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Über 100 Sozialwissenschaftler:innen fordern in einer Erklärung, die Bundesregierung müsse ihre "bedingungslose" Unterstützung des israelischen Militäreinsatzes in Gaza beenden. Währenddessen verklagt Nicaragua Deutschland und die Universität zu Köln sagt die Gastprofessur der US-Philosophin Nancy Fraser ab – weil sie einen Boykottaufruf gegen israelische Institutionen unterzeichnet hatte.
DASS ES SICH die Verfasser:innen mit ihrem Statement nicht leicht gemacht haben, spricht aus jeder Zeile. Eine Gruppe deutscher Sozialwissenschaftler:innen hat die Bundesregierung öffentlich zu einem Kurswechsel ihrer Israel-/Gaza-Politik aufgerufen. Deutschlands Reaktionen auf den Krieg entsprächen nicht seinen eigenen Prinzipien, heißt es in dem vor genau einer Woche online gestellten Text, der erst jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. "Die Strategie der bedingungslosen Unterstützung Israels ist gescheitert, und es ist höchste Zeit, den Kurs zu ändern."
Wer jedoch meint, es handle sich deshalb um einen antiisraelischen oder antisemitischen Aufruf, sollte die gesamte Stellungnahme lesen. Sie relativiert in keiner Weise die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die aus dem Gaza-Streifen heraus unter Führung der Hamas begangen wurden. Die Angriffe, Morde und Geiselnahmen, betonen die Verfasser:innen, seien "brutal" und "abscheulich", zusammen mit der Notwendigkeit, die Sicherheit israelischer Bürger zu gewährleisten, machten sie Israels Reaktion "und Deutschlands weitestgehend vorbehaltlose politische und militärische Unterstützung für diese Reaktion" möglicherweise erklärbar. Sie rechtfertigten sie jedoch nicht.
Die Zahl der Unterschriften steigt
Stattdessen sei die Bundesrepublik in den vergangenen Monaten "zum Zeugen, wenn nicht sogar zum Mitschuldigen dessen geworden, was nach Einschätzung vieler auf Kriegsverbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza hinausläuft". Deutschland habe Maßnahmen ergriffen, die internationale Institutionen zu schwächen drohten. "Es hat eine Strategie unterstützt, die für seine erklärten Ziele kontraproduktiv erscheint. Und es hat dies in einem Umfeld getan, in dem kritische Stimmen zu dieser Strategie marginalisiert wurden."
Allein seit vergangenem Freitag ist die Zahl der Unterzeichner:innen des Statements, die allesamt als Sozialwissenschaftler:innen in Deutschland arbeiten oder aus Deutschland stammen, um mehr als die Hälfte auf über 140 gestiegen.
Parallel startete am Montag eine zweitägige Anhörung am Internationalen Gerichtshof, bei der Nicaragua Deutschland der Beihilfe zum Völkermord im Gazastreifen beschuldigt. Durch Waffenlieferungen an Israel ermögliche Deutschland einen Genozid und verstoße gegen internationales Recht, erklärten die Rechtsvertreter Nicaraguas in Den Haag, wie das ZDF berichtete. Die Bundesregierung widersprach den Vorwürfe "ganz klar und entschieden". Israel weist ebenfalls jeglichen Verstoß gegen die Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen zurück und beruft sich auf sein Recht zur Selbstverteidigung nach dem Massaker am 7. Oktober.
Tatsächlich ist ein einstiger Putschist, Militärjunta-Führer und jetzt diktatorisch regierender Präsident wie Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega, der oppositionelle Proteste mit Gewalt niederschlagen und politische Gegner verhaften ließ, als Menschenrechtsaktivist eine fast schon absurde Besetzung. Das sollte aber nicht dazu führen, andere differenzierte und sauber argumentierte Protestnoten inhaltlich nicht ernstzunehmen oder die dahinter stehenden, aus ihrem professionellen Selbstverständnis heraus unterzeichnenden Wissenschaftler:innen persönlich abzuwerten. Und zwar unabhängig davon, ob man ihnen inhaltlich zustimmt.
Zumal immer dann, wenn man denkt, ihr Statement habe doch einseitig antiisraelische blinde Flecken, die Widerlegung auf dem Fuß folgt. Ein Beispiel: Es werde oft argumentiert, steht weiter unten in dem Text, dass die hohe Zahl ziviler Opfer zwar bedauerlich, aber angesichts des Ziels, die Hamas zu zerstören, und der militärischen Optionen, die aufgrund der Taktik der Hamas zur Verfügung stünden, vertretbar sei. Doch: "Unabhängig von der rechtlichen und moralischen Gültigkeit dieses Arguments – oder seiner Relevanz für Maßnahmen, die eher gegen die Zivilbevölkerung gerichtet zu sein scheinen, wie die Blockade von humanitärer Hilfe – gibt es kaum Hinweise aus der sozialwissenschaftlichen Forschung, die darauf hindeuten, dass militärische Kampagnen dieser Art die Sicherheit Israels mittel- bis langfristig erhöhen werden." Im Gegenteil, diese Art von Angriffen auf die Zivilbevölkerung, ob gezielt oder als Kollateralschaden verstanden, könnten zu einer Verschärfung von Feindseligkeiten und zu weiterer Radikalisierung führen, warnen die Wissenschaftler:innen.
Das "laute Schweigen" auch der Universität sei unerträglich, sagt die Mitinitiatorin
Mitinitiatorin und Nummer eins auf der Unterschriftsliste ist die Volkswirtin Christine Binzel, Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Ostens an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie spricht von einem "lauten Schweigen vieler gesellschaftlicher Akteure, einschließlich der Universitäten", das angesichts wahrscheinlicher Verstöße Israels gegen das Völkerrecht, etwa, wie Binzel sagt, dem Einsatz von Hunger als Kriegswaffe, "unerträglich sei" – "gerade weil Deutschland die israelische Regierung nicht nur politisch, sondern in erheblichem Maße auch militärisch unterstützt hat". Hinzu komme die Dehumanisierung von Palästinenser:innen in vielen Medien und die Verengung der Debatte in Deutschland. "Als Wissenschaftler*innen sind wir zudem entsetzt über die Zerstörung eines großen Teils der zivilen Infrastruktur, einschließlich vieler Schulen und Universitäten, die von offizieller deutscher Seite nicht verurteilt wurde."
Was Binzel und die anderen Unterzeichner:innen konkret erwarten, steht ganz am Ende ihrer Erklärung: Es sei höchste Zeit, dass die Bundesregierung sich vehement für die universelle Anwendung des Völkerrechts und den Schutz der Menschenrechte einsetze, "auch wenn dies bedeuten sollte, das Verhalten der aktuellen israelischen Regierung zu verurteilen und zu sanktionieren". Die Bundesregierung solle entschlossen Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in Gaza ergreifen und "für diejenigen auf beiden Seiten eintreten, die sich bisher für Frieden, Gleichheit und Würde eingesetzt haben und dies weiterhin tun".
In Deutschlands Hochschulszene hatte in den vergangenen Tagen allerdings vor allem die Mitteilung der Universität zu Köln Aufsehen verursacht, die geplante Albertus-Magnus-Gastprofessur der bekannten US-Philosophin Nancy Fraser wieder abzusagen. "Es passt einfach nicht zusammen", zitiert die ZEIT den Kölner Universitätspräsidenten Joybrato Mukherjee, "dass wir eine Person ehren, die dazu aufruft, unsere Verbindungen zu boykottieren." Gemeint sind die Verbindungen zu Israel und Hintergrund ist ein Offener Brief aus dem November 2023, den neben 406 anderen Wissenschaftler:innen aus Nordamerika, Lateinamerika und Europa auch Fraser unterzeichnet hatte – was aber der Universität zu Köln offenbar erst kürzlich auffiel.
Die Verfasser:innen der Erklärung mit dem Titel "Philosophy for Palestine" schlugen damals einen völlig anderen Ton an als jetzt die deutschen Sozialwissenschaftler:innen, bekundeten Palästina ihre Solidarität und stellten das Massaker in den Zusammenhang mit "dem Kampf gegen Apartheid und Okkupation". Schließlich riefen sie zu einem akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen auf – der Widerspruch, der laut Mukherjee die Gastprofessur unmöglich machte. Für Diskussionsveranstaltungen, betonte die Universität, sei Fraser hingegen willkommen. Die Philosophin selbst sprach am Montag im Interview mit der Frankfurter Rundschau von einem "philosemitischen McCarthyismus"und sagte, ihre Ausladung von der Professur werde der deutschen Wissenschaft "erheblichen Schaden zufügen". Sie behalte sich rechtliche Schritte vor.
Unterschiede in Tonalität und Mehrdimensionalität
Legt man indes die Stellungnahme der Sozialwissenschaftler:innen von Ende März und den von Fraser im November mitgezeichneten Boykott-Aufruf nebeneinander, werden die Unterschiede in Tonalität und Mehrdimensionalität offensichtlich.
Nach der Ausladung Frasers gefragt, hält die Volkswirtin Binzel diese für "kontraproduktiv", weil sie ein Beispiel sei für "die Verengung der Diskussion in Deutschland, die auch israelkritische jüdische Stimmen trifft, und die wir in unserer Erklärung ebenfalls ansprechen". Diese Verengung vermeide eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung und erschwere letztendlich den wichtigen Kampf gegen Antisemitismus und auch den wichtigen Kampf gegen Rechtsextremismus. Auch schade sie erheblich der deutschen Wissenschaft.
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In diesem Beitrag stellt Marion Stieger folgenden Text vor: Bloch, Yanina (2019): UN-Women. Ein neues Kapitel für Frauen in den Vereinten Nationen, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 19-27 (abrufbar unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845297965/un-women).Das Buch von Yanina Bloch beschäftigt sich mit "UN Women", einer Institution in den Vereinten Nationen, die sich für Frauen- und Gleichstellungsfragen einsetzt. Das gewählte Kapitel daraus beschreibt die Entwicklung von Frauenbeteiligung in der UNO in den Anfangsjahren:"Um zu begreifen, welche Neuerungen durch die Gründung von UN Women in das System der Vereinten Nationen eingeführt wurden, ist es daher unumgänglich, einen Blick zurück in die institutionelle Geschichte der Vereinten Nationen zu werfen und die Entwicklung von Frauenrechten in politischer und institutioneller Hinsicht seit Gründung der Organisation zu beleuchten" (S. 19).Das Kapitel beginnt mit einem Blick auf die Geschichte der UN aus Sicht der wenigen Frauen, die in den Anfängen mitgewirkt haben. Der Internationale Frauenrat setzte sich bereits im Völkerbund dafür ein, die Frauenrechte in die Satzung aufzunehmen. Aufgrund der Auflösung des Völkerbundes scheiterte das Projekt (vgl. S. 19).Bei der Einführungssitzung der Vereinten Nationen 1946 brachten die 17 Teilnehmerinnen die Frauenrechte wieder auf die Agenda, indem sie eine Schrift an die Frauen in der Welt verfassten und vortrugen. Frauen sollten sich nach dem Krieg "gleichberechtigt an der nationalen und internationalen Politik […] beteiligen" (S. 20). Zwar wurde die Schrift nicht offiziell in der Versammlung diskutiert und keine Resolution verabschiedet, er galt jedoch als erster offizieller Ausdruck der Frauen in den Vereinten Nationen.Zudem betont Bloch, dass in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen explizit die Gleichberechtigung von Frauen und Männern aufgenommen wurde. Forderungen nach Gleichstellung hatten somit durch die UN-Charta einen juristisch verbindlichen Rahmen. Bei der Verabschiedung der Charta waren nur vier der 160 Abgeordneten weiblich.Im Jahr 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verabschiedet, die in der Präambel und in einzelnen Artikeln das Thema Geschlechtergleichberechtigung behandelt. Es wurde somit klargestellt, dass Menschenrechte ungeachtet des Geschlechts gelten (vgl. S. 21).Eleanor Roosevelt wurde zur Vorsitzenden der Menschenrechtskommission gewählt. Es gelang unter ihrer Leitung, die Menschenrechte umfassend zu formulieren. Dabei sah die ursprüngliche Fassung noch Formulierungen vor, die sich nur auf Männer bezogen, wie "all men are brothers". Durch die Kommission für die Rechtsstellung der Frau konnte eine geschlechtsneutrale, inklusivere Sprache angewandt werden (vgl. S. 22). So lautet der Artikel 1 heute: "All human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards one another in a spirit of brotherhood" (UN Dok. A/RES/217 A (III), 10.12.1948).Nach Auffassung der Autorin hatte der zunächst rechtlich nicht-bindende Charakter der Erklärung der Menschenrechte den Vorteil, dass keine Staaten ausgetreten sind oder die Erklärung nicht durch viele Vorbehalte geschwächt worden ist. 1966 wurden Inhalte der AEMR zumindest teilweise verbindliches Vertragsrecht (vgl. S. 22-23).Das Bekenntnis zur Gleichstellung durch die AEMR war auch ein Erfolg der Kommission für die Rechtsstellung der Frau (CSW). Sie wurde 1946 gegründet und bildet eine vollwertige Kommission gleichwertig mit der Menschenrechtskommission unter dem Wirtschafts- und Sozialrat der UN. Dies ist laut der Autorin auch auf die Einflussnahme von Frauenverbänden zurückzuführen (vgl. S. 23).Die CSW erforschte bis 1962 den rechtlichen Status von Frauen in verschiedenen Mitgliedsstaaten. Dabei stand ihr nur ein begrenztes Budget zur Verfügung. Sie pflegte engen Kontakt zu Frauenverbänden, was die Arbeit in den Mitgliedsstaaten erleichterte. Weitere Aufgaben waren die Berichte zur Förderung von Frauenrechten für den Wirtschafts- und Sozialrat. Besonders vier Bereiche wurden damals als problematisch angesehen: die politischen Rechte von Frauen und deren Wahrnehmung sowie der Zugang zu Bildung und Arbeit. Daraus formulierte Konventionen wurden zu Meilensteinen in der juristischen Verankerung der Frauenrechte (vgl. S. 24).Im folgenden Abschnitt legt die Autorin nochmal den Fokus auf die Gründe, warum eine eigenständige Frauenkommission gegründet wurde. Frauenthemen sollten somit schneller voranschreiten und konkurrierten nicht mit anderen Themen rund um die Menschenrechte. Sie konnte so eigene Prioritäten setzen und ihre Vorschläge hatten eine größere Bedeutung in den Vereinten Nationen. Nachteile ergeben sich aus der geringeren Kooperation mit der Menschenrechtskommission. Frauenrechte tauchten dort kaum mehr auf und das größere politische Ansehen der Menschenrechte konnte so kaum genutzt werden. Trotzdem erkennt die Autorin das Verdienst der CSW an, die Frauenrechte immer wieder auf die Agenda der UN zu setzen (vgl. S. 25).Die verbindliche Gleichstellung von Frauenrechten schritt mit der Deklaration für die Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Frauen (DEDAW) voran. Ein einheitliches und verbindliches Vertragswerk, das die Frauenrechte auch in der Realität zur Umsetzung bringen sollte, wurde damit von der Frauenrechtskonvention vorbereitet und in der Generalversammlung 1967 verabschiedet. Die Resolution war zunächst nicht rechtlich bindend, sollte aber die Grundlage zu einem verbindlichen Vertrag schaffen (vgl. S. 26).Bloch führt anschließend aus, dass die Frage nach der Notwendigkeit einer Frauenrechtskonvention in Anbetracht der bereits existierenden Menschenrechte dennoch begründet werden kann. Es herrschten strukturelle Diskriminierungen in den 60er und 70er Jahren und die Menschenrechte bezogen sich eher auf Abwehrrechte gegen Staaten. Die Diskriminierung von Frauen geschieht dagegen eher im Privaten, wo der Staat nicht eingreifen sollte (vgl. S. 26-27).Die Frauenrechtskonvention (CEDAW) trat 1981 in Kraft. Die Mitgliedsstaaten geben seither Berichte ab und treten in Dialog über die Umsetzung der Vorgaben. Durch Empfehlungen sorgt die Konvention zu einem besseren Verständnis von Frauenrechten und deren Umsetzung (vgl. S. 27).
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Readers will be aware of the philosophy journal poll I have been hosting here. The poll was comprehensive in that it covered over 140 philosophy journals, most of them suggestions by readers. These journals cover the full spectrum of the discipline. There have been more than 36,000 votes cast already and I believe we can draw some initial findings. Journals are each assigned a score: this is the percent (%) chance that voters will select this journal as their favourite if asked to choose between this journal and a second journal chosen at random.
The first finding is that there appears to be a top tier of philosophy journals -- this is not controversial -- that is relatively small -- this latter part may be more controversial.
From the poll, the top tier of philosophy journals appears to consist of the following publications:
1. Journal of Philosophy 87
2. Philosophical Review 84 3. Philosophy & Phenomenological Research 83 3. Nous 83 5. Mind 82 6. Ethics 80
I say that these appear to be the top tier as each were no. 1 or 2 at some point during the voting (unlike other journals). Each would be selected at least 80% of the time if paired with a second journal chosen at random.
A further finding is that the second tier of journals -- which we might classify as chosen at least 60-79% of the time when paired with a second journal chosen at random -- is perhaps surprsingly large. This second tier might consist of the following journals:
7. Philosophical Studies 79 8. Synthese 77 8. Philosophy & Public Affairs 77 10. Analysis 76 10. Philosophical Quarterly 76 10. American Philosophical Quarterly 76 10. Philosophers' Imprint 76 10. Monist 76 10. Canadian Journal of Philosophy 76 16. Journal of the History of Philosophy 75 16. Pacific Philosophical Quarterly 75 16. Midwest Studies in Philosophy 75 16. Proceedings of the Aristotelian Society 75 20. Australasian Journal of Philosophy 74 21. British Journal for the Philosophy of Science 73 21. European Journal of Philosophy 73 23. Erkenntnis 72 24. Philosophy of Science 71 25. Philosophy 70 25. History of Philosophy Quarterly 70 25. Ratio 70 28. Journal of Moral Philosophy 69 29. Oxford Studies in Ancient Philosophy 68 30. Notre Dame Philosophical Reviews 67 31. Philosophical Papers 67 32. Journal of Philosophical Logic 67 33. Journal of Philosophical Research 66 33. British Journal for the History of Philosophy 66 33. Utilitas 66 33. Mind and Language 66 33. Journal of Ethics 66 38. Southern Journal of Philosophy 65 39. Review of Metaphysics 64 39. Philosophical Investigations 64 39. Kant-Studien 64 42. Metaphilosophy 62 42. Philosophy Compass 62 42. Journal of Political Philosophy 62 42. Philosophical Topics 62 42. Philosophia 62 47. Hume Studies 61 47. Linguistics and Philosophy 61 49. Journal of Ethics & Social Philosophy 60
The next third tier of journals are those chosen about 50% of the time (from 40-60%) where paired with a second journal chosen at random:
50. Phronesis 59 51. Journal of the History of Ideas 58
51. Journal of Aesthetics and Art Criticism 58 53. Ethical Theory & Moral Practice 57 53. Philosophical Forum 57 53. Inquiry 57 56. Oxford Journal of Legal Studies 56 57. Political Theory 55 57. Social Theory & Practice 55 57. Philosophical Explorations 55 57. Journal of Social Philosophy 55 57. Economics & Philosophy 55 62. Law & Philosophy 54 62. dialectica 54 62. Public Affairs Quarterly 54 62. Acta Analytica 54 66. Social Philosophy & Policy 53 66. Theoria 53 66. Journal of Applied Philosophy 53 69. Faith and Philosophy 52 70. Political Studies 51 71. Journal of Value Inquiry 51 72. Harvard Law Review 50 73. Studies in History and Philosophy of Science 49 73. Philosophy & Public Policy Quarterly 49 73. Philosophical Psychology 49 76. Bioethics 48 76. International Journal of Philosophical Studies 48 78. Politics, Philosophy, Economics 47 78. Kantian Studies 47 79. History of Political Thought 44 80. Legal Theory 43 81. Hypatia 42 82. Philosophical Writings 41 82. southwest philosophy review 41 84. Apeiron 40 84. European Journal of Political Theory 40 84. American Journal of Bioethics 40
The remaining results for other journals are as follows:
87. Environmental Ethics 39 87. Logique et Analyse 39 87. Philosophy Today 39 90. Ratio Juris 38 90. Studies in History and Philosophy of Modern Physics 38 90. Business Ethics Quarterly 38 93. Journal of the British Society for Phenomenology 37 93. Ethical Perspectives 37 93. Public Reason 37 96. Hegel-Studien 36 97. Philosophy & Social Criticism 35 97. Res Publica 35 97. Philosophy in Review 35 97. Philo 35
101. Neuroethics 34 101. Ethics and Justice 34 103. Philosophy and Theology 33 104. International Journal of Applied Philosophy 32 105. Phenomenology and the Cognitive Sciences 32 106. Review of Politics 31 106. Jurisprudence 31 106. Research in Phenomenology 31 109. Journal of Philosophy of Education 30 109. Review Journal of Political Philosophy 30 109. Philosophy East and West 30 112. South African Journal of Philosophy 29 112. Kennedy Institute of Ethics Journal 29 114. Teaching Philosophy 28 114. Review Journal of Philosophy & Social Science 28 114. Critical Review of International Social and Political Philosophy 28 117. Journal of Global Ethics 27 117. APA Newsletters 27 119. Transactions of the C. S. Peirce Society 26 120. Bulletin of the Hegel Society of Great Britain 25 121. Adam Smith Review 23 121. Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie 23 121. Imprints: Egalitarian Theory and Practice 23 124, Theory and Research in Education 22 125. Polish Journal of Philosophy 21 125. Epoche 21 125. Fichte Studien 21 125. Symposium: Canadian Journal of Continental Philosophy 21 125. Asian Philosophy 21 130. Think 20 131. Archives de Philosophie du Droit 18 131. Collingwood & British Idealism Studies 18 131. Owl of Minerva 18 131. New Criminal Law Review 18 135. Journal of Indian Philosophy 17 136. Continental Philosophy Review 17 136. The European Legacy 17 138. Education, Citizenship, and Social Justice 15 139. Reason Papers 14 139. Associations 14 139. Journal of Indian Philosophy and Religion 14 142. Studia Philosophica Estonica 13 143. Derrida Today 5
Some further reflections. While there are several exceptions, it would be interesting to analyze any correlation between the age of a journal and its position in the rankings. There are several surprises on the list, this list does not correspond to my own opinions (I would have ranked many journals differently), and I do not believe that there is much difference between journals ranked closely together.
I also purposively put some selections in to see how they might play out. For example, I added Harvard Law Review out of curiosity and I was surprised to see of all journals exclusively publishing law and legal philosophy journals it appears to come second to the Oxford Journal of Legal Studies and above other choices. (I was surprised legal philosophy journals did not score much better.) I added several journals edited by political scientists, such as Political Studies, and was surprised to see they did not score as highly as I had thought. Roughly speaking, journals with a wider remit performed much better than journals with a more specific audience. I also added at least one journal, Ethics and Justice, that I believe is no longer in print. (Can readers correct me on this? I hope I am in error.) It scored 34% and came in at 101st.
What I will do shortly is create a new poll that will only have the top 50 philosophy journals from this poll roughly speaking. Expect to see this new link widely advertised shortly.
In the meantime, what do readers think we can take away from the results thus far? Have I missed anything?
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Wie gehen Deutschlands Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mit dem Nahostkonflikt um? Wie mit Antisemitismus und einer extrem aufgeheizten politischen Stimmungslage? Eine Analyse.
"AN DEUTSCHEN HOCHSCHULEN ist kein Platz für Antisemitismus", sagte Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Tag nach der HRK-Mitgliederversammlung Mitte November 2023. Die Hochschulen müssten Orte sein, an denen sich Jüdinnen und Juden wohl und sicher fühlen können, "ohne Wenn und Aber". Die Erklärung, die Rosenthal diesmal im Namen aller HRK-Mitgliederhochschulen abgab, war nicht seine erste, und sie kam fünf Wochen nach dem Terrorangriff auf Israel.
Dennoch kam sie genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn seit Hamas-Terroristen am 7. Oktober die Grenzanlagen überwunden und wahllos Männer, Frauen und Kinder misshandelt und ermordet und rund 240 Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt hatten, war viel passiert. In Israel, im Gazastreifen, aber auch auf dem deutschen Hochschulcampus. Die HRK zählt auf: "Unverhohlene Drohungen mit körperlicher Gewalt, das Anbringen von Plakaten oder Graffiti sowie Kundgebungen, die den Terror der Hamas gutheißen, die Opfer ausblenden oder aufrechnen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen und Jüdinnen und Juden insgesamt angehen und einschüchtern sollen".
Erste Einigkeit bröckelte schnell
Dabei hatte es direkt nach den Hamas-Verbrechen so ausgesehen, als würde Deutschlands Wissenschaftscommunity in großer Einigkeit reagieren. Vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) über die Allianz der Wissenschaftsorganisationen bis hin zu Studierendenverbänden und Hochschulen überall im Land: Die Verurteilungen der Untaten waren fast immer ohne Zögern und Relativierungen, unmissverständlich, mitfühlend und zugleich kämpferisch ausgefallen. "Wir stehen solidarisch an der Seite des Staates Israel. Wir gedenken der Israelis und der Menschen aus aller Welt, die dem Terror der Hamas zum Opfer gefallen sind. Unser Mitgefühl gilt ihren Familien und Freunden, insbesondere auch unseren Kolleginnen und Kollegen an den israelischen Universitäten und am Weizmann Institute of Science", schrieben etwa Max-Planck-Gesellschaft und Minerva-Stiftung am 11. Oktober 2023. "Sehr klar" und "außergewöhnlich" nannte denn auch etwa die Vizepräsidentin für Internationales der Universität von Tel Aviv, Milette Shamir, im Research.Table die deutschen Reaktionen.
Während die Hochschulleitung der Hebräischen Universität in Jerusalem den amerikanischen Elite-Unis Stanford und Harvard vorwarf, diese hätten "uns im Stich gelassen". Die ersten Erklärungen der beiden US-Universitäten hätten trotz der extremen Immoralität der Hamas-Terrorakte nicht klar Täter und Opfer benannt. Das Ziel, eine geschlossene Hochschul-Gemeinschaft zu erhalten, sei von Stanford und Harvard über die eindeutige Verurteilung des Bösen gestellt worden, so der Vorwurf aus Jerusalem.
Weitere Aufregung verursachte ein Brief des studentischen "Harvard Undergraduate Palestine Solidarity Committee", demzufolge allein das "israelische Regime" mit seinem "Apartheid"-System die Verantwortung trage für alle kommende Gewalt. 33 weitere Harvard-Studierendengruppen setzten ihre Unterschrift darunter. Woraufhin unter anderem der frühere US-Finanzminister und ehemalige Harvard-Präsident Larry Summers auf der Plattform "X", vormals Twitter, kommentierte, dieses Statement mache ihn krank: Das "Schweigen der Harvard-Leitung" verbunden mit dem Brief der Studierenden sorge dafür, dass Harvard "bestenfalls neutral" dastehe angesichts der "Terrorakte gegen den jüdischen Staat Israel".
Den richtigen Ton treffen
Es sollte nur ein paar Tage länger dauern, bis die Auseinandersetzungen um die Einordnung der Ereignisse in Israel und Gaza dann doch die deutsche Wissenschaft erreichten. So löschte die Hochschule Düsseldorf (HSD) Mitte Oktober 2023 einen Instagram-Beitrag, in dem sie ihre Solidarität mit Israel erklärt hatte, nachdem die antisemitischen Kommentare darunter überhandnahmen. In einer neuen Version, diesmal ohne Kommentarfunktion, sprach die Hochschule dann von einer politischen Diskussion, die zum Teil "in Ton und Inhalt nicht angemessen war". Der Post sei so verstanden worden, "dass nur das Leid der Menschen in Israel gesehen wird. Aber die HSD steht selbstverständlich an der Seite aller Opfer von Krieg und Gewalt." Ein Schritt hin zur nötigen Ausgewogenheit – oder das Einknicken vor dem Mob?
Fest steht: In den Chef*innen-Etagen vieler deutscher Wissenschaftseinrichtungen war in den vergangenen Wochen die Sorge groß, nicht den richtigen Ton zu treffen. Man möchte in der jetzigen politischen Lage alles richtig machen, aber was heißt das? Das Ergebnis waren mitunter gleich klingende, schablonenhaft ähnliche Formulierungen.
Eine blutige Nase wiederum holte sich der Potsdamer Universitätspräsident Oliver Günther, als er – nach einem ersten sehr klaren Solidaritätsstatement zugunsten Israels – einen verunglückten Versuch der vermeintlichen Differenzierung unternahm. Günther kritisierte die durch die israelische "Besetzung verursachten prekären und teilweise menschenunwürdigen Lebensumstände weiter Teile der palästinensischen Bevölkerung" und fügte hinzu: "Offensichtlich ist auch, dass sich diese Probleme nicht durch eine aggressive Siedlungspolitik und Schikanen gegen die Zivilbevölkerung – schlicht: Gewalt jeglicher Art lösen lassen. Ganz im Gegenteil führen solche Maßnahmen, wie wir vor wenigen Tagen gesehen haben, nur zu mehr Gewalt." Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kommentierte flugs im Berliner Tagesspiegel: "Was Israel in diesen schweren Stunden nicht braucht, sind Schuldzuweisungen, Belehrungen, Relativierungen oder gar Versuche einer Täter-Opfer-Umkehr ausgerechnet aus Deutschland."
Trauerfeier eskaliert
Besonders eindrücklich sind die Ereignisse, die sich in den vergangenen Wochen an der Universität Kassel zugetragen haben. Ein autonomes AStA-Referat hatte einen Film zeigen wollen, der ausschließlich Position für Palästina ergreift. Was die Hochschulleitung um Unipräsidentin Ute Clement untersagte. Als wenig später die Jüdische Hochschulunion einen Stand auf dem Campus aufbaute, inklusive Israel-Flagge, kochte die Stimmung hoch. Umso mehr, als bekannt wurde, dass ein früherer Kasseler Student mitsamt seiner Familie im Gazastreifen getötet worden war, laut "Palestinian Lives Matter" bei einem israelischen Angriff.
Clement erlaubte eine Trauerfeier auf dem Campus unter der Auflage, sie nicht zu einer politischen Kundgebung zum Konflikt zwischen Israel und Palästina zu missbrauchen. Clement hielt sogar eine Rede. "Zuerst sah es so aus, als würde es eine würdige Veranstaltung bleiben, dann wurde sie aber doch gekapert." Ihre Palästinensertücher hatten Teilnehmer nach Aufforderung der Unipräsidentin während deren Trauerrede noch abgenommen. Als dann Redner doch gegen Israel zu agitieren begannen, stellte Clement das Mikrofon ab. Später erklärte die Hochschulleitung, sie sehe ihr "Vertrauen missbraucht".
"Morgens, mittags und nachts", denke sie seitdem über sie Situation nach, sagt Clement, ihr sei dabei immer klarer geworden: Es gebe bei dem Thema in Deutschland ein Schisma, auch an den Hochschulen. "Da sind Menschen meiner Generation, etwas jünger und älter, die alle ihr Leben lang gesagt haben: Nie wieder. Und die jetzt fassungslos vor dem stehen, was Juden in Israel und anderswo geschieht. Und da sind viele Studierende und Angehörige der jungen Generation, viele mit arabischen Wurzeln, aber nicht nur, die das für einseitige Parteinahme halten und das Gefühl haben, ihre Stimme werde in dem Konflikt nicht gehört. Die uns Älteren, die wir an das Existenzrechts Israels als deutsche Staatsräson glauben, vorwerfen, wir würden in unserem Rassismus nicht das Leid der getöteten Kinder in Gaza und anderswo sehen.“
Sie sei erschrocken über solche Wahrnehmungen, sagt Clement, aber es sei wichtig, ihnen einen Rahmen zu geben, um Radikalisierungen zu verhindern. "Genau das sehen wir als Hochschulleitung jetzt als unsere Aufgabe: eine gewaltfreie Debatte ermöglichen, die auf der Grundlage von Argumenten und Fakten stattfindet." Weshalb sie auf dem Zentralcampus jetzt zwei Banner aufgehängt haben, auf Deutsch und auf Englisch, mit den Grundsätzen, die für alle gelten sollen. Unter anderem steht da: "Klar muss sein: Wir schauen nicht weg, wenn Menschen leiden. Das Existenzrecht Israels wird nicht in Frage gestellt. Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat wird nicht in Frage gestellt." Jede Form des Terrors sei abzulehnen, jegliche NS-Vergleiche verböten sich. "Genau wie jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit." Der gesamte Uni-Senat stehe dahinter, sagt Clement. Was sie sich wünscht: dass sich alle Hochschulen in Deutschland gemeinsam einen solchen Diskursrahmen geben.
Hitzige Töne und gegenseitig Vorwürfe
Und tatsächlich lud HRK-Präsident Walter Rosenthal direkt nach der HRK-Mitgliederversammlung zu einer weiteren virtuellen Austauschrunde ein "mit einem besonderen Fokus auf Maßnahmen zum Schutz von jüdischen Studierenden sowie auf die Moderation von Konflikten auf dem Campus". Wie hatte er in seiner Erklärung gesagt: "Wir dulden keine Gewalt, weder verbal noch physisch, keinen Antisemitismus, keinerlei Ausgrenzung – auch nicht gegen Studierende und Mitarbeitende palästinensischer Herkunft, die sich aktuell ebenfalls Sorgen machen." Und er fügte hinzu: Das Miteinander an einer Hochschule und die produktive Diskussion auf und neben dem Campus beruhten auf wechselseitigem Respekt, der Wahrung wissenschaftlicher Grundsätze, auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Einhaltung der Gesetze.
Doch statt produktiven Diskussionen und wechselseitigem Respekt gibt es seit Wochen hitzige Töne und gegenseitige Vorwürfe. Etwa als die Staatsekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Sabine Döring auf "X" kritisierte, die international bekannte US-Philosophin Judith Butler kontextualisiere in einem Meinungsbeitrag das "Opfer" Hamas, aber nicht den "Täter" Israel. "So kommt – trotz ‚Ich verdamme den Terror der Hamas‘ — am Ende eben doch eine Relativierung desselben heraus". Und Döring, zugleich Philosophieprofessorin an der Universität Tübingen, fügte hinzu: Wenn man Butlers "hehre Vision" umsetze, würde der Staat Israel empirisch aufhören zu existieren und jüdisches Leben würde aus der Region rückstandsfrei getilgt.
Dörings Post löste Zustimmung, aber auch empörte Reaktionen in der Wissenschaftsszene aus. Der Historiker Ben Miller bezeichnete es ebenfalls auf "X" als "intellektuell grotesk, wenn jemand, insbesondere eine Deutsche, auf die Arbeit einer jüdischen Philosophin, die in der jüdischen intellektuellen Tradition arbeitet, mit dem Vorwurf reagiert, sie würde das jüdische Leben nicht genug wertschätzen". Was Döring pessimistisch resümieren ließ: "Sehen Sie, das ist genau der Grund, warum wir keine Chance mehr haben, miteinander einen fruchtbaren Diskurs zu führen."
Ein praktisches Ausrufezeichen der Verbundenheit mit Israel setzte derweil die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und vereinbarte mit ihrer israelischen Partnerorganisation Israel Science Foundation (ISF) eine weitere Stärkung ihrer Zusammenarbeit. Zu den Zielen gehört, die gemeinsame Förderung deutsch-israelischer Forschungsprojekte zu ermöglichen und die Ausarbeitung eines bilateralen Begutachtungsverfahrens. DFG-Präsidentin Katja Becker betonte, das sogenannte Memorandum of Understanding sei bereits vor dem Terrorangriff der Hamas ausgearbeitet worden. "Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Israel und in der Region bekommt die Stärkung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit nun zusätzliche Bedeutung, auch als Zeichen der Solidarität."
Dieser Artikel erschien zuerst im DSW Journal 4/2023.
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Der neue Max-Planck-Präsident Patrick Cramer über Nachholbedarf bei der Postdoc-Förderung, Deutschlands Standortschwächen, die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft – und notwendige Veränderungen aus eigener Kraft.
Patrick Cramer ist Biochemiker und Molekularbiologe und seit 22. Juni 2023 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Fotos: Christoph Mukherjeee/MPG.
Herr Cramer, können Sie in wenigen Sätzen beschreiben, was für Sie die Mission der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ausmacht?
Die MPG betreibt Grundlagenforschung auf international höchstem Niveau und steht dazu mit der ganzen Welt in Kontakt. Sie rekrutiert von überall her die besten Talente, vor allem gibt sie den Forschenden die größtmögliche Freiheit und finanzielle Sicherheit, damit sie auch riskante Forschungsprojekte über einen langen Zeitraum durchführen und so bahnbrechende Ergebnisse erzielen können.
Ich behaupte, das hätte schon Adolf Harnack so ähnlich formuliert, und der war der erste Präsident des MPG-Vorläufers Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vor mehr als 100 Jahren.
Ja, das ist ein altes Credo, dass herausragende Forscherpersönlichkeiten der Dreh- und Angelpunkt unseres Erfolgs sind, dass wir Personen fördern und deren Ideen – und nicht Forschungsprogramme. Aber natürlich ist im Laufe der Jahrzehnte vieles dazugekommen, und noch mehr haben wir jetzt vor. Lassen sie mich mit einer Sache anfangen, die mir persönlich wichtig ist: Wir wollen uns als Forschungsgesellschaft weiter öffnen. Dazu gehört, unsere Karrierewege zu reformieren, wir wollen unsere jungen Forscher noch besser fördern, ihnen neue Optionen und Perspektiven ermöglichen.
Das hört sich natürlich erstmal gut an mitten in der Debatte um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Aber was heißt das konkret?
Wir werden ein interdisziplinäres Postdoc-Programm etablieren, um die Phase zwischen der Promotion und dem Eintritt in die unabhängige Forschung zu füllen. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Wir wollen unsere Forschungsnetzwerke und Standorte weiterentwickeln, wir wollen die Digitalisierung vorantreiben und als Forschungsgesellschaft unsere Verantwortung für eine demokratische Gesellschaft wahrnehmen. Dazu gehört, über unser bisheriges Verständnis von Wissenschaftskommunikation hinauszugehen. Wir haben sehr viele Expertinnen und Experten in unseren Reihen, die wir ermutigen wollen, zu aktuellen und gesellschaftspolitisch relevanten Themen ihre Stimme zu erheben. Und wir wollen zeigen, dass bei uns alle willkommen sind: alle Nationalitäten, alle Geschlechter – alle, die zu unseren Zielen beitragen wollen und unsere Werte teilen.
Patrick Cramer, Jahrgang 1969, studierte in Stuttgart und Heidelberg, er war Doktorand am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Grenoble und Postdoc an der Stanford University. 2001 erhielt er eine Tenure-Track-Professur für Biochemie an der LMU München. Zwischen 2004 und 2013 leitete er als das LMU-Genzentrum, bevor er 2014 als Direktor der Abteilung "Molekularbiologie" am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen startete. Von 2022 an fungierte er als geschäftsführender Direktor des neu gegründeten MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. Im Juni 2022 wurde er zum Präsidenten der MPG und Nachfolger von Martin Stratmann gewählt.
Wenn Sie junge Forscher möglichst früh in die unabhängige Forschung begleiten wollen, wenn sie sich explizit neue Optionen und Perspektiven für Postdocs auf die Fahnen schreiben – verabschieden sie sich damit nicht endgültig von genau jenem Grundprinzip der Max-Planck-Gesellschaft, das Sie am Anfang beschrieben haben und das den Namen Harnacks trägt? Die Institute wurden traditionell um die von Ihnen erwähnten herausragenden Forschungspersönlichkeiten gebaut, damit die sich als Direktoren voll ausleben konnten – die maximale Freiheit, aber die maximale Freiheit nur für die Chefs.
Das kommt darauf an, wie Sie das Harnack-Prinzip definieren. Von der Ausgangslage vor dem Zweiten Weltkrieg, als ein Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von einem Direktor – und ich benutze bewusst nur die männliche Form – geleitet wurde, haben wir uns inzwischen weit entfernt. Seit Jahrzehnten gibt es Direktorien oder Kollegien an der Spitze der Institute, und fast ebenso lange gibt es Nachwuchsgruppenleitungen, die ebenfalls unabhängig agieren können.
Wenn Sie die Postdocs in Max-Planck-Instituten fragen, werden viele davon auch heute noch sagen, dass sie abhängen vom Willen und Goodwill der Direktoren.
Ich glaube, diese Einschätzung stimmt in der Regel so nicht, und man muss unterscheiden. Wenn jemand eine Promotion anstrebt, geht es gar nicht anders, dann braucht es einen Mentor oder eine Mentorin, mit der er oder sie das Promotionsprojekt erarbeitet. Da braucht es Betreuung, das ist ein Beginn in Abhängigkeit, aber dann schwimmen sich die jungen Leute zunehmend frei. Genau das habe ich auf meiner Tour gesehen und gehört. Ich habe in den vergangenen Wochen alle 84 Max-Planck-Institute bereist, ich habe mit sehr vielen Doktoranden und Postdocs in separaten Runden gesprochen, und überall haben die jungen Leute eigentlich dasselbe gesagt: dass sie unter dem Strich überwiegend sehr zufrieden sind mit ihrer Arbeitssituation, mit den Entfaltungsmöglichkeiten, die sie haben. Natürlich gibt es arbeitsrechtlich betrachtet immer jemanden, der ihnen gegenüber weisungsbefugt ist. Doch ist die Kultur an den allermeisten Instituten inzwischen so, dass die jungen Leute sich in einer recht großen Freiheit entfalten können und trotzdem natürlich zu gemeinschaftlichen Forschungszwecken beitragen.
"Meine wichtigste Botschaft lautet: Ich nehme diese Ergebnisse ernst."
Dass die die große Mehrheit, 83 Prozent, der Postdocs angeben, zumindest einigermaßen glücklich zu sein, gehörte auch zu den Ergebnissen einer neuen Umfrage von PostdocNet, der Interessenvertretung der Postdoktorandinnen und -doktoranden der MPG. Gleichzeitig berichtete aber auch mehr als die Hälfte der befragten Postdocs, leichte depressive Symptome zu haben, kaum weniger klagten über leichte Angstzustände, und mehr als ein Fünftel zeigten laut Umfrage Anzeichen einer mittelschweren bis schweren klinischen Depression. Wie passt das zusammen?
Als die Studie herauskam, war ich zwar noch nicht MPG-Präsident, aber ich habe trotzdem gleich die Vertreter unseres PostdocNet angeschrieben und sie bei meinen Institutsbesuchen getroffen. Wir haben vereinbart, dass wir uns, sobald ich im Amt bin und die Sommerpause vorbei ist, zusammensetzen und noch einmal in Ruhe über die Ergebnisse sprechen – und über das, was wir tun können, um die Situation weiter zu verbessern. Meine wichtigste Botschaft lautet: Ich nehme diese Ergebnisse ernst, wobei ich nicht weiß, wie groß das Problem tatsächlich ist, da nur jeder vierte Postdoc in der MPG an der Umfrage teilgenommen hat.
Was bedeutet das?
Ich will mit dem Positiven anfangen. 76 Prozent der Befragten können sich vorstellen oder haben fest vor, in der Wissenschaft zu bleiben. Das ist ein erstaunlich hoher Wert, den Sie anderswo sicher nicht so finden würden. Das heißt: Wer als Postdoc zu uns in die MPG kommt, will Wissenschaft, und das auf Dauer. Das ist doch großartig, und das verpflichtet uns, mit diesen hochmotivierten Talenten sorgsam umzugehen. Wir müssen ihnen Karrierewege innerhalb und außerhalb der MPG aufzeigen, und zwar weit über die Option einer Professur hinaus.
Wenn ich Sie richtig verstehe, entstehen die Depressionen und die Ängste dann dadurch, dass die hochfliegenden Pläne vieler Postdocs irgendwann auf die real existierende MPG-Wirklichkeit treffen?
Nein, das sage ich nicht. Bevor ich MPG-Präsident wurde, habe ich ein sehr großes Institut in Göttingen geleitet mit rund 1000 Mitarbeitenden, und bei einer solchen Zahl gibt es immer einzelne Menschen, die medizinische Hilfe brauchen – nach persönlichen Schicksalsschlägen, nach Todesfällen in der Familie zum Beispiel. Und dann kam in den vergangenen Jahren die Corona-Pandemie hinzu. Ich muss gerade an eine Doktorandin denken, die aus ihrem Heimatland in den Tropen zu uns wechselte, mitten in den kalten, grauen Göttinger Winter hinein, und dann begann der Lockdown. Sie musste wie alle in ihrem Zimmer sitzen ohne Austausch mit anderen Menschen. Die PostdocNet-Umfrage reflektiert also möglicherweise ein Stückweit auch diese Vereinsamung, die gerade junge Menschen in dieser Zeit erlebt haben – kombiniert mit einer Zukunftsangst, die ich ganz grundsätzlich in der Generation beobachte angesichts von Klimakrise und einer veränderten internationalen Sicherheitslage. Insofern ist die seelische Lage vieler Doktoranden ein Spiegelbild dessen, was wir auch anderswo in der Gesellschaft sehen.
"Mein Ziel ist, dass von den Direktorinnen und Direktoren bis hin zu den Gruppenleitern alle, die Personalverantwortung tragen, sensibilisiert und achtsam sind."
Das klingt jetzt aber schon so, als würden Sie die Verantwortung der MPG für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter herunterspielen.
Keineswegs! Aber diese Probleme sind ja auch in anderen Umfragen in den vergangenen Jahren zutage getreten. Haben wir schon gehandelt? Die Antwort ist: ja. In unserem Intranet, zu der alle Menschen mit einer MPG-Mailadresse Zugang haben, gibt es eine komplette und meines Erachtens sehr gut gemachte Seite zur körperlichen und seelischen Gesundheit. Ein sehr niedrigschwelliges Angebot bis hin zu einer Notfallnummer, die rund um die Uhr erreichbar ist, wenn man sich mal richtig schlecht fühlt. Dieses Element der Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitenden will ich weiter stärken. Mein Ziel ist, dass von den Direktorinnen und Direktoren bis hin zu den Gruppenleitern alle, die Personalverantwortung tragen, sensibilisiert und achtsam sind, dass sie Mitarbeiter, die Auffälligkeiten und Anzeichen einer Erkrankung zeigen, ansprechen und auf Hilfsangebote hinweisen.
Nur dass mitunter die Vorgesetzten genau das Problem und die Ursache von seelischen Problemen sein können. In den vergangenen Jahren sind mehrfach Fälle von mutmaßlichem Machtmissbrauch und Mobbing in der MPG an die Oberfläche gekommen.
Erstens: Wir müssen unsere jungen Leute gut behandeln. Zweitens: Dass das ganz überwiegend geschieht, habe ich auf meiner Reise gesehen. Wenn wir die MPG als Ganzes nehmen, haben wir über 24.000 Mitarbeitende und darunter mehr als 1000 Führungskräfte. Dass es einzelne Vorgesetzte gibt, die sich nicht korrekt verhalten, die ihre Macht missbrauchen, das wird sich leider nie ganz verhindern lassen. Aber ich halte es für unzulässig, aus wenigen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen.
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Sie sollten aber Rückschlüsse ziehen, indem Sie die Strukturen in der MPG anpassen.
Unsere Strukturen müssen wir immer anpassen, einfach weil sich auch die Welt um uns herum verändert. Als Forschungsgesellschaft haben wir hier eine Führungsrolle. Vergangene Woche erst habe ich ein dreistündiges Seminar geleitet für elf neu berufene Direktorinnen und Direktoren, die Mehrheit übrigens Frauen und aus dem Ausland. Letzteres ist wichtig in dem Zusammenhang: Unsere Mitarbeitenden kommen aus unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Teilen der Welt, auch deshalb müssen wir unsere Führungskräfte schulen. Mit zu den ersten Briefen, die ich als Max-Planck-Präsident unterschrieben habe, gehörte die Begrüßung neu eingestellter Forschungsgruppenleiter inklusive der dringlichen Einladung, an den entsprechenden Schulungen teilzunehmen. Zu diesen präventiven Maßnahmen gehören auch verpflichtende Umfragen an allen Instituten, die von unabhängigen Stellen durchgeführt werden und von allen Mitarbeitenden anonym beantwortet werden können. Es geht um die Bewertung von Arbeitsklima, Arbeitsumfeld, Arbeitsbedingungen und Vorgesetzten. Es gibt darüber hinaus auch die Möglichkeit, offen auf bestimmte Missstände und Sorgen hinzuweisen. Anlaufstellen dafür sind die Ombudspersonen, die wissenschaftlichen Fachbeiräte, die im Rahmen der Fachbeiratsbesuche in Abwesenheit der Führungskräfte mit Doktorandinnen und Doktoranden sowie den Postdocs sprechen. Wir haben zudem eine Anwaltskanzlei, die ebenfalls unabhängig von der MPG Beschwerden entgegennimmt und diese dann auf Wunsch auch erst einmal nur anonym an uns weitergibt. Und wenn dann konkrete Vorwürfe von Fehlverhalten auftreten, haben wir drittens transparente Regeln für standardisierte Verfahren entwickelt – inklusive externem Rat und ohne Einwirkung des Präsidenten, der bei allen Untersuchungen und ihrer Bewertung bewusst außen vor bleibt.
"Die Phase nach der Promotion ist die Zeit im Leben, in der man für ein paar Jahre frei forschen kann – wenn man einen guten Chef hat. Und damit es in der Hinsicht weniger auf Glück ankommt, wollen wir eine Struktur schaffen."
Vorhin haben Sie angekündigt, die Karrierewege für Postdocs zu reformieren, ihnen neue Optionen und Perspektiven ermöglichen zu wollen – vor allem in Form eines neuen interdisziplinären Postdoc-Programms. Das klingt nach einem großen Rad: Es gibt 2.400 Postdocs in der MPG.
Wir haben erkannt, dass wir an der Stelle Nachholbedarf haben. Wir haben sehr gute Promotionsprogramme mit einer guten Betreuung und klaren Regeln. Doch nach der Promotion folgt eine Phase, in der vieles unklar ist. Dabei sind genau das die Jahre, in denen sich entscheidet, ob ein junger Mensch in der Wissenschaft bleibt oder etwas Anderes macht. Hier wollen wir ansetzen mit unserem neuen Programm, wir wollen Orientierung und einen klaren Rahmen bieten, ohne dass es zu einer Verschulung kommt. Das wäre auch widersinnig, denn die Phase nach der Promotion ist die Zeit im Leben, in der man mal für ein paar Jahre frei forschen kann. Zumindest kann sie das sein – wenn man einen guten Chef hat. Und damit es in der Hinsicht weniger als bislang auf Glück ankommt, wollen wir eine Struktur schaffen. Erstens: Jeder Postdoc soll neben seinem direkten Vorgesetzten einen zweiten Mentor, eine zweite Mentorin aus einem anderen Max-Planck-Institut erhalten. Das fördert die Interdisziplinarität, ermöglicht aber auch den so wichtigen Blick von draußen: Wie entwickeln sich die Postdocs? Erhalten sie die Unterstützung, die sie brauchen? Zweitens: Wir führen eine Mindestvertragslaufzeit ein. Mir wären drei Jahre am liebsten, und dann nochmal drei, aber es kann sein, Stichwort Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dass wir bei zwei plus zwei Jahre landen.
Sie wollen also wie bisher sechs Jahre Postdoc-Befristung und dann erst den möglichen Einstieg in einen Tenure Track, der wiederum nur die Aussicht auf eine Dauerstelle enthält? Die Unterstützer von "#IchBinHanna" sehen in einem solchen Konzept eine Verschlimmbesserung der gegenwärtigen Lage.
Da verstehen Sie mich falsch. Das eine hat nichts mit dem Anderen zu tun. Das neue Postdoc-Programm für die sogenannte R2-Phase und unsere Tenure-Track-Auswahlverfahren für R3 sollen parallel laufen. Das heißt: Sie können sich jederzeit, wenn Sie soweit sind, aus dem Postdoc-Programm heraus dafür bewerben. Natürlich in transparenter Konkurrenz mit ausgezeichneten jungen Forschenden auch von außerhalb der MPG. Je nach Fächerkultur kann es sein, dass Sie dann nur für sechs oder neun Monate R2-Postdoc sind, in den Computerwissenschaften etwa, wo die guten Leute oft kurz nach der Promotion in Tenure-Track-Programme gehen. Während es in den Rechtswissenschaften oder in vielen geisteswissenschaftlichen Fächern, in denen die Leute erst Monografien schreiben müssen, um sich zu bewerben, mehrere Jahre dauern kann.
Und wozu dann die Unterteilung in zwei befristete Verträge?
Weil es in der Mitte des Programms eine Karriereberatung geben muss, um eine Entscheidung zu fällen, wie es weitergeht. Wir planen auch einen Workshop, zentral im Harnack-Haus in Berlin. Das Ziel ist, dass sie sich nach zwei oder drei Jahren Postdoc mit der Frage auseinandersetzen, wo genau sie ihre Zukunft sehen, auch außerhalb der akademischen Welt. Haben sie schon mal darüber nachgedacht, eine Firma zu gründen? Wie genau funktioniert das eigentlich? Oder wäre es eine Option, an eine internationale Einrichtung zu gehen? Welche kämen da überhaupt in Frage? Oder doch der Wechsel in die Wirtschaft?
Viele werden das Gefühl haben, Sie wollten sie loswerden.
Darum geht es nicht. Wir wollen aber, dass unsere Postdocs die vielen Optionen sehen und verstehen, die sie haben – innerhalb und außerhalb der MPG, innerhalb und außerhalb der Wissenschaft. Wir wollen sie mit Max-Planck-Alumni zusammenbringen, die von ihren Karrierewegen berichten und Rat geben können. So dass dann die zweite Vertragslaufzeit zu einem Sprungbrett wird: Für einige, die wissenschaftlich Talentiertesten, um sich auf ihren Einstieg in die Spitzenforschung vorzubereiten, über besagte R3-Stellen. Aber natürlich werden, wenn wir ehrlich sind, diejenigen, die in der akademischen Welt bleiben, immer in der Minderheit sein, und noch weniger werden ihre wissenschaftliche Laufbahn in der MPG durchleben. Und das ist gut und richtig, denn die Übrigen werden anderswo in der Gesellschaft und Wirtschaft gebraucht und erfolgreich sein.
"Wir wollen keinen Missbrauch, keine Kettenverträge, bis jemand 50 Jahre alt ist. Solche Fälle gab und gibt es, und die halte ich für unverantwortlich."
Ist das, was Sie da durch zusätzliches Mentoring und Workshop-Coachings erreichen wollen, nicht eigentlich ureigenste Aufgabe eines guten und engagierten akademischen Vorgesetzten? Gerade auch das Führen ehrlicher Gespräche über die langfristige wissenschaftliche Eignung von Postdocs?
Ich habe solche Gespräche immer mit all meinen Postdocs geführt, und dabei ist das Wichtigste, dass man sich als Vorgesetzter möglichst freimacht von seinen eigenen Interessen, die Leute einfach möglichst lang in den eigenen Projekten weiterforschen zu lassen. Erst recht, wenn man vielleicht längst weiß, dass es für den einen oder die andere höchste Zeit wäre, sich nach einer alternativen Karriereoption umzuschauen – bevor sie so alt sind, dass es immer schwieriger wird, außerhalb der Wissenschaft unterzukommen. Das ist unsere Verantwortung als Direktorinnen und Direktoren, als Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter. Als MPG wollen wir künftig nur ein bisschen mehr nachhelfen, indem wir langjährige Verträge und die Zweiteilung in der Mitte zum Standard machen, damit es nicht mehr zu diesem Automatismus immer neuer Vertragsverlängerungen kommt. Wir wollen keinen Missbrauch, keine Kettenverträge, bis jemand 50 Jahre alt ist. Solche Fälle gab und gibt es, und die halte ich für unverantwortlich. Ganz unabhängig von dem, was in einem Wissenschaftszeitvertragsgesetz steht.
Ganz am Anfang unseres Gesprächs haben sie gesagt, die MPG betreibe Grundlagenforschung auf international höchstem Niveau und rekrutiere von überall her die besten Talente. Die aus Frankreich stammende Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier, seit 2015 bei Max Planck, sagte neulich der FAZ, dass sie zwar nirgends so lange gewesen sei wie in Deutschland – dass sie aber in der CRISPR-Forschung "nicht mehr wettbewerbsfähig" sei. Vor allem nicht gegenüber den USA und ganz besonders nicht, wenn es um die Rekrutierung des Personals gehe. Der dortige Enthusiasmus sei ansteckend. "Hier funktioniert das anders", fügte Charpentier hinzu, "und am Ende ist es zu spät, wenn das Schiff längst losgesegelt ist." Hört sich das für Sie auch so an, als würde sich Frau Charpentier per Zeitungsinterview von Max Planck wegbewerben?
Nein, ich kenne Emmanuelle Charpentier gut, und ich sehe nicht, dass sie ihre Kritik auf die MPG bezogen hat. Sie leidet unter der derzeitigen Situation wie wir alle in der deutschen Wissenschaft. Es ist sehr schwer, Fach- und Führungskräfte zu gewinnen, und in der Mitte Berlins, wo sie arbeitet, ist es nochmal schwieriger. Und wenn es darum geht eine neue Technik auch in die Anwendung zu bringen, mobilisieren die US-Amerikaner viel schneller viel mehr Geld. Wo sie sicher auch Recht hat: In den USA und in China entstehen gerade Monopolstrukturen in der Künstlichen Intelligenz. Wir haben zwar immer noch einige der absolut führenden KI-Forscher bei uns, werden in Europa aber durch die geltenden Regelungen beschränkt. Immerhin tut sich anderswo, in der Grünen Gentechnik, auf EU-Ebene nach 20 Jahren politischen Diskussionen etwas, wir könnten nach einer Liberalisierung der Vorgaben wieder Anschluss finden an den internationalen Wettbewerb.
Das ging mir zu schnell. Wenn Forschende wie Emmanuelle Charpentier die mangelnde Dynamik in Deutschland beklagen, beziehen sie sich nicht auch auf die wissenschaftlichen Institutionen? Hand aufs Herz: Ist die MPG in all ihrer Tradition und ihrem Stolz auf das Erreichte noch hungrig genug?
Und ob wir hungrig sind. Ich erlebe diese Neugier überall, wo ich hinkomme. Sie ist unsere Triebfeder. Ich habe bei meinen Institutsbesuchen gesehen, wie Liebgewonnenes aufgegeben wird, wie unsere Wissenschaftler bereit sind, den nächsten großen Schritt zu gehen, ihre Forschungsrichtung zu ändern. Als Präsident habe ich mir vorgenommen, durch die Berufungen, die ich vornehme, noch stärker als bislang neue Forschungsfelder zu erschließen. Und dabei will ich wegkommen von der Frage, die immer zuerst kommt.
Die da lautet?
"Wie wollt ihr das denn finanzieren?" Meine Antwort: Wir dürfen nicht beim Geld anfangen, sondern bei den Ideen. Wir müssen fragen, was jetzt in diesem Moment am dringendsten erforscht werden muss. Dann lande ich zum Beispiel bei der großen Frage nach der Interaktion von Menschen und Maschinen. Wie entstehen emergente Eigenschaften in Maschinen, die wir als Menschen nicht programmiert, nicht beabsichtigt haben? Wie lernen und verhalten sich Maschinen, wie verändern sie sich auch im Umgang mit uns Menschen, mit der Gesellschaft? Es gab noch nie eine Technologie, die so eng an den Kern des Menschseins herankam, und das ist nur ein Beispiel für ein riesiges Forschungsfeld an der Grenze zwischen Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaft. Wenn wir diese tollen Ideen haben, müssen wir da entschieden reingehen, unabhängig von den finanziellen Wechselwirkungen.
"Wir werden als MPG unsere Bedürfnisse moderat, aber mit der nötigen Transparenz formulieren – und zugleich unsere Verantwortung für die Gesellschaft wahrnehmen."
Die aber ja nun einmal da sind. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) muss nächsten Jahr sparen. Zwar erhalten die MPG und die anderen außeruniversitären Forschungsgesellschaften ihren üblichen Budgetaufwuchs von drei Prozent, aber die politischen Widerstände gegen den zugrundeliegenden Pakt für Forschung und Innovation (PFI) nehmen offenbar zu. Sorgt Sie das?
Wir sind dankbar, dass wir Teil des Paktes sind. Und wir gehen davon aus, dass die Politik ihr Versprechen, ihn bis Ende des Jahrzehnts fortzusetzen, einhält. An der Stelle will ich, ohne Forderungen zu stellen, lediglich darauf hinweisen, dass die drei Prozent mittelfristig keinesfalls reichen werden, um den Status Quo zu halten angesichts von Inflation und der Explosion der Energiekosten. Ich hoffe, dass sich das in den kommenden Jahren, wenn die Preissteigerungen wieder niedriger werden, etwas ausgleicht. Unabhängig davon haben wir aber selbst Spielräume, die ich nutzen will: Ein Drittel unserer Direktorinnen und Direktoren wird bis 2030 ausscheiden, das gibt uns die Möglichkeit zu den Berufungen, von denen ich eben sprach. Wir können und werden also aus der Substanz heraus handeln. Aber natürlich gibt es Bereiche, wo wir ohne zusätzliches Geld nicht gestalten können. Wenn wir bei KI wirklich vorn dabeibleiben wollen, braucht es irgendwann ein deutsches oder europäisches Rechenzentrum, das eine Größenordnung größer ist als alles, was wir jetzt haben. Und wenn wir das mit der Nachhaltigkeit ernst nehmen und bis spätestens 2035 als Forschungsgesellschaft klimaneutral sein wollen, wird das nur über ein Sonderprogramm für die energetische Sanierung gehen. Das ist bei den Universitäten und den anderen Forschungsorganisationen nicht anders. Zugleich sollten wir als Wissenschaft aber moderat auftreten mit unseren Forderungen in der aktuellen Lage.
Warum?
Weil wir doch sehen, wie enorm belastet der Staatshaushalt ist nach der Corona-Pandemie und angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Und weil es nicht nur die Wissenschaft, sondern auch andere Bereiche unserer Gesellschaft gibt, die genauso dringend Unterstützung benötigen. Ich denke hier vor allem an den Bildungssektor. Darum werden wir als MPG unsere Bedürfnisse moderat, aber mit der nötigen Transparenz formulieren – und zugleich unsere Verantwortung für die Gesellschaft wahrnehmen.
Sie wollen Ihre Wissenschaftler ermutigen, sich mit ihrer Expertise stärker an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Haben Sie den Eindruck, dass die MPG ihre Kompetenz abseits der klassischen Wissenschaftsdiskurse unter Wert verkauft hat?
Es ist ja nicht so, dass wir uns in der Vergangenheit nie geäußert, dass wir die gesellschaftlich-politische Entwicklung nicht immer schon mitgeprägt hätten. Der erste Kontakt zwischen Israel und Deutschland nach dem Krieg entstand zwischen dem Weizmann-Institut und der Max-Planck-Gesellschaft: Otto Hahn reiste damals mit einer kleinen Delegation nach Israel. Auf dieser langen Tradition des gesellschaftlichen Engagements wollen wir aufbauen. Aber wir wollen schneller werden. Meine Idee ist, dass wir dafür je nach Thema einen unterschiedlichen Kreis von Expertinnen und Experten zusammenbringen. Bleiben wir beim Beispiel Israel und dem aktuellen Verfassungsstreit. Wir wollen jetzt Stellung beziehen und uns solidarisch zeigen mit unseren wissenschaftlichen Partnern vor Ort. Darum habe ich Max-Planck-Wissenschaftler eingeladen, die sich mit Israel auskennen, damit wir uns beraten können. Das ist ein Beispiel, wie wir rasch ein Meinungsbild erstellen können, ohne jedes Mal alle Wissenschaftlichen Mitglieder der MPG befragen zu müssen. Meine Aufgabe als Präsident wird sein, dieses Meinungsbild möglichst schnell in die Öffentlichkeit zu transportieren. Auf die Debatten, die dadurch entstehen, freue ich mich.
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Die Lehrerbildung befindet sich inmitten des größten Umbruchs seit vielen Jahren. Aber schaffen es die Kultusminister, ihren Reformen eine stimmige und gemeinsame Richtung zu geben? Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK präsentiert dazu ihr lange erwartetes Gutachten.
Foto: Katerina Holmes, Pexels.
LANGE GEPLANT kommt das Gutachten jetzt mit einer Aktualität, die man sich gar nicht hat wünschen können: Drei Tage nach Bekanntgabe der historisch schlechten deutschen PISA-Ergebnisse veröffentlichte das wichtigste wissenschaftliche Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz (KMK) am Freitagmittag seine Empfehlungen "zur Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht". Zuvor hatten die 16 Experten der Ständigen Wissenschaftlichen hin Kommission (SWK) ihr Gutachten in vertraulicher Runde den Kultusministern vorgestellt.
Die Vorschläge der SWK kommen auf den ersten Blick teilweise wenig radikal daher, doch würde ihre Umsetzung die Schulen in Deutschland nachhaltig verändern – und die KMK gleich mit.
Insgesamt elf Empfehlungen umfasst das Gutachten, sortiert nach vier Kapiteln. Mit die wichtigste Forderung: Es muss endlich eine vernünftige Datenbasis her. Denn bislang ist die KMK noch jedesmal von der Entwicklung der bundesweiten Schülerzahlen überrascht worden, auch hat sie die Änderungen der bildungspolitischen Rahmenbedingungen (etwa den Ausbau von Inklusion oder Ganztagsschule) nie ausreichend in ihren Modellierungen abgebildet. Im Gegensatz etwa zu den Prognosen, die der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat und die fast immer näher an den tatsächlichen Lehrerbedarf herankamen.
"Sonst kommen wir nie zu einer verlässlichen Prognose"
Warum? Lange hatte die KMK ihrer Modellrechnungen zu selten aktualisiert, das immerhin hat sie inzwischen abgestellt und sammelt die Rückmeldungen der Bundesländer in jährlichem Abstand (allerdings ist aktuelle Veröffentlichung weit überfällig). Doch ändert dies laut Olaf Köller, dem Ko-Vorsitzenden der SWK, nichts daran, dass die Grundlage der KMK-Berechnungen, die Länderzumeldungen, nicht so recht zusammenpassen. "Es fehlt die Transparenz über in die Annahmen, die die Länder jeweils ihren Prognosen zugrundelegen", sagt Köller, im Hauptberuf Direktor des IPN Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik. "Darum müssen die Daten künftig systematisch und vergleichbar in allen Ländern erhoben werden, unter Berücksichtigung des tatsächlichen Bedarfs, und alle Länder müssen etwaige Datenlücken schließen, sonst kommen wir nie zu einer verlässlichen Prognose."
Eine solche Systematik würde freilich eine andere KMK voraussetzen: eine, die in der Lage ist, die für eine Vergleichbarkeit nötigen Datendefinitionen herzustellen und, in Form ihrer Verwaltung, des KMK-Sekretariats, dann selbstbewusst von den Ländern die nötige Datenqualität einzufordern. Was, nebenbei gesagt, nur beschleunigen würde, was die Kultusminister bei ihrem Treffen in Berlin ohnehin, je nach Bundesland und Perspektive mehr oder weniger begeistert, diskutiert haben: die überfällige grundlegende Reform der KMK, ihrer Prozesse und Verfasstheit.
Zweites großes Thema des SWK-Gutachtens: den Ausbildungserfolg der Lehramtsstudierenden erhöhen. Auch hier, das zeigte zuletzt eine Analyse des Stifterverbandes eindrucksvoll, handelt es sich zu einem guten Teil um ein Datenproblem. Viele lehrerbildende Universitäten können nämlich gar nicht sagen, wie viele ihrer Lehramt-Studienanfänger bis zum Abschluss kommen – geschweige denn, warum sie zu welchem Zeitpunkt entscheiden, doch nicht Lehrer zu werden. Von einer "großen Forschungs- und Datenlücke", die es zu füllen gelte, sprach im Sommer der Stifterverband, "denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern."
Genau diese Datenlücke will die SWK schließen und fordert, die Studierbarkeit der Lehramtsstudiengänge müsse "datengestützt" verbessert werden, zudem müsse die soziale und akademische Integration in die Hochschulen gestärkt werden. Das entscheidende Mittel für beides: ein funktionierendes Qualitätsmanagement und verlässliche Abstimmungsstrukturen, die auch die erste Phase der Lehrerbildung, das Studium, mit der zweiten, dem Vorbereitungsdienst, verbinden. Beide Phasen laufen bislang oft nebeneinander, umso mehr gilt das für die dritte, die Fort- und Weiterbildung der bereits berufstätigen Lehrer.
Hoffnung Ein-Fach-Lehrer
Womit die SWK beim Kern ihrer Empfehlungen angekommen ist, der künftigen Gestaltung der Studiengänge, man könnte auch sagen: ihrer zumindest teilweisen Neugestaltung. Denn die Experten empfehlen, neben dem klassischen grundständigen Studium einen "wissenschaftsbasierten, qualifizierten zweiten Weg in den Lehrkraftberuf" zu eröffnen. Oder weniger verklausuliert formuliert: den seit einer Weile viel diskutierten Ein-Fach-Lehrer einzuführen. Genaus das hatte der Wissenschaftsrat im Sommer bereits im Sommer vorgeschlagen, allerdings nur bezogen aufs Mathematikstudium.
Das Modell der SWK ist schnell erklärt: Bewerber haben einen fachlichen Bachelor oder Master, beispielsweise in Germanistik. Dann starten sie in einen viersemestrigen Master of Education, der ihnen das gesamte pädagogische Rüstzeug mitgibt, um Lehrer zu werden: die Fachdidaktik, die Bildungswissenschaften, dazu die Praktika und einen Spezialisierungsbereich wie Digitalisierung, Inklusion, Sprachbildung oder Berufsorientierung. Nach diesem Master folgt der Übergang in ein reguläres Referendariat und anschließend die volle Lehrbefähigung – allerdings nur für ein Fach.
Berufsbegleitend soll es dann die Option geben, ein zweites Fach hinzuzustudieren – aber nicht verpflichtend. "Hier setzen wir auf die Motivation der Lehrkräfte", sagt die Berliner Professorin für Schulpädagogik, Felicitas Thiel, neben Köller Vorsitzende der SWK. Hier dürfte das Gutachten der Kommission größere Diskussionen auslösen: Andere Erziehungswissenschaftler warnen nämlich davor, dass Ein-Fach-Lehrer in den Schulen zu einseitig belastet würden, den Unterrichtsbedarf nicht ausreichend abbilden und die Stundenplanorganisation verkomplizieren könnten. Weshalb ihre Ausbildung, wenn man sie zulasse, mit der Verpflichtung einhergehen müsse, ein zweites Fach nachzuholen. Doch schon der Wissenschaftsrat hatte diese Gründe nicht als plausibel genug für eine verpflichtende Zweit-Fach-Weiterbildung erachtet.
In jedem Fall aber ist diese SWK-Empfehlung für die Schulwirklichkeit wohl die weitreichendste. Denn auch wenn es hier und da bereits gut funktionierende wissenschaftliche Aufbau-Masterprogramme gibt: Vielerorts besteht derzeit nur die Wahl zwischen dem traditionellen Lehramtsstudium und aus der Not geborenen Seiteneinsteiger-Programmen, die zwar flexibel sind, denen jedoch vielfach, wie nicht nur die SWK klagt, die Wissenschaftsbasierung fehlt. Würde es der KMK gelingen, einen Ein-Fach-Lehramt nach einheitlichen Maßstäben zu etablieren, wäre der Zugang zum Lehramtsstudium dauerhaft flexibler – auch über den aktuellen dramatischen Lehrkräfte-Mangel hinaus.
Absage an ein duales Lehramtsstudium
Für die Debatten unter den Kultusministern schon bei der Vorstellung des SWK-Gutachtens dürfte unterdessen gesorgt haben, dass die Experten einem anderen bei Bildungspolitik und lehrerbildenden Hochschulen in Mode gekommenen Reformvorhaben eine Absage erteilen: dem dualen Lehramtsstudium. "Wir können nicht verstehen, wo da eigentlich die Euphorie herkommt", sagt Felicitas Thiel. Schon außerhalb des Lehramts gelinge in dualen Studiengängen die Verschränkung von Theorie und Praxis nicht wirklich gut, hinzu komme: "Wer soll, wenn wir an manchen Schule nur noch zehn Prozent grundständig ausgebildete Lehrkräfte haben, noch nebenbei die aufwändige Begleitung dual Studierender übernehmen?"
Anders sieht das unter anderem der Wissenschaftsrat, der, schwer kritisiert unter anderem vom Deutschen Philologenverband, im Sommer seine Empfehlungen zur Zukunft des Matheunterrichts vorgelegt hatte, inklusive einem Plädoyer zur Entwicklung des dualen Studiums.
Ebenfalls keine Unterstützung von der SWK erhalten Überlegungen, komplette Lehramtsstudiengänge zumindest für die beruflichen Schulen auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften laufen zu lassen. "Es gibt bereits 34 Universitätsstandorte, die in der Lehrerbildung mit HAWs kooperieren", sagt SWK-Mitglied Isabell van Ackeren, Professorin für Bildungssystem- und Schulentwicklungsforschung an der Universität Duisburg-Essen, die an der Ausarbeitung des Gutachtens maßgeblich beteiligt war. Um ausreichend wissenschaftsbasiert und berufsfeldbezogen zu sein, sagt sie, würde die Abwicklung eines kompletten Lehramtsstudiums aber erhebliche zusätzliche personelle Ressourcen und organisationale Strukturen an den HAWs erfordern. "Das halten wir nicht für zielführend, weitere Kooperationen hingegen schon."
Wofür die SWK sich indes ausspricht: die Einführung sogenannter Assistenz-Lehrkräfte, die auf der Grundlage eines Bachelorabschlusses und einer Weiterqualifizierung an die Schulen kommen könnten. Ohne Berechtigung zum eigenständigen Unterricht, aber in Anbindung und zur Unterstützung an eine voll qualifizierte Lehrkraft. Eine Idee, die so ähnlich schon vor zwei Jahrzehnten mit der Einführung der Bologna-Studiengänge im Lehramt diskutiert wurde, sich aber nie hat durchsetzen können.
Zweite Chance für die Assistenz-Lehrkraft?
"Anders als damals gibt es jetzt aber ein funktionierendes Vorbild aus der Medizin, den Physician Assistent als zusätzliche Karriereoption für Pflegekräfte", sagte Felicitas Thiel. "Das hat macht uns optimistisch, dass wir es jetzt auch in der Lehrerbildung schaffen, in einem vielfältigeren System von Karrierewegen zu denken, mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten in der Schule, aber immer auf Augenhöhe." Eine Debatte darüber, so Thiel, sei überfällig – auch um klare Kriterien und Kompetenzen festzulegen.
Apropos klare Kriterien: Länder wie Brandenburg etablieren bereits neue, stark umtstrittene Lehrer-Laufbahnen auf Bachelorebene – allerdings dann mit vollständiger Lehrbefähigung. "Genau das wollen wir nicht", betont Thiel – wohl ahnend, dass die SWK-Vorschläge genau mit solchen Modellen in einen Topf geworfen werden könnten, etwa von den Lehrergewerkschaften.
Und sonst? Schlagen die SWK-Experten vor, den Vorbereitungsdienst einheitlich auf zwölf Monate zu verkürzen, allerdings nur unter Voraussetzung eines Gesamtkonzepts, das wie gefordert erste und zweite Phase und Berufseinstieg sowie Theorie und Praxis besser verknüpft, vor allem in Form eines über die Phasen hinweg kohärenten Curriculums, das außerdem Mentoren und Fachseminarleiter wissenschaftsbasiert qualifiziert und die Unterrichtsverpflichtung während Referendariat und Berufseinstieg möglichst gering hält.
Außerdem fordert die Kommission einen ländergemeinsamen Qualitätsrahmen für ein in sich stimmiges, qualitätsgesichertes Forbildungssystem, von dem die SWK das Bildungssystem trotz einer (theoretischen) Fortbildungsverpflichtung in allen Ländern weit entfernt sieht. Stichworte sind hier zertifizierte Module der wissenschaftlichen Weiterbildung etwa für ein weiteres Unterrichtsfach in Mangelfächern, für andere Unterrichtsbereiche, für eine sonderpädagogische Fachrichtung oder zur Nachqualifizierung für eine andere Schulform, außerdem der Ausbau von Master- und Promotionsstudiengänge etwa für Leitungspositionen und Koordinationsfunktionen.
Dicke Bretter, klare Ansagen
Dicke Bretter und klare Ansagen – in dem, was die SWK gut heißt, genauso aber, wovon sie abrät. Jetzt ist es an der Bildungspolitik. Im März wollen die Kultusminister ihren eigenen Aufschlag zur Zukunft der Lehrerbildung beschließen, auf der Grundlage des SWK-Gutachtens und weiteren Papieren wie den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum Mathestudium. Auch der Stifterverband hatte vor wenigen Wochen einen ambitionierten Reformkatalog vorgelegt.
Vieles von dem Vorgeschlagenen, werden die Kultusminister argumentieren, gebe es schon. Stimmt. Allerdings, und das ist der entscheidende Punkt der SWK-Experten, fehlt derzeit zweierlei in der deutschen Lehreraus- und weiterbildung: Stimmigkeit und Systematik. Beides will das neue Gutachten erreichen. Ob die KMK ihm folgen kann, selbst wenn die Kultusminister es wollten? So, wie sie im Augenblick ist, an vielen Stellen vermutlich nicht. Ein Grund mehr, sie zu reformieren.
Nachtrag am 08. Dezember, 12.45 Uhr:
Was die Kultusminister zum SWK-Gutachten sagen
Von einer "klaren Positionierung für hohe Qualitätsstandards in der Lehrkräftebildung", sprach KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU), im Hauptberuf Berliner Bildungssenatorin. "Die Kultusministerkonferenz wird sich eingehend mit den vorgeschlagenen Empfehlungen auseinandersetzen und entsprechende Maßnahmen formulieren." Zur Absage der SWK an ein duales Lehramtsstudium sagte Günther-Wünsch, der Begriff der Dualität sei ungünstig gewählt. Nichts desto trotz gebe es Debatten in den Bundesländern über die Verkürzung der Studiendauer und Verknüpfung der Praxisanteile, und man werde darüber nun mit der SWK weiterdiskutieren, vielleicht dann unter einer anderen Überschrift als "duales Studium".
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der die SPD-Bildungspolitik in den Ländern koordiniert, sagte: "Die Idee, neben dem klassischen Lehramtsstudium einen zweiten Weg mit einem neuen Studiengang in den Lehrberuf zu eröffnen, erschließt ganz neue Chancen für Studierende." Die Verkürzung des Referendariats durch eine bessere Verzahnung von Studium und Praxis sollte sorgfältig geprüft werden.
Rabes Gegenüber auf CDU-Seite, Hessens Kultusminister Alexander Lorz, sagte, er begrüße insbesondere die Ansätze, "neue Personengruppen für den Beruf als Lehrkraft zu erschließen, ohne dabei den Qualitätsanspruch aus dem Blick zu verlieren". Die etablierte und qualitätsgesicherte grundständige Ausbildung unserer zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer durch alternative Formen zu gefährden, lehnt die SWK ab. "Dem schließe ich mich an."
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Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank über Hamburgs Aufstieg als Wissenschaftsmetropole, den vermissten Spirit der Ampel-Koalition, die Chancen der grünen Gentechnik – und eine neue Hamburger Wissenschaftskonferenz, die Weltrang bekommen soll.
Katharina Fegebank, 46, ist Grünen-Politikerin und seit 2015 Zweite Bürgermeisterin in Hamburg sowie Senatorin für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke. Foto: BWFGB.
Frau Fegebank, sind Sie als grüne Hamburger Wissenschaftssenatorin eigentlich froh darüber, dass Ihr CSU-Kollege Markus Blume aus Bayern stets das öffentliche Poltern übernimmt, wenn sich die Länder mal wieder über die Zusammenarbeit mit dem BMBF aufregen?
Markige Töne ist man aus Bayern gewohnt, und das nicht nur in der Wissenschaftspolitik. Ich wünsche mir genauso wie der Kollege Blume eine Priorisierung des Zukunftsfelds Wissenschaft durch die Bundesregierung. Mein Weg ist allerdings eher, im vertrauensvollen Dialog darauf zu drängen anstatt in der Öffentlichkeit. Dass es durchaus gerumpelt hat in verschiedenen Bund-Länder-Sitzungen der letzten Zeit, will ich gar nicht verhehlen. Die Ampel ist als Fortschrittskoalition mit großen Hoffnungen gestartet. Und zu diesem Spirit sollte sie zurückkehren.
Hat sich denn Ihre eigene Partei in der Bundesregierung genug gegen die drohenden Kürzungen im Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eingesetzt?
Der Bund befindet sich in einer schwierigen Haushaltslage, wir Länder tun das auch. Da wäre es etwas wohlfeil, wenn wir als Wissenschaftspolitik einfach sagen würden: Das geht uns alles nichts an, sollen sie überall sonst den Rotstift ansetzen, in der sozialen Infrastruktur, in der Energiepolitik, bei der Mobilitätswende – Hauptsache, in der Wissenschaft bleiben wir auf der Insel der Glückseligen. Doch eines muss uns dabei auch klar sein: Wissenschaft, Forschung und Innovation sind die wichtigsten Quellen für unseren künftigen Wohlstand. Und ich wünsche mir, dass sich die Ampelkoalition von diesem Grundsatz in den anstehenden Haushaltsberatungen leiten lässt.
"Die Forschungsorganisationen bekommen seit vielen Jahren verlässlich ihr Plus, da sollten sie ein gewisses Maß an Vorsorge betrieben haben."
Immerhin hat sich die Bundesregierung zuletzt sehr klar zur weiteren Erhöhung des Pakts für Forschung und Innovation (PFI) bekannt. Wenn Sie in die großen außeruniversitären Forschungsinstitute hineinhorchen, und von denen haben Sie in Hamburg ja reichlich, sagen die jedoch: Drei Prozent mehr pro Jahr reichen vorn und hinten nicht. Angesichts von Inflation und Rekord-Tarifabschlüssen gleiche ein solcher Zuwachs derzeit einem Wissenschaftsabbau-Programm.
Auch das ist kein singuläres Phänomen, das nur die Wissenschaft trifft. Schauen Sie auf die Gehaltssteigerungen, welche die Länder jetzt zum Beispiel für ihre Krankenhäuser stemmen müssen. Aber Sie haben Recht: Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen war hoch, das können die Forschungsorganisationen mit den drei Prozent pro Jahr Aufwuchs nicht stemmen. Ich bin Mitglied im Senat der Helmholtz-Gemeinschaft, ich weiß, welche verheerenden Folgen für Forschungsvorhaben das hat – und für junge Wissenschaftler und die ihnen zur Verfügung stehenden Stellen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Forschungsorganisationen seit vielen Jahren verlässlich ihr Plus bekommen, da sollten sie in vorausschauender Planung ein gewisses Maß an Vorsorge betrieben haben. Einen solchen Grad an Steuerungsfähigkeit darf man erwarten.
Haben Sie als Land denn selbst Vorsorge getroffen, wenn im Herbst die Tarifverhandlungen für die Landesbeschäftigten, auch die an den Hochschulen, dran sind?
Wir schauen gebannt auf die Verhandlungen und beschäftigen uns natürlich auch schon jetzt damit, wie wir mit den Ergebnissen umgehen. Und ich kann nur sagen: Wenn es am Ende auf Gehaltsteigerungen von sechs oder acht Prozent zulaufen sollte, kann das kein Haushalt einfach so abbilden.
Also hoffen die Länder noch stärker auf Bundesmittel? Man könnte sagen: Es ist etwas durchschaubar, wenn die Länder einerseits dem Bund vorwerfen, er spare zu stark bei Bildung und Wissenschaft – sie selbst aber seit vielen Jahren ihre Hochschulen in einem Zustand der permanenten Unterfinanzierung lassen.
Die Darstellung, wir Länder würden fortlaufend wie Bittsteller Richtung Bund schielen, halte ich dann doch für einseitig. Als Länder tragen wir an vielen Stellen, nicht nur im Wissenschaftsbereich, einen erheblichen Teil, und deshalb gilt es genau zu schauen, wo wer gefordert ist.
"Wir müssen in Zeiten eines bundesweiten
Lehrkräftemangels auch die Debatte über
die Lösungen bundesweit führen."
Beispiel Qualitätsoffensive Lehrerbildung: Bisher hat der Bund sie allein finanziert, jetzt will er sie auslaufen lassen, und die Länder gehen auf die Barrikaden.
Natürlich ist die Ausbildung von Lehrkräften originär Ländersache. Wir würden uns sogar weigern, wenn der Bund uns da zu intensiv mit eigenen Überlegungen und Ideen hineinfunken wollte. Doch ohne pathetisch klingen zu wollen, halte ich es umgekehrt schon für eine nationale Aufgabe, dass wir allen Kindern und Jugendlichen in Deutschland von Anfang an gleichberechtigte Bildungschancen bieten. Darum müssen wir in Zeiten eines bundesweiten Lehrkräftemangels auch die Debatte über die Lösungen bundesweit führen. Und hier sehe ich sehr wohl eine Rolle für den Bund: Er kann den Austausch über Best Practice in der Lehrerbildung führen, er kann den Wettbewerb um die besten Ideen fördern. Er kann das nicht nur, er sollte es tun.
Der Bund pocht darauf, dass die Länder selbst in die Verantwortung gehen sollen.
Über eine anteilige Kofinanzierung müsste man sprechen, außerdem können wir das Programm gern weiterentwickeln mit einem Schwerpunkt auf der Verhinderung von Studienabbruch im Lehramtsstudium, auf der Integration von Quereinsteigern – neben der Frage, die dem BMBF besonders wichtig ist: wie nämlich der Schulalltag für alle digitaler gestaltet werden kann. In jedem Fall müssen wir viel stärker in die Gesellschaft, in die Schulen hineinwirken, um junge Menschen zu begeistern für den Lehrerberuf. Und da haben wir natürlich eine gemeinsame Verantwortung, das haben wir dem BMBF sehr deutlich gemacht. Was mich allerdings sorgt: Wenn sich schon bei verhältnismäßig kleinen Programmen wie der Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit einem Volumen von bislang 50 Millionen Euro pro Jahr die Diskussionen mit dem Bund so schwierig gestalten, lässt das nichts Gutes erahnen für die großen Brocken, die anstehen, etwa eine Anpassung des Pakts für Forschung und Innovation, um den Tarifsteigerungen gerecht zu werden.
Was Bayerns Wissenschaftsminister Blume, der dieses Jahr der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) vorsitzt, explizit gefordert hat. Schon Anfang des Jahres sagte er im Interview hier im Blog, es gehe nicht an, die Forschungsorganisationen mit einem realen Minus zurückzulassen – Bund und Länder müssten jetzt nachlegen in Form einer "echten Wissenschaftsallianz für den Standort Deutschland".
Ich unterstütze diese Forderung und das Engagement des Kollegen Blume für die Ländergemeinschaft in der Sache. Ich sehe derzeit aber kein Signal des Bundes, dass er hier verhandlungsbereit wäre. Was ich sehe: Dass wir dieses Jahr auch die Fortsetzung des Förderprogramms für die angewandte Forschung an Fachhochschulen verhandeln müssen und dass wir als Länder da ebenfalls mit dem Bund noch weit auseinanderliegen. Ich habe Verständnis dafür, dass der Bund von den Ländern verlangt, sich finanziell daran zu beteiligen. Aber die vom BMBF geforderte 50-50-Finanzierung würde die Last zu stark in unsere Richtung verschieben. 50-50 mag erst mal fair klingen, blendet aber aus, dass wir Länder zusätzlich für die Grundfinanzierung der Hochschulen zuständig sind.
"Ich habe mich explizit eingesetzt, dass auch die größeren Universitäten DATI-Mittel erhalten können. Aber doch nicht auf Kosten der HAW!"
Derweil hat der Bund das aktuelle Budget für die HAW-Forschung bereits in den Haushaltstitel für die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) verschoben, die auch für Universitäten offenstehen soll. Gleichzeitig scheint es für die DATI kaum frisches Geld zu geben. Müssen sich am Ende die HAW ihre zuletzt nicht einmal 60 Millionen Euro Forschungsförderung pro Jahr auch noch mit den Universitäten teilen – die umgekehrt mehr als 99 Prozent des Milliardenhaushalts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter sich allein ausmachen?
Das darf nicht passieren. Ich habe den Ampel-Koalitionsvertrag mitverhandelt und mich in dem Zusammenhang sogar explizit eingesetzt, dass auch die größeren Universitäten DATI-Mittel erhalten können. Aber doch nicht auf Kosten der HAW! Ob eine solche Gefahr konkret besteht, kann ich nicht einschätzen, weil es das vom BMBF lange angekündigte DATI-Gesamtkonzept immer noch nicht gibt, sondern nur einzelne Pilotvorhaben. Als Länder waren und sind wir gesprächsbereit. Wir haben in den vergangenen Jahren mit dem Bund in der Wissenschaftsfinanzierung immer wieder Durchbrüche erzielt, vom Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" bis hin zur Erneuerung der Exzellenzstrategie. Das liegt auch an dem besonderen Gesprächsformat, das uns mit der GWK zur Verfügung steht. Zu solchen gemeinsamen Momenten der wissenschaftspolitischen Stärke sollten wir zurückfinden.
Apropos Stärke: Kann Hamburg als Wissenschaftsstandort inzwischen mit Metropolen wie Berlin mithalten?
Wir haben in den vergangenen zehn Jahren einen unglaublichen Sprung gemacht. Das Selbstverständnis der Stadt hat sich verändert, sie begreift sich jetzt selbstbewusst als Wissenschaftsmetropole. Wir sind vielleicht später gestartet als manch andere Stadt oder Region, aber wir holen auf, und alle ziehen mit in der Hamburger Politik und Stadtgesellschaft. Da spiegelt sich der Strukturwandel, den wir als klassische Handels- und Hafenstadt durchlaufen, manchmal weniger sichtbar und disruptiv als andere. Uns hilft, dass wir als Stadt weit über Deutschland hinaus Menschen anziehen, die sich bei uns entfalten wollen, die Freiheit schätzen und sie bei uns finden. Das ist Lebensqualität – womit ich nicht bestreite, dass wir noch besser werden können, etwa indem wir unsere Verwaltung weiter beschleunigen oder alle Dienstleistungen dort auf Englisch anbieten.
"Kommen Sie mal in die Science City Hamburg Bahrenfeld, da können Sie beobachten, wie erstmalig ein Stadtteil um eine gewachsene Forschungslandschaft herum und mit ihm zusammenwächst."
Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten gibt es auch in Berlin. Über die Verwaltung sprechen wir lieber nicht.
Sollten wir aber. Und beim Thema Exzellenz müssen wir uns auch nicht verstecken. Als ich 2015 anfing, hat uns keiner zugetraut, dass die Universität Hamburg innerhalb weniger Jahre Exzellenzuniversität sein würde. Dieser Titel hat uns noch mal einen ordentlichen Schub gegeben, weil die internationale Wissenschaftsszene gesehen hat: Da geht richtig was in Hamburg – an den Hochschulen, aber auch bei den Außeruniversitären. Ich will hier keinen Riesen-Werbeblock einschieben, aber kommen Sie mal in die Science City Hamburg Bahrenfeld, da können Sie beobachten, wie erstmalig ein Stadtteil um eine gewachsene Forschungslandschaft herum und mit ihm zusammenwächst. Forschen, Lernen, Freizeit, Schule, Sport, alles vereint in einer Nachbarschaft. Darum bin ich auch gerade so am Klinkenputzen beim Bund, um die Finanzierung für PETRA IV zu bekommen, die leistungsstärkste Röntgen-Lichtquelle der Welt, die wir in der Science City planen, am DESY. Schon PETRA III sorgt dafür, dass Wissenschaftler aus aller Welt zu uns kommen. Aber wir wissen, dass die USA und China nicht schlafen, wir stellen uns dem Wettbewerb, und die Stimmung in Bahrenfeld ist gut, auch wenn immer das Damoklesschwert der angespannten öffentlichen Haushalte über uns hängt, in Hamburg wie im Bund.
Nur war dieses Damoklesschwert in Hamburg meist noch schärfer als anderswo. Während Berlin seinen Hochschulen pro Jahr schon 3,5 Prozent drauflegte, gab es in Hamburg noch mickrige 0,88 Prozent. Und das über viele Jahre. Berlins neue Koalition hat das jährliche Plus nun sogar auf fünf Prozent erhöht.
Ich schaue mir die Zahlen immer gern sehr genau an und stelle dann fest: Fünf Prozent auf dem Papier sind am Ende nicht immer fünf Prozent, die bei den Hochschulen ankommen. Während wir in Hamburg, wenn ich alles zusammenrechne, auf weit über drei Prozent pro Jahr kommen, die die Hochschulen erreichen. Und wie ich anfangs sagte: Wenn die Tarifabschlüsse da sind, werden wir schauen, was das für die Hochschulfinanzierung bedeutet. Ich weiß aber gar nicht, ob uns dieses innerdeutsche Konkurrenzdenken wirklich weiterbringt. Deutschland sollte als Ganzes europäisch und perspektivisch weltweit punkten in der Wissenschaft. Ich finde es toll, wie sich Berlins Wissenschaft in den vergangenen Jahren entwickelt hat. So wie ich bewundere, wie es in München gelungen ist, namentlich der TUM, ein wirklich herausragendes Innovationsökosystem zu schaffen mit Konzernen, mittelständischen Unternehmen und Start-ups, mit einem spannenden Gründungsumfeld, auch dank dem Engagement einer Großspenderin und vieler anderer, die dann nachgezogen sind. Da wollen wir uns einiges abgucken. Aber wir können nicht alles kopieren. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Den Hamburg Style halt.
Was ist denn der "Hamburg Style" für Sie?
Der kommt aus der Logik der Stadt heraus. Hamburg ist eines der zentralen Industrie- und Logistikzentren Europas mit seinem Hafen, aber auch drittgrößter Luftfahrtstandort weltweit. Und die großen Zukunftsfelder: Quantencomputing, Forschung an Halbleitern, Materialforschung, Infektionsmedizin oder das deutschlandweit einzigartige Klimacluster – all das kommt in Hamburg interdisziplinär vernetzt zusammen. So profitieren an einem Standort mit kurzen Wegen auch Wissenschaft und Wirtschaft voneinander, so entstehen Innovationen.
Ihre Schwärmerei in allen Ehren: Diese Verschränkung von Stadt und Wissenschaft, die Sie so loben, ist mehr Vision als Realität, oder? Es fehlt nicht nur an Geld, es fehlt auch an Miteinander. Bis heute ist zum Beispiel die Science City durch einen Zaun getrennt vom Stadtteil drumherum.
Aber nicht mehr lange. Der alte Forschungscampus Bahrenfeld war ein Sicherheitsgelände, das war dem Schutz der DESY-Forschungsanlagen geschuldet. Aber wenn dort jetzt ein neuer Stadtteil entsteht mit Familien und Studierenden, die zuziehen, wenn im nächsten Schritt ganze Uni-Fakultäten auch mit dem Lehrbetrieb dort ihre neue Heimat finden, dann hat der Zaun längst seine Funktion verloren, dann kommt er weg. So ist es mit dem DESY verabredet.
"So begeistert wie ich wären alle,
hätten sie wie ich die Gelegenheit,
dieselben Einblicke zu bekommen."
Dass die Gesellschaft Wissenschaft braucht, ist eine triviale Erkenntnis. Drehen wir den Satz um: Wie sehr braucht die Wissenschaft die Gesellschaft?
Da muss ich kurz persönlich werden. Ich bin absoluter Fan vom dem, was unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeden Tag voranbringen, angefangen mit der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass all unser Fortschritt, unser Zusammenhalt und Wohlstand als Gesellschaft maßgeblich abhängen von Menschen auf der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Das ist die Grundmotivation meiner Arbeit als Politikerin, und dann denke ich immer: So begeistert wie ich wären alle, hätten sie wie ich die Gelegenheit, dieselben Einblicke zu bekommen. In die faszinierende Forschung an Strahlenquellen. Oder wie es ist, wenn Hamburger Wissenschaftler mit ihren Kollegen aus Mali zusammenarbeiten, um alte Manuskripte zu retten und sie für künftige Generationen wieder zugänglich zu machen. Wie Klimaforscher die Grundlagen der Erderwärmung erforschen und Wege aufzeigen, sie aufzuhalten. Ich finde, dieses Wissen und diese Begeisterung stehen der ganzen Gesellschaft zu. Der Kassiererin bei Lidl genau wie dem Hafenarbeiter bei Blohm+Voss.
Aber was hat die Wissenschaft davon?
Die Gesellschaft finanziert sie. Darum muss die Wissenschaft erklären, wohin all das Geld geht. Noch wichtiger aber ist, dass eine nicht informierte Öffentlichkeit eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit bedeutet. Nehmen wir die Ernährungskrise. Ich bin dankbar, dass die Wissenschaft Ansätze entwickelt hat, die eine Versorgung der Menschheit mit genügend Lebensmitteln wahrscheinlicher macht – die sie aber bislang in Deutschland nicht ausprobieren konnte, weil die Haltung in weiten Teilen der Öffentlichkeit gegenüber der neuen Gentechnik zu skeptisch war.
Viele dieser Skeptiker dürften Mitglieder Ihrer Partei sein.
Ja, aber das können und müssen wir ändern! In der Medizin und Gesundheitsforschung hat sich die Wahrnehmung der Gentechnik bereits gewandelt, vor allem seit der Corona-Pandemie – weil die Menschen gesehen haben, welche Rolle gentechnikbasierte Impfstoffe gespielt haben. Jetzt kommt es darauf an, über die Möglichkeiten und den Nutzen der sogenannten grünen Gentechnik aufzuklären. Wie kann ich Pflanzen resistenter machen, so dass sie mit weniger Wasser auskommen, dass sie Dürrephasen und zunehmende Hitzeperioden besser überstehen? Die CRISPR/Cas-Genschere bietet ein enormes Potenzial, und dabei verändert sie die Pflanze nur so, wie sie sich selbst verändern könnte. Die EU-Kommission hat im Juli ihre Pläne für die grüne Gentechnik in der Landwirtschaft vorgestellt. Ich bin davon überzeugt: Wenn die Menschen die Wirkungsweisen, die Möglichkeiten und die Grenzen neuer Forschungszweige und Technologien erfahren, kommen sie raus aus ihrer Abwehrhaltung.
"So viele Fragestellungen gab es während Corona für die Forschung zu bearbeiten, und um es vorsichtig zu formulieren: Die meisten davon wurden nicht durch Forschung aus Deutschland beantwortet."
Währenddessen drängt die Wissenschaft auf einen einfacheren Zugang zu Daten aller Art, um damit forschen zu können. Auch hier gibt es aber massive Widerstände, viele Menschen haben Angst um ihre Privatsphäre.
Datenschutz ist relevant und wichtig. Doch auch hier sollte uns die Corona-Pandemie eigentlich die Augen geöffnet haben. Welche Infektionsgefahr geht von Kindern aus? Müssen die Schulen jetzt geschlossen werden oder nicht? Welche Wirksamkeit haben bestimmte Eindämmungsmaßnahmen, wie zuverlässig ist die Impfung? So viele Fragestellungen galt es für die Forschung zu bearbeiten, und um es vorsichtig zu formulieren: Die meisten davon wurden nicht durch Forschung aus Deutschland beantwortet. Die datenintensiven Studien stammten aus Skandinavien, aus Israel, aus Großbritannien, aus den USA. Und als Politik bekamen wir wöchentlich Mahnungen aus den Unikliniken und Forschungsnetzwerken: Wir geraten ins Hintertreffen, weil uns der Zugang zu den Daten fehlt. Oder weil diese Daten zu einem guten Teil gar nicht erhoben wurden bei uns. Ich finde, das geht nicht mehr in einer Zeit, in der wir ständig darüber reden, dass wir Deutschland und Europa wieder zu Motoren von Modernisierung und Veränderung machen, dass wir unsere Technologiesouveränität wiederherstellen wollen. Dann ist es umso ärgerlicher, wenn Scheinkonflikte aufgebaut werden zwischen der Nutzung von Forschungsdaten und dem Datenschutz. Natürlich geht beides zusammen, wenn man die riesigen Datensätze, auf die es ankommt, entsprechend anonymisiert.
Gerungen wird in der Wissenschaft zurzeit auch um die Beziehung zu China. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mahnte wiederholt zur Vorsicht, der Abbruch von Wissenschaftskooperationen steht im Raum. Zu Recht – oder eine weitere Form der Überreaktion?
Spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns gezeigt, wie schädlich es ist, wenn wir uns einseitig abhängig machen von bestimmten Ländern oder Regionen. Wenn dann ein Konflikt ausbricht, ist der Preis, den Deutschland und Europa zahlen, sonst unter Umständen sehr hoch, wie wir in der Energiekrise bemerkt haben. Umgekehrt ist eine Abkehr von China, und sei sie nur in Teilen, für Hamburg besonders zweischneidig, weil ein Großteil unseres Wohlstands über den internationalen Handel generiert wird und da wiederum zu einem großen Teil über den Handel mit Asien und China. Darum halte ich nichts von pauschalen Antworten. Es wäre im Gegenteil ein Ausdruck mangelnder Kompetenz und Urteilsfähigkeit, wenn wir jetzt blind Verbindungen kappen würden. Wir müssen genau hinschauen: Wo und wie profitieren wir von wissenschaftlichen Kooperationen mit China und dem Austausch von Studierenden? Wo droht die Gefahr von Wissenschaftsspionage oder das Abziehen von Daten? Und währenddessen tun wir gut daran, neue Bande zu knüpfen und wissenschaftliche Kooperationen aufzubauen mit anderen Ländern in Asien, Afrika oder Südamerika. Eine spezifisch Hamburger Antwort, die wir in dieser Phase der strategischen Neuorientierung geben werden, ist eine neue internationale Wissenschaftskonferenz, zu der wir nächstes Jahr erstmals einladen werden, zusammen mit der Körber-Stiftung.
"Wer die große Zukunftserzählung von Wissenschaft und Forschung nicht zum zentralen Bestandteil seines Regierungsprogramms macht, hat die Zeichen der Zeit verpasst."
Um was zu tun?
Wir wollen über Technologiesouveränität diskutieren, über Konkurrenz und Kooperation im internationalen Wissenschaftssystem, über den Beitrag von Wissenschaft für unsere Zukunft und dazu wollen wir die Top-Wissenschaftler und Spitzenpolitiker zusammenbringen – aus Deutschland, Europa und aus der Welt. Und dabei auch den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit ermöglichen.
Ein weiterer von zahlreichen Versuchen in Deutschland und anderswo, ein Davos der Wissenschaft ins Leben zu rufen?
Welchen Namen das Kind am Ende bekommt, ist nicht wichtig. Entscheidend ist, dass wir damit starten, einen international sichtbaren und vertrauensvollen Austausch zu etablieren, gern in Kooperation mit anderen Partnern aus Deutschland. Wir wollen einen Ort schaffen, wo die aktuellen Trends diskutiert werden und man die Leute trifft, auf die es ankommt.
2025 wird gewählt in Hamburg. Sollten die Grünen stärkste Bürgerschaftsfraktion werden, handelt man Sie bereits als Erste Bürgermeisterin. Umgekehrt heißt es immer, mit Wissenschaftspolitik gewinnt man keine Wahlen.
Ja, so heißt es immer. Die Wahl ist noch eine Weile hin. Mein Eindruck ist, die Leute haben gerade andere Sorgen als die Frage, wer in anderthalb oder eindreiviertel Jahren welche Partei in den Bürgerschaftswahlkampf führt. Eines ist aber klar: Wer in einen Wahlkampf geht und die große Zukunftserzählung von Wissenschaft und Forschung nicht zu einem zentralen Bestandteil seines Regierungsprogramms macht, der hat die Zeichen der Zeit verpasst.
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"Deutschlands wirtschaftliches und politisches Gewicht verpflichtet uns, im Verbund mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, um gemeinsam Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen" (Angela Merkel: Bundesministerium der Verteidigung 2016, S. 6) Obwohl Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist, sind die Leitlinien, die im Weißbuch 2016 für die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands festgelegt wurden, weiterhin elementar – oder nicht? Aber wie lässt sich ihre Aussage im Jahr 2022 verorten? Zeigt Deutschland Verantwortung für die EU, transnationale Partnerschaften und Völkerrecht? In diesem Beitrag soll das Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen (VN) in den Blick genommen werden: Mit dem Wegfall des West-Ost-Konflikts, der Dekolonialisierung, dem Beitritt weiterer Staaten und der Veränderung des Krieges hin zu "Neuen Kriegen" (Hippler 2009, S. 3-8) ergeben sich neue Handlungsfelder und Herausforderungen, die die Vereinten Nationen in den Blick nehmen müssen.Je nach Ansicht fällt der größten Weltorganisation eine mehr oder weniger bedeutende Rolle in der internationalen Politik zu (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 295). Allerdings sind maßgeblich die Mitgliedsstaaten für das Gelingen der Vereinten Nationen und für die notwendigen Reformen zuständig, da sie als "klassische intergouvernementale Organisation" (ebd., S. 295) bezeichnet werden können.Die Forschungsfrage lautet daher, wie sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik international, im Rahmen der VN, verortet. Die deutsche Politik formuliert hierfür Ziele, die noch genauer zu untersuchen sind. Als eine Maßnahme, um die Zielerreichung zu gewährleisten, kann der MINUSMA-Einsatz in Mali angesehen werden, unter deutscher Beteiligung und von den Vereinten Nationen geführt. Es wird herausgearbeitet, inwiefern die deutsche Partizipation als Erfolg angesehen werden kann. Hierfür wird zuerst der theoretische Rahmen der Internationalen Beziehungen - der Grundzustand der Anarchie - erklärt und weitere Prämissen der VN, des VN-Peacekeepings, der historischen Rahmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Einsatz selbst beschrieben, um am Ende zu einer elaborierten Aussage kommen zu können. 1. Theoretische Rahmung – Grundzustand AnarchieGareis und Varwick (2014, S. 67) konstatieren einen allgemeinen Anforderungswunsch an die VN, die eine 'Lücke' in der Ordnung der Internationalen Beziehungen füllen sollen. Aber von welcher 'Lücke' wird hier gesprochen? In der Politikwissenschaft gibt es verschiedene Ansätze, um die Beziehungen zwischen Staaten und das Wirken von internationalen Organisationen zu beschreiben. Die Prämisse bildet der Grundzustand von Anarchie, der wie folgt definiert werden kann: "Unter Anarchie wird in diesem Zusammenhang die für Kooperationschancen folgenreiche Struktur der Herrschaftslosigkeit bzw. der Nichtexistenz einer den Staaten übergeordneten, zentralen Autorität mit Handlungskompetenz verstanden" (Gareis & Varwick 2014, S. 67) Es gibt verschiedene Denkschulen, die den Grundzustand unterschiedlich gewichten und bewerten (vgl. Schimmelfennig, S. 63ff). Darunter sind zum Beispiel der Realismus, der Idealismus, der Institutionalismus und der Konstruktivismus zu nennen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 71). Um das Verhältnis zwischen den VN und Deutschland erklären zu können, ist es hilfreich, zu überlegen, an welcher Denkschule sich die Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands (schwerpunkt- und situationsbezogen) orientiert. Die Ansätze sind in ihrer Gesamtheit in diesem Beitrag nicht zu würdigen, daher werden einzelne Hauptdifferenzen geklärt, um für die Beantwortung der Forschungsfrage eine Richtlinie geben zu können. Die Beschreibung erfolgt idealtypisch: Im Realismus ist der Grundzustand besonders präsent und hauptsächlich staatliche Akteure sind für die Internationalen Beziehungen verantwortlich. Die Staaten haben ein starkes Eigeninteresse, das sich aus der Unsicherheit des Grundzustandes speist, und handeln nach eigenen Machterhaltungsvorstellungen. "In dieser Sichtweise erfüllen internationale Organisationen lediglich aus der Souveränität und den Interessen ihrer Mitglieder abgeleitete Funktionen" (ebd., S. 68). Damit wären Handlungsfelder und Möglichkeiten eng an die Vorgaben der Staaten gekoppelt. Frieden wird als Sicherheit-Erhalten verstanden und bedeutet, dass die Nationalstaaten durch Machtsicherung ihre Souveränität gewährleisten können. (vgl. ebd., S. 68 & 71) Im Idealismus soll der anarchische Grundzustand durch "Kooperationsformen" (ebd., S. 68) geregelt werden. Die Friedenssicherung läuft über einen stetigen Prozess über eine "universelle Gemeinschaft" (ebd., S. 69), die für alle Vorteile bringen kann. Damit wäre das Ziel, Konflikte nicht mehr mit Gewalt lösen zu müssen, anders als im Realismus, wo Krieg als natürliche Form besteht, durch die normative Regelung des Grundzustandes möglich. Internationale Organisationen können mit ihren Regelungen die Realisierung von Frieden darstellen. Damit sind nicht nur Staaten als Akteure zu sehen und statt Machterhaltungsvorgaben ist das Handeln auf ein Gemeinwohl konzentriert. (vgl. ebd., S. 69 & 71) In der Tradition des Institutionalismus sind internationale Kooperationen deutlich wahrscheinlicher als im Realismus. Außerdem ist ihr Einfluss auf Staaten bedeutend höher einzuschätzen. Demnach helfen sie zum Beispiel, Informationen über andere Staaten zu sammeln und können so beim Aufbau von Vertrauen mitwirken. (vgl. ebd., S. 69f) Die "Interdependenz" (Schimmelfennig 2010, S. 93) zwischen den Staaten wird als hoch angesehen und bedarf internationaler Regelwerke, die die Kooperationsmöglichkeiten regulieren. In diesem Sinne sind Staaten an friedlichen Lösungen interessiert und halten Krieg für nicht gewinnbringend bzw. sehen Machtkonzentration als weniger produktiv an als das Streben nach Gewinnen. Dadurch ist der Grundzustand der Anarchie zwar nicht auflösbar, allerdings soll im Laufe der Zeit eine Zivilisierung stattfinden. (vgl. ebd., S. 90) Der Konstruktivismus sieht den Grundzustand der Anarchie nicht als gegeben, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit an. Dadurch ist es möglich, diesen Zustand zu verändern / aufzuheben. Damit sind die Akteure selbst für den Grundzustand verantwortlich. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 70) Damit lautet eine Kernhypothese des Konstruktivismus: "Je größer die Übereinstimmung der Ideen von internationalen Akteuren und je stärker damit Gemeinschaft zwischen ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und internationaler Kooperation" (Schimmelfennig 2010, S. 185) Es wären bspw. Staaten gemeint, die eine freundschaftliche Beziehung pflegen und unabhängig von Machtkonzentration Vertrauen aufbauen. (vgl. ebd., S. 184f) In den Denkschulen sind relativ konkrete Vorstellungen gegeben, wie eine internationale Organisation Einfluss und Machtkonzentration entwickeln kann oder sollte oder bereits beinhaltet. Die Vereinten Nationen können auf einen Blick als größte Organisation im internationalen Spektrum angesehen werden, denn sie haben aktuell 193 Mitgliedsstaaten (Stand 2022) (vgl. Die Vereinten Nationen im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V., o. J.).2. Die Vereinten Nationen Bevor über die VN auf manche Aspekte schwerpunktmäßig eingegangen werden kann, ist knapp zu klären, was eine internationale Organisation wie die VN darstellt. Hierbei orientiert sich dieser Beitrag an Gareis und Varwicks (2014, S. 295) Konstruktion von einer "klassische[n] intergouvernementale[n] Organisation", deren Reformfähigkeit und Erfolge maßgeblich von den Mitgliedsstaaten abhängen – also auch von Deutschland. Es werden prinzipiell keine Souveränitätsrechte an die Organisation abgegeben, mit der Ausnahme, dass der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen zur Friedenswahrung durchsetzen kann (vgl. ebd., S. 72).2.1 Grundlegende Kennzeichen der Vereinten Nationen Die Grundlagen der Vereinten Nationen können an zwei Hauptfaktoren exemplarisch aufgezeigt werden: Erstens ist der Friedensbegriff nicht nur als Abwesenheit von Krieg definiert, er schließt vielmehr das Wohlergehen der Menschen in den Staaten ein und geht somit über das Nationalstaats-Denken hinaus (positiver Friedensbegriff). Das zweite Konzept ist das System kollektiver Sicherheit, dadurch soll der erhöhte Druck, von allen Staaten bei einer Aggression automatisch angegriffen oder anderweitig verurteilt zu werden, die Friedensbedrohung reduzieren. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 19-22 & 87-92) Dass das System der kollektiven Sicherheit nicht bedingt greift oder einigen Herausforderungen unterworfen ist, liegt bspw. an den neuen Kriegsformen (vgl. Hippler 2009, S. 3f). Gleichzeitig kann die aktuelle Invasion Russlands in die Ukraine (vgl. u.a. Russlands Angriff auf die Ukraine: Beckmann 2022) herangezogen werden, dass die Mechanismen bspw. für Supermächte weitere Schwierigkeiten in der Praxis aufzeigen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 89f). 2.2 Generalversammlung und Sicherheitsrat – wichtigste Gremien der VN Die Vereinten Nationen sind mittlerweile zu einer undurchsichtigen Ansammlung an offiziellen und inoffiziellen Strukturen geworden und sind unter dem Begriff VN-System sehr weit zu fassen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 21f). Allerdings sind nach wie vor zwei von sechs Hauptorganen hervorzuheben:In der Generalversammlung (GV) sitzen alle Mitgliedsstaaten und sind nach dem Prinzip der Gleichberechtigung mit jeweils einer Stimme ausgestattet. Hauptcharakteristikum ist, dass die Generalversammlung ein Forum für Gespräche bietet und somit als größtes Austauschforum auf der Welt bezeichnet werden kann. In sechs Hauptausschüssen vollzieht sich die meiste Arbeit der Generalversammlung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Entscheidend ist der Unterschied zum Sicherheitsrat: Die GV hat keinen Sanktionskoffer parat und kann lediglich Empfehlungen aussprechen. (vgl. ebd., S. 45-47) Der Sicherheitsrat besteht aktuell aus 15 Mitgliedsstaaten, wobei zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern differenziert werden muss. Die ständigen Mitglieder sind die sogenannten 'Big Five' und setzen sich aus Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und China zusammen. Sie werden nicht wie die nichtständigen Mitgliedsstaaten von der Generalversammlung im Zwei-Jahres-Zyklus gewählt.Verkürzt dargestellt nimmt der Sicherheitsrat Aufgaben wie Friedensmissionen, Ausschüssen o. Ä. wahr. Die ständigen Mitgliedsstaaten haben historisch bedingt ein Veto-Recht, das eine große Rolle spielt und mehrfach zur Lähmung des SR führte. Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Hauptorgan der Vereinten Nationen und ist berechtigt, zur Friedenssicherung weitreichende Sanktionen und militärische Maßnahmen zu ergreifen. (vgl. ebd., S. 47-49) 2.3 Das VN-Peacekeeping aus historischer Perspektive Die Geschichte der VN ist überaus vielschichtig und kann hier nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Im Jahr 1945 wurde die Charta von 51 Staaten unterzeichnet. In den ersten Jahren ihrer Arbeit (1945-1954) mussten organisatorische und strukturelle Systeme aufgebaut werden, die im West-Ost-Konflikt zugleich erste Einschränkungen erfuhren. Die erste große Herausforderung des kollektiven Sicherheitssystems betraf den Korea-Krieg: Nordkorea fiel 1950 in Südkorea ein und der Sicherheitsrat wurde durch Russland blockiert. Daraufhin entstand in der Generalversammlung die Uniting for Peace-Resolution, die Empfehlungen und militärische Interventionen beinhaltete, sollte der SR seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu sichern, nicht nachkommen. Die erste inoffizielle Blauhelmmission stellt die UNTSO-Mission dar, die die Überwachung eines Waffenstillstandes 1948 zwischen Israel und arabischen Staaten beinhaltete. (vgl. ebd., S. 27-30 & 127) In den darauffolgenden 19 Jahren (1955-1974) verschob sich das Mächtegleichgewicht maßgeblich durch die Dekolonisation und die Entstehung unabhängiger Staaten im Süden. Hervorzuheben ist die Suez-Krise, in der der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suez-Kanal verstaatlichte. Großbritannien, Israel und Frankreich gingen ungeachtet der Ablehnung des SR militärisch dagegen vor, verhinderten gleichzeitig mit ihren Vetos eine Deeskalation der Lage. Auf Grundlage der Uniting for Peace-Resolution wurde wieder versucht, den Konflikt auszusetzen und einen Waffenstillstand einzufordern. Die GV beschloss daraufhin die Etablierung der United Nations Emergency Force (UNEF I), um zwischen den Konfliktparteien eine neutrale Zone aufzubauen. Die Blauhelme nahmen hier ein erweitertes Aufgabenspektrum wahr und erhielten bspw. Kontrolle über Hoheitsgebiet. "Damit wurde das wohl bedeutendste Friedenssicherungsinstrument der Vereinten Nationen, die Blauhelmeinsätze, ins Leben gerufen" (ebd., S. 31). (vgl. ebd., S. 27-30 & 128) Im "Nord-Süd-Konflikt (1975-1984)" (ebd., S. 32) versuchten die VN weiterhin, in einigen Konflikten aktiv mit Blauhelmeinsätzen zu vermitteln und zeigten sich angesichts der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (1979) als handlungsunfähig. (vgl. ebd., S. 32f) Die letzte Phase reicht bis heute und beginnt ab dem Jahr 1985. Die Annäherung der beiden Großmächte USA und Sowjetunion und der Zerfall der Sowjetunion ergab Handlungsspielraum im SR. Allerdings entzündete sich auch eine Reihe an neuen Konfliktherden: "Innerhalb von rund 25 Jahren stieg die Zahl der Friedensmissionen von 14 auf nunmehr 68" (ebd., S. 33). Nötige Reformen rückten zuletzt durch den USA geführten Irakkrieg und die Terroranschläge am 11. September vermehrt in den Fokus. (vgl. ebd., S. 33-35) 2.4 Typologisierung und Reformansätze Wie in der historischen Rahmung aufgezeigt, entstand das Peacekeeping, weil das kollektive Sicherheitssystem nicht funktionsfähig war. Die Blauhelmeinsätze sind praxisnahe Formen zur Sicherung des Friedens, die sich zwischen dem Souveränitätsanspruch und den Zielen der VN bewegen. Die Ausgestaltung der Friedensmissionen sind vielfältig: Die VN typologisieren die Einsätze in vier Generationen:In der ersten Generation sind Einsätze hauptsächlich "zur Beobachtung und Überwachung von bereits beschlossenen Friedens- bzw. Waffenstillstandsabkommen […]" (Gareis & Varwick 2014, S. 126) gemeint. Missionen der zweiten Generationen sind durch "ein erweitertes Aufgabenspektrum" (ebd.) ausgezeichnet und meinen Einsätze nach 1988. In der dritten Generation liegt der Fokus nicht nur auf Friedenserhaltung sondern auch auf dessen Erzwingung. Zum Schluss kommen in der vierten Generation nicht-militärische administrative Funktionen hinzu.Jede Generation erforderte Anpassungen und ein mühsames Lernen, sodass die Bilanz des VN-Peacekeeping sehr gemischt ausfällt. Neuere Bestrebungen zielen daher darauf ab, aus den vergangenen Fehlern zu lernen. Zum Beispiel soll das Peacekeeping nur noch mit realistischem Mandat stattfinden und die individuelle, komplexe Konfliktsituation angemessen darstellen. Außerdem ist zu gewährleisten, dass die Blauhelme gut ausgerüstet sind und unter den Aspekten eines robusten Mandats alle neuen Perspektiven der Friedenssicherung wahrnehmen können. Diese beinhalten vereinfacht dargestellt die Konfliktvermeidung, das Konfliktmanagement und die Konfliktnachsorge. (vgl. ebd., S. 124-151) Nachfolgend ist zu klären, inwiefern sich der MINUSMA-Einsatz darin einfügt und welche Rolle Deutschland in dem Entwicklungsprozess des VN-Peacekeeping und des Einsatzes spielt.3. United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) Der MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen ist als Peacekeeping-Mission der vierten Generation zu charakterisieren. 3.1 Strukturelle Rahmung des MINUSMA-Einsatzes Das Departement of Peacekeeping Operations (DPKO) ist für die Umsetzung und Planung der Blauhelmmissionen verantwortlich. Mit Stand 2022 sind insgesamt 15 Einsätze zu verzeichnen (DPKO: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., o. J.). Die Mission in Mali gehört zu den jüngsten Einsätzen und begann im April 2013 (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 141).Sie gründet sich auf die Resolution 2100 (vgl. Security Council Establishes Peacekeeping Force for Mali Effective 1 July: United Nations 2013) vom 25. April und die Resolution 2164 (vgl. Security Council: United Nations 2014) des Sicherheitsrates und hat multidimensional den Schutz der Zivilisten, die Gewährleistung der Menschenrechte, die Etablierung einer Staatsmacht, die Stabilisierung der Region durch den Aufbau eines Sicherheitsapparates und die Aufrechterhaltung der politischen Dialogfähigkeit und Konsultation als Aufgabe formuliert (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022).Damit stehen auch militärische Interventionen zur Verfügung und es kann von einem robusten Mandat gesprochen werden, das lediglich als Ausnahme die aktive Terroristenbekämpfung ausschließt (vgl. Mali: Konopka 2022). Stand November 2021 befinden sich insgesamt 18.108 Menschen im Einsatz und davon sind 13.289 dem militärischen Personal zuzuordnen (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Dazu kommen zivile Einsatzkräfte und bspw. Polizeiausbildende (vgl. ebd.).Die größten teilnehmenden Länder mit militärischem Personal sind mit 1440 Chad, mit 1119 Bangladesch, Ägypten mit 1072 und auf Platz 10 folgt Deutschland mit 531 Angehörigen (vgl. ebd.). Die Verluste an Menschenleben werden bisher auf 260 (Stand 2021) beziffert (vgl. ebd.). Die Finanzierung wird über die Generalversammlung jährlich geregelt und betrug zwischen 2021 und 2022 1.262.194.200 Dollar (vgl. ebd.).Neuere Zahlen der Bundeswehr (Stand Februar 2022) geben an, dass Deutschland mit über tausend Soldatinnen und Soldaten in Mali im Einsatz ist (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022). Die Zahl stellt sich als irreführend heraus, weil die Bundeswehr alle Beteiligten zusammenzählt, auch die, die bspw. in Nachbarländern an Schlüsselstellen der Infrastruktur beschäftigt sind (vgl. Mali: Konopka 2022).Die aktuelle Resolution der VN (2584) trat am 29. Juni 2021 in Kraft und ist bis zum 30. Juni 2022 gültig (vgl. Mali – MINUSMA: Bundeswehr 2022). Durch das Ablaufen des Mandats in diesem Jahr ist die Forschungsfrage darauffolgend auszuweiten, inwiefern Deutschland sich weiterhin an der Mission beteiligen wird. Zuerst sollte aber kurz auf die Situation Malis eingegangen werden, um zu klären, warum Deutschland und viele weitere Staaten überhaupt intervenieren. 3.2 Mali – eine von Gewalt geplagte Region Die gesamte Komplexität dieser Krisenregion kann hier nicht dargestellt werden. Allerdings sind einige Aspekte zu nennen, um die Verortung und die Herausforderungen des Peacekeepings zu verdeutlichen. In Nordmali begann 2012, um die politische Unabhängigkeit zu gewährleisten, ein gewaltsames Vorgehen gegen die malische Regierung. Als fragiles Bündnis kamen dschihadistische Kämpfende hinzu, die jedoch nach den ersten Eroberungen der nordmalischen Städte 2013 die Oberhand gewannen.Der Süden Malis war ebenfalls von einem Militärputsch geschwächt und die malische Regierung bat um internationale Hilfe. Frankreich folgte der Bitte und eröffnete die Operation Serval. Afrikanische Länder griffen unter der Mission AFISMA ein. Den alliierten Kräften gelang schnell die Rückeroberung der Städte im Norden. Allerdings ging daraus eine asymmetrische Kriegsführung hervor, die die vom Sicherheitsrat legitimierten Einsatztruppen besonders in den Fokus der Attacken der Dschihadisten stellt.Ein Friedensvertrag von 2015 umfasste bspw. nicht alle Konfliktparteien. Im Allgemeinen ist eine Verschlechterung der Gesamtsituation zu verzeichnen, da Dschihadisten mittlerweile versuchen, auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso zu destabilisieren und sich die Gewalt besonders um Zivilisten zentriert. (vgl. Mali: Konopka 2022) Im Zentrum dieses Kapitels soll die asymmetrische Kriegsführung, auch unter dem Aspekt der 'Neuen Kriege' bekannt, und somit die problematische Lage der Mission im Mittelpunkt stehen. Die Kernfrage ist bereits auf das weitere Engagement Deutschlands ausgeweitet worden und ist realitätsnah zu prüfen: In Afghanistan gelang keine Stabilisierung eines afghanischen Staates. Hier kam nach jahrzehntelangen erfolglosen Gefechten die Terrorgruppe Taliban 2021 an die Macht, als allen voran die USA den Rückzug aus der Krisenregion vollzogen (vgl. Nach 20 Jahren: bpb 2021). 4. Die deutsche Außenpolitik – Schwerpunktsetzung VN Die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik ist sehr komplex und selbst ein kursorischer Überblick kann hier nicht geleistet werden. Durch die Darstellung diverser Aspekte ist jedoch eine Verortung möglich. 4.1 Historische Perspektive der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik Deutschland blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Ab 1945 wurde die Bundesrepublik enormen Veränderungen durch die Besatzungsmächte unterworfen. Während die DDR unter der UdSSR keine wirklich eigene Außenpolitik entwickelte, gelang es Westdeutschland allmählich, politische Spielräume zurückzugewinnen und eigene Ziele zu vertreten (vgl. Gareis 2021, S. 57). In der Zeit vor der Wiedervereinigung sind einige "konstante Handlungsmuster" (ebd., S. 58) zu erkennen, die bis heute ihre Wichtigkeit beibehalten haben. Darunter sind besonders vier Punkte zu nennen:"die Westintegration, durch welche die Bundesrepublik ihren Platz in den europäischen und transatlantischen Strukturen fand und einnahm die Entspannungs- und Ostpolitik, durch die sie ihre friedens- und stabilitätspolitische Handlungsspielräume erweitern konnte die Offenheit für einen breit angelegten, globalen Multilateralismus mit dem Ziel einer verlässlichen rechtlichen Verregelung und Institutionalisierung des Internationalen Systems die selbstgewählte Kultur der Zurückhaltung in machtpolitischen, insbesondere militärischen Angelegenheiten" (ebd., S. 58) Hervorzuheben sind die anfänglichen Bemühungen der deutschen Außenpolitik, um Frankreich von ihrer skeptischen Sichtweise auf die Wiederbewaffnung und Wiederaufnahme der deutschen Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg abzubringen. Die Bemühungen mündeten bspw. 1963 im Élysée-Vertrag, der die enge Partnerschaft merklich vorantrieb und als "deutlicher […] Motor der europäischen Integration" (ebd., S. 65) zu sehen ist.Eine Verankerung in Internationale Beziehungen vollzog sich somit bereits früh mit den Bemühungen Deutschlands, sich in Europa und in die NATO zu integrieren. In den Zeiten vor der Wiedervereinigung konnte Deutschland dennoch nicht gänzlich zu seinem Selbstvertretungsanspruch finden. Die Integration in internationale Organisationen, die die Machtkonzentration des teilnehmenden Landes einschränken können, wurde zwar innenpolitisch heftig diskutiert, kollidierte jedoch mit realen Erweiterungen der Souveränitätsansprüche Deutschlands und formte somit die Erfahrung dieser Ordnungen.Der Multilateralismus ist eine logische Konstante, weil der Wunsch nach Regeln im Internationalen System die eigene Sicherheit erhöhen soll und im Falle Deutschlands auch politische Freiheiten bedeutete. Das Engagement kann als ernsthaft beschrieben werden, weil die Bemühungen auch mit der Erreichung der eigenen Staatssouveränität bspw. in den Vereinten Nationen und dem europäischen Einigungsprozess nicht nachließ – im Gegenteil intensiviert stattfindet. (vgl. ebd., S. 57f & 61-65 & 70f) 4.2 Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert - Verortung Im 21. Jahrhundert sind eine neue Vielzahl an nicht-staatlichen Akteuren, weitere Unwägbarkeiten und multidimensionale Problemfelder mit einer höheren Unsicherheit im Internationalen System verbunden, die die Zuverlässigkeit von internationalen Partnern einschränkt. Diese Problematik wird bspw. u. a. durch das Erstarken des Rechtspopulismus, dem Rückgang liberal-demokratischer Regierungen seit 2005, der neuen Risikobewertung und Qualität des transnationalen Terrorismus begründet. (vgl. Gareis 2021, S. 89f) Als aktuelle Referenz kann das Weißbuch 2016 die Sicherheitsinteressen Deutschlands aufzeigen. Darin sind, bedingt bspw. durch die russische Aggression gegenüber der Ukraine, wieder vermehrt nationale Interessen vertreten, die den Schutz der Bürger*innen und die Integrität der Souveränität Deutschlands ins Blickfeld nehmen. Allerdings sind auch internationale Bestrebungen zur vertiefenden Weiterarbeit in der Entwicklungspolitik, dem Völkerrecht und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in allen wichtigen Internationalen Organisationen wie NATO, EU und VN zu nennen. (vgl. Gareis 2021, S. 105)4.2 Deutschland und die Vereinten Nationen Ein ernsthafter Beitrag zur strategischen (Neu-)Kalibrierung der Sicherheits- und Außenpolitik, die in ihren anfänglichen vier Konstanten (s.o.) auch Diskontinuitäten erfuhr, ist die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 hervorzuheben, in der das Engagement für internationale Organisationsformen, die einen supranationalen Ordnungsrahmen darstellen können - wie die EU, NATO und VN - verstärkt in den Mittelpunkt gestellt worden. Die Konstante der 'Zurückhaltung' bricht also weiter auf und zeigt das "Leitmotiv der aktiven Übernahme größerer Verantwortung für Frieden und Internationale Sicherheit in einem umfassenden Ansatz […]" (Gareis 2021, S. 92) auf. (vgl. ebd., S. 91f) Für Deutschland stellen die Vereinten Nationen das Höchstmaß für Multilateralismus und Institutionalismus dar. Bestrebungen in den VN waren von der Gründung an ein wichtiges Anliegen der Bundesrepublik, um auf die internationale Bühne zurückkehren zu können. Insgesamt kann das Engagement Deutschlands in den VN als hoch angesehen werden: Aktuell ist Deutschland der viertgrößte Beitragszahler, unterhält über 30 VN-Organe im Land und ist um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bemüht und mindestens durch die häufige Wiederwahl (zuletzt 2019/20 – damit zum sechsten Mal) und eindeutigen Wahlergebnissen um einen nichtständigen Sitz als international anerkannt zu bezeichnen. Das Interesse beider Akteure ist als interdependent zu bezeichnen: Die VN brauchen in diesen schwierigen Zeiten einflussreiche Staaten und Deutschland hingegen internationale Kooperationsmöglichkeiten in vielfältigen Ressorts. (vgl. ebd., S. 193f) Deutschland beteiligte sich gleich nach der Wiedervereinigung an VN-Peacekeeping-Einsätzen – allerdings mit unbewaffneten Zivilkräften. Anfang des 21. Jahrhunderts stellte Deutschland nicht nur zivile sondern auch militärische Einheiten zur Verfügung. Das Engagement kann in ihren Anfängen als bescheiden beschrieben werden. Insgesamt bevorzugt Deutschland vom VN-mandatierte Einsätze, die anschließend von der EU oder NATO ausgeführt werden. Der MINUSMA-Einsatz ist somit eine Ausnahme und der zweitgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der afrikanische Raum ist aufgrund seiner Fluchtbewegungen zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Raum geworden. (vgl. ebd., S. 203f) Allerdings sind die Gründe für den Einsatz in Mali weiter auszuführen, da die Argumentation möglicher Fluchtbewegungen Lücken aufweist. (vgl. Mali: Konopka 2020) 5. Deutschland und der MINUSMA-Einsatz In den vorherigen Kapiteln sind die Bezüge der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik zu den Vereinten Nationen bereits angeschnitten worden. Als Nächstes ist der MINUSMA-Einsatz aus einer politischen Perspektive unter Einbezug der Ziele Deutschlands zu charakterisieren und ein Ausblick auf das Ergebnis dieser Intervention zu geben. Die Bewertung des Einsatzes ist entscheidend, um den deutschen Einsatz nachzuvollziehen. 5.1 Motive für die Beteiligung am MINUSMA-Einsatz Die Intervention und Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz scheint sich nicht auf die Bekämpfung von Fluchtursachen zu beschränken (vgl. Mali: Konopka 2020 & Kaim 2021, S. 31). Weitere Motive sind aus Kapitel 4 abzuleiten und könnten, kombiniert aus dem Wunsch humanitäre Hilfe leisten zu wollen und die Position der Vereinten Nationen - und sich selbst im Internationalen System und den Multilateralismus - zu stärken, eine Begründungslage bieten. Sie wirkt jedoch unpräzise und bedarf genauerer Beschreibungen: Wie bereits beschrieben, ist Frankreich bereits 2013 dem Hilfegesuch der malischen Regierung gefolgt und musste anhand der realen Bedingungen ihre Ziele anpassen: Deutschland sollte dem engen Bündnis- und EU-Partner unter die Arme greifen. Die Bundesregierung gab zunächst lediglich unbewaffneten Kapazitäten Platz, ehe das Mandat langsam auf aktuell 1100 Soldat*innen aufgestockt wurde.Deutschland schien dabei die Vertiefung der Kooperation von EU-Staaten wie Frankreich und den Niederlanden als geeignete Gelegenheit. Ebenfalls ließ der Friedensvertrag auf weitere Stabilität im Land hoffen. Außerhalb der Bemühungen um die Partnerschaft ist für den Autor Konopka die Bewerbung Deutschlands für den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat (2019/20) ausschlaggebend gewesen.Die anfängliche Konzentration auf die europäische Mission EUTM Mali ging mit einer deutlichen Ausweitung auf die VN-Peacekeeping-Mission über. Außerdem, so der Autor, wäre Deutschland in der Bringschuld gegenüber den Teilnehmenden gewesen, da die Bundesrepublik in weiteren Missionen kaum bis gar keine Präsenz vorzuweisen hatte (bspw. EUMAM RCA oder EUTM RCA). (vgl. Mali: Konopka 2020) Kaim (2021) von der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht von einem typischen Muster der deutschen Auslandseinsatzbereitschaft, erst durch Bündnisanfragen Einsatzkräfte zu mobilisieren. Aus dieser Sicht ist primär der Versuch, einen "europäischen Fußabdruck" (ebd., S. 12) im internationalen System zu hinterlassen, anzusehen. Allerdings wird auch hervorgehoben, wie die Bewerbung um den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat eine Intensivierung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik in den VN und besonders im afrikanischen Raum beinhaltete. (vgl. ebd., S. 12-20) Dadurch sind sechs Hauptmotive auszumachen, davon greifen manche weniger als andere: 1. Die Bündnistreue zu Frankreich 2. Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz (2014) 3. Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN 4. Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. 5. Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten 6. Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von Fluchtbewegungen (vgl. ebd., S. 27-31) Die Punkte 4, 5 und 6 sind als Hauptmotivlage nachrangig einzusortieren; Punkt 5 wird anhand der deutlichen Zunahme an Instabilität den MINUSMA-Einsatz generell und die deutsche Beteiligung gezielt infrage stellen. 5.2 Bewertung des Einsatzes Die bisherige Bewertung des Einsatzes ist auf Grundlage der festgestellten Motive zu leisten, die eine detaillierte Rahmengebung vorgeben. In die Bewertung fließen themenbedingt erste wichtige Aspekte für das Abschlusskapitel ein. 5.2.1 Die Bündnistreue zu Frankreich Die Unterschiede in der strategischen Bewertung des Einsatzes der beiden Länder zeigt deutlich auf: Während Frankreich mehr militärisches Engagement erwartet und die Terrorbekämpfung in den Fokus stellt, steht die Bundesregierung der Friedenssicherung unter VN-Mandat näher, die die Terroristenbekämpfung explizit ausschließt. Festzuhalten wäre, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen in Mali zwischen Frankreich und Deutschland differente Zielvorstellungen aufweisen und das gemeinsame Handeln konterkarieren. (vgl. Kaim 2021, S. 27f) Daraus ist ebenso die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung das auslaufende Mandat (vgl. Mali: Konopka 2020) ausweiten, beibehalten oder beenden wird. 5.2.2 Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland ist bis heute im MINUSMA-Einsatz tätig (2013-2022) und ist dem Bündnis- und langjährigen EU-Partner Frankreich nachgekommen (vgl. Mali: Konopka 2020). Das Engagement ist bis jetzt ausgeweitet worden und von einer anfänglichen Symboltruppe stehen im direkten Einsatzgebiet in Mali ca. 500 (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022) und im erweiterten Einsatz ca. 1000 Soldat*innen (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022).Die Steigerung der Fachkräfte im MINUSMA-Einsatz ist als Intensivierung zu werten (vgl. Kaim 2021, S. 28). Dies kann als Beleg für die vertiefende Arbeit international angesehen werden, wie es zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 skizziert wurde. Allerdings wären andere Erweiterungen der Tätigkeitsfelder im internationalen Raum und besonders in internationalen Organisationen denkbar und beinhalten nicht zwangsläufig die Intensivierung des MINUSMA-Einsatzes – gleichzeitig bietet das Einsatzgebiet ein robustes Mandat, also internationale Legitimierung, die für deutsche Auslandseinsätze mitentscheidend ist und einen multilateralen Raum, den die Sicherheits- und Außenpolitik favorisiert (vgl. ebd.).5.2.3 Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN Politisch und militärisch dürfte die Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz die Vereinten Nationen stärken (vgl. Kaim 2021, S. 28). Bei dieser Beteiligung ist mitunter auch deutlich, dass Deutschland nicht altruistisch, sondern auch im Sinne der im Kapitel 4.2 festgelegten Interdependenzen für den Erhalt der eigenen Sicherheit im Internationalen System handelt.Die Idee eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat gilt als unwahrscheinlich sowie der Reformvorschlag der 'Gruppe der Vier' (mit deutscher Beteiligung), der von den vielen Vorschlägen zur Veränderung des Sicherheitsrates zwar als angemessen erscheint, aber dennoch u. a. an den Veto-Mächten bisher scheiterte (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 308-311). Somit bleibt Deutschland lediglich die Kandidatur im SR als nichtständiges Mitglied, dem die Bundesregierung mit ähnlicher Argumentation und Engagement vermutlich in der nächstmöglichen Amtszeit nachkommen wird (vgl. Kaim 2021, S. 29). 5.2.4 Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren Die europäische Handlungsfähigkeit kann bereits unter Punkt 5.2.1 als inkonsequent bezeichnet werden. Außerdem sind europäische Kräfte an eigenen Missionen vor Ort gebunden und stellen im MINUSMA-Einsatz nicht die meisten Einsatzkräfte zur Verfügung (vgl. Kaim 2021, S. 29 & MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Von einer geschlossenen oder klaren europäischen Einheit kann nicht gesprochen werden, jedoch von einer klaren Beteiligung Deutschlands am Einsatz. 5.2.5 Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten Seit dem Friedensabkommen 2015 hat sich die Lage stetig verschlechtert und stellt die VN-Friedensmission insgesamt infrage. (vgl. Kaim 2021, S. 30) Weitere Problemfelder stellen gerade die Alleingänge der europäischen Länder an der MINUSMA-Mission dar, die bspw. auf die typischen Blauhelme und auf die VN-Farbgebung bei Fahrzeugen verzichten. Außerdem sind europäische Kräfte vornehmlich in als sicher geltende Einsätze gebunden und in anderen Stützpunkten als die restlichen Länder wie bspw. Ägypten untergebracht. (vgl. Mali: Konopka 2020) Das stellt die VN-geführte Friedensmission auch vor interne Probleme und kann die Handlungsfähigkeit sowie Moral der teilnehmenden Länder beeinträchtigen.5.2.6 Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von FluchtbewegungenDie Mission ist unter den Aspekten von Fluchtbewegungen bereits als vernachlässigbar (zumindest für Fluchtbewegungen nach Europa) klassifiziert worden (vgl. Kaim 2021, S. 30f). Außerdem wird wegen der Destabilisierung des Landes sogar mit weiteren Flüchtenden zu rechnen sein. Weiterhin ist die dynamische Situation in Mali undurchsichtig und schwer zu charakterisieren, inwiefern der Terrorismus Deutschland bedroht (vgl. ebd.) und inwiefern Dschihadisten mittlerweile als Hauptproblem angesehen werden können, wenn die malischen Sicherheitskräfte immer mehr in den Fokus von Korruption und Destabilisierung rücken (vgl. Mali: Konopka 2020). 5.3 Ausblick – Bleibt Deutschland im MINUSMA-Einsatz? Die Motive sowie deren Zielerreichung sind größtenteils als Fehlschlag zu werten und stellen als größten Erfolg die Arbeit in der internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, heraus. (vgl. Kaim 2021, S. 31f) Dass nicht alle Ziele erreicht werden können, liegt mitunter an der multidimensionalen und dynamischen Situation vor Ort und an der Herausforderung, die den 'Neuen Kriegen' (vgl. Hippler 2009, S. 3-8) und das VN-Peacekeeping in der vierten Generation (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 119-127) kennzeichnen. Somit hängt das Engagement Deutschlands im MINUSMA-Einsatz von vielen Faktoren ab, die bspw. die öffentliche Meinung über Auslandseinsätze und die Beschaffenheit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach Etatkürzungen einschließen (vgl. Kaim 2021, S. 32). Wie die Einsatzkosten zeigen (s. Kapitel 3), sind das insgesamt beträchtliche Summen, die die Staatengemeinschaft – und anteilig Deutschland – aufbringen müssen.Während die Stiftung Wissenschaft und Politik noch von größeren Hürden diesbezüglich ausgeht (vgl. ebd.), ist durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Paradigmenwechsel mit ungeahnter Tragweite in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik möglich (vgl. Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs: Tagesschau 2022), der die Fortführung des VN-Peacekeepings neu bewerten wird. 6. Zusammenführung und Interpretation Unter dem Aspekt des VN-Peacekeeping wurden zuerst allgemeine Aspekte umrissen und die Forschungsfrage weiter ausgeweitet. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland sich im 21. Jahrhundert mit seiner Sicherheits- und Außenpolitik im Internationalen System verortet und inwiefern dies als Erfolg angesehen werden kann. Letzteres ist nur unter bestimmten, einschränkenden Aspekten zu beantworten und ist mithilfe des MINUSMA-Einsatzes zu verorten. Deutschland positioniert sich offen und ernst zu den Vereinten Nationen und folgt dabei historisch gewachsenen Paradigmen und Erfahrungswerten (s. Unterkapitel 4.1): Daraus lassen sich die Bemühungen um einen ständigen oder nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat und weiteres internationales Engagement wie im VN-Peacekeeping und somit die Beteiligung in Mali (MINUSMA-Mission) folgerichtig begründen.Deutschland hat ein nationales sicherheitspolitisches Interesse an einer Verregelung des anarchischen Grundzustandes, um die eigene Position darin zu stärken – Unsicherheiten also abzubauen (vgl. Gareis 2021, S. 58). Damit folgt die Politik nicht einer uneingeschränkten Idealismus-Denkschule und zeigt auch zweckrationale Positionen auf. Dennoch ist der MINUSMA-Einsatz in diesem Sinne als Misserfolg zu werten und zeigt besonders in den Bemühungen um Multilateralismus und einer Institutionalisierung des Internationalen Systems, hier in Form der Vereinten Nationen zu interpretieren, erwähnenswerte Erfolge auf (s. Kapitel 5).Die deutsch-französischen Beziehungen hingegen könnten insgesamt unter dem Konstruktivismus Betrachtung finden: Obwohl die strategische Ausrichtung beider Länder nicht immer im selben Verständnis verläuft (s. Kapitel 5), ist sehr wohl ein ernstzunehmender Konflikt zwischen den beiden großen europäischen Staaten nicht anzunehmen und die außerordentliche internationale Kooperation als erwähnenswert anzusehen. Aus der Ausarbeitung tritt ein Dilemma zutage, das wie folgt zu charakterisieren ist: Deutschland als Nationalstaat hat nur begrenzt Ressourcen und Möglichkeiten, die auch interessengeleitet begründet werden müssen. Deswegen ist ein Problem für Deutschland darin zu skizzieren und zu fragen, in welche internationale Organisation sie ihren weiteren Fokus legen wird. VN-mandatierte aber von NATO und EU ausgeführte Friedensmissionen werden bspw. bevorzugt, gleichzeitig wird eine Stärkung der Vereinten Nationen als Ziel formuliert (s. Kapitel 4).Investitionen in allen internationalen Organisationen bringen Deutschland in eine prekäre Situation, wie die Motivlage und die Ausgestaltung des MINUSMA-Einsatzes aufzeigt (s. Unterkapitel 5.2.5). Als Fazit ist festzuhalten, dass der MINUSMA-Einsatz einer oftmals bloßen Rhetorik zur Stärkung multilateraler Beteiligung grundsätzlich entgegenläuft und Deutschland zukünftig als ernstzunehmenden internationalen Akteur kennzeichnen könnte (vgl. Gareis 2021, S. 216). Prinzipiell kann zudem bestätigt werden, dass Deutschland am ehesten seine Fähigkeiten einbringen kann, wenn internationale Legitimation besteht (mit Blick auf das Grundgesetz und der eigenen 'Zurückhaltungs-Konstante'), Bündnis- und beteiligte Partner mit ihren Interessen zumindest kollidieren (vgl. ebd., S. 112) und Multilateralismus als Merkmal auftritt. Daraus lässt sich die Intensivierung in internationale Organisationen ableiten, weil es nachhaltig die Souveränität Deutschlands positiv beeinflussen kann (vgl. ebd.). So kann Gareis (2021, S. 93) zugestimmt werden, wenn er schreibt: "Sicherlich kann auch im Jahr 2020 festgestellt werden, dass Deutschland an seinen Bemühungen um eine Zivilisierung der internationalen Politik durch Regime und Institutionen festhält. Auch ist es seiner Bevorzugung von friedlicher Konfliktbeilegung und Kooperation vor der Machtpolitik sowie schließlich auch seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur Übertragung von Souveränitätsrechten weitestgehend treu geblieben – wenngleich die mit dem Zivilmachtkonzept gern verbundene 'Kultur der Zurückhaltung' Ergänzungen durch die Verfolgung stärker nationaler Interessen erfahren hat." Der Ausblick ist jedoch unter der aktuellen Prämisse (s. Unterkapitel 5.3) unter Vorbehalt zu stellen und zeigt deutlich die Unsicherheiten auf, die der Grundzustand der Anarchie treffend formuliert und exemplarisch die angerissene Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen sowie die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats hervorhebt. Deutschland wird in jeglichem denkbaren Szenario eine größere Rolle in den Internationalen Beziehungen spielen: "Die Anforderungen an die multilaterale deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden also steigen, und neben dem vielbeschworenen Willen zur Übernahme von 'Verantwortung' wird auch die Bereitschaft zum personellen und finanziellen Engagement wie auch zur Übernahme ungewohnter politischer Risiken wachsen müssen" (Gareis 2021, S. 216) 7. Literatur Beckmann, H. (26.02.2022): Russlands Angriff auf die Ukraine. Europa hat einen neuen Feind. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-krieg-europa-101.html [09.03.2022]. Bundesministerium der Verteidigung (2016): Weissbuch 2016. Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Online: https://www.bmvg.de/resource/blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31/weissbuch2016-barrierefrei-data.pdf [09.03.2022].Bundeswehr (21.02.2022): Personalzahlen der Bundeswehr. Wie lauten die Einsatzzahlen. 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