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Verfasst von Andreas Schulz Über Fremdheit ist schon viel geschrieben worden. Sie stellt einen der grundlegendsten sozialwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände dar und mündet in Spezialdiskurse um Identität, Heimat, Entfremdung und schlussendlich in der sogenannten Überfremdung (vgl. Vorländer et al. 2017). In einer globalisierten Welt, in der Stadt- und Landbewohner_innen leben, ist das...
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Unsere Gegenwart ist gefährdet, unsicher und prekär: Von flexiblen Arbeitsverhältnissen zum befristeten Aufenthaltsstatus; von bedrohten Lebensformen zu flüchtigen Kollektiven, die die Straßen und Plätze besetzen; von der Beschleunigung der Gesellschaft zur Instabilität globaler Ordnung. Selten schien eine Diagnose einleuchtender. Die Verhältnisse erscheinen wackelig und flüssig, Ordnungen und Identitäten lösen sich auf, noch bevor sie...
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von Gerdis Wischnath und Miriam Emefa Dzah Der Begriff vom 'Raum' ist für Geograph*innen Kern ihrer wissenschaftlichen Identität und zentrales Konzept in geographischem Denken und Forschen. Auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften spielen Aspekte der Raumbezogenheit von Gesellschaft, Politik und Kultur für viele Fragen eine wichtige Rolle. Was allerdings 'Räume' ausmacht, wie wir sie begreifen … „Raum“ weiterlesen
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Kommentar von Ulf Brunnbauer zum Vorschlag der französischen Ratspräsidentschaft zur Auflösung des bulgarischen Vetos gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien. Kurz vor Ablauf der französischen EU-Ratspräsidentschaft legte diese Ende Juni einen Kompromissvorschlag vor, mit dem das leidige Veto Bulgariens gegen den Beginn von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien überwunden werden soll. In diesem Disput geht es um beiden Seiten wichtige Fragen der nationalen Identität, umso sensibler reagieren Politik und Öffentlichkeiten in Sofia und Skopje seit jeher auf jedes vermeintliche Nachgeben: Als der erst seit Dezember 2021 amtierende bulgarische […]
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Die von Thomas Blank und Peter Schmidt zur Messung von Nationalismus, Patriotismus und nationaler Identität entworfenen Item-Batterien erfreuen sich (auch international) großer Beliebtheit. Doch nehmen sie auch tatsächlich auf die richtigen Konzepte Bezug? In einer kürzlich in der Politischen Vierteljahresschrift veröffentlichten Studie untersuchen wir, welcher der drei Kategorien ein "Laienpublikum" die einzelnen Blank-und-Schmidt-Items jeweils zuordnen würde. Dabei stoßen wir einerseits auf eine erhebliche Diskrepanz gegenüber der Originalzuordnung (mit der zum Teil nicht einmal jeder Vierzehnte übereinstimmt) sowie andererseits auf die verbreitete Auffassung, die Items seien mehrdeutig und schwer verständlich.
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Omri Boehm's talk on "radical universalism" in Berlin, April 16, 2023:Video: Radical universalism (You Tube; 2 hours)* Carolin Emcke's introduction* Omri Boehm's talk (in English) (9:37 – 45:00) * Dialogue with Martin Saar & Carolin Emcke (45:44 – 2:05:00).Omri Boehm is Associate Professor and Chair of Philosophy at The New School for Social Research, New York. He is the author of "Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität" (Propyläen Verlag, 2022).
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"Musik ist die beste Möglichkeit, Emotionen zu transportieren" - István SzabóIm Kontext der Erforschung und Betrachtung von Rechtsextremismus gilt es vor allem die Faktoren zu betrachten, welche anziehend auf Kinder und Jugendliche wirken können. Einer dieser Faktoren ist Musik.Musik vermag es, unser Gefühlssystem, unsere Stimmungslagen und unser Denken und Handeln zu beeinflussen. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen. Es können die Texte und Inhalte, aber auch die Melodien sein, die sich uns einbrennen und eine Wirkung auf uns entfalten. Im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung hat sich Romano Sposito im Jahre 2007 des Themas angenommen und sich in seinem Dossier mit eben dieser "Einstiegsdroge Musik" beschäftigt. Sposito fasst dabei primär den Rechtsrock als, wie er sagt, "Lockmittel" ins Auge, welches vor allem Kinder und Jugendliche (auf der Suche nach Gruppenzugehörigkeit und Identität) abfangen und gezielt anwerben soll. Ein Fund von Lea Franziska Knoß
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Der Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orbán, ist ein Beispiel für den Aufstieg des Populismus in Europa in den 2010er Jahren. Deswegen ist es besonders interessant zu erforschen, wie er über einen so langen Zeitraum die Unterstützung der Öffentlichkeit gewinnen konnte. Vor diesem Hintergrund und angesichts der zunehmenden Bedeutung sozialer Netzwerke bei Wahlkämpfen haben Szebeni und Salojärvi (2022) Orbáns Instagram-Beiträge einer Untersuchung unterzogen.Laut der Analyse werden visuelle Inhalte auf Websites wie Instagram verwendet, um Authentizität zu schaffen und eine Verbindung zum Volk aufzubauen, was für die Aufrechterhaltung und Erneuerung der populistischen Hegemonie von entscheidender Bedeutung ist. Die Umsetzung wird im folgenden Abschnitt genauer erläutert. Die Analyse fokussierte sich auf alle Instagram-Posts Orbáns aus dem Jahr 2019, einem Jahr mit hoher Posting-Aktivität. Insgesamt wurden 131 Posts untersucht, einschließlich Bilder, Videos und deren Bildunterschriften. Kommentare und Likes wurden aus der Analyse ausgeschlossen.Im Jahr 2020 nutzten 79 % der ungarischen Bevölkerung das Internet, dabei waren Facebook und Instagram die beliebtesten Plattformen. Seit 2014 teilt Orbán Beiträge auf Instagram. Die auf Orbáns Instagram geposteten Bilder wirken professionell, auch Farben und Kompositionen der Fotos wirken einheitlich. Alle Bilder sind mit einer kurzen Bildunterschrift versehen, die meisten in zwei Sprachen, Ungarisch und Englisch, sowie mit ein paar Hashtags. Die Mehrheit der Beiträge wurden in einem professionellen Umfeld aufgenommen. Von den 87 Fotos, auf denen Orbán zu sehen ist, zeigt er sich nur in 17 in einem privaten Umfeld. Orbán präsentiert sich üblicherweise als ein beschäftigter und hart arbeitender Politiker, der keine Zeit für Freizeitaktivitäten hat. Orbáns Professionalität zeigt sich auch in seiner Kleidung. Auf nahezu allen Bildern trägt er einen Anzug, meist mit Krawatte.Die Rolle des traditionellen männlichen AnführersGerade bei populistischen Führungspersönlichkeiten liegt oft ein Fokus auf Eigenschaften, die mit männlicher Dominanz verbunden sind. Außerdem positionieren sich viele populistische Bewegungen gegen den Feminismus und unterstützen konventionelle Geschlechterrollen. Orbán präsentiert sich als Verkörperung von Männlichkeit durch die Art, wie er in Bildern den Raum einnimmt, die Art der Personen, mit denen er zusammen fotografiert wird, und durch Verweise auf das Militär oder den Sport.Die politischen Ämter von Fidesz und der Regierung sind hauptsächlich mit Männern besetzt. Bei Kabinettssitzungen oder kleineren Zusammenkünften sind ausschließlich männliche Politiker vertreten. Frauen treten auf Orbáns Instagram eher in unterstützenden Rollen auf, wie beispielsweise seine Frau, die ihn zur Wahl begleitet. Orbáns Leidenschaft für Fußball, einem traditionell männlich konnotierten Sport, betont ebenfalls sein männliches Image, beispielsweise zeigt er sich beim Feiern mit ehemaligen Fußballspielern. Auch in seinem privaten Umfeld nimmt Orbán eine traditionelle männliche Rollen ein, etwa als Vater oder Großvater, der die Feiertage zusammen mit seiner Familie verbringt.Konstruktion einer geteilten nationalen IdentitätOrbán betont in seinen Beiträgen oft die Bedeutung von Großungarn, einem Staat, der vor 1920 bestand. Der Verlust eines Großteils des Teritoriums nach dem Ersten Weltkrieg ist tief in der nationalen Identität Ungarns verankert und wird als traumatisch empfunden. Orbáns Instagram-Beiträge zeigen oft Städte mit alten ungarischen Namen. Dabei stellt er sie so dar, als ob sie noch zu Ungarn gehören würden. Zudem verwendet Orbán häufig die ungarische Flagge und Nationalfarben, um ein Zugehörigkeitsgefühl und eine geteilte nationale Identität zu signalisieren.Religiöse Symbole sind auf Orbáns Instagram vor allem während der Feiertage präsent und werden als Teil der ungarischen nationalen Identität betrachtet. Darüber hinaus spielt die Konstruktion von einem "Wir"-Gefühl gegenüber "den Anderen" eine wesentliche Rolle in Orbáns Online-Präsenz. Dabei werden "die Anderen" oft als äußere Bedrohungen oder Gegner der nationalen Interessen dargestellt.Außerdem präsentiert er sich als international bedeutenden Politiker, als einen Führer, der eng mit dem Volk verbunden ist. Seine Beiträge zeigen selten Normalbürger:innen, sondern fokussieren sich hauptsächlich auf Bilder seiner Auslandsreisen und Treffen mit ausländischen Politiker:innen. Dabei scheint Orbán besonders mit Populist:innen sowie religiösen Führer:innen in Kontakt zu treten.So wird deutlich, dass Viktor Orbáns Instagram-Beiträge aus dem Jahr 2019 mehr als nur Selbstinszenierung sind. Sie werden strategisch eingesetzt, um seine politischen Überzeugungen zu verbreiten, seine Macht zu festigen und die ideologische Einheit seiner Anhänger zu fördern. Die präzise Auswahl von Themen, Bildern und Geschichten hebt die zentralen Elemente seines populistischen Regimes hervor und unterstreicht die Relevanz Sozialer Medien in der heutigen politischen Landschaft. LiteraturZea Szebeni, S., & Salojärvi, V. (2022). "Authentically" Maintaining Populism in Hungary – Visual Analysis of Prime Minister Viktor Orbán's Instagram. Mass Communication and Society, 25(6), 812-837. https://doi.org/10.1080/15205436.2022.2111265
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Der Schweizer Medienanalyst Heimito Nollé hat den Beginn des Kommunistischen Manifest von Karl Marx mal so umformuliert: "Ein Gespenst geht um in Europa: Europa". Der Kommunismus ist besiegt, jetzt bedroht Europa sich selbst. Es ist beängstigend, dass man über diesen Aphorismus gar nicht so richtig lachen kann, weil er doch zu viel Wahrheit enthält. Zumindest, wenn wir über das politische Europa sprechen. Als Polen im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten ist, war die politische Landschaft Europas noch klar erkennbar, ihre Konturen deutlich sichtbar. Offenheit, Vielfalt und Toleranz wurden damals nicht diskutiert, sondern postuliert. Heute scheint das politische Europa in immer dichterem Nebel zu versinken, und schwarze Schatten geistern gespenstisch durch das Grau.Und weil wir selbst unsere Nachbarn nicht mehr so richtig erkennen, widmen wir uns lieber unseren eigenen, nationalen Angelegenheiten. Deutschland versucht die Flüchtlingsprobleme im Alleingang zu lösen, und in Polen steht politisch gelebter Nationalstolz über europäischen Kompromissen. In Deutschland schaut man kritisch auf die Renationalisierung in Ungarn und Polen, in Polen fühlt man sich durch Brüssel bevormundet und in seinen nationalen Werten und Vorstellungen eingeschränkt. Diese Konflikte täuschen aber darüber hinweg, dass es auch ein Europa jenseits politischer und juristischer Auseinandersetzungen gibt. Ein Europa, das nicht nur geographisch definiert ist, sondern das man auch historisch und kulturell als Einheit betrachten kann.Man mag überrascht sein darüber, dass der polnische Kartograph und Astronom Szymon Antoni Sobiekrajski im Jahr 1775 das heute im Osten Polens liegende Städtchen Suchowola sogar als den geographischen Mittelpunkt Europas berechnet hat. Der Mittelpunkt Europas in Polen? Nicht selten blickt man dann in Deutschland in erstaunte Gesichter, die Polen doch gerne und häufig irgendwie im Osten positionieren. Die politischen Gespenster täuschen auch darüber hinweg, dass gerade in der polnischen Gesellschaft die Empathie für Europa – nicht das politische, sondern das ideelle, auch historische – besonders groß ist. Der Stolz auf den Beitrag von Fryderyk Chopin zur europäischen Musikgeschichte oder auf König Sobieski, der 1683 in der Schlacht am Kahlenberg Europa vor dem Einfall der Türken bewahrte, scheint ungebrochen. Ganz zu schweigen von den Leistungen von Papst Johannes Paul II. Zu Recht.Aber wie bekommt man diese Begeisterung für eine europäische Identität einerseits und die politische Skepsis gegenüber Europa anderseits unter einen Hut? Es scheint schwierig, den Deutschen diese zwei Europas, die in Polen nebeneinander existieren, zu vermitteln. Das liegt auch daran, das in Polen sowohl die kritische Auseinandersetzung um politische Themen als auch die vorhandene Begeisterung für die ideelle europäische Identität mit viel mehr Emotionen verbunden sind als in Deutschland. Der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Peter Oliver Loew, hat diese mentale Auseinandersetzung der Polen mit Europa mal in folgende Kurzform gebracht: "Polens Traum: Europa. Polens Zweifel: Europa. Polens Realität: Europa". Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir in Deutschland uns diesen Fragen auch emotionaler stellen würden. Nicht nur in Talkshows oder politischen Debatten. Auch im Dialog mit Freunden oder Arbeitskollegen. Bei uns wird Europa nur dann emotional, wenn es um Meisterschaften geht. Im Fußball. Im Handball. Oder im Europäischen Song-Contest. Ansonsten begegnen wir Europa eher mit Achselzucken, stehen der Worthülse oft ratlos gegenüber, weil wir nicht genau wissen, was sich – und ob sich was – in ihr verbirgt. Leider. Dabei sind Emotionen der Schlüssel für den Dialog. Untereinander im eigenen Land. Aber auch miteinander über die Landesgrenzen hinweg. Dann verschwindet auch der Nebel und es gelingt vielleicht, die beiden Europas in Polen mit dem schalen Europagedanken in Deutschland zu vereinen und daraus ein Europa zu entwickeln, das politisch wie ideell wieder eine Einheit bildet. Eine Einheit, die durchaus Unterschiede und Konflikte beinhalten kann. Aber nicht an den Grundfesten des großen Ganzen rütteln. Europa braucht keine Fragezeichen. Es braucht ein Ausrufezeichen. In Deutschland. Und in Polen.
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Vorbemerkung: Im Rahmen des DPI-Jahresthemas Oberschlesien schreiben DPI-Mitarbeiter über ihre persönlichen Bezüge oder Erfahrungen mit dieser Region.
Als der Journalist Bronisław Tumiłowicz am 24. Juni 1989, also kurz nach den ersten freien Wahlen in Polen, einen Beitrag in der Wochenzeitung "Polityka" veröffentlichte unter dem Titel "Deutsche bei uns – es gibt sie!", war die Aufregung groß. Bis 1989 gingen die meisten Polen davon aus, dass es keine deutsche Minderheit mehr in Polen gäbe. Sie wurde im Kommunismus totgeschwiegen, nachdem sie nach 1947 insbesondere in Oberschlesien einer radikalen Polonisierung unterzogen worden war. Jetzt, nach dem Fall des Kommunismus und einem damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Wandel in Polen, war der Weg frei, die deutsche Minderheit in Polen neu zu reanimieren. Oder zumindest das, was davon noch übrig geblieben war. Vor allem ging es darum, die deutsche Minderheit durch die Vermittlung ihrer Muttersprache wieder sichtbar zu machen und ihr ein Identifikationsmerkmal zurückzugeben. Der deutsch-polnische Vertrag vom 17. Juni 1991 fixierte dieses Ziel auch juristisch in Worte. Die Frage war nur, ob die Zeit reichen würde, die vor allem bei der älteren Generation Oberschlesiens noch vorhandenen Deutsch-Sprachkenntnisse an die jüngere Generationen weiterzugeben. Und wie schnell das Bildungssystem in Oberschlesien wieder für den Neueinzug der deutschen Sprache umgerüstet werden konnte, da der Deutschunterricht zwischen 1945 bis 1989 auf allen Ebenen in Oberschlesien verboten war. Viele Einrichtungen aus Deutschland unterstützten dieses Unterfangen, schickten Deutschlehrer, Sprachanimateure und Sprachassistenten für deutsches Radio und Fernsehen in die Region. Die Aufgabe bestand darin, die deutsche Muttersprache mit den Mitteln des Fremdsprachenunterrichts wieder zu reanimieren. Ein schwieriges Unterfangen.Ich studierte anfangs der 1990er Jahre Germanistik, Ostslawistik und Politologie an der Universität Regensburg. Die Geschichte meiner Eltern, die aus Oberschlesien stammten, nach 1945 polonisiert wurden und Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland auswanderten, hatte für mich und meine Brüder keine größere Relevanz. Unsere Eltern erzählten wenig darüber, und wir interessierten uns wenig dafür. Der Name dieser Region war in unseren Köpfen mit keinen Inhalten verbunden. Außer eben, dass unsere Eltern von dort kamen.Als ich 1993 ein Thema für meine Magisterarbeit in russischer Philologie suchte, fing mein Vater eines Abends an, mir davon zu erzählen, wie sie als deutsche Kinder plötzlich die deutsche Sprache gegen Androhung von Strafe nicht mehr verwenden durften. Nicht privat, und schon gar nicht in der Schule oder Öffentlichkeit. Es waren damals die aus Ostpolen geflohenen Lehrerinnen und Lehrer, die den in Oberschlesien verbliebenen Kindern die polnische Sprache in der Schule beibringen mussten. Sie taten es mit viel Liebe und Verständnis, wie mein Vater rückblickend erzählte, weil sie selbst quasi Vertriebene waren, und deshalb Verständnis hatten für die fatale Situation der deutschen Kinder. Mein Vater, der in Leschnitz aufgewachsen war, hatte sich immer gewünscht, dass irgendwann mal ihnen zu Ehren ein Denkmal in Oberschlesien entstünde. Aus Dankbarkeit für die Hilfe in diesen schwierigen Zeiten.Das Gespräch mit meinem Vater an diesem Abend hat mein Leben verändert. Verändert deshalb, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie sich das Sprechen einer Sprache verbieten ließe. Ich bohrte nach. Mit welchen Mittel? Strafzetteln? Was unglaublich schien, war Realität. Zumindest bis zum Jahr 1950, als die Existenz einer deutschen Minderheit in Oberschlesien für offiziell beendet erklärt wurde und daher auch keine offizielle Bestrafung mehr möglich war. Wer danach des Deutschtums bezichtigt wurde, dem stellte man das warme Wasser ab, oder er musste besonders lang beim Kauf eines Autos warten. Und jetzt nach dem Systemwechsel 1989? Wollte man diesen Verlust wieder gutmachen? Auf welche Weise? Meine Neugier war geweckt und ich beschloss, meine Magisterarbeit über die Wiedereinführung der deutschen Sprache in Oberschlesien nach 1990 zu schreiben. Da hierzu fast alle Quellen auch auf Deutsch vorlagen, konnte ich meine nicht vorhandenen Polnisch-Kenntnisse erst einmal verschmerzen. Erste Reisen nach Oberschlesien waren die Folge, vor allem nach Oppeln, in die Heimatstadt meiner Mutter. Es waren Schulfreunde oder Bekannte meines Vaters, wie der damalige deutsche Abgeordnete im polnischen Sejm, Helmut Pazdzior aus Leschnitz, oder die Senatorin Dorota Simonides, die mir die Türen in die Archive in Kattowitz und Warschau öffneten. Oder Bischof Nossol, der mir die Kirchenarchive aufschloss, und mir die Schlüssel zur "Sprache des Herzens", wie Nossol die deutsche Sprache in Oberschlesien nannte, in die Hand gab. Die Beschäftigung mit dem Thema der deutschen Sprache in Oberschlesien wurde unweigerlich auch zur Beschäftigung mit der Geschichte meiner Eltern. Wo lebten sie damals in Oppeln und Leschnitz? Wie lebten sie damals? Wie gingen sie mit der Situation um? Und vor allem: wie gingen meine Großeltern damit um?Es gab für mich kein Zurück mehr zu russischen Philologie. Nach dem Studium in Regenburg ging ich 1995 als Dozent für die deutsche Sprache an die Oppelner Universität, lerne dort Polnisch und verfasste danach meine Doktorarbeit zur Geschichte der deutschen Sprache in Oberschlesien. Ich geriet in den Strudel aufregender 1990er Jahre, die in Oberschlesien geprägt waren von der Frage, wie man die deutsche Minderheit neu aufstellen kann, wie sie die neugewonnenen Rechte in die Praxis umsetzen, ihre vom Verlust bedrohte Identität ins nächste Jahrtausend retten und – vor allem – an die junge Generation vermitteln kann. Deutsches Radio, deutsches Fernsehen, deutsche Zeitungen etablierten sich ebenso nach und nach wie zweisprachige Ortsschilder. Die Satellitenschüsseln, die bereits in den 1980er Jahren als "schlesische Ohren" die Häuser zierten, vermehrten sich sichtbar. Und je mehr Zeit ich in Oppeln verbrachte und die Geschichte meiner Familie kennenlernte, umso stärker veränderte sich auch meine eigene Identität. Mich beschäftigte die Frage, welche Identität jemand hat, dessen Eltern wie meine als Deutsche in Oberschlesien aufwuchsen, zwangsweise zu Polen polonisiert wurden, dann in den 1950er Jahren nach Niedersachsen und Bayern übersiedelten. Jemand, der wie ich in Bayern geboren wurde, dort aufwuchs, und der plötzlich feststellt, dass er nicht aus Zufall der bayerischen Sprache in keiner Weise mächtig ist. Bei dem sich auf dem Esstisch der Mutter deutsche, bayerische, oberschlesische und polnische Küche mit einer Selbstverständlichkeit mischten, die erst dann auffällt, wenn man den berühmten Schritt zur Seite tritt und plötzlich anfängt, über Streuselkuchen zum Kaffee oder Forelle (Karpfen schmeckte meinen Eltern nicht) an Weihnachten nachzudenken.Oppeln und Oberschlesien wurden über die Jahre zu einem spätentwickelten Teil meiner Identität. Noch immer reise ich regelmäßig dorthin. Und immer, wenn ich in Oppeln bin, besuche ich auch das Grab meiner Urgroßmutter, die 1958, kurz vor der Umsiedlung, noch in Polen gestorben war. Aus Protest, wie meine Mutter schmunzelnd zu sagen pflegte. Manchmal stehe ich mit ganzen Reisegruppen an diesem Grab und erzähle meine oberschlesische Geschichte. Stellvertretend für so viele meiner Generation, die zu lange zu wenig gefragt haben, was sich hinter den Lebensläufen ihrer Eltern verbirgt. Dann kommt fast immer, unweigerlich, die Frage: Und, als was fühlen Sie sich? Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Später habe ich sie an meinen schon alten Vater weitergegeben. Ich fragte ihn, was er denn als seine Heimat empfinde. Er antwortete mir damals: Regensburg. Mich hat die Antwort überrascht, und ich fragte nach. Ist die Heimat nicht da, wo man geboren, aufgewachsen ist als Kind? Da meinte er nur: Heimat hat man nicht, Heimat baut man sich.Dieser Satz ist mir nie aus dem Kopf gegangen. Bis heute suche ich die Antwort auf die Frage, ob Heimat ein Geschenk, oder eine Aufgabe ist. Eine Tatsache, oder ein Gefühl. Natürlich würde ich nie behaupten, das Oberschlesien meine Heimat ist. Aber immer wenn ich dort bin, durch Oppeln oder Leschnitz spaziere, oder Lesungen aus meinen Büchern über Polen und Oberschlesien halte, klopft die Region mit dem Kreuz vom Grab meiner Großmutter an mein Herz und erinnert mich, dass auch die Geschichte der Eltern Einfluss darauf hat, wie man sich selbst definiert. Und so ist mein "Ich" ein Vielschichtiges geworden. Ein deutsch-polnisch-bayerisch-oberschlesisches. Angenehm national-diffus. Und ehrlich. Weil nie eindeutig. Auch für meinen Vater, der im Dezember 2020 verstorben ist, veränderte sich in den letzten Jahren seines Lebens sein Verhältnis zur Frage der Heimat ein wenig. Auch zu Oberschlesien und zur dort seit 1990 lebendigen deutschen Minderheit. Irgendwann fing er doch an, noch zu den Heimattreffen der Minderheit nach Leschnitz zu reisen, dort mit alten Freunden und Bekannten das Gespräch zu suchen, beeindruckt von den vielfältigen Aktivitäten, die sich seit der Anerkennung der Minderheit dort entwickelt haben. Auch wenn er von Regensburg als Heimat nicht abrückte, so kam ihm seine Herkunft aus Oberschlesien doch stärker ins Bewusstsein. Vielleicht wurde Heimat am Ende seines Lebens auch für ihn ein vielschichtiges Gefühl, das nicht eindeutig fixierbar und benennbar ist. So wie bei mir. Das Alter verändert den Blick zurück. Ständig. Wir KinderWir Kinder hören nicht zu wenn die Alten uns Geschichten aus ihrem Leben erzählenja, ihr Omas und Opas damals war damals heute ist heute versteht uns docherst wenn sie nicht mehr erzählen und wir keine Kinder mehr sind kommen wir mit unseren Fragen an ihre Gräber
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Staatsanwaltschaft will Carles Puigdemont an Spanien ausliefern dejure.org Kataloniens Kampf geht nicht um Freiheit, sondern um Identität (Verfassungsblog) Oberlandesgericht: Puigdemont kommt unter Auflagen frei (ZDF) Puigdemont kommt frei - unter Auflagen (SZ) Facebook
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Im März 2023 fand ich das Buch in der Post. Der Herausgeber schrieb, dass es zum 80. Jahrestag des Warschauer Gettoaufstands von 1943 erscheint, eine Auftragsarbeit aus gegebenem Anlass vielleicht? Das Buch war dick und schwer, der Klappentext sprach von einer "geheimnisvollen und schwer zu fassenden" Persönlichkeit. Ich legte das Buch zunächst auf meinen "zum Erledigen"-Stapel, denn die 500 Seiten schluckt man nicht an einem Nachmittag. An diesem Text habe ich also lange geschrieben, das Buch immer wieder angelesen, weggelegt, dann wieder vom Neuen angefangen. Marek Edelman, einer der Befehlshaber beim Gettoaufstand, wird im Motto des Buches zitiert – die Biografie der Protagonistin sei "Stoff genug für einen Sensationsroman". Und tatsächlich bestätigt das Buch die geläufige Wahrheit, dass die besten Geschichten das Leben selbst schreibt, denn auch Hollywood würde dieses Drehbuch nicht spannender, widersprüchlicher, tragischer erdenken können. Drei Leben bescheinigt der renommierte Autor Remigiusz Grzela der sich als italienische Lyrikerin ausgebenden Irena Conti di Mauro, die er jahrelang persönlich kannte und als Autorin schätzte. Erst später erfuhr er von der Mystifikation, die nur wenigen Eingeweihten bekannt war, die aber Irenas Entscheidung, die Vergangenheit radikal hinter sich zu lassen, respektierten. Denn sie setzte alles daran, ihrer jüdischen Familie, den Verwandten und Bekannten zu entsagen und baute neue Identitäten auf. Grzela stellt uns die drei Gesichter von Irena vor – als jüdische Kämpferin Irena Gelblum, als polnische Journalistin Irena Waniewicz und als italienische Lyrikerin Irena Conti di Mauro. Die im Buch zu Sprache kommenden Stimmen von Irenas Freunden und Wegbegleitern vermitteln den Eindruck, dass es möglicherweise noch weitere Identitäten gab.Entmystifizierung einer HeldinRemigiusz Grzela, Autor mehrerer Biografien, Lyriker, Publizist und literarischer Leiter am Jüdischen Theater in Warschau, publizierte bereits 2014 die Biografie "Irenas Wahl" (Wybór Ireny), die aber wegen eines gegen seinen Verlag angestrengten Prozesses nicht erscheinen bzw. nicht verkauft werden durfte. Der Grund waren einige dort veröffentlichen Briefe, deren Absender Simcha Rotem (Kazik) mit ihrer Publikation nicht einverstanden war. Auch das vorliegende Buch, so Grzela, sei eine Gratwanderung, denn es entlarvt Irenas zahlreiche und langjährige Versuche, über ihre Vergangenheit zu schweigen, alten Bekannten zu entsagen, ja allem zu widersprechen, was sie mit dem Krieg und mit ihrer jüdischen Herkunft in Verbindung gebracht hätte. Nur ganz wenige Freunde wussten, wer sie wirklich war. Und Grzela ist nicht der erste, der es wagte, davon öffentlich zu sprechen. Während sein Buch nicht verkauft werden durfte, erschien 2014 in einer Beilage zur "Gazeta Wyborcza" ein Gespräch mit Marek Edelman, der die wahre Identität der damals als polnisch-italienischen Poetin wahrgenommenen Irena Conti di Mauro als jüdische Heldin enttarnte. Aber welche Identität war wirklich "wahr"? Durfte Edelmann, eine Galionsfigur des jüdischen Widerstandes, der Solidarność-Bewegung und landesweit anerkannte Autorität das tun? Auch Grzela fragt sich, ob er das Recht habe, an der Dekonstruktion von Irenas Mystifikationsversuchen mitzuwirken. Er tut es, nicht nur um zu verstehen, warum sie wann welche Entscheidungen traf, sondern um eine tragische Persönlichkeit zu porträtieren, die es verdient, nicht vergessen zu werden. Übrigens: 2019 wurde im Zentrum Warschaus eine Wandmalerei mit neun jüdischen Kämpferinnen am Eingang zu einer Metrostation angebracht, eine von ihnen ist Irena.Es ist keine einfache Aufgabe, den roten Faden im Buch nicht zu verlieren – weder für den Leser noch für den Autor, bleibt die Protagonistin dieses Buches doch immer in Bewegung, mal in die eine, mal in die andere Richtung, mal verschwindet sie ganz, stellt sich stumm. Grzela wagt nun ein riskantes Unterfangen mit den Lebensstationen der Protagonistin. Seine Annahmen, Thesen, Rechtfertigungen untermauert er durch Aussagen von Freunden und Bekannten Irenas, manch einen Strang, der zufällig erscheinen mag, führt er gekonnt fort, vertieft, um den Kontext von Irenas Entscheidungen zu erklären. Denn über allem schwebt der Wille zum Verdrängen, zum Vergessen, zur Nichtexistenz. Nach dem Krieg bestritt Irena, die jüdische Kämpferin gewesen zu sein, die alle kannten: Mitstreiter in Getto wie Marek Edelman, Kazik Ratajzer, Cywia Lubetkin, Antek Cukierman. Sie mied Kontakte mit jedem, der sie mit Juden oder mit dem Getto in Verbindung bringen konnte. Sie ließ alles ändern, den Namen, das Geburtsjahr, die Nationalität, selbst die Stimme. Wie in einem Sensationsroman entfaltet der Autor die immer wieder neuen Bilder ihrer Identität.Verbindungsfrau im UntergrundRemigiusz Grzela: "Der Biograf kann nur Ärger verspüren, wenn er jahrelang keine Spuren finden kann. Ich weiß nicht, was mit Irena los war, außer, dass sie mit Eltern und Bruder ins Getto kam. Sie erscheint 1943 als eine der Jungen und Mutigen, die (…) beschlossen haben, in den Untergrund zu gehen und Widerstand zu leisten" (91). Wer Irena vorher war – das weiß der Autor nicht genau, er kann niemand mehr fragen. Das Geburtsdatum ist nicht sicher, wahrscheinlich 1923 (in vielen Dokumenten machte sie sich jünger und gab 1925, 1931 ja sogar 1939 an!). Verbürgt ist ihre bürgerliche Herkunft, ihr Großvater Wolf Kronenberg war Kaufmann und Landbesitzer, dem u.a. ein bekanntes Mietshaus in der Złota-Str. in Warschau gehörte ("Pekin" genannt, heute "Kamienica Wolfa Kronenberga"). Grzela fragt zunächst nach der Motivation der jungen Menschen, die sich für den Kampf entschlossen haben. Er findet Irena auf einem Foto aus den späten 1930er Jahren, wo sie Ferien in einem jüdischen Sanatorium bei Warschau verbringt. Auf dem Bild ist auch der junge Marek Edelman zu sehen, es handelt sich wahrscheinlich um ein Ferienlager der sozialistischen BUND-Jugend. Viele der späteren Angehörigen der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa, ŻOB) waren vor dem Krieg in linken jüdischen Jugendorganisationen sozialisiert. Es kann sein, dass diese Kontakte für Irenas Entscheidung, in den Widerstand zu gehen, daher rührten. Sie kam 1943 aus dem Getto heraus, um der ŻOB auf der anderen Mauerseite zu dienen: Geld beschaffen, Verstecke organisieren, Kontakte pflegen, Nachrichten überbringen. Edelman nannte sie "Irre Irka" wegen ihres Mutes und wegen ihres irren Glücks bei den zahlreichen Aktionen. Kazik, ihr damaliger Freund: "Nach dem Getto-Aufstand hatten wir wenig Menschen zur Verfügung (…) Eine Frau konnte sich einfacher bewegen als ein Mann. Zu Frauen pflegte man einen anderen Umgang. Selbstverständlich zu Polinnen, darunter auch zu Jüdinnen, die sich als Polinnen ausgaben" (103). Im November 1943 erfährt Irena vom Tod ihrer Eltern und ihres Bruders Władek, ihre Welt bricht zusammen. Auf einem Foto von Władek steht ein Datum, ein möglicher Todestag, aber es gibt keine gesicherten Daten, nicht einmal, dass Irena einen Bruder hatte. Handschrift auf der Rückseite: "Ich liebe nur euch und niemand mehr. Und wenn ich sage, dass ich zu jemand anderem Gefühle hege, lüge ich". (181) Irena ist von nun an bereit, sich aktiv am Widerstand zu beteiligen, ja sich zu rächen.Was bedeutete eigentlich "Verbindungsfrau"? Das Wort beinhaltete "Gefahrgut"-Transporte von illegalen Waffen, Menschen, Dokumenten. Edelman nannte sie irre. Im Zugteil "Nur für Deutsche" gab sie sich mehrmals als Deutsche aus, einmal schlief an einem Offiziersarm ein. Sie ging über die grüne Grenze nach Będzin, damals im Deutschen Reich, befreite dort nach einer abenteuerlichen Aktion eine Mitstreiterin aus einem Arbeitslager. Sie hielt Kontakt zu Widerständlern in Krakau, Lublin, Tschenstochau. Im Warschauer Aufstand (1944) entkam sie um Haaresbereite dem Tod, als sie in einem Himmelfahrtskommando das Organisationsarchiv aus einem von der ŻOB aufgegebenem Versteck holen sollte. War das "irre" genug? Aber das sind Aussagen von anderen, denn Irena spricht nicht, verdrängt, streitet ab. Grzela sagt, dass Biografien dieser Generation sich "wie Schlingen winden". Einzelne Aussagen klären nicht auf, vielmehr verdunkeln sie das Bild, verknoten, verwirren. Irena löschte ihre eigenen Spuren. Die Zeit lief zu ihren Gunsten, als die Kriegsereignisse zurücktraten, viele Verfasser sich nur lückenhaft erinnerten und Zeugen langsam verschwanden.NachkriegsturbulenzenNach dem Krieg nähern sich Irena und Kazik zeitweise den Ansichten Aba Kowners (Partisan aus Wilna) an, des Anführers der jüdischen "Rächer", einer Geheimorganisation, die plante, Millionen Deutsche nach dem Krieg zu vergiften. Beide wurden 1945 in Bukarest geschult, Rache an Deutschen zu üben. Kurz darauf verlassen sie jedoch Europa und begeben sich auf der "Norsyd" von Marseille nach Haifa. Die Welt kennt die Geschichte der "Exodus" von Uri Orlev, aber kaum jemand kennt die Geschichte der "Bria", eines türkischen Kohlefrachters, der von verzweifelten Juden auf hoher See gekidnappt wurde. Irena war keine Zionistin, es gibt keinen Bericht, der erklärt, warum Irena die Reise auf sich nimmt und in einem Internierungslager landet. Später lebt sie in einem Pionierhaus für unverheiratete Frauen in Haifa, Kazik findet eine Bleibe in Tel Aviv. Aber da waren sie nicht mehr zusammen, Irena verliebte sich mehrere Male, noch mehr "Kandidaten" verliebten sich in sie. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, in der viele Familien in Palästina, später Israel, gegründet werden. Irena kann sich nicht entscheiden, 1946 geht sie überraschenderweise nach Polen zurück.Nach der Rückkehr geht es ihr schlecht. Der englische Offizier, der ihr angeblich folgen sollte, meldet sich nicht, sie selbst wird von körperlichen Schwächen und psychischen Depressionen geplagt, gleichzeitig studiert sie Medizin und arbeitet als Stewardess. Bald darauf lernt sie Ignacy Weinberg kennen, einen Mann, der den Krieg im sowjetischen Mittelasien überlebte und der sich nun als linientreuer Journalist am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft beteiligt. Er sah gut aus und vermochte es, Irena zeitweise aus ihren Traumata herauszuziehen. 1950 heiraten sie, aber bevor sie es tun, rät Irena Ignacy, den Nachnamen zu wechseln. Aus Vorsicht, als Schutz vor Antisemitismus? Sie selbst trägt nach der Rückkehr den gefälschten Geburtsnamen "Conti", auch ihr Geburtsdatum lässt sie ändern, die Warschauer Standesamtsakten sind vernichtet, keiner kann das nachprüfen.Nach der Heirat heißt sie Irena Waniewicz, ein Jahr später kommt ihre Tochter Janka zur Welt. Es war keine Liebesheirat, aber Irena und Ignacy sind lange ein Paar und bleiben es auch nach Scheidung und Emigration in Kontakt. Irena leidet oft an Depressionen (bleibt tagelang in stillen und dunklen Zimmern), ihre gesamte Familie bis auf eine Tante und zwei Kusinen war tot, sie pflegt mit ihnen wenig Kontakt. Sie trug in sich nicht nur die Kriegsereignisse und -traumata, auch der Palästina-Aufenthalt blieb eine Belastung, nun kam ein Leben im entbehrungsreichen stalinistischen Polen dazu. Anders als ihr Mann war Irena keine Kommunistin, sie bricht das Medizinstudium ab und arbeitet als Journalistin in der Redaktion von "Nowa Wieś" ("Das neue Dorf"), wo ihre beste Freundin Irena Rybczyńska-Holland Chefredakteurin ist. In dieser Zeit hat Irena viele Liebschaften, darf nach dem "Tauwetter" nach Italien und Frankreich reisen, von wo sie leidenschaftlich für die polnische Presse berichtet und ersehnte Modeartikel nach Warschau bringt.Sie arbeitet gewissenhaft an ihrem Image – hochgewachsen, elegant und eloquent (sie spricht mehrere Sprachen), von Kollegen und Mitarbeitern geschätzt, wirkt sie aber auch oft auf sich bezogen, kühl, unnahbar. Selten gibt sie etwas von sich preis und das niemals öffentlich. Nur einmal spricht sie ungezwungen im Rundfunkstudio von ihrer Tätigkeit als Verbindungsfrau, als ihre "Verwandlung" noch nicht vollständig vollzogen war. Sie weiß bei dem Gespräch nichts von einem heimlichen Mitschnitt, die Sendung wird nicht gesendet. In dieser Zeit erscheinen Memoiren von Irenas Mitstreitern wie Marek Edelman, Władka Meed, Basia Bermanowa-Temkin, Helena Balicka-Kozłowska, aber sie distanziert sich immer mehr von diesem Milieu, nimmt nicht an ihren Treffen teil, unterhält keine Beziehungen mit Ausnahme Marek Edelmans und Kaziks. Für Tochter Janka hat sie nur wenig Zeit und Aufmerksamkeit, oft schickt sie sie zu Nachbarn und Freunden, ihre Identität verrät sie ihr spät und nicht freiwillig. Im Jahr 1968, als in Polen eine antisemitische Hetze losbricht, verliert sie ihren Job, ihr geschiedener Mann Ignacy emigriert nach Frankreich, dann nach Kanada. Viele ihrer Bekannten verlassen das Land, es herrscht Pogromstimmung. Irena hat wie so oft einen anderen Plan: Sie heiratet einen italienischen Korrespondenten Namens Antonio di Mauro und geht mit polnischem Pass nach Italien, während die meisten "März"-Emigranten rücksichtslos aus der polnischen Staatsbürgerschaft entlassen werden. Dabei verliebt sie sich kurz vor ihrer Abreise in einen polnischen Passbeamten, mit dem sie ein neues Leben plant. Das ermöglichen ihr die schnelle Scheidung vom untröstlichen Antonio und den polnischen Vorzugs-Pass, der es ihr erlaubt, Warschau regelmäßig zu besuchen. Stefan R., der Passbeamte, bleibt die nächsten 40 Jahre ihre wichtigste, aber nicht die einzige Beziehung. Auch er wagte es nicht, seine Frau und Kinder für Irena aufzugeben.Doppelleben zwischen Sizilien und WarschauIrena baut sich parallel – in Italien und in Warschau – eine Doppelexistenz im Bereich der Literatur auf: zunächst als italienisch-polnische Lyrikerin, dann auch als Übersetzerin und Beraterin italienischer Verlage und Politik. Für ihre Arbeit erhält sie Preise, sie lernt Schriftsteller wie Jarosław Iwaszkiewicz, Tadeusz Różewicz oder Pater Jan Twardowski kennen, deren Lyrik sie übersetzt und die sie auf Italien-Reisen begleitet, persönlich fühlt sie sich zu Sizilien hingezogen. In Polen gibt sie eigene Lyrikbände heraus und hat Erfolg, reist zu Lesungen und genießt ihren Ruhm in der polnischen Provinz. Vom vorherigen Leben keine Spur, jetzt ist sie eine "in Polen lebende italienische Lyrikerin", bisweilen auch eine italienische "Comtesse", mit der Zeit hält sie sich für eine waschechte Sizilianerin. Im Warschauer Nobelviertel Konstancin baut sie eine Villa, dabei übernimmt sie sich finanziell, was auf Kosten ihrer Gesundheit geht.Grzela verliert im Laufe seiner Erzählung den Glauben, Irena fassen zu können, immer wieder trifft er auf Menschen, die Irena kannten, deren Aussagen aber wenig Licht auf die Motive werfen, die eine solche innere Verwandlung rechtfertigen würden. Tochter Janka meint, sie habe Irenas persönlichen Entscheidungen nie folgen können. Das Verhältnis zur Mutter war durch Scheidung, Emigration und "Abschiebung" ins Internat belastet, später durch Irenas Eifersucht und Besitzergreifung. In der Folge mied Janka ihre Mutter und deren Liebhaber. Zygmunt Warman, Irenas Wegbegleiter aus dem Getto: "Kein einziges Mal begegnete ich jemandem, der seiner Geschichte vollkommen entsagte, diese verheimlichte oder seine Herkunft ganz leugnete. Niemand außer Irena. Hatte sie Angst nach dem Krieg?" (478). Viele konnten nicht verstehen, warum Irena aus Palästina nach Polen zurückkehrte. Ihre Familie war tot, Überlebende gingen in die andere Richtung, wollten in Polen nach dem Krieg und dem Kielce-Pogrom nicht bleiben. Vielleicht ereignete sich damals etwas, wovor sie aus Palästina fliehen wollte oder gar musste?Agnieszka Holland, Filmregisseurin und Tochter von Irena Rybczyńska-Holland: "Wollte ich einen Film über sie drehen, wäre das eine Geschichte über die Flucht vor der Wirklichkeit, die nicht zu ertragen ist. In 'Hitlerjunge Salomon' passt sich der Held den Gegebenheiten an. Immer wieder neue Masken anzuziehen, das wirkt anziehend. Das ist die Geschichte eines der vielen Chamäleons im Krieg. Allerdings war Irena ganz anders, sie bewegte sich konträr zur Wirklichkeit, war mit ihr nicht einverstanden, wollte sie aufheben, um die Kontrolle über sie nicht zu verlieren. So rannte sie gegen die Wand" (495). Hollands Schwester Magdalena Łazarkiewicz: "Sie hatte einen Mut an der Grenze zur Selbstaufgabe. Ich weiß, dass sie dazu ihre Weiblichkeit benutzte. Für mich ist es klar, dass man für so etwas den höchsten Preis zahlt. Sie zahlte es mit späteren Identitäten, das verstehe ich sogar. Aber ich verstehe nicht, warum sie einer solch rühmlichen Karte entsagte" (498). Stefan R., der Passbeamte im Ruhestand, sagt dem Autor vor einiger Zeit, er habe Irena nie gefragt, weder nach dem Alter noch nach ihrer Herkunft, von dem Namen Gelblum erfuhr er nach ihrem Tode: "Für mich war Irena fest da, die Umstände um sie herum waren es nicht." (516).Das Buch verdient es, in andere Sprachen übersetzt zu werden, gerne würde ich es in deutscher Übersetzung sehen, denn Irenas Leben entzieht sich überkommenen Lebenserzählungen vom Krieg, Okkupation und Widerstand. Ein ähnliches Schicksal von "einer Protagonistin, die die Nichtexistenz" wählte, so der Untertitel des Buches, kenne ich nicht. Grzela hat recht: Auch wenn Irena nicht erinnern wollte, ist sie es wert, in Erinnerung zu bleiben.Remigiusz Grzela, Trzy życia Ireny Gelblum. Mit einer Einführung von Norman Davies, Warszawa 2023, 540 S., zahlreiche Abb., siehe auch: https://www.bellona.pl/tytul/trzy-zycia-ireny-gelblum
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Across North America, May 5 is a day to commemorate the thousands of missing and murdered Indigenous women, girls, two-spirit, and gender diverse people. Beyond giving space for remembrance and mourning, May 5 is connected to the aims of building knowledge, raising public awareness, stimulating solidarity and underlining the need for action to end the disproportionate deadly violence. While politics and the judicial system are reminded on this day to deliver rights and justice, another important factor for change should also gain attention: the collective imagery of the Indigenous needs to be decolonized to transform the systemic structures of violence. Author information
Sabine Mannitz
Dr. Sabine Mannitz leitet den Programmbereich "Glokale Verflechtungen", ist Vorstandsmitglied am PRIF und PI im Forschungszentrum "Transformationen politischer Gewalt" (TraCe). Sie forscht u. a. über Prozesse des Wandels politischer Kultur, soziale Identität und Erinnerungskultur/-politik. // Dr Sabine Mannitz is head of the research department "Glocal Junctions", a member of PRIF's executive board and PI in the Research Center "Transformations of Political Violence" (TraCe). Her research fields include processes of change in political culture, social identity and practices of remembrance/remembrance politics.
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In diesem Beitrag stellt Rubina Di Stefano folgenden Text vor: Perintfalvi, Rita (2021): LGBTIQ-Menschen als Zielscheiben aggressiver rechtspopulistischer und religiös-fundamentalistischer Angriffe und deren Kritik; in: LIMINA - Grazer theologische Perspektiven 4.1 (17.4.2021): S. 158-176, online unter: https://limina-graz.eu/index.php/limina/article/view/109. Der Text von Rita Perintfalvi thematisiert das Feindbild, das die LGBTIQ-Menschen sowohl für fundamentale Christen als auch für Rechtspopulisten darstellen. LGBTIQ-Menschen, wie beispielsweise homosexuelle oder transsexuelle Menschen, haben es in Ungarn nicht einfach. In Ungarn gibt es einen rechtspopulistischen Gesellschaftsentwurf und somit eine konkrete Vorstellung des Geschlechts und geschlechtlicher Identitäten sowie auch sexueller Orientierungen, die sich nicht mit den Vorstellungen der LGBTIQ-Community vereinbaren lässt. Sie schreibt darüber, wie der politische Autoritarismus die Religiosität als Manipulationsstrategie in der Politik instrumentalisiert. Denn religiöse Fundamentalisten beeinflussen die Politik und sowohl sie als auch politische Fundamentalist*innen bedrohen LGBTIQ-Menschen.Im Grunde bedeutet dies, dass Ungarns rechtspopulistische Ideologie eine illiberale christliche Demokratie zum Ziel hat, eine Gesellschaft, in der die Identitäten homogen, heterosexuell, weiß und christlich sind (vgl. S. 160). Deren Auffassung des Gesellschaftsentwurfs wird also von Rechtspopulisten aus religiöser Sicht begründet und verletzt die Menschenwürde der betroffenen Personen. Wie Perintfalvi in ihrem Text sagt, spricht "der ungarische Politikwissenschaftler András Bozóki im Fall von Ungarn über eine politische Fusion zwischen Nationalismus und Christentum" (S. 160). Nur auf diese Weise erzielen die Rechtspopulisten ihre christlich-nationale Identität.In Anbetracht der Situation wird deutlich, dass Menschen der LGBTIQ-Community also nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Auch Migrant*innen oder Obdachlose sind nicht willkommen, ein Teil der Gesellschaft darzustellen. Perintfalvi zeigt auf, dass auf diese Weise eine Spaltung des Volkes in die Gemeinschaft "Wir" und in "die Anderen" (welche nicht dazugehören) entsteht (vgl. S. 160). "Die Anderen" stellen ein Feindbild dar, welches bekämpft werden muss, um die ängstliche Gemeinschaft, die "Wir"-Gesellschaft, zu schützen und sie stabil zu halten. Denn was den Vorstellungen der Rechtspopulist*innen nicht entspricht, gilt als Bedrohung, und eine Bedrohung muss nun mal durch ein manipulatives Machtspiel bekämpft werden. Statt sich mit den wirklich wichtigen Themen der Politik auseinanderzusetzen, wird ein Feindbild gesucht, dessen Bekämpfung keine große Mühe erfordert. Seit 2020 gelten LGBTIQ-Menschen als gutes Feindbild in Ungarn, da sie eine Minderheit darstellen. Für Rechtspopulist*innen stellen sie in der Politik ein perfektes Opfer zum Attackieren dar.Schon 2010 gab es von den neuen rechtskonservativen Koalitionen in Ungarn eine Anti-Gender-Debatte. Es kam zu der Aufhebung der Geschlechtergleichstellung und ein Jahr später folgte eine Schutzpflicht für die Ehe, unter der nur die Ehen eines heterosexuellen Paares akzeptiert werden. Jedoch fokussierte sich die Regierung die darauffolgenden Jahre recht schnell auf ein neues Feindbild, das der Flüchtlinge, welches der Gesellschaft mehr "Angst" machte. Ab 2017 begann die Regierung wieder mit der Anti-Gender Attacke (vgl. S. 161-162) und 2020 hatten sie das neue Feindbild der LGBTIQ-Menschen und Communitys.2020 wurde in Ungarn das Pandemie-Notstandsgesetz verabschiedet, mit diesem kann der Präsident Orban ohne das Parlament regieren. Die rechtspopulistische Regierung setzte in dieser Zeit (des Ausnahmezustands) auch Beschlüsse durch, die nichts mit dem Corona-Virus zu tun hatten. Um das Feindbild der LGBTIQ-Menschen zu "bekämpfen", sorgen zwei Änderungen der Verfassung dafür, dass ihre Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden. Argumente, die diese Änderungen bestärken sollen, sind dabei rein religiös-fundamentalistisch. Beispielsweise wurden spätere Änderungen des Geschlechts als illegal erklärt (vgl. S. 165). Außerdem stimmte das Parlament einem Änderungsvorschlag zu, der "die Bewahrung und den Schutz der Selbstidentität des Kindes, die von Geburt an unveränderbar besteht, garantiert" (S. 165). Dies richtet sich deutlich gegen die Rechte transsexueller Menschen.In all diesen politischen wie auch religiös fundamentalistischen Debatten geht es nur darum, das veraltete und klischeehafte "Gesellschafts-, Familien-, Frauen- und Männerbild" (S. 162) beizubehalten. Es scheint, als würde die Veränderung in eine "moderne/neue" Gesellschaft Angst machen, weswegen sie eine radikale Gegenposition gegen sexuelle Minderheiten und die Emanzipation der Frau einnehmen (vgl. S. 162).Sie glauben beispielsweise daran, dass Homosexualität etwas Sündhaftes beziehungsweise eine Art Krankheit ist, und dass es unbestreitbar ist, dass es nur das von Gott gemachte und gewollte binäre Geschlecht gibt. Selbst wenn die Wissenschaft das Gegenteil beweist, scheint dies nicht relevant zu sein. Nicht nur fundamentalistisch-religiöse Gruppen, sondern auch die rechtspopulistische Politik leugnen jegliche wissenschaftliche Positionen sowie beispielsweise auch die Existenz intersexueller Menschen und die Tatsache, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt (vgl. S. 167). Es scheint, als wäre die Wissenschaft ebenfalls der Feind.Es zeigt sich in Perintfalvis Text sehr deutlich, dass in Ungarn wirklich eine Art Fusion von Nationalismus und Religion herrscht, in der sich Fundamentalisten und Rechtspopulisten gegenseitig stützen und die Menschenwürde bestimmter Personen verletzen.
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In diesem Beitrag stellt Fiona Hamann folgenden Aufsatz vor:Bauer, Christian (2019): Heimat im Offenen? - Rechtspopulismus als theologische Herausforderung; in: International Journal of Practical Theology, 23 (1), S. 78-97, online unter: https://doi.org/10.1515/ijpt-2018-0031.Der vorliegende Habilitationsvortrag von Christian Bauer thematisiert zu Beginn den Begriff und das Gefühl von "Heimat". Es ist ein "schwer zu definierender" (S. 79) Ort der Sehnsucht, der Erinnerung, der vor allem im Blick zurück zu finden ist und nicht im Unmittelbaren erlebbar zu sein scheint. Einige Menschen verlieren heute das Gefühl von Heimat. Sie sind "auf der Suche nach identitätsstiftenden Narrativen des Eigenen im Gegenüber zum herandrängenden Fremden" (S. 80). Rechtspopulisten können mit ihren Ideologien einfach an dieses Gefühl anknüpfen. Da Heimat die Sehnsucht aller Menschen sei, kommt "die Frage nach entsprechenden Ressourcen einer nichtexkludierenden, aber dennoch heimatgebenden Identität im offenen Raum unserer Gesellschaft auf" (S. 80).Nach diesem Einstieg hat Bauer seinen Vortrag in vier Teile gegliedert. Er beginnt mit dem Blick in das "gesellschaftliche Praxisfeld", berichtet anschließend über "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv" und dem "praxistheologischen Diskursarchiv" bevor er sein "Resümee" zieht. Unter der Überschrift "Spurensuche im gesellschaftlichen Praxisfeld" fasst Bauer sowohl Beobachtungen der heutigen Zeit als auch der Vergangenheit zusammen und gibt erste Hinweise, wie sich eine Gesellschaft verhalten sollte.Es werden unterschiedliche Möglichkeiten aufgezeigt, auf Rechtspopulismus, der "heimatliches Brauchtum" (S. 83) vereinnahmt, zu reagieren. Man könnte dem Verhalten etwas entgegensetzen indem man auf den "kompromittierten Heimatbegriff" (S. 83) verzichtet. Bauer beobachtet allerdings, dass die meisten Menschen einen anderen Weg wählen. Sie wollen nach Vorfällen möglichst schnell zum "business as usual" (S. 83) zurückkehren, indem sie die Umstände akzeptieren und sich in ihr "heimatliches Nest" (S. 83) zurückziehen. Von SoziologInnen wird dieses Verhalten als "Cocooning" bezeichnet. Menschen machen sich ihr Leben möglichst behaglich, ohne die Schwierigkeiten der Zeit zu betrachten.In der Zeit zwischen den Kriegen konnte in Frankreich Ähnliches beobachtet werden. Das "Collége de Sociologie" versuchte, eine 'Sakralsoziologie' entstehen zu lassen, um dem Faschismus "mit Hilfe von gemeinschaftsbildenden Mythen" (S. 84) entgegenzutreten. Diese Art des Umgangs wurde damals wie heute auch kritisiert. Man sollte "nicht das politische Framing eines totalitären oder faschistoiden Denkens übernehmen, sondern […] den 'Diskursrahmen wechseln" (S. 84). Das bedeutet im theologischen Zusammenhang, "für die unteilbare Würde aller Menschen in einer offenen Welt" (S. 84) einzutreten.Der Auftrag geht weiter mit den "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv". Bauer untersucht, inwiefern die Untersuchungen der Gesundheit von Holocaustüberlebenden des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky auf den heutigen Zuwachs des Rechtspopulismus zu übertragen sind. Dieser hielt fest, dass es ein 'Kohärenzgefühl' (S. 85) gibt. Er beschreibt es als 'eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein […] Gefühl des Vertrauens hat' (S. 85), dass Dinge verständlich, bedeutsam und handhabbar sind. Wenn in der heutigen Zeit der Alltag undurchsichtig wird, kann dieses Lebensgefühl verloren gehen.Es gibt unterschiedliche Reaktionen auf eine komplexe Welt. Entweder "im Aufbruch in den heterogenen Freiraum einer offenen Gesellschaft oder aber in der Flucht in den homogenen Schutzraum einer geschlossenen Gemeinschaft" (S. 86). Bauer beobachtet, dass sich die Gesellschaft momentan immer weiter in Richtung der zweiten Möglichkeit entwickelt. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit betont, sich dem beispielsweise durch ein "alternatives 'Framing' der politischen Debatte" (S. 86) entgegenzustellen.Thematisiert wird daraufhin der Begriff 'Narrativ' (S. 86). Bauer widerspricht teilweise dem französischem Philosophen Jean-François Lyotard, der behauptet, dass es heutzutage zu einer 'Dekomposition der großen Erzählungen' (S. 87) kommt. Aufkommender "religiöser Fundamentalismus und politischer Populismus" (S. 88) sprechen zwar gegen diese These, jedoch gibt es tatsächlich viele 'kleine Erzählungen', die sich stets erneuern und dem Wunsch nach der einen Erzählung entgegenstehen (vgl. S. 87 f.).Problematisch ist, dass diese "großen Erzählungen" (S. 88) für einige Menschen immer noch wichtig sind. "Es gibt ein Grundbedürfnis nach narrativen Deutungsrahmen" (S. 88). Solange diese eine "freiheitliche Form" (S. 88) aufweisen, sind sie weniger gefährlich, als wenn sie eine "geschlossene, potentiell totalitäre" (S. 88) Form aufweisen. Nach dem Soziologen Bruno Latour "gibt es eine narrative Konstruktion von Heimat, deren nie voll auserzählte Geschichten diachron Geschichte und synchron Gesellschaft formieren" (S. 88). Armin Nassehi spricht von einer "'Unmöglichkeit einer gemeinsamen Welt' für alle Menschen" (S. 89). Erzählungen, die Gemeinsamkeiten erzeugen, sind daher ausschließlich "mit einem lokal begrenzten Geltungsanspruch möglich" (S. 89).Rechtspopulisten versuchen, die aufgekommene Komplexität auf ein möglichst verständliches und haltgebendes Narrativ zu beschränken. Um die offene Gesellschaft zu erhalten, muss es deshalb in einschließender Weise gelingen, "wieder Geschichten zu erzählen, die Identität stiften und Heimat geben" (S. 89). Das erreichen könnten Frames, die die Möglichkeit einer 'Weltoffenheit ohne Selbstverneinung' (S. 89) darstellen. Es muss also eine 'Erfahrungswelt' geschaffen werden, deren Bewohnbarkeit in offener Weise gesichert werden kann (vgl. S. 90).Bauer zitiert verschiedene Politiker und Historiker, die alle der Meinung sind, dass das aufgezeigt werden muss, was alle Menschen verbindet. Eine "'mitreißende Gegenerzählung' weltoffener Heimatlichkeit" (S. 90 f.) kann aber nur dann erfolgreich erzählt werden, wenn Menschen respektvoll aufeinander zugehen, sich austauschen und ein positiver Begriff von Heimat nicht tabuisiert wird (vgl. S. 90 f.).Im nächsten Abschnitt beschreibt Bauer "Erkundungen im praxistheologischen Diskursarchiv". Die Theologie und Kirche muss rechtspopulistischen Frames mit "eigene(n) Narrative(n) einer gelingenden Existenz im Offenen" (S. 91) entgegenwirken. Warum das gerade dem Christentum gut gelingen kann, beschreibt Lieven Boeve. "Durch die eigene Struktur ist [das christliche Narrativ] dazu bestimmt, sich selbst als einen offenen Diskurs zu rekontextualisieren" (S. 91).Das Zweite Vatikanische Konzil bietet für die Rekonstruktion eine gute Grundlage, weil die Texte "aus den heilsgeschichtlichen Erzählungen der Bibel gespeist sind und daher über weite Strecken auch selbst "den Charakter von Gottesgeschichten" tragen" (S. 92). Gewollt wurde "die 'Corporate identity' der Kirche in dieser Weise narrativ als eine heiluniversal entgrenzte, pastoral weltoffene Identität zu bestimmen" (S. 92). Nach der transzendentalen Anthropologie von Karl Rahner "ist ein Mensch durch seine 'Transzendenz ins Offene gesetzt' und führt folglich eine 'Existenz in das Unvorhergesehene hinein', sich selbst in die unendliche Offenheit der Zukunft entwerfend" (S. 92), was natürlich auch den 'Mut zum Wagnis ins Offene' (S. 92) erfordert.Dieser Mut ist vor allem heutzutage wichtig, weil das "Weltganze" (S. 93) laut Jean-Luc Nancy nur noch als 'in sich selbst offen' (S. 93) denkbar ist. Das Christentum beschreibt er 'als Öffnung – Selbst-Öffnung und Selbst als Öffnung' (S. 93). Die Kirche hat daher die Aufgabe, das, was in der Welt passiert, bewusst wahrzunehmen. Damit dies gelingen kann, muss sie eigene Schutzvorrichtungen abbauen und dann in ihrer Verletzlichkeit allen den Dialog anbieten (vgl. S. 93 f.).Pastorale Orte können aber auch "Orte eines 'hearing of speech'" (S. 94) werden. Hier könnte ein offener, gesellschaftlicher Austausch stattfinden, der die "milieuspezifische Selbstbeschränkung" (S. 94) auflöst und stattdessen verständnisvolle Gespräche auf Augenhöhe ermöglicht. Es geht darum, die eigene Geschichte zu erzählen, anderen zuzuhören und Gefühle mit in das Gespräch miteinzubeziehen, anstatt nur mit "Kopfargumenten" (S. 94) zu entgegnen (vgl. S. 94).Es können Orte entstehen, an denen Menschen die "Abenteuer des existenziell Offenen angstfrei erprob(en)" (S. 95) können, ohne Angst haben zu müssen, für Fehler verurteilt zu werden. Ohne die Homogenisierung vieler kleiner Geschichten kann ein "offenes Narrativ von Solidarität und Freiheit (entstehen, was) so etwas wie Heimat ermöglichen" (S. 95) kann. Bauer ermutigt "mehr Demokratie (zu) wagen" (S. 94), "denn man kann eine offene Gesellschaft nicht mit einem geschlossenen Geist verteidigen" (S. 94).Zum Abschluss des Vortrages zieht Bauer noch ein Resümee. Er definiert Heimat als "ein 'Horizont intersubjektiver Erzählungen' im Kontext einer 'offenen Gesellschaft', in der heterogene Elemente 'ineinander greifen und sich vermischen'" (S. 95 f.). Da sich das Leben und die Lebensumstände ständig verändern, müssen alle lernen, in diesem Wandel Heimat zu finden (vgl. S. 96). Christen sollten damit keine Schwierigkeiten haben und sich für die Offenheit einsetzen, da sie ihrem Glauben nach selbst "Heimatlose" (S. 96) und Gäste auf Erden sind.Heimat wird von Rolf Zerfaß als "Ausdruck für das Paradies" (S. 96) beschrieben, das es momentan nur verloren gibt. Da Heimat also etwas "prinzipiell Entzogenes" (S. 97) ist, ist sie sowohl "Sehnsucht" als auch "Vorgeschmack" auf "die Vollendung der Schöpfung" (S. 97). "Pastoraler Auftrag von Kirche" ist es, daran zu erinnern, dass auch schon "hier und heute situativ erfahrbare Heimat im Offenen einer noch nicht vollendeten guten Zukunft" (S. 97) erfahrbar werden kann (vgl. S. 97).