Weniger, besser, aussichtsreicher
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30.000 abgeschlossene Promotionen jedes Jahr: Wenn wir die Karrierechancen im Wissenschaftssystem verbessern wollen, müssen wir auch über die Zahl der Doktoranden reden. Ein Gastbeitrag von Johannes Freudenreich.
Johannes Freudenreich ist Geschäftsführer der Potsdam Graduate School an der Universität Potsdam. Foto:
privat.
DIE DEBATTE um die Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) ist in vollem Gange. Gesucht wird eine Regelung, die eine hochwertige wissenschaftliche Ausbildung ermöglicht,
Planungssicherheit für Forschende schafft und das Wissenschaftssystem insgesamt innovativ und flexibel hält. Das ist eine schwierige Aufgabe, zumal die zentrale Logik des WissZeitVG in der
Diskussion meist aus dem Blick gerät: die Qualifizierung. Sie allein begründet das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft und damit die Abweichung von üblichen Arbeitsvertragsregelungen.
Die Promotion ist heute häufig die letzte formale wissenschaftliche Qualifikation, da viele akademische Karrierewege ohne Habilitation auskommen. Auch aus diesem Grund hat der Wissenschaftsrat
Ende April eine umfassende Würdigung der Promotion in Deutschland vorgelegt und auf drei deutsche Besonderheiten hingewiesen: Erstens wird die Promotion in Deutschland nicht primär als
Qualifikationsleistung im Sinne eines dritten Zyklus der Hochschulausbildung verstanden, sondern der eigenständige Forschungsbeitrag steht im Vordergrund. Zweitens ist die Promotion in den
unterschiedlichen Fachdisziplinen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Drittens ist die Promotionsquote, also das Verhältnis von Promotionen zu promotionsberechtigten Hochschulabschlüssen, über
alle Fächer hinweg etwa doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt.
Jährlich schließen in Deutschland rund 30.000 Personen ihre Promotion ab, dem stehen rund 4.000 unbefristete Stellen in der Wissenschaft gegenüber, die jedes Jahr neu besetzt werden können, wie
Peter-André Alt kürzlich in einem lesenswerten Artikel in der Welt darstellte. Das heißt, eine Promotion qualifiziert in aller Regel für eine langfristige Karriere außerhalb der
Wissenschaft. Trotzdem bleibt das Karriereziel für viele, auch aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Promotion, weiter die Wissenschaft.
Ein Dilemma, drei mögliche Lösungen
Grundsätzlich kann dieses Dilemma nur durch drei Maßnahmen gelöst werden: Erstens könnte die Zahl der jährlich zu besetzenden unbefristeten Stellen in der Wissenschaft langfristig deutlich erhöht
werden. Zweitens könnte der Übergang zum außeruniversitären Arbeitsmarkt effizienter gestaltet und die Promovierenden besser und früher für diese Karriere vorbereitet werden. Drittens könnte die
Promotionsquote gesenkt werden.
Letztere Option wird selten diskutiert, da Doktorandinnen und Doktoranden in vielen Forschergruppen einen Großteil der Forschungsarbeit leisten und befürchtet wird, dass die wissenschaftliche
Leistungsfähigkeit Deutschlands bei einem Rückgang der Promovierendenzahlen gefährdet sei. Tatsächlich ist der leichte Anstieg der jährlichen Promotionen – in den vergangenen 20 Jahren rund 15
Prozent – unter anderem auf die gestiegene Drittmittelfinanzierung zurückzuführen, die auch mit Exzellenzinitiative und -strategie zusammenhängt. Zudem ist die Zahl der Promotionen häufig
ein Kriterium bei der leistungsorientierten Mittelvergabe an Universitäten. Auch aus diesem Grund stellt der Wissenschaftsrat fest: "Eine Selbstbeschränkung der Einrichtungen bei der Zulassung
von Doktoranden und Doktorandinnen [ist] nicht zu erwarten."
Wie könnte eine Senkung der Promotionsquote sinnvoller Weise aussehen?
Die Promotionsquoten variieren zwischen den Fächern stark. Sie reichen laut Wissenschaftsrat von 4 Prozent in den Kunstwissenschaften über 38 Prozent in Mathematik und Naturwissenschaften bis zu
56 Prozent in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften. Auch die Betreuungsrelationen schwanken: In den Geisteswissenschaften sowie den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften werden
durchschnittlich fünf Promovierende gleichzeitig von einer Professur betreut.
In den Mathematik- und Naturwissenschaften ist eine Professur für durchschnittlich sieben Promovierende zuständig. In der Medizin und den Gesundheitswissenschaften sind es etwa zehn Promovierende
gleichzeitig pro Professur, wobei dort die Promotion im Gegensatz zu den anderen Fächern häufig studienbegleitend erfolgt. Zwar haben sich in den Fächern unterschiedliche Betreuungsmodelle
etabliert, die eine qualitativ hochwertige Betreuung gewährleisten sollen. Der Wissenschaftsrat sieht jedoch weiter die Gefahr, dass eine angemessene Betreuung nicht mehr gewährleistet werden
kann, wenn zu viele Promovierende auf eine Betreuungsperson kommen.
Die Zahl der Promotionen reglementieren
Ich plädiere daher dafür, dass wir Promotionsquoten, Betreuungsrelationen und Betreuungsmodelle viel stärker als bislang in den Vordergrund der Debatte stellen. Hier wird es auch in Zukunft
Unterschiede zwischen den Fächern geben müssen, weil die Art der Forschung und die Anschlussfähigkeit an den außeruniversitären Arbeitsmarkt unterschiedlich sind. In jedem Fall aber müssen wir
mehr in die Exzellenz der einzelnen Promotionsprojekte investieren, was auf weniger, dafür aber gut ausgewählte, intensiv betreute und ausreichend finanzierte Promotionsprojekte hinausläuft.
Bereits bei der Zulassung zur Promotion muss es klare und transparente Qualitätskriterien für die Auswahl und Betreuung geben, und die Qualitätssicherung muss intensiviert werden.
Es könnte zum Beispiel festgelegt werden, wie viele Promotionen maximal von der Professorenschaft qualitativ hochwertig parallel betreut und wie promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter offiziell in die Betreuung einbezogen werden können. Durch die reglementierte Zahl von Promotionen würden Anreize geschaffen, Promotionsvorhaben zügig und erfolgreich abzuschließen –
oder bei wenig aussichtsreichen Promotionsvorhaben die Promovierenden bei einer frühzeitigen beruflichen Neuorientierung zu unterstützen.
Für die Diskussion um das WissZeitVG ist eines entscheidend: Bessere Betreuungsrelationen führen zu weniger, dafür besser qualifizierter Forschenden, denen deutlich bessere Karriereoptionen zur
Verfügung stehen. Damit wird deutlich Druck aus dem deutschen Wissenschaftssystem genommen.
Viele Vorschläge, die derzeit im Rahmen der Novellierung des WissZeitVG diskutiert werden, gehen aus meiner Sicht am Kern des Problems vorbei, nämlich an der Frage der hochwertigen Qualifizierung
von Forschenden. Das liegt auch daran, dass wir nicht über Betreuungsrelationen und Betreuungsmodelle in der Wissenschaft diskutieren. Wenn wir uns stattdessen auf die Vertragslaufzeiten
konzentrieren, ist die Gefahr groß, dass wir entweder ein für die Wissenschaft zu starres System schaffen, dass wir die Innovationsfähigkeit des Wissenschaftssystems aus dem Blick verlieren –
oder dass sich an der jetzigen Situation kaum etwas ändert. Damit wäre auch der Planungssicherheit der Forschenden nicht gedient.
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