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Wir wissen aus aktuellen Studien, dass das anfänglich hohe Vertrauen von Migranten in die Polizei mit der Dauer ihres Aufenthalts im Gastland abnimmt. Dabei spielen erfahrene Diskriminierungen eine entscheidende Rolle. Die Hochschule hat mit ihrer überzogenen, voreiligen Reaktion im Fall Bahar Aslan ein weiteres, negatives Beispiel für solche Diskriminierungen geschaffen.
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Michiko Mae ist mit dem Höffmann-Wissenschaftspreis für interkulturelle Kompetenz der Universität Vechta ausgezeichnet worden. Die emeritierte Professorin der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf und...
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Erol Yildiz ist Professor am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Interkulturelle Bildung, Migration und Diversität, Stadt und Urbanität sowie qualitative Forschungsmethoden ganz grundsätzlich. Zuletzt erschien von ihm im Jahr 2012 das Buch "Die weltoffene Stadt. Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht". Benjamin Köhler: Guten Tag, Herr Yildiz! Unsere aktuelle Ausgabe "Soziologie, Reflexion,...
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Die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, Muhterem Aras, und die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg laden ein zu einer Veranstaltung mit dem Titel "Im Austausch: Junges jüdisches Leben im Land".Wann: Dienstag, 7. November 2023, 18:00 UhrWo: Haus des Landtags von Baden-Württemberg (Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart)Der Landtag von Baden-Württemberg feiert mit dieser Veranstaltung den langjährigen und vertrauensvollen deutsch-israelischen Austausch, wie er beispielsweise durch das Landtagsstipendienprogramm zwischen Hochschulen in Baden-Württemberg und Israel praktiziert wird. Seit über 30 Jahren profitieren junge Menschen in beiden Ländern von dieser Möglichkeit des interkulturellen Austauschs. Der Kurzfilm "Masel Tov Cocktail" (2020) des Regisseurs Arkadij Khaet bietet darüber hinaus zahlreiche weitere Ansatzpunkte für eine spannende Gesprächsrunde zum heutigen jungen jüdischen Alltag in Deutschland und Baden-Württemberg.Nähere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung findet man hier: www.landtag-bw.de/home/aktuelles/themen/junges-judisches-leben-im-land.html
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Wann: 20. November 2023 19:00 - 20:30 UhrWo: Hospitalhof Stuttgart (Büchsenstr. 33, 70174 Stuttgart)Seminarnummer: 32/47/23 (Bei Rückfragen bitte angeben)Kosten: Teilnahme ist kostenlosAnmeldung unter: https://www.hospitalhof.de/programm/201123-frauen-machen-politik/Zum Inhalt: Frauen hatten in der Politik zahlreiche Herausforderungen zu meistern – und tun es immer noch: Sie werden mit Stereotypen behaftet und sind in vielen politischen Bereichen weiter unterrepräsentiert. Wie hat sich die Politik geändert, seit auch Frauen sie gestalten? Wie machen Frauen erfolgreich Politik? Und (wie) haben sie sich dafür vielleicht anpassen müssen? In der Diskussion mit Frauen aus ganz verschiedenen Politikfeldern soll erörtert werden, welche Kompetenzen Frauen in der Vergangenheit für ihre politische Tätigkeit mitbringen mussten, welche Fähigkeiten sie heute an den Tag legen und wie politisch aktive Frauen – in Parteien oder als Aktivistinnen – Zukunft gestalten. Referentinnen:Evelyne Gebhardt, ehem. Vizepräsidentin des Europäischen ParlamentsFarina Görmar, Interkulturelle Promotorin Region Stuttgart, Afrokids International e.V.Sarah Lobenhofer, Aktivistin »Letzte Generation«Alena Trauschel, jüngste Abgeordnete in der Geschichte des Landtags von Baden-WürttembergModeration:Bea Dörr, Landeszentrale für politische Bildung Baden-WürttembergDr. Lana Mayer, Leiterin Europe Direct Stuttgart
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"The world is far off track" – Diese Warnung spricht der von 15 Wissenschaftler*innen verfasste Global Sustainable Development Report (GSDR) 2023 aus, der eine Woche vor dem SDG-Gipfel am 18. und 19. September durch die Vereinten Nationen veröffentlicht wurde und im Mittelpunkt des Summits stand. Der Gipfel fand im Rahmen der 78. Sitzung der UN-Generalversammlung in New York statt. Er sollte neue Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen der vielfältigen und miteinander verknüpften globalen Krisen lenken und Unterstützung für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung auf Regierungsebene generieren. Welche Rolle dabei Konflikt und strukturelle Gewalt für die Dynamiken globaler Krisen wie der Ernährungs- und Klimakrise sowie für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele haben, wird in diesem Beitrag betrachtet. Author information
Laura Bannan-Fischer
Laura Bannan-Fischer ist Referentin für Wissenstransfer für das Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) im Berliner Büro von PRIF. Sie hat einen Master im Fach Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung absolviert und interessiert sich für das Verhältnis zwischen Umwelt, Frieden und Sicherheit sowie für interkulturelle Sensibilisierung. // Laura Bannan-Fischer is a Knowledge Transfer Officer for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR) at PRIF's Berlin Office. She has a Master's degree in International Studies/Peace and Conflict Studies and is interested in the relationship between environment, peace, and security, as well as in cultural awareness.
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Der Beitrag Neuer Aufschwung oder unüberwindbare Hindernisse? Der SDG-Gipfel 2023 im Zeichen eskalierender globaler Mehrfachkrisen erschien zuerst auf PRIF BLOG.
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Am vergangenen Freitag, den 18.11.2022, wurden erneut diverse außerschulische oder in Kooperation mit Schulen tätige medienpädagogische Projekte mit dem Dieter Baacke Preis ausgezeichnet. Unter dem Jahresthema "Let's save our planet – Medienpädagogische Projekte zur ökologischen Transformation" wurde der Preis vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) in den folgenden sechs Kategorien verliehen:Kategorie A: Projekte von und mit Kindern (0 bis 13 Jahre)Kategorie B: Projekte von und mit Jugendlichen (14 bis 21 Jahre)Kategorie C: Interkulturelle und internationale ProjekteKategorie D: Inklusive und intersektionale ProjekteKategorie E: NetzwerkprojekteKategorie F: Sonderpreis zum JahresthemaAlle ausgezeichneten Projekte erhielten hierbei ein Preisgeld in Höhe von 2000 €. Die Projekte beziehen sich dabei mit unterschiedlichem Fokus auf die vier Dimensionen der Medienkompetenz nach Baacke (Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung, Mediengestaltung). So kombiniert das ausgezeichnete Projekt "TruthTellers – Trust me, if you can…?" unter anderem die Dimension der Medienkritik mit der Dimension der Mediennutzung, indem Jugendliche die Mechanismen und Wirkungen von Fake News durch eigens erfundene Erzählungen und deren mediale Ausgestaltung selbst testen und damit sensibilisiert werden.Im Rahmen des Sonderpreises zum Jahresthema spielt die Dimension der Mediennutzung ebenfalls eine zentrale Rolle, indem eine ganze Schule durch das Projekt "#CoR – Gemeinsam. Nachhaltig. Handeln." diverse Medienprodukte zu Nachhaltigkeitsaspekten entwickelte. Auch für den schulischen Kontext sind viele dieser Projekte interessant, weshalb sich ein Blick in die kurzen Beschreibungen dieser Projekte in jedem Fall lohnt. Quellen:Dieter Baacke Preis (o. D.-a): Was ist Medienkompetenz?, [online] https://dieter-baacke-preis.de/ueber-den-preis/was-ist-medienkompetenz/ [abgerufen am: 21.11.2022].Dieter Baacke Preis (o. D.-b): Aktuelle Kategorien [online] https://dieter-baacke-preis.de/ueber-den-preis/kategorien/ [abgerufen am: 21.11.2022].Dieter Baacke Preis (o. D.-c): Preisträger*innen 2022 [online] https://dieter-baacke-preis.de/dieter-baacke-preistraeger-2022/ [abgerufen am: 21.11.2022].Dieter Baacke Preis (o. D.-d): Preisverleihung 2022 [online] https://dieter-baacke-preis.de/preisverleihung-2022/ [abgerufen am: 21.11.2022].
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Seit dem 24. Februar 2022, dem ersten Tag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind rund 283.000 Menschen nach Deutschland gekommen, von denen 80 Prozent Frauen und Kinder sind, darunter zahlreiche Schüler:innen. In Polen hingegen stellt sich die Situation weitaus dramatischer dar. Auch hier sind rund 80 Prozent der bislang gut 2,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine Frauen und Kinder, darunter rund 700.000 im schulpflichtigen bzw. Kindergartenalter. Wie es um deren Integration in das polnische Bildungssystem steht, damit habe ich mit Dorota Obidniak gesprochen, die Koordinatorin für Internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaft der Polnischen Lehrerschaft (Związek Nauczycielstwa Polskiego, ZNP) ist.Polen schreibt derzeit viele positive Schlagzeilen. Die große Hilfsbereitschaft der polnischen Gesellschaft, der Regierung und der kommunalen Politik bei der Aufnahme von bislang über zwei Millionen Flüchtlingen findet in Deutschland große Anerkennung. Gleichzeitig mehren sich aber auch hierzulande Berichte über die enormen Herausforderungen, die sich hieraus bereits heute ergeben. Wir wollen heute über die Integration geflüchteter Schüler:innen in das polnische Bildungssystem sprechen. Wo siehst Du hier die größten Herausforderungen?Geflüchtete Kinder haben das gleiche Recht auf Bildung wie polnische Kinder. Die Erziehungsberechtigten, in der Regel die Mütter, aber auch Tanten, Großeltern oder sogar Freunde, wenn die Eltern der Kinder in der Ukraine bleiben mussten, können das Kind in der Schule anmelden. Das Problem sind nicht die Vorschriften, sondern der physische Mangel an Plätzen und auch an Lehrer:innen. Trotz der Unterbringungsprobleme und des Lehrermangels nehmen die Schulen und Kindergärten Kinder auf. Schätzungen zufolge gibt es allein in Warschau derzeit etwa 100.000 geflüchtete Kinder im Schulalter, von denen bislang ca. 12.000 bereits die Schule besuchen. Eine durchschnittliche polnische Schule hat 500 Schüler. Man kann sich also vorstellen, dass man jeden Tag zwei neue Schulen gründen müsste, um alle Kinder aufzunehmen.Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass bislang erst ein kleiner Teil der ukrainischen Flüchtlingskinder am Unterricht einer polnischen Schule teilnimmt. Woran liegt das? Hängt das vor allem mit begrenzten Aufnahmekapazitäten zusammen, braucht die Entwicklung einfach mehr Zeit oder gibt es noch andere Gründe?Tatsächlich vermeidet es derzeit eine große Zahl an Erziehungsberechtigten, die in ihrer Obhut stehenden Kinder an polnischen Schulen anzumelden. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Die meisten Flüchtlinge glauben, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und sie in ihre Heimat zurückkehren werden. Erziehungsberechtigte, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen oder ein Familienmitglied haben, das arbeitet, sind der Meinung, dass es keinen Grund gibt, die Kinder unter Stress zu setzen, da gerade einmal noch etwa zwei Monate bis zu den ukrainischen Sommerferien verbleiben und die drei bis vier Monate verpasster Unterricht nachgeholt werden können, wenn sie in ihre eigene Schule in der Ukraine zurückkehren. Ein weiterer Grund ist, dass einige Flüchtlinge noch nicht entschieden haben, ob sie in Polen bleiben werden, und wenn ja, in welcher Stadt. Einige Schüler:innen nutzen die Vorteile des Online-Fernunterrichts, der von ukrainischen Schulen in Gebieten angeboten wird, in denen die aktuelle Kriegssituation dies zulässt. Auch das ukrainische Bildungsministerium hat Fernunterricht organisiert. Diese Möglichkeit nutzen vor allem die Schüler:innen älterer Jahrgänge, da sie damit möglicherweise Zeugnisse erhalten, die es ihnen ermöglichen, nach dem Krieg ihre Abschlussprüfung (Abitur) abzulegen.Das scheinen auf den ersten Blick alles nachvollziehbare Gründe zu sein. Gleichzeitig lässt sich momentan kaum seriös abschätzen, wie lange der Krieg noch dauern wird und wann die Geflüchteten in ihre Heimat zurückkehren können. Zudem herrscht ja auch in Polen Schulpflicht. Welche Integrationsmaßnahmen sieht das polnische Schulsystem für die ukrainischen Kinder vor?Im polnischen Bildungssystem gibt es bereits seit mehreren Jahren verschiedene Modelle für Migrant:innen bzw. Flüchtlinge:Es gibt zum einen die Vorbereitungsklassen (Willkommensklassen), die sich aus geflüchteten Kindern ähnlichen Alters zusammensetzen. Dort haben die Kinder je nach Alter 20 bis 26 Stunden Unterricht pro Woche, davon mindestens 6 Stunden Polnisch als Fremdsprache. Der übrige Unterricht besteht aus Mathematik, Physik, Biologie mit Elementen der polnischen Sprache (Begriffe), Fremdsprachen, Sport, Kunst und dem Erlernen der eigenen ukrainischen Sprache und Kultur.Weiterhin gibt es Schüler:innen in regulären Klassen. Wenn es in einer Schule mehrere Kinder unterschiedlichen Alters gibt, werden sie in den regulären polnischen Schulunterricht einbezogen und erhalten Einzelunterricht in Polnisch als Fremdsprache, mindestens 2 Stunden pro Woche. Diejenigen Schüler:innen, die Polnisch auf kommunikativem Niveau (ca. B1) beherrschen, werden ohnehin in den regulären Unterricht integriert.Vom Gesetz her ist auch eine Beschäftigung von Assistenzlehrer:innen bzw. von interkulturellen Assistent:innen vorgesehen. Die assistierende Lehrkraft sollte über kommunikative Kenntnisse der polnischen Sprache verfügen und eine pädagogische Ausbildung haben. Als Kulturassistent:innen kommen auch Ukrainer:innen infrage, soweit sie Polnisch auf kommunikativen Niveau beherrschen. Sie fungieren dann als Tutor:innen, Übersetzer:innen und Ansprechpartner:innen für die Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten der Schüler:innen.Schüler:innen, die die Möglichkeit des ukrainischen Online-Fernunterrichts nutzen, hab die Bildungsbehörden der Stadt Warschau die notwendige technische Ausrüstung und entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Außerdem wird derzeit die Einrichtung ukrainischer Schulen geprüft, die auf nach Polen geflüchtete ukrainische Lehrkräfte zurückgreifen könnten.Erhalten die ukrainischen Schulkinder weitere Unterstützung bzw. Vergünstigungen?Ja, das tun sie. Ukrainische Schulkinder können wie alle ukrainischen Flüchtlinge kostenlos öffentliche Verkehrsmittel nutzen, zudem erhalten sie kostenlosen Eintritt zu Sportanlagen (z. B. Schwimmbäder, Tennisplätze usw.) und kulturellen Einrichtungen (Museen, Zoos). In der Schule werden ihnen außerdem kostenlose (warme) Mahlzeiten wie Mittagessen und ein zweites Frühstück angeboten. Die ukrainischen Schulkinder bekommen des Weiteren Schreibzeug, Schulranzen und Bücher gestellt.Das klingt nach einem durchdachten und umfassenden Integrationsmodell. Wie sieht es mit der Umsetzung des Modells in die Praxis aus? Sicher treten hier auch Probleme auf.Allerdings. Wir müssen hier unterscheiden zwischen Problemen, die der polnische Staat mit der plötzlichen Aufnahme einer großen Zahl zusätzlicher Schüler:innen in das Bildungssystem hat, und den Problemen der ukrainischen Flüchtlinge selbst.Die Kommunalverwaltungen, die die Schulen betreiben, aber auch die Schulen selbst warten noch auf die von den staatlichen Behörden zugesagten finanziellen Mittel, etwa um weiteres, dringend benötigtes Personal einzustellen. Zudem erwarten wir eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften, um die Einstellung ukrainischer Lehrkräfte zu erleichtern. Hier geht es vor allem um die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen.Und mit welchen Problemen haben die Flüchtlinge zu tun?Die materielle Situation und die Lebensumstände der Flüchtlinge sind sehr unterschiedlich. Viele hatten bereits Kontakte in Polen, weil jemand aus ihrer Familie in Polen lebt und arbeitet (bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar, gab es in Polen ca. 1 bis 1,5 Millionen Ukrainer:innen, von den viele nach dem Beginn des Kriegs im Donbas 2014 ins Land gekommen sind) oder sie selbst früher in Polen (saisonal) gearbeitet hatten. Diese Menschen kennen die Sprache, haben Bekannte, Freunde oder ehemalige Arbeitgeber. Sie kommen dann auch meist fürs erste bei Verwandten oder Freunden unter. Zudem wurden zahlreiche Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht, die ihnen privat zur Verfügung gestellt wurden.Einrichtungen wie Hotels oder Hostels haben nach einem Aufruf der Woiwodschaftsverwaltungen dem Staat Kapazitäten zur Verfügung gestellt. Der Staat hatte sich verpflichtet, die Kosten für den Aufenthalt der Flüchtlinge in diesen Einrichtungen zu übernehmen, hat jedoch den ursprünglich zugesagten Satz um zwei Drittel reduziert. Letztlich hat die Regierung einen Tagessatz pro Person angeboten, der nicht im Geringsten die Kosten für den Aufenthalt (Unterkunft und Verpflegung) deckt.Gleichzeitig leben nach wie vor sehr viele Flüchtlinge in Turnhallen und ähnlichen Notunterkünften. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Situation der Schüler:innen aus: Einige kommen von zu Hause in die Schule, wo manchmal eine ganze Familie in einem Zimmer wohnt, aber zumindest ein Minimum an Privatssphäre vorhanden ist, andere Kinder leben in einem Wohnheim oder in einer Turnhalle, die zu einem Schlafsaal umfunktioniert wurde, wo sie nicht einmal einen eigenen Spind haben.Die meisten Flüchtlinge kommen mit einer Tasche oder einem Koffer an. Wenn sich das Wetter ändert, brauchen alle, vor allem die heranwachsenden Kinder, Kleidung, Schuhe usw. Die Polen haben riesige Mengen an Kleidung und anderen Dingen gesammelt. Überall, wo Flüchtlinge untergebracht sind, gibt es Kleidung und Spielzeug, in der Regel handelt es sich um gebrauchte Sachen.Das sind in der Tat enorme Herausforderungen. Wie unterstützt Deine Gewerkschaft, der ZNP, die ukrainischen Geflüchteten und die Schulen bei der Integration?Zunächst einmal muss ich sagen, dass in praktisch jeder polnischen Schule und jedem polnischen Kindergarten für die Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge Spenden gesammelt werden. Solche Spendensammlungen wurden auch von den lokalen Strukturen des ZNP in Zusammenarbeit mit den Kommunalverwaltungen organisiert, da man auf lokaler Ebene die Bedürfnisse der Flüchtlinge in einer bestimmten Gemeinde oder einem bestimmten Stadtviertel am besten kennt. Auf diese Weise gelangen Lebensmittel, Hygieneartikel, Medikamente usw. so schnell wie möglich zu den Bedürftigen.Auf zentraler Ebene hat der ZNP Maßnahmen ergriffen, um das Bildungssystem als solches zu unterstützen sowie Flüchtlinge und polnische Lehrer und Schulverwaltungen zu fördern. Dazu gehören Online-Schulungen, die in Zusammenarbeit mit erfahrenen, hochqualifizierten Fachleuten organisiert und direkt vom ZNP oder aus von ihm aufgebrachten Mitteln finanziert werden. Das sind zum Beispiel kostenlose Webinare für Schulleiter:innen über die Einstellung und Beschäftigung von interkulturellen Assistent:innen und Lehrerassistent:innen, über die Arbeitsorganisation und die Entwicklung eines Arbeitsplans für Assistent:innen entsprechend den Bedürfnissen einer bestimmten Schule oder Bildungseinrichtung. Zu unseren Angeboten gehören auch kostenlose Kurse für interkulturelle Assistent:innen, die ihnen grundlegende Informationen über das Bildungssystem in Polen, Kenntnisse über die Aufgaben des Assistenten, mögliche Arbeitsformen, das polnische Bildungssystem und grundlegende Vorschriften, die für Schüler:innen und Erziehungsberechtigte wichtig sind, sowie Orte und Möglichkeiten der Beratung vermitteln. Schließlich gibt es kostenlose Kurse zum Unterrichten von Polnisch als Fremdsprache für aktive Grund- und Sekundarschullehrer:innen.Außerdem hat der ZNP seit dem 1. April eine Lehrkraft aus Charkiw in seinem Warschauer Büro eingestellt, die eine regelmäßige Kolumne auf Ukrainisch für die ZNP-Homepage verfasst, aktuelle Informationen zusammenstellt, die für Flüchtlinge, Lehrkräfte, Schüler:innen und deren Erziehungsberechtigte wichtig sind und eine Datenbank arbeitssuchender ukrainischen Lehrkräften in Polen erstellt.Zu guter Letzt unterstützt der ZNP den Aufenthalt von insgesamt 238 Flüchtlingen in den gewerkschaftseigenen Erholungsheimen in Zakopane und Krynica sowie im Hauptsitz des ZNP in Warschau.Die Bildrechte liegen beim ZNP.
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"Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu schmieden." – Konfuzius (551-479 v.Chr.).Der grundsätzliche universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte besagt, dass die Menschenrechte jedem Menschen auf der Welt zustehen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 drückt das folgendermaßen aus: "Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand […]" (UN-Vollversammlung 1948, Artikel 2). Jedoch ist dieser universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte in der Realität häufig noch ein Ideal. Mit der Deklaration von Bangkok, die einige südostasiatische Staaten Anfang der 1990er Jahre unterzeichneten, wurde er sogar explizit in Frage gestellt. Was ist die Sichtweise dieser südostasiatischen Staaten auf die Universalität der Menschenrechte und wie begründen sie diese? Wie könnten Perspektiven für einen interkulturellen Menschenrechtsdialog aussehen? In diesem Beitrag werden die Menschenrechte durch eine Definition und einen Abschnitt zur Geschichte kurz vorgestellt. Anschließend wird die Debatte um Universalität und (Kultur-)Relativismus erläutert, welche überleitet zur "asiatischen Perspektive" auf die Menschenrechte und zu den "asiatischen Werten". Abschließend werden die Kritik und Perspektiven für einen interkulturellen Dialog aufgegriffen.Menschenrechte – eine Definition
Zerstörung, Elend, menschliches Leid und der Völkermord an den europäischen Juden führten in "dramatischer Weise die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes grundlegender Menschenrechte durch verbindliche internationale Normen und kollektive Mechanismen" vor Augen (Gareis/Varwick 2014, S. 179).
Die Idee, dass jedem Menschen, "unabhängig seines Geschlechts, Alters, seiner Religion oder seiner ethnischen, nationalen, regionalen oder sozialen Herkunft, angeborene und unveräußerliche Rechte zu eigen sind, die sich aus seinem Menschsein ableiten", verfestigte sich und führte am 10. Dezember 1948 zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Gareis/Varwick 2014, S. 179).
Erstmals wurde in einem internationalen Dokument festgehalten, dass jedem Menschen wegen "grundlegender Aspekte der menschlichen Person" grundlegende Rechte zugesprochen werden. Diese Rechte sind unveräußerlich und vorstaatlich, was bedeutet, dass der Staat sie nicht vergeben kann, denn jeder Mensch hat sie aufgrund der "biologischen Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung" inne (Human Rights 2018). Dem Staat obliegt es, diese Rechte zu schützen.
Menschenrechte besitzen demnach vier Merkmale: Sie sind universell (alle Menschen sind Träger dieser Rechte), egalitär (eine ungleiche Verteilung dieser Rechte ist ausgeschlossen), individuell (der Träger der Menschenrechte ist ein individueller Mensch, keine Gruppe) und kategorial (wer der menschlichen Gattung angehört, besitzt sie automatisch) (vgl. Lohmann 2010, S. 36).
Die Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 ist keine rechtlich bindende Resolution. Doch auch wenn sie rechtlich nicht bindend ist, hat sie "moralische Wichtigkeit bekommen" (Human Rights 2012). Sie wird dem Gewohnheitsrecht zugeordnet, was bedeutet, dass sie sowohl allgemein anerkannt als auch angewendet und deswegen als verbindlich angesehen wird (vgl.: Human Rights 2012). Sie ist das "weltweit am meisten verbreitete und am meisten übersetzte internationale Dokument" (Gareis/Varwick 2014, S. 179) und dient als Grundlage für zahlreiche Abkommen (vgl. Maier 1997, S. 39).
Juristisch können die Menschenrechte wie folgt definiert werden: "Internationale Menschenrechte sind die durch das internationale Recht garantierten Rechtsansprüche von Personen gegen den Staat oder staatsähnliche Gebilde, die dem Schutz grundlegender Aspekte der menschlichen Person und ihrer Würde in Friedenszeiten und im Krieg dienen" (Human Rights 2012).
Seit 1948 haben sich die Menschenrechte weiterentwickelt, und es hat sich etabliert, von den Menschenrechten in drei Generationen zu sprechen. Zur ersten Generation gehören "die klassischen bürgerlichen und politischen Freiheits- und Beteiligungsrechte" wie das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit oder das Verbot von Folter (Krennerich 2009). Die zweite Generation der Menschenrechte umfasst wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, so beispielsweise das Recht auf Bildung, Teilhabe, aber auch auf Freizeit und Erholung. Die dritte Generation der Menschenrechte "bezeichnen allgemeine, noch kaum in Vertragswerken konkretisierte Rechte wie etwa das Recht auf Entwicklung, Frieden oder saubere Umwelt" (Krennerich 2009). Alle drei Generationen "sollten gleichberechtigt nebeneinander bestehen" (Barthel, zitiert nach Hamm 1999, S. 23).
Der Gedanke der angeborenen Rechte, die ein Mensch qua Menschsein besitzt, ist jedoch älter als die Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 und die Vereinten Nationen selbst.
Eine kurze Geschichte der Menschenrechte
Der Ursprung der Menschenrechte geht auf das antike Griechenland zurück. Der "revolutionäre Gedanke der Stoiker, der beschreibt, dass alle Menschen gleich sind", wurde durch die im 18. Jahrhundert entstandene Naturrechtslehre weiter gefestigt (vgl.: Müller 2017, 03:06-03:20). Die "überlieferten konkreten Freiheiten der Ständegesellschaft wurden dort in eine allgemeine Freiheit des Menschen umgedacht" (Maier 1997, S. 11). Wegweisend war, dass diese Rechte nun allen Menschen zugesprochen wurden und diese Rechte Ansprüche an den Staat stellten (vgl. Maier, 1997 S. 11f). Denn "[er sollte] nicht tun dürfen, was ihm beliebt, [und] in substantielle Bezirke individueller Freiheit nicht […] eingreifen dürfen" (Maier 1997, S. 12). Als vorstaatliche Rechte kann der Staat diese nur akzeptieren, nicht aber verleihen.
Die Idee der unveräußerlichen Menschenrechte kulminierte schließlich in der Unabhängigkeitserklärung der 13 britischen Kolonien 1776 in Nordamerika (zentrales Dokument: Virginia Bill of Rights) und fand schließlich 1789 in der Französischen Revolution (zentrales Dokument: Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen) in Europa ihren Durchbruch. Diese Dokumente legten den Grundstein für die modernen Menschenrechte, die nun als Grundrechte in zahlreichen Verfassungen verankert sind. Schließlich, im Jahr 1966, wurden die ersten völkerrechtlich bindenden Menschenrechtsabkommen durch die Vereinten Nationen verabschiedet (vgl.: Wagner 2016).
Besonders eindrücklich zeigt die Geschichte der Menschenrechte, dass ihre Idee auf "konkrete Unrechtserfahrungen der Menschen des Okzidents zurückgehen" (Tetzlaff 1998, S. 60). Darauf, nämlich dass die Menschenrechte 'im Westen' ihren Ursprung haben und individualistisch geprägt seien, bezieht sich im Wesentlichen die Kritik an ihnen. Diese Kritik zieht auch in Zweifel, ob die Menschenrechte universell sind. (Kultur-)Relativismus vs. Universalismus
Verfechter des Universalismus verstehen die Menschenrechte als unveräußerliche, angeborene Rechte eines jeden Menschen. "Niemand kann, mit Bezug auf welche Eigenschaft auch immer, von der Trägerschaft ausgeschlossen werden" (Lohmann 2010, S. 37). Ausgeschlossen ist hierbei auch die "ungleiche Verteilung" der Rechte (vgl. Lohmann 2010, S. 37). So muss der Staat seinen Pflichten nachkommen und für die Einhaltung, Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte sorgen.
Jedoch werden die Menschenrechte, wie sie 1948 verabschiedet wurden, in ihrem universellen Gültigkeitsanspruch von vielen Ländern und Kulturen auf der Welt nicht akzeptiert. Der (Kultur-) Relativismus in seiner extremen Form sieht die Menschenrechte als nicht vollständig übertragbar und "nur relativ zu einem bestimmten Kultursystem 'begründbar'" (Lohmann 2009). Manche Staaten gehen sogar so weit und verstehen die Menschenrechte als ein westliches Produkt, das "dem Osten" aufoktroyiert wurde. Auch seien die Menschenrechte nicht, wie der universalistische Anspruch behauptet, unabhängig von Zeit, Raum und kulturellem Hintergrund gültig. Sie seien aus der europäisch-nordamerikanischen Aufklärung entstanden, abendländisch geprägt und somit nicht in dieser Form in anderen Kulturkreisen anwendbar. Zudem sei ihre "weltweite Propagierung Ausdruck einer Mentalität der Einmischung, welche die Tradition des Kolonialismus mit anderen Mitteln fortsetze" (Hilpert 2019, S. 230). Tatsächlich sei "das Menschenrechtsverständnis in erster Linie abhängig von dem Menschenbild in einer spezifischen Kultur […], wonach es keinen Standard gibt, der unabhängig von bestimmten sozialen Lebensformen wäre" (Pohl 2002, S. 7).
Von (Kultur-)Relativisten konkret kritisiert werden häufig die "individuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, das Vorrangverhältnis zwischen Individuum zur Gemeinschaft, die Gleichheit von Männern und Frauen, die religiöse Toleranz und die Einschätzung demokratischer Mitbestimmung" (Lohmann 2010, S. 41).
Zum anderen wird bemängelt, dass bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 die westlichen Länder dominierten, während die meisten Länder des Globalen Südens noch unter kolonialer Herrschaft standen. Viele Staaten werfen dem Westen sogar "moralischen Chauvinismus" (Pollis/Schwab 2006, S. 68), "Ideologismus" und eine "quasi-religiöse" Auslegung der Menschenrechte vor (Pohl 2002, S. 7).
Genau an diese Dichotomie, Universalismus und (Kultur-)Relativismus, knüpfte die 1993 vorgelegte Deklaration von Bangkok an, welche von vielen (süd-)ostasiatischen Ländern unterzeichnet wurde. Bevor die Wiener Menschenrechtskonferenz im Jahr 1993 begann, zweifelten diese Länder die Universalität der Menschenrechte an und legten eine "asiatische Perspektive" auf die Menschenrechte und sogenannte "asiatische Werte" vor.
Die asiatische Perspektive auf die (Universalität der) Menschenrechte und 'asiatische Werte'
Die ,asiatische Sicht' auf die Menschenrechte und die 'asiatischen Werte' werden im Grunde kulturrelativistisch begründet. Im folgenden Abschnitt werden die 'asiatischen Werte' zeitgeschichtlich eingeordnet und näher erläutert.
Die zeitgeschichtliche Einordnung der 'asiatischen Werte'
Die Kontroverse, dass sich die Menschenrechte in (Südost-)Asien anders entwickelt hätten, spitzte sich Anfang der 1990er Jahre zu und erlangte mit der Verabschiedung der Deklaration von Bangkok weltumspannende Beachtung. Die Gründe für den Ausbruch dieser Debatte sind vielfältig. Zum einen genoss 'der Westen', vor allem die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, zu dieser Zeit beispielloses politisches und ökonomisches Selbstbewusstsein. Der Ost-West-Konflikt war beendet, die Demokratie und der Kapitalismus schienen 'die' Erfolgsmodelle zu sein, die "das Ende der Geschichte" einläuteten (Fukuyama 1992). Die Globalisierung schritt unaufhaltsam voran, während der Kommunismus in vielen osteuropäischen Ländern in sich zusammenbrach. Zudem gewann die Idee des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus mehr und mehr an Bedeutung.
In dieser Zeit gingen die Vereinigten Staaten und viele Mitgliedsstaaten der EU auf die Forderung vieler Menschenrechtsorganisationen ein, die Menschenrechte und die Demokratie in anderen Ländern zu verbreiten. Die Regierung unter Präsident Bill Clinton ging sogar so weit und erklärte sowohl die Verbreitung der Menschenrechte als auch der Demokratie zu einer der drei Säulen der US-amerikanischen Außenpolitik (vgl.: Barr 2000, S. 313). Allerdings missbilligte insbesondere China den menschenrechtlichen Druck vieler westlicher Staaten, der durch das Massaker von Tiananmen im Jahr 1989 und Chinas Tibet-Politik stetig zunahm.
Hinzu kam, dass viele ostasiatische Staaten, allen voran China, Malaysia, Japan, Hongkong, Taiwan, Singapur und Südkorea, als 'ostasiatische Wirtschaftswunder' bezeichnet wurden (vgl.: Ernst 2009). Diese wirtschaftliche Prosperität ließ ein "neues Selbstbewusstsein und eine neue politische Elite entstehen, die vom 'Westen' das Recht auf einen eigenen entwicklungspolitischen Weg einforderte und die Vormachtstellung der alten Industriestaaten Europas und Nordamerikas herausforderte" (Ernst 2009). Darüber hinaus sahen sie in der Rolle des starken Staates eine wichtige "Erklärungsvariable" für den wirtschaftlichen Erfolg (Heinz 1995, S. 11).
Die Bestimmtheit, mit der die Europäische Union und die Vereinigten Staaten um die Durchsetzung der Menschenrechte in Asien rangen, wurde von (ost-)asiatischen Ländern als Versuch verstanden, ,Asien' ,dem Westen' unterwürfig zu halten. Zudem wurde die Kritik als "Einmischung, irrelevant und kulturfremd abgewehrt" (Heinz 1995, S. 12).Schließlich, im Vorfeld der Wiener Menschenrechtskonferenz im Jahr 1993, "bestritten [unter anderem] die Regierungen Indonesiens, Singapurs und Chinas die Universalität der Menschenrechte" (Heinz 1995, S. 16). Stattdessen müssten die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen betrachtet werden, weil sie nur anhand derer verwirklicht werden könnten (vgl.: Heinz 1995, S. 15f). Deshalb wurden sogenannte 'asiatische Werte' vorgestellt. Was sind 'asiatische Werte'?
'Asiatische Werte' beschreiben eine (kultur-)relative Sicht auf die Menschenrechte, die in den frühen 1990er Jahren von asiatischen Politiker*innen und Wissenschaftler*innen vorgestellt und von 34 Staaten verabschiedet wurden. Sie umfassen im Groben die Bereiche Politik, Wirtschaft und Kultur (vgl.: Tai 2005, S. 34). Federführend bei der Debatte waren Lee Kuan Yew, der damalige Premierminister von Singapur, und Mahathir bin Mohamad, der damalige Premierminister von Malaysia. Sie, die 'asiatischen Werte', sollen eine Anpassung zum aus asiatischer Sicht "westlichen Modell der Menschenrechte" darstellen (Henders 2017). Die regionale Bezeichnung 'Asien/asiatisch' bezieht sich in diesem Zusammenhang eher auf (Süd-) Ostasien beziehungsweise pazifisch-Asien als auf den Nahen oder Mittleren Osten. Das bedeutet auch, dass sich die 'asiatischen Werte' hauptsächlich auf die "konfuzianische Kultur" stützen und weniger vom Islam oder dem Hinduismus geprägt sind (Ernst 2009).
Allerdings lehnen die ostasiatischen Länder die Menschenrechte nicht grundsätzlich ab. Schließlich haben einige dieser Länder, darunter China, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet und bekräftigten 1993 in Wien nochmals ihren Einsatz für Prinzipien, die in der Erklärung enthalten sind (vgl.: Tay 1996, S. 751). Sie plädierten mit der Deklaration von Bangkok stattdessen für nationale und regionale Unterschiede in der Schwerpunktsetzung und auch in der praktischen Umsetzung der Menschenrechte (vgl.: Tay 1996 S. 751f).
Befürworter der 'asiatischen Werte' bestanden zudem darauf, dass sie nicht nur durch den wirtschaftlichen Erfolg, den die ostasiatischen Staaten in den Jahrzehnten vor der Wiener Menschenrechtskonvention 1993 erlebt hatten, legitimiert würden, sondern auch maßgeblich für diesen Erfolg verantwortlich seien. Darüber hinaus müsse die wirtschaftliche Entwicklung bei ökonomisch aufstrebenden Ländern über allem stehen; bürgerliche und politische Rechte sollten den ökonomischen und sozialen Rechten deswegen untergeordnet sein (vgl.: Henders 2017).
Bisher wurde keine offizielle "umfassende, verbindliche Liste" vorgestellt (Heinz 1995, S. 25), aber häufig genannte 'asiatische Werte', die bei der Wiener Menschenrechtskonvention 1993 vorgelegt wurden, waren: "Disziplin, harte Arbeit, eine starke Führungskraft" (Tai 2005, S. 34ff), "Sparsamkeit, akademischer Erfolg, die Balance zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Bedürfnissen, Respekt vor Autorität" (Henders 2017) und ein starker, stabiler Staat (Barr 2000, S. 310). Darüber hinaus wird "nationales Teamwork", die Erhaltung einer "moralisch sauberen Umwelt" (das Magazin 'Playboy' wird in Singapur beispielsweise nicht verkauft) und keine absolute Pressefreiheit für zentral erachtet (Heinz 1995, S. 26).
Die asiatische Perspektive auf die Universalität der Menschenrechte
Im Diskurs um die ,asiatische Perspektive' haben sich mehrere häufig genannte Argumente herausgebildet. Einige davon sollen näher beschrieben werden, nämlich die Behauptungen, dass Rechte kulturspezifisch seien, die Gemeinschaft in Asien über dem Individuum stehe, dass Rechte ausschließlich den jeweiligen Staaten oblägen und dass soziale und ökonomische Rechte über zivilen und politischen Rechten ständen.
Rechte sind kulturspezifisch
Die Idee der Menschenrechte entstand bereits in der Antike auf dem europäischen Kontinent und entwickelte sich schließlich unter bestimmten sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen ebendort und in Nordamerika (vgl.: Li 1996, S. 19). Die Umstände, die die Umsetzung der Menschenrechte voranbrachten, könnten aber nicht auf diese Art auf Südostasien übertragen werden. So beschreibt China in seinem 1991 veröffentlichten Weißbuch, dass sich aufgrund des eigenen historischen Hintergrunds, des Sozialsystems und der jeweiligen ökonomischen Entwicklung die Länder in ihrem Verständnis und ihrer Auslegung der Menschenrechte unterscheiden würden (vgl.: Weißbuch 1991, Vorwort). Das ist eine Haltung, welche auch 1993 auf der Menschenrechtskonferenz in Wien nochmals bekräftigt wurde (vgl.: Li 1996, S.19).
Die Gemeinschaft steht über dem Individuum
Die südostasiatischen Länder insistierten, dass die Bedeutung der Gemeinschaft in asiatischen Ländern nicht mit dem Primat des Individuums vereinbar sei, worauf die Vorstellung der Menschenrechte beruht (Li 1996, S. 19). Zudem stünden Pflichten über Rechten (vgl.: Nghia 2009, S. 21). Dies seien auch die entscheidenden Faktoren, die 'Asien' fundamental vom 'Westen' unterschieden. Die Menschenrechte seien von Natur aus individualistisch geprägt, was nach (süd-)ostasiatischer Auffassung eine Bedrohung für den (süd-)ostasiatischen sozial-gemeinschaftlichen Gesellschaftsmechanismus darstellen könnte. Als Begründung für diese Behauptung führten die (süd-)ostasiatischen Staaten den Zusammenbruch vieler Familien, die Drogenabhängigkeit und die hohe Zahl an Obdachlosen im 'Westen' an (vgl.: Li 1996, S. 20).
Soziale und ökonomische Rechte stehen über zivilen und politischen Rechten
Zentral bei der ,asiatischen Auslegung' der Menschenrechte waren die Priorisierung der Gemeinschaft gegenüber der Individuen und die Suche nach dem Konsens im Gegensatz zum Konflikt. Dominanz und Autorität würden nicht limitiert oder gar als suspekt betrachtet, sondern gälten im Gegenteil als vertrauens- und förderungswürdig (vgl.: Tay 1996, S. 753ff). Die asiatische Auslegung, so wurde argumentiert, lege den Fokus auf ökonomische und soziale Rechte, die durch ein starkes wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand legitimiert würden, worauf Asiat*innen Wert legten und was ihnen wichtig sei. So proklamiert das Weißbuch der chinesischen Regierung aus dem Jahr 1991, dass "sich sattessen und warm kleiden die fundamentalen Bedürfnisse der chinesischen Bevölkerung seien, die lange unter Hunger und Kälte leiden mussten" (Weißbuch 1991, Kapitel I). Wohlstand könne nur effizient erreicht werden, wenn die Regierenden autorisiert seien, die politischen Rechte ihrer Bürger*innen zu limitieren, um wirtschaftlichen Wohlstand zu garantieren (Li 1996, S. 20). Die wirtschaftliche Entwicklung müsse deswegen bei ökonomisch aufstrebenden Ländern über allem stehen; zivile und politische Rechte sollten den ökonomischen und sozialen Rechten untergeordnet sein (vgl.: Henders, 2017). Implizit schwingt bei dieser Behauptung mit, dass erst alle basalen Bedürfnisse und eine stabile politische Ordnung sichergestellt werden müssten, um politische und bürgerliche Rechte zu implementieren (vgl.: Li 1996, S. 20f). Befürworter der Idee der asiatischen Perspektive erachten es somit für wichtig, den Staat als Oberhoheit zu sehen (vgl.: Henders 2017).
Rechte sind die Angelegenheit der jeweiligen Staaten
Das Recht eines Staates zur Selbstbestimmung schließe den Zuständigkeitsbereich der Menschenrechte mit ein. So seien Menschenrechte innenpolitische Angelegenheiten, in die sich andere Staaten oder Organisationen nicht einzumischen hätten (vgl.: Li 1996, S. 20). "Die Bestrebung des Westens, auch bei Entwicklungsländern einen universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte durchzusetzen, sei versteckter kultureller Imperialismus und ein Versuch, die Entwicklung [wirtschaftlich aufstrebender Länder] zu behindern" (Li 1996, S. 20).
Kritik an der asiatischen Perspektive Generell wurde bemängelt, dass nicht einfach über 'asiatische' Werte geredet werden könne, weil es die einzelnen asiatischen Länder simplifiziere, stereotypisiere und sie um ihre Vielfalt bringe (vgl.: Henders 2017). Des Weiteren seien die genannten Werte nicht alleinig in Asien zu finden, sondern hätten auch in anderen Teilen der Welt Gültigkeit (vgl.: Tai 2005, S. 35). Tatsächlich, so wurde argumentiert, gebe es keine ,asiatischen Werte', denn der Begriff sei mit "seiner Allgemeinheit und Undifferenziertheit ein Konstrukt, das ganz bestimmten Zielen dienen soll" (Schreiner 1996, S. 57). Außerdem seien nur mächtige Politiker*innen leitender Teil der Debatte gewesen; die Argumente seien weder in die Gesellschaft getragen noch philosophisch (fort-)geführt worden. Die einzelnen 'asiatischen' Argumente gegen die Universalität der Menschenrechte wurden jedoch auch einzeln kritisiert. Einige Kritiker*innen stellten die Ansicht der Kulturspezifizität in Frage. Das Argument impliziere, dass soziale Normen, die in anderen Ländern und Kulturkreisen ihren Ursprung hatten, in der asiatischen Kultur keine Anwendung finden sollten oder könnten. Kapitalistische Märkte und die Konsumkultur, welche ebenfalls außerhalb der asiatischen Länder entstanden sind, konnten jedoch sehr wohl von asiatischen Kulturen aufgenommen werden (vgl.: Li 1996, S. 20). Die schwerfällige Akzeptanz und Umsetzung der Universalität der Menschenrechte könne somit nicht ausschließlich auf ihre kulturelle Herkunft zurückgeführt werden.
Die zweite Behauptung, dass Asiat*innen die Gemeinschaft über das Individuum stellten, würde als kulturelles Argument missbraucht werden, um aufzuzeigen, dass unveräußerliche Rechte eines Einzelnen sich nicht mit der Idee von asiatischen Gesellschaften verstünden. Kritiker*innen der ,asiatischen Perspektive' sahen hier die Gefahr der generellen Verdammung der Rechte des Einzelnen. Dabei würden individuelle Freiheiten den asiatischen Gemeinschaftswerten nicht generell oppositionell gegenüberstehen. Vielmehr seien grundlegende Rechte, wie eine Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie Toleranz, wichtig für eine Gemeinschaft (vgl.: Li 1996, S. 21).
Beim dritten Argument, welches die südostasiatischen Länder vorlegten, kritisierten viele Verfechter*innen der Universalität der Menschenrechte, dass die nationale ökonomische Entwicklung nicht gleichzusetzen sei mit der ökonomischen Absicherung (sozio-)ökonomisch benachteiligter Gruppen einer Gesellschaft. Nationales ökonomisches Wachstum garantiere schließlich nicht automatisch Rechte für ökonomisch benachteiligte Mitglieder einer Gesellschaft. Stattdessen würden sich politisch-zivile und sozial-ökonomische Rechte bedingen und nur effektiv wirken, wenn alle vier Ebenen garantiert werden könnten (vgl.: Li 1996, S. 22).
Abschließend wurde kritisiert, dass die vorgebrachten Argumente, insbesondere die Forderung der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten, als Vorwand für einen illiberalen und autoritären Regierungsstil verwendet werden würden. Zudem sollten diese Argumente die Schwäche des wirtschaftlichen Entwicklungsmodells der asiatischen Länder verschleiern (vgl.: Henders 2017). Das sind beides Kritikpunkte, die während der asiatischen Wirtschaftskrise 1997/1998 weitgehend bestätigt wurden und zur Verabschiedung der asiatischen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1998 führten.
Was ist mit 'asiatischen Werten' passiert?
Der Dialog über die in der Deklaration von Bangkok vorgestellten 'asiatischen Werte' begleitete staatliche und nicht-staatliche Akteure sowie Wissenschaftler*innen bis in die 1990er Jahre hinein. Als im Jahr 1997 eine Wirtschafts- und Finanzkrise Asien ereilte, wurde es jedoch nicht nur still um die 'asiatischen Werte', sie wurden nun sogar "als Ursache der Krise gedeutet" (Ernst 2009). Insbesondere die staatliche Intervention und die starken Familienwerte wurden als Verursacher genannt (vgl.: Ernst 2009). Um den wirtschaftlichen Anschluss an den industriellen 'Westen' nicht zu verlieren, waren Menschenrechtsorganisationen in Südostasien bemüht, den Menschenrechtsschutz bottom-up durchzusetzen. Die Asiatische Menschenrechtscharta, die die 'asiatischen Werte' ablehnt, wurde 1998 von Menschenrechtsorganisationen in Kwangju, Südkorea, verabschiedet. Sie ist auch ein Versuch, asiatische Regierungen bei Menschenrechtsverstößen zukünftig in die Verantwortung nehmen zu können.
Seit dem Ausbruch der asiatischen Wirtschaftskrise ist die Debatte um 'asiatische Werte' nahezu versiegt. Gleichwohl werden interkulturelle Dialoge über die Menschenrechte weiter geführt. Zwischen Kulturrelativismus und Universalismus – Perspektiven für einen Dialog
Eine globale Durchsetzung der Menschenrechte bleibt nach wie vor ein Ideal, ebenso wie deren uneingeschränkte Einhaltung. Die ostasiatischen Länder sind nur ein Beispiel von vielen, denn Kritik an der Universalität der Menschenrechte kommt auch aus anderen Ländern und von anderen Religionen. Dabei hat die Forderung nach weltweiter Umsetzung der Menschenrechte nicht an Dringlichkeit verloren. Wie kann aber ein Dialog über die Menschenrechte oder gar ein Konsens vorangebracht werden?
Bei dieser Problematik ist es wichtig zu bedenken, dass die Menschenrechte kein starres System sind, sondern auch nach ihrer Verabschiedung im Jahr 1948 weiterentwickelt wurden. Zudem hat die Idee der Menschenrechte zwar primär in der Zeit der europäisch-amerikanischen Aufklärung ihre Wurzeln, konnte ihre volle Durchsetzungskraft jedoch erst in der Moderne entfalten (vgl.: Bielefeldt 1999, S. 59f). Insbesondere im Hinblick auf das Argument der Nichtumsetzbarkeit der Menschenrechte in kulturell anders geprägten Regionen "wäre es verfehlt, den Begriff der 'Aufklärung' auf eine bestimmte Epoche der europäischen Geschichte zu verkürzen" (Bielefeldt 1999, S. 60). Schließlich muss es auch für andere Kulturen möglich sein, "humane Anliegen der eigenen Tradition in moderner Gestalt in den Menschenrechten wiederzuerkennen" (Bielefeldt 1999, S. 61).
Aufgrund dessen sprechen sich viele Wissenschaftler*innen für eine Adaption der Menschenrechte aus. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Alison Dundes Renteln, beispielsweise, "möchte am Begriff universaler Menschenrechte durchaus festhalten, ihn zugleich aber auf interkultureller Basis inhaltlich neu bestimmen […], indem sie nach einem weltweit gemeinsamen Nenner in den Wertorientierungen unterschiedlicher Kulturen sucht" (Bielefeldt 1999, S. 45f). Der kanadische Philosoph Charles Taylor spricht sich für einen "ungezwungenen Konsens" aus, der anderen kulturellen Normen Verständnis entgegenbringt (Taylor 1999, S. 124). Der Dialog über die Menschenrechte zwischen Asien und 'dem Westen' solle sich global ausweiten und eine Auseinandersetzung über eine Übereinstimmung an Normen, die menschliches Verhalten und politisches Handeln leiten sollten, starten. Dieser Grundkonsens auf der Basis der Menschenrechte soll bindend sein, darf sich aber in seiner Begründung unterscheiden (vgl.: Carnegie Council 1996). Der deutsche Philosoph Georg Lohmann vertritt wiederum die Position, dass der "Universalismus" nicht zwingend eine "Einheitskultur darstellt oder in einer solchen resultiert" (Lohmann 2009). Für ihn sind Universalismus und Relativismus auch keine Gegensätze; er sieht im Partikularismus das Gegenteil zum Universalismus. Deshalb ist er der Ansicht, dass ein "verwirklichter und rechtlich wie politisch konkretisierter universeller Menschenrechtsschutz die Möglichkeiten einer kulturellen Vielfalt der Menschen erweitern wird" (Lohmann 2009). Kulturelle Vielfalt ist hier aber nicht mit Willkür gleichzusetzen. Unterscheiden muss man zwischen "Besonderheiten, die mit dem Universalismus der Menschenrechte kompatibel sind und solchen, die ihm widersprechen" (Lohmann 2009). "Strikter" soll der Universalismus bei negativen Pflichten agieren, so zum Beispiel beim Verbot von Folter (Lohmann 2009). Bei positiven Pflichten, wie beispielsweise bei Leistungsrechten, kann der Universalismus lockerer angewendet werden und mehrere, kulturell unterschiedliche Auslegungen zulassen (vgl.: Lohmann 2009). Ein interkultureller Dialog und die Suche nach einem Konsens bedeuten jedoch nicht, dass "die Menschenrechte [völlig neu überdacht und] bereits bestehende international vereinbarte Standards und Konventionen […] abgetan werden sollen. Das wäre gefährlich" (Utrecht 1995, S. 11). Für eine strikte Durchsetzung ideal, so konkludiert Lohmann, "wäre ein gut etabliertes Rechtssystem, in dem die Menschenrechte individuell eingeklagt und mit Hilfe staatlicher Gewalten auch durchgesetzt werden können" (Lohmann 2013, S. 19). Fazit
Viele (süd-)ostasiatische Länder brachten im Jahr 1993 mit der Deklaration von Bangkok kulturrelativistische Argumente hervor, mit denen sie ihre Sichtweise auf die Universalität der Menschenrechte aufzeigten und rechtfertigten. Eine zentrale Begründung war hier, dass das "individualistische Rechtsverständnis" der Menschenrechte nicht mit dem asiatischen Gemeinschaftsverständnis vereinbar sei (Tetzlaff 2002, S. 5). Ebenso waren die Kulturspezifität von Rechten und das Primat des wirtschaftlichen Wohlstands Teil der Begründung. Auseinandersetzungen darüber fanden bis weit in die 1990er Jahre hinein viel Gehör und Gegenrede. Erst mit der asiatischen Wirtschafts- und Finanzkrise 1997/1998 wurde es still um die 'asiatischen Werte'. Was von der Debatte allerdings bleibt, ist die Diskussion über den Universalismus und den (Kultur-) Relativismus, für die der Menschenrechtsrat (MRR) der Vereinten Nationen in Genf eine Plattform bietet.
Bei allen Vorschlägen und Denkanstößen, die eine kulturelle Sensibilität und Variabilität ermöglichen sollen, ist der interkulturelle Dialog zentral. Fraglich bleibt jedoch, wie gut sich eine Diskussion über Normen auf der Basis der Menschenrechte und deren anschließende Durchsetzung in autoritär geführten Staaten durchsetzen lässt (vgl.: Carnegie Council 1996). Denn schließlich sagte schon Konfuzius (551 v. Chr. bis 479 v. Chr.), dass es sinnlos sei, miteinander Pläne zu schmieden, wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit bestehe.
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Der 8. Mai 2020, zugleich 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus in Europa, sollte in der Bundesrepublik eigentlich feierlich mit einem Staatsakt zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Kanzleramt begangen werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte eine Rede halten, interkulturelle Chöre waren eingeplant, für die Berlinerinnen und Berliner wäre es ein einmalig gesetzter Feiertag gewesen – als Ersatz zu dem zuvor auf einen Sonntag gefallenen 8. März (Internationaler Frauentag). Die besten Voraussetzungen also für ein großes, offenes Fest, wie es das vereinigte Berlin zu diesem Anlass noch nicht gesehen hatte.Dann kam Corona und alles wurde anders. Gedenken wird am 8. Mai zwar stattfinden, allerdings recht schlank und dezentral. Ob nun die Kurzversion des offiziellen Programms der Bundesregierung, Online-Diskussionsveranstaltungen (nicht nur, aber auch mit einem deutsch-polnischen Akzent), Fernseh- und Radiosendungen sowie interessante Aktionen rund um den 8. Mai – sie alle sind trotz des Krisenmodus durchaus einen virtuellen "Besuch" wert. In der folgenden Liste finden Sie die Empfehlungen des Deutschen Polen-Instituts. Terminhinweise zum 8. Mai 2020 – dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung von NationalsozialismusOffizieller Gedenktermin der Bundesregierung8. Mai, ab 12 Uhr, Neue Wache in Berlin:Kranzniederlegung durch Repräsentanten aller Verfassungsorgane, anschließend Ansprache des Bundespräsidenten zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges vor Medienvertretern, voraussichtlich mit Live-Übertragung in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Details hierGedenkgottesdienst8. Mai, ab 10 Uhr, Berliner Dom, Berlin:Ökumenischer Gedenkgottesdienst (OHNE GEMEINDE)TV-Übertragung in der ARD zum 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa und der Befreiung vom Nationalsozialismus. Details hier (Berliner Dom) und hier (ARD)(Online-)Diskussionsrunden 7. Mai, ab 18 Uhr, online (Voranmeldung erforderlich): Organisiert vom Pilecki-Institut mit dem Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, unterstützt durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit: Online-Diskussion "Der vergessene Alliierte? Polen an den Fronten des Zweiten Weltkriegs" mit Prof. Jochen Böhler, Markus Meckel, Dr. Jacek Młynarczyk und Alexandra Richie, moderiert von Hanna Radziejowska. Details hier7. Mai, 20-22 Uhr, online (Voranmeldung erforderlich):Organisiert von der Bundestagsfraktion der Grünen: Digitale Veranstaltung "Sieg der Erinnerung - Gedenken an die Nacht der Befreiung" mit u. a. Claudia Roth, Manuel Sarrazin, Erhard Grundl, Dr. Konstantin von Notz, Uwe Neumärker und Krzysztof Ruchniewicz. Details hier8. Mai, 18-19 Uhr, online (in Englisch):Organisiert vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Museum Karlshorst: Online-Diskussion "75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs" mit StM Michelle Müntefering, Wolfgang Schneiderhan, Dr. Jörg Morré, moderiert von Daniela Schily. Details hier8. Mai, 19-20 Uhr, online:Organisiert von AMCHA Deutschland in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, unterstützt von IHRA : Online-Veranstaltung "Regina Steinitz und Ruth Malin - Befreiung 1945 Live-Gespräch. Die Zwillingsschwestern im Gespräch über die Shoah und ihr Leben nach dem Überleben". Details hier und hier (youtube)10. Mai, 11:05-12 Uhr, inforadio (RBB): Organisiert von der Europäischen Akademie Berlin mit dem inforadio von RBB, unterstützt vom Auswärtigen Amt: Ausstrahlung der Debatte "Freund? Feind? (Ge)Denken! Vom Umgang mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg" mit Götz Aly, Prof. Dr. Étienne François, Martin Hoffmann, Dr. Jörg Morré, moderiert von Dietmar Ringel. Details hier (EAB) und hier (RBB inforadio) Dokumentationen und Filme8. Mai, ab 20:15 Uhr und weitere Ausstrahlungen am 9. Mai, phoenix:Dokumentation "ZDF-History. Das Ende - Die letzten 100 Tage des Zweiten Weltkriegs". Details hier8. Mai, ab 20:30 Uhr und bis zum 20.8.20 in der Arte-Mediathek Dokumenation: "Berlin 1945. Tagebuch einer Großstadt". Details hier (rbb) und hier (arte)SonstigesVirtuelle Ausstellung "www.75jahrekriegsende.berlin" (bereits online), in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, dem Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst, der Topographie des Terrors, dem AlliiertenMuseum Berlin und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, gefördert von der Lotto Stiftung Berlin und der Berliner Sparkasse. Details hier Virtuelle Aufnahme und Aufführung des Lieds "Modlitwa o pokόj" (auf Dt.: "Gebet für den Frieden") nach Norbert Blacha des Deutsch-Polnischen Chors "Spotkanie" unter der Leitung von Agnieszka Wolf (bald auf der Chorwebsite). Details hier Onlineprojekt zur Befreitung von NS-Zwangslagern in Berlin 1945 des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in der Stiftung Topographie des Terrors. Details hier
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Ein Viertel der Schüler lernt nicht richtig lesen. "Tutoring for All" will deshalb eine neue Methode der Leseförderung in Deutschland etablieren. Kann das funktionieren? Ein Interview mit dem Sozialunternehmer Ekkehard Thümler und der Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin.
Ekkehard Thümler ist Senior Fellow am Centre for Social Investment (CSI) der Universität Heidelberg. Er arbeitete in verschiedenen Funktionen unter anderem für Joachim-Herz-Stiftung und die Bertelsmann-Stiftung. 2020 gründete er das gemeinnützige Startup "Tutoring for All". Ingrid Gogolin war über viele Jahre Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und forscht dort als Seniorprofessorin weiter. Fotos: Gerrit Meier/Scholzfoto.
Herr Thümler, 26 Prozent der deutschen Neuntklässler können schriftliche Texte nicht sinnerfassend verstehen, hat die jüngste PISA-Studie ergeben.
Ekkehard Thümler: Und das Problem fängt in der Grundschule an. Jedes vierte Kind lernt nur sehr schlecht lesen. Wenn wir das ändern wollen, brauchen die Lehrkräfte Unterstützung und die Schulen neue Methoden.
Mit Mitstreitern haben Sie "Tutoring for All" gegründet, was ist das?
Thümler: Ein Sozialunternehmen, das die individuelle Förderung von Kindern in ganz kleinen Gruppen durch Tutorinnen und Tutoren fördern will. Außerhalb des regulären Unterrichts und mit Hilfe einer digitalen Tutoring-Plattform.
Dahinter steht das sogenannte "High Impact Tutoring". Klingt nach Marketing.
Thümler: Das ist eine Methode aus den USA, die laut Forschung besonders hohe Effekte hat, vor allem bei der Stärkung sozial benachteiligter Kinder und deren Basiskompetenzen. In den USA und Großbritannien wird Tutoring deshalb auch mit großen nationalen Programmen gefördert. In Deutschland nennen wir unser Angebot "Lesen mit dem Turbo-Team". Knackpunkt ist die hohe Dosis. Tutoring mindestens dreimal die Woche, durchgeführt von geschulten Tutorinnen und Tutoren. Reale Menschen, die digitale Hilfsmittel einsetzen, auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Konzepts. Aber das Persönliche, die menschliche Beziehung zwischen Kind und Tutor, steht im Vordergrund. Das ist der Unterschied zu rein virtuellen Tools, die deutlich weniger bringen. Hinzu kommt, dass es beim High Impact Tutoring ein Monitoring gibt, um zu prüfen, ob die gewünschten Effekte auch tatsächlich eintreten.
"Wir konzentrieren uns auf einen Ansatz, der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt."
Ihr Glaube an die Methode muss groß sein. Immerhin haben Sie dafür die sichere Welt einer Bildungsstiftung verlassen, um in die Selbstständigkeit zu gehen.
Thümler: Eigentlich hatten wir mehr vor. Wir wollten ein umfangreiches Schulentwicklungsprogramm nach Deutschland holen, "Success for All", bei dem das Tutoring nur ein Ausschnitt gewesen wäre. Aber dann kam Corona. Und uns wurde klar, dass für so große Projekte mit jahrelangem Vorlauf jetzt weder die Zeit noch das Geld da ist. Darum konzentrieren wir uns auf einen Ansatz, der relativ leicht umzusetzen ist und relativ schnell einen hohen Wirkungsgrad erzielt.
Was heißt "relativ schnell"?
Thümler: Mit dem Turbo-Team waren wir Ende 2023 an 22 Schulen bundesweit, im Januar kommen fünf weitere Standorte dazu. Das bedeutet, wir haben bislang etwa 1000 Kinder mit der Förderung erreicht. Dafür arbeiten wir meistens mit Organisationen und Vereinen zusammen, die ohnehin schon an den Schulen sindund oft auch eigene Tutorinnen und Tutoren mitbringen. In selteneren Fällen führen Schulen unser Programms auch eigenständig durch.
Frau Gogolin, Sie sind Senior-Professorin am Arbeitsbereich "Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft" der Universität Hamburg und begleiten "Tutoring for All" wissenschaftlich. Warum?
Ingrid Gogolin: Ekkehard Thümler und ich kennen uns seit etlichen Jahren. Wir haben gemeinsam versucht, "Success for All" aus den USA nach Deutschland zu bringen, nach meiner Überzeugung eines der besten Schulentwicklungskonzepte weltweit. Die wissenschaftliche Studienlage ist da sehr eindeutig: Konzepte, die verschiedene Akteure von innerhalb und außerhalb der Schule unter einer gemeinsamen Strategie vereinen, auf dieser Grundlage systematisch Maßnahmen ergreifen und deren Wirkung regelmäßig messen, haben durchgehend positive Effekte auf die Schülerleistungen. Und weil, wie Ekkehard eben erwähnte, nach Corona das ganz große Rad nicht mehr zu drehen war, haben wir gesagt: Fangen wir mit dem Tutoring an, also mit einem Element von "Success for All". Dieses Tutoring findet in enger Abstimmung mit den Lehrkräften und dem allgemeinen Unterricht statt. Einen wichtigen Erfolgsaspekt möchte ich hinzufügen: Es handelt sich nicht um allgemeine Leseförderung, sondern um das gezielte Arbeiten an individuellen Schwächen, die vorher bei einem Kind diagnostiziert worden sind. Wenn diese Schwächen beseitigt sind, endet auch die Förderung. Dadurch ist es möglich, sehr genau die Effekte zu messen.
Das haben Sie getan.
Gogolin: Ja, in Form einer Pilotevaluation. Ich weiß, dass Ekkehard den Begriff nicht mag und mich zu vorsichtig findet mit meinen Aussagen. Aber als Wissenschaftlerin muss ich genau sein. Es handelt sich immer noch um eine relativ kleine Anzahl von Kindern, und für die Kontrollgruppe haben wir keine Zufallszuweisung der Kinder hinbekommen. Trotzdem, und das kann ich als Wissenschaftlerin wieder ohne Einschränkung sagen, sind wir von den Ergebnissen einigermaßen überrascht gewesen.
Sie haben zu Beginn und nach Abschluss des Turbo-Tutorings bei den Kindern vier Kompetenzbereiche untersucht: ihre basale Lesefertigkeit, ihr Wortverständnis, ihr Satzverständnis und ihr Textverständnis. Und Sie haben die Ergebnisse mit Schülern verglichen, die nicht an dem Programm teilgenommen haben.
Gogolin: Und damit man die Ergebnisse vergleichen kann, haben wir den Einfluss von Geschlecht, Klassenstufe, Erstsprache und sozioökonomischem Status der Familie statistisch kontrolliert. Unabhängig von der Lesekompetenz vor Beginn der Förderung zeigte sich in allen vier Bereichen ein Vorteil für die Kinder, die beim Tutoring dabei waren. Beim Satzverständnis und beim Textverständnis fiel der Unterschied so groß aus, dass er statistisch signifikant, also kein Zufallsergebnis ist.
"Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen Evaluation."
Warum war das bei der basalen Lesefähigkeit und dem Wortverständnis anders?
Gogolin: Weil sich auch die Kinder der Kontrollgruppe in anderen an den Schulen bereits praktizierten Formen der Leseförderung befanden. Auch dies war also eine gute Förderung. Der Turbo-Team-Ansatz bringt aber zusätzlich auf der Ebene der komplexeren Leseleistungen erstaunliche Effekte, also genau da, wo die Stolperstellen liegen, die das Tutoring gezielt bearbeitet. Wichtig ist, dass dies in der Kombination eines digitalen Systems mit Tutorinnen und Tutoren passiert, die das Programm in ihrer Arbeit mit den Kindern zum Leben bringen. Darum bin ich optimistisch, dass wir bei einer größer angelegten Evaluation zu vergleichbaren Ergebnissen kämen. Dann müssten wir die Kinder allerdings auch über einen längeren Zeitraum verfolgen, um herauszufinden, ob der Lerneffekt von Dauer ist.
Ist Ihnen das zu pessimistisch Herr Thümler?
Thümler: Ich würde nie mit einer Wissenschaftlerin schimpfen, weil sie wissenschaftlich vorgeht. Und Ingrid hat ja Recht: Auch andere Leseförderprogramme haben überzeugende Geschichten von sich zu erzählen. Doch stellen sich nur die wenigsten einer wissenschaftlichen Evaluation.
Gogolin: Ich kenne keinen einzigen anderen Anbieter einer onlinebasierten Leseförderung, der das schon im Prozess der Entwicklung getan hat.
Thümler: Das enthält ja auch ein immenses wirtschaftliches Risiko, wenn Sie gerade ein Unternehmen gegründet haben und als Person in Vorleistung gegangen sind. Was wäre passiert, wenn die wissenschaftliche Untersuchung nun belegt hätte, dass die Methode nicht funktioniert?
Gogolin: Aber wir haben das Risiko offenen Auges auf uns genommen und sehen nun, dass die Richtung, in die das Programm geht, stimmt. Der Vorteil ist, dass die Ergebnisse unserer Prüfung sofort wieder in die Weiterentwicklung der Plattform einfließen können.
Wie geht es jetzt weiter, Herr Thümler?
Thümler: Motiviert von der Evaluation wollen wir jetzt an weitere Schulen gehen und so viele Schülerinnen und Schüler erreichen, dass wir uns einer noch anspruchsvolleren wissenschaftlichen Studie stellen können. Unsere Botschaft lautet: Wir bringen ein fertiges Produkt mit, verknüpft mit dem Angebot, die vorhandenen Tutoren und Lehrkräfte zu schulen. Wir wollen es den Schulen so einfach wie möglich machen.
"Wirtschaftlich ist das eine Wette, das ist klar."
Das klingt, als wären die meisten Schulen sehr vorsichtig und zurückhaltend. Was kostet denn die Teilnahme?
Thümler: 2.500 Euro pro Schule und Jahr, unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und Tutorinnen und Tutoren. Dafür können sie alle die digitale Plattform nutzen, sie bekommen die Schulungen und alle Unterstützung, die sie brauchen, um das Programm durchzuführen. Künftig wollen wir noch einen Schritt weitergehen und das Angebot machen, dass jemand von "Tutoring for All" vorbeikommt, wenn ein konkretes Anwendungsproblem zu lösen ist.
Gogolin: Was eine große Rolle spielt, wie unsere Evaluation gezeigt hat: Es braucht nicht nur die einmalige Schulung von Tutorinnen und Tutoren, sondern ihre dauerhafte Begleitung.
Und der ganze Aufwand für 2.500 Euro, Herr Thümler – das geht auf?
Thümler: Die Kalkulation wird dann aufgehen, wenn wir eine ausreichend große Zahl von Schulen gewinnen können. Insofern ist es wirtschaftlich eine Wette, das ist klar.
Wo sind denn dann all die Schulen, die mitmachen wollen?
Thümler: Die meisten Schulen haben im Moment weder die Ressourcen noch die Kraft, sich erst auf einen jahrelangen Schulentwicklungsprozess einzulassen. Aber genau das ist das "Turbo-Team" nicht, die Schulen müssen sich zu nichts committen. Hinzu kommt: Viele Schulen haben bislang gar nicht das Budget für solche Extra-Aktivitäten, wenn sie es nicht durch Stiftungen oder andere Förderorganisationen finanziert bekommen. Das ändert sich hoffentlich durch das Startchancen-Programm von Bund und Ländern für Schulen in benachteiligten Lagen. "Lesen mit dem Turbo-Team" wird von diesem Programm ausdrücklich als empfehlenswerte Maßnahme genannt, das könnte eine große Chance auch für unser Vorhaben sein.
Gogolin: Es gibt auch eine emotionale Schwelle, die es zu überwinden gilt. Sehr viel Leseunterstützung, die es heute gibt, kommt von Ehrenamtlichen, die sich mit den Kindern unterhalten, ihnen etwas vorlesen. Das finde ich prima – aber: Jetzt kommen wir mit so einem systematischen Lernprozess, mit dialogischen, digital gestützten Verfahren und Monitoring-Tools. Das ist vielen Ehrenamtlichen fremd. Aber wir können hoffentlich klarmachen, dass wir die Angebote, die es gibt, nicht ersetzen wollen. Dass sie aber bei allem Bemühen noch nicht reichen, um den besonders gefährdeten Kindern ausreichend zu helfen. Wenn jetzt die Startchancen kommen und Ganztagsausbau an den Grundschulen voranschreitet, hoffen wir, dass diese systematische Perspektive stärker als bislang aufgegriffen wird.
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Tausende ukrainischen Frauen und Kinder befinden sich auf dem Weg nach Polen oder sind bereits in Polen. Die polnischen Behörden bereiten sich vor, diese Kinder in das polnische Bildungs- und Sozialsystem aufzunehmen. Erfahrungen gibt es schon seit längerem, da derzeit etwa 1,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen leben, die mehrere Tausend Kinder im Schulalter haben.Bisherige ErfahrungenBereits 2020 besuchten über 57.000 Ausländer polnische Schulen (davon 43 764 aus der Ukraine), wobei die Zahl seit 2019 um über 20.000 Personen gestiegen ist. Laut Daten des Bildunsgministeriums vom September 2021 besuchen etwa 60.000 Kinder aus der Ukraine polnische Schulen (Grundschulen und Lyzeen) und Kindergärten. Weitere 40.000 profitieren von der Ausbildung in weiterführenden Aufbauschulen.Besonderheit der LageSchon ein Tag nach dem Kriegsausbruch am 24. Februar hat das polnische Bildungsministerium »Regeln für die Aufnahme von Kindern aus der Ukraine auf polnische Schulen« publiziert. Das für die Eltern von Schülern aus der Ukraine vorbereitete Material enthält Informationen über die für die Einschulung eines Kindes erforderlichen Dokumente. Generell gilt: Kinder im Alter von 7 bis 18 Jahren können polnische Schulen kostenlos besuchen. Für die Aufnahme an Schulen muss ein Antrag gestellt werden, über den die Schulleitung entscheidet. Die öffentlichen Grundschulen nehmen von Amts wegen die aus dem Ausland stammenden Kinder auf, die in ihrem Schulbezirk wohnen. Die anderen öffentlichen Grundschulen und weiterführenden Schulen machen dies, solange bei ihnen freie Plätze vorhanden sind. Gibt es in der gewählten Einrichtung keine freien Plätze mehr, muss man sich an die Gemeinde wenden. Die Einstufung in eine Klasse, in der ein solcher Schüler oder eine solche Schülerin weiter unterrichtet wird, erfolgt auf der Grundlage der Summe der im Ausland absolvierten Schuljahre. Normalerweise wird die Klasse anhand der von der Auslandsschule ausgestellten Dokumente bestimmt, aber das ist nicht unbedingt notwendig. Eine Erklärung der Eltern über die gesamten im Ausland verbrachten Schuljahre ist ausreichend.Sprache – das entscheidende FaktorSprachkenntnisse sind und bleiben immer eine der größten Herausforderungen. Jedoch stellt sich die Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen aus sprachlicher Perspektive weniger problematisch dar als bei anderen Nationalitäten, da die Sprachen miteinander verwandt sind. Von allen slawischen Sprachen ist das Ukrainische dem Polnischen am ähnlichsten, nämlich bis zu 70%. Im westlichen Teil der Ukraine wird ein Dialekt verwendet, in dem häufig polnische Substitute vorkommen. Kinder aus der Zentral-, Ost-, Nord- und Südukraine haben dagegen eher keinen Kontakt zur polnischen Kultur und Sprache. Für sie wird es schwieriger, aber wiederum einfacher als für viele anderen Migranten.Mangelnde Kenntnisse der polnischen Sprache sind kein formales Hindernis bei der Einschulung. Schüler aus der Ukraine können am kostenlosen Polnischunterricht teilnehmen, der von den Schulen organisiert wird, und erhalten aufgrund ihrer Migrationserfahrung psychologische und pädagogische Betreuung.Besondere Unterstützung für Kinder aus der Ukraine Schon bisher gab es verschiedene Möglichkeiten, wie die Schule die ausländischen Schüler unterstützen konnte:- Teilnahme an zusätzlichen Polnischkursen. Der Einzel- oder Gruppenunterricht von mindestens zwei Stunden pro Woche kann für einen unbestimmten Zeitraum erteilt werden;- Lernen in Form eines vorbereitenden Kurses, in dem der Unterricht an die Bedürfnisse und Lernmöglichkeiten der Schüler angepasst wird. (Solch ein Bildungsangebot dauert ein Jahr, mit der Möglichkeit einer Verlängerung auf zwei Jahre.) Der Unterricht findet in Gruppen von bis zu 15 Schülern statt und umfasst mindestens 20 bis 26 Stunden pro Woche (je nach Schuljahr und Schultyp). In diesen Stunden lernen die Schüler die polnische Sprache und die Inhalte der einzelnen Fächer in dem Umfang, der ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entspricht.- Unterstützung von einer Person, die die Sprache des Herkunftslandes spricht und als Assistent des Lehrers angestellt wird – die als Assistent des Lehrers angestellte Person muss keine pädagogische Ausbildung haben.- Zusätzlich von der Schulleitung organisierter Förderunterricht in den Fächern des Lehrplans (jedoch nicht länger als 12 Monate)Ausländische Schüler können in Zusammenhang mit ihren Migrationserfahrungen psychologische und pädagogische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Schulleitung entscheidet ebenfalls über die Form dieser Unterstützung. Wichtig ist, dass in der gegenwärtigen Situation die psychologische und pädagogische Unterstützung auch auf die Eltern der Schüler ausgedehnt werden kann.Weitere SchritteDie immense Zahl der Kinder erhöht aber die Herausforderung. Zu den aktuelle Fragen diesbezüglich gehören u.a.:- die Notwendigkeit, Mittel für interkulturelle Assistenten für Schüler bereitzustellen- Unterstützung für Polnischlehrer, die nur teilweise qualifiziert sind, Polnisch als Fremdsprache zu unterrichten- die Frage der raschen Anerkennung der ukrainischen Lehrerdiplome. Dabei ist zu beachten, dass einige von ihnen über ausreichende Polnischkenntnisse verfügen, um zu unterrichten, während andere unterstützend in den Schulen arbeiten können- Vorbereitung der polnischen Schüler auf die Aufnahme von Geflüchteten- Aufklärung der Lehrer über kulturelle Unterschiede und Vorurteile- Maßnahmen, um einer möglichen Ausgrenzung von Kindern russischer und belarussischer Herkunft entgegenzuwirkenDie bisherige Erfahrung mit der Unterstützung ausländischer Kinder zeigt aber, dass es auch viele weitere altägliche Herausforderungen gibt, die die grundsätzliche Integration der jungen Migranten betreffen. Die Lehrergewerkschaft sowie Kommunen thematisieren diese Herausforderungen. Laut Äußerungen des Bildungsministeriums ist eine Lockerung der Vorschriften für die Qualifikation von Lehrepersonal aus der Ukraine in Planung. Das Ministerium versichert, eswerde die lokalen Behörden unterstützen und erinnert daran, dass bereits jetzt auf der Website des Ministeriums Informationspakete zu finden sind, z. B. über psychologische Unterstützung für polnische und ukrainische Kinder.Kommunen sind gefragtDie Kommunen, die in Polen für die Schulen zuständig sind, bereiten sich auch selbst vor. In Warschau, wo schon bisher 3900 ukrainische Kinder zur Schule gehen (zum Vergleich, in Krakau waren es 1900), gibt es schon konkrete Maßnahmen. Die psychologisch-pädagogischen Beratungsstellen der Stadt bieten kostenlose Hilfestellungen für ukrainische Kinder und Eltern an. Warschau hat auch Informations- und Bildungsmaterialien erstellt, die für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die sich zurzeit in Warschau aufhalten, nützlich sind. Darunter befinden sich Willkommenspakete für Schüler und Eltern. Es gibt bereits Kulturassistenten von NGOs, die in den Schulen der Stadt arbeiten. Sie helfen den Ausländern bei der Integration, unterstützen sie im Unterricht, in den Pausen und bei außerschulischen Aktivitäten. Darüber hinaus leisten die Kulturassistenten Hilfe als Übersetzer im Alltag, etwa beim Lernen, aber auch bei anderen Aktivitäten wie bei der Übersetzung von (amtlichen) Dokumenten usw. In Warschau sind ebenfalls grundlegende Informationen über Kindergärten auf Ukrainisch verfügbar. Das sind aber Maßnahmen einer großen Stadt, die über die entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten verfügt. In kleineren Orten ist die Lage bestimmt viel schwieriger.Die Realität wird es zeigenDiese Aktivitäten, Pläne und erste Schritte zeigen, dass die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen. Überoptimistisch darf man aber nicht sein. Alle diese Maßnahmen benötigen viele finanziellen Mittel und Personal. Die polnischen Lehrerinnen und Lehrer sind ohnehin noch von der COVID-Pandemie überfordert, schlecht bezahlt und fühlen sich von der Regierung nicht genug wertgeschätzt. Die polnische Flexibilität und die enorme Bereitschaft, die Ukrainer zu unterstützen, wird vorerst helfen. Mittel- und langfristig braucht es aber weitere strategische Entscheidungen, so dass auch in kleineren Kommunen die geplanten Maßnahmen wirklich umgesetzt werden können. Mehr zum Thema Ukraine in unserem Blog:Ukrainer in Polen - neuste Zahlen und RegelungenGeplante polnische Hilfe für potenzielle ukrainische Flüchtlinge
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Zu Besuch in Oberschlesien vor dem Haus meiner Tante 1995Vorab: Zum Teil 1Bildungsaufstieg durch Schule- und HochschuleDie Bedingungen, unter denen mein Vater aufwuchs, waren prekär. Der Weg zum beruflichen und späteren sozialen Aufstieg lag in der Bildung, der ihm seiner Aussage nach nur gelang, da er – durch dessen psychische Krankheit – keinen Vater hatte, der auf einer Berufsausbildung bestanden hätte, wie sonst in Oberschlesien üblich.Die Schule hatte für Kinder wie damals meinen Vater allein schon aufgrund ihres erzieherischen Beitrags eine äußerst wichtige Rolle gespielt:"Wir haben so gut wie kostenlos Mittagessen bekommen, uns überhaupt mal sattessen können. Sie hat zudem sehr viele Erziehungsaufgaben übernommen und Freizeitbeschäftigung angeboten."Durch sie gelang die sprachliche Sozialisation im Polnischen, denn zu Hause wurde Oberschlesisch und unter den Eltern mit Vorliebe klammheimlich Deutsch gesprochen. Deutsch als öffentliche Alltagssprache zu verwenden war nach 1945 und den deutschen Verbrechen an Polen nicht möglich – das hätte Nachteile und Repressionen bis hin zur Aussiedlung nach sich ziehen können."Wir hatten keine Ahnung und dachten ja, wir können schon Polnisch. Polnisch habe ich aber erst durch die polnische Schule gelernt. [...] Unser Oberschlesisch wurde fast schon verfolgt. […]Erst auf Polnisch habe ich gelernt, mich literarisch auszudrücken."Im Gymnasium bekam er dann sogar ein kleines Stipendium für Schüler:innen aus sozial schwachen Familien und half in der Bibliothek aus. Dort wurden die Trennlinien zwischen den Autochthonen und den Zugezogenen v. a. im Geschichtsunterricht sichtbar, als ein großer Teil der Ansässigen für ihre Väter und Onkel in der Wehrmacht[1] gehänselt wurde:"Alle Kinder, die zugezogen waren, konnten in der Schule mit Eltern in der [bürgerlichen] Heimatarmee oder [kommunistischen] Volksarmee glänzen – und wir Oberschlesier nicht. Uns war es unangenehm, da die meisten unserer Eltern [auf der deutschen Seite] quasi gegen ihre Familien kämpften. Man hat in der Schule natürlich versucht, diese Grenzen zu verwischen – das ist sogar nicht schlecht gelungen. Ich hatte später viele polnische Freunde und wir waren richtig eng miteinander."Der Traum zu fliegen, mündet in der MigrationMein Vater merkte bald, dass ihm Oberschlesien wenig Attraktives bot:"Ich wollte da weg, von dem Dreck – jede Woche Fensterputzen – und von dieser schrecklichen Armut... Diese ganzen industriellen Berufe – vor denen habe ich mich gefürchtet."Nach dem Abitur machte er zunächst zwar eine bodenständige Fachausbildung in der Gastronomie, interessierte sich jedoch vor allem für Flugzeuge und Fliegerei. Er versuchte, an der polnischen Militärpiloten-Akademie in der Nähe von Warschau aufgenommen zu werden. Die Aufnahmeanforderungen waren aber sehr anspruchsvoll, so dass er wie die meisten abgelehnt wurde. Beim Militärdienst verfolgte mein Vater einen realistischeren Plan, er wollte das neuartige Touristikmanagement-Studium in Poznań aufnehmen, was ihm auch gelang. Heimlich plante er dann die Ausreise nach England zu seinem dort nach dem Krieg gebliebenen Onkel, bekam aber letztlich kein Besuchsvisum – sein Wunsch, aus Polen zu flüchten, war zu offensichtlich.Mein Vater an einem Flugplatz in Südwestdeutschland, 2019.Das Leben hatte anderes mit ihm vor, wie das Kennenlernen seiner künftigen Frau und meiner Mutter. Als einer der Jahrgangsbesten seines Studiengangs wurde er von der Präsenzpflicht der Hochschule freigestellt, profitierte von einer verkürzten Wartezeit auf eine staatliche Wohnung und konnte nebenbei arbeiten, um den dafür benötigten finanziellen Eigenbeitrag zu verdienen. Zum Ende des Studiums ergab sich für ihn die Gelegenheit, in einer Ost-Berliner Glashütte zu jobben, um seiner jungen Familie – in der Zeit war ich nämlich geboren worden – einen besseren Start zu ermöglichen. Für die Reise in den "DDR-Bruderstaat" brauchte man keinen Pass, sondern es genügte ein polnisches Ausweisdokument.Die Unzufriedenheit mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Volkspolen, die als ungerecht empfundenen Verhältnisse sowie sicher daneben der Vergleich mit bereits in den Westen ausgereisten Aussiedler:innen im Familien- und Freundeskreis brachten ihn schließlich dazu, die in der Bundesrepublik vielen eingeräumte Möglichkeit der Aussiedlung nach Deutschland wahrzunehmen. Ganze Zwei Drittel der aus Polen eingewanderten ca. 1,5 Mio. Aussiedlerinnen und Aussiedler in die Bundesrepublik von 1950 bis heute kamen wohl aus Oberschlesien.[2]"Man kann sich später fragen: Wozu bist Du in den Westen gefahren, wenn der Westen zu Dir kam? Doch der Systemwechsel und diese ganzen positiven Veränderungen in Oberschlesien, sie waren damals nicht vorhersehbar. […]Selbst ich als Leiter einer großen Ferienerholungsanlage musste bei den Bauern in der Gegend um Kartoffeln betteln. Das schlug aufs Gemüt. So was wollte ich meinen Kindern ersparen."In der Bundesrepublik Deutschland haben meine Eltern dann leider einige desillusionierende Erfahrungen gemacht. Allen voran wurden ihre Studienabschlüsse nicht anerkannt, was eine adäquate Integration erheblich erschwerte. Sie haben außerdem nicht immer nur Offenheit und Freundlichkeit erfahren. Das kam meinem Vater aber schon aus Polen bekannt vor:"Das immerwährende Dilemma des Oberschlesiers: Ist man deutsch oder polnisch? Für die Deutschen ist man polnisch, für die Polen deutsch."Viele Sprachkurse, berufliche Stationen und ein Umzug in den Süden folgten, bis sie Fuß gefasst haben in Deutschland. Mein Vater wurde Großhandelskaufmann mit Mittel- und Osteuropafokus und meine Mutter baute sich letztlich ein kleines Gewerbe auf.Aufgrund der Erfahrung meines Vaters, den muttersprachlichen Zugang zum Deutschen verwehrt bekommen zu haben, und ähnlicher Erfahrungen meiner Mutter stand für meine Eltern fest, dass sie mit uns Kindern möglichst in ihrer Muttersprache Polnisch sprechen. Das gebe ich nun an meinen Nachwuchs weiter – in der Berliner Metropole wird dies allerdings nicht so kritisch beäugt wie vor Jahren in der deutschen Provinz.Unser Oberschlesien wirkt nachDie berichtete Geschichte meines Vaters mit Aufstiegs- und Migrationserfahrungen – so individuell sie ist – beschreibt exemplarisch ein oberschlesisches Schicksal nach dem Krieg. Mein Vater nennt sich heute selbst "oberschlesischer Europäer".Wie sehr bin ich aber nicht nur deutsch, polnisch oder europäisch, sondern auch oberschlesisch – und wozu ist das gut? Was ich während der Arbeit an diesem Artikel herausfand, ist am Ende nicht überraschend: Selbst heute trage ich einige Aspekte oberschlesischer Mentalität und oberschlesische Prägungen im Gepäck – vor allem wohl das Multiethnische und die interkulturelle Offenheit. Ich merkte aber sonst: Mein mentales Oberschlesien ist nicht exakt das gleiche wie das meines Vaters. Ähnlich wie einige andere aus meiner Generation[3], bin wohl flexibler, wo Oberschlesien anfängt und wo es aufhört und wer sich zu Oberschlesier:innen zählen darf. Ich in der Nikiszowiec-Arbeitersiedlung (UNESCO-Weltkulturerbe), 2014.Zufällig lebe ich derzeit unweit der ehemaligen Glashütte am Ostkreuz, in der mein Vater als Student jobbte. In meinem Berliner Altbauhaus erlebe ich gute Nachbarschaft, gerade weil die vielen zugezogenen Berliner:innen vor Ort keine Familie haben. Hier spielen die Kinder ebenfalls im Hinterhof zusammen. Ab und an besuche ich Oberschlesien, manchmal besuchen meine oberschlesische Familie und Freunde mich. Es verbindet uns viel, nicht zuletzt das Interesse an Familienforschung.Seit einigen Jahren arbeite ich beim Deutschen Polen-Institut am Projekt des entstehenden "Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen"[4] in Berlin, das Deutsche und Polen durch die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzung Polens einander näherbringen und das Wissen und Empathie fördern soll. Dies gilt auch über das Thema des Zweiten Weltkriegs hinaus, denn der neue Ort soll zukunftsorientiert zur deutsch-polnischen Versöhnung und Verständigung beitragen. Heutzutage wird immer wieder berichtet, dass Kriegserfahrungen wie Traumata intergenerationell auch bei den sog. Kriegsenkel:innen nachwirken können – für mich waren die hybriden oberschlesischen Erfahrungen meiner Familie allen voran sinnstiftend. Insofern bin ich Oberschlesien dankbar, denn es motiviert mich in meinem verbindenden, deutsch-polnischen Engagement. [1] Vgl. Ebd. Schätzungen zufolge wurden auf polnischem Gebiet während des Zweiten Weltkriegs – bei Weitem nicht immer freiwillig – fast eine halbe Million ehemaliger Bürger der Zweiten Republik Polen, darunter ca. 200 Tsd. Oberschlesier, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Deutschen Volksliste in die Wehrmacht eingegliedert.
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Der wiedergewählte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee über die neue Nationale Sicherheitsstrategie, das Streiten für eigene Ziele und Werte – und die Frage, was vom alten Austausch-Idealismus noch übrig ist.
Joybrato Mukherjee, 49, ist seit 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Am Dienstag wurde er von den DAAD-Mitgliedshochschulen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Außerdem ist Mukherjee seit 2009 Präsident der Universität Gießen und designierter Rektor der Universität zu Köln. Foto: Jonas Ratermann.
Herr Mukherjee, heute Vormittag sind Sie als DAAD-Präsident wiedergewählt worden, Ihre zweite Amtszeit beginnt am 1. Januar 2024. Herzlichen Glückwunsch! In Hochstimmung schienen Sie schon vergangene Woche zu sein, als die Bundesregierung ihre – von Ihnen hochgelobte – Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt hat. Die Strategie zeige, so lautete Ihr Kommentar, dass Wissenschaft heute eine "harte Währung" in der Außen- und Sicherheitspolitik sei. War sie das denn früher nicht?
Der Unterschied ist, dass die Außenwissenschaftspolitik früher als eigenständige "dritte Säule" der Außenpolitik gedacht wurde – und damit getrennt von der Sicherheitspolitik. Jetzt hat sich ein integriertes Verständnis von Außen-, Sicherheits- und Geopolitik etabliert, was bedeutet, dass Wissenschaft nicht als irgendeine Folklore gesehen wird, sondern als robuster Teil der außenpolitischen Beziehungen unseres Landes.
Weil wir in einer Zeit der Krisen leben?
Sicherlich gibt es da einen Zusammenhang. Stärker als vor fünf oder zehn Jahren gelten Wissenschaft und Außenwissenschaftspolitik als relevante Größen für Europas Sicherheit und für die Stabilisierung einer multilateralen Weltordnung. Wir werden auch die Folgen des Klimawandels nur wissenschaftlich fundiert und über Grenzen hinweg kooperierend in den Griff bekommen. Dies sind Erkenntnisse, die sich nicht von einem auf den anderen Tag entwickelt haben, aber natürlich hat hier die Pandemie wie in vielen anderen Bereichen als Beschleuniger gewirkt.
"Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg."
Eine neue Rolle auch für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)?
Keine neue Rolle. Wir haben immer schon neue außen- und geopolitische Herausforderungen mit neuen Initiativen und Programmvorschlägen beantwortet. Aber jetzt spüren wir eine andere Resonanz auf Seiten der Politik: Bundesregierung und Bundestag sehen den DAAD als größte und leistungsstärkste Mittlerorganisation in einer besonderen Verantwortung. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie formuliert diese Erwartung an uns ganz explizit. Wenn in Afghanistan die staatliche Ordnung zusammenbricht und Frauen vom öffentlichen Raum und vom Bildungssektor immer stärker ausgeschlossen werden, starten wir mit Unterstützung des Entwicklungshilfeministeriums ein Stipendienprogramm für 5000 Afghaninnen, damit sie in einem der Nachbarländer studieren können. Oder nehmen Sie die Ukraine: Es war kein Zufall, dass Präsident Selenskyj sich jeweils anderthalb Stunden Zeit genommen hat für ein digitales Treffen mit Wissenschaftler:innen und Studierenden der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität zu Köln. Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg.
Ganz so generisch wirkt die Entwicklung von außen nicht. Es ist nicht lange her, da herrschte in der deutschen Wissenschaft und auch beim DAAD die Auffassung vor, dass wissenschaftlicher Austausch und Internationalisierung immer und unter allen Umständen gut seien. Fragen nach Kosten, Nutzen und Grenzen wurden schon mal mit einem Stirnrunzeln beantwortet. Wurde dieser Idealismus der Realpolitik geopfert?
Das ist mir zu einfach. Die Welt ist geopolitisch in Unordnung geraten, darüber machen wir uns alle berechtigte Sorgen. Ja, es ist wichtig, sich gerade in einer solchen Welt den Idealismus und die Hoffnung zu bewahren. Denn es bleibt richtig: Der Austausch von Menschen über Kulturgrenzen hinweg ist ein Wert an sich, das Stiften interkultureller Erfahrungen und wissenschaftlicher Kooperationen zu Fragen, die uns auf diesem Planeten alle gemeinsam betreffen, ist ohne Alternative. Umgekehrt müssen wir aber anerkennen, dass anderswo Staaten, Regierungen und Regime erstarkt sind, deren Werte sich von unseren unterscheiden, und die ihre eigenen außenpolitischen Ziele verfolgen, und zwar mit großer Entschlossenheit. Auch diese Länder wollen wissenschaftliche Kooperation, aber aus Motiven, die nicht immer die unsrigen sind. Das müssen wir im Jahr 2023 bei allem, was wir als DAAD tun, im Hinterkopf haben. Sonst wären wir naiv.
"Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt."
Sie sprechen von China?
China ist ein Beispiel. Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, die Beziehungen zu einem der großen Hochschulmärkte nicht abbrechen zu lassen, zu einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen überhaupt, die auch in vielen Forschungsfeldern sehr leistungsfähig geworden ist. Wir können und werden uns nicht abschotten, wollen aber gleichzeitig für unsere eigenen Interessen und Werte einstehen. Beides übereinzubringen, ist das große Kunststück. Das gilt für die Wissenschaft und genauso für die Wirtschaft oder die allgemeine Politik, wie wir gerade an den gemeinsamen Regierungskonsultationen sehen. Das neudeutsche Wort in dem Zusammenhang lautet "De-Risking", also ein Maximieren des Nutzens von Kooperationen bei gleichzeitiger Minimierung ihres wirtschaftlichen und politischen Risikos: Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt, in der wir unsere Interessen, Ziele und Wertvorstellungen abwägen müssen mit denen der anderen, durchaus auch stärker auftretenden Seite.
Wie schafft man dieses Abwägen?
Bleiben wir bei China. Wenn wir für unser gemeinsames Stipendienprogramm die Bewerber:innen interviewen, wollen wir beim DAAD diese Gespräche aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aufzeichnen. Die Chinesen aber wollen das. Also was tun, damit wir unsere Zusammenarbeit nicht beerdigen müssen? Wir haben uns verständigt, dass der DAAD das Auswahlverfahren nach seinen Standards durchführt und die Chinesen nach ihren. Und am Ende werden diejenigen gefördert, die auf beiden Ergebnislisten stehen.
Das hört sich so an, als hätten die chinesischen Bewerber in der Praxis wenig davon, wenn Sie demonstrativ demokratische Werte beschwören.
Das sehe ich anders. Wir haben das Ziel, das gemeinsame Förderprogramm fortzuführen – unter vertretbaren Bedingungen, ohne von unseren Standards abzulassen. Wir müssen aber anerkennen, dass die andere Seite auch ihre Grundsätze hat.
Bevor Sie demnächst in Ihre zweite Amtszeit gehen, die Frage: Ist irgendetwas von dem, was Sie sich Ende 2019 für Ihre erste Amtszeit vorgestellt hatten, nicht von der Realität überholt worden?
Ich habe damals drei inhaltliche Schwerpunkte benannt, und ich finde, alle drei haben in den vier Jahren an Bedeutung gewonnen. Als ich Ende 2019 von einem digitalen Erasmussemester sprach, wurde ich von vielen belächelt; seit der Pandemie ist dies anders. Wie wichtig zweitens die Festigung des europäischen Hochschulraums war und ist, muss ich angesichts mancher Verwerfungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten nicht erläutern. Das dritte Thema, das ich aufrief, war das Einstehen für unsere Werte. "Im Schlafwagen werden wir die Wissenschaftsfreiheit nicht verteidigen", habe ich damals gesagt. Seitdem mussten wir beobachten, was in Afghanistan geschehen ist oder im Iran. Der größte sicherheitspolitische Schock aber war der 24. Februar 2022, der russische Angriff auf die Ukraine. Er hat uns gezeigt, dass viele der Voraussetzungen, unter denen wir akademischen Austausch betrieben haben, nicht so gottgegeben waren, wie wir annahmen in den Jahrzehnten des Friedens und der relativen Stabilität in Europa. Insofern kann ich meinen Schlafwagen-Satz heute nur wiederholen.
"Die Digitalisierung kam schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet."
Bei der Digitalisierung ging es Ihnen damals um Nachhaltigkeit und die klimapolitischen Folgen des akademischen Austauschs.
In der Tat: Kein halbes Jahr, nachdem ich das gesagt habe, brach die Corona-Pandemie aus, die Studierenden konnten nicht mehr an ihre Gastuniversität reisen. Stattdessen nahmen sie an der Online-Lehre teil und erhielten trotzdem ihre Erasmus-Förderung oder ihr DAAD-Stipendium. Die Digitalisierung kam also schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet. Diese Erfahrung können wir jetzt nutzen: Wenn die Hochschulen aus Nachhaltigkeitsgründen die physische Mobilität verringern wollen, können sie auf die bereits vorhandenen Konzepte zurückgreifen.
Allerdings gab es in der Corona-Zeit auch viel zusätzliches Geld. Jetzt fordern Pandemie und Ukraine-Krieg ihren haushaltspolitischen Tribut. Vergangenes Jahr haben Sie sich noch erfolgreich gegen Kürzungen beim DAAD gewehrt, gelingt Ihnen das auch dieses und nächstes Jahr?
Meine Universität in Gießen etwa bekommt wie alle hessischen Hochschulen von der Landesregierung eine für fünf Jahre feste Finanzierung und jährliche Steigerungsraten zugesichert. Vergleichbares kennen wir auf Bundesebene leider nicht. Der DAAD muss immer von Jahr zu Jahr wirtschaften und jedes Jahr um eine auskömmliche Finanzierung kämpfen. Zum Glück haben wir die guten Argumente auf unserer Seite, und wir sind hartnäckig darin, sie vorzubringen. Dadurch konnten wir 2022 den Bundestag dazu veranlassen, uns für 2023 ein Rekordbudget zu bewilligen. Für 2024 bin ich daher auch nicht hoffnungslos. Vor wenigen Wochen erst hat das BMBF die Förderung für unser Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) verdoppelt. Die Wahrheit ist aber: All das bietet keinerlei Garantien für 2024.
Was haben Sie den DAAD-Mitgliedshochschulen für Ihre zweite Amtszeit als Schwerpunkte genannt?
Was ich jetzt sage, ist der Plan. Ob die Realität dann eine große Planungstreue zeigt, muss man sehen. Aus heutiger Sicht aber ist ein Fokus der nächsten vier Jahre die Erstellung einer neuen DAAD-Strategie, von der wir noch klären müssen, ob sie als Horizont das Jahr 2030 oder das Jahr 2035 hat. In jedem Fall wird sie sich dezidiert mit den geopolitischen Verwerfungen befassen, aber auch mit Fragen der Wissenschaftskommunikation und mit dem Beitrag, den wir bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten können. Sie soll pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum fertig sein, das der DAAD 2025 feiert. Ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken, aber eben auch nach vorn – mit den Erfahrungen von einem Jahrhundert Austausch im Gepäck und mit einer neuen Strategie für die Welt der 20er und 30er Jahre.