Die kulturelle Diversität Indiens ist einzigartig und es gilt als unverkennbares Charakteristikum des Landes, diese Einheit in Vielfalt mit all ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen seit der Unabhängigkeit bewahrt zu haben. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts mehren sich jedoch die Anzeichen, dass dieser auf kultureller Vielfalt beruhende Einheitsgedanke zunehmend ins Wanken gerät. Die politische Machtverschiebung hin zur hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) ergibt noch nie dagewesene Einflussmöglichkeiten für den radikal hindu-nationalistischen Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Über die Hindutva-Ideologie wird der Aufbau einer Hindu-Rashtra, einer Hindu-Nation vorangetrieben. Die Frage nach den Beziehungen innerhalb des Dreigestirns RSS-Hindutva-BJP und den damit verbundenen Auswirkungen auf die kulturell so vielfältige indische Gesellschaft steht im Zentrum meiner Forschungen. Die Diplomarbeit umfasst einen allgemeinen Überblick zum RSS und der BJP, der Fokus liegt nachfolgend auf deren Involvierung in hindu-nationalistische Konfliktfelder, darunter etwa der Ayodhya-Konflikt und das Pogrom von Gujarat. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachgegangen, ob es sich beim RSS und der BJP um faschistische Organisationen handelt die vorliegende Arbeit soll einen weiteren Beitrag zu einer möglichen Einordnung leisten. Die zentrale Forschungsfrage liegt jedoch auf den Beziehungen zwischen RSS und BJP sowie ihrem Verhältnis zur Hindutva-Ideologie, die entlang der bisher kaum erforschten Eigenperspektive der beiden Organisationen zueinander diskutiert wird. Das geschieht entlang fundierter Analysen ihrer Websites; darunter befinden sich zahlreiche Artikel, Presseaussendungen, pdf-Versionen von Büchern sowie eine Sammlung sämtlicher BJP-Wahlprogramme. In einem abschließenden Kapitel werden durch qualitative Interviews Einblicke in subjektive Zugänge zum Dreigestirn RSS-Hindutva-BJP von in Graz lebenden InderInnen gegeben. ; India's cultural diversity is unique and as a distinctive characteristic, Indian "unity in diversity" taking all its difficulties and challenges into account has been present since the independence. However, this concept of being united in diversity has increasingly become unstable since the beginning of the 21st century. The political power shift towards the Hindu-nationalistic Bharatiya Janata Party (BJP) offers influence for the radical Hindu-nationalistic Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) which has never been seen before. Through the so called Hindutva-ideology, the building of a Hindu-Rashtra a Hindu-nation is in progress. Therefore the focus of my survey is regarding the relation of the triumvirate RSS-Hindutva-BJP and the resulting consequences for the culturally rich Indian society. The present thesis includes a general overview of the RSS and the BJP; subsequently the focus lies on their involvement in Hindu-nationalistic motivated conflicts such as the Ayodhya-conflict and the Gujarat pogrom. In this context arises the question if RSS and BJP can be considered as fascist organisations the present thesis offers a further input for a possible classification. The central research question though is related to the connections between the RSS and the BJP as well as their relation towards the Hindutva-ideology. This is meant to be discussed from their own perspective towards each other, which has hardly been researched until now. That occurs along with well-founded analysis of both RSS and BJP websites including numerous articles, press statements, pdf-versions of books and a collection of all BJP election manifestos. In the concluding chapter, qualitative interviews offer possibilities of insights regarding perceptions of the triumvirate RSS-Hindutva-BJP from Indians living in Graz. ; vorgelegt von Jürgen Holzer ; Abweichender Titel laut Übersetzung des Verfassers/der Verfasserin ; Karl-Franzens-Universität Graz, Diplomarbeit, 2020 ; (VLID)5215219
Avatare als virtuelle Gestalten in ihren verschiedenen Ausprägungen (von der elektronischen Stellvertreterin einer Userin in einem Grafik-Chatprogramm oder Computerspiel bis zu einem mit künstlicher Intelligenz versetzten Online-Banker oder einem virtuellen Popstar) rücken immer mehr in den Blickpunkt des Interesses von verschiedenen Gebieten wie der Medizin, der Politik, Wirtschaft, Unterhaltungsindustrie und nicht zuletzt geisteswissenschaftlicher Bereiche. Im Kontext von Fragestellungen um Zeichenhaftigkeit von Körpern im Netz in ihrem materiellen/entmaterialisierten Umfeld soll es zunächst einmal darum gehen, über den Umweg einer etymologischen Begriffskritik eine semiotische Analyse des Avatars - in einer seiner Funktionen als elektronischer Stellvertreter des Menschen - zu leisten. Bezeichnet der Begriff 'Avatar' im Hinduismus die zur Erde hinuntergekommene Gottheit in der Gestalt eines Menschen, so ist dieser Avatar, liest man ihn als de Saussuresches Zeichen, das signifiant, der materielle Aspekt des Zeichengefüges, welcher auf die Bedeutungsebene, das zunächst immaterielle signifié, nämlich die Gottheit, verweist. Im Internet verhält sich dies genau umgekehrt: Verweist der Avatar vom funktionalen Aspekt her noch immer auf eine Art Gottheit - User als Kontrollinstanz - so verhält es sich mit den Aspekten von Materialität und Immaterialität umgekehrt: Der Avatar als signifiant ist als Bewohner einer virtuellen Welt in gewissem Sinne immateriell und verweist auf den User in dessen materieller, realweltlichen Entität. Wie dies anhand einiger Beispiele aus der Filmwelt aufgezeigt wird, verweist das Konzept des autonomen Avatars - der künstlich-intelligenten, selbstgesteuerten Netz-Existenz -, spannt man den Bogen von de Saussure weiter, auf das semiotische Paradox des selbstreferentiellen Zeichens und wirft weitere Fragen auf in Bezug auf Dualitäten von Materialität/Immaterialität und Real Life/Virtual Reality.
Religionen beeinflussen das Verhalten von Menschen. Ihr Einflussvermögen kann zum einen ganz offenkundig in Politik und Gesellschaft in Erscheinung treten, zum anderen wirken Religionen über ihre affektive Verankerung eher im Verborgenen. Darüber hinaus hat Religion auch eine ökonomische Bedeutung. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, ob und mit welcher Stärke Religionen einzel- und wirtschaftspolitisches Handeln beeinflussen können und ob dieser Einfluss eher wirtschaftsfördernd, neutral oder sogar wirtschaftshemmend in Erscheinung tritt. Die vorliegende Arbeit analysiert und vergleicht mithilfe einer empirischen Studie das Einflussvermögen des Hinduismus und Buddhismus auf die Einstellungen und Handlungsweisen von Unternehmern in Nepal. Interdependenzen von Religion und Ökonomie werden in ausgewählten Themenbereichen untersucht, die sich dadurch auszeichnen, dass sie neben ihrer einzelwirtschaftlichen Relevanz auch gesamtwirtschaftliche Wirkungen implizieren. Dazu gehören: Karma und Wiedergeburt, Frauen als Humankapital-Ressource, Vertrauen und Netzwerkstrukturen sowie Aspekte der religiösen Ethik im Hinblick auf die Bereitschaft zur Mitwirkung bei Korruptionshandlungen. ; Religion influences the behavior of people. Its impact is quite obvious in politics and society, but religion also has more subtle impacts on economic behavior of populations and on economic policy. From the economic point of view, it is important to figure out how and how intensive religion affects economic attitudes and behavior and if its outcome is rather conducive, neutral or even negative for the economic development of a country. This research study analyses and compares the impact of Hinduism and Buddhism on economic decision-making of entrepreneurs in Nepal and its macroeconomic implications. Research areas were selected as follows: Karma and rebirth, women, trust and networking and religious ethics in the context of corruption.
Es sind nun schon drei Jahre, dass eine von der Partei der Hindunationalisten geführte Regierung in Delhi regiert. Am 18. März 1998 trat das erste Kabinett Vajpayee an und hielt sich etwa ein Jahr lang, bis einer der 18 Koalitionspartner absprang und damit die Regierung zu Fall brachte. Nachdem die Kongresspartei unter Sonia Gandhi sich als unfähig erwiesen hatte, eine neue Regierung zu bilden, wurden Neuwahlen für den Herbst 1999 ausgeschrieben. In diesen wurde die Regierung Vajpayee bestätigt, diesmal auf einer noch breiteren Koalitionsbasis von 24 Parteien. Diese Koalition (National Democratic Alliance – NDA) gewann zusammen 301 Sitze (von insgesamt 543), die Bharatiya Janata Party (BJP) alleine kam auf 182 Sitze und hatte 23,70% aller Stimmen bekommen.
This paper explores the political thought during the 1920s of Lala Lajpat Rai (1865–1928), a prominent anti-colonial nationalist. It outlines the historical context under which a secular politics became vital for Rai, and elaborates the intricate internal texture of his complex, often fluid vision of secularism. The second half of the paper explores the theoretical implications of Rai's dynamic position. It illustrates how Lajpat Rai simultaneously articulated both a Hindu communal politics and a vision of secularism. By so doing, this paper challenges the long-drawn strict dichotomy between Hindu politics or Hindu 'communalism' and Indian secularism. Yet, the paper also pushes back against revisionist scholarship which, in challenging assumptions of strict mutual exclusivity between Indian secularism and Hindu communalism, has tended to overlook and undermine meaningful distinctions that still exist between these categories. This paper insists on the need to retain and respect the analytical distinctions between the two categories, even while recognising that they do not always exist in relation to each other as a strict dichotomy. Unearthing a hitherto-hidden Indian secularism articulated by this 'Hindu communal' politician, the paper will briefly explore the ways in which Rai's complex position overlaps with, and is distinct from, Western variants of secularism, India's constitutional secularism, and the Gandhian-Nehruvian vision, the latter of which became hegemonic till the 1970s. The paper ends by, very briefly, comparing Lajpat Rai's position with Hindutva nationalism – a major influence on the contemporary Hindu right – and by reflecting on the relationship between the Hindu right and secularism.
Ende Februar und Anfang März dieses Jahres fanden in Indien die zwölftegn Parlamentswahlen statt. Sie markieren aufs neue eine politische Entwicklung im zweitgrößten Land dieser Erde, die sich in den vergangenen zehn Jahren eingestellt hat: die Etablierung des Hindunationalismus als einer der tragenden Kräfte in der politischen Landschaft Indiens. Die Partei des Hindunationalismus, die Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei), konnte bei den jüngsten Wahlen ihre Position im indischen Unterhaus, der Lok Sabha, nicht nur weiter festigen, sondern sie schaffte es auch, an der Spitze einer Koalition aus 13 Parteien die neue Regierung zu bilden und das Vertrauen der Mehrheit der Parlamentarier zu erhalten.
The socio-economic status of Indian Muslims is, on average, considerably lower than that of upper caste Hindus. Muslims have higher fertility and shorter birth spacing and are a minority group that, it has been argued, have poorer access to public goods. They nevertheless exhibit substantially higher child survival rates, and have done for decades. This paper documents and analyses this seeming puzzle. The religion gap in survival is much larger than the gender gap but, in contrast to the gender gap, it has not received much political or academic attention. A decomposition of the survival differential reveals that some compositional effects favour Muslims but that, overall, differences in characteristics between the communities and especially the Muslim deficit in parental education predict a Hindu advantage. Alternative outcomes and specifications support our finding of a Muslim fixed effect that favours survival. The results of this study contribute to a recent literature that debates the importance of socioeconomic status (SES) in determining health and survival. They augment a growing literature on the role of religion or culture as encapsulating important unobservable behaviours or endowments that influence health, indeed, enough to reverse the SES gradient that is commonly observed.
Mit dem Entwurf National Education Policy von 2019 werden bildungspolitische Rahmenvorgaben für ganz Indien vorgelegt. Diese läuten einen Paradigmenwechsel der nach eigenem Bekunden größten Demokratie der Welt ein. Ideologische Argumentationen der hindu-nationalistischen Regierungspartei stellen die seit der Unabhängigkeit des Subkontinents säkularplurale Demokratie in Frage. Verfassungsmäßig garantierte Einheit in Vielfalt soll durch inkludierenden Hindu-Nationalismus ersetzt werden. Dadurch werden jene ausgeschlossen, die dieser Ideologie nicht folgen wollen. Welthistorisch implizierte Höherwertigkeit wird mit zivilisatorischen Anfängen im Indus-Tal begründet. Der Beitrag ordnet exemplarische Aspekte des Themas systematisch für aufgeklärte Weltbürger/-innen in- und außerhalb Indiens, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst sind. (DIPF/Orig.) ; The draft of the National Education Policy of 2019 presents an educational policy framework for whole India. This opens up a paradigm shift for the biggest democracy of the world, according to own description. The Hindu nationalist ruling party's ideological arguments question the secular plural democracy that has existed since the subcontinent gained independence. Unity in diversity guaranteed by the constitution shall be replaced by inclusive Hindu nationalism. This excludes those who do not want to follow this ideology. The implied worldhistorical superiority is based on civilizing roots of the Indus Valley. The article sorts out exemplary aspects of the topic systematically for enlightened global citizens in and outside India who are aware of their historical responsibility. (DIPF/Orig.)
This paper takes a close look at the graphic novel The Vanished Path (2015) by comics artist and filmmaker Bharath Murthy. Sub-titled as "a graphic travelogue", The Vanished Path relates Murthy and his wife's pilgrimage, as new entrants to the Buddhist faith, through Hindu-dominated northern India and Nepal, where the religion was born but later lost popularity. Murthy himself acknowledges the influence of manga author Osamu Tezuka's epic series Buddha (1972–1983), set in the era of early Buddhism. However, The Vanished Path departs from Buddha in engaging with religious politics in contemporary India, which has witnessed the recent rise of Hindu militant nationalism. My analysis shows that while the visual text of The Vanished Path presents an overt plea for rehabilitating early Buddhist thought in modern India, the visual text concurrently encodes a covert defence of the longstanding tradition of secular values in the region. This tradition encompasses the acceptance of religious minorities. The paper also addresses creative engagements in comics and graphic novels between two different Asian cultures, as opposed to the critically familiar historical and geopolitical nexus between Western countries and India. ; U radu se analizira grafički roman The Vanished Path [Iščezli put], nedavno objavljen u izdanju indijske podružnice svjetskoga izdavača HarperCollinsa (2015), crtača stripova i filmaša Bharatha Murthyja. Podnaslovljen "grafički putopis", The Vanished Path govori o hodočašću Murthyja i njegove supruge, novoobraćenika na budizam, kroz rodno mjesto te religije – sjevernu Indiju i Nepal, gdje dominira hinduistička vjeroispovijest i gdje je budizam s vremenom izgubio na popularnosti. Sam Murthy kao važan utjecaj navodi epsku seriju autora mangi Osamua Tezuke Buddha (1972. – 1983.), smještenu u razdoblje ranoga budizma. Međutim, The Vanished Path od Buddhe razlikuje interes za vjersku politiku suvremene Indije, definiranu nedavnim usponom hinduističkoga militantnoga nacionalizma. Provedena analiza pokazuje da vizualni tekst grafičkoga romana The Vanished Path predstavlja otvoreni poziv na rehabilitaciju rane budističke misli u suvremenoj Indiji, a istodobno neizravno staje u obranu dugovječne tradicije sekularnih vrijednosti na tome području. Ta tradicija uključuje prihvaćanje religijskih manjina. Rad se također osvrće na kreativnu interakciju u stripu i grafičkome romanu između dviju azijskih kultura nasuprot u kritici uvriježenome povijesnome i geopolitičkome povezivanju zapadnih zemalja i Indije. ; Den Untersuchungsgegenstand dieses Beitrags bildet der graphische Roman The Vanished Path (2015) des Comiczeichners und Filmregisseurs Bharath Murthy. In dem mit dem Nebentitel "Ein graphischer Reisebericht" versehener Roman wird die Reise von Murphy und seiner Ehefrau als buddhistische Neubekehrte durch das Gebiet Nordindiens und Nepals beschrieben, das als Geburtsstätte des Buddhismus gilt, wo allerdings diese Religion an Popularität eingebüßt hat und wo sich der Hinduismus breit machte. Murthy selbst erklärt, unter großem Einfluss des vom Manga-Autoren Osamu Tezuka verfassten epischen Werkes Buddha (1972–1983) zu stehen, dessen Handlung in der Zeit des frühen Buddhismus spielt. Dennoch liegt der Unterschied zwischen Tezukas und seinem Werk in Murthys Interesse an der durch den jüngsten Aufstieg des hinduistischen militanten Nationalismus bestimmten Religionspolitik des modernen Indiens. Aus der im Beitrag vorgenommen Werkanalyse geht hervor, dass der visuelle Text des graphischen Romans The Vanished Path zwar zur Rehabilitierung des frühen buddhistischen Gedankenguts offen aufruft, zugleich aber die langfristig praktizierte säkulare Tradition in diesem Bereich verteidigt, wonach das Vorhandensein von religiösen Minderheiten akzeptiert wird. Im Beitrag wird gleichfalls auf die kreative Interaktion im Bereich des Comics und des graphischen Romans zwischen diesen zwei asiatischen Kulturen eingegangen, und zwar trotz der in der Kritik sehr oft vorkommenden geschichtlichen und geopolitischen Verknüpfung Indiens mit den westlichen Ländern.
Kapitel 1 hat ein virtuelles Panoramabild Asiens im 21. Jh. präsentiert. In Kapitel 2 sind die potentiellen Träger künftiger Entscheidungen und in Kapitel 3 die aller Erwartung nach voraussichtlich in den Vordergrund tretenden Themen skizziert worden. Kapitel 4 hat die wirtschafts-, die politik- und die sozialstrategischen Strategien präsentiert. Kapitel 5 behandelte Stilfragen, wobei Abschnitt 1 die Perspektive von unten nach oben beleuchtete, also jene Erwartungen skizzierte, die von der Basis an die Führungselite herangetragen werden, während Abschnitt 2 die umgekehrte Blickrichtung bezog und die Verhaltenserwartung der Führung gegenüber der Bevölkerung beschrieb. In Kapitel 6 schwenkt der Scheinwerfer weg von äußeren Verfahrensmodalitäten und Ritualen hin zu den inneren Bestimmungsgründen, also zu den Grundsätzen, Motiven und Wertehaltungen, deren "kulturelle" Ausprägung erst begreifbar werden läßt, warum sich die Angehörigen einer Kultur in dieser oder jener Situation so - und nicht anders - verhalten.
Taking the example of recent educational reform movements in India, we identify in an exemplary way nationalization tendencies in the education sector. Thereby, we stress the sociocultural embedding in the present as context of the emergence of these nationalist future visions. In the education sector, likewise as in other sectors, the past is a point of reference to legitimate and enforce specific futures. Following Appadurai, we define future as well as the past as cultural fact. Focusing upon India and the development of a new National Education Policy (NEP) as the field of study, we show exemplarily how an imagined past is used to promote the implementation of Hindu-fundamentalist educational reforms or a sanskritization of education in the present time. Finally, we discuss some possible consequences. (DIPF/Orig.)
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine ethnologische Studie zu einem Konflikt um zwei Tourismusinvestmentprojekte in dem Naturerholungsgebiet Taman Wisata Alam (TWA) Buyan-Tamblingan in Nordbali (Indonesien). Die Autorin legt besonderen Fokus auf Landschaftskonzepte, die als Hauptargumente im Konflikt eingesetzt wurden. Grundlage der Dissertation bildet eine einjährige ethnographische Feldforschung in einem hauptsächlich aus fünf Dörfern bestehenden multi-lokalen Feld; ergänzt wurde sie durch zwei Wiederholungsstudien von jeweils fünf Wochen (Juli/August 2012 und Januar/Februar 2016). Die Arbeit analysiert im empirischen Teil diese unterschiedlichen Landschaftskonzepte als Hauptargumente der jeweiligen Positionen im Disput, indem sie die emischen Perspektiven vorstellt und sie vor dem theoretischen Hintergrund der Politischen Ökologie mit dem besonderen Fokus auf die Machtdimension und ungleiche Machtstrukturen betrachtet. Dabei ließ sich eine grobe Einteilung in drei wesentliche Landschaftskonzepte vornehmen: eine sakrale, tourismus-kritische Betrachtungsweise, eine naturwissenschaftlich-ökologische Perspektive sowie ein kapitalistisches, tourismusbefürwortendes Landschaftskonzept. Land wird in dieser Studie nicht nur unter dem Aspekt der Verteilungsungleichheit betrachtet, sondern unter demjenigen der flexiblen, nebeneinander bestehenden und einander widersprechenden Konzepte von Raum und Landschaft, welche als wirkmächtiges Instrument im Konflikt um Tourismusinvestment in der Region Buyan-Tamblingan dienten. Das sakrale, tourismus-kritische Landschaftskonzept, das den Wald um die Seen als eine Einheit aus Menschen, Natur (Tiere und Pflanzen, Boden) und geistigen Wesen voraussetzt, wurde von einer Allianz aus lokalen adat-Vertreter*innen, Umwelt-NGOs und lokalen Medien einer profanen, auf eine touristische Eignung beschränkte Sichtweise gegenübergestellt und im Disput erfolgreich eingesetzt. Das Fallbeispiel offenbart, dass die bislang als dem lokalen adat bzw. der hindu-balinesischen Religion folgend verstandenen sakralen Raumordnungsprinzipien nicht eindeutig und dauerhaft festgeschrieben sind, sondern – wie in anderen touristisch entwickelten Gebieten Balis – flexibel eingesetzt werden können. Die Frage der touristischen Entwicklung wird also mithilfe der Landschaftskonzepte äußerst flexibel und je nach aktuellem Bedarf verhandelt. Die Studie beleuchtet zudem das Spannungsfeld von traditionsbetonten, hierarchischen Strukturen und staatlich geförderten, dezentralisierenden Bestrebungen und eine Verschärfung von Konflikten zwischen und innerhalb von Dörfern, verursacht durch die rechtlichen Veränderungen im Zuge der Dezentralisierung und angestoßen durch das Interesse der kapitalistischen Investor*innen hinsichtlich des Sakralgebietes. ; This social anthropological study deals with the tug-of-war which arose at the emergence of two investment projects in the Nature Recreation Area of Buyan-Tamblingan in Northern Bali (Indonesia). The conflict was triggered off by judicial innovation in the wake of Indonesia's decentralisation scheme. The study is focused on landscape concepts and the way they were used as key arguments in the dispute. The ethnographical thesis is based on a twelve month empirical study in a multi-sited field comprising half a dozen villages. The findings were rounded off during two re-studies of five week duration each (July/August 2012 and January/February 2016). In the empirical section the author, setting forth the emic perspectives of the participants, discerns various landscape concepts which were used as key arguments for the contestants. Employing categories of political ecology, she concentrates on dimensions and inequitable distribution of power. Consequently, the issue of tourism development is dealt with according to the contesting actors' respective aims and goals. The author arrives at the distinction of three landscape concepts, one being the Hindu-Balinese space order, which is sceptical of the benefits of tourism, another the scholarly approach of the sciences worried about ecological disturbances and last but not least the tourism-friendly business-oriented philosophy of capitalism. In this study place and space are not only considered in terms of their unequal distribution; rather landscape is considered as a kaleidoscope of flexible if contradictory concepts of place and space existing side by side, providing potent arguments both to ward off and promote tourism investment in the said nature recreation park, a site sacred to the Hindu-Balinese population. It was an alliance of local adat-representatives, environmental NGOs, and local media that defended successfully the sacred tourism-critical concept of landscape considering forests and lakes as an indivisible unit of spiritual, human, and natural beings (such as flora, fauna and soil) as opposed to any profane view restricted to considerations of suitability for tourism purposes. In this case study it is revealed that concepts of space, which up to now have been looked upon as 'traditional' and in keeping with the local Hindu-Balinese religion, are really not respected as rigidly dogmatic as has been assumed so far; on the contrary, they are adaptable as circumstances change – in keeping with conditions in other regions of Bali. Questions of tourism development are negotiated with great flexibility according to varying topical requirements. The study also illuminates the frictions between traditional hierarchical power structures and the state's decentralisation efforts, which through their juridical innovations and ensuing capitalist attention to the sacred area, fans the flames of the conflict.
Mit rund 25-27 Millionen Anhängern ist der Sikhismus die derzeit dritt größte monotheistische Religion der Welt. Entstanden durch Guru Nanak 1496 zur Bekämpfung sozialer Missstände wie zB des in der indischen Gesellschaft vorherrschenden Kastensystems, setzt sich der Sikhismus insbesondere für die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder ihres Geschlechts sowie für die Einheit des gesamten Menschengeschlechts ein.Während die Situation vor allem für Frauen in Indien innerhalb des Islam und Hinduismus aufgrund frauenverachtender Traditionen wie Sati, Bride burning, Dowry death oder Honour killing zur damaligen Zeit besonders tragisch war, hob Guru Nanak durch die Lehre des Sikhismus den Status von Frauen und predigte die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen des Lebens. Ganz besonders setzt sich die sikhistische Lehre seither für die Eliminierung des Kastensystems ein.Diese Arbeit fokussiert die Frage nach der aktuellen Rolle, dem Status und dem Selbstverständnis sikhistischer Frauen in Indien sowie nach ihrer Migration nach Österreich. Durch Führung 'ethnographisch-episodischer Interviews' mit sikhistischen Frauen im Punjab, dem indischen Gründungsbundesstaat des Sikhismus, sowie mit in Österreich lebenden Sikh-Frauen und unter Anwendung der Methoden der 'aktiv teilnehmenden Beobachtung' sowie der 'dichten Beschreibung nach Geertz' und der 'Ethnographie' war es möglich, zu den in dieser Arbeit präsentierten Ergebnissen über das Selbstbild sikhistischer Frauen in Indien und Österreich zu gelangen.Während sikhistische Frauen in Indien vor allem während der gurusalen Periode eine Aufwertung ihres Geschlechts erfuhren, verloren sie diese nach dem Tod des zehnten Gurus, Gobind Singh, wieder und der Einfluss der patriarchal geprägten hinduistisch-muslimischen indischen Gesellschaft verstärkte sich erneut auch auf die sikhistische Region des Punjabs. Erst seit einigen Jahren lässt sich innerhalb des Sikhismus eine zunehmende Rückbesinnung auf die ursprüngliche Lehre der Gurus hinsichtlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau konstatieren und sikhistische Frauen in Indien sind in vielen Bereichen des Lebens bereits gut etabliert.Für sikhistische Frauen in Österreich ist die Frage der Gleichberechtigung eng mit dem Zeitpunkt ihrer Migration nach Österreich verbunden. Während die Migration und Integration in Österreich für Frauen der ersten Migrationsgeneration sehr schwierig gewesen sei und sie ihre Rolle und ihr Selbstverständnis neu ordnen hätten müssen, sei dies für die junge Generation meist junge Mädchen, welche bereits in Österreich geboren oder in sehr jungen Jahren hierher migriert seien leichter gewesen und sie hätten hier nach eigenen Angaben mit keinen bzw. nur wenigen Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts zu kämpfen.Doch obwohl Frauen im Sikhismus sowohl in Indien als auch Österreich in vielen Bereichen des Lebens bereits Gleichberechtigung erfahren würden, so ist diese für Frauen auch innerhalb des Sikhismus trotz ursprünglicher Lehre der Gurus noch nicht (wieder) völlig erreicht. ; Sikhism belongs to the world's major religions. With around 25-27 million followers Sikhism is the third biggest monotheistic religion in the world. Founded by Guru Nanak in 1496, near Lahore in Pakistan, Sikhism especially focuses on the equality of all human beings without any discrimination of people with regard to their sex, caste, origin, colour of skin or religion. While the situation for women within Islam and Hinduism was really difficult in India in those days, due to cruel traditions like Sati, bride burning, dowry death or honour killing, Guru Nanak improved the status of women and provided and preached equality for women in all fields of social, political, economic and religious life. Being himself a member of a trading-family of the Khatris-caste he denounced and disapproved of the Indian caste system, which is still although prohibited by law predominant within Indian society.This thesis puts a focus on the role, the status and especially on the self-defining position of Sikh women within the political, economic, educational, religious and social life in India as well as their selfimage after their migration and settlement in Austria. Due to taking 'ethnographic-episodical interviews' with Sikh women in Punjab, the Homeland of Sikhism, as well as with Sikh women in Austria, in combination with the method of 'active participating observation' as well as using the methods of 'ethnography' and 'deep description' of Geertz, it was possible to get useful results presented in this thesis.While in India gaining and enjoying a better status during the lifetime of the ten Gurus of Sikhism, women lost that status after the death of the tenth Guru, Gobind Singh in 1708 and again became suppressed within a male dominated society. Only in the last few decades has a change started again and Sikh women in India are facing and fighting for the resuscitation of their equality and they have already reached high levels in nearly all fields of life.For Sikh women in Austria the situation regarding equality equality between Sikh men and Sikh women as well as non-Sikh-Austrian-women is in many respects a matter of generation. While for the first generation of women migration to Austria was quite challenging and associated with a lot of disadvantages concerning their status, the younger generation young women, mainly born in Austria is (and will in future be) able to reach an equal status in their social, economic and religious life.But although Sikh women in India as well as in Austria have already reached high levels in many fields they still have to go a long way to reach equality (again). ; vorgelegt von Mag. Martina Rennhofer ; Abweichender Titel laut Übersetzung des Verfassers/der Verfasserin ; Karl-Franzens-Universität Graz, Dissertation, 2016 ; OeBB ; (VLID)1592833
Ethnologie und Inszenierung ist ein Sammelband mit Texten zur Theaterethnologie. Zwanzig Autoren bringen Beispiele für Ansätze zur Theaterethnologie (so der Untertitel) aus Europa, Lateinamerika, Afrika sowie Süd- und Südostasien. Diese Ansätze behandeln die vielschichtige Beziehung von Ethnologie, Theater und Inszenierung. Die Herausgeber sind Ethnologen der Universität Marburg. Als Ethnologen begreifen sie die Theaterethnologie als einen "Zweig der Ethnologie, der sich mit Theatralischem befaßt". Eine Einschätzung, die den Protest der Theaterwissenschaftler auf den Plan rufen müßte. Denn gerade diese Einschränkung auf einen Zweig der Wissenschaften glaubte man mit dem Konzept der Theaterethnologie, einem Ansatz, der notwendigerweise mit interkulturellen Erfahrungen arbeitet und wissenschaftliche Analysen idealerweise von mehreren Seiten zuläßt, überwunden zu haben. Nur zwei der insgesamt zwanzig Autoren, Christopher Balme und Mark Pizzato, sind ausgewiesene Theaterwissenschaftler. Die übrigen Verfasser sind (bis auf einen Erziehungswissenschafter) Ethnologen oder Anthropologen. In fünf Kapiteln werden sowohl wissenschaftsgeschichtliche Themen aufgearbeitet und kulturelle, rituelle und politische Inszenierungen untersucht als auch experimentelle Ansätze aufgezeigt. Aufgrund des relativ jungen Forschungsgegenstandes ist das Arbeitsfeld Theaterethnologie naturgemäß noch nicht präzise differenziert. Daher sind die im Buch befindlichen Aufsätze auch sehr breit gestreut, wodurch der fächerübergreifende Anspruch dieser Disziplin betont wird: von wissenschaftsgeschichtlichen Ausführungen bis zur ungewöhnlichen Beschreibung des Weges einer Maske von ihrer Musealisierung zurück zum Auftritt auf der Bühne. Schmidt und Münzel bezeichnen als Theaterethnologie "die ethnologische Annäherung an bewußt, geplant inszenierte Aufführungen unterhaltsamen Charakters", es handle sich "um die Dialektik von Spiel und Ernst in Aufführungen" (S. 11). Im ersten Abschnitt gibt Christopher B. Balme einen Überblick über die Entwicklung in der Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum seit den 20er Jahren, setzt diese in Bezug zur Ethnologie und vergleicht dazu die amerikanische Performance Theory wie sie von Richard Schechner vertreten wird sowie Eugenio Barbas Theateranthropologie und Jean-Marie Pradiers französische Ethnoscènologie. Balme weist darauf hin, daß die deutsche Theaterwissenschaft in ihrer Gründerzeit ethnographisch orientiert war. Carl Niessens und Artur Kutschers Handbücher waren völkerkundlich ausgerichtet, beide bezogen sich in ihren Ansätzen auf die Mimus-Theorie des Altphilologen Hermann Reich. Niessens Handbuch der Theater-Wissenschaft stützte sich zu einem großen Teil auf ethnographisches Material. Klaus Peter Köpping spricht in seinem Aufsatz Inszenierung und Transgression in Ritual und Theater von einer beinahe "theatralischen" Wende des ethnologischen Forschungsinteresses und bezieht sich damit auf das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegebene Grundlagenpapier Theatralität – Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften, das davon ausgeht, daß "sich das Selbstverständnis einer Kultur außerhalb Europas/Nordamerikas nicht nur in Texten und Monumenten formuliert, sondern auch – zum Teil sogar vorrangig – in theatralen Prozessen". Köpping diskutiert die Entwicklung einer Performanz-Theorie. Dabei bezieht er sich vor allem auf Victor Turner (soziales Drama) und greift zur Diskussion des Spielbegriffs auf Johan Huizinga und Roger Callois zurück. Köpping betont aber, daß nicht alles Handeln gleichzeitig Performanz ist. Die sozialen Dramen würden, wie auch die rituellen Prozesse, zur Wirklichkeitssphäre gehören und damit eigentlich nicht in das performative Genre des Theaters oder Spiels als Meta-Kommentare der Realität passen. Als wesentlich erachtet er, daß "die klare Unterscheidung zwischen Theater und sozialem wie rituellem Handeln aufrecht erhalten werden [muß], sonst bleibt uns nichts 'Apartes' mehr für das Theater". Köppings selbstverständliche Verwendung des Wortes Performanz mit "z" als eingedeutschte Version ist ein interessanter Beitrag zur notwendigen Begriffsdiskussion und sollte die Debatte darüber beleben. Ein Aufsatz von Ulrike Ziegler über die Visualisierung von Räumen und Grenzen im Spiel der Trickster und Clowns, eine Diskussion von "ritual practices as expressions of pronominal practices" von Tullio Maranhão und Mark Pizzatos "Theaters of Sacrifice" bei den Griechen, Azteken und in der Postmoderne, vervollständigen den ersten Teil des Buches. Im Abschnitt Kulturelle Inszenierungen findet sich unter anderem eine Arbeit von Ana Maria Larrea Maldonado über das schwierige Verhältnis des Staats zum "teatro popular" in Quito. Zensur, Unterdrückung und Abhängigkeit von Auftrittsgenehmigungen durch die Gemeinde kennzeichnen neben ökonomischen Problemen die Situation des "Volkstheaters" in Ecuador. Marianne König widmet sich in ihrem Beitrag dem Modernen Theater in Indonesien. Das moderne indonesische Theater entstand zeitgleich mit dem Nationalstaat Indonesien im Zuge der Unabhängigkeit von Holland nach 1945. Es zeichnet sich durch die Verwendung der "Bahasa Indonesia", der gemeinsamen "indonesischen Sprache", aus. "Modern und indonesisch werden [.] zu Synonymen, und die indonesische Sprache ist Ausdruck davon." König zeichnet anhand der Verwendung der Sprache die Abweichungen und Brüche nach, die das anfangs nationalistisch gefärbte moderne Theater im Laufe der Jahre durchlaufen hat. Anette Rein untersucht in ihrer Arbeit Tanz auf Bali das sinnliche Erleben der anderen Wirklichkeit in den rituellen Tanzformen Balis. Ein Bericht über das Fest der Köchinnen in Guadeloupe von Friederike Platzdasch beschließt dieses Kapitel. Der Teil Rituelle Inszenierungen enthält einen Forschungsbericht über religiöses Theater an der Nordküste Perus (Bernd Schmelz), die Beschreibung der Festkultur Ecuadors in Der Tag des Señor de los Milagros in San Juan, in der südlichen Sierra Ecuadors (Bettina E. Schmidt) und Der Pakt mit dem Teufel – Die Fiesta de San Juan in Otavalo, Ecuador (Elisabeth Rohr), eine Interpretation der griechischen Totenklage als performative Seinsbestimmung (Ulrike Krasberg) sowie Mark Münzels Ich bin eyn Tiger thier – Inszenierungen bei Indianern des östlichen Waldlandes. Münzel zieht einen Vergleich zwischen religiösen Inszenierungen südamerikanischer Tieflandindianer und der Faszination des Cyberspaces. Was zunächst sehr weit hergeholt erscheint, stellt sich im Laufe des Aufsatzes als durchaus brauchbarer Versuch dar. Münzel bezieht sich auf die virtuellen Welten, die Cyberspace und Theater aufzubauen verstehen, und auf deren künstlerische Gestaltbarkeit. Die Grenze zwischen "realtime" und nicht-realer oder vergangener Zeit wird dabei verwischt. Der Sinn kultischer Inszenierungen liegt in der Verwandlung von Vergangenheit in "realtime". Im vierten Teil des Buches, Politische Inszenierung, findet sich eine Arbeit über Südafrikanische Performance von Georgia A. Rakelmann. Sabine Beers Narrative Bilder und das Ende der Erzählungen ist eine Analyse der politischen Wandbilder in der westafrikanischen Hauptstadt Freetown. Die "militanten" Wandmalereien werden als Inszenierungen im öffentlichen Raum Sierra Leones beschrieben. Burkhard Schnepel geht in Der Raub der Göttin auf die Verknüpfung von Politik und Religion im Hinduismus ein. Machtverhältnisse oder Statuspositionen werden durch den Vorgang der Inszenierung theatralisiert. Den Abschluß des Bandes bildet das Kapitel Experimentelle Theaterethnologie. Nicole Janowski beschäftigt sich in ihrem Aufsatz Theatrale Aspekte von Trance und Verkörperung im Candomblé mit den Texten Hubert Fichtes über die afrobrasilianische Religion Candomblé. Thomas Mennicken erforscht in vierzehn Szenen die Zusammenhänge zwischen einer veränderten Auffassung von sozialer Wirklichkeit und aktuellem Entwicklungstendenzen in der Ethnologie. Antje von Elsbergen beschäftigt sich in ihrem Aufsatz Von der Bühne zur Vitrine und zurück – Das musealisierte Drama einer Maske mit einem Phänomen, daß man vom Besuch von Theatermuseen kennt. Objekte, die man in ihrer ganzen Lebendigkeit und Sinngebung nur auf der Bühne erfahren kann, befinden sich leblos im Ausstellungsraum. Ähnlich ist es im Völkerkundemuseum – die ausgestellten Objekte müssen, damit sie präsentiert werden können, notwendigerweise aus ihrem kulturellen Zusammenhang gerissen werden. Für die Besucher bleibt es trotzdem "schwer, sich mittels Vitrinen, Wandtafeln und Multimediashows ein Gesamtbild zu schaffen", und sie gehen fort, "ohne einen unmittelbaren Bezug zu fremder Realität hergestellt zu haben". Die ethischen Skrupel, eine fremde Kultur auf ein Ausstellungsstück zu reduzieren, veranlaßten die Autorin dazu, ein "Instrumentarium zur Selbstreflexion" zu entwickeln. Mit Hilfe eines Theaterdialogs, den die Ethnologin mit der Maske führt, wird die Möglichkeit der textuellen Annäherung an eine Kultur erprobt und die Distanz zum Forschungsobjekt hinterfragt. Das soll spielerisch zu einer "Feldforschung im Kopf" führen. Dieser Beitrag mag zwar den Forderungen nach "hard facts" in der Wissenschaft nicht ganz entsprechen, bietet aber einen originellen Ansatzpunkt im Umgang mit ungelösten Problemen. Ethnologie und Inszenierung gibt einen guten Einblick in die Arbeit von Ethnologen, die sich mit Inszenierungsformen beschäftigen und damit einen sich überschneidenden Grenzbereich von Theaterwissenschaft und Ethnologie berühren. Doch man hätte sich zum Vergleich mehr Betrachtungen aus der Sicht der Theaterwissenschaft gewünscht. Zumindest ein Theaterwissenschaftler ist allerdings fast ständig vertreten: Richard Schechner. Er wird in weit mehr als der Hälfte aller Texte in der einen oder anderen Form zitiert, obwohl Schmidt und Münzel in ihrer Einführung besonders den von Schechner geprägten Begriff der "Theater-Anthropologie" ablehnen, weil im Wort "Anthropologie" eine zu starke Betonung des Körperlichen, des Biologischen mitschwinge. Sicherlich ist gerade in den europäischen Geisteswissenschaften die Bezeichnung Theaterethnologie vorzuziehen, aber ob man die Ablehnung der Bezeichung "Anthropologie" ausgerechnet anhand des Körperlichen – gerade im Zusammenhang mit Theater! – festmachen kann, darf bezweifelt werden. Dennoch: Der Sammelband zu einem der spannendsten neuen Themenkreise gibt lesenswerte Einblicke in die Materie und ist eine gute Grundlage für weitergehende Diskussionen dieses Forschungsgegenstandes.