Es wurden 500 Frauen und Männer ab 18 Jahren befragt. Weniger als ein Drittel in Deutschland haben im Jahr 2021 von Laborfleisch gehört. Dennoch gaben 47% an, noch lieber ein laborgezüchtetes Fleisch als das konventionelle Fleisch zu konsumieren.Eine positive Einstellung gegenüber dem neuartigen Produkt beeinflusst auch die Akzeptanz. Eine höhere Akzeptanz und eine positivere Einstellung können auch durch den Einfluss von Peergroups erfolgen. Die Individuen fühlen sich dann mehr in die Gruppe integriert, wenn sie dieselben Ansichten teilen.Jedoch haben auch viele Personen noch Einwände und Sorgen gegenüber laborgezüchtetem Fleisch. Dies könnte ein Widerstand sein, mit dem das Laborfleisch zu kämpfen hat. Durch Aufklärung, beispielsweise durch Kampagnen, könnte jedoch eine positivere Einstellung hervorgebracht werden.Den Landwirten könnte eine Ernährung mit Laborfleisch missfallen, denn die regionale Viehwirtschaft könnte abgeschafft werden. Viele Landwirte würden ihre Arbeit verlieren. Ein weiterer Widerstand könnte sich bei der Zulassung ergeben. Da Laborfleisch ein neuartiges Produkt ist, muss es erst zugelassen werden. Dazu müssen einige Tests durchlaufen werden. Sollten diese Tests negativ ausfallen, dann wäre das Projekt "Laborfleisch" geplatzt.Herausforderungen und Blick in die ZukunftIm Jahr 2020 hat Singapur als erstes Land dem Laborfleisch die Zulassung gewährt. Seitdem ist es dort erhältlich. Mark Post, der Hersteller der ersten Laborfrikadelle, arbeitet seit 2013 mit Hochdruck an einem Laborfleisch, das auch für den Privatgebrauch funktionieren kann. Gentechnologien erschweren eine Zulassung innerhalb der Europäischen Union. Zudem dauert die Zulassung innerhalb der EU häufig doppelt so lang wie in anderen Staaten. Dadurch, dass Laborfleisch ein komplett neues Lebensmittel sein wird, müsste das Laborfleisch viele Tests bestreiten. Auch dies verzögert den Prozess. Diesen Herbst wurde die erste Zulassung innerhalb der EU für Laborfleisch beantragt. Den Antrag hat eine Firma aus Heidelberg gestellt. Dieser Antrag wird nun geprüft.Eine weitere Herausforderung wird es sein, die Gesellschaft von dem im Labor hergestellten Fleisch zu überzeugen. Um Tierleid zu beenden sowie die Umwelt zu schützen, müsste Fleisch aus dem Labor überwiegend beziehungsweise ausschließlich konsumiert und verkauft werden. Wenn Laborfleisch in großen Mengen auch für den Privatgebrauch hergestellt werden könnte, dann würden auch die Verkaufspreise sinken und für alle zugänglich gemacht werden.Des Weiteren sollte für die Herstellung des Laborfleisches noch eine pflanzliche Alternative für die Nährlösung gefunden werden, damit gar kein Tier für den Herstellungsprozess gequält und getötet werden muss. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Technik, bei der die Kälber überleben können.FazitUm die Fragestellung dieser Seminararbeit beantworten zu können, wurden einige Aspekte des Laborfleisches kritisch betrachtet. Durch den weltweiten Anstieg des Fleischkonsums kam es zu schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt. Die konventionelle Tierhaltung bedarf einer riesigen Fläche für die Tierhaltung, aber vor allem für den Anbau des Futtermittels für die Tiere. Die Biodiversität wird durch die Flächennutzung und -ausweitung verringert. Dadurch wird auch die Landwirtschaft gefährdet, da die Böden nicht mehr genügend Nährstoffe für das Pflanzenwachstum aufweisen.Dies ist bereits der erste Vorteil, den die Laborfleischproduktion aufzuweisen hat. Die Landnutzung kann um bis zu 99% verringert werden. Und auch Ressourcen werden geschont. Es bedarf viel weniger Getreide, da kaum noch Tiere für die Fleischproduktion im Labor ernährt werden müssen. Studien zeigen, dass die Energienutzung jedoch nicht unbedingt geringer ausfallen würde, da die Reaktoren, in denen das Laborfleisch gezüchtet werden könnte, konstante 37 Grad haben müssten. Da wir die Energiewende noch nicht geschafft haben und somit die meiste Energie immer noch aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird, trägt Laborfleisch in dieser Hinsicht nicht zu mehr Nachhaltigkeit bei.Für die herkömmliche Fleischproduktion sterben jede Sekunde rund 1.400 Tiere. Doch auch ihre meist kurze Lebensphase ist geprägt von Qualen. 95% der Tiere, die für den Fleischkonsum gezüchtet werden, leben in der Massentierhaltung. Dort leben sie auf engstem Raum ohne Beschäftigung. Meist müssen sie in ihren eigenen Exkrementen stehen. Verletzungen sowie Krankheiten sind an der Tagesordnung. Damit die Krankheiten sich nicht ausbreiten, wird ihnen Antibiotika in die Futtermittel gemischt. Dies kann zu Antibiotikaresistenzen beim Menschen führen. Ihre normale Lebenserwartung wird nicht einmal ansatzweise erreicht. Nach langem Transport, meist ohne Lüftung oder ausreichend Wasser und Nahrung, werden die Tiere in ein Schlachthaus gebracht. Nicht selten wird die Betäubung nicht richtig verabreicht und die Tiere erleiden starke Schmerzen während des Schlachtens.Einen gesicherten Vorteil, den das im Labor gezüchtete Fleisch vorzuweisen hat, ist, dass das Tierleid vermindert wird. In einem bisherigen Vorgang wurden bei der Gewinnung von Kälberserum, welches für die Stammzellgewinnung gebraucht wird, das Muttertier und das Kälbchen getötet. Die Forscher*Innen sind jedoch dabei, pflanzliche Alternativen zu testen, die sich bisher auch als sehr vielversprechend dargestellt haben. Auch die Option einer Biopsie, bei der das Tier nur betäubt wird, würde das Tierwohl fördern. Laborfleisch könnte gänzlich ohne Tierleid auskommen. Es würden keine Tiere mehr in Massentierhaltunganlagen gequält werden, es gäbe keine langen Transportwege mehr und auch die Tötung würde entfallen.Aussagen über die gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen können nicht eindeutig getroffen werden. Wenn das Fleisch aus dem Labor vollständig steril hergestellt werden kann, dann würde der Einsatz von Antibiotika wegfallen. Dies wäre für den Menschen gesünder. Ansonsten hat Laborfleisch eine sehr ähnliche Zusammensetzung wie das konventionelle Fleisch. Dies bedeutet, dass es zu denselben Risiken wie beispielsweise Diabetes oder Bluthochdruck kommen kann. Gesünder könnte es lediglich durch die Zugabe von Nährstoffen oder Verringerung der Fettzusammensetzung werden.Ob das Laborfleisch sich durchsetzen kann und somit zu einer nachhaltigeren und tierleidfreien Welt beitragen kann, ist auch abhängig von der Gesellschaft. In Deutschland stehen die Menschen dem Laborfleisch relativ positiv gegenüber. Fast die Hälfte der Befragten in einer Studie der Universität Osnabrück gaben an, lieber Laborfleisch als das herkömmliche Fleisch essen zu wollen. Ob dies im Falle einer Zulassung auch so eintreten würde, bleibt offen.Ob die Herstellung und der Konsum von Laborfleisch wirklich dazu beitragen kann, dass Nachhaltigkeit und Tierwohl gefördert wird, wird sich zeigen, sobald die Produktion in großen Mengen ablaufen wird. Allerdings verspricht Laborfleisch viele positive Faktoren, die zur Nachhaltigkeit und zur Förderung von Tierwohl beitragen können. Das bestehende Tierleid könnte durch Laborfleisch fast vollständig beendet werden. In puncto Ressourcenverbrauch sowie Landnutzung verspricht das Laborfleisch auch, die nachhaltigere Variante zu sein.Insgesamt kann die Produktion und der Konsum des Laborfleisches das Potential haben, die Nachhaltigkeit sowie das Tierwohl zu fördern. Es müssten jedoch noch einige wichtige Schritte in Sachen Technologie und Konsumkultur gemacht werden, um diese Vorteile voll auszuschöpfen.LiteraturverzeichnisClean Meat - Ist Laborfleisch die Zukunft? (2023, 12. Mai). Verbraucherzentrale. https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/clean-meat-ist-laborfleisch-die-zukunft-65071 (Abgerufen am 21. November 2023).Der Appetit auf Fleisch und seine Folgen. (2022, 13. Juli). WWF. https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/fleisch/der-appetit-auf-fleisch-und-seine-folgen/ (Abgerufen am 19. November 2023).Ehrenfeld, F. (2021, 30. August). Fleisch aus dem Labor. SWR. https://www.swr.de/wissen/fleisch-aus-dem-labor-104.html (Abgerufen am 30. November 2023).Ferrari, A. (2018). Ethische und soziale Aspekte von In-vitro-Fleisch. TIERethik, 2018/1(Heft 16).Fleisch kostet Leben: Leid und Tod in der Intensivtierhaltung. (2022, 29. Juni). PETA. https://www.peta.de/themen/fleisch/ (Abgerufen am 19. November 2023).Fleischkonsum in Deutschland: Trotz sinkender Zahlen leiden Tiere weiterhin. (2023, 30. Oktober). PETA. https://www.peta.de/themen/fleischkonsum-deutschland/ (Abgerufen am 19. November 2023).Gerhard, S. (2020, 25. November). Wann wir endlich... Fleisch essen, für das kein Tier mehr leiden muss. Quarks. https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/wann-wir-endlich-fleisch-essen-fuer-das-kein-tier-mehr-leiden-muss/ (Abgerufen am 30. November 2023).In-vitro-Fleisch und Clean Meat: Gibt es Fleisch aus dem Labor? (2019, 13. Januar). PETA. https://www.peta.de/themen/laborfleisch/ (Abgerufen am 19. November 2023).Kainz, L. (2023, 3. März). Antibiotika in der Massentierhaltung: So gefährlich ist ihr Einsatz. PETA. https://www.peta.de/themen/antibiotika-massentierhaltung/ (Abgerufen am 21. November 2023).Kubon, I. (2022, 21. Oktober). Massentierhaltung: Schlecht für Tiere, Menschen und das Klima. PETA. https://www.peta.de/themen/massentierhaltung/ (Abgerufen am 19. November 2023).Rempe, C. (2023, 11. August). Fleisch aus dem Labor. Bundeszentrum für Ernährung. https://www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/orientierung-beim-einkauf/fleisch-aus-dem-labor/ (Abgerufen am 19. November 2023).Schlachthof: So leiden und sterben Tiere in Schlachthöfen. (2022, 24. Mai). PETA. https://www.peta.de/themen/schlachthof/ (Abgerufen am 21. November 2023)Tiertransporte – Zahlen, Fakten & aktuelle Regeln. (2022, 14. Juli). PETA. https://www.peta.de/themen/tiertransporte/ (Abgerufen am 21. November 2023).Verlust der Biodiversität: Ursachen und folgenschwere Auswirkungen. (2020, 16. Januar). Europäisches Parlament. https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20200109STO69929/verlust-der-biodiversitat-ursachen-und-folgenschwere-auswirkungen (Abgerufen am 19. November 2023).Wildermuth, V. (2023, 9. August). Vom In-vitro-Burger zur Bulette für alle. deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/laborfleisch-in-vitro-fleisch-kuenstliches-fleisch-100.html (Abgerufen am 19. November 2023).Wilde, W. (2022, 30. Oktober). Faktencheck: Wie klimaschädlich ist Fleischkonsum wirklich? DW. https://www.dw.com/de/faktencheck-wie-sch%C3%A4dlich-f%C3%BCr-das-klima-ist-der-verzehr-von-fleisch-wirklich/a-63252828 (Abgerufen am 19. November 2023).
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Mein Vater, seine Schwester und ich vor dem Haus der kurz zuvor verstorbenen Großmutter, 2014. Eine gemeinsame oberschlesische ErkundungsreiseDas Anliegen, einen persönlichen Text zum Thema "Oberschlesien" [1] zu schreiben, brachte mich zuerst in ein Dilemma. In erster Linie verbinde ich Oberschlesien mit meinem Vater – einem von dort aus Volkspolen in die Bundesrepublik eingewanderten Aussiedler. Was erlebte er und seine Familie aber in der Nachkriegszeit in seiner Herkunftsregion und wie sehr prägt das mich heute? Es begann eine gemeinsame Erkundungsreise durch seine oberschlesischen Erinnerungen, wobei ich meinen Vater vertieft interviewte. Recherchen in privaten und öffentlichen Archiven ergänzten das Bild und brachten uns interessante, teilweise neue Erkenntnisse.Mein Vater Marian Mansfeld, Jahrgang 1950, wurde wie viele seiner Vorfahren in Siemanowice Śląskie (Siemianowitz/-Laurahütte) geboren, ist dort aufgewachsen und arbeitete immer wieder vor Ort. Oberschlesien wurde zuvor besonders tragisch durch die zwei Weltkriege und Revolten gezeichnet, die selbst Familien auseinanderrissen. 1919-1921 gab es drei oberschlesische Aufstände, die letztlich nach einer Volksabstimmung zu der Teilung Oberschlesiens führten, bei der auch Siemianowice und Katowice (Kattowitz) Polen zugeteilt wurden. Es scheint, als verdichtete sich die deutsch-polnische Geschichte in dieser Region grausam, obwohl es neben allen Animositäten vielfach gutes menschliches Zusammenleben gab.Im Leben meines Vaters hinterließ der Zweite Weltkrieg tiefe Spuren:"Die Geschichte meiner Familie ist sehr mit den Kriegserlebnissen in Oberschlesien[2] verbunden und davon erschüttert – ich habe durch den Krieg meinen Vater so gut wie verloren, meinen durch den Krieg nach England geratenen Onkel mütterlicherseits traf ich nie persönlich, meine Cousins nicht. Die Familie meiner Großtante wurde in die Sowjetunion verschleppt und nie mehr gesehen... Mein Glück war: Ich war der erste in meiner Familie nach den Generationen zuvor, der nicht in den Krieg musste."Meine Mutter stammt von der polnischen Ostseeküste. Ich bin selbst kam 1978 in Poznań (Posen) zur Welt, wo sich meine Eltern während des Studiums kennengelernt hatten. Eine märchenhafte Kindheit verbrachte ich in Janowice Wielkie (Jannowitz) im niederschlesischen Riesengebirge. Dort leitete mein Vater ab 1980 eine große Ferien- und Erholungsanlage für Werktätige aus den "Kattowitzer Reparaturbetrieben der Kohleindustrie" sowie ihre Familien. Meine Mutter arbeitete dort mit; in der Gegend wurde mein Bruder geboren.Die Ferien- und Erholungsanlage in Janowice mit mir eingekreist, etwa 1983.Als meine Eltern diese Arbeit 1986 aufgeben mussten, ging es für uns in den väterlichen Heimatort, wo wir in typischen sozialistischen Plattenbauten wohnten. Meine Mutter arbeitete im Kultur- und Bildungsbereich, mein Vater in der Verwaltung der Reparaturbetriebe. Meine Oberschlesien-Zeit sollte nur bis 1989, unserer "Aussiedlung" in die Bundesrepublik Deutschland, dauern. Nach dem für meine Eltern zu dieser Zeit überraschenden Fall des Eisernen Vorhangs folgten regelmäßige Reisen nach Oberschlesien. Vor allem das Haus meiner Tante in Katowice bildete zu Ostern, zu Weihnachten und zu Familienfesten einen festen Ankerpunkt in Polen.Ostern 1995 bei meiner Tante in Katowice-Janów.Die Kindheit meines Vaters: Armut, Zusammenhalt und AbenteuerDie Kindheit meines Vaters hatte sich im alten Teil von Siemianowice abgespielt, direkt in der Nähe der Bergwerke und Hütten, deren 16 Schornsteine er von seinem Haus aus zählen konnte. Dort gab es keine Hochhäuser, sondern ehemalige deutsche Backsteinbauten (oberschlesisch: "familoki", etwa: Familienblocks). Zu den dürftigen Wohnverhältnissen sagt mein Vater:"Die Bergbau-Wohnungen hatten geringe Mieten. Am Anfang gab es in den Wohnungen nicht einmal fließend Wasser, nicht zu sprechen von Toiletten – nur im Hausflur für mehrere Wohnungen zusammen, wo das Wasser im Winter manchmal sogar einfror."Mein Vater bei seiner Erstkommunion, 1959.Durch diese Not wurde ein besonders gemeinschaftliches Zusammenleben gefördert:"Die Menschen [...] lebten solidarisch zusammen, halfen sich – uns wurde viel geholfen, weil wir dort zu den Ärmsten zählten [...] An die 40-50 Kinder [...] waren in einem Hof, spielten Fußball oder turnten an den Teppichklopfstangen. Einwanderer nach Oberschlesien aus [dem übrigen] Polen waren Tierhaltung gewohnt und haben zunächst sogar Schweine in die engen Haushöfe mitgebracht [...] Wir gaben ihnen dann Kartoffelschalen für die Schweine oder Kaninchen, sie uns später Fleisch oder Wurst. "Grundsätzlich zog das Gebiet der florierenden oberschlesischen Industrie die dort dringend benötigte Arbeitskraft aller ländlicher Gegenden Polens an. Einige kamen schon allein deshalb, um dem zweijährigen Militärdienst zu entgehen, erzählt mein Vater. Ansonsten waren die Gründe für die Arbeit "in den Gruben" pragmatisch, wie die vergünstigte Kohle "zum Heizen der Wohnung und zum Kochen".In Oberschlesien waren nach dem Krieg entgegen mancher Mythen nicht alle Deutschen weggegangen, vertrieben oder interniert worden. Autochthone wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor die "Wahl" gestellt, entweder die polnische Staatsangehörigkeit anzunehmen und in der oberschlesischen Industrie zu arbeiten oder das Land Richtung Deutschland zu verlassen. Sog. "Volksdeutsche" bzw. Menschen, die mehr oder weniger freiwillig auf der "Deutschen Volksliste" [3] als "Volksdeutsche" verzeichnet wurden[4], konnten unter Umständen rehabilitiert werden, mussten allerdings im Alltag oft Verfolgung und Diskriminierungen in Kauf nehmen.[5] Manche widersetzten sich der Vertreibung, wie die Großmutter meines Vaters, die auf ihren Sohn warten wollte.Darüber hinaus sind in der Nachkriegszeit die Sowjets hart gegen Oberschlesier:innen ins Gericht gegangen und internierten diese in Lagern.[6] Zwangsansiedlungen von Menschen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, die von der Sowjetunion annektiert wurden, waren ebenso an der Tagesordnung.Besonders sind meinem Vater die wilden Seiten seines damaligen Daseins im Gedächtnis geblieben:"Uns Kinder hat die Straße erzogen, nicht immer gut. [...] Es herrschte das Recht des Stärkeren. Es wurde auch gestohlen, vor allem Kohle oder Altmetall zum Verkauf oder wir betrieben Mundraub – klauten Obst, Gemüse oder Eier aus den nahgelegenen Schrebergärten."Meine Großmutter – eine Bergbau-Arbeiterin und alleinerziehende MatriarchinDie Nachkriegszeit war nicht einfach für meine Großmutter Gertruda Mansfeld (geb. Moczygęba, Jahrgang 1929). Ihr späterer oberschlesischer Mann Paul, der für Deutschland in den Krieg zog, dessen genaue deutsche Biografiebezüge aber weder für meinen Vater noch mich recherchierbar sind, kehrte nach dem Krieg 1947 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zurück. Sie heirateten und hatten dann vier Kinder, als zweites Kind meinen Vater. Von der Kriegszeit seines Vaters weiß mein Vater übrigens kaum etwas, außer, dass er in der Panzertruppe eingesetzt war und 1943 in Griechenland, wo er Malaria bekam. Eine Grußkarte meines Großvaters von der Kriegsfront inGriechenland aus dem Jahr 1943 mit aufgeklebten Porträtsvon seiner Mutter und ihm.Einige Jahre nach seiner Rückkehr wurde mein Großvater durch einen miterlebten tödlichen Grubenunfall stark traumatisiert und musste von meiner Großmutter immer wieder in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht werden, während sie erzwungenermaßen die Rolle des Alleinverdieners im Steinkohlebergwerk Siemianowice übernahm. Es war harte Arbeit, im Schnitt sechs Tage die Woche. Bis heute bleibt es ein Rätsel, wie sie es schaffte, in dieser Situation nebenbei vier Kinder großzuziehen. Mein Vater sagt dazu:"Sie hat, um das alles zu vereinbaren, viel – auch nachts – gearbeitet, immer nur kurz geschlafen und sich um uns gekümmert. Das hielt sie nur durch starken Kaffeekonsum durch; sie löffelte sogar den Kaffeesatz aus! Das hätte sie neben der harten Arbeit fast die Gesundheit gekostet."Ihre Zuneigung zeigte sie ihren Kindern so gut wie nie. Selbst als ihr Lieblingskind, zu dem mein Vater avancierte, da er weniger Probleme machte als sein Bruder und später sogar schulisch aufstieg, bekam er mehr Schläge als Lob. Das Angebot eines kinderlosen Ehepaars, meinen Vater gegen Geld zu übernehmen, lehnte seine Mutter jedoch klar ab.Meine Großmutter 1965.Das traditionelle Familienmodel in Oberschlesien war weitverbreitet. Selbst wenn der Mann präsent war, blieb die Frau das eigentliche Familienoberhaupt:"Der Mann war zum Arbeiten da, aber durch das Matriarchat wurde ihm jeden Monat [...] alles abgenommen. Damit war seine Rolle erschöpft. Sein einziges Vergnügen war es, sich zu betrinken."Was im Leben meiner Großmutter familiär als Kuriosität galt, war, dass sie als 14-Jährige im damaligen Reichsgebiet bei Grünberg (Zielona Góra) auf "Landarbeit" – wie die Online-Datenbank "straty.pl" [7] verifiziert, faktisch Zwangsarbeit in der Landwirtschaft – eine wohl angenehmere Zeit als in Oberschlesien der Kriegszeit verbrachte. Das erzählte sie uns nicht nur einmal in ihrer kleinen Wohnung mit dem Taubenschlag gegenüber, in der früher bis zu sechs Familienmitglieder wohnten. Später wunderte ich mich über ihre etwas skurrile, nur durch die Kriegserfahrung verständliche Angewohnheit: Sie hatte die meisten unserer Mitbringsel aus Deutschland auf den Schränken gehamstert – einige Lebensmittel sogar lange nach dem Verfallsdatum...Weihnachtszeit 1998 in Großmutters Wohnküche: Sie und ich links im Bild, rechts meine Mutter, in der Mitte die Schwestern meines Vaters.Bei unseren Recherchen fand mein Vater zu unserem Erstaunen heraus, dass seine Mutter nicht in durchgehend die polnische Staatsangehörigkeit besessen hat, sondern ab einem noch unbekannten Zeitpunkt auch zur Kriegszeit in der Gruppe 4 der Deutschen Volksliste – also ohne Möglichkeit des Ausweiserhalts – gelistet wurde. Diese vermutlich wie bei vielen Menschen in Oberschlesien nicht freiwillig erfolgte Eintragung war sicherlich pragmatisch motiviert und schützte sie und die ganze Familie letztlich vor Repressalien oder gar Lebensgefahr.[8]Zur Fortsetzung [1] Oberschlesien ist das Jahresthema 2021 des Deutschen Polen-Instituts. S. https://www.deutsches-polen-institut.de/jahresthema/.
[2] Mein Vater sprach auf Polnisch von "Śląsk" / "śląski" etc. (dt.: Schlesien, schlesisch etc.), da der Begriff "Schlesien" vor allem durch Oberschlesier:innen synonym mit "Oberschlesien" verwendet wird.
[3] Siehe dazu z. B. https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/deutsche-volksliste.
[4] Vgl. Kaczmarek, Ryszard (2010): Polacy w Wehrmachcie [Polen in der Wehrmacht], S. 54.
[6] 2020 hat der polnische Sejm die sog. "oberschlesische Tragödie" zum 75. Jahrestag mit einem Beschluss gewürdigt: https://www.sejm.gov.pl/sejm9.nsf/komunikat.xsp?documentId=877504676ADCFD4FC12584F80070B3CE.
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Viel dreht sich in diesen Tagen der "Corona-Krise", wie schon der Terminus nahelegt, um die gesellschaftlichen Folgen dieser Krankheit. Dabei wird in Deutschland wie in Polen gleichermaßen auf die weltweiten Entwicklungen geblickt, welche durch die Pandemie angestoßen worden sind oder an Dynamik gewonnen haben. Gleichwohl verengt sich der Blick allzu schnell oft wieder, etwa bei der Beurteilung der Maßnahmen der eigenen Regierung oder bei Überlegungen zu einer internationalen Solidarität. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass Effekte des Auseinanderdriftens oder Zusammenrückens der Staatengemeinschaft automatisch in Zusammenhang mit der aktuellen Krise gedacht werden können; sie müssten aktiv gewollt und betrieben werden. Historisch gesehen hängen Krankheit und Krise und ihre Wechselwirkungen ohnehin fest zusammen, auch im deutsch-polnischen Kontext. Dabei handelt es sich um eine kulturelle Dynamik, die zwei Seiten vereint: einerseits die Eigenschaften einer speziellen Infektionskrankheit, wie etwa Gefährlichkeit für Gesundheit und Leben des Menschen und Möglichkeiten der Übertragbarkeit, andererseits die Handlungsmöglichkeiten zur Eindämmung der Krankheit von hygienischen Belangen über sonstige gesellschaftliche Regeln bis zur medizinischen Behandlung. Obgleich der eine Strang als Voraussetzung für den anderen erscheinen mag, zeigt der Blick in die Geschichte doch deren Interaktion und viel mehr noch, dass beide davon überformt werden, in welchen Bildern die betroffenen Gesellschaften den Prozess fassen, wie sie darüber nachdenken, wie sie darüber sprechen.Beim historisch motivierten Blick in die deutsch-polnischen Beziehungen lassen sich viele epidemische Erscheinungen ausmachen, deren Betrachtung als Fallbeispiele lohnt – einige davon sollen hier aufgegriffen werden: die Entwicklung eines Fleckfieber-Impfstoffs in der gerade entstandenen Zweiten Polnischen Republik in Lemberg (Lwów), die Anwendung von Fleckfieberimpfungen während des Zweiten Weltkriegs, die Cholera-Epidemie in Danzig 1831 und die Pestpogrome von 1348/49 am Rhein und ihre Folgen. Seuchen in KriegsbemalungEine Krankheit, die auch diskursiv aufs Engste nicht nur mit Krisen, sondern mit Kriegen verflochten war, ist das Fleckfieber. Diese Krankheit, die durch Läuse von Mensch zu Mensch übertragen wird, existierte wohl schon seit dem Altertum und trat im Mittelalter zunehmend in Europa auf, ab dem 16. Jahrhundert auch in der Neuen Welt, wie etwa 1576/77 in Mexiko mit etwa 2 Millionen Toten. Der Feldzug Napoleons gegen Russland 1812 wurde stark von einer heftigen Fleckfieberepidemie beeinflusst, ebenso der Krim-Krieg 1854–1856 und der russisch-türkische Krieg 1877/78. Auch in Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen gab es im 20. Jahrhundert viele Erkrankte und Tote, u. a. eine schwere Epidemie in Russland 1918–1922 mit 30 Millionen Fällen, davon 3 Millionen mit tödlichem Ausgang. Quarantäneposten vor bewachten vom Fleckfieber befallenen Zivilhäusern in Perehińsko (Westukraine, Februar 1916)Die militärischen Bilder, die zur gedanklichen Fassung von Seuchen bemüht wurden, sind für das Fleckfieber und andere historisch gründlich untersucht worden. Das Phänomen als solches setzt sich bis in die Gegenwart[1] fort: Militärische Metaphern werden etwa aufgerufen, um Ohnmachtsgefühlen martialisch entgegenzutreten, Freiheitseinschränkungen im Innern einen größeren Rahmen zu verleihen oder Fragen nach der Herkunft von Seuchen und Schuldzuweisungen bildlich zu fassen. Ein emblematisches Beispiel war die TV-Ansprache an die Nation von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom 16. März 2020, in der er konstatierte, man befinde sich im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind. Ein viel weniger prominenter Fall war die Anfang März im polnischen Staatsfernsehen TVP übertragene Landkarte, die zeigte, wie das Coronavirus aus Deutschland nach Polen eingetragen wurde – mit großen und kleinen Pfeilen, wie sie vielen aus dem Schulunterricht zur Visualisierung angreifender Armeen bekannt sind. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hingegen packte rhetorisch, ebenfalls im März 2020, die "Bazooka" nur aus zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen des Virus und behielt "Kleinwaffen" in der "Hinterhand". Belege für die Aktualisierung von historisch tradierten Ängsten, Feindbildern und Stereotypen, die mittels militarisierter Sprache verbreitet werden, ließen sich aus zahlreichen Staaten finden, darunter verstörend weit verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien. Der Erste Weltkrieg, das Fleckfieber und die Anfänge der Zweiten Polnischen RepublikWährend des Ersten Weltkriegs wurde das seit den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert politisch zergliederte und unter deutscher, österreichisch-ungarischer und russischer Herrschaft stehende polnische Territorium zu einem Hauptkriegsschauplatz. Mit der deutschen Besatzung während des Krieges kamen nicht nur das Fleckfieber, sondern auch die Deutungen der Krankheit und ihre feste Einordnung als unzivilisiert, rückständig und östlich. Dies zeigt Katharina Kreuder-Sonnen in ihrer historischen Studie über zirkulierendes bakteriologisches Wissen,[2] in der sie den mittelosteuropäischen Raum in eine globale Wissensgeschichte einordnet. Die Gefahr durch das Fleckfieber galt der deutschen Militärmacht viel mehr als ein Problem der Front im Osten als im Westen. Besonders richteten sich diese Interpretationen auch gegen orthodoxe Juden, die von Zwangsmaßnahmen durch die deutsche Besatzung ab 1915 in besonderer und unverhältnismäßiger Härte betroffen waren. Trotz der auch ansonsten getroffenen Vorkehrungen kam es in verschiedenen Orten Zentralpolens zwischen 1915 und 1917 zu Fleckfieberepidemien. Im polnischen medizinischen Diskurs wurde diese Fokussierung und Einschränkung auf die jüdische Bevölkerung ebenfalls übernommen. Im weiteren Verlauf des Krieges und gegen Ende verknüpfte und verschob sich diese Rhetorik hin zu einer festen Verbindung der Epidemie mit einer Einschleppung durch den Feind von außen, besonders wiederum aus Richtung Osten und dem gerade entstandenen Sowjetrussland, so Kreuder-Sonnen: "Die diskursive Verknüpfung von Seuche und bolschewistischer Bedrohung hatte (…) den jungen polnischen Staat als Schutzwall des 'Westens' gegen Sozialismus und Fieber etabliert. (…) Seuchenbekämpfung und Staatsbildung verschränkten sich hier eng miteinander.[3]"Die Ineinssetzung mit dem Bolschewismus im polnischen Kontext hatte das Fleckfieber mit der Spanischen Grippe gemein, die von 1918 bis 1920 in drei Wellen weltweit bis zu 50 Millionen Todesopfer forderte.[4] Während diesem Virus nur wenig entgegengesetzt werden konnte, was auch und gerade die deutsche Bakteriologie erschütterte, die sich für längere Zeit fälschlicherweise an der Identifizierung eines vermeintlich schuldigen Bakteriums (!) abarbeiten sollte,[5] gab es bei der Erforschung des Fleckfiebers im selben Zeitraum bald große Fortschritte. Die Entwicklung eines Fleckfieberimfpstoffs in Lemberg (Lwów)Der in Lemberg studierte Entomologe und Histologe Rudolf Weigl, der sich in Wien in Bakteriologie weitergebildet hatte, begann zunächst in Kriegsgefangenenlagern in Tarnów und Przemyśl mit seinen Forschungen am Fleckfieber. Dort legte er die Grundlage für seine Impfstoffentwicklung, die er an der Universität Lemberg fortführte. Er konnte dabei auf viele vorangegangene Forschungen aufbauen, die nötig gewesen waren, um den Erreger verlässlich zu identifizieren, der innerhalb der Kleiderlaus für die Auslösung der Krankheit verantwortlich war. Dieser hatte schließlich vom am Hamburger Tropeninstitut beschäftigten brasilianischen Mediziner Henrique da Rocha Lima den Namen Rickettsia prowazeki erhalten, benannt nach dem US-amerikanischen Mikrobiologen Howard Taylor Ricketts und dem tschechisch-österreichischen Bakteriologen Stanislaus von Prowazek, die beide während ihrer Forschungen dem Fleckfieber erlagen, Ricketts 1910 in Mexiko und Prowazek 1915 in Cottbus. Rudolf Weigl im Laboratorium, Datum unbekanntUm Filtrat für den Impfstoff zu erhalten, musste Weigl auf dem in vielen, meist in peripheren Gegenden – nämlich den Orten großer Epidemien – erworbenen und eng an Personen gebundenen Wissen aufbauen, das auch dazu diente, viele praktische Probleme zu lösen. Es galt, zunächst gesunde Läuse zu züchten, diese mittels ausgefeilter Gerätschaften zu infizieren und in kleinen fixierbaren Käfigen – die kurz zuvor von Rocha-Limas Kollegin Hilde Sikora[6] entwickelt worden waren – so zu halten, dass sie sich vom Menschen ernähren konnten ohne Gefahr der Entweichung. Die Übertragung der Krankheit erfolgte nicht durch den Biss der Läuse, sondern durch das Eintragen ihrer Ausscheidungen beim Kratzen. Trotzdem blieb die Läusefütterung durch den Menschen ein gefährliches Unterfangen, das zunächst im Selbstversuch und an Mitarbeitenden ausprobiert wurde. Auf dem Höhepunkt der Erkrankung der Läuse wurden diese getötet und aus ihrem Darm, mit einer besonders hohen Konzentration der Rickettsia, der Impfstoff hergestellt. Nach einer dreimaligen Impfung mit dem Präparat überlebten viele Probanden auch während Fleckfieberepidemien. Die Ergebnisse wurden publiziert, und viele Forscher kamen nach Lemberg, um die nötige Arbeit genau zu studieren, die im Laufe der 1930er Jahre im größeren Stil praktisch ausprobiert wurde.[7] Rudolf Weigls Fleckfieberimpfstoff, Ausstellungdisplay im Museum POLIN in WarschauLiteraturKatharina Kreuder-Sonnen, Wie man Mikroben auf Reisen schickt. Zirkulierendes bakteriologisches Wissen und die polnische Medizin, 1885–1939. Tübingen 2018.O. Gsell, W. Mohr (Hrsg.), Infektionskrankheiten. In vier Bänden, Bd. IV: Rickettsiosen und Protozoenkrankheiten, Berlin u. a. 1972.Ute Caumanns, Fritz Dross, Anita Magowska (Hg.), Medizin und Krieg in historischer Perpsektive / Medycyna i wojna w perspektywie historycznej, Frankfurt a. M. 2012.Laura Spinney, 1918. Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte, München 2018. [1] Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass bei der politischen Planung der Seuchenbekämpfung und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen ein Befragen des bereits geschichtswissenschaftlich Erforschten mitunter hilfreich, wenn nicht gar geboten sein kann – s. dazu etwa Anthony Sheldon, Why every government department needs a resident historian, in: Prospect, 1. Mai 2020, https://www.prospectmagazine.co.uk/politics/government-department-chief-historian-whitehall-number-10-coronavirus-covid-brexit (9.6.2020). Zur Auswirkung militärischer Rhetorik vgl. u. a. Christoph Laucht , Susan T. Jackson, Soldiering a pandemic: the threat of militarized rhetoric in addressing Covid-19, in: History & Policy, 24. April 2020, http://www.historyandpolicy.org/opinion-articles/articles/soldiering-a-pandemic-the-threat-of-militarized-rhetoric-in-addressing-covid-19.
[2] Katharina Kreuder-Sonnen, Wie man Mikroben auf Reisen schickt. Zirkulierendes bakteriologisches Wissen und die polnische Medizin, 1885–1939. Tübingen 2018, hier und zum Folgenden S. 121–139.
[3] Kreuder-Sonnen, Wie man Mikroben auf Reisen schickt, S. 139.
[4] Zur Spanischen Grippe s. Laura Spinney, 1918. Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte, München 2018.
[6] Kreuder-Sonnen, Wie man Mikroben auf Reisen schickt, S. 243–254.
[7] Lesław Portas, Rudolf Weigl – jego szczepionka przeciwtyfusowa a wojna / Rudolf Weigl, sein Flecktyphusimpfstoff und der Krieg, in: Ute Caumanns, Fritz Dross, Anita Magowska (Hg.), Medizin und Krieg in historischer Perpsektive / Medycyna i wojna w perspektywie historycznej, Frankfurt a. M. 2012, S. 173–187.