Herrschaft ist ein fundamentaler Tatbestand menschlichen Zusammenlebens. Gesellschaftliche Ordnung ohne Herrschaft scheint nicht möglich zu sein. Diese Einführung macht Herrschaft als eine soziale Institution erkennbar, die in ihren verschiedenen Varianten mit typischen Folgeproblemen behaftet ist, die jeweils andere Lösungen erfordern. Herrschaft in Gesellschaften mit umfassenden Menschen- und Bürgerrechten stellt die Herrschaftssoziologie vor ein besonderes Problem: Mit Blick auf die besondere Legitimationsbedürftigkeit von Herrschaft muss sie eine Antwort auf die Frage nach den möglichen Anerkennungsgründen von Herrschaft durch die Beherrschten finden.
Stefan Breuer: "Max Webers Herrschaftssoziologie". (Reihe Theorie und Gesellschaft. Herausgegeben von Axel Honneth, Hans Joas und Claus Offe, Band 18), Campus Verlag, Frankfurt/New York 1991. 254 S., kt., 48,- DM
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 718-720
"Es gibt plausible Gründe, die Modernisierungstheorie als einzigen Kandidaten für eine soziologische Erklärung von Transformationen anzusehen - wenn man außerdem die Systemtheorie als Parasiten (Serres) hineinkopiert. 1. Mit Ludwig Gumplowicz (1838-1909) liegt ein Gegenentwurf vor, Modi von 'Sozialer Ausbeutung' zu differenzieren. Dieser ist unbekannt. Deshalb wird zuerst die neuere, äußerst schmale Sekundärliteratur (z. B. Brix, Goetze, Hohmeier, Knoch, Mozetic, Müller) zu G. in aller Knappheit referiert, um zu zeigen, daß bei G. Konzepte entwickelt worden sind, die der gesellschaftlichen Verdrängung unterliegen. Während häufig bei anderen Klassikern der Soziologie die Elemente rekonstruiert werden, die heute anschlußfähig sind, muß es sich bei G. darum handeln, die Thesen zu isolieren, die einer 'gesellschaftlichen Produktion von Unbewußtheit' (Erdheim) zum Opfer gefallen sind. Damit ist eine wissenssoziologische Annahme verbunden, daß soziologische Wahrheiten gesellschaftlich 'vergessen' werden müssen, um einen revolutionären Pfad wählen zu können, der unter dem Titel (Fortschritt) wohlvertraut ist. 2. 'All und jeder Staat ist ein Inbegriff von Einrichtungen, welche die Herrschaft der einen über die andern zum Zwecke haben, und zwar wird diese Herrschaft immer von einer Minorität über eine Majorität geübt. Der Staat ist daher eine Organisation der Herrschaft einer Minorität über eine Majorität.' (Grundriss der Soziologie, zuerst: 1885). Ich möchte nun versuchen zu zeigen: 1) daß diese These bei G. wohlbegründet ist, 2) sie mit anderen theoretischen Paradigmen kompatibel ist (Marxismus, Franz Oppenheimer, Rüstow), 3) sie selbstverständlich für demokratische Regime gilt und daher den Transformationsprozeß 1989/1990 beschreiben kann. 3. Schließlich ist theoriegeschichtlich der Zusammenhang zu Simmel auffällig, den G. ausdrücklich thematisiert, und der bei Simmel trotz dessen Kritik an G. in zentralen Passagen der 'großen Soziologie' von 1908 (bes.:'Über- und Unterordnung') nachweisbar ist. Die Besonderheit von G. gegenüber Simmel ist allerdings seine ungemein genaue Kenntnis der juristischen Denkformen (Rechtsstaat und Sozialismus / Geschichte der Staatstheorien), welche eine argumentative Überlegenheit von G.'s Herrschaftssoziologie sowohl zu Simmel, wie auch, eingeschränkter, zu Weber und Tönnies, bewirkt." (Autorenreferat)
Die "Herrschaftssoziologie" Max Webers, so wie sie heute vorwiegend rezipiert wird - nämlich als Herrschaftstypologie - , ist ein spätes Produkt seines wissenschaftlichen Schaffens. Ihre endgültige Gestalt erhielt sie erst in den Jahren 1919/20 und erst in diesem Zusammenhang verwendete Weber selbst den Terminus "Herrschaftssoziologie". Der vorliegende Beitrag rekonstruiert die Entwicklungsstufen der Herrschaftssoziologie. Dazu werden zunächst die Genese und Konturen von Webers Herrschaftsbegriff nachgezeichnet und dann ältere Fassungen der Herrschaftssoziologie dargestellt. An und mit ihnen demonstriert die Autorin, wie Konzeption, Methodik und Inhalt Gestalt angenommen haben, so dass eine stringente "Typologie der Herrschaft" entstehen konnte. Aus der Werkanalyse lassen sich drei Ergebnisse festhalten: (1) Die Legitimitätstypologie von 1914 war noch nicht die tragende Achse der Herrschaftssoziologie. (2) Weber wendete sich von vornherein gegen alle linearen Stufenmodelle, d.h. der Konstruktion einer Abfolge der Herrschaftsmodelle, beginnend mit der charismatischen Herrschaft und dem Patrimonialismus bis hin zum bürokratischen Anstaltsstaat. (3) Die Entwicklung der Typen orientiert sich vorrangig am Thema der "fortschreitenden Rationalisierung aller Lebensbereiche". (ICA)
Der Beitrag behandelt die Frage, wie Max Weber die Herrschaftsstruktur innerhalb der antiken Städte kennzeichnet und wie sich seine inhaltlichen Ausführungen zu seinen generellen Typologien im Kontext der Herrschaftssoziologie verhalten. Die Bemerkungen beziehen sich auf die griechisch-römische Antike unter Ausschluss des Alten Orients (der in Webers Darstellungen einen breiten Raum einnimmt). Textgrundlage ist Webers Abhandlung "Die Stadt", die posthum in "Wirtschaft und Gesellschaft" integriert worden ist. Der Autor zeigt, das und wie Weber der antiken Demokratie mit ihren Demagogen eher mit Misstrauen und kaum verhohlener Ablehnung begegnet, während er das aristokratische Regime Roms, in dem frühere Beamte und eine grundbesitzende Honoratiorenschicht für ein hohes Maß an Rationalität und Stabilität der Politik sorgten, mit Sympathie betrachtet. Insgesamt äußert der Autor Zweifel, ob die Beispiele der athenischen Demokratie und die Machtstellung römischer Volkstribune zur Stützung des Modells der "charismatischen Führerdemokratie" in Webers Herrschaftssoziologie tauglich sind. (ICA)
Klappentext: Max Webers Herrschaftssoziologie bietet einen weltweiten Überblick über Herrschaftsformen der Vergangenheit. Darin werden Phänomene von ungebrochener Aktualität thematisiert, wie z. B. das Charisma von Politikern oder die über Hand nehmende Bürokratisierung, die nicht nur den einzelnen Bürger einschränkt, sondern auch demokratische Entscheidungsprozesse beeinflusst. Für den vorliegenden Band haben anerkannte Wissenschaftler aus der Perspektive ihres Fachs ganz unterschiedliche Facetten der Herrschaftssoziologie, ihrer Vorgeschichte und ihrer Anwendungsmöglichkeiten erforscht. Die kritische Auseinandersetzung und die zum Teil auch provokanten Thesen tragen zu einer Verständigung und Neubewertung von Max Webers komplexer und vielschichtiger Konstruktion bei.