Potentiale und Perspektiven des Transfers von Wissensprodukten in den deutsch-russischen Beziehungen
In: Wirtschaft
Inhaltsangabe: Die Russische Föderation ist reich an Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Insbesondere in Zusammenhang mit der weltweit hohen Nachfrage nach Rohstoffen und steigenden Ölpreisen wächst die russische Wirtschaft dynamisch. 2006 betrug das inflationsbereinigte Wirtschaftswachstum knapp 7%. Das stetige Wachstum hat nach jahrelangem Transformationschaos zu einer wirtschaftlichen und politischen Wiedererstarkung Russlands geführt. Jedoch sind die positive russische Wirtschaftsentwicklung und die damit in Zusammenhang stehenden sozialen Reformen zur Verbesserung der Lage des Landes stark abhängig von der Energie- und Rohstoffindustrie. Die langfristige wirtschaftliche nationale und internationale Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit sowie die nationale Stabilität des Landes erfordern eine Diversifikation der Wirtschaftsstruktur. Im Kontext der Globalisierung und Wissensgesellschaft kommt dem Aufbau wissensintensiver Industrien dabei eine besondere Bedeutung zu. Zwar verfügt Russland über eine bereits vorhandene, gut aufgestellte technologische und wissenschaftliche Infrastruktur, aber es fehlt an neuem, aktuell notwendigem und zukünftig wichtigem Know how. In den meisten Schlüsselindustrien der russischen Wirtschaft fehlen sowohl die technologischen als auch die personellen Grundvoraussetzungen zu einer Modernisierung der veralteten Strukturen. Die vorliegende Arbeit knüpft hier an. Sie analysiert den Wissensbedarf der russischen Wirtschaft und beschreibt ansatzweise die Akquirierung notwendigen Wissens in Form des Transfers von Wissensprodukten am Beispiel der Region Nischni Nowgorod. Problemstellung: Das theoretische Grundprinzip der Arbeit ist der ökonomische Markt als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage und dem Austausch von Gütern. Als Gut wird dabei die Ressource Wissen verstanden. Im Kontext der Arbeit wird Wissen als Produkt betrachtet und eine Unterscheidung impliziter und expliziter Wissensprodukte vorgenommen. Das ermöglicht die Beobachtung des Austauschs von Wissen innerhalb und außerhalb von Orga-nisationen sowie zwischen Volkswirtschaften. Der Fokus wird im weiteren Verlauf auf den Nachfrager, in diesem Fall allgemein die Russische Föderation, gelegt. Um Aussagen über die Nachfrage treffen zu können, wird der Wissensbedarf analysiert. Die Analyse erfolgt mittels der Erstellung eines Ist-Wissensprofils der russischen Wirtschaft und eines Soll-Wissensprofils ausgewählter Branchen in der Region Nischni Nowgorod. Das Ist-Wissensprofil wird auf der Basis einer allgemeinen Situationsanalyse der Russischen Föderation unter Zuhilfenahme dominanter wirtschaftlicher, politischer, soziokultureller und historischer Faktoren angefertigt. Ausgehend davon werden Stärken, Schwächen, Gefahren und Chancen der russischen Wirtschaft in Bezug auf Wissensinhalte im Allgemeinen geschlussfolgert. Die Erstellung des Ist-Wissensprofils auf nationaler bzw. staatlicher Ebene ermöglicht die Betrachtung allgemein-russischer Wissenspotentiale, die sich aus den benannten dominanten Faktoren ergeben. Die Größe des Landes, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstufen der russischen Regionen und die Vielfalt der wirtschaftlichen Branchen lassen allgemeine Aussagen über wirtschaftliche Wissenspotentiale und Wissensdefizite jedoch nur bedingt zu. Daher wird das Soll-Wissensprofil über das bereits vorhandene und fehlende zukünftige Erfolgswissen am Beispiel dreier strategischer Prioritätsindustrien im Gebiet Nischni Nowgorod erstellt. Davon ausgehend können detaillierte Schlussfolgerungen zum Wissensbedarf auf Organisations- und Wissensträgerebene in ausgewählten Branchen in der Region Nischni Nowgorod gemacht werden. Die Region ist u.a. interessant, da sie nah an den russischen Boomregionen Moskau und St. Petersburg gelegen ist, aber einen Blick über diese hinaus in das "übrige" Russland zulässt. Nach Analyse der Nachfragesituation ist der Austausch bzw. Transfer von Wissensprodukten als eine Maßnahme zur Deckung des belegten Wissensdefizits beobachtbar. Die Beobachtung erfolgt durch Beschreibung der Aktivitäten ausländischer Unternehmen mit deutscher Beteiligung am Beispiel der Firmen EagleBurgmann und Trosifol in der Region Nischni Nowgorod. Der Ebenenwechsel von staatlich zu regional bei der Erstellung der Wissensprofile ermöglicht, über die Aussagen zum Wissensbedarf in den strategischen Prioritätsbranchen in der Region Nischni Nowgorod hinaus, auch Schlussfolgerungen zu einem möglichen nationalen Wissensbedarf der russischen Wirtschaft. In Zusammenhang mit den Beobachtungen zum Wissenstransfer werden daher schließlich Potentiale, Perspektiven und mögliche Gefahren des Transfers von Wissensprodukten vorwiegend auf staatlicher Ebene für Russland und für Deutschland betrachtet. Hinzu kommen Grenzen der Untersuchung und weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten. Ziel der Arbeit ist es, begründete Aussagen über mögliche vorhandene Wissensdefizite in der russischen Wirtschaft zu tätigen und die Potentiale, Perspektiven und Gefahren des Transfers von Wissen im Kontext der deutsch-russischen Beziehungen herauszustellen. Die Fragestellungen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, beziehen sich zum einen auf den Transfer von impliziten und expliziten Wissensprodukten, zum anderen auf die strategischen Optionen des Wissenstransfers in den deutsch-russischen Beziehungen. Wissen hat die besondere Eigenschaft bei kompetenter Anwendung potentiell zu wachsen und sich zu verbreiten. So ist zu untersuchen, worin die Vorteile bzw. der Nutzen des Transfers von Wissensprodukten zwischen Organisationen bzw. Volkswirtschaften für den Anbieter, in diesem Falle Deutschland, bestehen und ob der Austausch von Wissensprodukten z.B. gegen Geld oder Rohstoffe langfristig nicht von größerem Nutzen für den Nachfrager, in diesem Falle Russland, ist. Ebenso ist zu klären, welche grundlegenden Voraussetzungen beim intraorganisationalen und interkulturellen Wissenstransfer zu berücksichtigen sind. Gang der Untersuchung: Die Arbeit ist ausgehend von ihrer Fragestellung und Bearbeitung forschend und klärend angelegt auf der Grundlage empirischer Erhebungen und sekundärer Daten. Als qualitative Erhebungsmethode zur Datensammlung wurde eine unstrukturierte teilnehmende Beobachtung in Kombination mit Gesprächen gewählt. Die daraus gewonnen Erkenntnisse sind durch sekundäre Daten belegt worden, um so ein möglichst objektives Bild zu erhalten. Die teilnehmende Beobachtung, auch durch ein allgemeines offenes und ungerichtetes Erkenntnisinteresse unabhängig von der Erforschung und Klärung des benannten Themas begründet, fand in Form wiederholter Reisen nach Russland, längerer Aufenthalte für Praktikum und Studium, das Schließen vieler persönlicher Kontakte und damit einem Eintauchen in die Lebenswelten der Bevölkerung in Zentralrussland statt. Die bereits benannte Situationsanalyse ist als diagnostischer Prozess zu verstehen, der die wichtigsten Merkmale für das Verstehen des "Systems Russland" beschreibt. Im Verlauf des Diagnoseprozesses gelingt unter Zuhilfenahme des integrierten 7-S-Modells die Fokussierung auf mehrere zentrale Systemfaktoren, anhand derer grundlegende Prozesse und Modelle aufgedeckt werden. Das inte-grierte 7-S-Modell spiegelt in den Elementen System, Strategie, Struktur, Fähigkeiten, Kultur, Menschen, Vision und Umwelt die wichtigsten politischen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren bzw. Variablen unterschiedlicher Teilsysteme auf eine Gesamtsituation wider. Die Diagnose dominanter Strukturen in der Russischen Föderation und die sich daraus ergebenen Schlussfolgerungen sowie die Beobachtungen zum Wissenstransfer sind dabei auch als abhängig vom Diagnostiker zu verstehen. Bei der Bearbeitung des Themas ist der Schwerpunkt insbesondere auf die Russische Föderation gelegt worden. Als "Nicht-Russe" ist dem entsprechend zwar eine teilnehmende, dennoch aber nur externe Betrachtung aus der Perspektive der Fremdbeobachtung möglich gewesen. Zum einen ist dadurch Unvoreingenommenheit, Neutralität und ein verstärktes Bewusstsein für soziale Prozesse gewährleistet, zum anderen kann die Datenerhebung aber durch Exklusion erschwert werden. Das gewählte Forschungsfeld, insbesondere im Kontext des Wissenstransfers, ist recht schwer zugänglich, da in Russland der für die empirische Datenerhebung notwendige Zugang zu Unternehmen und Organisationen meist nur durch persönliche Kontakte oder aber durch monetäre Zuwendungen realisierbar ist. Besonders bei letzterem ist die Qualität der preisgegebenen Informationen meist nicht zufriedenstellend. Durch die gewählte Erhebungsmethode und eine intuitiv-induktive Vorgehensweise zur Erkenntnisgewinnung konnte der Zugang zu notwendigen Daten und Informationen größtenteils gewährleistet werden. Die Daten bezüglich der ausländischen Aktivitäten in der Region Nischni Nowgorod zur Erstellung des Soll-Wissensprofils und die Beobachtungen zum Wissenstransfer wurden vorwiegend während eines Praktikums in einem formal russischen Unternehmen mit deutschem Management sowie durch initiierte Treffen und Gesprächsrunden mit deutschen und russischen Geschäftsleuten erhoben. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sind die zum Teil unabhängig vom Thema bereits erhobenen Daten mit demselben abgeglichen bzw. integriert worden, beispielsweise durch das Aufstellen lokaler und zeitlicher Begrenzungen. Der Forschungs- und Klärungsprozess, unter anderem mithilfe qualitativer Datenerhebung, ist iterativ ausgelegt. Ausgehend von der Konzipierung und Klärung der Ressource Wissen über die Erstellung eines Ist- und Soll-Wissensprofils der russischen Wirtschaft und ausgewählter Branchen in der Region Nischni Nowgorod bis hin zu praktischen Beispielen deutscher Aktivitäten zur Deckung von Wissensdefiziten werden Ergebnisse und Schlussfolgerungen generiert, auf Grundlage derer Perspektiven und Potentiale des Transfers von Wissensprodukten in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen formuliert werden können.