Einleitung: Masern, Mumps und Röteln sind weltweit verbreitete Kinderkrankheiten. Laut Zielvorgaben der World Health Organization (WHO) sollten bis 2015 die Masernviren eradiziert und die Inzidenzen für Mumps und Röteln deutlich vermindert sein. Trotz der beträchtlichen Senkung der Erkrankungszahlen nach der Einführung der jeweiligen Impfungen in den 1970 Jahren kommt es bis heute, sowohl national als auch international zu lokalen Ausbrüchen der Krankheiten. Dabei sind immer häufiger junge Erwachsene betroffen, deren Komplikationsrate bei allen drei Viruserkrankungen im Vergleich zu Kindern deutlich höher liegt. Dies erhöht die Brisanz im Falle eines Ausbruches und führt dazu, dass es auch heute noch in Deutschland vereinzelt zu Todesfällen im Fall von Masern kommt und auch dass nicht wenige Menschen an den Spätfolgen dieser drei impfpräventablen Erkrankungen leiden. Ziele der Untersuchungen: Die Zielstellung der vorliegenden Arbeit war es, die Immunitätslage von 18 bis 29 jährigen Angestellten des Universitätsklinikums Leipzig gegen diese drei viralen Erreger zu bestimmen und im Kontext mit dem Impfstatus der Probanden zu stellen. Zudem sollte untersucht werden, ob auch heute noch die historischen Veränderungen der Impfregime durch die Wiedervereinigung und die Unterschiede bei den untersuchten sogenannten "Wendekindern" nachgewiesen werden können. Des Weiteren sollten die Verlässlichkeit der diagnostischen Parameter über die Beurteilung des Immunstatus bewertet werden. Materialien und Methoden: Es standen insgesamt über 500 Serumproben zur näheren Auswertung zur Verfügung. Mittels ELISA-Test wurde die jeweils spezifische IgG-Konzentration gegen Masern, Mumps und Röteln ermittelt. Zudem wurden die virusspezifischen Aviditäten von IgG-Antikörpern bestimmt und durch die Anfertigung von Neutralisationstesten (NT) auch deren neutralisierende Wirkung untersucht. Von 326 Probanden wurde die Impfanamnese ermittelt und analysiert. Ergebnisse: Bei keiner der drei Viruserkrankungen wurde in der untersuchten Altersgruppe der 18-29 Jährigen die Seroprävalenz von 95% erreicht, welche notwendig ist, um nachhaltig eine Eindämmung der viralen Erreger in einer Population erreichen zu können. Der Immunstatus der untersuchten Probandengruppe fiel gegen Masern (90,5% IgG-positiv) am besten aus, gefolgt von dem Röteln- (87,1% IgG-positiv) und dem Mumps-Immunstatus (81,6% IgG-positiv). Eine Abnahme der Antikörperkonzentrationen in dem zeitlichen Verlauf nach einer Impfung konnte in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. Bei den vor mehr als 10 Jahren gegen das jeweilige Virus Geimpften sank der Anteil an Seropositiven um 7,4% (Masern und Röteln) bzw. 8,1% (Mumps) im Gegensatz zu den Probanden, die ihre letzte Impfung vor weniger als 10 Jahren erhalten hatten. Die unterschiedlich durchgeführten Impfregime vor und nach der Wiedervereinigung waren in der untersuchten Probandengruppe noch gut zu erkennen. Bei den Geburtsjahrgängen vor 1990 waren die Impfquoten um durchschnittlich 15% niedriger als bei den Jahrgängen ab 1990. Aufgrund der erhöhten Wildviruszirkulation vor 20 Jahren zeigten die älteren Jahrgänge dennoch einen ähnlich hohen Antikörperstatus, wie die Jüngeren. Auch die Auswertung der Aviditätsindices und der NT-Titer im zeitlichen Abstand zu der zuletzt erhaltenen Impfung ergab einen Hinweis auf die Boosterung der Immunität gegen den jeweiligen viralen Erreger durch den Kontakt der Probanden mit Wildvirus. Die Korrelation zwischen den diagnostischen Parametern IgG-Konzentration, Avidität und Neutralisationstiter ließen sich am besten bei den Masern- und den Rötelnwerten erkennen. Die Zusammenhänge bei Mumps waren im Vergleich zu den anderen beiden viralen Erregern gering. Die Abhängigkeit von der Impfanamnese konnte bei allen drei viralen Erregern nur bei den IgG-Konzentrationen festgestellt werden. Ein Zusammenhang zwischen Impfstatus und Höhe der Aviditätsindices bzw. Neutralisationstiter lag nicht vor. Schlussfolgerungen: Sowohl der Immun- als auch der Impfstatus der untersuchten jungen Erwachsenen (18 29 Jahre) ist für eine nachhaltige Eindämmung des Masern-, Mumps- und des Rötelnvirus nicht ausreichend. Die Bestimmung der IgG-Konzentration als Routinediagnostikum für die Erhebung eines Immunstatus ist bei allen drei Viren nur mit Einschränkungen geeignet. Die Durchführung von Neutralisationstesten, insbesondere gegen Mumps, ist Goldstandard für die Bestimmung einer Immunitätslage.:1. Einleitung 1 2. Literaturübersicht 4 2.1 Erkrankungsbilder Masern, Mumps und Röteln 4 2.1.1 Masern 4 2.1.2 Mumps 5 2.1.3 Röteln 5 2.2 Historie der Impfregime 6 2.2.1 Impfregime in der DDR und in der BRD vor 1990 6 2.2.2 Impfungen nach der Wiedervereinigung bis heute 7 2.2.3 Konzept "Gesundheit für alle" der WHO 8 2.2.4 Impfstrategien in anderen Ländern 9 2.2.5 Impfmüdigkeit und Impfgegner 10 2.3 Epidemiologische Situation in Deutschland 12 2.3.1 Meldepflicht 12 2.3.2 Erkrankungszahlen und Inzidenzen 13 2.4 Fragestellung 20 3. Material und Methoden 21 Material 21 Methoden 28 3.1 Probenmaterial 28 3.2 Zellkultur 28 3.2.1 Zellkultivierung 28 3.2.2 Zellzahlbestimmung 29 3.2.3 Einfrieren und Auftauen von Zellen 30 3.2.4 Mykoplasmentest mittels DNA-Färbung 30 3.2.5 Mykoplasmennachweis mittels PCR 32 3.2.6 Gelelektrophorese 33 3.3 Stockvirus 34 3.3.1 Herstellung von Stockvirus 34 3.3.2 Titerbestimmung mittels Plaqueassay 35 3.3.3 Titerbestimmung mittels Endpunkttitration 36 3.4 IgG-ELISA 36 3.5 Aviditäts-Bestimmung 37 3.6 Neutralisationsteste 38 3.6.1 Masern Mikroneutralisationstest 38 3.6.2 Mumps Mikroneutralisationstest 39 3.6.3 Mumps Focus Reduktions-Neutralisationstest 39 3.6.4 Röteln Plaque Reduktions-Neutralisationstest 41 3.7 Statistische Auswertung 42 3.7.1 Erfassung von Korrelationen 42 3.7.2 Erfassung von statistischer Signifikanz 42 4. Ergebnisse 43 4.1 Destriktive Auswertung der verwendeten Serumproben 43 4.2 Immunstatus der untersuchten Probanden 44 4.2.1 Spezifische Antikörper-Konzentrationen gegen Masern, Mumps und Röteln 44 4.2.2 Spezifische Aviditätsindices gegen Masern, Mumps und Röteln 49 4.2.3 Neutralisierende Antiköper gegen Masern 52 4.2.4 Neutralisierende Antiköper gegen Mumps 54 4.2.5 Neutralisierende Antiköper gegen Röteln 58 4.3 Zusammenhänge der diagnostischen Parameter 59 4.3.1 Korrelationen zwischen IgG und Avidität 59 4.3.2 Korrelationen zwischen IgG und NT 61 4.3.3 Korrelationen zwischen Avidität und NT 63 4.4 Impfstatus 63 4.5 Zusammenhang Immunstatus und Impfanamnese 67 5. Diskussion 73 5.1 Unzureichender Serostatus der Probanden 73 5.2 Geschlechterunterschiede in der Immunitätsausbildung 75 5.3 Grenzwert-Diskussion 76 5.4 Zusammenhänge zwischen den diagnostischen Parametern 77 5.5 Unzureichende Impfquoten der Probanden 79 5.6 Waning-Effekt der Antiköper-Konzentrationen 80 5.7 Unterschiede in der Effektivität der Impfstämme 83 5.8 Wildviruskontakt versus Impfimmunität 85 6. Zusammenfassung 87 7. Summary 89 Literaturverzeichnis 91 Abbildungsverzeichnis 103 Tabellenverzeichnis 107 Danksagung 108 ; Introduction: Measles, mumps and rubella are worldwide occurring childhood diseases. World Health Organization (WHO) declared the goal of measles eradication by 2015 and significant reduction of the incidence of mumps and rubella. Despite the substantial decrease after implementation of vaccination, there are still yearly outbreaks of the three infections on national and international level. At the same time, more often young adults are affected by all three viral diseases and their rate of complications is significantly higher than children. The explosive nature of the diseases leads to the fact that, even in Germany people die of measles. Further, more than a few people suffer from long-term effects of these diseases which could be prevented by vaccination. Aim of the research: The aim of the present project was to determine the immune status against the three viral diseases. Serum samples of 18 to 29 years-old employees of the Leipzig University Hospital were analyzed and connected with vaccination status. It was also determined if the historic changes of the vaccination politics in children of German reunification can still be demonstrated. Furthermore, the reliability of the diagnostic parameters, which is routinely taken for the evaluation of the immune status of a person, was considered. Material and Methods: More than 500 serum samples were available. The IgG concentration of mumps, measles and rubella was determined using routine ELISA assay. Furthermore, the specific antiviral IgG antibody avidity as well as their ability to neutralize viral infectivity (neutralization test) the vaccination history was recorded and analyzed. Results: The results show, that in none of the three diseases seroprevalence of >95% could be achieved which would be necessary for the sustainably containment of the viral pathogens in a population. In the examined cohort immunity against measles (90,5% IgG positive) was somewhat higher than against rubella (87,1% IgG positive) and mumps (81,6% IgG positive). A decrease in the antibody concentration could be demonstrated in the present paper when comparing the immune response in person with vaccination history of less than 10 years and those with last vaccination more than 10 years back. The seropositive rates decreased 7,4% (measles and rubella) or 8,1% (mumps). The different vaccination regimes before and after German reunification were still apparent. The vaccination rates from the birth cohort before 1990, was by an average of 15% lower than the cohorts from 1990. Due to the higher circulation of wild virus before 20 years ago, the older age groups had a similar status of antibodies than the younger group. Also, the analysis of the avidity and neutralization titer in the relationship of the period of time between the collection of data and the last obtained vaccination indicated booster of immunity by contact occult immunization ("stille Feiung"). The correlation between the diagnostic parameters, i.e. IgG concentration, avidity and neutralization assay, was best for measles and rubella. The relationships of mumps were lower than both the other viral pathogens. Only the IgG concentration from all three viruses correlated with the vaccination history. A relationship between the vaccination and the level of avidity or neutralization titers did not exist. Conclusion: The immune status and also the vaccination status from the investigated young adults (18 29 years) is not sufficient for the containment of measles, mumps and rubella. The determination of IgG concentration for surveillance of immunity all three viruses is of limited value. Particularly in case of mumps a neutralization assay appear indispensable.:1. Einleitung 1 2. Literaturübersicht 4 2.1 Erkrankungsbilder Masern, Mumps und Röteln 4 2.1.1 Masern 4 2.1.2 Mumps 5 2.1.3 Röteln 5 2.2 Historie der Impfregime 6 2.2.1 Impfregime in der DDR und in der BRD vor 1990 6 2.2.2 Impfungen nach der Wiedervereinigung bis heute 7 2.2.3 Konzept "Gesundheit für alle" der WHO 8 2.2.4 Impfstrategien in anderen Ländern 9 2.2.5 Impfmüdigkeit und Impfgegner 10 2.3 Epidemiologische Situation in Deutschland 12 2.3.1 Meldepflicht 12 2.3.2 Erkrankungszahlen und Inzidenzen 13 2.4 Fragestellung 20 3. Material und Methoden 21 Material 21 Methoden 28 3.1 Probenmaterial 28 3.2 Zellkultur 28 3.2.1 Zellkultivierung 28 3.2.2 Zellzahlbestimmung 29 3.2.3 Einfrieren und Auftauen von Zellen 30 3.2.4 Mykoplasmentest mittels DNA-Färbung 30 3.2.5 Mykoplasmennachweis mittels PCR 32 3.2.6 Gelelektrophorese 33 3.3 Stockvirus 34 3.3.1 Herstellung von Stockvirus 34 3.3.2 Titerbestimmung mittels Plaqueassay 35 3.3.3 Titerbestimmung mittels Endpunkttitration 36 3.4 IgG-ELISA 36 3.5 Aviditäts-Bestimmung 37 3.6 Neutralisationsteste 38 3.6.1 Masern Mikroneutralisationstest 38 3.6.2 Mumps Mikroneutralisationstest 39 3.6.3 Mumps Focus Reduktions-Neutralisationstest 39 3.6.4 Röteln Plaque Reduktions-Neutralisationstest 41 3.7 Statistische Auswertung 42 3.7.1 Erfassung von Korrelationen 42 3.7.2 Erfassung von statistischer Signifikanz 42 4. Ergebnisse 43 4.1 Destriktive Auswertung der verwendeten Serumproben 43 4.2 Immunstatus der untersuchten Probanden 44 4.2.1 Spezifische Antikörper-Konzentrationen gegen Masern, Mumps und Röteln 44 4.2.2 Spezifische Aviditätsindices gegen Masern, Mumps und Röteln 49 4.2.3 Neutralisierende Antiköper gegen Masern 52 4.2.4 Neutralisierende Antiköper gegen Mumps 54 4.2.5 Neutralisierende Antiköper gegen Röteln 58 4.3 Zusammenhänge der diagnostischen Parameter 59 4.3.1 Korrelationen zwischen IgG und Avidität 59 4.3.2 Korrelationen zwischen IgG und NT 61 4.3.3 Korrelationen zwischen Avidität und NT 63 4.4 Impfstatus 63 4.5 Zusammenhang Immunstatus und Impfanamnese 67 5. Diskussion 73 5.1 Unzureichender Serostatus der Probanden 73 5.2 Geschlechterunterschiede in der Immunitätsausbildung 75 5.3 Grenzwert-Diskussion 76 5.4 Zusammenhänge zwischen den diagnostischen Parametern 77 5.5 Unzureichende Impfquoten der Probanden 79 5.6 Waning-Effekt der Antiköper-Konzentrationen 80 5.7 Unterschiede in der Effektivität der Impfstämme 83 5.8 Wildviruskontakt versus Impfimmunität 85 6. Zusammenfassung 87 7. Summary 89 Literaturverzeichnis 91 Abbildungsverzeichnis 103 Tabellenverzeichnis 107 Danksagung 108
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Im November will das BMBF endlich sein Konzept zur Deutschen Agentur für Transfer und Innovation vorlegen. Eine interne Arbeitsversion verrät jetzt, wie die Neugründung aussehen könnte.
DIE RESONANZ war atemberaubend. 2.965 Skizzen gingen bis zum Antragsschluss Ende August beim Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) ein. So viele Projekte hoffen auf Zuschlag bei der "Innovationssprints" genannten ersten Förderlinie von "DATIpilot", mit der das Ministerium die Gründung der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation vorbereiten will. Über ein Drittel davon stammten von Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW), wie BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger und ihr zuständiger Staatssekretär Mario Brandenburg (beide FDP) Ende September in einem Brief an alle Ampel-Bundestagsabgeordneten berichteten.
Auch sonst sind es gerade entscheidende Wochen für die DATI. So eilig es Ex-Staatssekretär Thomas Sattelberger mit der Präsentation eines ersten, "Grobkonzept" genannten Entwurfs zur Gestaltung der Agentur im März 2022 hatte, so viel Zeit hat sich sein Nachfolger Brandenburg mit der Ausarbeitung des endgültigen Konzepts gelassen.
Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass es in Kürze so weit sein wird: In einer mir vorliegenden "internen Arbeitsversion" des Konzepts heißt es, die Ressortabstimmung und die anschließend geplante Kabinettsbefassung seien "für November 2023" geplant, ebenso die Entsperrung von 35,4 DATI-Millionen durch den Haushaltsausschuss des Bundestages. Da dieser dafür zwingend die Vorlage eines "schlüssigen Konzepts" verlangt hatte (das man in Sattelbergers Vorarbeiten nicht sah), arbeiten sie im BMBF in diesen Tagen mit Hochdruck an dessen finaler Fassung.
"Agile Strukturen" und weitgehende "Unabhängigkeit"
Die aktuell kursierende Arbeitsversion, datiert auf den 27. September, gibt bereits wichtige Anhaltspunkte zum vorgesehenen Budget der Agentur, ihrem Aufbau und den angedachten Freiheitsgraden. Auffällig zurückhaltend sind die 20 Seiten dagegen bei der Beschreibung der geplanten Prozesse für die Fördermittelvergabe.
Innovationsagenturen nach internationalem Vorbild benötigten "agile Strukturen und weitgehende organisatorische und programmatische Unabhängigkeit", beschwört der Konzeptentwurf gleich zu Beginn mit Verweis auf die Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND) und die Cyberagentur (wobei das ganz und gar nicht agile politische Gezerre um deren Gestaltung hoffentlich nicht vorbildlich sein wird für die Aufstellung der DATI).
2023 waren laut Haushaltsansatz insgesamt 50 Millionen Euro für die DATI vorgesehen, von denen, siehe oben, der größte Teil aber bislang gesperrt ist. Und auch wenn der Haushaltsausschuss im November das Geld freigeben sollte, wird voraussichtlich dieses Jahr nur noch ein Bruchteil davon gebraucht. Denn die Gründung soll laut Konzeptentwurf erst im ersten Quartal 2024 mit einem "Antragsverfahren zur Beteiligung des Bundes an privatrechtlichen Unternehmen" starten, und auch die Bearbeitung der fast 3.000 "DATIpilot"-Antragskizzen wird dauern.
Der größte Budgetsprung kommt erst nach der nächsten Bundestagswahl
Im nächsten Jahr sollen laut Ampel-Haushaltsentwurf insgesamt 78,8 Millionen Euro für die DATI fließen, 2025 dann 124,5 Millionen Euro. Der größte Sprung, so steht es im internen BMBF-Papier, soll 2026 folgen – rauf auf rund 250 Millionen Euro pro Jahr.
Was auch bedeutet: Das meiste Geld für die Agentur würde (wie praktisch für Ampel-Finanzpolitiker!) erst in den Haushalten der nächsten Bundesregierung fällig. Einerseits nachvollziehbar, denn der Aufbau einer neuen Institution kostet Zeit. Entsprechend lange dauert es, bis die DATI in der Lage sein wird, große Mengen an Fördergeld sinnvoll auszugeben.
Andererseits hätte man von Anfang an schneller sein können: Mehr als anderthalb Jahre von Sattelbergers "Grobkonzept" bis zur geplanten Einreichung des endgültigen Konzepts beim Haushaltsausschuss ist ein sehr langer Zeitraum, der sich nicht allein mit Verweis auf die umfangreiche – und sehr sinnvolle – Community-Beteiligung etwa in Form sogenannter Stakeholder-Dialoge rechtfertigen lässt.
Gleichzeitig warben Stark-Watzinger und Brandenburg in ihrem Brief an die Bundestagsabgeordneten aber bereits jetzt – wenig klausuliert – um eine Erhöhung des Haushaltsansatzes für 2024. Mit Verweis auf das "großartige Feedback", die knapp 3.000 Antragsskizzen, schrieben die beiden FDP-Politiker: "Diese überwältigende Resonanz erfordert eine angemessene Antwort. Wir werden nun die ursprünglich geplante Förderung substanziell ausweiten, eine gebührende Förderquote anstreben und so ein wichtiges Signal für den Innovationsstandort Deutschland senden." Und weiter: "Mit Ihnen gemeinsam möchten wir darauf hinwirken, dass aus den vielen Ideen möglichst zahlreiche innovative Lösungen entwickelt werden, die die Menschen schließlich erreichen."
Nicht nur regional verankert: Wie das BMBF sich die DATI-"Innovationscommunities" vorstellt
Die DATI-Pilotlinien gelten wie schon vor der SPRIND-Gründung einerseits als Strategie des BMBF, um die lange Wartezeit bis zum Arbeitsstart der Agentur zu überbrücken. Andererseits will man so bereits Erfahrungen sammeln, wie das spätere Fördergeschäft der Agentur laufen könnte: etwa wie man mit einer solchen Antragsflut umgeht, die aktuell ganze Referate im BMBF lahmzulegen droht – und welche Fehler man dort vermeiden sollte.
Die Erfüllung des BMBF-Wunschs nach mehr DATI-Geld wird wiederum vor allem von der Bewertung dessen abhängen, was in dem DATI-Konzept steht, das der Haushaltsausschuss bekommen soll. Vier künftige Aufgabenfelder beschreibt die "interne Arbeitsversion" für die künftige DATI: Erstens soll sie die Transfercommunity aktivieren und vernetzen, zweitens zu Förderangeboten beraten, dabei soll sie mit Coaching und Weiterbildungsangebote in die Szene hineinwirken.
Besonders profitieren von den ersten beiden Aufgabenfeldern könnten laut Entwurf weniger forschungs- und drittmittelaffine HAW.
Die dritte Kernaufgabe der neuen Agentur soll logischerweise das Fördergeschäft sein in Auf- und Ausbau, Begleitung und Entwicklung von "Innovationscommunities". Diese werden, anders als Sattelbergers "Regionen" im Vorkonzept, jetzt als "Zusammenschlüsse von Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und dem öffentlichen Sektor mit gemeinsamer Zielsetzung" definiert. Wobei sie sich zwar durch einen "regionalen Nukleus von Akteuren" auszeichnen, aber auch "überregionale und internationale Vernetzungen" Teil der Community sein können, "wenn dies zur Lösung der jeweilig thematisch adressierten Herausforderung beiträgt". Konsortialführer sollen wissenschaftliche Einrichtungen, "inbesondere" HAW sein.
Viertens und übergreifend soll sich die DATI um die "Weiterentwicklung der Förderung von Transfer und Innovation" kümmern, vor allem im Rahmen der Dokumentation und Weiterverbreitung von "Best Practices".
Die besondere Rolle der HAW wird gleich mehrfach betont
Als Organisationsgrundsätze für die DATI werden in der internen Arbeitsversion des Konzepts genannt: eine Themenoffenheit mit einem "breiten Innovationsbegriff, der soziale und technologische Innovationen gleichermaßen umfasst"; eine Akteursoffenheit, die auf eine "Vielfalt der Transferpartner abhebt", dabei aber das besondere Profil und "die Belange der HAW" addressiert, "um gute Zugangsmöglichkeiten zu gewährleisten".
Die besondere Rolle der HAW "aufgrund ihrer Anwendungsorientierung" wird in dem Papier gleich mehrfach betont – wohl vor allem um deren Sorgen zu zerstreuen, die Technischen Universitäten könnten ihnen, Stichwort Akteursoffenheit, die Fördermittel wegschnappen.
Weitere Organisationsgrundsätze, die der Konzeptentwurf aufzählt: eine "konsequente Bedarfs- und Serviceorientierung", "Synergien mit bestehenden Maßnahmen" schaffen, eine lernende, anpassungsfähige Organisation sein und außerdem "digital von Grund auf", "von der ersten Kontaktaufnahme, Beratung, Antragstellung, Projektbetreuung bis Projektabschluss und Monitoring".
Auch die "organisatorische Exzellenz" kommt als Grundsatz vor, die hohe Qualifikation des Personals wird ebenso beschworen wie "eine Führungskultur und Entscheidungsstruktur, die bestmöglich Mission, Vision, Impact, Wertversprechen und Organisationsgrundsätze der Agentur befördern".
Was aber, und das ist die wirklich spannende Frage, bedeuten all diese hehren Vorsätze praktisch für die Struktur der Agentur? Verkörpert sie das, was das Papier eingangs bei den internationalen Vorbildern als "weitgehende organisatorische und programmatische Unabhängigkeit" erkannt hatte?
Zurückhaltender als bei der SPRIND
Laut Konzeptentwurf soll die DATI als GmbH gegründet werden mit der Bundesrepublik als alleiniger Gesellschafterin. Sie soll einige Freiheitsgrade erhalten, etwa in Form von Gehältern fürs Führungspersonal, die außerhalb des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst liegen können. Das BMBF werde sich "nach Würdigung des jeweiligen Einzelfalls um die ggf. erforderlichen Ausnahmen vom Besserstellungsverbot bemühen", heißt es. Der SPRIND sollen übrigen laut ihrem mühsam erkämpften Freiheitsgesetz-Entwurf bald deutlich umfassendere Ausnahmen möglich werden – wobei beide Agenturen durch ihre unterschiedliche Funktionen im Innovationssystem nur bedingt vergleichbar sind.
Ihr Geld soll die DATI über einen jeweils über mehrere Jahre abgeschlossenen "Geschäftsbesorgungsvertrag" bekommen, in jährlichen Tranchen, allerdings flexibel angepasst nach den Bedürfnissen. Gleichzeitig soll die DATI "perspektivisch" bis zu zehn Prozent ihrer jährlichen Mittel zur Selbstbewirtschaftung erhalten und damit ins jeweils nächste Haushaltsjahr mitnehmen können (bei der SPRIND sind es jetzt 20 Prozent und demnächst voraussichtlich 30 Prozent). Außerdem soll, heißt es weiter vorsichtig, geprüft werden, ob das BMBF die Agentur für ihre Aufgabenwahrnehmung "beleihen" kann (die SPRIND soll auch das künftig dürfen). Das ist Voraussetzung um selbst Zuwendungsbescheide erlassen zu können.
Leiten soll die Agentur eine zweiköpfige Geschäftsführung für den wissenschaftlichen Aufgabenbereich einerseits und den administrativen andererseits. Eine Geschäftsstelle soll das Fördergeschäft übernehmen. Das geplante Beratungsgeschäft soll entweder eine eigene operative Einheit der DATI bilden oder in Form einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft als "Service Center" ausgelagert werden, wobei über die endgültige Struktur der Agentur die künftige Geschäftsführung ein entscheidendes Wort mitreden soll.
Ein Aufsichtsrat soll die Geschäftsführung "hinsichtlich Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit sowie Wirtschaftlichkeit ihrer Entscheidungen" überwachen, in die Finanz- und Unternehmensplanung einbezogen werden und sie zusätzlich beraten. Mitglieder sollen "Vertreterinnen und Vertreter des Bundes, des Deutschen Bundestags sowie weitere Mitglieder aus den Feldern Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft" sein. Außerdem soll es einen "Förderrat" geben mit externen Experten "verschiedener Fachrichtungen", wobei die HAW mit mindestens 25 Prozent der Mitglieder "angemessen repräsentiert" sein sollen.
Der Förderrat berät die Geschäftsführung laut Konzeptentwurf zur Förderstrategie und soll ihr Vorschläge zu den Förderentscheidungen machen, wofür er nach Bedarf auf externe Gutachter zurückgreifen kann oder, wo nötig, auf Mitglieder der Beratungsgremien der Bundesregierung – "beispielsweise auf die Missionspatinnen und -paten aus dem Forum #Zukunftsstrategie im Rahmen der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation".
Viel Gestaltungsspielraum bei der Förderpraxis
Zu viele Gremien? Zu viel Einfluss seitens der Politik? Fest steht: Zwei, fünf und zehn Jahre nach ihrer Gründung soll die Agentur jeweils extern evaluiert werden, wobei es zunächst vor allem um den Prozess des Aufbaus der Organisation und die Entwicklung ihrer Handlungsfähigkeit in den jeweiligen Aufgabenbereichen gehen soll.
Wer sich nach der Lektüre der 20 Seiten "interner Arbeitsversion" des Konzepts indes fragt, wie genau die Fördermittelvergabe laufen soll von der Ausschreibung über die Antragsverfahren bis hin zur Auswahl, der findet darüber hinaus wenig Hinweise. Ist das ein Problem? Eher nicht – zeigt es doch den Willen im BMBF, hier wirklich der Community viel Raum zu geben – und der künftigen Geschäftsführung.
Explizit heißt es im Papier: "Die DATI-Förderung gewährt den Communities große Gestaltungsspielräume und unterstützt durch intensive Projektbegleitung und Coaching, Nutzung von Experimentierräumen, Flexibilität in der Förderung und Projektförderung, sowie verbindliche Meilensteine mit Abbruchmöglichkeiten, die von den Communities nach fairen und transparenten Kriterien selbst definiert werden." Und: "Die DATI entwickelt darüber hinaus im Rahmen ihrer Mission proaktiv eigene, bedarfsgerechte Förderformate".
Umgekehrt interessiert natürlich den Haushaltsausschuss besonders, wie die zielgenaue Vergabe der Mittel sichergestellt wird – noch dazu im Sinne der im Konzeptentwurf beschworenen "Exzellenz". Das Papier beschränkt sich hier auf ein Bekenntnis zu einem "qualitätsgesicherten und den wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechenden wettbewerblichen Verfahren eine Bestenauslese". Die Auswahlkriterien für die Förderung sollen "insbesondere dem Ziel des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in marktfähige Innovationen, auch in sozialer und ökologischer Dimension, Rechnung tragen." Erfahrung und Expertise auf diesem Gebieten seien als zentrale, nicht auf andere Weise kompensierbare Aspekte bei der Mittelvergabe zu etablieren.
Hoffen auf die Gründungskommission
Und was genau wird aus Sattelbergers "Regionalcoaches", deren Rolle zwischen der Beratung der Communities und einer Beteiligung an den Förderentscheidungen laut Kritik aus dem Haushaltsausschuss auf Interessenkonflikte zusteuerte? Sie waren seitdem in veränderter Zuständigkeit und mit anderen Namen weiter im Gespräch. Im Entwurf des endgültigen BMBF-Konzepts kommen sie jetzt zwar explizit nicht vor, aber wohl weniger im Sinne einer Absage, sondern wiederum aus dem Versuch heraus, der Agentur in der Gründungsphase möglichst viel Bewegungsfreiheit zu erhalten.
Dabei, so die Hoffnung, soll ihr auch die kürzlich eingesetzte Gründungskommission helfen. Zwar wird deren Rolle im Papier vor allem mit der Betreuung der Prozesse zur Standortwahl und zur Findung der Geschäftsführung definiert. Doch ist über einen Standort-Kriterienkatalog und die geplante Einschaltung einer Personalberatungsagentur bereits derart viel vorstrukturiert, dass sich ein so hochkarätig besetztes Gremium wohl darauf kaum beschränken wird. Und sie soll es auch gar nicht, ist zu hören: Viel spannender werden deshalb die inhaltlichen und strategischen Impulse sein, die dort ansetzen, wo das BMBF-Konzeptpapier offenbleibt.
Noch ein Wort zum möglichen Standort. Dazu heißt es im Entwurf wörtlich: "Bevorzugt berücksichtigt werden dabei Gebiete in ostdeutschen Flächenländern" und "strukturschwachen Regionen", weitere Kriterien seien die ICE-, mindestens aber IC-Bahnanbindung, eine möglichst zentrale Lage in Deutschland und die "räumliche Nähe einer Hochschule, insbesondere einer HAW". Die SPRIND war 2020 in Leipzig gelandet.
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Wie weiter? Bund und Länder wollen diese Woche über Zukunft des HAW-Forschungsprogramms entscheiden
Selten war die Redewendung von der "Qual der Wahl" wohl so passend wie derzeit für die zuständigen BMBF-Beamten beim Durchforsten der fast 3.000 Antragsskizzen für "DATIpilot". Laut Zeitstrahl auf der Ministeriumswebsite sollten die aussichtsreichsten Bewerber spätestens im Laufe des Novembers auf regionalen "Pop-up"-Veranstaltungen ihr Projekt vorstellen (pitchen), anschließend soll dann abgestimmt werden. Doch wie reduziert man die Riesenzahl von Skizzen fair (anhand der bei der Ausschreibung genannten Kriterien) und zugleich zeitsparend auf ein für die Pitches erträgliches Maß? Umso verständlicher, dass das BMBF, siehe oben, bereits um mehr Geld für mehr Pilot-Bewilligungen wirbt.
Wissenschaftspolitisch interessant wird auch, in welcher Form die für Anfang 2024 anstehende Verlängerung Förderprogramms "Forschung an Fachhochschulen/HAW" bereits auf die DATI abgestimmt sein wird. Im Bundeshaushalt gehört das Programm seit diesem Jahr offiziell
zur DATI-Titelgruppe. Im Agenturkonzept-Entwurf steht, seine Weiterentwicklung solle "komplementär zur Ausrichtung der DATI erfolgen, um die Rolle der HAW bei Forschung, Transfer und Innovation auszubauen". Anders formuliert: Das Programm soll die HAW nach BMBF-Vorstellung strukturell konkurrenzfähiger im Wettstreit um die DATI-Förderung machen.
Ende dieser Woche trifft sich die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern, dann will man die Einigung besiegeln. Knackpunkt ist nicht nur, dass die (seit 2019 60 Millionen Euro pro Jahr) weiter allein den HAW zugute kommen sollen. Sondern genau wie bei der letzten Verlängerung Ende 2018 streiten Bund und Länder erneut um die Kostenverteilung. Damals erklärte sich der Bund noch einmal bereit, 100 Prozent zu übernehmen, dies gilt jetzt als ausgeschlossen. Es könnte auf einen 75-25-Schlüssel herauslaufen.
Inhaltsangabe:Einleitung: Relevanz des Themas: Galileo, Wunderwelt Wissen, Planetopia, Abenteuer Wissen… - diese Aufzählung von Wissenssendungen im deutschen Fernsehen ließe sich gefühlt noch unendlich weiterführen. Nicht erst seit gestern erleben solche Fernsehformate einen regelrechten Hype. Mit dem Anspruch unserer Gesellschaft nach ständiger Weiterbildung, nach 'lebenslangem Lernen', sieht sich heutzutage jeder konfrontiert. In dieser Zeit scheint das Konzept des 'Lernen mit dem Fernsehen' ein kluger und durchaus lohnenswerter Schachzug zu sein. Information wird in den Mantel der Unterhaltung gepackt und da der gemeine Konsument bekanntlich dazu neigt stets den geringsten Weg des Widerstandes zu gehen, scheint diese Marketingstrategie durchaus aufzugehen: Das Angenehme -der Fernsehkonsum- wird mit dem Nützlichen -dem Lernen- verbunden. Bernd Gäbler, Geschäftsführer des Adolf Grimme Institut, erscheint 'die Situation paradox: Während viele Bildungseinrichtungen über mangelnde Lernmotivation klagen, lässt sich im Fernsehen eine neue Bildungskonjunktur mit neuartigen medialen Wissensangeboten beobachten.' Für das Fernsehen spricht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit mithilfe einer Vielzahl von filmischen Darstellungsmitteln komplexe Inhalte anschaulich darzustellen, sie dem Zuschauer buchstäblich vor Augen zu führen. Doch dieser Vorteil wird in einigen Fällen zum Nachteil, da 'Fernsehjournalisten mittlerweile einem regelrechten Visualisierungszwang unterliegen - es müssen auch an den Stellen Bilder gezeigt werden, wo es eigentlich kein einschlägiges Bildmaterial gibt'. Auch wenn das Genre der Wissenssendungen lange Zeit ein Privileg der öffentlich-rechtlichen Sender mit Sendungen wie dem Telekolleg war, bedienen sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch die privaten Sender dieser Gattung. Gerade 'die Bedeutung der Themen und ihre Vernetzung mit fast allen gesellschaftlichen Bereichen verursachte den Boom der Wissenschaftsberichterstattung im Fernsehen und die wachsende Anzahl an Wissensformaten'. Die Konzeptionen der Sendungen beziehen sich dabei auf ganz unterschiedliche Bereiche: Während die Einen versuchen, komplexe Sachverhalte wissenschaftlich vertieft und korrekt darzustellen bzw. zu erläutern, verfolgen andere vielmehr die Taktik 'Wissenschaft light', indem mehr alltagsnahe Inhalte thematisiert und Tipps gegeben werden. Ob für Kinder oder Erwachsene, für jeden scheint etwas Passendes dabei zu sein. Dies wirft jedoch zugleich die Frage auf, ob wirklich für jeden etwas Passendes dabei ist? Bei der genaueren Betrachtung der Bandbreite an Wissenssendungen fällt auf, dass es zwar eine Vielzahl an Sendungen gibt, die explizit für Kinder konzipiert wurden, doch lässt sich dies nicht auf die jugendliche Zielgruppe übertragen. Es stellt sich die Frage, ob Wissenssendungen für Erwachsene auch für Jugendliche in Punkto Themen und Aufmachung interessant und ansprechend sind und ob vermittelte Wissensinhalte von Jugendlichen auch verstanden werden. Inwiefern wirken sich hierauf beispielsweise das Vorwissen und der Bildungshintergrund von jungen Rezipienten aus und inwieweit wird die Vermittlung von Wissen durch Parameter, wie die Art der Ansprache, die Präsentation von Lerninhalten und die Aufmachung der Sendung für jugendliche Rezipienten beeinflusst? Bemerkung: Die Grundlage der Arbeit bildet eine qualitative und quantitative Rezeptionsstudie, die im Jahr 2008 im Rahmen eines Praktikums beim Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk (IZI) konzipiert und durchgeführt wurde. Der Untersuchungsgegenstand der Studie besteht aus den beiden Sendungen Quarks Co. (WDR) und Mythbusters–Die Wissensjäger (RTL2). Untersucht wird damit je ein Repräsentant des öffentlich-rechtlichen und einer des privaten Fernsehens mit einer Sendelänge von ca. 45 Minuten. Beide Sendungen sind nicht speziell für Jugendliche konzipiert. So kommen beispielsweise keine jugendlichen Hauptpersonen vor. Die Beliebtheit der Sendung wurde über Screenings mit knapp 200 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 erhoben. Die Intention beider Formate ist es, Wissenschaft möglichst attraktiv darzustellen und Wissen –im weitesten Sinne- zu vermitteln. Sie bedienen sich zweier unterschiedlicher Konzepte: Quarks Co. beruht auf Wissenschaftsnähe, Experimenten und Faktenwissen, das mithilfe von Experten weitergegeben wird. Mythbusters–Die Wissensjäger dagegen setzt praxisnahe Personalisierung ein und stützt sich -mehr oder weniger- auf die Vermittlung einer Lernstrategie. Bei der Auswahl der jeweiligen Folge wurde besonderes Augenmerk auf die naturwissenschaftliche Verankerung gelegt. Beide Folgen wurden auf Grund der behandelten physikalischen Thematik ausgesucht. Die Quarks Co.-Folge ausgestrahlt am 8. Juli 2008, behandelt das Thema Blitze. Die untersuchte Folge der Serie Mythbusters–Die Wissensjäger vom 9. Dezember 2007 überprüft zwei 'populäre Mythen' zum Thema Auftrieb. In Form einer quantitativen und qualitativen Studie wurde untersucht, welches Konzept bei den Jugendlichen besser ankommt und welches Konzept das Verständnis der vermittelten Wissensinhalte mit größerem Erfolg erreicht. Die Daten der Studie werden im empirischen Teil der Arbeit verwendet und die Ergebnisse sollen auszugsweise vorgestellt werden. Wegen der geringen Fallzahl sind die Ergebnisse lediglich als Trendaussagen zu werten. Teile der Studie wurden bereits in TelevIZIon 21/2008/2 veröffentlicht. Zielsetzung: Das Ziel der Arbeit soll eine vergleichende Darstellung zweier aktueller Wissenssendungen im deutschen Fernsehen sein. Gerade auf Grund der Tatsache, dass beide Sendungen nicht für Jugendliche gemacht wurden, besteht der Anspruch herauszuarbeiten, auf welche Weise mit der Vermittlung von Wissen umgegangen wird und wie diese von jugendlichen bildungsnahen und –fernen Rezipienten angenommen wird. Vor dem Hintergrund, dass Aufmerksamkeit im Verstehens- und Lernprozess eine basale Rolle spielt, sollen ferner Momente aus beiden Sendungen abstrahiert werden, die sich aufmerksamkeitsgewinnend bzw. –verlierend auswirken. Darüber hinaus ermöglicht die Programmauswahl eine vergleichende Analyse der Wissensvermittlung eines öffentlich-rechtlichen und eines privaten Programms.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: I.Einleitung4 1.Relevanz des Themas4 2.Bemerkung5 3.Zielsetzung6 II.Theorie7 4.Wissenssendungen im TV – eine Programmeinordnung7 4.1Wissensberichterstattung im Rahmen des Bildungsfernsehens7 4.2Wissensberichterstattung – ein Überblick8 5.Mediennutzung Jugendlicher10 5.1Medien als Informanten11 5.2Rezeption von Wissensformaten12 6.Medienanalyse14 6.1Analyse der Sendung Quarks Co.15 6.2Analyse der Sendung Mythbusters-Die Wissenjäger19 7.Lernen mit dem Fernsehen24 7.1Der Begriff des Lernens24 7.2Charakteristika des Lernprozesses25 7.3Formale Elemente der medialen Aufbereitung27 7.3.1Schlüsselmoment Aufmerksamkeit28 7.3.2Verstehen mit Hilfe konstruierter Lernräume30 7.3.3Darstellung der Lernräume am Beispiel32 III.Empirie41 8.Beschreibung des Studiendesigns und der Stichprobe41 8.1Methode und Studiendesign41 8.1.1Fragebogen41 8.1.2Gruppendiskussion42 8.1.3Ablauf der Erhebung43 8.1.4Untersuchungszeitraum und Stichprobe43 9.Ergebnisse48 9.1Aufmerksamkeitsgewinnende Momente in den Lernräumen48 9.2Gebrauchswert der Sendung und Verstehen der Lernmomente57 9.2.1Lerneinschätzung aus der Sendung und Gebrauchswert für naturwissenschaftliche Fächer in der Schule57 9.2.2Fragen zum Verständnis der Lernmomente59 9.3Zusammenfassung der Ergebnisse64 IV.Interpretation und Ausblick66 V.Bibliographie70 VI.Abbildungsverzeichnis74 VII.Anhang75Textprobe:Textprobe: Kapitel 7., Lernen mit dem Fernsehen: Wie der Begriff der Wissenssendung bereits unmissverständlich verdeutlicht, unterliegen diese Formate dem Anspruch, dem Rezipienten in irgendeiner Weise Wissen zu vermitteln. In den folgenden Ausführungen soll einleitend der Begriff des Lernens definiert werden und diverse Kennzeichen des Lernens besprochen werden. Lernen wird in diesem Zusammenhang insbesondere anhand seiner konstitutiven Teilaspekte, der Aufmerksamkeit und dem Verstehen, behandelt. Folglich steht nicht im Vordergrund, einzelne Lerntheorien wiederzugeben, sondern vielmehr soll Lernen auf den Ebenen aufmerksamkeitsgenerierende Momente und Verstehen der vermittelten Wissensinhalte, auch hinsichtlich der audiovisuellen Beschaffenheit, betrachtet werden. […] 7.3, Formale Elemente der medialen Aufbereitung: Vor dem Hintergrund des konstruktivistischen Lernbegriffs stellen sich im Folgenden die Fragen, wie Verstehen und Lernen bzw. wie Verstehen und Aufmerksamkeit zusammenhängen. Aufmerksamkeit konstituiert sich in diesem Zusammenhang als Vorbedingung für das Verstehen, wobei das Verstehen Vorbedingung für das Lernen ist. Für die Aufmerksamkeit und das Verstehen gibt es jeweils formale Elemente im Fernsehtext, die dies fördern oder auch verhindern. 7.3.1, Schlüsselmoment Aufmerksamkeit: Einen zentralen Faktor bei der audiovisuellen Informationsverarbeitung stellt die Aufmerksamkeit dar. Sie spielt in der Auseinandersetzung insbesondere mit fernsehmedialen Inhalten in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle: Zum einen liegt die Wahl eines Fernsehprogramms zu 100% in den Händen des Rezipienten, genauso wie die Fernbedienung. Sobald Langeweile aufkommt, wird binnen von Sekunden weitergezappt – der Zuschauer geht dem Programm verloren. Zum anderen spielt die Aufmerksamkeit auch hinsichtlich der Informationsverarbeitung, neben der Wahrnehmung, der Motivation und der Emotion, eine basale Rolle im Verstehens- und Lernprozess. Gelingt es einer Information nicht Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder Konzentration hervorzurufen, wird sie auch keiner weiteren Verarbeitung unterzogen. Doch soll an dieser Stelle auch genannt werden, dass 'in einer Zeit, in der dicke Schlagzeilen und packende Bilder die Aufmerksamkeit der Menschen erregen, mit Information umso bewusster umgegangen werden muss'. Ganz allgemein wird unter Aufmerksamkeit 'ein kognitiver Prozess verstanden, bei dem nicht nur beobachtet wird, sondern aktiv darauf geachtet wird, was vor unseren Augen passiert'. Hervorgerufen wird Aufmerksamkeit dadurch, dass sich das Geschehen nicht mehr mit bestehenden Erwartungen anhand vorheriger Erfahrung deckt. Unerwartetes, Neues und Überraschendes vermag es folglich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen der Aufmerksamkeitsträgheit von Bedeutung. Mit der Länge der Aufmerksamkeitszuwendung des Rezipienten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er bei dieser Sendung verharrt. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, sobald der Rezipient seine Aufmerksamkeit abgewandt hat, ist es umso schwieriger, ihn wieder für die Sendung zu begeistern. Die Bedingungen, die die Aufmerksamkeit verringern könnten, müssen folglich im Vorhinein aus dem medialen Text herausgearbeitet werden. Da Aufmerksamkeitsdetermination vor allem durch mediale Produktions- und Darstellervariablen sowie Inhalten geschieht, wird auf audiovisueller Ebene ständig gezielt versucht diese –möglichst dauerhaft- zu erregen und zu steuern: Auf visueller Ebene sind es u.a. überraschende Bildeffekte durch Kameraschwenks, Zooms, schnelle Schnitte, visuelle Spezialeffekte oder auch die Ästhetik einer Sendung. Akustische Darstellungsmittel sind Musik, Toneffekte, häufige Sprecherwechsel, Art der Ansprache und Humor. Vor allem Kinder reagieren stark auf diese Mittel. Doch gilt es stets zu beachten, dass auch erfolgreiche Stilmittel mit der Zeit an Wirkung verlieren, da sie, wiederum insbesondere von Kindern, schnell erlernt werden und somit das Neue, Fesselnde verloren geht. Von zahlreichen medienpsychologischen Befunden wird belegt, dass audiovisuelle Medien auf Verstehensprozesse einwirken und –insbesondere in Form des Fernsehens- 'eine große Wirkung auf ihre Zuschauer ausüben, die unter gewissen Umständen zu Lerneffekten führen können'. Dies gilt besonders für die auditive Komponente, weil die Aufmerksamkeitssteuerung stark über diesen Kanal abläuft. Auditive Reize können zu einer Steigerung der Aufmerksamkeit beitragen, was eine Grundvoraussetzung für effektive Lernprozesse ist. Häufig problematisch für den Verstehensprozess weist sich in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel von Text und Bild auf. Viele Bildsequenzen rekrutieren zwar auf Grund technischer Möglichkeiten beim Zuschauer Aufmerksamkeit, ohne dabei jedoch irgendeine inhaltliche Korrelation aufzuweisen. Strittmatter und Niegemann führen abschließend zu diesem Punkt an, dass 'Aufmerksamkeit eine nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für das Verstehen darstellt'. Da die Aufmerksamkeit in jedem Fall aber subjektiv und Sache des Rezipienten ist, wird im empirischen Teil anhand der Aussagen der Jugendlichen nochmals verstärkt auf diesen Aspekt eingegangen. 7.3.2, Verstehen mit Hilfe konstruierter Lernräume: Einschränkend für die Relevanz von Darstellungsmitteln sind Strittmatter und Niegemann der Meinung, dass 'die Inhalte einer Fernsehsendung für die Art der Rezeption und das Verstehen einer Sendung von größerer Bedeutung sind als deren formale Merkmale'. Vor diesem Hintergrund spielt auch die strukturelle und inhaltliche Aufbereitung von Wissensinhalten für das Verstehen eine wichtige Rolle. Lernen durch Begleiten und Faktenlernen anhand modellhafter Erklärungen sind nach Götz die beiden Vermittlungsarten, denen sich Wissenssendungen bedienen, wobei von jeder Sendung eine spezifische Lernumgebung, ein Lernraum, angeboten wird. Das Lernen durch Begleiten lebt von Personalisierung, wobei die Abläufe im Vordergrund stehen. Der Protagonist erlebt und oder begleitet das zu Vermittelnde, wobei Fehler stets korrigiert und revidiert werden können und zudem Anknüpfungspunkte zum Alltag bestehen. Mittels der Strategie des 'Story Telling' sollen die 'Zuschauer miterleben, wie die Wissenschaftler sich der Antwort auf die Frage bzw. der Lösung des Rätsels nähern und sich neue, auch überraschende Zusammenhänge auftun'. Der Lernraum konstruiert sich hauptsächlich auf dem Protagonisten. Mit ihm/ihr werden Abläufe angeschaut und einzelne Stationen kennengelernt. Diese Art der Vermittlung findet sich in Mythbusters-Die Wissensjäger: Im Zentrum der Sendung steht die Vorgehensweise des wissenschaftlichen Experimentes, das von den Protagonisten erarbeitet und begleitet wird. Auch hier lebt die Sendung von den Experten Jamie Hyneman und Adam Savage, mit denen die Rezipienten die Stationen von der Idee bis zur schlussendlichen Durchführung des Experimentes miterleben. Fehler, die während der Erarbeitung oder Durchführung auftreten, werden von den beiden überdacht und revidiert. Darüber hinaus ist die Vermittlungsweise in der Sendung neben der ausgeprägten Personalisierung auch sehr stark emotionalisiert. Adam und Jamie machen aus ihren Gefühlen keinen Hehl, was zur Authentizität beiträgt und Anknüpfung zum eigenen Selbst ermöglicht. Dies wirkt sich dann wiederum auf die kognitiven Prozesse und die Erinnerungsleistung aus. Beim Faktenlernen anhand modellhafter Erklärungen wird angestrebt, dem Rezipienten Fakten mit Hilfe von aufmerksamkeitserregenden Bildern zu vermitteln. Oft verursachen außergewöhnliche Bilder in Kombination mit unerwartet hohen oder niedrigen Zahlenangaben beim Rezipienten eine anregende Wirkung. Ein wichtiger Bestandteil bei dieser Form der Vermittlung ist der Einsatz von didaktisierten Momenten, in denen explizit Fragen benannt werden, Erklärungen gesucht und gefunden werden, sowie die Erklärung mittels von Modellen stattfindet. Auch die Lernräume kennzeichnen sich durch eine maßgeblich didaktisierte Beschaffenheit. Daneben sind die Verwendung von Modellen und Animationen konstituierende Elemente, 'sie können den Aufbau mentaler Modelle unterstützen, wenn sie die exakte Simulation eines kognitiven Prozesses sind und so das Arbeitsgedächtnis entlasten'. Die Art und Weise der Wissensvermittlung in der Sendung Quarks Co. lässt sich vor diesem Hintergrund als Vermittlung von Faktenwissen anhand modellhafter Erklärung beschreiben. Kennzeichnend für die Sendung ist die Verwendung aufwändiger Simulationen und Animationen zur Verdeutlichung der wissenschaftlichen Inhalte. Der häufige Einsatz von Experimenten ermöglicht auch das begleitende Moment der Informationsvermittlung. Der Moderator nimmt die Rolle der Erklärinstanz ein, bleibt als Experte vorwiegend sachlich und kühl. Insbesondere am Beispiel der ausgewählten Folge 'Blitze – faszinierend und gefährlich' findet sich der Einsatz beeindruckender Bilder, beispielsweise von Blitzaufnahmen, in Kombination mit unerwarteten Zahlen, wie der Wahrscheinlichkeit von einem Blitz getroffen zu werden, wieder. Der Lernraum zeichnet sich in der Sendung durch eine starke Didaktisierung aus. Die Einrichtung des Studios mit einer Vielzahl an wissenschaftlichen Gerätschaften zum Beispiel vermittelt unmissverständlich den Eindruck einer Lernumgebung. Nach Bullion gilt für die Sendung aber auch, 'wer bei laufender Sendung Lernerfolge haben will, muss sich anstrengen, denn die Informationsdichte ist hoch - trotz lockerer und unterhaltender Präsentation'.
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Inhaltsangabe: Einleitung: Das Internet ist sozial – und das in vielerlei Hinsicht. Diesen Eindruck vermitteln zum einen die technischen Entwicklungen des Web 2.0 und deren rasante Ausbreitung zu Beginn des Jahres 2010. Die Nutzung von Blogs, Wikis und Media-Sharing-Plattformen ist zum Internet-Alltag geworden. Insbesondere soziale Netzwerke sind aufgrund ihrer weltweit wachsenden Nutzerschaft und der entsprechenden medialen Begleitung in aller Munde. Das mobile Internet breitet sich aus und verbindet soziale Anwendungen immer stärker in dem alltäglichen Leben ihrer Nutzer. Dabei haben sogenannte Social-Media-Anwendungen das Ziel, Interaktion, Zusammenarbeit und das Teilen von Inhalten über das Internet zu erleichtern (Kap. 3.2). Zum anderen finden die sozialen Ausprägungen der neuen online-Technologien nunmehr auch im Bereich des sozialen Engagements ihre Anwendung. Seit 2007 haben sich im deutschsprachigen Raum Online-Spendenplattformen entwickelt, die Funktionen von Social Media in den Spendenprozess integrieren und diesen damit sozialisieren. Auf Sozialen Online-Spendenplattformen (SOS), ein für diese Arbeit neu eingeführter Begriff, entstehen Orte im Internet, die zum Treffpunkt und zur Artikulationsplattform sozial engagierter Menschen, Organisationen und Unternehmen werden und sich zu Beginn des Jahres 2010 eines großen Wachstums erfreuen. Der Anspruch der neuen Spendenplattformen auf ein transparenteres und effizienteres Spendensystem ist dabei groß. Die Aktivität der Nutzer selbst soll zu einem schlaueren Geben über die Plattformen führen und neue, junge Zielgruppen ins Spendenboot holen. Die Organisation, Überwachung und Bewertung sozialer Aktivitäten wird auf SOS weitgehend von der Community übernommen. Im Sinne einer bottom-up Philosophie kann jeder Nutzer auf SOS (reale) soziale Projekte präsentieren und sich um Spendengelder bemühen. Dabei reicht die Bandbreite der auf den Plattformen präsentierten sozialen Aktivitäten von persönlichen Fundraisingeinsätzen über regionale Initiativen und Nachbarschaftshilfe bis hin zu internationalen Hilfsprojekten. Doch gerade kleine Hilferufe finden auf SOS immer öfter Gehör und damit neue Möglichkeiten der Finanzierung. Das Prinzip des Long Tail, dem zufolge Nischenthemen und -produkte im Internet immer stärker an Bedeutung gewinnen, greift somit über SOS auch im sozialen Internetsektor (Kap. 3.4). Da bisher wenig Literatur über die Verbindung von Social Media mit Online-Spenden besteht, wird in der vorliegenden Arbeit zunächst das Forschungsobjekt der SOS definiert und abgegrenzt. Dafür befassen sich die ersten Kapitel mit jenen Trends, die zur Entstehung von SOS geführt haben, sowie jenen Social-Media-Charakteristika, die einen Großteil der Innovation der neuen Spendenplattformen ausmachen. In einem ersten Resumee wird der Nutzen von SOS für Organisationen und Einzelpersonen festgehalten, da es die Aktivität jener Akteure ist, welche die Funktionalität der Plattformen bedingen und begründen. Der Fokus der Arbeit liegt im weiteren auf dem Nutzen von SOS für den Einsatz im sozialen Tätigkeitsbereich von Unternehmen. Dabei wird das Augenmerk zum einen auf den unternehmerischen Mehrwert eines Einsatzes von SOS im Corporate Giving gelegt, zum anderen werden SOS aus philanthropischer Perspektive als Instrument für die Wahrnehmung und Umsetzung unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung kritisch hinterfragt. Die einzelnen Abschnitte der Arbeit behandeln folgende Themenbereiche. Kapitel 2 gibt eine kurze geschichtliche Einführung in das Thema Spenden und reflektiert deren gesellschaftliche Funktion im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrhunderte. Es folgt eine Zusammenfassung über das Ausmaß und die Funktionen heutiger privater und unternehmerischer Spendentätigkeiten. Abschließend wird der Online-Spendenmarkt als Grundlage für die weitere Arbeit einer genauen Analyse unterzogen. Kapitel 3 beschreibt aktuelle Online-Trends und insbesondere das Thema Social Media am vertiefenden Beispiel der sprunghaften Ausbreitung von sozialen Netzwerken. Ein theoretischer Teil gibt Überblick über positive und negative Ansätze der sozialen Internet-Studien, sowie über die Auswirkungen von Web 2.0 und Social Media auf die Unternehmenskommunikation. Kapitel 4 kommt nach einer Kurzbeschreibung über bisherige soziale Initiativen im Internet auf das Thema SOS zu sprechen und beschreibt deren Funktionsweise am Beispiel der Plattform www.betterplace.org. In einer ersten Conclusio wird der Nutzen von SOS für Privatpersonen und Organisationen zusammengefasst. Kapitel 5 bildet die theoretische Grundlage für den Forschungsschwerpunkt über den Einsatz von SOS im Unternehmensumfeld. Dafür werden vorab die Instrumente und Motive philanthropischer Tätigkeiten von Unternehmen analysiert und in die Konzepte Corporate Social Responsibility (CSR) und Corporate Citizenship (CC) verortet. Dabei wird auf wissenschaftliche Literatur ebenso zurückgegriffen wie auf privatwirtschaftliche Studien, welche die praktische Sichtweise unternehmerischen Engagements in die Arbeit mit einbringen. Kapitel 6 untersucht schließlich auf Basis der in der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse die Plattform www.betterplace.org, die aktuell "größte deutsche Internet-Plattform für soziales Engagement" (Betterplace 2009). Auf der einen Seite werden hierbei die Vor- und Nachteile eines Einsatzes von SOS für die interne sowie externe Unternehmenskommunikation abgewogen, auf der anderen Seite wird unter philanthropischen Gesichtspunkten ihr Potential als Instrument zur Übernahme unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung im Rahmen des CC-Konzepts und im Sinne eines nachhaltigen Strategic Giving hinterfragt. In der abschließenden Conclusio werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und kritisch diskutiert. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf weitere Forschungsansätze.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Inhaltsverzeichnisii Abbildungsverzeichnisv Abkürzungsverzeichnis1 1.Einleitung2 2.Spenden5 2.1Historische Einführung5 2.2Spendenfunktionen in modernen Gesellschaften7 2.2.1Definitionen10 2.3Online-Spendenmarkt11 2.3.1Daten und Fakten11 2.3.2Demografische Entwicklungen12 2.3.3Online-Spenden in den USA14 3.Internet Trends16 3.1Web 2.019 3.2Social Media22 3.2.1Social-Media-Anwendungen24 3.2.2Social-Media-Trends29 3.2.3Die Ausbreitung von sozialen Netzwerken30 3.2.4Gründe für die Ausbreitung von sozialen Netzwerken33 3.3Die Auswirkungen von Web 2.0 und Social Media auf die Unternehmenskommunikation38 3.4Positive Ansätze der sozialen Internetstudien42 3.4.1Vernetzung, Partizipation und Transparenz42 3.4.2Long Tail Approach Möglichkeit von Basisdemokratie43 3.5Kritische Ansätze der sozialen Internetstudien44 3.6The Googlization of Philanthropy46 4.Online-Spendenplattformen48 4.1Bisherige Forschung49 4.2Soziale Projekte im Internet50 4.2.1Kreditplattformen52 4.2.2Ideen-, Projekt- und Aktionsplattformen53 4.2.3Online-Spendenportale54 4.3Soziale Online-Spendenplattformen (SOS)56 4.3.1Allgemeine Merkmale von sozialen Online-Spendenplattformen61 4.3.2Fallbeispiel betterplace.org62 4.3.3Finanzierungsmodelle weiterer SOS71 4.4Gründe für die verstärkte Nutzung von SOS73 4.4.1Statistische Faktoren73 4.4.2Nutzen für Organisationen und Privatinitiativen74 4.4.3Nutzen für spendende Privatpersonen82 5.Unternehmensspenden85 5.1Philanthropie im Kontext des Corporate Citizenship85 5.1.1Corporate Giving: Spenden und Sponsoring87 5.1.2Corporate Volunteering: Freiwilliger Arbeitseinsatz91 5.1.3Corporate Foundations: Stiftungen92 5.2Ausmaße und Trends von Corporate-Citizenship-Aktivitäten92 5.2.1Zunehmende Aufwertung von Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship98 5.3Motive für unternehmerische Philanthropie100 5.3.1Kriterien für die Spendenvergabe106 5.4Zusammenfassung und Untersuchungsgrundlage107 6.Praxisbeispiel: Unternehmen auf betterplace.org110 6.1Präsentationsmöglichkeiten auf betterplace111 6.2Unternehmensbezogene Spendenformen über betterplace114 6.2.1Fallbeispiele Pennergame, eBay-LIMAL PAYBACK117 6.3Corporate Giving über betterplace120 6.3.1Der wirtschaftliche Mehrwert der Spendentätigkeit120 6.3.2Die Übernahme unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung124 6.3.3Greenwashing und Astroturfing126 6.4Unternehmensbezogene Ausbaumöglichkeiten der Plattform betterplace127 6.5Fazit: CSR 2.0 über betterplace130 7.Zusammenfassung und Conclusio134 7.1Online-Spenden + Social Media = SOS134 7.2Der Mehrwert von SOS für Organisationen und Privatpersonen137 7.3SOS im sozialen Tätigkeitsbereich von Unternehmen140 7.3.1Vor- und Nachteile des Einsatzes von SOS im Corporate Giving142 7.4Schlussbemerkung und Ausblick144 Literaturverzeichnis145 Anhang157 Lebenslauf161 Abstracts162Textprobe:Textprobe: Kapitel 5.2, Ausmaße und Trends von Corporate-Citizenship-Aktivitäten: Haibach beziffert den Umfang der im Jahr 2006 in Deutschland getätigten Geld- und Sachspenden von Unternehmen auf 4,6 Milliarden Euro. Dazu kommt eine Milliarde Euro als Ertrag aus Stiftungen, sowie 3,1 Milliarden Euro für ehrenamtliche Tätigkeiten der Unternehmer, weswegen der Gesamtwert von (in ihrem Falle) CSR-Maßnahmen jährlich auf 10,3 Milliarden Euro geschätzt wird. Mecking zufolge können derzeit jedoch keine genauen Aussagen zum Umfang und zur zahlenmäßigen Bedeutung der verschiedenen Formen des Corporate Giving gemacht werden, da es an einer zentralen Statistik zum Spendenaufkommen fehlt. So gehen die Schätzungen zu Unternehmensspenden seiner Recherche zufolge für das Jahr 2006 von 400 bis 800 Millionen Euro und die Schätzungen für kommerzielles Sponsoring von 2,7 bis 4,3 Milliarden Euro auseinander. Die durchschnittliche Höhe der Unternehmensspenden in Österreich betrug einer Befragung des Instituts für Sozialforschung Linz zufolge im Jahr 2008 durchschnittlich 852 Euro, hochgerechnet ergab dies ein Volumen von ca. 180 Millionen Euro an Geldspenden für das Jahr 2008 in Österreich (Public Opinion 2008). Der durchschnittliche Sponsoring-Betrag belief sich auf 320 Euro, was der weit verbreiteten Meinung, dass Unternehmen eher sponsern als spenden, entgegen spricht (zumindest für Unternehmen bis 249 Beschäftige für das Jahr 2008 in Österreich; Public Opinion 2008). Neben absoluten Zahlen ist der prozentuelle Anteil der philanthropisch tätigen Unternehmen ein Indikator für die Verankerung sozialer Werte in der Unternehmenskultur. Einer Studie des Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD) zufolge waren im Jahr 2007 91 Prozent der deutschen Unternehmen im Corporate Giving aktiv. Eine Studie des Consulting-Unternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) aus demselben Jahr besagt, dass sogar 98 Prozent der Unternehmen zumindest gelegentlich Einzelspenden vergeben. 95 Prozent der Unternehmen haben der Studie zufolge darüber hinaus eine unternehmensinterne Spendensystematik und in der Regel auch ein festes Budget, von dem im Durchschnitt 62 Prozent für Einzelspenden und 38 Prozent für wiederkehrende Spenden verwendet werden. In Österreich zählen sich laut der bereits zitierten Studie des Instituts für Sozialforschung Linz im Jahr 2008 74 Prozent der KMUs zu Spendern. 9 Prozent bezeichneten sich als Nichtspender, 17 Prozent machten keine Angaben. Nur 23 Prozent der Unternehmen gaben an, im Sponsoring aktiv zu sein. Im Jahr 2007 hatten nach gleicher Befragungsmethode noch 82 Prozent der österreichischen Klein- und Mittelunternehmen gespendet. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der umfassenden Studie des CCCD zum gesellschaftlichen Engagement deutscher Unternehmen aufgezählt. Die Studie geht neben dem Länderschwerpunkt Deutschland besonders auf den transatlantischen Vergleich von CC-Maßnahmen deutscher mit US-amerikanischer Unternehmen ein, worauf im nächsten Unterpunkt der Arbeit Bezug genommen wird. - 95,6% der deutschen Unternehmen engagieren sich gesellschaftlich. - 59% der gesellschaftlich engagierten Unternehmen kooperieren mit anderen Partnern (in der Regel NGOs). - Bei mehr als drei Viertel der Unternehmen gehört das gesellschaftliche Engagement zum unternehmerischen Selbstverständnis und ist Bestandteil der Unternehmenskultur. Gleichwohl betreibt die Mehrheit der deutschen Unternehmen CC-Aktivitäten nicht aus eigener Initiative. - Corporate Giving ist die bevorzugte Form für deutsche Unternehmen sich gesellschaftlich zu engagieren (91% der Unternehmen). 83% vergeben Geldspenden, 60% Sachspenden. - Es besteht ein starker lokal-räumlicher Bezug. Geld- und Sachspenden im regionalen Umfeld dominieren das gesellschaftliche Engagement deutscher Unternehmen. - Lediglich 16% der großen deutschen Unternehmen binden ihr gesellschaftliches Engagement kommunikativ in ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten ein. - Weniger als 40% der befragten Firmen suchen aktiv nach eigenen Handlungsfeldern und Einsatzmöglichkeiten. Die meisten Unternehmen in Deutschland betrachten Corporate Citizenship als Feld für Philanthropie und Wohltätigkeit. Vergleich Deutschland – USA: Laut CCCD können einige Unterschiede in der Auffassung und Anwendung von CC-Aktivitäten zwischen Unternehmen in Deutschland und den USA festgestellt werden. Im Verständnis von CC als Geschäftsstrategie bestehen dabei die größten Unterschiede. In Deutschland erwarten den Ergebnissen der Studie zufolge nur 40 Prozent der Unternehmen, unabhängig von ihrer Unternehmensgröße, einen unmittelbaren geschäftlichen Nutzen von ihrem gesellschaftlichen Engagement. Auf US-amerikanischer Seite sind dies 63 Prozent, unter den Großunternehmen sogar 84 Prozent. Mehr als ein Drittel der Unternehmen in Deutschland gehen außerdem davon aus, dass ihr gesellschaftlicher Einsatz keine Bedeutung für die Zufriedenheit ihrer Kunden hat. Knapp die Hälfte misst der sozialen Aktivität auch keine Bedeutung für die Steigerung der Attraktivität gegenüber Mitarbeitern oder für die Bindung ebendieser bei. Die Werte der US-amerikanischen Unternehmen liegen bei diesen Aussagen bei 11 bzw. 15 Prozent. Es wird jedoch auch festgehalten, dass deutsche Unternehmen die Umsetzungsqualität ihrer CC-Maßnahmen deutlich selbstkritischer beurteilen als ihre US-amerikanischen Pendants. Gemeinsam haben Vertreter beider Länder, dass sie staatliche Einflussnahme auf ihr Engagement gleichermaßen stark ablehnen. Insgesamt zeigt der Vergleich in großer Deutlichkeit, dass das Verständnis von gesellschaftlichem Engagement als Teil der Unternehmensstrategie und -kultur in Deutschland erst bei wenigen Unternehmen angekommen ist. Vor allem fehlt bei vielen deutschen Unternehmen noch die Überzeugung, dass gesellschaftliches Engagement auch wirtschaftlichen Nutzen bringt. Haibach merkt in diesem Zusammenhang an, dass auch die Zivilgesellschaft in Deutschland gefordert ist, selbstbewusster ihre Nutzererwartungen und Ansprüche an Unternehmen zu formulieren. Die Öffentlichkeit und Kunden deutscher Unternehmen haben bislang kaum besondere Erwartungen an deren gesellschaftliches Engagement gestellt, obwohl diese Erwartungen ihrer Ansicht nach tendenziell im Steigen begriffen sind. Strategic Giving: Aus den USA lässt sich ein Trend ablesen, der sich verstärkt auch in Europa unter der Bezeichnung Strategic Giving verbreitet. Der Begriff beschreibt das professionell gemanagte und unter strategischen Gesichtspunkten ausgerichtete soziale Engagement von Unternehmen, das regelmäßig ausgewertet und revidiert wird. Das Konzept ist dabei nicht ausschließlich auf unternehmerische Philanthropie beschränkt und kann ebenso auf philanthropische Tätigkeiten bspw. reicher Stifter und Mäzene seine Anwendung finden.
Inhaltsangabe:Zusammenfassung: In der vorliegenden Arbeit wird eine erstmalige Entwicklung in der Gesellschaft des Menschen betrachtet: die gesellschaftliche Überalterung und deren Folgen und Konsequenzen für die Zukunftsfähigkeit der Städte. Der gesellschaftliche Alterungsprozess vollzieht sich in Deutschland seit Jahrzehnten unaufhaltsam – und geht in vielen strukturschwachen ostdeutschen Regionen einher mit einer kontinuierlich anhaltenden Abwanderung der Jungen und Leistungsträger. Beide Prozesse parallel exponieren die Zukunft der betroffenen Städte, Gemeinden und Regionen. Abwanderung und Überalterung bezeichnen Prozesse, die von den betroffenen Kommunen zumeist als Stigmatisierung empfunden werden. Eine offene und konstruktive Begleitung dieser Entwicklungen steckt noch in den Anfängen, häufig erfolgt die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Abwandernden, nicht auf die der Bleibenden. Finanzierungen in soziale und technische Infrastrukturmaßnahmen erfolgen nach den jeweiligen Möglichkeiten der kommunalen Haushalte und der EU-, Bundes- und Landesförderprogramme und nicht immer nachhaltig im Sinne einer antizipativen baulichen Bestandsanpassung. Noch ist unsere Gesellschaft in vielen Bereichen auf die wachsende Langlebigkeit ihrer Mitglieder wenig vorbereitet. Solange die Themen Alter und Altern auch in der raumrelevanten Politik nicht entstigmatisiert werden, können keine zukunftsfähigen Strategien und Lösungen für die sich ändernden Anforderungen an Lebensraum, Sozialsystem und gesellschaftliches Miteinander entwickelt werden. Folgende Fragestellungen wurden vertiefend untersucht: - Wie zeichnet sich die wirtschaftliche und soziale Zukunft "alternder" und "schrumpfender" deutscher Klein- und Mittelstädte ab? - Welche Handlungsbedarfe bestehen? - Welche Potenziale liegen noch brach? Wie können diese aktiviert werden? - Leid: "Vergreiste Stadt" oder Leitbild: "Stadt für Alte"? – Wo liegen die beiderseitigen Chancen in der bewussten und gesteuerten Profilierung zur Stadt für Alte? - Wie begegnet man dem mentalen Problem des Entwicklungszieles "Stadt für Alte"? Gang der Untersuchung: Die vorliegende Arbeit gliedert sich in acht Kapitel. Kapitel 1: Der demografische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland Die derzeitige Lebenssituation Älterer in der Bundesrepublik, die zunehmende Heterogenität der Lebensstile in der dritten Generation und die sich schlussfolgernd ergebenden Veränderungen der Lebens- und Wohnansprüche sind Gegenstand des ersten Kapitels. Zunehmende Langlebigkeit und wachsende Anteile von Altersarmut werden die Leistungsfähigkeit der ökonomischen und sozialen Netze zukünftig verändern. Einige Ursachen der disparaten räumlichen Verteilung der gesellschaftlichen Alterung in der Bundesrepublik werden aufgezeigt. Kapitel 2: Lebens- und Wohnbedürfnisse der dritten Generation Die heutige dritte Generation stellt sich wesentlich heterogener dar, als die Generationen der eigenen Eltern und Großeltern. Der Wandel der Familien- und sozialen Beziehungen, veränderte Ansprüche an die eigene Mobilität, Freizeitgestaltung und hat Auswirkungen auf die Gestaltung des Lebens- und Wohnumfeldes. Um Handlungsfelder anzuregen, wird die Entwicklung des Altenwohnens in der Bundesrepublik seit dem II. Weltkrieg dargestellt. Kapitel 3: Stadträumliche, funktionale und soziale Folgen der demografischen Überalterung Die Herausbildung der verschiedenen Seniorentypologien hat zunehmend Auswirkungen auf die sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihres Lebensumfeldes. Auch aus städtischer Sicht muss sowohl ökonomisch als auch wohnungspolitisch und stadtstrukturell auf den demografischen Wandel und die parallelen Individualisierungs- und Singularisierungstrends der dritten Generation reagiert werden. Eine Alterungsfähigkeit verschiedener Stadtquartierstypen wird untersucht. Kapitel 4: Seniorenstädte in den USA In den USA sind die Retirement Communities ein Erfolgsmodell – und werden in den deutschen Veröffentlichungen immer wieder als "Altenghetto" diffamiert. Eine ausgesprochen hohe Wohnzufriedenheit und überdurchschnittliche Identifikation mit ihrer "Stadt" steht dem gegenüber. Vor- und Nachteile des Lebens unter Gleichaltrigen, die Integrations- und sozialen Angebote der Retirement Communities und ein bewährtes Marketingkonzept offerieren – bei aller Kritik – auch durchaus nachahmenswerte Handlungsfelder für bundesdeutsche Klein- und Mittelstädte. Kapitel 5: Profilierungsmöglichkeiten deutscher Mittel- und Kleinstädte als seniorengerechte Städte Übertragbare Muster der Retirement communities und daraus resultierend sektorale und integrale Handlungsansätze für deutsche Bestandsstädte zur Profilierung als seniorenfreundlich werden dargestellt. Stadträumliche Voraussetzungen und die Entwicklungsfähigkeit bisher vorrangig unbegleiteter mehrdimensionaler Prozesse wird dabei berücksichtig und Vorschläge bewusster Steuerung und Begleitung überalternder Städte zu modernen Städten mit vielseitigen alters- und alterungsspezifischen Angeboten unterbreitet. Kapitel 6: Von der Makro- zur Mikroebene: Wohnen in seniorengerechten Städten Bauliche und soziale Ansprüche an das alterungsgerechte Wohnen – von den tradierten und neuen Wohnformen über die vielseitigen Möglichen der Wohnraumanpassung bis zu den komplementären Angeboten und Bedarfen in Wohnumfeld und Stadtstruktur – werden mit den jeweiligen Wirkungen – Aktivierung, Mobilisierung, Integration, ... – dargestellt. Kapitel 7: Freizeit-; Kultur- und Bildungsangebote Mit der Ausbildung der zahlreichen Lebensstile in der dritten Generation wurden Senioren einerseits als ertragsbringende Zielgruppen für Kultur, Tourismus, Sport und Bildung erkannt und erschlossen, andererseits werden die gesellschaftlichen und sozialen Potenziale der dritten Generation in Deutschland noch absolut unzureichend aktiviert. Der Reichtum der fast freien Zeitverfügbarkeit der dritten Generation setzt nach dem Austritt aus der Erwerbstätig- keit ein enormes soziales Kapital frei, das gesellschaftlich bislang nur rudimentär genutzt wird. Im siebenten Kapitel werden Vorschläge unterbreitet, wie durch die Aktivierung des ehrenamtlichen Engagements Städte "weiche" Standortvorteile und Alleinstellungsmerkmale erringen können, die zumal für beide beteiligten Seiten durchaus gewinnbringend wäre. Kapitel 8: Zusammenfassung und Fazit "Stadt für Alte" Abschließend erfolgt eine Kurzfassung der Trends und der sich aus der demografischen Entwicklung ergebenden Chancen und Vorteile für die Profilierung deutscher Bestands- Klein- und Mittelstädte als alterungs- und altengerechte Städte. Die sich im Rahmen der Arbeit ergebenen offen gebliebenen Fragen können und sollen zur Weiterarbeit an dem Thema anregen, das abschließende Fazit unterstreicht die Machbarkeit der derzeitigen Vision einer modernen, sozialen und lebendigen "Stadt für Alte". Inhaltsverzeichnis: 1.DER DEMOGRAFISCHE WANDEL IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND10 1.1DIE DEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNG10 1.1.1Natürliche Bevölkerungsentwicklung11 Überalterung der Bevölkerung12 Verschiebung der Jugendlast- und Alterslastquotienten12 1.1.2Die räumliche Dimension des demografischen Wandels13 Verteilung der gesellschaftlichen Alterung13 Transformationsprozesse in Klein- und Mittelstädten und ländlichen Regionen der neuen Bundesländer14 Überalterung und regionale Schrumpfungsprozesse16 1.1.3Lebenserwartung - Rückblick und derzeitiger Stand16 1.1.4Grunddaten zur dritten Generation in der Bundesrepublik17 Bildungs- und Ausbildungsstand17 Eintrittsalter in den Ruhestand18 Finanzielle - und Eigentumssituation der Senioren18 Gesundheit im Alter21 Was ist neu am Altern heute?22 1.2RÄUMLICHE BEVÖLKERUNGSBEWEGUNGEN23 1.2.1Internationale Wanderungsbewegungen23 Internationale Wanderungsbewegungen der dritten Generation23 1.2.2Binnenwanderungen24 Alten- oder Altenruhesitzwanderungen innerhalb der Bundesrepublik25 Innerstädtische und innerregionale Wanderungsbewegungen25 1.2.3Notwendigkeit und Bereitschaft des Wohnortwechsels in den einzelnen Generationen26 2.LEBENS- UND WOHNBEDÜRFNISSE DER DRITTEN GENERATION27 2.1JUNG, ERWACHSEN, ALT?27 2.1.1Seniorentypologien nach Lebensstilen28 2.1.2Die drei Altersphasen der dritten Generation29 Die "Jungen Alten", Jungsenioren, Second Careers, Best Ager30 Die "Mittleren Alten", Senioren, Good Timers31 Die Hochbetagten, Hochaltrigen, Langlebigen31 2.2DIE INTEGRATION DER DRITTEN GENERATION32 2.2.1Familien- und Generationenbeziehungen im Wandel32 Bedeutung innerfamiliärer Beziehungen32 Die Ehe oder Lebenspartnerschaft33 Freunde34 2.2.2Die gesellschaftliche Integration34 Politische Integration34 "Altenhilfe" in der Bundesrepublik – eine langsame Metamorphose34 "Gewachsene" Integration von Senioren in die Gesellschaft35 Ein Ausblick35 2.3MOBILITÄT IN DER DRITTEN GENERATION36 2.3.1Aspekte der Mobilität für Ältere36 Häusliche Mobilität36 Alltagsmobilität und außerhäusliche Mobilität37 Freizeit- und Reisemobilität37 Mobilität und Gesundheit37 2.4DIE VERÄNDERUNG DES TAGESABLAUFES IN DER DRITTEN GENERATION39 2.4.1Schlüsselfaktor Zeit39 Verschiebung der Zeitanteile der Tagesgestaltung39 2.4.2Sinnsetzung und Lebensgestaltung nach der Erwerbstätigkeit40 Freizeitgestaltung und Freizeitkultur der dritten Generation40 Sozialzeiten der dritten Generation – Potenziale für tragfähige Netzwerke41 2.5VERÄNDERUNG DER ANSPRÜCHE AN WOHNUNG UND WOHNUMFELD IN DER GENERATIONENFOLGE42 2.5.1Wohnansprüche und Wohnverhalten42 Haushaltsstrukturen43 Aspekte der Wohnungsgröße und Ausstattung43 Frauenspezifische Belange43 2.5.2Sicherheitsaspekte der Wohnung und des Wohnumfeldes44 Sicherheitsgewährleistung in der Wohnung44 2.6WOHNANGEBOTE FÜR SENIOREN IN DER BUNDESREPUBLIK45 2.6.1Wo wohnt die dritte Generation?45 2.6.2Wohnen im eigenständigen Haushalt46 Seniorengerechte Einzelwohnungen46 Wohnen im Eigentum46 2.6.3Wohngruppen und "neue Wohnmodelle"46 "Neue Wohnmodelle" für Senioren47 Betreutes Einzelwohnen und betreute Wohngruppen47 Altendörfer bzw. Altenwohnsiedlungen48 Fazit48 2.6.4Pflegeheime, Altenwohnheime, Seniorenheime49 Die Entwicklung der Altenwohn- und Pflegeheime in der Bundesrepublik49 Altenpflegeheime50 Altenstifte, Altenheime und Seniorenheime50 Seniorenwohnanlagen, -häuser, -residenzen51 2.6.5Schlussbemerkung51 3.STADTRÄUMLICHE, FUNKTIONALE UND SOZIALE FOLGEN DERDEMOGRAFISCHEN ÜBERALTERUNG52 3.1VERÄNDERTE NUTZUNG DES WOHNUMFELDS, DES ÖFFENTLICHEN RAUMES UND DER SOZIALEN UND TECHNISCHEN INFRASTRUKTUR52 3.1.1Direktes Wohnumfeld53 3.1.2Öffentlicher Raum53 Transiträume53 Kommunikationsräume und Ruhezonen54 Saisonale Aspekte54 3.1.3Halböffentliche Räume54 Anpassung der Funktionsansprüche der städtischen sozialen Infrastruktur54 3.2DIE AUSWIRKUNGEN AUF DIE NACHBARSCHAFTLICHEN BEZIEHUNGEN UND SOZIALEN NETZE DER STÄDTE56 Bewahrung, Integration und Herstellung stabiler Nachbarschaften56 3.2.1Bewertung ausgewählter Wohnquartiers- und Stadtraumtypen hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit alternder Bewohnerstrukturen56 Großsiedlungen des komplexen Wohnungsbaus57 Gründerzeitviertel59 Innenstadt- bzw. Altstadtbereiche61 Wohnsiedlungen in Einfamilien- und Doppelhausbauweise61 Wohnquartierstypen und Alterungsfähigkeit – Fazit63 4.EXKURS: SENIORENSTÄDTE IN DEN USA64 4.1DIE RÄUMLICHE UND SOZIALE FRAGMENTIERUNG AMERIKANISCHER STÄDTE64 4.2SENIORENSTÄDTE IN DEN USA66 4.2.1Rückblick – Das Entstehen der Winterwohnorte und Altersruhesitze in den USA66 4.2.2Marketing der Retirement communities66 4.2.3Zielgruppen und Organisationsstrukturen67 Bewohnerstrukturen67 Städtische Organisation67 4.2.4Bautypen und Gliederung der Retirement Communities68 Stadtgrundrisse und Baumerkmale68 Angebote und Ausstattung der Haustypen68 Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen und betreuten Wohnformen69 Bewohnerintegration und Bewohneraktivierung69 Freizeiteinrichtungen und -angebote69 4.2.5Zusammenfassung/ Fazit70 5.PROFILIERUNGSMÖGLICHKEITEN DEUTSCHER MITTEL- UND KLEINSTÄDTE ALSSENIORENGERECHTE STÄDTE71 5.1HANDLUNGSFELDER UND KRITERIEN AUF DEM WEG ZUR SENIORENGERECHTEN STADT72 5.1.1Kommunalpolitische Umorientierung72 Klares Entwicklungsleitbild72 Ausschöpfung der klein- und mittelstädtischen Potenziale72 Kommunale Altenplanung73 Neue Organisationsstrukturen74 Infrastrukturanalysen und Entwicklungsszenarien74 5.1.2Entspannter Wohnungsmarkt74 5.1.3Stadt(teil)- Seniorenmanagement – räumliche Schwerpunktsetzung75 5.1.4Integration in die Gemeinschaft75 Partizipations- und Netzwerkförderung75 5.1.5Ausbau städtischer Strukturen und Potenziale75 Stärkung des Stadt- bzw. Ortszentrums75 Versorgungsstrukturen76 Funktionsmischungen77 5.1.6Öffentlichkeitsarbeit77 Stadt(teil)zeitung77 Bewohnerberatung77 Anlaufstellen für Externe77 5.1.7Bewohnerwerbung78 Der "Schnupperkurs" Seniorenstadt: temporäres und saisonales Wohnen für Alte78 5.2AKTIVIERUNG UND PARTIZIPATION DER DRITTEN GENERATION79 5.2.1Methoden der Beteiligungsverfahren79 Bürgerbefragungen79 Öffentliche Anhörungen, Foren und Diskussionen80 Aktivierende Workshops80 Over Wonen van Ouderen Gesproken (OWOG)81 5.2.2Partizipation und Leitbild82 Bürgerjury und Bürgerbudget82 5.2.3Institutionen82 Seniorenbüros82 Seniorenreferate/ bzw. -beiräte, Seniorenbeauftragte und Interessenvertretungen84 5.2.4Fazit und Übersicht84 6.VON DER MIKRO- ZUR MAKROEBENE: WOHNEN IN SENIORENGERECHTENSTÄDTEN86 6.1WOHNUNG, WOHNBERATUNG, WOHNANPASSUNG UND WOHNFORMEN86 6.1.1Sozialverträgliche Mieten und Wohnsicherheit87 6.1.2Bauliche Voraussetzungen und Komponenten für differenzierte und alternative Angebote an altengerechtem Wohnraum87 Altengerechter Neubau87 Strukturelle Wohnraumanpassung87 Private Wohnraumanpassung88 Finanzierung von Wohnraumanpassungsmaßnahmen89 Das smart home89 6.1.3"Traditionelle" Wohnformen für Senioren89 Miet- und Eigentumswohnungen für Einzelhaushalte89 Service-Wohnen89 6.1.4"Neue" Wohnformen für Senioren90 Räumliche Voraussetzungen und individuelle Hindernisse90 Selbstbestimmte Wohnprojekte, selbstverwaltete Wohn- und Hausgemeinschaften91 Betreute Wohngruppen92 Beratung und Begleitung92 6.1.5Komplementäre Angebote zum Wohnen92 Wohnberatungsstellen und Wohnungstauschbörsen92 Hauswirtschaftliche Dienstleistungen93 6.1.6Medizinische Dienstleistungen93 Hausnotruf93 Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen93 Mobile Pflegedienste93 Häusliche Sterbebegleitung und Hospize94 6.2BEDARFE UND ANGEBOTE IN WOHNUMFELD UND STADTSTRUKTUR95 6.2.1Öffentlicher Raum, Grün- und Freiflächen, städtische Plätze und Möglichkeiten auf städtischen Verfügungsflächen95 Stadtplätze95 Grünflächen und Spielplätze96 Gedeckte und ungedeckte Sportanlagen96 Gemeinschaftsgärten, Mietergärten, Generationengärten und Seniorengärten97 Dog-runs97 6.2.2Mobilitätsgerechte städtische Strukturen98 Straßenraumgestaltung und Querungshilfen98 Motorisierter Individualverkehr (MIV)100 ÖPNV – Anforderungen an die Verkehrsmittel und Bahnhöfe101 Schutz vor Vandalismus und Kriminalität – Unterstützung des Sicherheitsempfindens101 Besondere Mobilitätsmodelle und gewährleistete Anbindung an die private Mobilität101 7.FREIZEIT-, KULTUR- UND BILDUNGSANGEBOTE102 7.1EHRENAMTLICHES ENGAGEMENT IN SENIORENGERECHTEN STÄDTEN102 7.1.1Die Aspekte ehrenamtlicher Arbeit103 Zielsetzung ehrenamtlicher soziale Arbeit und Selbsthilfe104 Wohlfahrt im Alter: wer wird sie sich zukünftig leisten können?105 7.1.2Organisationsformen und Zielsetzungen ehrenamtlicher Arbeit105 Offene Altenhilfe106 Seniorenselbsthilfeorganisationen und -selbsthilfegruppen106 Seniorenmentoring, Seniorenexpertenservice und Senior-Partners106 Freiwilligen- und Tauschzentralen106 Wissens-, Kontakt-, Zeit- und Hobbybörsen107 Weitere Engagementbereiche ehrenamtlicher Tätigkeiten107 Schaffung engagementfördernder Rahmenbedingungen108 7.2KULTURVERANSTALTUNGEN UND BILDUNGSMÖGLICHKEITEN IN SENIORENGERECHTEN STÄDTEN109 7.2.1Einzelkulturevents und saisonale Veranstaltungen109 7.2.2Kontinuierliche Angebote109 Vereine109 Quartiersbezogene Seniorentreffpunkte im Wohngebiet109 7.2.3Bildungs- und Weiterbildungsangebote110 Neue Medien und Kommunikation110 Internetkurse und Internetcafé111 Kurse und Vortragsreihen und Weiterbildungsmöglichkeiten111 7.3SENIORENTOURISMUS112 7.3.1Warum Tourismus in seniorengerechte Städte?113 Besonderheiten des Segments Seniorentourismus113 7.3.2Alternative Reise- und Ausflugsformen113 Angebote wie "Ferienlager" und "Klassentreffen" in seniorengerechten Städte114 Urlaub mit der Familie oder Urlaub mit Enkeln114 Urlaub und Bildung114 Vereinsreisen115 Tagesausflüge für Bewohner von Seniorenstädten115 Aufgaben eines lokalen Reisevereins115 8.ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT "STADT FÜR ALTE"116 8.1DIE TRENDS116 8.2DIE CHANCEN UND VORTEILE116 8.3DIE OFFENEN FRAGEN119 8.4FAZIT UND AUSBLICK122 ANHANG123 ABBILDUNGEN123 TABELLEN123 FOTOS124 LITERATURVERZEICHNIS125 INTERVIEWS129 INTERNETQUELLEN130
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Hat Deutschlands Industrie den Aufbruch in der Batterieforschung verpennt? Hat die Bundesrepublik wenigstens aufgeholt in den vergangenen Jahren? Und welche Rolle spielt die staatliche Förderung? Ein Gespräch mit Michael Krausa und Burkhard Straube vom Kompetenznetzwerk-Lithium-Ionen Batterien.
Burkhard Straube (links) ist CEO bei Vianode, einem norwegischen Hersteller von Batteriematerialien.
Michael Krausa (rechts) ist Geschäftsführer des Kompetenznetzwerk-Lithium-Ionen Batterien (KliB) e.V., Berlin. Foto Straube: Marthe Haarstad. Foto Krausa: Ernst Fesseler.
Herr Krausa, Herr Straube, im Januar hat das "Kompetenznetzwerk Lithium-Ionen-Batterien" (KLiB), das Sie repräsentieren, einen Offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben und gewarnt: Die für den Haushalt 2024 geplanten Kürzungen führten "zum Ende der deutschen Batterieforschung, mit dramatischen Konsequenzen für den High-Tech Standort Deutschland". Es ging um maximal 155 Millionen weniger staatliche Förderung, gestreckt über mehrere Jahre wohlgemerkt. Warum der Alarmismus?
Michael Krausa: Weil die damals geplanten Einsparungen ein klares Signal gesendet haben: Die laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden noch zu Ende geführt, aber danach ist Schluss. Statt neuer Vorhaben hätten mit dem restlichen Geld gerade noch die Heizung und das Sicherheitspersonal für die leeren Labore bezahlt werden können. Und das nach allem, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Darauf mussten wir als Verbund reagieren.
Im Anfang Februar beschlossenen Bundeshaushalt hat die Ampel die Kürzungen dann teilweise zurückgenommen: um 20 Millionen für 2024 und um jeweils 12,5 Millionen Euro für die Jahre 2025 bis 2028. Und diese zusammengerechnet 70 Millionen Euro mehr retten jetzt wiederum alles?
Krausa: Natürlich nicht. Aber die Folgen sind nicht mehr so gravierend wie befürchtet. Deshalb müssen wir den Dialog mit der Politik fortsetzen, sonst laufen uns die guten Forscher davon und gehen ins Ausland.
Wenn zwei- bis dreistellige Millionenbeträge staatlicher Förderung über das Wohl und Wehe der deutschen Batterieforschung entscheiden, spricht das vor allem für die enormen Versäumnisse der Industrie selbst. Wie kann es sein, dass die Unternehmen über Jahre so wenig investiert haben in diese Zukunftstechnologie – frage ich Sie, Herr Straube – einen führenden Branchenvertreter?
Burkhard Straube: Die Industrie hat zusammen mit der Wissenschaft und der Politik in den vergangenen 15 Jahren unglaublich viel erreicht. Wir sind heute international wieder auf Augenhöhe. Aber Forschung ist ein Marathon, die Industrie braucht Planungssicherheit und ein Zeichen der Politik, dass Batterietechnologie mittelfristig eine wichtige Rolle spielen soll für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa. Dieses Zeichen drückt sich auch in der Höhe der Forschungsförderung aus.
Die Rolle der Batterietechnologie bestimmt die Industrie doch selbst durch ihre Investitionsentscheidungen. Sie sagen, es sei unglaublich viel erreicht worden in den vergangenen 15 Jahren. Wie passt dazu, dass etwa Bosch noch 2018 verkündet hat, sich aus der Batterieforschung zurückziehen zu wollen? Aus wirtschaftlichen Gründen, hieß es damals, habe man sich gegen den Aufbau einer Zellfertigung in Deutschland entschieden: "Die Zellfertigung ist für unseren Erfolg nicht ausschlaggebend." Batteriezellen würden sich zum standardisierten Massenprodukt entwickeln, das Bosch zukaufen könne.
Straube: Ich werde hier nicht die Entscheidung des Unternehmens Bosch kommentieren. Es gibt aber andere Unternehmen, die sich ausschließlich auf die Batterietechnologie konzentrieren, auch solche, die eigens für die Zellfertigung gegründet worden sind. Große Konzerne können die Zellen vielleicht aus dem Ausland zukaufen, aber der Standort verliert dabei. Denn die Forschung und Entwicklung in der Batterietechnologie ist aufs Engste mit der Entwicklung anderer Hochtechnologien verbunden und fördert diese. Wir sprechen also von der künftigen Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industrien.
"Für die Großindustrie von Bosch und Volkswagen mögen die 155 Millionen staatliche Förderung nicht so entscheidend sein, aber für das Ökosystem der kleinen und mittleren Unternehmen sind sie es sehr wohl."
Bosch argumentierte 2018, als Konzern allein müsse man mindestens 20 Milliarden investieren, also hundertmal so viel, um mit der asiatischen Konkurrenz mitzuhalten. Volkswagen steckt tatsächlich in solchen Größenordnungen Geld in die Batterieforschung – allerdings zu einem großen Teil außerhalb Deutschlands. Was sind dagegen 155 staatliche Millionen?
Straube: Man sollte die 155 Millionen nicht ins Verhältnis setzen mit Investitionen der Großindustrie von Bosch oder Volkswagen. Für die mögen solche Beträge nicht so entscheidend sein, aber für das Ökosystem der kleinen und mittleren Unternehmen, all die Mittelständler, die die Batterieforschung in Deutschland mittragen, sind sie es sehr wohl.
Also die Unternehmen, die KLIB als ihren Lobbyverein gegründet haben.
Krausa: Für die kleinen und mittleren Unternehmen kann die staatliche Forschungsförderung gerade in den ersten Jahren den Unterschied machen, ob eine tolle Idee weiterverfolgt werden kann oder nicht. Gleichzeitig sind die Mittelständler darauf angewiesen, dass an den Universitäten und Forschungseinrichtungen die nötige Forschungskompetenz vorhanden ist und gestärkt wird. Dass da Forscher sind, die beurteilen können, was fehlt, um eine Produktidee technologisch zu einem Erfolg weiterzuentwickeln. Jetzt hören wir, dass sich talentierte Hochschulabsolventen verstärkt bei Unternehmen bewerben, weil sie verunsichert sind, ob es für sie noch eine Perspektive in der Wissenschaft gibt.
Das ist doch gut für die Unternehmen!
Krausa: Kurzfristig vielleicht. Aber mittelfristig beschädigt das die Wissenschaft. Womit wir wieder bei der Signalwirkung angekommen sind: Wenn der Staat engagiert die Forschung und Entwicklung unterstützt, zeigt das sein Interesse. Das wiederum nehmen auch die Großunternehmen wahr. Bosch zum Beispiel ist vermutlich auch deshalb ausgestiegen, weil ihnen das unternehmerische Risiko zu groß war in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld in Deutschland, das der Batterietechnologie skeptisch gegenüberstand.
Die mittelständische Wirtschaftsstruktur, die Deutschland in vielen Branchen ausmacht – ist sie nicht in der Batterieforschung ein großer Nachteil, weil nur die Großunternehmen das für die Großinvestitionen nötige Kapital haben? Verschärfend kommt hinzu, dass bei uns anders als etwa in den USA kaum eine Szene potenter Risikokapitalgeber existiert.
Straube: Nein und ja. Nein: Die mittelständische Struktur ist kein Nachteil, weil sie gerade in der Frühphase einer neuen Technologie, wenn es noch verschiedene mögliche Wege gibt, ermöglicht, eine Vielzahl kreativer Konzepte parallel zu verfolgen. Das ist in den USA nicht anders, auch da sind es nicht die Großkonzerne, sondern die kleinen Startups, die den Fortschritt treiben. Und ja: Das mit der Finanzierung ist tatsächlich eine Herausforderung, es fehlt uns an Risikokapital.
"Das Hin und Her um die Finanzierung und Ausrichtung der Forschungsfertigung Batteriezelle in Münster war und ist nicht gut."
Unter der ehemaligen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) entstand 2019 das sogenannte "Dachkonzept Batterieforschung". Auch dessen Ende haben Sie im Januar angesichts der drohenden Kürzungen prophezeit, Herr Krausa. Wobei die Frage erlaubt sein muss: Wäre das Ende des Dachkonzepts so schlimm? Der Bau der "Forschungsfertigung Batteriezelle" (FFB) in Münster hat sich mehrfach verzögert. Daneben enthält das Konzept ziemlich viel Geld, was als Kompensation für Münster in andere Bundesländer geflossen ist – nachdem es Vorwürfe gegeben hatte, Karliczek würde einseitig ihre Heimat NRW bedienen.
Krausa: Die FFB wird bis heute in Teilen sehr kontrovers diskutiert. Das Hin und Her um ihre Finanzierung und Ausrichtung war und ist nicht gut. Wegen ihrer Größe besteht zudem die Möglichkeit, dass die FFB mit dem Dachkonzept als Ganzes verwechselt wird. Die FFB ist aber nur ein Element darin, wenn auch ein großes.
Was genau macht die FFB aus?
Krausa: Sie erlaubt Forschung an einer sehr industrienahen Anlage. Wünschenswert wäre es aber, wenn ein stärkerer Fokus der Ausrichtung der FFB auf neuartigen Batteriesystemen läge: Festkörperbatterien und Natrium-Ionen-Batterien. Welche Motivation bestand, nach der Bewilligung der FFB kurzfristig fünf Kompetenzcluster in anderen Bundesländern einzurichten, kann ich nicht beurteilen. Auch wenn es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, sich etwas mehr Zeit bei dem Aufbau der Cluster zu geben, ergänzen sie das Dachkonzept um wesentliche Aspekte: Recycling, Batterienutzung, Analytik, Qualitätssicherung oder auch intelligente Batterieproduktion. Die in den Clustern als Teil des Dachkonzepts laufenden Forschungsvorhaben füllen eine F&E-Pipeline, die in der FFB münden könnte.
Dass es womöglich mehr um Politik als um Forschungsförderung ging, stört sie nicht?
Krausa: Bedauerlich ist in der Tat, dass es keinen Cluster "Batteriesysteme" gibt, der Zellen direkt in einem vollständigen Batterieaufbau untersucht. Trotzdem bildet das Dachkonzept auf der Forschungsseite nahezu die gesamte Wertschöpfungskette ab und begleitet als Impulsgeber alle Industrien des Ökosystems Batterie. Sein Verlust würde viele Unternehmen, insbesondere klein- und mittelständische, hart treffen und dem sich entwickelnden Ökosystems schaden.
Herr Straube, in Ihrer Rolle als KLIB-Vorstandvorsitzender haben Sie vorhin gesagt, die Batterieforschung in Deutschland befinde sich international wieder auf Augenhöhe. Als Spitzenmanager Sie sind jedoch gerade zu einem norwegischen Unternehmen gewechselt. Das eine sind die Sprüche eines Lobbyisten, das andere die persönliche Einschätzung eines Realisten?
Straube: Mein Wechsel war eine persönliche Entscheidung und beinhaltet keine Aussage über den Standort Deutschland. Norwegen weist sehr ähnliche Stärken und Schwächen auf wie die Bundesrepublik. Die Herausforderung ist, die Forschungsergebnisse, die wir in den vergangenen zehn, 15 Jahren erreicht haben, in Wirtschaftsleistung umzusetzen. Das ist jetzt mein Schwerpunkt. Für das wirtschaftliche Umsetzen von Innovationen bietet Nordamerika zurzeit ein deutlich attraktiveres Umfeld als Europa. Das macht mir Sorgen und Gedanken.
Und zu welchen Ergebnissen kommen Sie beim Nachdenken?
Straube: Man kann den amerikanischen Vorteil mit einer Initiative beschreiben: Inflation Reduction Act. Dieser hat die Dynamik komplett verändert und eine Förderlandschaft für junge Industrien geschaffen, die ihresgleichen sucht: Mit einer staatlichen Anschubfinanzierung und mit dem Schutz dieser neuen und noch kleinen Branche vor hoch subventionierter und lange etablierter ausländischer Konkurrenz.
"Andere Wirtschaftsräume fördern, schützen und stärken ihre neuen Industrien viel wirksamer als Europa – mit dem Ergebnis, dass unsere Unternehmen in diesen Bereichen auf dem Weltmarkt kaum bestehen können."
Ihre Antwort lautet also: mehr Subventionen und Protektionismus?
Straube: Ich würde es lieber mehr Unterstützung nennen. Wir müssen der Realität Rechnung tragen, und die zeigt, dass andere Wirtschaftsräume ihre neuen Industrien viel wirksamer fördern, schützen und dadurch stärken als Europa – mit dem Ergebnis, dass unsere Unternehmen in diesen Bereichen auf dem Weltmarkt kaum bestehen können.
Ein Beispiel bitte.
Straube: Der Inflation Reduction Act knüpft zum Beispiel Kaufprämien für Elektroautos daran, dass diese mindestens zum Teil auf amerikanischer Wertschöpfung beruhen. Ohne lokale Wertschöpfung keine Förderung.
Abgesehen von der volkswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit solcher Vorgaben: Die Bundesregierung muss sparen. Wenn schon dreistellige Millionenbeträge für die Forschungsförderung zu teuer geworden sind, wird man kaum erwarten können, dass der Staat jetzt einen neuen Elektroauto-Bonus startet oder gar in Form von Anschubfinanzierung Risikokapital zur Verfügung stellt.
Straube: Tatsächlich erwarte ich hier weniger aus Deutschland und mehr von der Europäischen Union. Die EU muss sich entscheiden, wie sie das Wachstum neuer Industrien ermöglichen und damit den Wohlstand Europas sicherstellen will. Gleichzeitig räume ich ein, dass Europa als Wirtschaftsraum anders funktioniert als die USA. Die Interessen der Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bekommen, ist wesentlich komplexer, und die exportorientierte europäische Industrie ist stärker auf einen offenen Welthandel angewiesen als die amerikanische.
Und von der Bundesregierung erwarten Sie jetzt gar nichts mehr, nachdem sie die Kürzungen bei der Forschungsförderung teilweise zurückgenommen hat?
Straube: Eine konkrete Erwartung habe ich sehr wohl. Wir brauchen einen zusätzlichen Forschungscluster für die Entwicklung der Natrium-Ionen-Batterien. Herr Krausa hat es erwähnt: Sie ist der nächste Schritt, die nächste Stufe in der Batterieforschung. Mit solch einem Cluster hätten wir tatsächlich die Chance, nach dem Aufholen der vergangenen zehn, 15 Jahre sogar einen Vorsprung gegenüber unseren Wettbewerbern auf dem Weltmarkt herauszuholen. Dazu gehört, dass wir wie erwähnt die Anlage in Münster auf diese neuen Technologien ausrichten.
Krausa: Dazu bräuchten wir in Deutschland und Europa aber eine Gesamtstrategie, wie wir eine wettbewerbsfähige neue Industriesparte, die Großserienfertigung großformatiger Batterien, hinbekommen wollen. Eine Strategie, die Regierung und Industrie gemeinsam tragen müssten.
Glauben Sie, die kommt noch? Das politische und gesellschaftliche Interesse an Elektromobilität und Batterieforschung ist in den vergangenen zwei Jahren dramatisch abgeflacht. Weil Sie als Lobbyisten versagt haben?
Krausa: Weil oberflächlich betrachtet kein Versorgungsproblem besteht. Es gibt genügend Batteriezellen, die aus Asien zu uns kommen. Umso wichtiger ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Alle reden vom Ziel der technologischen Souveränität. Wie wollen wir die in Europa erreichen ohne starke eigene Zellfertigung, wenn plötzlich Lieferketten wegbrechen oder aus politischen Gründen nicht mehr geliefert wird? Außerdem ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, dass es bei der Batterieforschung um viel mehr geht als die Elektromobilität. Um es ganz deutlich zu sagen: Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird ohne Batterien, ohne stationäre Energiespeichersysteme, nicht gelingen. Das Gleiche gilt für den Umbau der Logistik, für Schiffe und LKWs bis hin zu PowerTools und Hörgeräten. Unsere Zukunft hängt an der Zelle.
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Inhaltsangabe: Identität und Transformation' lautet das Thema der vorliegenden Arbeit. Dabei gilt es zu klären, welche integrative Wirkung eine kollektive Identität besitzt und welche Rolle der Idee der 'Nation' als integrierender Kraft in den neuformierten postsowjetischen Gesellschaften dabei zukommt. Die zugrundeliegende Fragestellung der in den Kapiteln über Identität, Nation und Transformation behandelten Thematik lässt sich in folgende Fragen fassen: Was ist Identität und welche Rolle spielt sie beim Transformationsprozess? Wie ist der Beitrag nationaler Identitätsangebote zur Herausbildung einer kollektiven Identität zu bewerten? Braucht eine erfolgreiche Transformationsgesellschaft eine nationale Identität? Gegenstand dieser Arbeit ist demnach eine analytische Darstellung des für den Transformationsprozess im postsowjetischen Raum relevanten Faktors 'Identität'. Die kollektive Identität, die in den Nationalbewegungen zum Ausdruck kam und der Idee der 'Nation' prinzipiell zu eigen ist, war ein wesentlicher Faktor für den Zusammenbruch der Sowjetunion und ist auch jetzt noch ein wesentlicher Parameter bei der Untersuchung, wie erfolgreich der Transformationsprozess in den einzelnen Ländern verlaufen ist. Bevor die zentralen Annahmen und Thesen dieser Arbeit vorgestellt werden, soll zunächst die Methodik, und anschließend die Vorgehensweise erläutert werden. Die Annahmen und Thesen sind in dieser Arbeit als das tragende Gerüst zu verstehen, an denen sich der Autor entlang hangelt, immer in dem Bewusstsein, dass die Arbeit zu zerfasern droht, wenn der einmal eingeschlagene Gedankengang nicht mit Disziplin weiterverfolgt wird. Da sie die gedankliche Essenz der Kapitelinhalte sind, werden sie auch entsprechend oft wiederholt. In dieser Arbeit wird ein kulturwissenschaftlich-hermeneutischer Ansatz verwendet, der bewusst versucht die Frage der 'Politischen Kultur' im Transformationsprozess nicht auszuklammern. Die Frage nach der Identität der Bevölkerung verlangt einen derartigen Ansatz. Die zentrale Frage der politischen Kulturforschung ist die nach der Stabilität und Konsolidierung der Demokratie. Deshalb ist zu fragen, in welchem Maße endogene Faktoren, resultierend aus der eigenen gewachsenen historischen Kultur eines Landes, in der Lage sind, zu dieser Konsolidierung im Transformationsprozess beizutragen. 'Die Untersuchung von Kultur besteht darin (oder sollte darin bestehen), Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besseren Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen, nicht aber darin, den Kontinent Bedeutung zu entdecken und seine unkörperliche Landschaft zu kartographieren.' Stefan Garsztecki ist prinzipiell beizupflichten, wenn er feststellt, dass 'gut 10 Jahre nach dem Beginn der Transformation [...] der Faktor Kultur in vergleichenden Studien allmählich in den Mittelpunkt rückt'. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass der Kulturbegriff und das Konzept der politischen Kultur im Rahmen der Transformationsforschung einzig und allein darüber entscheidet, welche Aussagen sich über die 'demokratische Ausgestaltung, die Konsolidierung einer demokratischen Zivilgesellschaft, [...] die Permanenz der Demokratie' treffen lassen. Der Siegeszug des rational-choice-Ansatzes scheint also zugunsten von kulturwissenschaftlich-hermeneutischen Ansätzen vorerst gestoppt zu sein. Gerade beim Vergleich der unterschiedlichen Transformationserfolge ist der kulturwissenschaftliche Ansatz von großer Bedeutung. Aus diesem Grund wurde auch der Faktor 'Identität' ausgewählt, um als Variable bei der Untersuchung des Transformationsprozesses zu fungieren. Dementsprechend zu dem weitgefassten Zugang zum Transformationsprozess ist die Literaturauswahl in dieser Arbeit auch interdisziplinär und versucht möglichst verschiedenen Aspekte und Sichtweisen des Transformationsprozesses zu berücksichtigen. Der Zeitschrift OSTEUROPA kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, denn sie versteht sich als eine 'interdisziplinäre Monatszeitschrift zur Analyse von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Zeitgeschichte in Osteuropa, Ostmitteleuropa und Südosteuropa', entsprechend dem Ansatz dieser Arbeit. Klaus Mehnert, der Namensgeber des Kaliningrader Europa-Institutes, leitete die Zeitschrift zwischen 1951 und 1975. Sein interdisziplinärer Ansatz spiegelt sich im Europa-Institut Klaus Mehnert in Kaliningrad sowie in der Zeitschrift OSTEUROPA. Die Auswertung der Erscheinungen der letzten 15 Jahre in Bezug auf Artikel zum Thema 'Identität' nimmt einen großen Stellenwert in dieser Arbeit ein. Herauszuheben aus der verwendeten Literatur ist noch Georg Elwerts Beitrag zur Bildung von Wir-Gruppen und zur Entstehung von Nationalbewusstsein. Dadurch gelang es die Verbindung zwischen einer kollektiven Identität und dem in den postsowjetischen Staaten entstehenden Nationalbewusstsein zu ziehen. Im Kapitel zur 'Transformation' waren besonders das Lehrbuch von Wolfgang Merkel hilfreich, bei der Untersuchung der Transformation in Osteuropa sind Andreas Kappeler, Uwe Halbach und Peter W. Schulze als die wesentlichen Impulsgeber zu nennen. Ohne tiefer in die unterschiedlichen Ansätze zu Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, zu normativ-ontologischer, historisch-dialektischer und empirisch-analytischer Schule eingehen zu wollen, muss beachtet werden, dass es sich bei Begriffen wie 'Transformation', 'Identität', 'Integration', 'Nation' oder anderen um gedankliche und sprachliche Konstrukte handelt, die keine Abbildung in der Realität haben. Es sollte also prinzipiell ein Gespür dafür vorhanden sein, dass das Medium Sprache Wirklichkeit konstruiert. In der modernen Nationalismustheorie spricht man inzwischen von der 'Erfindung der Nation' und spielt dabei auf die Rolle der Eliten als Geburtshelfer beim sogenannten 'nationalen Erwachen' von Nachzüglergesellschaften an. Grundsätzlich gilt, dass Wissenschaft stets nur ein Abbild der Realität ist. Sämtliche Klassifikationsversuche sind im Grunde Versuche der Welt eine Struktur zu geben; die Sprache erfüllt in der heutigen Welt ganz wesentlich eine Benennungs- und Klassifizierungsfunktion. Sprache strebt danach, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Zufall und Kontingenz zu leugnen und zu unterdrücken. Ambivalenz ist ein Nebenprodukt der Arbeit der Klassifikation. Ambivalenzen sollen aber vermieden werden, um die Ordnung des Gedankengebäudes aufrecht zu erhalten und Unbehagen zu vermeiden. Nach Zygmunt Bauman besteht die typisch moderne Praxis, die Substanz moderner Politik, des modernen Intellekts, des modernen Lebens darin, 'Ambivalenz auszulöschen: eine Anstrengung genau zu definieren – und alles zu unterdrücken oder zu eliminieren, was nicht genau definiert werden konnte oder wollte'. Die vorliegende Arbeit möchte aber genau dieses vermeiden, und stattdessen Ungenauigkeiten in geringem Umfang zulassen, da es unmöglich ist sie auszuschließen. Mit diesem kurzen gedanklichen Ausflug sollte lediglich auf die Schwierigkeit des Themas 'Identität und Transformation' mit derartig abstrakten Begriffen hingewiesen werden, da sich hinter den Begriffen Vorstellungswelten verbergen, die nie vollständig zu fassen sind; entstehende Unschärfen sind daher nicht beabsichtigt, sondern einfach unvermeidbar und erfüllen auch einen gewissen Zweck, da es illusorisch ist, die Komplexität der Welt mit wenigen Worten fassbar zu machen. Mit diesem Ansatz soll der Tendenz in der Politikwissenschaft entgegengewirkt werden, Typologien zu entwickeln, dabei den Kontakt zum Gegenstand zu verlieren und am Ende nichts mehr erklären zu können. Naturgemäß stellen sich Unschärfen dadurch ein, dass die zitierten Autoren die Begriffe unterschiedlich definieren und verwenden, besonders schwierig wird es, wenn Begriffe aus dem Englischen übersetzt werden. Dennoch soll zu Beginn der Kapitel über 'Identität' und 'Transformation' versucht werden, die Spannweite dieser Begriffe darzustellen, sie zu definieren und damit ihren Bedeutungsgehalt zu begrenzen. Dennoch soll in einem ersten Schritt versucht werden, sich dem Phänomen 'Identität' zu nähern (Kapitel 1.1 1.2). Aus den individuellen Vorstellungen von Identität entsteht eine kollektive Identität, die das Bewusstsein einer Großgruppe bestimmt. In Kapitel 1.3 wird zu ergründen versucht, warum das Bedürfnis nach einer kollektiven Identität besteht. Demnach gilt es zu unterscheiden zwischen einer individuell-psychologischen und einer kollektiven Identität. Diese stehen jedoch in einem Wechselverhältnis zueinander, auf das später noch eingegangen wird. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich aus zahlreichen Faktoren neue Wir-Gruppen, die einer kollektiven Identität bedurften (Kapitel 1.4). Eine kollektive Identität, so die erste zentrale These der vorliegenden Arbeit, ist eine der Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen, da durch sie die notwendige gesellschaftliche Integration und Mobilisierung geleistet werden kann. Sie liefert den Kitt für die gesellschaftliche Kohäsion, verhindert einen Zerfall des Staatswesens gleichermaßen wie seine Integration in andere Staaten und die damit verbundene Selbstauflösung. Eine gemeinsame Identität setzt eine gemeinsame Interpretation geschichtlicher Ereignisse, gemeinsame Zukunftserwartungen und als Grundlage dessen eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Medien voraus, in denen eine Artikulation der gemeinsamen Vorstellungen stattfindet und kontroverse Aspekte entsprechend diskursiv abgebildet werden. Somit umfasst Identität im Sinne der vorliegenden Arbeit die drei Bereiche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine kollektive Identität hat also gewisse Voraussetzungen, die entweder schon vorhanden sind oder erst konstruiert werden müssen. Nach der Implosion der Sowjetunion und dem Wegfall ihrer legitimitätsstiftenden Ideologie und ihrer integrierenden Faktoren (Kapitel 1.5) setzte in der postsowjetischen Phase die Suche nach einer neuen kollektiven Identität in den neuentstandenen Republiken ein (Kapitel 1.6). Die zweite These lautet, dass die zentrale Einheit, die kollektive Identität schafft, die Nation ist. Damit ist die Nation eine wesentliche Ressource im Transformationsprozess. Diesem Gedankengang wird im zweiten Kapitel nachgegangen. Nachdem zunächst erklärt werden soll, was unter dem Begriff der 'Nation' verstanden werden soll, soll das Konzept des Nationalstaates als politisches Ordnungsmuster (Kapitel 2.1) beschrieben werden. In Kapitel 2.2 wird darauf aufbauend auf die Integration dieses Konzeptes eingegangen. Negative Mobilisierung findet oftmals durch einen Rückgriff auf einen chauvinistisch ausgelegten Nationalstaatsgedanken statt. Bei der Literaturdurchsicht drängte sich fast der Eindruck auf, dass die beide Integrations- und Mobilisierungskonzepte so eng miteinander verbunden sind, das eine trennscharfe Unterscheidung fast unmöglich ist. Aus diesem Grund wird in Kapitel 2.3 das Konzept der negativen Mobilisierung in einem Exkurs behandelt. Der dadurch entstehende Nationalismus muss sicher als negativer Teilaspekt der positiven Integrationsleistung der Idee der 'Nation' gelten. Die anderen Voraussetzungen auf die der Nationalstaatsgedanke in Osteuropa mit seiner sehr viel heterogeneren Bevölkerungsstruktur als in Westeuropa trifft, sind unter anderem Gegenstand der Betrachtung im Kapitel 2.4. Den Abschluss des Kapitels zur Nation bilden darauf aufbauend Überlegungen zum Unterschied zwischen de westlichen und dem östlichen Nationenbegriff in Kapitel 2.5. Das relativ kurze dritte Kapitel ist der Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion gewidmet. Diese Nationalitätenpolitik ist hauptverantwortlich für die 'Explosion des Ethnischen' ab Mitte der 80er Jahre. Nachdem erläutert wurde, worin der Ansatz dieser Politik grundsätzlich bestand, macht es sich Kapitel 3.1 zur Aufgabe den inoffiziellen Nationalitätenvertrag auszuführen, der die regionalen Eliten bewusst förderte. Gezielte Industrieansiedlungen durch die zentral koordinierte Planwirtschaft vergrößerten die Heterogenität in der Bevölkerungsstruktur (Kapitel 3.2). Auch diese Politik kann damit als ein Element der Nationalitätenpolitik gelten, da durch sie ortsfremde russischsprachige Kader auch an der Peripherie des Imperiums angesiedelt werden konnten. Dieses Gemisch aus den nationalisierenden lokalen Eliten und den ortsfremden sowjetisch sozialisierten Industriekadern, war die Grundlage für das Brodeln in der Perestrojka-Phase und das Hochkochen Anfang der 90er Jahre als der vermeintliche 'melting pot' Sowjetunion sich als Völkergefängnis entpuppte und durch die 'Explosion des Ethnischen' der Sowjetführung um die Ohren flog (Kapitel 3.3). Die territoriale Neuordnung nach der Implosion der Sowjetunion führte zur Schaffung von Nationalstaaten. Dies ist neben der politisch-institutionellen und ökonomischen Neuausrichtung der dritte Aspekt im Transformationsprozess. Deshalb wird auf die Neugliederung der ehemaligen Sowjetunion in Nationalstaaten als Teilaspekt postsowjetischer Transformation verstärkt in dieser Arbeit geachtet werden. Das Integrationskonzept über die Idee der 'Nation' die Gesellschaft zu integrieren, war zwar in Westeuropa sehr erfolgreich – auch wenn es für zwei Weltkriege mitverantwortlich war – trifft in Osteuropa aber auf ganz andere Voraussetzungen, da die Bevölkerungsstruktur viel heterogener ist. Stattdessen müssen in Osteuropa Integrationskonzepte zum Tragen kommen, die die kollektive Identität in einem größeren Zusammenhang sehen, in einer gemeinsamen politischen Vision, in der Menschenrechte und Demokratie fester Bestandteil sind. Die Untersuchung der Transformation in den ehemals realsozialistischen Staaten Osteuropas erfolgt im fünften Kapitel der Arbeit. Zuvor sollen im vierten Kapitel verschiedene Transformationstheorien vorgestellt werden und bezüglich ihrer Brauchbarkeit für die Analyse der Transformation in Osteuropa hinterfragt werden: Was können sie erklären und was nicht? Nach diesem eher allgemeineren Zugängen wird versucht, die Transformation in Osteuropa in wenigen Kapiteln fassbar zu machen. Eine empirische Darstellung des Transformationsprozesses der relevanten Länder kann nicht erfolgen, eher soll ein problemorientierter analytischer Aufriss einiger Faktoren erfolgen. Als erstes soll das Spezifische des Prozesses in den 90er Jahren in den osteuropäischen Ländern illustriert werden, danach prinzipielle Spannungsfelder, die sich aus historisch-kulturell-geografischen Daten ergeben, dargestellt werden, bevor in einem letzten Schritt der Ablaufprozess ebenso wie die verschiedenen Ebenen der Transformation schlaglichtartig beleuchtet werden. Der Teil der Arbeit der sich dem Phänomen der 'Transformation' widmet, wird grundsätzlich von folgenden Fragen strukturiert werden: Was soll unter Transformation verstanden werden? Gibt es überhaupt das große Paradigma 'Transformation' auf das sich alle Transformationsforscher als einheitlichen Untersuchungsgegenstand stützen können oder ist Transformation nicht ein konturloser Begriff unter dem sich alles und jedes fassen lässt, jegliche Systemwechsel in beliebigen politischen Systemen auf der ganzen Welt unbestimmt in Dauer, Intensität, Richtung und Ausgangssituation (Kapitel 4.1)? Welche theoretischen Zugänge wurden grundsätzlich entwickelt, um Transformationsprozesse besser analysieren und verstehen zu können? Vor welchem Hintergrund wurden sie entwickelt und was für ein Erklärungspotential bergen sie zum besseren Verständnis der Transformation in Osteuropa (Kapitel 4.2)? Auf Grundlage dieser Bestandsaufnahme erfolgte eine genauere Analyse des Transformationsprozesses in Osteuropa (Kapitel 5). Zunächst wurde das Hauptaugenmerk auf den Aspekt der Besonderheit dieses Transformationsprozesses gegenüber den vorherigen gelegt (Kapitel 5.1). Inwiefern war der Transformationsprozess in Osteuropa komplexer als die vorhergegangenen? Welche Ebenen umfasste er? Kapitel 5.2 ist der Darstellung der speziellen Gegebenheiten und Konstanten im postsowjetischen oder osteuropäischen Raum gewidmet. Transformation findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern hat gewisse Voraussetzungen und Vorbedingungen, die auch Einfluss auf den Transformationsverlauf nehmen und die gewisse Entwicklungswege erschweren. In Kapitel 5.3 und 5.4 steht die Empirie der Transformation im Vordergrund. Zu fragen ist grundsätzlich: Was ist in den postsowjetischen Ländern überhaupt passiert? Welche Transformationen durchliefen das politische und das ökonomische System? Gibt es zugrundeliegende Logiken und Handlungsmuster? Die zentralen Annahmen der gesamten vorliegenden Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Identität ist eine Kategorie, die sich zusammensetzt aus einem individuell-psychologischen Aspekt und einem kollektiven. Eine kollektive Identität setzt sich zwar zusammen aus der Summe der Einzelidentitäten, umfasst aber nur einen kleinen Teilbereich der Einzelidentität, nämlich den, der sich auf die Wahrnehmung einer Gruppe als Gesamtheit bezieht. Gesellschaftliche Integration ist einer der entscheidenden Faktoren zur staatlichen Konsolidierung und damit zum Gelingen des Transformationsprozesses. Da die Implosion der Sowjetunion auch eine staatliche Neuordnung auf ihrem Territorium nach sich zog, müssen die selbstständig gewordenen ehemaligen Sowjetrepubliken nach einer kollektiven Identität suchen mit Hilfe derer es gelingen kann, die heterogenen postsowjetischen Bevölkerungsschichten zu integrieren. Die Idee der Nation ist zum zentralen Moment der kollektiven Identität im Transformationsprozess in vielen osteuropäischen Staaten geworden. Nationale Ideen werden von politischen Akteuren genutzt, um Bevölkerungsgruppen zu integrieren. Den Nationalbewegungen in den Volksfronten kam eine entscheidende Rolle beim Zusammenbruch der sowjetischen Ordnung zu. Nationalismus ist nicht von vorneherein negativ zu bewerten. Er leistet einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration in diesen Ländern. Dennoch liegen auch die Gefahren von nationalen Ideen angesichts der heterogenen Siedlungsstruktur Osteuropas auf der Hand. Notwendige geschichtliche Aufarbeitungsprozesse werden zudem verhindert und Frustrationen durch Transformationsprozess auf externe Faktoren abgeschoben was zur Bildung von Feindbildern beiträgt. Die vor dem Zusammenbruch des realsozialistischen Blocks entwickelten Transformationstheorien sind zwar hilfreich bei der Erklärung bestimmter Prozesse, jedoch besteht nach wie vor ein Mangel an Theoriemodellen, um die postsowjetische Transformation zu erklären. Aus diesem Grund soll neben den klassischen theoretischen Erklärungsansätzen, anschließend die Besonderheiten der Transformationsbedingungen im postsowjetischen Raum dargestellt werden. Transformation im postsowjetischen Raum findet seit Mitte der achtziger Jahre auf mehreren Ebenen statt. Da die Transformation nicht nur das politische, sondern auch das ökonomische und gesellschaftliche System erfasst, ist eine Betrachtung der einzelnen Ebenen, die komplex miteinander verwoben sind, sinnvoll. Bei der Untersuchung der Transformationsprozesse soll auch ein besonderes Augenmerk auf die Kontinuitäten im postsowjetischen Raum gelegt werden, die für ein Stocken oder eine Richtungsentscheidung mitverantwortlich sind. Die grundlegenden Thesen dieser Arbeit lauten zusammengefasst: Eine kollektive Identität ist eine der Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen, da durch sie die notwendige gesellschaftliche Integration und Mobilisierung geleistet werden kann. Jede soziale Gruppe gibt sich eine kollektive Identität. Dabei wird sehr oft auf die gemeinsame ethnische Abstammung und die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Nation verwiesen. Das Identitätsbewusstsein der gesellschaftlichen Eliten in Osteuropa war geprägt durch eine Renaissance des Nationalen und hatte entscheidenden Einfluss auf den Transformationsprozess und die Herausbildung von Nationalstaaten auf dem Territorium der Sowjetunion. Die zentrale Einheit, die kollektive Identität schafft, ist die Nation. Damit ist die Nation eine wesentliche Ressource im Transformationsprozess. Das Integrationskonzept über die Idee der 'Nation' war zwar in Westeuropa sehr erfolgreich – auch wenn es für zwei Weltkriege mitverantwortlich war – trifft in Osteuropa aber auf ganz andere Voraussetzungen, da die Bevölkerungsstruktur viel heterogener ist. Stattdessen müssen liberalere Integrationskonzepte in Osteuropa zum Tragen kommen, die die kollektive Identität in einem größeren Zusammenhang sehen, in einer gemeinsamen politischen Vision, in der Menschenrechte und Demokratie fester Bestandteil sind.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Einleitung5 1.Identität15 1.1Relevanz des Faktors 'Identität'15 1.2Annäherung an den Begriff 'Identität'16 1.3Der Bedarf nach einer kollektiven Identität20 1.4Bildung von Wir-Gruppen21 1.5Identitätsstiftung in der Sowjetunion22 1.5.1Patriotische Sinnstiftung als Integrationsfaktor24 1.5.2Forcierte Industrialisierung als Integrationsfaktor26 1.5.3Der 'Große Vaterländische Krieg' als Integrationsfaktor27 1.6Identitätssuche nach dem Zerfall der Sowjetunion28 1.6.1Patriotischer Konsens in Russland32 1.6.2Orthodoxer Patriotismus als Element der russischen Identität37 1.6.3Identitätssuche in den postsowjetischen Republiken39 1.6.4Nationalstaatsbildung in der Ukraine41 1.6.5Schaffung einer neuen Regionalidentität am Beispiel Transnistriens44 2.Der Begriff der 'Nation'48 2.1Der Nationalstaat als politisches Ordnungsmuster51 2.2Positive Integration durch das Konzept des Nationalstaates54 2.3Chauvinistischer Nationalismus als Schattenseite der positiven Integrationskraft der Idee der 'Nation'56 2.4Exkurs: Negative gesellschaftliche Mobilisierung60 2.5Der Unterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Nationenbegriff64 3.Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion67 3.1Inoffizieller Nationalitätenvertrag70 3.2Gezielte Industrieansiedlungen als Teil der Nationalitätenpolitik72 3.3Folgen der Nationalitätenpolitik: Nationale Identität als Aufbruchsmoment und Ursache für den Zerfall der Sowjetunion74 4,Transformation82 4.1Annäherung an den Begriff der 'Transformation'83 4.2Transformationstheorien89 4.2.1Systemtheorien91 4.2.2Strukturtheorien93 4.2.3Kulturtheorien95 4.2.4Akteurstheorien96 4.2.5Theoriesynthese97 5.Transformation in Osteuropa99 5.1Grundproblematik100 5.1.1Die Unvergleichlichkeit des Systemwechsels von 1989101 5.1.2Das Dilemma der Gleichzeitigkeit105 5.2Prinzipielle Problemfelder bei der Transformation im postsowjetischen Raum107 5.2.1Geographische Gegebenheiten108 5.2.2Mächtiger Staat und passive Gesellschaft110 5.2.3Privilegierte Eliten und geknechtete Unterschichten111 5.2.4Die Welt der Bauern und die Welt der Städte113 5.2.5Russen und Nichtrussen114 5.2.6Extensivität und verzögertes Wirtschaftswachstum115 5.2.7Heiliges Russland und orthodoxe Staatskirche117 5.2.8Hochkultur und Volkskultur118 5.2.9Europa und Asien120 5.3Transformation des politischen Systems121 5.3.1Transformation des Herrschaftsmodells121 5.3.2Transformation zu scheindemokratischen Herrschaftsmodellen122 5.3.3Die Handlungslogik der Ein-Mann-Regime123 5.3.4Die Zerstörung des gesellschaftlichen Pluralismus126 5.4Transformation der Ökonomie128 Schluss132 Literatur136Textprobe:Textprobe: Kapitel 1.6, Identitätssuche nach dem Zerfall der Sowjetunion: Dem 'homo sovieticus' hatte sich die Frage nach seiner Identität kaum gestellt. Der Begriff 'identicnost' war in keinem sowjetischen Wörterbuch zu finden. Die Einheitsideologie ließ keinen Platz für weitergehende Fragen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte die Suche nach neuen Identitäten schließlich beginnen. Nachdem im Kapitel 1.5 die identitäts- und integrationsstiftenden Mechanismen in der Sowjetunion beschrieben wurden, soll im Kapitel 1.6 die Suche nach neuen identitäts- und damit integrationsstiftenden Elementen beschrieben werden. Die Dekonstruktion sowjetischer Mythen ging Hand in Hand mit der Rekonstruktion von Mythen aus der Zarenzeit. Dazu gehörte ein stilisiertes und idealisiertes Bild des 'ancien régime': Die Verdienste der Romanovs wurden wiederentdeckt und alsbald in das neue kollektive Gedächtnis integriert. Adel, Großunternehmer und Industrielle, Kosaken, vor allem jedoch die Russisch Orthodoxe Kirche erlangten ihre historischen Rechte zurück. In diesen Konstruktionen ist immer auch die Sehnsucht nach einer heilen Vergangenheit erkennbar. In den Jahren der Transformation ist sich Russland seiner Identität unsicher geworden. Ende des Jahres 1997 stellte Christiane Uhlig das Fehlen einer kollektiven Identität fest, in deren Namen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Schichten zu gemeinsamem Handeln für den Aufbau der neuen Gesellschaft zusammenfinden könnten. Gerade in Zeiten der Krise gibt es ein Bedürfnis nach nationalen Identifikationsangeboten. Dass gerade in den schwierigen Transformationsjahren der Verlust der sowjetischen Identität besonders schwer wiegt, beklagte auch Boris El'cin: 'Jede Etappe hatte ihre Ideologie. Jetzt haben wir keine. Russland braucht eine gesamtnationale Idee, die die Nation zusammenschweißt, die Menschen eint und mobilisiert zur Wiedergeburt Russlands und die ein Gegengewicht ist zum politischen Gezänk.' Dies war auch der Grund dafür, dass die halbamtliche Zeitung Rossijskaja Gaseta, einen Wettbewerb nach der besten 'Idee für Russland' ausschrieb. Es bestand also in der Administration und unter den Eliten Konsens, dass es notwendig sei, eine im eigentlichen Sinne staatliche Ideologie auszuarbeiten. Dies kann nur vor dem Hintergrund der kommunistischen Tradition verstanden werden nach der eine Ideologie notwendiger Bestandteil von Herrschaft war, um die Bevölkerung zu integrieren. Jetzt wurde der Bedarf nach einer Zivilreligion festgestellt, einem Konzept, das jenseits der Gesetzestexte eine Regelungsinstanz für die gesellschaftlichen Mechanismen darstellt. In den westlichen Staaten speist sich das dem Staat zugrunde liegende normative Konzept im Wesentlichen aus den jüdisch-christlichen religiösen Vorstellungen, die noch mal durch den Protestantismus an die europäische Neuzeit angepasst wurden, der griechisch-römischen Antike und dem Humanismus der Aufklärung. Diese Elemente bilden in den westlichen Staaten das zugrundeliegende normative Konzept für die politische Ordnung. Diese Geistestraditionen sind nicht in gleichem Maße in der russischen Tradition vorhanden, was die Etablierung von Demokratie, Menschen- und Bürgerrechten mit Sicherheit nicht gerade vereinfacht. Als Konsequenz der anderen geistesgeschichtlichen Traditionen müssen die Konzepte der Demokratie im postsowjetischen Raum mehr von oben nach unten vermittelt werden, als dass sie Bestandteil einer gemeinsamen Vorstellungswelt sind, die als vorhanden vorausgesetzt werden kann. Damit kommt dem Staat und seinen Apparaten eine viel bedeutendere Rolle bei der Vermittlung von gesellschaftlichen Konzepten zu als dies in westlichen Gesellschaften der Fall ist. Innerhalb Russlands lässt sich die Suche nach einem neuen kollektiven Identifikationsangebot anhand von verschiedenen politischen Diskursen darstellen: zum einen dem liberalen Diskurs und zum anderen 'die Rückkehr zum Imperium'. Einmal geführt durch die neo-nationalistische Rechte, die die Zeit vor 1917 zum 'Goldenen Zeitalter' verklärt. In diesem Diskurs finden sich Vorstellungen der Slawophilen, die die russische Nation als eine eigenständige Welt betrachten, die mit den slawischen Gebieten und Russischer Muttererde eng assoziiert sein sollte. Der andere Diskurs lässt sich als neo-sowjetischer Diskurs bezeichnen, der die sowjetische Heimat wieder integrieren möchte in einem sozialistischen multiethnischen Imperium. Hier ist die Kommunistische Partei Russlands der Hauptträger, der sozialistische Rhetorik mit russischem Nationalismus verknüpft. Auch wenn dieser Diskurs eng mit Vorstellungen von Inklusion, Gleichheit, Universalismus und internationaler Solidarität verknüpft ist, so ist doch gleichzeitig offensichtlich, dass es in Wirklichkeit um die Reetablierung einer Hegemonie unter russischer Führung gehen soll. Der liberale Diskurs, der zu Beginn der 90er Jahre von den liberalen Reformern geführt wurde, bedeutete einen Bruch sowohl mit der zaristischen als auch der sowjetischen Vergangenheit. Russland ist demnach ein selbständiger Staat, der keine Ansprüche auf die Territorien der anderen selbständig gewordenen Republiken erhebt. Der Staatsaufbau in Russland genießt demnach absolute Priorität. Die Beziehungen zu den neuen Republiken sollten auf Kooperation, gegenseitigem Respekt und Partnerschaft bestehen. Seit 1993 gibt es noch einen dritten Diskurs, den der 'Gosudarstvenniki', die zwar einerseits die Grenzziehungen akzeptieren, aber gleichzeitig die Einmischung Russlands in die Politik der Staaten des 'Nahen Auslands' wünschen. Russland kommt nach dieser Lesart nach wie vor ein spezieller Status im postsowjetischen Raum zu, da in vielen dieser Staaten russische Minderheiten existieren, die in erster Linie Opfer der national konnotierten Identitätspolitik der Republiken sind (Vgl. besonders die in Kapitel 1.6.5 beschriebene Situation in der Republik Moldau, bzw. der PMR). Das Bewusstsein dieser großen ethnolinguistischen Gemeinschaft und die Art, in der die russischsprachigen Brüder und Schwestern in den Republiken behandelt wurden, hatte starken Einfluss auf den in Russland geführten Diskurs und spielt m. E. nach wie vor eine bedeutende Rolle. Die russophonen Minderheiten und ihre Rolle in den Baltischen Staaten, in Moldau, Georgien oder der Ukraine sind nach wie vor Gegenstand der politischen Aufmerksamkeit. Sie werden als Kolonisten und Besatzer durch die Mehrheitsbevölkerung in den Republiken wahrgenommen. Dies steht im Gegensatz zu der Wahrnehmung der russischsprachigen Bevölkerung durch die 'Gosudarstvenniki', die die Rechte der Russophonen verteidigen. Die Idee Russlands ist in diesem Diskurs also ganz wesentlich mit der Beziehung zu ihren Diasporagruppen entstanden. Bei der nationalen Identitätsdebatte fällt ganz generell auf, dass der Diskurs versucht, die Komplexität der neuen sozialen Wirklichkeit in kollektive Identitätsformen zu fassen. Insgesamt mutet die Debatte demzufolge als ein Versuch einer rückwärtsgewandten Identitätsgewinnung an. Christiane Uhlig zufolge beanspruchen die Codierungen, die in den Debatten verwendet werden, 'universale Relevanz, sind dichotomer Natur, basieren auf dem Prinzip von Inklusion und Exklusion und dienen der Charakterisierung russischer Identität' Bei diesen meist kulturologischen Arbeiten, die sich mit der Identitätsfrage befassen, wird versucht, Schlüsse über den russischen Nationalcharakter zu ziehen, die aber 'einer genaueren Analyse nicht standhalten'. Dennoch hat sich ein Konsens gebildet, der durch das informelle Zusammenrücken der Eliten entstanden ist und für die Kontinuität und Stabilität Russlands auch in den Wirren der Transformation verantwortlich ist.
Aus der Einleitung: Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema 'Liquidität der Kapitalmärkte'. Diese ist seit Jahrzehnten ein zentraler Forschungsgegenstand der BWL. In dieser Arbeit wird nicht die Liquidität im Sinne der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen untersucht, sondern im Sinne der Handelbarkeit – der Wertpaperliquidität. Allgemein wird hierunter die Möglichkeit verstanden, eine Transaktion unabhängig von der Größe der Order und dem Zeitpunkt der Durchführung zu einem günstigen Preis abschließen zu können. Um für alle Marktteilnehmer einen optimalen Preis garantieren zu können, kann dies nur durch eine ausreichende Liquidität der Wertpapiere gewährleistet werden. Folglich ist die Liquidität eine der wichtigsten Eigenschaften des Wertpapiermarktes, denn bei einem illiquiden Wertpapier können sich die Marktteilnehmer nicht sicher sein, ob der Kurs dem inneren Wert entspricht. Auch die Transaktionskosten fallen bei illiquiden Wertpapieren deutlich höher aus als bei liquiden, da die Händler für die Kursunsicherheit entschädigt werden wollen. Der Liquiditätsbegriff wird auch in der Literatur mehrdeutig verwendet, was auf die Mehrdimensionalität des Begriffs zurückzuführen ist, da die Liquidität mehrere Eigenschaften des Wertpapiermarktes umfasst. Es gibt zwar eine recht genaue Vorstellung über die Liquidität eines Kapitalmarktes, ausgedrückt durch die Dimensionen Markttiefe, Marktbreite, Marktenge, Erneuerungskraft und der Zeitdimension, doch ein für die Praxis geeignetes Messkonzept gibt es nicht wirklich. Die verschiedenen Dimensionen sind auch der Grund dafür, dass kein eindeutiges Messkonzept existiert, welches eine ausreichende Abdeckung sicherstellt. Bortenlänger weist sogar darauf hin, dass die Liquidität für die Überlebensfähigkeit des Marktes wichtig ist. Er begründet seine Aussage damit, dass mangelnde Liquidität die Abwanderung von Marktteilnehmern provoziert und dadurch weitere Liquidität ablöst. Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet vor diesem Hintergrund: Wie liquide sind die Kapitalmärkte? Hierbei liegt der Fokus auf den deutschen Wertpapiermarkt. Allerdings kann zu der Fragestellung erst im empirischen Teil eine Antwort gegeben werden. Neben den genannten Dimensionen bestehen noch bestimmte Eigenschaften, die die Liquidität zwar nicht beschreiben, aber beeinflussen. So können Market-Maker einen erheblichen Einfluss auf die Liquidität ausüben, da sie die Geld- und Briefkurse stellen. Die Market Maker werden auch als Liquiditätsanbieter bezeichnet, weil sie durch ihre jederzeitige Handelsbereitschaft einen stabilen und kontinuierlichen Handel gewährleisten. Ein weiterer Anbieter kann auch der Auktionator sein. In einem Auktionssystem findet der Handel zwischen den Investoren statt und der Auktionator tritt lediglich als Vermittler auf. Die Vermittlung muss hierbei einen zügigen und kostengünstigen Abschluss gewährleisten, um dadurch einen liquiden Markt zu schaffen. Sowohl beim Market-Maker-System als auch beim Aktionssystem spielen die Transaktionskosten eine große Rolle, denn je niedriger diese, desto Höher die Attraktivität und damit auch die Liquidität eines Marktes. Allerdings besteht auch hier keine genaue Einigkeit über die exakte Zusammensetzung der Transaktionskosten. Diese werden in verschiedenen Studien differenziert weit gefasst. Für die weitere Ausarbeitung ist die Zusammensetzung der Transaktionskosten nicht von Bedeutung. Hierbei wird vielmehr die Eignung der verschiedenen Messkonzepte untersucht. Ein weiteres bedeutendes Definitionselement stellt die Ordergröße dar. Hierbei geht es um die Fähigkeit des Marktes Aufträge ohne adverse Preisänderungen aufnehmen zu können. Ein liquider Markt zeichnet sich auch dadurch aus, dass er in der Lage ist große Orders zu absorbieren. Hinsichtlich der Liquiditätsmessung müssen diese so gestaltet sein, dass sie die verschiedenen Dimensionen und Definitionselemente widerspiegeln. Hierzu wurden zahlreiche verschiedene Messkonzepte entwickelt, die den Versuch starten die Liquidität verschiedener Kapitalmärkte zu messen. Die Messkonzepte unterscheiden sich erheblich von ihrer Vorgehensweise. Eine vollständige Erfassung der Marktliquidität anhand eines Messkonzeptes, in der alle Dimensionen beachtet werden, ist bis heute nicht gelungen. Allgemein lassen sich hierzu zwei Problemkreise festlegen: (1) Wodurch wird die Liquidität eines Wertpapiers beeinflusst? (2) Was determiniert die Liquidität eines Wertpapiers? Mit dieser Problematik beschäftigt sich die vorliegende Ausarbeitung, um eine Antwort auf die zuvor gestellte zentrale Frage zu gewinnen. Voraussetzung der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen ist zunächst die Quantifizierung der Liquidität. Um die wichtigsten Vorgehensweisen zu nennen, anhand der versucht wird die Kapitalmarktliquidität zu messen, so wären dies die Messkonzepte unter Verwendung von Orderbuchinformationen und solche unter der Verwendung von Transaktionsdaten. Bezüglich der Verwendung von Orderbuchdaten sind hierbei der Bid-Ask-Spread und andere Spannenmaße zu nennen. Unter der Verwendung der Transaktionsdaten fallen zum Beispiel das Handels- sowie das Transaktionsvolumen und verschiedene Varianzquotienten. Bezüglich der Zuordnung verschiedener Konzepte existieren ebenfalls unterschiedliche Vorgehensweisen. In einigen Studien erfolgt die Zuordnung durch Differenzierung zwischen ein- und mehrdimensionalen Liquiditätsmaßen. Andere unterteilen die Maße in einer Preis- sowie Zeitdimension. Ein weiteres Beispiel legen Sarr und Lybek vor. Die Einordnung der Liquiditätsmaße erfolgt hierbei in vier Unterteilungen: (1) transaction cost measures, (2) volume based measures, (3) price based measures und (4) market-impact measures. Hierzu könnte noch eine Vielzahl von weiteren Beispielen erfolgen, um aber nur einen ersten Überblick der Möglichkeiten aufzuzählen bleibt es zunächst bei diesen vier Beispielen. In dieser Arbeit erfolgt keine direkte Einordnung der Messkonzepte, da dies keine Auswirkung auf die Beantwortung der gestellten Fragen hat. Im Fokus steht allein die Eignung der Messkonzepte. Die Struktur der Aufzählung gibt aber einen Hinweis auf eine mögliche Unterteilung der verschiedenen Maße. Bezüglich des Kapitalmarktes erfolgte eine Einengung des Begriffs, wonach dieser mit dem organisierten Wertpapiermarkt gleichgesetzt wird. Generell verbriefen die wichtigsten Wertpapiere entweder Kreditverträge (Fremdkapital) oder Beteiligungen (Eigenkapital). Demnach sind in diesem Kontext Kapitalmärkte vor allem Märkte für Anleihen und Aktien. Für die weitere Ausarbeitung werden ausschließlich Aktien betrachtet. Wie bereits erwähnt erfolgt die Liquiditätsmessung für den deutschen Kapitalmarkt. Für die Analyse werden der DAX und der CDAX betrachtet. Der DAX misst die Performance der 30 umsatzstärksten Aktien Deutschlands und ist der meistbeachtete Indikator für die Kursentwicklung am deutschen Aktienmarkt. Die meisten dieser 30 so genannten Blue Chip Unternehmen agieren weltweit und erzielen meist deutlich mehr Umsätze im Ausland als durch ihr Inlandsgeschäft. Anhand dieses Index konnte sowohl der deutsche Kapitalmarkt repräsentativ abgebildet werden, aber vor allem auch ein Bild über den weltweiten Kapitalmarkt geschaffen werden. Trotz ihrer verstärkten Auslandspräsenz erreichten die DAX-Unternehmen 2003 fast 87% des Gesamtumsatzes aller inländischen Aktien. Ergänzend wurde zudem noch der CDAX (Composite-DAX) untersucht, da dieser den breiten deutschen Aktienmarkt darstellt. Dieser Index wird aus den Kursen aller zum amtlichen Handel zugelassenen inländischen Aktien der Frankfurter Wertpapierbörse berechnet und umfasst alle deutschen Unternehmen des Prime und Generale Standard (DAX, TecDAX, MDAX, SDAX und weiteren gelisteten Unternehmen). Durch die Analyse des CDAX kann demnach ein vollständiges Bild des deutschen Kapitalmarktes geschaffen werden, während durch den DAX zwar die bedeutendsten Unternehmen abgelichtet werden, jedoch vor allem auch der globale Faktor mit einbezogen wird. Gang der Untersuchung: Im Folgenden wird der strukturelle Aufbau dieser Ausarbeitung erläutert. Hierbei werden die Inhalte der einzelnen Kapitel vorgestellt. Eine Darlegung der einzelnen Abschnitte erfolgt hierbei nicht. Beginnend werden im zweiten Kapitel dieser Arbeit grundlegende Begriffe definiert, die zum Verständnis der Arbeit von Bedeutung sind. Hierbei werden zunächst die Begriffe 'Kapitalmarkt' und 'Liquidität' definiert. Bezüglich des Kapitalmarktes erfolgt eine genaue Abgrenzung und eine länderspezifische Festlegung. Vor allem für die empirische Analyse ist dies von Bedeutung, da zum Kapitalmarkt verschiedene Indizes existieren und innerhalb dieser verschiedene Anlageformen gehandelt werden. Dadurch wird normiert welcher Untersuchungsgegenstand in der Analyse Anwendung findet. Bezüglich der Liquidität wird diese anhand verschiedener Einflussfaktoren definiert. Eine exakte begriffliche Bestimmung der Liquidität ist aber nicht möglich, da in der Literatur diese in verschiedenen Zusammenhängen eine andere Bedeutung findet. Hinsichtlich dieser Arbeit wird versucht durch die Einflussfaktoren eine Bestimmung der Liquidität zu finden, da diese Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Liquidität ausüben und dementsprechend diese auch definieren können. Weiterhin erfolgt im dritten Kapitel eine Beschreibung der Liquiditätscharakteristika. Diese legen fest, welche Dimensionen ein Kapitalmarkt ausweisen muss, um als liquide definiert zu werden. Demnach müssen Messkonzepte diese Dimensionen abbilden, um eine geeignete Liquiditätsuntersuchung durchführen zu können. Im vierten Teil werden verschiedene Liquiditätskonzepte hinsichtlich ihres theoretischen Hintergrunds und ihrer Eignung kritisch diskutiert. In diesem Kontext werden die Liquiditätsmaße vorgestellt, die in der Literatur am häufigsten verwendet werden. Zudem werden Erweiterungen und Abänderungen einzelner Maße ebenfalls vorgestellt und kritisch überprüft. Anschließend wird, aufgrund der aktuellen Ereignisse, der Einfluss von Kapitalmarktkrisen bezüglich der Liquidität untersucht. Hierzu werden zunächst bedeutende Krisen geschildert und anschließend die Gegenmaßnahmen zur Besänftigung dieser Krisen dargestellt. Das sechste Kapitel dieser Arbeit befasst sich mit den Ergebnissen bisheriger Studien. Einige der bedeutendsten Liquiditätsanalysen werden hinsichtlich ihrer Vorgehensweise und Aussagekraft vorgestellt. Der Fokus liegt hierbei vor allem in der Eignung der jeweilig verwendeten Messinstrumente der Studien. Im siebten Kapitel folgt der empirische Teil dieser Ausarbeitung. Zunächst wird der Gang der Analyse erläutert und anschließend die Ergebnisse dargestellt. Hierzu erfolgt eine exakte Bestimmung der Daten die für die Analyse verwendet werden. Die Liquidität wird anhand des Bid-Ask-Spreads, des Handelsvolumen und der Marktkapitalisierung gemessen und die jeweiligen Ergebnisse werden graphisch dargestellt und diskutiert. Bezüglich dieser Analyse erfolgt zudem noch eine statistische Auswertung der Ergebnisse. Hierzu erfolgt eine Korrelations- und Regressionsanalyse. Folgend wird das Verhältnis der Liquiditätsmaße untereinander und das Verhältnis der Maße zu den Indizien untersucht. Es wird diskutiert ob ein Zusammenhang zwischen der Performance der Indizes, der Kapitalmarktkrise und der Liquidität besteht. Im letzten und demnach achten Teil dieser Ausarbeitung erfolgt eine Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse. Hierbei werden die aufgeworfenen Fragestellungen beantwortet und ein Lösungsansatz der festgestellten Problemkreise abgegeben. Zudem erfolgt eine kritische Würdigung dieser Arbeit.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: InhaltsverzeichnisI AbbildungsverzeichnisIV TabellenverzeichnisVI AbkürzungsverzeichnisVII 1.Einführung2 1.1Problemaufriss2 1.2Aufbau der Arbeit6 2.Grundlegende Definitionen und Abgrenzungen8 2.1Begriffsbestimmung - Kapitalmarkt9 2.1.2DAX10 2.1.3CDAX12 2.2Begriffsbestimmung - Liquidität14 2.2.1Transaktionskosten15 2.2.2Market Maker und Auktionator17 2.2.3Ordergröße19 3.Charakteristikum der Liquidität21 3.1Tiefe21 3.2Breite22 3.3Enge22 3.4Unmittelbarkeit23 3.5Erneuerungskraft23 3.6Dimensionen gemäß Harris, Schmidt und Iversen24 4.Messkonzepte der Marktliquidität26 4.1Der Bid-Ask-Spread28 4.1.1Der explizite Bid-Ask-Spread29 4.1.1.1Der absolute Bid-Ask-Spread29 4.1.1.2Der relative Bid-Ask-Spread30 4.1.1.3Der logarithmierte Bid-Ask-Spread31 4.1.1.4Der durchschnittliche Bid-Ask-Spread32 4.1.1.5Kritik32 4.1.2Implizite Bid-Ask-Spreads34 4.1.2.1Das Roll-Maß34 4.1.2.2Erweiterung des Roll-Maß nach Choi,Salandro und Shastri36 4.1.2.3Das Thompson-Waller-Maß37 4.1.2.5Das Bhattacharya-Maß38 4.1.2.4Kritik40 4.2Das Handelsvolumen41 4.2.1Das Relative Handelsvolumen43 4.2.2Das Potenzielle Handelsvolumen43 4.2.3Die Transaktionsfrequenz43 4.2.4Das Transaktionsvolumen44 4.2.4.1Das Stückvolumen45 4.2.3.2Das Wertvolumen46 4.2.3.3Das relative Transaktionsvolumen46 4.2.4Die Marktkapitalisierung47 4.2.5Kritik48 4.3Transaktionskurse49 4.3.1Amivest Liquidity Ratio50 4.3.2Die Liquiditätsrate von Marsh und Rock51 4.3.3Die Liquiditätsrate von Martin52 4.3.4Liquiditätsrate von Hui und Heubel53 4.4Turnover ratio54 4.5Illiquidity Ratio54 4.6Kurskonstanz-Kurssprung-Indikator55 4.7Varianz der Kursänderungen56 4.8Markteffizienzkoeffizient57 4.9Sonstige Liquiditätsmaße59 5.Auswirkungen von Kapitalmarktkrisen auf die Liquidität61 5.1Kapitalmarktkrise 2007/200861 5.2Vergangene bedeutende Kapitalmarktkrisen63 6.Übersicht empirischer Studien65 6.1Studien zum Bid-Ask-Spread65 6.1.1Amihud,Y. und Mendelson, H. (1991): Liquidity, maturity and the yields on U.S. Treasury securities66 6.1.2Chordia, T., Sarkar, A. und Subrahmanyam, A. (2003): An Empirical Analysis of Stock and Bond Market Liquidity67 6.1.3Dimson, E. und Hanke, B. (2004): Expected illiquiditypremium69 6.2Studien zur Emissionsgröße70 6.2.1Warga, A. (1992): Bond returns, liquidity, and missing data71 6.2.2Crabbe, L. und Turner, C. (1995): Does the Liquidity of a Debt Issue Increase with Its Size? Evidence from the Corporate Bond and the Medium-Term Note Markets72 6.2.3Kempf, A. und Uhrig-Homburg, M. (2000): Liquidity and its impact on bond prices74 6.2.4Jankowitsch, R., Mösenbacher, H. und Pichler, S. (2006): Measuring the Liquidity Impact on EMU Government Bond Prices76 6.3Studien der Handelshäufigkeit und des Handelsvolumen78 6.3.1Balduzzi, P., Elton, E. J. und Green, T. C. (2001): Economic News and Bond Prices: Evidence from the U.S. Treasury Market79 6.4Markteffizienzkoeffizient81 6.4.1Sarr, A. und Lybek, T. (2002): Measuring Liquidity in Financial Markets81 6.5ILLIQ-Ratio86 6.5.1Amihud, Y. (2002): Illiquidity and stock returns: cross-section and time-series effects87 6.6Fazit88 7.Empirische Analyse90 7.1Zahlenbereinigung91 7.1.2Free Float93 7.2Ergebnisse der Analyse94 7.2.1CDAX - Branche Financial94 7.2.2CDAX - Branche Industrial97 7.2.3CDAX - Branche Technology99 7.2.4CDAX - Branche Communications101 7.2.5CDAX - Branche Consumer (cyclical)103 7.2.6CDAX - Branche Consumer (non cyclical)106 7.2.7CDAX - Branche Basic Materials108 7.2.8CDAX - Branche Energy109 7.2.9CDAX - Branche Utilities111 7.2.10DAX113 8.Korrelation und Regression103 9.Fazit123 I.Quellen- und Literaturverzeichnis125 III.Anhang 1135Textprobe:Textprobe: Kapitel 5.1 Kapitalmarktkrise 2007/2008: Seit Mitte 2000 haben die Immobilienmärkte in den USA einen regelrechten Boom erfahren. Zahlungsschwache Amerikaner erwarben Anwesen, die sie mit zinsgünstigen Darlehen finanzierten. Darüber hinaus wurden auch Konsumwünsche per Kredit getätigt. US-Hypothekenfinanzierer konnten im Laufe der Jahre hohe Zinsgewinne verbuchen. Zahlreiche Banken wollten sich ebenfalls an diesen Zinsgewinnen beteiligen. Dabei wurden forderungsbesicherte Wertpapiere in sogenannten Asset-Backed Secutities (ABS) gebildet. Im Februar 2007 kam es dann zu mehrfachen Zahlungsausfällen bei Hypothekenkrediten. Einkommensschwache Schuldner waren, aufgrund von steigenden Kreditzinsen, nicht mehr in der Lage ihre Darlehen zu begleichen. Aus diesem Grund haben hypothekenbesicherte Papiere massiv an Wert verloren und zu einstürzenden Kursen an der Börse geführt. Bei zahlreichen Banken hatte dies Verluste in Milliardenhöhe zur Folge. Da nicht nur amerikanische Banken in diesen Sektor investiert hatten, sondern Banken aus aller Welt, unter anderem auch zahlreiche aus Deutschland und der Schweiz, ist aus der US-Hypothekenkrise eine weltweite Finanzkrise entstanden. Dabei verzeichneten die amerikanische Großbank Citigroup mit mehr als 27 Milliarden Euro und die größte schweizerische Bank UBS mit bisher 24 Milliarden Euro die höchsten Abschreibungen (Stand: 01.07.2008). Die Lage der Banken führt zu einer erschwerten Geldauszahlung. Durch die eingeschränkte Kreditvergabe an Unternehmen und Konsumenten, wird die inländische Nachfrage verringert. Die Menschen konsumieren weniger und dies schadet wiederum den Unternehmen, die ihre Produktion verringern und gegebenenfalls Arbeiter entlassen müssen. In Folge der hohen Abschreibungen und der mangelnden Liquidität entstand unter den Banken ein Vertrauensverlust. In der Regel erhalten Banken ihr Geld von anderen Geldinstituten oder von der Zentralbank, auf dem sogenannten Interbankenmarkt. Auf diesem Interbankenmarkt können Banken ihr Geld an andere Banken zu einem bestimmten Interbankenzinssatz, dem EURIBOR, verleihen, welcher sich am Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) orientiert. Bei dem Leitzins handelt es sich um einen Mindestbietungssatz zu dem Banken Kredite von der Europäischen Zentralbank aufnehmen können. Aufgrund der Finanzlage wurden Banken immer vorsichtiger und behielten ihre Finanzmittel, anstatt sie untereinander zu verleihen. Das Misstrauen war zu groß, dass gerade die Banken, denen sie Geld leihen, im Zuge der Immobilienkrise in Liquiditätsschwierigkeiten geraten könnten. Wenn es doch zu Leihgeschäften kam, dann wurden immer mehr Zinsen verlangt. Somit wurde die umlaufende Geldmenge auf dem Interbankenmarkt immer geringer und der EURIBOR stieg über den Leitzins der Europäischen Zentralbank an. Daher war die EZB gezwungen zu intervenieren und den Markt mit Liquidität zu versorgen. Sie pumpte mehrere Milliarden Euro, zu einem niedrigeren Leitzins, in den Markt, damit der EURIBOR im Vergleich dazu uninteressant wird und auf ein angemessenes Niveau fällt. Durch die Senkung des Leitzinses wurde die Geldnachfrage der Banken erhöht und dementsprechend die Geldmenge auf dem Markt. Allerdings hat dies nur einen kurzfristigen Effekt und bekämpft nicht die Ursache. Seit dem 09.08.2007 hat die EZB aufgrund der Finanzkrise bereits drei Mal den Leitzins gesenkt, um den Markt mit Liquidität zu versorgen. Vergangene bedeutende Kapitalmarktkrisen: Einige der bedeutendsten und weltweit bekanntesten Finanzmarktkrisen, waren die Asien- und Russlandkrisen. Die Asienkrise (1997/1998) wird als die Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise Ostasiens bezeichnet. Sie gehört zu den schwersten Krisen der Emerging Markets. Zeitgleich ereignete sich die Wirtschaftskrise Japans, die durch die Asienkrise verstärkt wurde. Ausgelöst wurde diese Krise durch maßlose Investitionen, Handelsbilanzdefiziten, übermäßiger Kreditaufnahmen, auch in Fremdwährungen, und schwachen regionalen Finanzmarktstrukturen. Zu diesem Zeitpunkt investierten viele europäische Unternehmen in Asien, um von dem Boom der sogenannten Tigerstaaten zu profitieren. Insgesamt übte die Krise einen erheblichen Einfluss auf die Weltproduktion aus, da viele Produkte billig in diesen Staaten produziert wurden. Der Einfluss wurde aber letztendlich dadurch besänftigt, weil der Exportanteil der ausländischen Unternehmen viel geringer war als der Importanteil aus Asien. Dadurch verstärkte sich weiter die Krise aus, da die Tigerstaaten einen Verlust erlitten durch die ausbleibenden Exporteinnahmen. Des Weiteren konnte der Dow Jones Index durch seine Überschreitung der 10.000er Marke die europäischen Aktienmärkte in den Höhenflug mit ziehen. Eine Beendigung der Krise konnte vor allem durch den Internationalen Währungsfond (IWF) erreicht werden. Dieser stellte fast 40 Milliarden US-Dollar Anpassungs- und Reformprogramme zur Verfügung. Im Jahr 1998 und 1999 ereignete sich die Russlandkrise (auch Rubelkrise genannt) die durch einen massiven Kapitalabfluss und der folgenden Wirtschaftskrise in Russland ausgelöst wurde. Verstärkt wurde diese Krise auch durch die vorherige Asienkrise und der Entwicklung auf den internationalen Rohstoffmärkten. Mitte 1998 wurde die Liquidität am Interbankenmarkt knapp und Banken dürften nach Anweisung der Notenbanken keine unbegrenzten Fremdwährungshöhen mehr kaufen. Der Rubel sank indes um 60% und es ereignete sich eine gravierende Inflation. Auch die Finanzmittel der IWF konnten diese Krise nicht eindämmen. Erst durch ein rigides Sparprogramm konnte die Inflation 1999 mäßigen und das Vertrauen der Anleger wieder zurück gewonnen werden. Der Rückgang des DAX- und CDAX im Jahr 2003 ist durch keine allgemeine 'Krise' ausgelöst worden. Jedoch spielten hierbei verschiedene Ereignisse eine bedeutete Rolle für den drastischen Kursverlust. So ereignete sich in diesem Jahr der Irak-Krieg (auch Irakkrise genannt) wodurch die Ölpreise anstiegen und das Konsumentenvertrauen sowie die Produktion zurückging und die USA dadurch kurz vor einer Rezession stand. Auch andere Indizes, wie der Dow Jones Eurostoxx, erreichten ihre Tiefpunkte nach langer Zeit. Insgesamt wirkte sich die weltweit politische Anspannung auf die Kapitalmärkte aus. Allerdings kann dadurch nicht die drastischen Kursverluste der deutschen Kapitalmarktes erklärt werden. Zu diesem Jahr war das Wirtschaftswachstum so schwach wie im Rezessionsjahr 1993. Zudem verzeichneten die 30 DAX-Unternehmen erhebliche Umsatzrückgänge, wodurch insgesamt der deutsche Kapitalmarkt negativ beeinflusst wurde. Auch der Export ging zurück, ausgelöst durch den gestiegen Wechselkurs des Euros. Somit zeigt sich, dass auch politische und konjunkturelle Ereignisse einen erheblichen Einfluss auf den Kapitalmarkt haben. Im Weiteren Verlauf wird untersucht, ob die vorgestellten Krisen einen Einfluss auf die Liquidität ausüben und welchen Einfluss die Finanzkrise auf die Liquidität der deutschen Indizes hat und wie stark die Auswirkungen sind.
Eine nachhaltige Entwicklung bedeutet eine dauerhaft mögliche Entwicklung innerhalb des ökologischen Erdsystems. Durch das weltweite Bevölkerungswachstum, den ansteigenden Wohlstand und nicht-nachhaltige Lebensweisen drohen die ökologischen Belastungsgrenzen unsere Erde jedoch überschritten zu werden bzw. wurden teilweise bereits überschritten. Dies hat zur Folge, dass nachfolgende wie auch parallel existierende Generationen nicht die gleichen Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse haben, wie die heute in den Industriestaaten lebenden. Die landwirtschaftliche Erzeugung trägt dabei einen bedeutenden Teil zu dieser Bedrohung und Überschreitung der planetaren Grenzen bei, denn insbesondere der hohe und weiter ansteigende Konsum von tierischen Produkten weltweit hat zahlreiche ökologisch, jedoch auch sozial und gesundheitlich nachteilige Folgen. Einer der grundlegenden problematischen Aspekte tierischer Produkte ist der hohe Energieverlust im Laufe des Veredlungsprozesses von pflanzlichen Futtermitteln zu Fleisch- und Milchprodukten. Die Folge sind große intensiv genutzte Landwirtschaftsflächen, die notwendig sind, um jene Futtermittel zu produzieren. Dies führt zu Biodiversitätsverlusten, Treibhausgasemissionen, Landraub und gesundheitlichen Problemen aufgrund des Pestizidgebrauchs. Weitere Konsequenzen eines hohen Konsums tierischer Produkte umfassen einen hohen Wasserbedarf, Flächenkonkurrenzen zwischen dem direkten Lebensmittel- und dem Futtermittelanbau, aber auch den ethisch bedenklichen Umgang mit Tieren sowie Gefahren für die menschliche Gesundheit, z. B. koronare Herzerkrankungen und Antibiotikaresistenzen. Begründet liegt dieser hohe und weiter wachsende Konsum tierischer Produkte in persönlichen, sozialen, ökonomischen und politischen sowie strukturellen Faktoren, wobei in vorliegender Arbeit auf den durch die westeuropäische Kultur geprägten Menschen fokussiert wird. Persönliche und soziale Hindernisse für einen reduzierten Konsum tierischer Lebensmittel liegen insbesondere in einem fehlenden Wissen, dem psychologischen Phänomen der kognitiven Dissonanz, mangelnder Achtsamkeit sowie dem Druck sozialer Normen. Wirtschaftspolitische und strukturelle Hindernisse umfassen eine wachstumsorientierte Ökonomie, fehlende Preisanreize für einen nachhaltigen Konsum sowie eine Infrastruktur, die den Konsum tierischer Produkte begünstigt. Nichtregierungsorganisationen (NRO) als Teil des sog. Dritten Sektors, neben der Wirtschaft und der Politik, und als Vertreterinnen der Gesellschaft sind essentielle Akteurinnen in nationalen und internationalen Gestaltungsprozessen. Sie werden zumeist von der Gesellschaft oder zumindest Teilen der Gesellschaft unterstützt und können durch Öffentlichkeitsarbeit und andere Maßnahmen auf politische und ökonomische Protagonisten Druck ausüben. Somit sind NRO als potentielle Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vielversprechende Einrichtungen um den Konsum tierischer Produkte zu senken. Aufgrund der o. g. multidimensionalen Auswirkungen des hohen Konsums tierischer Produkte, haben insbesondere NRO, die die Ziele Umweltschutz, Ernährungssicherung, Tierschutz und Gesundheitsförderung verfolgen, potentiell Interesse an einer Reduktion des Fleisch-, Milch- und Eikonsums. Studien über NRO in Schweden, Kanada und den USA weisen jedoch darauf hin, dass Umweltorganisationen sich in ihrer Arbeit für eine Begrenzung des Klimawandels nur in begrenztem Umfang für eine pflanzenbetonte Ernährungsweise einsetzen. Aufgrund der o. g. mehrdimensionalen Folgen eines hohen Konsums tierischer Lebensmittel weitet vorliegende Arbeit den Erhebungsumfang aus und umfasst die Untersuchung von deutschen Umwelt-, Welternährungs-, Gesundheits- und Tierschutzorganisationen in Hinblick auf deren Einsatz für eine Reduktion des Fleisch-, Milch- und Eikonsums. Die Erhebung umfasst die Untersuchung von 34 der wichtigsten deutschen NRO mittels Material- und Internetseitenanalyse, vertiefende leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit 24 NRO sowie eine Fokusgruppendiskussion zur Ergebniskontrolle, wobei das zentrale Element dabei die Expert*inneninterviews darstellen. Insgesamt entspricht der Forschungsprozess der Grounded Theory Methodologie (GTM), einem ergebnisoffenen, induktiven Vorgehen. Die Forschungsfragen umfassen neben der Analyse des aktuellen Umfangs des Einsatzes für eine pflanzenbetonte Ernährungsweise insbesondere die Einflussfaktoren auf diesen Umfang sowie die umgesetzten Handlungsstrategien für eine Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel. Entsprechend der GTM steht am Ende des Forschungsprozesses vorliegender Arbeit ein Modell, das die Erkenntnisse in einer verdichteten Kernkategorie zusammenfasst. Als zentrales Ergebnis der Erhebung kann das 'Modell der abwägenden Bestandssicherung' gesehen werden. Es weist, in Übereinstimmung mit der Literatur, darauf hin, dass NRO als Teil der Gesellschaft von der Außenwelt abhängig sind, d. h. von ihren Mitgliedern und staatlichen wie privaten Geldgeber*innen, aber auch von parallel agierenden NRO, Medien und gesellschaftlichen Entwicklungen. Dies kann unter der Überschrift der 'Einstellung relevanter Interessensgruppen' zur Thematik der tierischen Lebensmittel gefasst werden. Auf der anderen Seite steht die 'Einstellung der Mitarbeitenden' einer NRO, da die Themenaufnahme der Problematik eines hohen Fleisch-, Milch- und Eikonsums auch davon abhängt, welche Bedeutung die Mitarbeitenden dieser Thematik zusprechen und inwiefern sie bereit sind sie in das Maßnahmenportfolio aufzunehmen. Wenn sowohl die Interessensgruppen als auch die Mitarbeitenden einer NRO der Themenaufnahme befürwortend gegenüber gestellt sind, so ist ein umfassender Einsatz für eine Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel von dieser NRO zu erwarten. Dies trifft in vorliegender Erhebung vorwiegend auf Tierschutzorganisationen und einige Umweltorganisationen zu. Der gegenteilige Fall einer fehlenden Thematisierung tierischer Produkte tritt ein, wenn weder relevante Interessensgruppen, noch die Mitarbeitenden einer NRO die Themenaufnahme befürworten oder als dringlich erachten. Dies kann insbesondere bei Welternährungs- und Gesundheitsorganisationen beobachtet werden. Wenn die Mitarbeitenden einer NRO die Thematisierung der Problematik tierischer Lebensmittel befürworten, die relevanten Interessensgruppen jedoch ablehnend gegenüber derartigen Maßnahmen stehen, ist eine zurückhaltende Thematisierung zu erwarten, die sich auf Informationstexte bspw. auf den Internetseitenauftritten der NRO beschränkt. Dies ist v. a. bei Umwelt- und Welternährungsorganisationen erkennbar. Der vierte Fall, dass die Interessensgruppen einer NRO für eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte eintreten würden, nicht jedoch die Mitarbeitenden der NRO, konnte in vorliegender Erhebung nur in Ansätzen bei Umweltorganisationen beobachtet werden. Der Hauptgrund, warum NRO, insbesondere Welternährungs- und Gesundheitsorganisationen, die Problematik des hohen Konsums tierischer Produkte nicht oder nur in geringem Umfang aufnehmen, liegt in der o. g. Abhängigkeit der NRO von öffentlichen Geldgeber*innen, wie auch von privaten Spender*innen und Mitgliedern ('Einstellung relevanter Interessensgruppen'). Weitere Faktoren umfassen bspw. die Arbeitsteilung wie auch den Wettbewerb zwischen NRO, insofern dass auf andere NRO verwiesen wird und Nischen für eigene Themen gesucht werden. Neben den Gründen für den Umfang der Thematisierung des hohen Konsums tierischer Lebensmittel wurden auch Strategien erfragt, die die NRO anwenden um denselben zu senken. Hierbei wurde insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit in verschiedenen Ausrichtungen genannt und als sehr wirksam eingeschätzt. Vor allem emotional ausgerichtete, positiv formulierte, zielgruppenspezifische und anschaulich dargestellte Kampagnen können als effektiv eingeschätzt werden. Auch politische oder juristische Maßnahmen, wie Lobbyismus oder Verbandsklagen werden von den NRO durchgeführt, wobei die befragten NRO auf der bundespolitischen Ebene derzeit kaum Potential sehen Änderungen herbeizuführen; auf Regionen- oder Länderebene jedoch realistischere Einflussmöglichkeiten sehen. Als nächste Schritte für NRO im Sinne einer (verstärkten) Thematisierung der Problematik tierischer Lebensmittel können folgende Maßnahmen geraten werden: • Eine Erhebung der Meinung von Mitgliedern und Spender*innen zu der o. g. Themenaufnahme in das Maßnahmenportfolio der jeweiligen NRO. Dies ist insbesondere bei NRO sinnvoll, die unsicher über die Reaktion ihrer Mitglieder und Spender*innen auf einen Einsatz für eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte sind. • Eine Prüfung von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, die eine Abhängigkeit von staatlichen Geldern verringern. Hierdurch würde der Bedeutung von NRO als Teil des Dritten Sektors neben Politik und Wirtschaft gerecht und die Einflussmöglichkeiten auf dieselben erhöht. • Eine vermehrte Kooperation zwischen NRO innerhalb einer Disziplin und zwischen Disziplinen, sodass bspw. im Rahmen eines Netzwerkes aufeinander verwiesen werden kann. Dies ermöglicht die Einhaltung der jeweiligen Organisationsphilosophien und Kernkompetenzen trotz Zusammenarbeit mit NRO, die andere Herangehensweisen an die Förderung einer pflanzenbetonten Ernährungsweise verfolgen. Zudem ermöglicht diese Netzwerkbildung eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit mit dem ökonomischen und politischen Sektor. • Die Anerkennung der Handlungsfähigkeit von NRO als Pionierinnen des Wandels. Als Dritter Sektor neben der Politik und Wirtschaft kommt NRO eine große Bedeutung in der Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse, insbesondere auf zwischenstaatlicher Ebene zu. Auch komplexe Themen und, angesichts der Überschreitung der planetaren Grenzen, dringliche weltumfassende Themen können von kleinen, regionalen NRO aufgegriffen werden. • Die Fortführung von bewährten Maßnahmen zur Reduktion des Konsums tierischer Produkte, wie verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, kann als sinnvoll erachtet werden. Hinzu können neue Inhalte genommen werden, wie bspw. die Förderung eines achtsamen Konsumstils durch naturnahe Lernorte. Für eine Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Verhaltensänderungen hinsichtlich nachhaltiger Konsumstile ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen sinnvoll. Diese Erkenntnisse hinsichtlich der Gründe für eine Thematisierung der Problematik tierischer Produkte durch NRO lassen sich evtl. auch auf andere Themen übertragen, die von NRO aufgegriffen werden können, wie bspw. die Kritik an Flugreisen. Zudem ist es denkbar, dass die auf Deutschland beschränkte Analyse auch auf weitere, insbesondere westlich geprägte Länder übertragen werden kann. ; Sustainable development facilitates a permanently pursuable development which is within the ecological earth system. Through the worldwide population growth, the increasing wealth and unsustainable lifestyles the ecological limits are about to be or are already exceeded, so that future generations as well as parallel living generations haven't got the same possibilities to meet their needs as those living in current developed nations. Agricultural production contributes a high share to this threat to and exceedance of planetary boundaries, as in particular the high and further increasing consumption of animal source products has numerous ecological but also social and health consequences. One of the basic problematic aspects of animal source products is the high energy loss during the processing from plant animal feed to meat and dairy products. As a result large intensively used agricultural areas are necessary to feed animals leading to biodiversity loss, greenhouse gas emissions, land grabbing and health problems due to pesticide usage. Furthermore, high water usage, competition between food and fodder, as well as inhumane treatment of animals, and threats to human health by e.g. coronary heart diseases and antibiotic resistance are consequences of a meat-rich diet. Reasons for this high and increasing animal product consumption include personal, social, economic and political as well as structural factors, whereby in the thesis at hand the focus lies on people which are shaped by a Western European culture. Personal and social barriers to a reduced consumption of animal source food mainly include a lack of knowledge, the psychological phenomenon of cognitive dissonance, a lack of consciousness as well as the pressure of social norms. Political and economic barriers comprise the growth-oriented economy, a lack of price incentives for a sustainable consumption as well as an infrastructure which facilitates the consumption of animal source products. Non-governmental organizations (NGOs) as part of the so called Third Sector, besides politics and economy, and representatives of the society are a vital player in national and international governance. They are mostly supported by the society or at least by parts of it and can put pressure on political and economical protagonists through public relations activities and other means. Thus, NGOs as potential interface between society, politics and economy are one promising player for reducing animal product consumption. Due to the above named multidimensional consequences of a high consumption of animal source products especially NGOs targeting to protect the environment, improve the world nutrition situation, care for animal ethics and enhance the health status are potentially interested to reduce the consumption of meat, dairy and eggs. However, according to previous studies in Sweden, Canada and the U.S., there is a limited degree of engagement in encouraging reduced meat consumption of environmental NGOs in light of climate change. Due to the multidimensional consequences of animal source products in the thesis at hand the coverage of analysis is extended and includes the investigation of German environmental, food security, health and animal welfare organizations regarding their commitment to a reduced consumption of animal products. Research consists of a material analysis of 34 NGOs, 24 expert interviews with NGO staff and a focus group discussion testing the preliminary results of the interviews, whereby the central element is the expert interviews. Overall the research process complies with the Grounded Theory Methodology (GTM), which is an inductive procedure without fixed expectations regarding the results. In particular, the research questions include, besides the analysis of the current scope of the commitment to a plant-based nutrition, the influencing factors on this scope as well as the kind of strategies of action for a reduced consumption of animal source products. In accordance to the GTM a new model has been developed as final result of the research process which summarizes the findings in a compact core category. As central result of the research the 'model of the weighing of existence-securing' can be presented. In compliance with previous literature it indicates that NGOs as part of the society are dependent on their environment, i. e. on their members as well as public and private funders, but also on parallel existing NGOs, the media and societal developments. This can be summarized under the headline 'attitude of relevant stakeholders' to the theme of animal source products. On the other side, the 'attitude of the staff' of a NGO can be named as influencing factor, as the thematisation of the problematic of the high animal product consumption is also dependent on the importance which is awarded to this topic by the staff members and in how far they are ready to include the topic in their portfolio of action. In case of the support of the topic by both the stakeholders and the staff members of a NGO, a comprehensive thematisation of the problematic of animal source products can be expected from the respective NGO. In the investigation at hand, this is mainly true for animal welfare and environmental organisations. The contradictory case of no thematisation occurs if neither relevant stakeholders nor the staff members of a NGO support the urgency and thematisation of the reduced animal product consumption. This case can be observed mainly for food security and health organisations. If staff members of a NGO are in favour of the thematisation of the problematic of animal source products, but the stakeholders reject such measures, a restrained thematisation can be expected, which is limited to information texts e. g. on the website of the respective NGO. This is mainly for some environmental and food security organization observable. The fourth case, in which stakeholders are in favour of the thematisation, but staff members aren't, is merely true for some environmental organisation in the analysis at hand. The main reason for a restrained plaid for a reduced consumption of animal source products, mainly by food security and environmental organisations, can be detected in the dependence on financial means from the government, donors and members ('attitude of relevant stakeholders'). But there are also factors like the division of responsibility and the competition between NGOs which impede an engagement in reducing animal product consumption, as NGOs refer to other NGOs or are search for own thematic niches. Besides the reasons for the scope of animal product thematisation by NGOs, strategies of the NGOs advocating a reduced animal product consumption has been analysed. These strategies include mainly public relations work in different variants, which is estimated by the NGOs to be highly effective. In particular emotionally created, positively formulated, target group specific and vividly presented campaigns can be rated as effective. In addition political and legal measures like lobbying or representative actions are named by the interviewed NGOs, whereby they don't see any potential for change on the federal level but on regional or provincial level. As next steps for NGOs according to the reduction of the consumption of animal source products, the following measures can be advised: • A survey about the opinions of the members and donators about the inclusion of the above named topic into to portfolio of measures. Particularly this is relevant for NGOs which are not sure about the reaction of their members and donators to their commitment to a reduced consumption of animal product consumption. An analysis of alternative possibilities of the origin of financial means, which minimize the dependence on public funds. Through this change of the origin of financial means NGOs would satisfy their meaning as part of the Third Sector besides politics and the economy and would increase their possibilities of influencing them. • An increased cooperation between NGOs of the same discipline as well as between different disciplines, so that they can e.g. refer to each other within a network. This enables NGOs to follow their respective organisational philosophy and core competences while at the same time allows cooperating with NGOs following a different approach to foster a plant-based way of nutrition. In addition, this creation of networks facilitates an increased competitiveness with the economic and political sector. • The acknowledgement of NGOs possibilities for action as agents of change. As part of the Third Sector besides politics and the economy, NGOs have a high importance in the influencing of social developments, especially on the interstate level. Complex topics as well as – due to the exceedance of planetary boundaries – urgent global topics can be thematised both by small, regional and large, international NGOs. • The continuation of proven measures aiming to reduce the consumption of animal source products, like different kinds of public relations work, is reasonable. In addition, new contents can be included, like e. g. the fostering of a conscious style of consumption through learning facilities close to nature. For an implementation of scientific findings about behaviour change regarding sustainable styles of consumption an improved cooperation of NGOs and research institutions is recommendable. These findings regarding the reasons for the thematisation of the problematic of animal source products through NGOs might be able to be transferred to other topics, which are thematised by NGOs, like e. g. the criticism on air travels. Furthermore, it is conceivable to transfer the findings about German NGOs to other countries, especially Western characterised countries.
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Der Ministerclub hat neue Gesichter an seiner Spitze – das sorgte in und nach seiner Sitzung für einen neuen Sound. Aber merkte man das auch seinen Beschlüssen an? Von der KMK-Reform über die Lehrkräftebildung bis zu neuen Leitlinien für die Grundschule: ein Überblick.
ES WAR in der Zusammensetzung eine Premiere. Als am Freitagmorgen die Kultusministerkonferenz (KMK) zur Pressekonferenz lud, um wie immer über die Ergebnisse ihrer zu Ende gegangenen Sitzung zu berichten, saß auf dem Podium nicht nur die seit Januar amtierende neue KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot aus dem Saarland, sondern sie war eingerahmt von den ebenfalls neuen Koordinatorinnen. Für die Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung (=A-Seite) Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz, für die Union (=B-Seite) Karin Prien aus Schleswig-Holstein.
Doch nicht nur das Bild war neu, sondern in Teilen auch der Stil. Wie die drei Ministerinnen sich rhetorisch die Bälle zuspielten, wirkte flüssig, weitgehend ohne Selbstdarstellung und Konkurrenzgehabe, allerdings gelegentlich etwas länglich. Man konnte den Eindruck bekommen: Die Kombination passt, und das könnte sich gerade in diesem Jahr noch als wichtig herausstellen. Denn bis Ende des Jahres müssen zentrale Beschlüsse unter Dach sein, die die Zukunft der föderalen Bildungspolitik, aber auch der KMK selbst, über viele Jahre bestimmen könnten.
Die langfristig womöglich wichtigste Weichenstellung tauchte dabei fast schon unter ferner liefen auf. Es war in Minute 32 der Pressekonferenz, als Hubig mitteilte, in Sachen KMK-Strukturreform hätten die Minister jetzt ein Thema vorgezogen. Die Frage der künftigen Abstimmungsmechanismen in der Kultusministerkonferenz. "Bleiben wir bei dem Einstimmigkeitsprinzip bei den Fragen der Mobilität und in Fragen der notwendigen Einheitlichkeit und haushaltsrelevanten Fragen und solchen, die die KMK betreffen? Oder können wir uns auch einen anderen Abstimmungsmodus vorstellen?" Eine Antwort darauf, "einen Vorschlag", so hätten die Minister beschlossen, soll jetzt die bestehende KMK-Strukturkommission erarbeiten, "auch unter Hinzuziehung juristischer Expertise, externer Expertise, weil das keine einfachen Fragen sind."
Jetzt ist er da, der Mut
Schon die Aussicht, dass sich die Kultusminister dem Thema stellen, ist bemerkenswert, denn über Jahrzehnte haben sie es nicht getan. Dabei gilt das Einstimmigkeitsprinzip seit langem als eine der Haupthürden hin zu einem schlagkräftigeren Bildungsföderalismus. Sie kommt laut KMK-Geschäftsordnung, deren erste Fassung von 1955 stammt, bei so ziemlich allen KMK-Beschlüssen zum Tragen, die Bedeutung haben. Was dazu führt, dass ein Land oder wenige Länder ihnen unangenehme Vorhaben stets blockieren können – mit der Folge, dass ambitionierte Vorhaben meist gar nicht erst in Angriff genommen werden. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum sich bislang keiner an die ebenfalls einstimmig zu behandelnde Reform der Einstimmigkeit gewagt hat.
Aber jetzt ist er da, der Mut. Es gebe gute Gründe für die Einstimmigkeit, sagte Hubig. "Aber es gibt auch gute Gründe zu überlegen, ob wir nicht in bestimmten Bereichen dann doch mal schneller werden können." Und das war's dann auch schon in der Pressekonferenz zu dem Thema, Vorhang wieder runter. Was zeigt, dass gestalterischer Mut manchmal ganz leise daherkommen kann. Und es könnte schnell gehen: Bis Ende des Jahres soll die KMK-Strukturreform insgesamt in allen wesentlichen Punkten aufs Gleis gesetzt sein, dazu dürften dann, wenn denn die Kultusminister unterwegs ihre Courage nicht verlieren, endlich auch Abstimmungsregeln gehören.
So zurückhaltend die Ministerinnen bei der Darstellung dieses so wichtigen Beschlusses waren, so (berechtigt) selbstbewusst zeigten sie sich an anderer Stelle dann doch. "Länder setzen auf innovative Wege zur Bewältigung des Lehrkräftemangels", lautete die Überschrift über eine parallel zur Pressekonferenz verbreiteten Mitteilung – doch bei genauem Hinschauen müssen diese neuen Wege noch warten, und ob sie alle wirklich so innovativ sind, hinterfragen einige Experten.
Doch der Reihe nach. Die KMK habe zusätzliche Maßnahmen in der Lehrkräftebildung beschlossen, reagiere damit auf den anhaltenden Bedarf an Lehrkräften und setze auf eine flexiblere Gestaltung der Lehrkräftebildung, hieß es in der Pressemitteilung. "Dadurch werden zukünftig mehr Lehrende mit unterschiedlichen Biografien unsere Schulen bereichern", sagte KMK-Präsidentin Streichert-Clivot. "Zudem gestalten wir das Studium praxis- und berufsorientierter, indem wir die Studien- und Vorbereitungsdienstphase stärker verschränken. So stellen wir sicher, dass künftige Lehrkräfte frühestmöglich ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verbinden können. Der Weg ins Lehramt wird dadurch flexibler und lebensnaher!"
Die Minister wollen unbedingt das duale Lehramtsstudium
Konkret einigten sich die Minister auf ein Papier, das einen gemeinsamen Rahmen für drei Ausbildungsmodelle setzen soll, die zum bestehenden System zusätzlich etabliert werden sollen: duale Lehramtsstudiengänge, Masterprogramm zum Quereinstieg und für die Qualifizierung sogenannter Ein-Fach-Lehrkräfte. Die KMK orientierte sich dabei an Empfehlungen des Wissenschaftsrats und der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), wobei letztere das duale Lehramtsstudium vor allem im Bachelor explizit abgelehnt hatte.
Erst am Mittwoch hatte die SWK-Kovorsitzende Felicitas Thiel erneut vor der Einführung gewarnt. Ökonomen wiesen zurecht darauf hin, dass eine Senkung der Zugangsanforderungen unweigerlich auch Personen anziehe, die weniger leistungsbereit und weniger motiviert seien, sagte Thiel hier im Blog. Damit sinke das Berufsprestige und im schlimmsten Fall werde der Mangel sogar perpetuiert. "Deshalb müssten wir eigentlich genau das Gegenteil tun: Die Zugangsschwellen erhöhen, Eingangstests vorschalten und attraktive Aufstiegschancen für die besonders Leistungsbereiten eröffnen."
Trotzdem sieht das beschlossene KMK-Konzept nun unter anderem ein duales Studium schon vom Bachelor an vor. Man sei in der Frage "tendenziell eher beim Wissenschaftsrat als bei der SWK", sagte Karin Prien und bestätigte die "Differenzen" in den Gutachten. "Aber auch das ist unsere Aufgabe, die Empfehlungen, die uns geliefert werden, zu bewerten und dann zu einer Entscheidung zu kommen."
Im Gegensatz zum dualen Studium weitgehend unumstritten ist die Einführung von Ein-Fach-Masterprogrammen. Sie ermöglichen nicht nur Absolventen mit einem Studienfach, wissenschaftsbasiert in einem zweijährigen Master aufs Referendariat vorbereitet zu werden, sondern öffnen zugleich einen regulären Weg für ausländische Lehrkräfte, schneller an Schulen in Deutschland zu starten. Denn in den meisten Ländern weltweit sind Ein-Fach-Lehramtsmodelle üblich. Die Weiterbildung mit einem zweiten Fach würde dann berufsbegleitend stattfinden. SWK-Expertin Thiel sagte, der Ein-Fach-Master habe das "Potenzial, ein vollwertiger zweiter Weg ins Lehramt zu werden. Er schafft ein atmendes System, das in Phasen des Lehrkräftemangels wie des Überschusses anpassungsfähig ist." Die Kultusminister geben sich in der Frage bislang zurückhaltender – und betonten auch am Freitag wieder, dass die neuen Zugänge nur "zusätzlich" seien und am bestehenden System nichts ändern sollen.
Kaum mehr als eine Absichtserklärung?
Was die KMK allerdings auf ihre nächste Sitzung verschob: die Klärung der Mobilitätsfragen und damit der gegenseitigen Anerkennung der neuen Angebote. Was bedeutet, dass das beschlossene Papier im Sinne eines länderübergreifenden Vorgehens bislang kaum mehr als eine Stoffsammlung und Absichtserklärung ist. Hubig widersprach einem solchen Eindruck indes auf Nachfrage. "Wir weichen damit von den Regelungen ab, die wir uns als KMK gegen haben, bisher ging das nicht", und der gefundene ländergemeinsame Rahmen sei unabhängig von der Frage der Mobilität.
Tatsächlich unabhängig? Prien versicherte, die Länder seien sich über die Frage der Mobilität "grundsätzlich einig, die Frage ist wie sie ausgestaltet sein wird", und das werde Gegenstand des insgesamt noch zu treffenden rechtlichen Beschlusses zur Lehrkräftebildung sein, der den sogenannten Quedlinburger Beschluss von 2005 ergänzen werde, das werde, habe man jetzt beschlossen, im Juni geschehen.
Dass die KMK-Pressekonferenz 75 Minuten dauerte, hatte auch mit dem dichten Programm zu tun, dass die Ressortchefs absolviert hatten. Neben den aufreibenden Krisentreffen mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Digitalpakt standen Gespräche mit den Botschaftern der Ukraine und Israels auf dem Programm, die Lehrerverbände waren ebenfalls eingeladen – und die Vizepräsidentin der Special Olympics Deutschland: Britta Ernst, bis April 2023 selbst Bildungsministerin in Brandenburg und KMK-Präsidentin im Jahr 2021. Zum zweiten Jahrestag des Ukrainekrieges verabschiedeten die Kultusminister eine Solidaritätserklärung mit der Ukraine, und sie knüpften mit zwei Beschlüssen an ein früheres Reformvorhaben an, die 2020 abgeschlossene "Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen".
Zu den darin festgelegten Hausaufgaben zählte die Überarbeitung der bereits bestehenden gemeinsamen Leitlinien für die Grundschule, die jetzt einen für alle Länder verbindlichen Charakter erhielten und damit laut KMK "einen bundesweit einheitlichen Rahmen für die Arbeit in der Grundschule" darstellen, etwa durch die Festschreibung einer Stundentafel von mindestens 94 Wochenstunden für die Jahrgangsstufen 1 bis 4, wovon die Kernfächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht mindestens 53 Stunden und zudem mindest die Hälfte der Gesamtstunden umfassen müssen – unter anderem eine Reaktion auf das schwache Abschneiden deutscher Schüler in internationalen Schulleistungsvergleichen. Ebenfalls Konsequenz des Länderabkommens von 2020 ist ein Qualitätsrahmen zur laut KMK "kontinuierlichen Verbesserung der Wirksamkeit und der Nachhaltigkeit des Lernens" in Berufsschulen.
Die meisten Prognosen sehen einen anhaltenden Lehrermangel
Während aus SWK und Wissenschaftsrat nach der KMK-Entscheidung zur Lehrkräftebildung zunächst keine offiziellen Äußerungen zu hören waren, sprach der Stifterverband von einem "Meilenstein im Kampf gegen den Lehrkräftemangel". Indem die KMK den Weg freimache für Ein-Fach-Lehrkräfte und duale Studienmodelle, greife sie zentrale Forderungen des vergangenes Jahr vom Stifterverband veröffentlichten "Masterplans Lehrkräftebildung neu gestalten" auf, sagte Bettina Jorzika, die für Lehrkräftebildung zuständige Programmleiterin.
Prognosen zeigten, dass sich der Lehrkräftemangel in den kommenden Jahren weiter verstärken werde und schon im Jahr 2030 bis zu 68.000 Lehrkräfte in den Schulen fehlen würden. "Doch der Wohlstand der Gesellschaft, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der Zustand unserer Demokratie hängen davon ab, dass mehr Menschen mit den Kompetenzen ausgestattet werden, die gebraucht werden, um in einer Welt im Wandel orientierungs- und handlungsfähig zu sein", sagte Jorzik.
Sie bezog sich offenbar auf Berechnungen des IW Köln. Die KMK selbst erwartet laut aktuellen Modellierungen rechnerisch ebenfalls 68.000 fehlende Lehrkräfte, allerdings bis 2035. Das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (Fiby) sagt bis Mitte der 2030er Jahre sogar eine Lücke von voraussichtlich mindestens 115.000 voraus, "es können aber auch über 175.000 werden".
Gleichzeitig gab es zuletzt auch Stimmen, die ein Abebben des Lehrkräftemangels zumindest im Grundschulbereich erwarten. Für den Zeitraum von 2023 bis 2035 würden bundesweit voraussichtlich 45.800 Grundschullehrkräfte mehr zur Verfügung stehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken, hatte die Bertelsmann-Stiftung im Januar ermittelt. Allerdings mahnten auch die Bertelsmann-Experten, die Ausbildungswege "so flexibel gestaltet sein, dass sie besser auf demografische Schwankungen reagieren können, etwa durch Quereinstiegs-Masterstudiengänge". So könne der schon oft beobachteten Zyklus aus Mangel- und Überschussphasen in der Ausbildung von Lehrer:innen durchbrochen werden.
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 17. März 2024 ergänzt.
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Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume kritisiert die BAföG-Reform von BMBF-Chefin Stark-Watzinger, fordert eine Zeitenwende auch in der Wissenschaftspolitik – und sagt, warum die Hochschulen im Krisenfall zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet werden sollen.
Markus Blume, 49, ist studierter Politikwissenschaftler und war von 2018 bis 2022 CSU-Generalsekretär. Seit Februar 2022 ist er bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Außerdem fungiert er als länderseitiger Vorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK). Foto: Axel König.
Herr Blume, das Bundeskabinett beschließt heute den nächsten Schritt der BAföG-Reform von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Damit sollen weitere strukturelle und finanzielle Verbesserungen "noch in diesem Jahr" erreicht werden, sagt das BMBF. Was sagen Sie?
Ich bin sehr enttäuscht von diesem Entwurf. Und ich bin mir sicher, dass Millionen von Studierenden in Deutschland auch enttäuscht sind. Denn dieser groß angekündigte Beschluss geht am Notwendigsten vorbei: der zwingend erforderlichen Anhebung der Bedarfssätze. Die Bundesregierung setzt hier die falschen Prioritäten. Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden.
Ein wenig wohlfeil ist Ihre Entrüstung schon angesichts der Tatsache, dass die Bundesländer seit 2016 den Bund allein das BAföG finanzieren lassen, oder?
Dadurch wird die Kritik nicht weniger relevant, zumal der Bund auch die steigenden Mietkosten der Studierenden nicht berücksichtigt und die immerhin vorgesehene Erhöhung der Freibeträge viel zu gering ausfällt. Anstatt bei den bewährten Instrumenten für alle großzügiger zu sein, will die Koalition mit einem Teil des eingesparten Geldes ein neues Programm starten, die Studienstarthilfe. Die aber im Kern zunächst vor allem eines bedeutet: noch mehr Bürokratie bei der Antragstellung und Bewilligung. Mir fehlt hier die Sinnhaftigkeit. Wir wissen doch, unter welchem Druck die Studierenden und Auszubildenden heute stehen. Wenn wir gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Interesse daran haben, unsere jungen Menschen hier im Land auszubilden, dann braucht es für unsere Talente die bestmögliche Startrampe. Diese wirksame Startrampe war über Jahrzehnte das BAföG. Daher klare Botschaft: die Bedarfssätze deutlich anheben, aber auf bürokratische Monster wie die Studienstarthilfe verzichten.
"Das macht mich zunehmend unruhig, und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen."
Ihre öffentliche Enttäuschung passt nicht zu dem Eindruck, dass zuletzt Tauwetter zwischen Bundesministerin Stark-Watzinger und ihren Länderkollegen herrschte. Das vertrauliche Kamingespräch vergangene Woche am Vorabend der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) soll fast schon harmonisch verlaufen sein.
Was nichts daran ändert, dass die entscheidende wissenschaftspolitische Frage noch unbeantwortet bleibt: Wann kommt die Zeitenwende, die der Bundeskanzler vor zwei Jahren ausgerufen hat, bei Wissenschaft und Forschung an? Das macht mich zunehmend unruhig, und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen aus den Ländern. Wir müssten viel mehr tun. Es braucht mehr Missionsorientierung – und zwar kooperativ gedacht, in der Gemeinschaft von Bund und Ländern. Eine Zeitenwende bedeutet ja nicht nur mehr Geld, sondern vor allem bedeutet sie mehr Fokus – und eine bessere Koordination zwischen Bund und Ländern und den unterschiedlichen beteiligten Ressorts. Bei den Schüsselmissionen für unsere Zukunft von der Künstlichen Intelligenz über das Quantenrechnen bis hin zu neuen Energieformen wie der Kernfusion geht es nur gemeinsam mit Bund und Ländern.
Bei der neuen Wissenschaftsministerkonferenz, auf die Sie und Ihre Kollegen sich gerade geeinigt haben, nehmen Sie den Bund auch nicht mit ins Boot.
Nochmal, das Gebot der Stunde ist: Fokus, Fokus, Fokus. Die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen sind in erkennbarer Weise endlich – im Bund und in den Ländern. Weshalb wir uns auch auf Länderseite besser konzentrieren und koordinieren müssen. Dazu brauchen wir einen geschützten Raum, wo wir uns austauschen können. Die WissenschaftsMK wird dieser Raum sein.
Wie passt die Gründung einer neuen Ministerkonferenz innerhalb der bestehenden Kultusministerkonferenz eigentlich zu der Kernkritik an der KMK, diese bestehe schon jetzt aus viel zu vielen und oft genug nur schlecht miteinander abgestimmten Gremien?
Die KMK hat schon einen Bereich Hochschule. Doch die aktuellen Strukturen sind nicht geeignet, um den Herausforderungen der Zeitenwende zu begegnen. Das ist das übereinstimmende Ergebnis aller Kommissionen und Gutachter. Insofern passt die neue WissenschaftsMK sehr wohl zu der gemeinsamen Grundüberzeugung von Schul- und Wissenschaftsministern, dass wir in der KMK schlanker, handlungsfähiger und agiler werden wollen – und müssen. Wir werden getrennt marschieren, trotzdem aber an den gemeinsamen Themen weiter gemeinsam arbeiten. Ich halte es für klug, dass sich die Wissenschaftsseite kraftvoll verselbständigt. Wissenschaft und Forschung sind kein Anhängsel, sondern eine Lebensader für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es ist sinnvoll, dass jährlich eine Sitzung der WissenschaftsMK zusammen mit der Schulseite stattfinden soll. Unsere wichtigste Mission als Wissenschaftsminister wird aber sein, miteinander Strategien zu entwickeln, um im Wettrennen der Welt um die Zukunftstechnologien mithalten zu können – als Deutsche und als Europäer. Dazu müssen wir als Länder für die Verhandlungen mit dem Bund in der GWK gut abgestimmt sein. Und wir müssen im globalen Wettbewerb um die Talente die Weichen dafür stellen, dass wir unser wichtigstes Gut, die klügsten Köpfe, in Deutschland halten und nach Deutschland zurückbringen.
"Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen und ihren Beitrag leisten können."
Neben dem internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe befinden wir uns mittlerweile auch in einem Wettbewerb der Systeme, der zunehmend aggressiv ausgetragen wird. Die bayerische Staatsregierung hat Ende Januar ein "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern" beschlossen, das unter anderem Zivilklauseln an Hochschulen untersagen und "aus Gründen der nationalen Sicherheit" die Wissenschaft sogar zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichten soll. Verstoßen solche Regelungen nicht gegen die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit?
Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit aber auch. Eine freie Wissenschaft kann es nicht geben, wenn wir nicht in Freiheit leben. Deshalb müssen wir alles tun, um unsere nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die Zeiten, in denen wir ohne eigene Anstrengungen die Friedensdividende einsammeln konnten, sind leider vorbei. Unsere Sicherheit als Gesellschaft, aber auch unsere militärische Stärke hängen ab von unserer Stärke in den Feldern von Technologie und Innovation. Deshalb wirken Zivilklauseln, die Forschung zu militärischen Zwecken verbieten, derart aus der Zeit gefallen. Nochmal: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. In diesen Zeiten müssen wir auch Entwicklungen ins Auge sehen, die auf den ersten Blick unbequem erscheinen mögen.
Es gibt aber gar keine Zivilklauseln an einer bayerischen Hochschule.
Und das ist auch gut so! Wir müssen dort zusammenarbeiten, wo es die nationale Sicherheit erfordert. Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen und ihren Beitrag leisten können. Es kann keine Sicherheit geben ohne technologische Stärke. Führend in Wissenschaft und Forschung zu sein, ist am Ende auch eine Souveränitätsfrage. Ich möchte, dass wir in Deutschland und Europa technologiepolitisch souverän bleiben.
Ein "Kooperationsgebot" mit der Wissenschaft, wann immer es die "nationale Sicherheit" erfordert: Sind nicht schon die Begrifflichkeiten viel zu schwammig, um einer Verfassungsklage standzuhalten?
Wir halten den Gesetzentwurf für verfassungsrechtlich gut abgewogen. Im Übrigen ist es doch so: In anderen Teilen der Welt, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, stehen Militärforschung und Dual Use wie selbstverständlich auf der Tagesordnung. Egal, welche wissenschaftliche Einrichtung ich bei meinem letzten Aufenthalt an der Ostküste besucht habe, überall waren das Department of Energy oder das Department of Defense massiv an der Forschungsförderung beteiligt. Das sind Mittel, die der Wissenschaft in Deutschland fehlen. Darum würde ich mir wünschen, dass sich die Forschungs- und Technologieförderung auch bei uns künftig nicht nur aus den Haushalten von BMBF und BMWK speist, sondern dass zusätzlich diejenigen Ministerien einen größeren Beitrag leisten, die von unserer technologischen Stärke sicherheits- und militärpolitisch profitieren.
Debatten über die Freiheit von Lehre und Forschung hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch durch seine Ankündigung ausgelöst, das Gendern in Schulen und Verwaltungen untersagen zu wollen. Sie selbst wollen zu diesem Zweck eine Klarstellung ins Bayerische Hochschulinnovationsgesetz einbauen. Was genau gilt es denn da klarzustellen?
Die generelle Leitplanke wird sein: Geschlechtersensible Sprache: Ja. Sprachliche Künstlichkeit und erzieherische Tendenzen: Nein. Man könnte auch sagen: Genderfreiheit statt Genderzwang. Mich erreichen immer wieder Zuschriften von Studierenden, die sich einem gefühlten Druck oder tatsächlichen Vorgaben ausgesetzt sehen, in einer Art und Weise zu formulieren, wie es von der amtlichen deutschen Rechtschreibung eben gerade nicht gedeckt ist.
"Forschende können formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein dürfen, die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen."
Mit Sonderzeichen wie dem Binnen-I oder dem Genderstern?
So ist es. Selbstverständlich kann jeder so reden und schreiben, wie er möchte. Zumal die deutsche Sprache reichlich Möglichkeiten bereithält, gendersensibel so zu formulieren – und zwar im Einklang mit den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Auch Forschende können in ihren Arbeiten formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein dürfen, die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen. Und dort, wo eine Hochschule als staatliche Einrichtung auftritt, bei amtlichen Bescheiden, Zeugnissen und Formularen etwa, werden wir festhalten, dass die amtlichen Vorgaben zur Rechtschreibung eingehalten werden müssen. Ansonsten beschränken wir uns darauf, die Studierenden vor Übergriffigkeit zu schützen. Vielen geht dieser gefühlte Zwang auf die Nerven.
Kritiker werfen Ihnen vor, aus politischem Kalkül ein Problem aufzublasen, das keines sei. "Uns haben als Studierendenvertretungen noch nie Beschwerden zu einem "Genderzwang" erreicht, auch zu schlechteren Bewertungen durch ein "Nicht-Gendern" ist an allen Hochschulen, die an diesem Schreiben beteiligt sind, kein Fall bekannt", steht in einer Erklärung der Studierendenvertretungen unter anderem der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Würzburg, der Ludwig-Maximilians-Universität und der TU München.
Wir führen keine Statistiken über solche Fälle, und die meisten Konflikte werden schon an den Hochschulen gelöst. Aber ich kann Ihnen gern konkrete Beispiele nennen, die bei uns aufschlagen und inzwischen gelöst sind. Jüngst meldete sich die Promovendin, der die Verleihung des Doktorgrades verwehrt wurde, solange sie sich weigerte, auf dem Titelblatt das Gendersternchen zu verwenden. Was sogar in der Promotionsordnung so vorgeschrieben ist. Das ist ein klarer Fall von sprachlicher Übergriffigkeit.
Wissenschaftsfreiheit erfordert zudem eine auskömmliche Hochschulfinanzierung. Angesichts von Inflation und Wirtschaftsflaute sorgen sich allerdings auch bayerische Hochschulen um ihr Auskommen. Neulich sagte zum Beispiel die Pressesprecherin der Universität Erlangen-Nürnberg bei Forschung & Lehre, an ihrer Hochschule gehe man von einem stabilen Haushalt aus, erwarte aber keine wesentlichen Steigerungen. Weiter erklärte die Sprecherin: "Selbstverständlich betrachten auch wir Inflation und Tarifsteigerungen mit Sorge, besonders auch die massiven Steigerungen bei den Energie- und Bewirtschaftungskosten" und, speziell in Erlangen-Nürnberg, den steigenden Sanierungsstau bei den in die Jahre gekommenen Unigebäuden. Regiert an Bayerns Hochschulen künftig der Schmalhans, Herr Blume?
Wir befinden uns gerade in der Aufstellung für den Doppelhaushalt 2024/25, und ich kann nur sagen: Er wird ein echter Gegenentwurf zum Bund. Auch in schwierigen Zeiten sparen wir nicht an Forschung und Wissenschaft – ganz im Gegenteil. Wir legen noch eine deutliche Schippe drauf, allein 2024 einen dreistelligen Millionenbetrag, und werden über sieben Milliarden Euro pro Jahr ausgeben. Über die vergangenen Jahre haben wir über unser Aufbauprogramm, die Hightech Agenda Bayern, mehr als 1000 neue Professuren geschaffen und verstetigt und die Rahmendaten der Hochschulfinanzierung schon bis 2027 vereinbart. Wir geben Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Bei Wissenschaft und Forschung wird in Bayern nicht gespart, sondern weiter investiert.
Mehr Professoren bedeuten auch mehr Kostensteigerungen, wenn die Gehälter angehoben werden.
Aber nicht für die Hochschulen, weil der Großteil des Personals der Hochschulen direkt vom Freistaat bezahlt wird. Wenn also überhaupt, dann können sich die Sorgen über Preis- und Tarifsteigerungen nur auf jene Personalstellen beziehen, die bislang aus staatlichen Programm-Mitteln finanziert worden sind, und zwar ohne Inflationsausgleich. Da lautet meine Botschaft an die Hochschulen: Wir sehen die Entwicklung und werden auch das lösen durch eine Umsetzung dieser Stellen bis zum Jahr 2026.
Änderung am 11. März: Auf Bitten des Wissenschaftsministeriums wurde die Antwort von Markus Blume zu Konflikten um die Verwendung des Gendersternchens um den Satzteil "und inzwischen gelöst sind" ergänzt.
Inhaltsangabe: Einleitung: Während der Vorbereitung auf die Weinbauprüfung im Rahmen der Diploma-Ausbildung der "WSET" (Wines and Spirits Education Trust) bin ich 2002 auf das Buch von Gladstone "Viticulture and Environment" gestoßen. In diesem Buch wird dargestellt, wie Weinbaugebiete anhand von Klimaparametern auf ihre Eignung zum Anbau spezifischer Rebsorten geprüft werden können. Dies erfolgt durch die Bestimmung der Wärmesumme, die der Rebe während der Vegetationsperiode für die physiologische Entwicklung zur Verfügung steht. Im umfangreichen Tabellenteil des Werks sind auch die Daten und die Bewertung der klimatischen Verhältnisse für den Weinbau in Wien angeführt. Die damals durchgeführte Überprüfung der Werte mit aktuellen Daten hatte ergeben, dass es zu einem Anstieg der Wärmesumme gekommen war. Zeitgleich erschien auch ein Zeitungsartikel, dass es durch die Klimaänderung zu einem Temperaturanstieg in Österreich gekommen war und die 90er Jahre die wärmsten waren, seit es Temperaturaufzeichnungen gibt. Das Thema hatte begonnen mich zu interessieren, und meine erste Arbeit war die Diplomarbeit für die WSET-Ausbildung mit dem Titel "Klimaänderung als Voraussetzung für das Österreichische Rotweinwunder". In dieser Abhandlung habe ich argumentiert, dass die Klimaänderung einen wesentlichen Beitrag zu den österreichischen Top-Rotweinqualitäten, die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre entstanden sind, geleistet hat. Im Jahr 2004 habe ich mich entschlossen, die nun vorliegende Dissertation zu verfassen. Es war von Anfang an klar, dass ich dies auf meiner Alma Mater, der Wirtschaftsuniversität Wien tun möchte und thematisch hat sich das Institut für Angewandte Regional- und Wirtschaftsgeographie angeboten. Die Geographie hat sich schon immer als Brückenfach verstanden; seit jeher war die Geographie sowohl eine Natur- als auch eine Sozialwissenschaft. Das hat sich auch dadurch bestätigt, dass Herr Professor Christian Staudacher sofort bereit war, die Arbeit zu betreuen. Ich möchte ihm ganz besonders danken für die Anregungen und Gespräche, die mir immer wieder neue Perspektiven eröffnet haben und auch dafür, dass ich mich durch seine Anleitungen in meinem Forschungsvorhaben immer unterstützt und nie eingeschränkt gefühlt habe. Mein Dank gilt auch den wissenschaftlichen Mitarbeitern am Institut für die Anregungen, kritische Hinterfragung der Konzepte und Diskussionen im Rahmen der Seminare. Als Zweitbegutachterin habe ich eine anerkannte Meteorologin gewinnen können, Frau Professor Helga Kromp-Kolb. Sie hat sichergestellt, dass auch der meteorologische Teil der Arbeit in der notwendigen Breite und Tiefe abgehandelt werden konnte. Auch ihr gilt mein Dank, für ihre Anregungen, die kritische Auseinandersetzung mit meinen Ausführungen und ihre Bereitschaft, eine interdisziplinäre Arbeit zu betreuen. Herrn Doktor Herbert Formayer danke ich für seine Unterstützung bei der Analyse der Wetterdaten. Das Klima der Erde hat einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensbedingungen von Menschheit und belebter Natur. Die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid hat seit 1750 durch menschliche Aktivitäten merklich zugenommen, und die Werte der Zeit vor Beginn der Industrialisierung weit übertroffen. Die Erhöhung der Durchschnittstemperatur der erdnahen Atmosphäre und der Meere ist mittlerweile eindeutig nachweisbar, und ein weiterer Temperaturanstieg wird vorhergesagt. Selbst wenn die Konzentration der Treibhausgase und Aerosole auf dem Niveau von 2000 bleibt, wird eine weitere Erwärmung von ca. 0,1C pro Dekade erwartet. Die Klimaänderung wird die menschlichen Lebensverhältnisse und die Ökosysteme deutlich verändern. Das Ausmaß dieser Veränderung hängt davon ab, wie stark und wie schnell dieser Prozess voranschreitet, und welche Fähigkeiten die Gesellschaft und die Ökosysteme entwickeln, um sich an diesen anzupassen. Weinbau und Klima sind untrennbar miteinander verbunden, und die klimatischen Verhältnisse einer Region spiegeln sich in den weinbaulichen Praktiken (Erziehungsform, Ausrichtung der Weingärten, Bewässerungsanlagen, etc.) wider. Oft findet Weinbau in klimatischen Grenzregionen statt, und die besten Weinbaugebiete der Welt befinden sich innerhalb enger klimatischen Grenzen. Durch die Klimaänderung ergeben sich neue Herausforderungen -Risiken wie Chancen - für den Weinbau. In der aktuellen Paradigmendiskussion der Geographie spielt das Verhältnis von "objektiver Realität", sprich dem "Raum" und der Bedeutungszuweisung räumlicher Strukturen auf das Handeln eine grundlegende Rolle. Das ganze läuft unter dem Schlagwort "Raumdeterminismus" bzw. "Raumexorzismus". Es geht dabei um die Frage, ob und wie und ob überhaupt Physis, Materie, Raum, aber auch Bedeutungen, Regeln, Gesetze, Prominenzen usw. für das Handeln und für soziale Prozesse relevant sind und Wirkung haben bzw. diese sogar determinieren. Aus wissenschaftlicher Sicht für das Fach Geographie stellt die Arbeit einen empirischen Beitrag zur Paradigmendiskussion unter dem Stichwort "Natur-Gesellschaft-Beziehung" dar. Eine realistische Voraussage vom Ausmaß und Wirkung der Klimaänderung - global und regional - ist eine große Herausforderung für die Wissenschaft, die hohe gesellschaftliche Relevanz besitzt. Die Verbindung zwischen Klimaänderung und Umweltwandel ist auf der lokalen Skala noch sehr wenig untersucht worden. Umweltwandel führt dazu, dass die Menschen Anpassungen vornehmen, um umweltbedingte Störungen zu vermindern bzw. korrigieren oder die geänderten Bedingungen zum Vorteil ausnützen. In der Arbeit sollen die durch die Klimaänderung verursachten Anpassungsprozesse im Weinbau in der Region "Wachau" untersucht werden: Neben einer objektiven Bewertung der Klimaänderung durch die Analyse regionaler Klimadaten und den daraus entstehenden Herausforderungen im Weinbau soll in dieser Arbeit analysiert werden, wie die unmittelbar betroffenen Winzer die Klimaänderung wahrnehmen und beurteilen und welche Anpassungsmaßnahmen sie planen, um den Folgen der Klimaänderung zu begegnen. Veränderte klimatische Bedingungen haben nicht nur eine hohe Relevanz für die laufende Bewirtschaftung der Weingärten, sie reichen so weit in die Zukunft, dass es notwendig werden kann, die weinbaulichen Praktiken (z.B. Sortenstrategie, Erschließung neuer Weinbaulagen, etc.) zu ändern. Es ist wichtig zu erforschen, inwieweit die Klimaänderung bereits stattgefunden hat, welche Szenarien für die Zukunft möglich sind und wie weit oder nahe die Winzer von den tatsächlichen Gegebenheiten in der Planung und Durchführung ihrer Anpassungsmaßnahmen entfernt sind. Für das Abschätzen von zukünftigen Handlungen (Prognose) ist es entscheidend, die "Beeinflusser" (= Handelnden) selbst über ihr zukünftiges Handeln zu befragen. Die Ergebnisse dieser Befragung ergeben zwar keine Fakten im Sinne des tatsächlichen Eintritts, können aber ganz wesentlich zur Erhellung einer zukünftigen Entwicklung beitragen. Sollte sich herausstellen, dass die bereits umgesetzten oder geplanten Anpassungsmaßnahmen nicht ausreichen, um den Folgen einer Klimaänderung zu begegnen, dann besteht individueller und (gesellschafts-)politischer Handlungsbedarf, damit die Winzer durch entsprechende Maßnahmen (Trainings, Infokampagnen, Förderungen) in die Lage versetzt werden, sich der Herausforderung Klimaänderung zu stellen. Zur Untersuchung der Bewertung der Klimafolgen durch die Weinproduzenten und der Anpassungsmaßnahmen werden qualitative Methoden der Sozialforschung angewendet. Der Untersuchungsgegenstand ist noch nicht in der Tiefe erforscht worden, dass die sehr komplexen Zusammenhänge in unterscheidbare Variablen zerlegt und deren Wirkung darüber isoliert und geprüft werden können. Ausgehend von der Tatsache, dass die Klimaänderung auch in Österreich stattfindet, möchte ich mit meiner Dissertation anhand der Weinbauregion Wachau folgende Gruppen von Themenstellungen behandeln: Klimafolgenforschung: Wie vulnerabel (verwundbar) ist das "System" Weinbau gegenüber Veränderungen des Klimas? Wie können Toleranzgrenzen des "Systems" Weinbau, ab der die möglichen Folgen der Klimaänderung eine Gefahr für das System darstellen, definiert werden? Klimaforschung: Hat die Klimaänderung in der Wachau bereits stattgefunden? Welche klimatischen Verhältnisse sind in der Wachau in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten? Weinbauökonomie: Welche Auswirkungen hat die Klimaänderung auf den Weinbau? Welche (weinbau-)technischen Anpassungsmaßnahmen sind geeignet, um die Folgen der Klimaänderung zu mindern bzw. auszunützen? Wahrnehmungs- und Handlungstheorie: Wie wird die Klimaänderung von den Winzern wahrgenommen und bewertet? Welche Anpassungsmaßnahmen planen die Winzer, bzw. können sie sich vorstellen umzusetzen? Change Mangement: Wie erfolgt der organisationale und individuelle Umgang mit Widersprüchen die sich aus den Änderungen der Umwelt ergeben?Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Inhaltsverzeichnis3 1.EINLEITUNG14 1.1Forschungskonzept15 1.1.1Problemstellung15 1.1.2Forschungsziel16 1.1.3Forschungsfragen18 1.1.4Forschungshaltung19 1.2Methoden21 1.2.1Analyse vergangenes Klima und zukünftiges Klima in der Wachau21 1.2.2Einfluss des Klimas auf den Weinbau21 1.2.3Untersuchung der subjektiven Bewertung (= Einstellungen) der Klimaänderung22 1.2.4Individuelle Strategien im Umgang mit Veränderung22 1.3Auswahl der Interviewteilnehmer – Sampling22 1.3.1Fallkonstruktion im Sample, Fallgruppen- und Fallauswahl24 1.3.2Auswahl der Betriebe für die Durchführung der Interviews25 1.4Qualitätssicherung und Vermeidung von Bias27 1.4.1Qualitätssicherung27 1.4.2Vermeidung von Bias28 1.5Reichweite der Forschung28 1.6Vorwissen30 1.7Aufbau der Arbeit31 2.UNTERSUCHUNGSREGION: WEINBAUGEBIET WACHAU34 2.1Österreichs bekanntestes Weinanbaugebiet: Die Wachau34 2.2Das Klima der Wachau37 2.3Bodenverhältnisse in der Wachau40 2.4Rebsorten in der Wachau40 2.5Weinkategorien der Wachau41 2.6Vinea Wachau - die Qualitätsvereinigung42 2.7Betriebsstrukturen in der Wachau44 2.7.1Arbeitskräfteeinsatz47 2.7.2Ertrag48 3.KLIMAFOLGENFORSCHUNG49 3.1Anpassung an die Klimaänderung51 3.1.1Aspekte der Anpassung an die Klimaänderung52 3.2Impact Assessment und Vulnerabilität55 3.2.1Impact Assessment55 3.2.1.1Zusammenfassung - Impact Assessment59 3.2.2Vulnerabilität60 3.2.2.1Konzept der Vulnerabilität60 3.2.2.1.1Vulnerabilität als Risk-of-Exposure61 3.2.2.1.2Vulnerabilität als Social-Constructed-Phenomenon62 3.2.2.1.3Synthetische Ansätze64 3.3Methodische Konsequenzen67 4.WETTER - KLIMA – KLIMAÄNDERUNG69 4.1Temperaturschwankungen im 20. Jahrhundert72 4.2Das Klimasystem der Erde77 4.3Klimaantrieb79 4.3.1Astronomischer Klimaantrieb80 4.3.2Tektonischer Klimaantrieb82 4.3.3Anthropogener Klimaantrieb82 4.3.3.1Treibhauseffekt83 4.3.3.2Landnutzungsänderungen87 4.4Wechselwirkungen im Klimasystem88 4.5Klimamodelle91 4.6Unsicherheiten in Klimamodellen95 4.7Direkte Beobachtungen neuester Klimaänderungen100 4.8Klimaänderung in Österreich104 5.KLIMA UND WEINBAU106 5.1Weinbau109 5.1.1Natürliche Faktoren des Anbaugebietes109 5.1.1.1(Makro-)Klima und die individuellen klimatische Ausprägungen109 5.1.1.2"Licht Qualität"112 5.1.1.3Lage/Topographie (Mesoklima)112 5.1.1.4Weinbautechnik113 5.1.1.5Boden113 5.2Phänologie113 5.2.1Physiologische Entwicklungszeit115 5.3Modelle zur Bestimmung der Wärmesumme116 5.3.1Modell zur Bestimmung der Wärmesumme nach Gladstone116 5.3.1.1Zentrale Annahmen und Voraussetzungen im Modell von Gladstone117 5.3.1.2Zentrale Komponenten im Modell von Gladstone117 5.3.1.3Standardklimadaten als Grundlage für die Bewertung der Weinbaugebiete119 5.3.1.4Wärmesummen-Index nach Gladstone – Berechnung120 5.3.1.5Gruppierung der Rebsorten nach benötigten Growing-Degree-Days121 5.3.2Modell zur Bestimmung der Wärmesumme nach Huglin122 5.3.2.1Huglin Indizes für wichtige Rebsorten122 5.4Berechung der Wärmesumme - Modellanwendung aufdie Weinbauregion Wachau123 5.4.1Wärmesumme nach Gladstone - Erläuterung der Berechnung123 5.4.2Interpretation der Daten125 5.4.2.1Station Krems - Interpretation der Daten125 5.4.2.2Station Joching - Interpretation der Daten126 5.4.2.3Der westliche Teil der Wachau – Spitz126 5.4.3Huglin Index - Berechnung und Interpretation der Werte127 5.5Toleranzbereich des Systems127 5.6Ausgewählte Studienergebnisse - Klimaänderung und Weinbau130 5.7Zusammenfassung - Auswirkungen der Klimaänderung auf den Weinbau136 5.8Weinbauliche Anpassungsmaßnahmen an die Klimaänderung137 6.VERGANGENE UND ZUKÜNFTIGE KLIMATISCHE VERHÄLTNISSE IN DER WACHAU141 6.1Daten und Methoden zur Analyse des Klimas141 6.2Homogenitätsprüfung der Daten der Wetterstation Krems145 6.2.1Berechnung der Korrekturfaktoren149 6.2.2Tabelle der ermittelten Korrekturfaktoren153 6.3Analyse der Wetterdaten - "Vergangenes Klima"154 6.3.1Temperaturauswertungen154 6.3.1.1Ganzjahrestemperatur154 6.3.1.2Temperatur während der Vegetationsperiode (April - Oktober)155 6.3.1.3Temperatur im Quartal Q2 (April-Juni)157 6.3.1.4Huglin Index und Wärmesummenindex nach Gladstone158 6.3.2Phänologie160 6.3.2.1Beginn der Rebblüte160 6.3.3Besondere Tage161 6.3.4Niederschlag162 6.3.5Zusammenfassung der Ergebnisse164 6.3.5.1Einschub - westliche Wachau (Joching, Spitz)166 6.4Zukünftiges Klima167 6.4.1Projekt reclip:more167 6.4.1.1Zuverlässigkeit der Modellergebnisse (Unsicherheit)169 6.4.1.2Ergebnisse des reclip:more Projektes170 6.4.2Klimaszenariofür die Wachau172 6.4.3Toleranzbereich des Systems - Analogie auf die zukünftigen Verhältnisse176 6.4.4Zusammenfassung der Ergebnisse178 7.EINSTELLUNGEN ZUR UMWELT UND ANPASSUNGSMAßNAHMEN181 7.1Einstellungen183 7.1.1Erwerb von Einstellungen183 7.2Einstellungen und Verhalten/Handeln185 7.2.1Exkurs - Verhalten und Handeln186 7.2.2Einstellungen gegenüber Objekten und spezifischen Verhaltensweisen187 7.2.3Einstellungen gegenüber einem Verhalten "Theory of planned Behavior"188 7.2.3Methodische Konsequenzen190 8.ANPASSUNG AN VERÄNDERUNG192 8.1Einflussfaktoren auf landwirtschaftliche Entscheidungen193 8.1.1Externe Einflussfaktoren der Produktionsentscheidung195 8.1.1.1Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union195 8.1.1.2Kapitalisierung und Technologisierung der Landwirtschaft199 8.1.2Interne Einflussfaktoren der Produktionsentscheidung202 8.1.2.1Motive und Ziele von Landwirten als Einflussfaktoren auf Entscheidungen206 8.1.2.2Rolle der Familie als Einflussfaktor auf Entscheidungen von Landwirten207 8.1.3Landwirtschaft als Ausdruck der Natur-Gesellschaft-Beziehung210 8.2Methodische Konsequenzen213 8.2.1Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung und Entwicklung des Interviewleitfadens213 8.3Umgang mit Veränderung - Change Management219 8.3.1Organisationaler Umgang mit Widersprüchen219 8.3.2Widerstand gegen Wandel221 9.ERFASSUNG UND AUSWERTUNG DER EINFLUSSFAKTOREN AUF DAS ANPASSUNGSVERHALTEN DER WINZER224 9.1Erfassung der Einflussfaktoren - Qualitative Inhaltsanalyse224 9.1.1Technik der qualitativen Inhaltsanalyse224 9.1.2Festlegung des Materials224 9.1.3Analyse der Erhebungssituation225 9.1.4Formale Charakteristik des Materials225 9.1.5Richtung der Analyse226 9.1.6Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung226 9.1.7Hauptfragestellungen an das Analysematerial227 9.1.8Ablaufmodell der Analyse227 9.2Auswertung der Einflussfaktoren auf das Anpassungsverhalten230 9.2.1Betriebliche Einflüsse230 9.2.1.1Gute und schlechte Jahre230 9.2.1.2Gesellschaftliche Entwicklungen232 9.2.1.3Staatliche Regelungen und Gesetze232 9.2.1.4Wirtschaftliche Entwicklungen233 9.2.1.5Technologische Entwicklungen234 9.2.1.6Umwelteinflüsse234 9.2.1.7Zukünftige Chancen und Risiken236 9.2.1.8Zusammenfassung - Betriebliche Einflüsse237 9.2.2Klimaänderung - Wahrnehmung und Einstellungen238 9.2.2.1Wahrnehmung der Klimaänderung238 9.2.2.2Einfluss der Klimaänderung auf die Region/Betrieb239 9.2.2.3Wahrnehmung verschiedener Ausprägungen des Klimas240 9.2.2.4Wahrnehmung und Einstellungen gegenüber konkreten Ausprägungen der Klimaänderung in der Vergangenheit241 9.2.2.5Einstellungen gegenüber möglichen zukünftigen klimatischen Verhältnissen242 9.2.2.6Zuordnung der Aussagen zu den drei Einstellungskomponenten242 9.2.2.7Anpassungsmaßnahmen244 9.2.2.8Zusammenfassung -Wahrnehmung und Einstellungen246 9.2.3Einstellungen gegenüber potentiellen Anpassungsmaßnahmen an die Klimaänderung248 9.2.3.1Zusammenfassung -Einstellungen gegenüber Anpassungsmaßnahmen253 9.2.3.2Subjektive Verhaltenskontrolle253 9.2.3.3Subjektive Normen255 10.DAS "CHANGE MANAGEMENT" DER WINZER257 10.1Umgang mit Veränderung durch die Winzer259 10.2Widerstand gegen Veränderung durch die Winzer260 10.2.1Einstellungen gegenüber Veränderungen – Änderungsbereitschaft261 10.2.2Einstellung gegenüber Veränderungen – Änderungsfähigkeit265 11.HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN269 ANHANG A - STRUKTURIERUNGSDIMENSIONEN INTERVIEW272 LITERATURVERZEICHNIS274Textprobe:Textprobe: Kapitel 5.2.1, Physiologische Entwicklungszeit: Die physiologische Entwicklungszeit ergibt sich aus der Wärmesumme, die eine Pflanze benötigt, um ihre Entwicklung abzuschließen. Die Wärmesumme wird als Summe der "Growing Degree Days" GDD (Wärmegradtagen) angegeben. Folgende Parameter werden verwendet um den Temperatureffekt auf das Wachstum und die Entwicklung abzubilden: unterer Temperatur-Schwellenwert: die Entwicklung der Pflanze setzt ein bzw. stoppt, wenn die Temperatur unter den Schwellenwert fällt; oberer Temperatur-Schwellenwert: die Entwicklungsrate der Pflanze flacht ab; Ein Growing Degree Day (GDD) berechnet sich folgendermaßen: GDD=(tmax + tmin) /2 - tbase GDD = Growing Degree Days (Wärmegradtage = Wärmegrade pro Tag) tmax = tägliche Maximumtemperatur tmin = tägliche Minimumtemperatur (tmax + tmin) / 2 entspricht der Durchschnittstemperatur t tbase = Basistemperatur ab der das Wachstum der Rebe einsetzt tbase ist unterschiedlich für die verschiedenen Pflanzen und wird meist experimentell ermittelt. Für die Rebe wird tbase generell mit 10°C angenommen, d.h. ab dieser Temperatur setzt das Wachstum der Rebe ein, während bei niedrigeren Temperaturen das Wachstum eingestellt ist. Zum Beispiel würde über eine 5-Tages-Periode mit einem Maximum von 30C und einem Minimum von 15C jeder Tag zur Wärmesumme [(30 + 15) 2)] – 10 = 12,5 beitragen und die Wärmesumme 5 × 12,5 = 62,5 GDD betragen. Die Wärmesumme, welche eine Pflanze benötigt, um die Entwicklung abzuschließen, ist immer gleich. D.h., mit dem Klimaparameter Temperatur kann bestimmt werden, ob der Wärmebedarf einer bestimmten Pflanze (Rebe) unter den vorherrschenden (regionalen) klimatischen Verhältnissen erreicht wird. Kapitel 5.3, Modelle zur Bestimmung der Wärmesumme: Die Rebe ist eine ziemlich empfindliche Pflanze und sie stellt hohe Ansprüche an das Klima. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie längst nicht überall auf der Erde wächst. Die Weinanbaugebiete liegen fast ausschließlich zwischen dem 30. und dem 50. Breitengrad Nord sowie dem 30. und 40. Breitengrad Süd. Außerhalb dieser Zonen ist es der Rebe entweder zu kalt oder zu warm. Innerhalb der genannten Zonen sind bzw. sollten verschiedene Traubensorten an die jeweiligen Standortverhältnisse optimal angepasst sein. Um den Einfluss des Klimas (und im speziellen der Temperatur) auf die Traubenreife bestimmen zu können, bedarf es eines Modells, das es ermöglicht, ein bestimmtes Anbaugebiet anhand klimatischer Daten zu bewerten und in weiterer Folge abzuleiten, ob die Voraussetzungen zur Produktion bestimmter Rebsorten gegeben sind. Kapitel 5.3.1, Modell zur Bestimmung der Wärmesumme nach Gladstone: Gladstone beschäftigt sich seit 1960 mit den Auswirkungen des Klimas auf die Physiologie von Pflanzen. Im Jahr 1992 hat er seine Erkenntnisse in dem viel beachteten Buch "Viticulture and Environment" publiziert. Dieses Buch ist 1994 mit einem Preis des "Office International de la Vigne et du Vin" (OIV) ausgezeichnet worden. Das von Gladstone entwickelte Modell ermöglicht es, anhand klimatischer Daten zu bestimmen, ob die thermischen Bedingungen zum Anbau bestimmter Rebsorten in einem Gebiet (Region und Einzellagen) erfüllt sind. Kapitel 5.3.1.1, Zentrale Annahmen und Voraussetzungen im Modell von Gladstone: Es ist möglich, die Traubenreife anhand von standardisierten Klimadaten zu bestimmen. Da sich die Rebsorten hinsichtlich des Reifezeitpunkts unterscheiden, ist es notwendig, diese in Gruppen nach benötigter Wärmesumme zu unterteilen (siehe Tab. 5.3). Kapitel 5.3.1.2, Zentrale Komponenten im Modell von Gladstone: Das Modell basiert auf den GDD (Growing Degree Days = Wärmegradtage), die für die Vegetationsperiode der Weinrebe (April – September/Oktober) berechnet werden (siehe Kap. 5.3.1.4). In Abb. 5.2 ist dargestellt, wie sich das physiologische Wachstum einer Rebe in Abhängigkeit von der Temperatur verhält. Diverse Untersuchungen in kontrollierten Umgebungen haben gezeigt, dass die stärkste physiologische Entwicklung zwischen 10°C-19°C (unterer und oberer Temperatur-Schwellenwert) stattfindet und dann stark abnimmt. Dies hat zentrale Bedeutung im Modell von Gladstone und entscheidenden Einfluss auf seine Berechnungen.
Einleitung: Da im Fokus einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie die grundlegende Transformation der Gesellschaften und der politischen Systeme steht, stellt sich die Frage, welche Rolle in einem solchen Prozess, der primär von den Gesellschaften selbst getragen werden muss, externen Akteuren wie der EU zukommen kann und vielleicht sogar zukommen muss. Für Europa begründet sich der eigene Anspruch, durch die Anbindung der arabischen Staaten an das westliche Wirtschaftssystem ein höheres Wohlstandsniveau dieser Staaten zu erreichen und so zu Stabilität beizutragen, sowohl aus der geschichtlichen Verflechtung mit der Region, als auch aus der geographischen Nähe. Während letztere die Möglichkeiten einer intensiven Austauschbeziehung und einer Ausweitung europäisch-arabischer Handelsverflechtungen impliziert, birgt sie gleichsam die Gefahren illegaler Migration und eines Überschwappens der regionalen Konflikte nach Europa. Es ist daher im ureigensten Interesse der EU, die Probleme der Region nicht zu ignorieren. Ein stärkeres europäisches Engagement in der Region wird auch von arabischer Seite gefordert, die die EU zunehmend als alternativen Verhandlungspartner zu den USA wahrnimmt. Dass die EU bereit ist, die Rolle des externen Förderers der Region zu übernehmen, bekräftigte sie in einem 2004 veröffentlichten Papier zur "Strategischen Partnerschaft der EU mit dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten". Darin wird die Ambition zum Ausdruck gebracht, die Erkenntnisse und Erfahrungen, die man in der "Euro-Mediterranen Partnerschaft" seit 1995 gesammelt hat, auf den größeren arabischen Raum östlich von Jordanien auszuweiten. Die Frage, ob durch dieses Partnerschaftsprogramm tatsächlich ein effektiver Handlungsrahmen geschaffen wurde, macht eine eingehende Analyse der Kooperations- und Prozessstrukturen dieser Partnerschaft notwendig. Die "Euro-Mediterrane Partnerschaft" stellt daher nicht nur das Kernkonzept der "Strategischen Partnerschaft" dar. Es dient auch in der vorliegenden Arbeit als Analysemodell, anhand dessen aufgezeigt werden soll, unter welchen Bedingungen ökonomische Zusammenarbeit als integratives Element in einem Prozess inter-regionaler Kooperation fungieren kann. Die zentrale Fragestellung dieser Diplomarbeit lautet daher: Kann die EU über den Weg der wirtschaftlichen Kooperation die Weichen stellen für anhaltendes Wachstum in den arabischen Entwicklungsländern? Eröffnet sich dadurch auch die Möglichkeit, politisch Einfluss zu nehmen auf den Prozess der Demokratisierung, der für eine gesellschaftliche und politische Transformation als Grundlage betrachtet wird? Dazu werden in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Entstehung, der Art und der Entwicklung der Euro-Mediterranen Partnerschaft zunächst die Schwachpunkte des Kooperationskonzepts identifiziert. In einem nächsten Schritt werden die Schwierigkeiten, die sich bei der Implementierung des Konzepts ergeben haben, auf ihr Reformpotential untersucht, um in einem abschließenden Kommentar auf Erfolg versprechende Entwicklungsmöglichkeiten des Partnerschaftsprogramms hinzuweisen. Gang der Untersuchung: Bevor in Kapitel 3 mit einem historischen Rückblick auf die euro-mediterranen Beziehungen seit den frühen sechziger Jahren die Grundlagen für ein besseres Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Euro-Mediterranen Partnerschaft geschaffen werden, wird im zweiten Kapitel ein theoretischer Analyserahmen aufgestellt. Dieser dient dazu, die deskriptive Darstellung der historischen Prozesse und Muster um eine analytische Perspektive zu erweitern. Zur Unterstützung der Argumentationslinie dieser Arbeit wurden mit der Interdependenztheorie, der Integrationstheorie sowie der Friedensforschung spezifische Erklärungsansätze internationaler Interaktion gewählt, die der idealistischen Denkschule zugeordnet werden können. Die Theorien unterstützen sich in ihrer Aussage gegenseitig und stellen für den Versuch, die Motivation des europäischen Handelns zu beleuchten und die normative Handlungsorientierung der EU aufzuzeigen, ein hilfreiches Instrument dar. Dass durch die Begrenzung auf drei Theorien der idealistischen Strömung bestimmte Verhaltens- und Erklärungsmuster betont werden, andere jedoch unberücksichtigt bleiben, liegt in der Natur der Sache. Die Wahl der theoretischen Ausrichtung hat somit einen stark instrumentellen Charakter, so dass eine alternative Deutungsweise der europäischen Politik im mediterranen Kontext denkbar, angesichts der Fragestellung dieser Arbeit aber nicht Ziel führend wäre. Im dritten Kapitel wird zunächst der inkrementelle Charakter der euro-mediterranen Kooperationsbeziehung herausgestellt und die Dynamik beleuchtet, die der europäische Integrations- und Erweiterungsprozess auf die Entwicklung der euro-mediterranean Beziehungen überträgt. Als erste gesamteuropäische Kooperationsinitiative wird die "Globale Mittelmeerpolitik" vorgestellt, die sich als ein umfassender Ansatz mit handelspolitischen, finanziellen und technischen Kooperationselementen auszeichnet. Die kritische Betrachtung der einzelnen Elemente führt jedoch zu der Feststellung, dass der Nutzen für die arabischen Kooperationspartner aufgrund wesentlicher Einschränkungen im Handelsbereich, und hier vor allem im Agrarsektor, begrenzt bleibt. Die Einordnung dieser ersten Phase der Zusammenarbeit in den größeren historischen Kontext sowie die Auseinandersetzung mit den staatlichen Strukturen der arabischen Mittelmeerpartner, führen in einem nächsten Schritt zu der Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Kooperation nicht nur ökonomische Elemente beinhalten darf, sondern dass zivilgesellschaftliche Reformen ebenso in die europäische Strategie einbezogen werden müssen wie die Aspekte Rechtstaatlichkeit, Transparenz und "Good Governance". Mit der Barcelona-Deklaration wird im November 1995 die "Euro-Mediterrane Partnerschaft" ins Leben gerufen, die die Etablierung einer Region des Friedens und des Wohlstands anstrebt. Kapitel 4 erläutert, wie mit der Gliederung der Zusammenarbeit in einen politischen, einen wirtschaftlichen und einen sozialen Bereich die Defizite der "Globalen Mittelmeerpolitik" behoben und dem gewandelten Sicherheitsverständnis der EU Rechnung getragen werden soll. Das Konzept der Konditionierung finanzieller Unterstützung auf politische Reformen ist dafür wegweisend. Da das europäische Interesse an der Mittelmeerregion jedoch nicht auf dessen "Potential" als Sicherheitsrisiko beschränkt ist, wird in einem nächsten Schritt das ökonomische Potential der Region analysiert. Aufgrund der Klassifizierung der arabischen Partnerländer als Entwicklungsländer wird dafür ein Ansatz der endogenen Wachstumstheorie herangezogen. Die in diesem Kontext angewandte Definition von ökonomischem Potential besteht demnach in der Fähigkeit der Mittelmeerpartnerstaaten, durch die Einführung von "Good Governance"-Strukturen die Bedingungen für Investition und Wachstum zu generieren. Aus einem Vergleich des in diesem Sinne definierten, ökonomischen Potentials mit dem der AKP-Staaten wird zwar das relativ größere Gewicht der Mittelmeerpartner für die EU deutlich. Die Marginalität im Gesamtverhältnis lässt allerdings erkennen, dass die euro-mediterrane Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich primär unter dem Gesichtspunkt der Stabilisierung der Region gesehen werden muss. Kapitel 4 schließt mit dem Projekt der euro-mediterranen Freihandelszone, das als Kernstück der Partnerschaft unter den Aspekten der Vereinbarkeit mit bestehenden WTO-Regelungen und der ökonomischen Folgewirkungen betrachtet wird. Das fünfte Kapitel setzt sich schließlich mit den konkreten Problemen auseinander, die eine effektive Umsetzung des Partnerschaftsprogramms behindern. Die unterschiedlichen Hemmnisse werden zu diesem Zweck vorwiegend auf ihre Wirkungsweise sowie auf ihr Reformpotential untersucht. Die Hauptaufgabe besteht dabei weniger in der Klärung der Schuldfrage, als vielmehr in der Herausarbeitung der Bedingungen, die für eine erfolgreiche und effiziente Arbeit der Partnerschaft in Zukunft geschaffen werden müssen. Die Flexibilisierung des Partnerschaftskonzepts steht dabei im Zentrum eines jeden Reformvorschlags. Das Fazit stellt zunächst die vielfältigen Interdependenzverhältnisse, die die EU zu den arabischen Mittelmeerpartnern in Bezug setzen, dar. Dabei wird vor allem der stets an der Euro-Mediterranen Partnerschaft geübten Kritik, eine asymmetrische Beziehung zu einer partnerschaftlichen Beziehung zu stilisieren, Rechnung getragen. Positive Betonung findet dagegen das Reformpotential, das in der gegenseitigen Ergänzung des euro-mediterranen und des innereuropäischen Integrationsprozesses steckt. Optimistische Erwartungen für die Umsetzung der unterschiedlichen Reformvorschläge werden vor allem mit der "Strategischen Partnerschaft der EU mit dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten" verbunden, da diese die zukünftigen europäisch-arabischen Beziehungen als inhaltlich und geographisch ausgeweitetes Konzept durchaus Erfolg versprechend abbildet. Die zentrale Frage, ob die EU durch ihr ökonomisches Gewicht eine politische Rolle im Nahen Osten übernehmen kann, lässt sich letztlich nur bedingt beantworten: "Ja", wenn die EU im Konzert mit den USA als gemeinsamer und somit in der Sache glaubhafter Akteur auftritt; "Nein", wenn die EU diese Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, indem sie innereuropäische Interessenkonflikte die außenpolitische Verantwortung der gesamten EU dominieren lässt.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: InhaltsverzeichnisI TabellenverzeichnisIII AbbildungsverzeichnisIV AbkürzungsverzeichnisV 1.Einleitung1 2.Theoretischer Analyserahmen10 2.1Problematik nationalstaatlicher Rhetorik11 2.2Interdependenztheorie13 2.3Integrationstheorie15 2.4Friedensforschung18 2.5Universalismus vs. Regionalismus21 3.Historische Entwicklung der Beziehungen der EU zum Mittelmeerraum24 3.1Bilaterale Abkommen (Phase I: 1957 – 1972)24 3.2Globale Mittelmeerpolitik (Phase II: 1972 – 1990)27 3.2.1Struktur und Umsetzung des Globalansatzes28 3.2.2Problematische Partnerschaft31 3.3Multilaterale Initiativen zur Formulierung einer Mittelmeerpolitik33 3.3.1Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum34 3.3.2"5 plus 5"-Gespräche35 3.4Zusammenfassung36 4.Die Euro-Mediterrane Partnerschaft – der Barcelona Prozess ab 199539 4.1Barcelona Deklaration – Programm, Motivation und Zielsetzungen43 4.2Bedeutung des Wirtschaftsraums für die EU48 4.2.1Grundlagen neoklassischer und endogener Wachstumsmodelle49 4.2.2Stabilität als Wachstumsfaktor51 4.2.3Analyse des ökonomischen (Entwicklungs-) Potentials54 4.2.4Vergleich zu AKP-Staaten67 4.3Freihandelszone als Kernstück der EMP73 4.3.1Europa-Mittelmeer-Abkommen73 4.3.2Freihandel im Rahmen der WTO/GATT 199475 4.3.3Ökonomische Implikationen des Freihandelskonzepts77 4.4Zusammenfassung83 5.Spannung zwischen Konzeption und Implementierung85 5.1Defizite in der europäischen Marktöffnungspolitik88 5.2Institutioneller Dualismus93 5.3Demokratisierung vs. Stabilisierung96 5.4EU als "Global Payer" oder "Global Player"?99 5.5Regionalkonflikte als Kooperations-Determinante102 5.6Nahost-Konflikt und dessen Auswirkungen auf die EMP105 5.7Zusammenfassung107 6.Fazit109 Literaturverzeichnis113 Aufsätze, Monographien und Sammelwerke113 Dokumente123 Institutionen126 Online-Publikationen129 Anhang134Textprobe:Textprobe: Kapitel 5., Spannung zwischen Konzeption und Implementierung: Dass das Fazit, das 2005 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Euro-Mediterranen Partnerschaft auf beiden Seiten des Mittelmeers gezogen wurde, weder ausschließlich positiv, noch ausschließlich negativ ausfiel, kann angesichts der Langfristigkeit der Konzeption und der Vielzahl der Einfluss nehmenden Interdependenzen nicht überraschen. Bestritten werden kann allerdings auch nicht, dass sich der Barcelona Prozess zum bedeutendsten Rahmenwerk für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen, für Dialog und regionale Kooperation entwickelt hat. So resümiert die EU 2005 positiv, dass die Verhandlungen der Europa-Mittelmeer-Abkommen mit allen Partnerländern abgeschlossen werden konnten. Mit Ausnahme von Syrien besteht ein vollständiges, bilaterales Vertragsnetzwerk, im Rahmen dessen Assoziationsräte und Ausschüsse auf Experten- und Ministerebene regelmäßig tagen und die praktische Implementierung der Kooperationsziele begleiten. Besonders hervorzuheben sind darüber hinaus die institutionellen Erweiterungen des Partnerschaftskonzepts: Im Rahmen der Europäischen Investitionsbank wurde 2002 die "Investitionsfazilität und Partnerschaft Europa-Mittelmeer" (FEMIP) gegründet, deren Schwerpunkt die Finanzierung und Entwicklung des Privatsektors bildet. Ausdruck einer egalitären Beziehung ist die paritätisch besetzte und im Jahr 2004 ins Leben gerufene "Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer" (EMPA), deren Vertreter vom Europäischen Parlament und von den nationalen Parlamenten berufen werden und die ihre erste Plenarsitzung im März 2005 in Kairo abhielt. Als Parlament des Barcelona Prozesses hat die EMPA allerdings nur beratende Funktion. Im sozialen Bereich wurde mit der "Anna Lindh Stiftung für den Dialog zwischen Kulturen Europa-Mittelmeer" 2005 die dritte Institution im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft gegründet. Als "Network of Networks" fungiert sie als verbindendes Element der Kulturen und soll zur intensiveren Teilnahme der Zivilgesellschaften am Partnerschaftsprozess beitragen. Positiv ist ebenso zu vermerken, dass der Mittelmeerraum bewusst in den Bereich europäischer Verantwortung gerückt wurde. Denn mit der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 bestand die Gefahr einer Verschiebung auf der europäischen Prioritätenliste. Man fürchtete, dass die umfassende Förderung der politischen und institutionellen, euro-mediterranen Infrastruktur nicht die erhofften Wirkungen entfalten und sich der Graben, die den südlichen Teil des Mittelmeers vom nördlichen vor allem unter Wohlstands- und Wachstumsaspekten noch deutlich trennt, vertiefen könnte. Um die Vorteile der EU-Erweiterung in Bezug auf Stabilität, Sicherheit und Wohlstand auch den Mittelmeerpartnerländern angedeihen zu lassen, wurde die ursprünglich im Hinblick auf die neuen östlichen Nachbarn der erweiterten EU konzipierte "Europäische Nachbarschaftspolitik" auf die Mittelmeerdrittländer ausgedehnt. Somit steht auch die Europäische Nachbarschaftspolitik in der Tradition der europäischen Mittelmeerpolitik, die Dynamik des EU-Erweiterungsprozesses durch Modifizierung der bestehenden Kooperationsvereinbarungen auf die Mittelmeerpartnerschaft zu übertragen. Sie soll die Euro-Mediterrane Partnerschaft allerdings nicht ersetzen, sondern vielmehr den erweiterten Rahmen bilden, innerhalb dessen die Partner vollständigen Nutzen aus den vorhandenen Strukturen ziehen können. Gemäß der Vision eines "Größeren Europas" intendiert die Nachbarschaftspolitik, einen "Ring verantwortungsvoll regierter Staaten" zu bilden, die die grundlegenden Werte und Ziele der EU teilen und daher enger an die EU herangeführt werden sollen. Dazu werden differenzierte, bilaterale Aktionspläne in enger Abstimmung mit den Mittelmeerdrittländern erstellt, die die Zielvorgaben der Europa-Mittelmeer-Abkommen zwar widerspiegeln, diese aber durch eine bewusste Verbindung zu nationalen Politikprogrammen bzw. zu EU-Politiknormen und –standards stärker operationalisierbar gestalten. Als bedeutende Reformpriorität wird die Einbeziehung in den EU-Binnenmarkt durch Annäherung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften anvisiert. Um die dafür nötigen Reformen im Bereich der Regierungsführung zu beschleunigen, wird die Mittelzuweisung durch das MEDA-Programm im Sinne eines Benchmark-Konzepts einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Die Einhaltung von Menschenrechten und den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit soll dadurch verstärkt gewährleistet werden. Angesichts der Langfristigkeit dieser Maßnahmen wird jedoch deutlich, dass man der 1995 gesetzten Zielvorgabe, einen Raum des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands zu schaffen, auch nach zehn Jahren der Kooperationsbemühungen kaum näher gekommen ist. Kritiker wie Befürworter der europäischen Mittelmeerpolitik ziehen daher gleichermaßen ein enttäuschtes Fazit : In der politischen und Sicherheitspartnerschaft scheiterte bereits 2002 das Vorhaben einer "Euromediterranen Charta für Frieden und Sicherheit". Trotz des wiederholten Bekenntnisses, Friede und Stabilität durch vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen schaffen zu wollen, enthält das im November 2005 verabschiedete fünfjährige Arbeitsprogramm keine Ambitionen, das Charta-Projekt wiederzubeleben. Lediglich die Absicht, den Dialog über eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu vertiefen und einen Verhaltenskodex für den Kampf gegen den Terrorismus zu implementieren, ist in das Programm aufgenommen worden. Die Sicherheitspartnerschaft entbehrt jedoch weiterhin konkrete Pläne, den Mittelmeerraum zu einer massenvernichtungswaffenfreien Zone zu machen. So wie die verschiedenen regionalen Konflikte nicht eingedämmt werden konnten, wurden nach eigenen Angaben der Kommission auch im Demokratisierungsprozess keine signifikanten Fortschritte verzeichnet. Im wirtschaftlichen Bereich besteht trotz der Erfolge, die im Rahmen der Einrichtung einer euro-mediterranen Freihandelszone in Bezug auf den Abbau der Außenprotektion der Mittelmeerdrittländer erzielt wurden, weiterer Reformbedarf. So vor allem bei der Anpassung der politischen und institutionellen Strukturen, beim Abbau bürokratischer Schwerfälligkeit, bei der Harmonisierung und regionalen Angleichung technischer Standards und Regelwerke sowie bei der Reformierung des öffentlichen Sektors. Trotz der Zusage finanzieller Mittel von annähernd 9 Mrd. EUR im Rahmen der MEDA I und MEDA II-Programme und von EIB-Krediten von knapp 10 Mrd. EUR hat das durchaus beachtliche jährliche Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4% bis 6% weder zu einer nennenswerten Verbesserung des Lebensstandards weiter Bevölkerungsteile der Mittelmeerdrittländer geführt, noch konnte die Wohlstandskluft zwischen dem südlichen und nördlichen Mittelmeerufer verringert werden. Als "Roadmap" bezeichnet das Arbeitsprogramm die Summe der Zielvorgaben, die bis zur vollständigen Umsetzung der Freihandelszone im Jahr 2010 angestrebt werden. Dazu zählt primär die stufenweise Liberalisierung des Agrar- und des Dienstleistungshandels sowie die Beschleunigung des intra-mediterranen Integrationsprozesses. Sozial und kulturell ist die Partnerschaft weiterhin durch einen Mangel an einem bewussten Partnerschaftsdenken gekennzeichnet. Die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationsformen führte weder zur erhofften Dynamisierung des interkulturellen Dialogs, noch zu einer Verbesserung der sozioökonomischen Verhältnisse. Auch gelang es nicht, durch die Einbindung zivilgesellschaftlicher Eliten eine Brücke zu schlagen zwischen der Ebene der Regierungen und der breiten Öffentlichkeit. Der Informationsstand bezüglich der Euro-Mediterranen Partnerschaft ist daher völlig unzureichend, um von einer tatsächlichen Wirkung auf die Menschen sprechen zu können. Zwar wurden durch Med-Programme wie "Euromed Heritage", "Euromed Audiovisual" und "Euromed Youth" aktive Dialog- und Kooperationsforen geschaffen. Und auch das "Euromed Civil Forum", das als Plattform nicht-staatlicher Organisationen seit Anbeginn des Partnerschaftsprogramms die jährlichen Außenministerkonferenzen begleitet, leistet in Zusammenarbeit mit der 2005 gegründeten "Euro-Mediterranean non-governmental Platform" durch Reflektion und Kommunikation einen Beitrag zum zivilgesellschaftlichen Charakter der Partnerschaft. Doch bleiben die Resultate dieser Anstrengungen sowohl aufgrund mangelnder ideeller Unterstützung der jeweiligen Regierungen als auch der begrenzten Mittelausstattung durch die EU hinter den Erwartungen zurück. Das einmütige Urteil der unterschiedlichsten – europäischen wie arabischen – Beiträge zum Jubiläum lautet, dass trotz der bisherigen Errungenschaften das Potential der Partnerschaft bei weitem nicht ausgeschöpft ist und daher Ansatzpunkte für die Erweiterung, Verbesserung und Intensivierung der euro-mediterranen Beziehungen bestehen. Im Folgenden soll daher dazu übergegangen werden, einige strukturelle Schwierigkeiten, die eine erfolgreiche Umsetzung der Partnerschaft behindern, zu diskutieren und gleichsam auf ihr Reformpotential hin zu analysieren. Melanie Noetzel. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg sowie der Außenpolitik an der American University, Washington DC. Abschluss 2007 als Diplom-Kauffrau. Anschließender Aufenthalt zu Sprachstudien an der Universität von Damaskus, Syrien. Momentan tätig als Doktorandin im Bereich europäischer Integrations- und Erweiterungspolitik mit Blick auf die arabischen Nachbarstaaten der EU.
Die aus der deutschen Wiedervereinigung resultierenden ökonomischen und demografischen Veränderungsprozesse stellen große Herausforderungen für die Regionalentwicklung dar: Nachdem die ostdeutschen Arbeitsmärkte lange Zeit von einem Überangebot an Arbeitskräften geprägt waren und zahlreiche (vor allem junge, gut ausgebildete) Menschen in die alten Bundesländer abwanderten, zeichnet sich mittlerweile eine Trendwende ab. Infolge des demografischen Wandels (Bevölkerungsalterung und -schrumpfung) geht die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter kontinuierlich zurück. Dies wirkt sich vor allem auf das Rückgrat der ostdeutschen Wirtschaft, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, aus. Schon heute machen sich Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Arbeitsstellen bemerkbar und vielerorts wird bereits von einem "Fachkräftemangel" gesprochen. Um die Zukunftsfähigkeit der ansässigen Unternehmen zu sichern, entwickeln regionale Organisationen Strategien, die eine ausreichende Versorgung der Unternehmen mit Fachkräften gewährleisten und damit zur regionalen Resilienz beitragen sollen. Während diese vor allem auf eine erhöhte Arbeitsbeteiligung bestimmter Gruppen (z.B. ältere Arbeitnehmer, Frauen, Arbeitslose) abzielen, lässt sich vermehrt auch eine gezielte Anwerbung von Fachkräften aus anderen Regionen beobachten. Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile ein beachtlicher Teil der abgewanderten Ostdeutschen in seine "alte Heimat" zurückkehren möchte, kommt dieser Personengruppe dabei ein besonderes Interesse zu. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend setzt sich die Forschungsarbeit mit folgenden Fragestellungen auseinander: (1) Wie beschäftigen sich die relevanten Organisationen in Ostdeutschland mit der regionalen Fachkräftesicherung? (2) Welche Rolle spielt dabei die gezielte Anwerbung von Rück- und Zuwanderern? und (3) Wie können Rück- und Zuwanderungsinitiativen zur Resilienz ostdeutscher Regionen gegenüber dem rückläufigen Erwerbspersonenpotenzials beitragen? Auf Basis einer Literatur- und Internetrecherche werden die wichtigsten Rück- und Zuwanderungsinitiativen in ostdeutschen Regionen erfasst und charakterisiert. Darauf aufbauend werden anhand der Informationen der Trägerorganisationen weitere, mit dem Thema "Fachkräftesicherung" betraute Organisationen identifiziert. Diese Grundgesamtheit stellt den Ausgangspunkt für eine schriftliche Befragung dar. Auf Grundlage der Befragungsergebnisse werden Trends sowie Besonderheiten bei der regionalen Fachkräftesicherung ermittelt. Im Rahmen einer anschließenden Fallstudienuntersuchung wird ein detaillierter Einblick in die Arbeitsweisen und Kooperationsbeziehungen ausgewählter Rück- und Zuwanderungsinitiativen gewonnen. Anhand von Experteninterviews werden weitere Erkenntnisse über den Beitrag dieser Initiativen zur Resilienz regionaler Arbeitsmärkte gewonnen. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass sich aktuell eine Vielzahl verschiedener Organisationen mit dem Thema der regionalen Fachkräftesicherung beschäftigt: Neben den Agenturen für Arbeit, den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern sind dies verschiedene Wirtschafts- bzw. Branchenverbände und Gewerkschaften. Darüber hinaus spielen auch Ministerien, Förderbanken, kommunale Einrichtungen, Career Services von Hochschulen und ehrenamtliche Vereine eine Rolle. Obwohl Rück- und Zuwanderer nicht die Hauptzielgruppe ihrer Maßnahmen darstellen, finden sie dennoch Berücksichtigung. Außerdem stehen die meisten Organisationen mit dreizehn Initiativen, welche sich auf eine gezielte Anwerbung von (Re-) Migranten spezialisiert haben, in Kontakt. Bei Letzteren gehören die Vermittlung von Arbeitsplätzen, die Information und Beratung bei der Arbeitssuche sowie Dual Career Services (Informationen und Beratung bei der Arbeitsplatzsuche der Partnerin/ des Partners) zu den wichtigsten Leistungsangeboten. Zwar ist eine direkte Messung ihres Erfolges nicht möglich und eine dauerhafte Finanzierung, aufgrund ihres Projektcharakters, nur selten garantiert, dennoch tragen sie aber zur regionalen Fachkräftesicherung bei: Durch den Aufbau von Netzwerken, der Sensibilisierung ansässiger Unternehmen sowie der aktiven Vermarktung des Standorts werden vorhandene Ressourcen mobilisiert und bestehende Vulnerabilitäten abgebaut. Durch das Einwirken weiterer, externer Prozesse stellt sich schließlich eine erhöhte Resilienz ostdeutscher Regionen gegenüber dem rückläufigen Erwerbspersonenpotenzial ein. Daraus leiten sich Handlungsempfehlungen ab, die eine weitere Intensivierung der regionalen Kooperation vorschlagen.:Abbildungsverzeichnis XI Tabellenverzeichnis XIII Abkürzungsverzeichnis XIV 1 Einleitung 1 1.1 Problemstellung 1 1.2 Zielsetzung der Arbeit 3 1.3 Aufbau der Arbeit 5 2 Theoretischer Bezugsrahmen und forschungsleitende Fragen 7 2.1 Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und Fachkräftemangel 8 2.1.1 Komponenten des Arbeitsmarktes in Deutschland 8 2.1.2 Begriffsbestimmung: Erwerbspersonenpotenzial, Arbeitskräftemangel, Fachkräftemangel, Fachkräftesicherung 10 2.2 Entstehung regionaler Arbeitsmärkte 12 2.2.1 Neoklassisches Grundmodell des Arbeitsmarktes 12 2.2.2 Segmentationstheorie 13 2.2.3 Regulationstheoretisch orientierte Regionalforschung 15 2.2.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 15 2.3 Erklärung von (interregionalen) Migrationsbewegungen 16 2.3.1 Ökonomische Ansätze zur Erklärung von Migration 17 2.3.2 Nichtökonomische Migrationstheorien 18 2.3.3 Mehrebenenkonzept zur (Rück-) Wanderungsforschung 19 2.3.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 20 2.4 Steigerung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit in der Regionalentwicklung 21 2.4.1 Cluster 21 2.4.2 Regionale Innovationssysteme 23 2.4.3 Zusammenfassung 23 2.5 Integration der Theoriestränge durch den Ansatz der regionalen Resilienz 24 2.5.1 Der Resilienz-Begriff im Kontext verschiedener Wissenschaftsdisziplinen 25 2.5.2 Unterschiedliche Interpretationen des Resilienz-Begriffs 27 2.5.3 Resilienz regionaler Arbeitsmärkte 30 2.5.4 Operationalisierung des Resilienz-Ansatzes 32 2.6 Forschungsleitende Fragen 34 3 Forschungsstrategie und methodische Vorgehensweise 37 3.1 Forschungsstrategie 37 3.2 Querschnittdesign 39 3.2.1 Abgrenzung des Untersuchungsgebiets 39 3.2.2 Sekundärstatistische Analyse 40 3.2.3 Dokumentenanalyse und Sampling 41 3.2.4 Schriftliche Befragung 42 3.2.4.1 Konstruktion des Erhebungsinstruments 43 3.2.4.2 Durchführung und Rücklauf der Befragung 45 3.2.4.3 Analyse und Darstellung der erhobenen Daten 47 3.3 Multiples Fallstudiendesign 48 3.3.1 Fallauswahl 48 3.3.2 Experteninterviews 49 3.3.2.1 Auswahl der Gesprächspartner 50 3.3.2.2 Durchführung der Untersuchung 51 3.3.2.3 Analyse der erhobenen Daten 52 3.3.3 Dokumentenanalyse 53 3.4 Kritische Reflexion der verwendeten Forschungsmethoden 53 4 Fachkräftesicherung und Migration als Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Ostdeutschland 57 4.1 Fachkräftesicherung unter den Bedingungen einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft 57 4.1.1 Auswirkungen des demografischen Wandels auf die regionalen Arbeitsmärkte in Ostdeutschland 58 4.1.2 Analyse des aktuellen und zukünftigen Fachkräftebedarfs in Ostdeutschland 61 4.1.3 Zielgruppen der regionalen Fachkräftesicherungsstrategien 68 4.2 Rück- und Zuwanderung nach Ostdeutschland 70 4.2.1 Zuwanderung nach Ostdeutschland 71 4.2.2 Rückwanderung nach Ostdeutschland 73 4.2.2.1 Datenverfügbarkeit und Definition der wichtigsten Begriffe 74 4.2.2.2 Zahlen zur Rückwanderung nach Ostdeutschland 76 4.2.2.3 Motive für die Rückwanderung nach Ostdeutschland 77 4.2.2.4 Räumliche und zeitliche Muster der Rückwanderung nach Ostdeutschland 78 4.2.2.5 Demografische und sozio-ökonomische Situation der Rückwanderer 79 4.2.2.6 Potenzial von Rückwanderern für die Regionalentwicklung in Ostdeutschland 80 4.3 Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 83 4.3.1 Gesetzlicher Rahmen zur Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte 83 4.3.1.1 Green Card 84 4.3.1.2 Vom Ausländerrecht zur gesteuerten Arbeitsmigration 84 4.3.1.3 Freizügigkeitsgesetz 86 4.3.1.4 Anerkennung ausländischer Abschlüsse 86 4.3.1.5 Blaue Karte EU 87 4.3.2 Bundesweite Maßnahmen zur Fachkräftesicherung durch Rück- und Zuwanderung 88 4.3.2.1 Virtuelle Informationsportale 88 4.3.2.2 Fachkräfte-Offensive 89 4.3.2.3 Jobmonitor 89 4.3.2.4 Innovationsbüro "Fachkräfte für die Region" 90 4.3.2.5 Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung 90 4.3.2.6 Die "Zukunftsinitiative Fachkräftesicherung" 90 4.3.2.7 Sonderprogramm zur Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen Fachkräfte aus Europa (MobiPro-EU) 91 4.3.3 Regionale Ansätze zur Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 92 4.3.3.1 Leistungen zur Anwerbung von Rück- und Zuwanderern 92 4.3.3.2 Kriterien für eine Gesamtschau der im Untersuchungsraum existierenden Initiativen 99 5 Aktuelle Strategien der Fachkräftesicherung in Ostdeutschland 103 5.1 Politikumfeld und institutioneller Kontext 103 5.2 Beschäftigung mit dem Thema regionale Fachkräftesicherung 106 5.3 Berücksichtigung von Rück- und Zuwanderern117 5.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 127 6 Rück- und Zuwanderungsinitiativen als Beitrag zur Resilienz regionaler Arbeitsmärkte in Ostdeutschland 131 6.1 Agentur mv4you 131 6.1.1 Aktivitäten der Initiative 131 6.1.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 134 6.1.3 Aktuelle Entwicklungen 137 6.2 Initiative "Fachkräfte für Sachsen. Sachse komm' zurück!" 137 6.2.1 Aktivitäten der Initiative 137 6.2.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 139 6.2.3 Aktuelle Entwicklungen 143 6.3 Willkommens-Agentur Uckermark 143 6.3.1 Aktivitäten der Initiative 143 6.3.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 147 6.3.3 Aktuelle Entwicklungen 150 6.4 Der Beitrag von Rück- und Zuwanderungsinitiativen zum Aufbau einer regionalen Anpassungskapazität 151 6.4.1 Entwicklung der gezielten Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 151 6.4.2 Finanzierung der Rück- und Zuwanderungsinitiativen 152 6.4.3 Beitrag zur regionalen Fachkräftesicherung 152 6.4.4 Verstärkte Berücksichtigung von (internationalen) Zuwanderern 153 6.4.5 Regionsübergreifende Kooperation 154 6.4.6 Schwierigkeiten bei der direkten Messung des Erfolgs 155 6.4.7 Beitrag zur regionalen Resilienz 156 7 Schlussfolgerungen 161 7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 161 7.2 Schlussfolgerungen für die Praxis 168 7.3 Schlussfolgerungen für die wissenschaftliche Diskussion und weiterer Forschungsbedarf 170 8 Literaturverzeichnis 173 9 Anhang 191 ; Germany's reunification caused economic and demographic changes that represent major challenges for regional development: After the East German labour markets experienced a long period of labour oversupply and the emigration of many (particularly young and well educated) people to former West Germany, they are now facing a reversal. Due to demographic changes (the aging and shrinking of the population) the number of people in working age has been steadily declining. This especially affects small and medium sized businesses, the backbone of the East German economy. Already, it has become noticeably difficult to fill vacant positions, and a "shortage of skilled labour" is widely discussed. In order to future-proof local businesses, regional organisations have developed strategies that ensure a sufficient supply of skilled labour and an increased regional resilience. Although these strategies mainly aim towards increasing labour market participation among certain groups (e.g. older workers, women, the unemployed), the recruitment of skilled labour from other regions has also noticeably increased. Since a significant proportion among emigrated East Germans would like to return 'home' now, this group is of particular interest. Based on these findings, this research paper deals with the following questions: (1) What do relevant organisations in East Germany do about securing regional skilled labour? (2) What role does the targeted recruitment of immigrants and return migrants play in this context? (3) How can immigration and return migration initiatives contribute to making East German regions resilient against the diminishing work force potential? Based on a combined literature and Internet research, this paper identifies and characterises the most important immigration and return migration initiatives in East Germany. Further, it uses information provided by these initiatives' support organisations to identify other organisations whose remit is to safeguard skilled labour. The resulting statistical population then forms the basis for a written survey. Based on the survey results, the paper investigates trends and anomalies in securing regional skilled labour. A subsequent multiple case study analysis provides detailed insights into the working methods and cooperation among selected immigration and return migration initiatives. Expert interviews provide additional information on how these initiatives contribute towards regional labour market resilience. As the empirical results show, there currently exist a number of organisations dealing with the shortage of skilled labour. These include regional employment agencies, chambers of industry and commerce, and chambers of crafts, as well as various trade associations and unions. In addition, government departments, business development banks, local authorities, university career services, and voluntary associations also play an important role. Even though immigrants and return migrants are not considered to be their main targets, these organisations do include them in their measures. Furthermore, most of the surveyed organisations are in contact with the thirteen initiatives that focus on targeted recruitment of immigrants and return migrants. The most important services provided by immigration and return migration initiatives include job placements, information and advice during the job search, as well as dual career services. Even though it isn't possible to directly measure their impact, and although they are rarely guaranteed permanent financing due to their project-based nature, these initiatives do contribute towards securing regional skilled labour: By developing networks, sensitizing local companies, and actively advertising the region, they mobilise existing resources and reduce regional vulnerabilities. The influence of additional external processes eventually creates an increase in regional resilience towards the declining labour force potential. Derived from these findings, this paper recommends several action points that propose a further intensification of regional cooperation.:Abbildungsverzeichnis XI Tabellenverzeichnis XIII Abkürzungsverzeichnis XIV 1 Einleitung 1 1.1 Problemstellung 1 1.2 Zielsetzung der Arbeit 3 1.3 Aufbau der Arbeit 5 2 Theoretischer Bezugsrahmen und forschungsleitende Fragen 7 2.1 Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und Fachkräftemangel 8 2.1.1 Komponenten des Arbeitsmarktes in Deutschland 8 2.1.2 Begriffsbestimmung: Erwerbspersonenpotenzial, Arbeitskräftemangel, Fachkräftemangel, Fachkräftesicherung 10 2.2 Entstehung regionaler Arbeitsmärkte 12 2.2.1 Neoklassisches Grundmodell des Arbeitsmarktes 12 2.2.2 Segmentationstheorie 13 2.2.3 Regulationstheoretisch orientierte Regionalforschung 15 2.2.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 15 2.3 Erklärung von (interregionalen) Migrationsbewegungen 16 2.3.1 Ökonomische Ansätze zur Erklärung von Migration 17 2.3.2 Nichtökonomische Migrationstheorien 18 2.3.3 Mehrebenenkonzept zur (Rück-) Wanderungsforschung 19 2.3.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 20 2.4 Steigerung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit in der Regionalentwicklung 21 2.4.1 Cluster 21 2.4.2 Regionale Innovationssysteme 23 2.4.3 Zusammenfassung 23 2.5 Integration der Theoriestränge durch den Ansatz der regionalen Resilienz 24 2.5.1 Der Resilienz-Begriff im Kontext verschiedener Wissenschaftsdisziplinen 25 2.5.2 Unterschiedliche Interpretationen des Resilienz-Begriffs 27 2.5.3 Resilienz regionaler Arbeitsmärkte 30 2.5.4 Operationalisierung des Resilienz-Ansatzes 32 2.6 Forschungsleitende Fragen 34 3 Forschungsstrategie und methodische Vorgehensweise 37 3.1 Forschungsstrategie 37 3.2 Querschnittdesign 39 3.2.1 Abgrenzung des Untersuchungsgebiets 39 3.2.2 Sekundärstatistische Analyse 40 3.2.3 Dokumentenanalyse und Sampling 41 3.2.4 Schriftliche Befragung 42 3.2.4.1 Konstruktion des Erhebungsinstruments 43 3.2.4.2 Durchführung und Rücklauf der Befragung 45 3.2.4.3 Analyse und Darstellung der erhobenen Daten 47 3.3 Multiples Fallstudiendesign 48 3.3.1 Fallauswahl 48 3.3.2 Experteninterviews 49 3.3.2.1 Auswahl der Gesprächspartner 50 3.3.2.2 Durchführung der Untersuchung 51 3.3.2.3 Analyse der erhobenen Daten 52 3.3.3 Dokumentenanalyse 53 3.4 Kritische Reflexion der verwendeten Forschungsmethoden 53 4 Fachkräftesicherung und Migration als Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Ostdeutschland 57 4.1 Fachkräftesicherung unter den Bedingungen einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft 57 4.1.1 Auswirkungen des demografischen Wandels auf die regionalen Arbeitsmärkte in Ostdeutschland 58 4.1.2 Analyse des aktuellen und zukünftigen Fachkräftebedarfs in Ostdeutschland 61 4.1.3 Zielgruppen der regionalen Fachkräftesicherungsstrategien 68 4.2 Rück- und Zuwanderung nach Ostdeutschland 70 4.2.1 Zuwanderung nach Ostdeutschland 71 4.2.2 Rückwanderung nach Ostdeutschland 73 4.2.2.1 Datenverfügbarkeit und Definition der wichtigsten Begriffe 74 4.2.2.2 Zahlen zur Rückwanderung nach Ostdeutschland 76 4.2.2.3 Motive für die Rückwanderung nach Ostdeutschland 77 4.2.2.4 Räumliche und zeitliche Muster der Rückwanderung nach Ostdeutschland 78 4.2.2.5 Demografische und sozio-ökonomische Situation der Rückwanderer 79 4.2.2.6 Potenzial von Rückwanderern für die Regionalentwicklung in Ostdeutschland 80 4.3 Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 83 4.3.1 Gesetzlicher Rahmen zur Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte 83 4.3.1.1 Green Card 84 4.3.1.2 Vom Ausländerrecht zur gesteuerten Arbeitsmigration 84 4.3.1.3 Freizügigkeitsgesetz 86 4.3.1.4 Anerkennung ausländischer Abschlüsse 86 4.3.1.5 Blaue Karte EU 87 4.3.2 Bundesweite Maßnahmen zur Fachkräftesicherung durch Rück- und Zuwanderung 88 4.3.2.1 Virtuelle Informationsportale 88 4.3.2.2 Fachkräfte-Offensive 89 4.3.2.3 Jobmonitor 89 4.3.2.4 Innovationsbüro "Fachkräfte für die Region" 90 4.3.2.5 Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung 90 4.3.2.6 Die "Zukunftsinitiative Fachkräftesicherung" 90 4.3.2.7 Sonderprogramm zur Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen Fachkräfte aus Europa (MobiPro-EU) 91 4.3.3 Regionale Ansätze zur Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 92 4.3.3.1 Leistungen zur Anwerbung von Rück- und Zuwanderern 92 4.3.3.2 Kriterien für eine Gesamtschau der im Untersuchungsraum existierenden Initiativen 99 5 Aktuelle Strategien der Fachkräftesicherung in Ostdeutschland 103 5.1 Politikumfeld und institutioneller Kontext 103 5.2 Beschäftigung mit dem Thema regionale Fachkräftesicherung 106 5.3 Berücksichtigung von Rück- und Zuwanderern117 5.4 Zusammenfassung der wesentlichen Punkte 127 6 Rück- und Zuwanderungsinitiativen als Beitrag zur Resilienz regionaler Arbeitsmärkte in Ostdeutschland 131 6.1 Agentur mv4you 131 6.1.1 Aktivitäten der Initiative 131 6.1.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 134 6.1.3 Aktuelle Entwicklungen 137 6.2 Initiative "Fachkräfte für Sachsen. Sachse komm' zurück!" 137 6.2.1 Aktivitäten der Initiative 137 6.2.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 139 6.2.3 Aktuelle Entwicklungen 143 6.3 Willkommens-Agentur Uckermark 143 6.3.1 Aktivitäten der Initiative 143 6.3.2 Kooperation mit anderen regionalen Initiativen 147 6.3.3 Aktuelle Entwicklungen 150 6.4 Der Beitrag von Rück- und Zuwanderungsinitiativen zum Aufbau einer regionalen Anpassungskapazität 151 6.4.1 Entwicklung der gezielten Anwerbung von Rück- und Zuwanderern in Ostdeutschland 151 6.4.2 Finanzierung der Rück- und Zuwanderungsinitiativen 152 6.4.3 Beitrag zur regionalen Fachkräftesicherung 152 6.4.4 Verstärkte Berücksichtigung von (internationalen) Zuwanderern 153 6.4.5 Regionsübergreifende Kooperation 154 6.4.6 Schwierigkeiten bei der direkten Messung des Erfolgs 155 6.4.7 Beitrag zur regionalen Resilienz 156 7 Schlussfolgerungen 161 7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 161 7.2 Schlussfolgerungen für die Praxis 168 7.3 Schlussfolgerungen für die wissenschaftliche Diskussion und weiterer Forschungsbedarf 170 8 Literaturverzeichnis 173 9 Anhang 191
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Nur 41 von 143 Antragsskizzen für neue Exzellenzcluster haben es zum Vollantrag geschafft. Was bedeutet die Auswahl für den Fortgang der Exzellenzstrategie und für die deutsche Universitätslandschaft? Eine erste Analyse.
Foto: Pxhere, CCO.
SELBST WENN heute nicht Haushalts-Showdown in Bundesrat und Bundestag wäre und nicht das Finale im Poker ums Startchancen-Programm: Die Entscheidung des Expertengremiums der Exzellenzstrategie (ExStra) hätte auch sonst keine großen Schlagzeilen ausgelöst. Zumal die meisten Menschen außerhalb, vermutlich aber auch innerhalb der Universitäten gar nicht wissen, wer oder was eigentlich dieses Expertengremiums ist. Wenn überhaupt, so wurde die ExStra in jüngster Zeit vor allem unter der Fragestellung öffentlich diskutiert, ob sie mit ihrer Wettbewerbsorientierung und ihrem – 2022 nur leicht abgeschwächten – Fokus auf Grundlagenforschung noch in die Zeit passt.
Und doch: In den Chefetagen vieler Universitäten, in zahlreichen Fakultäten und Laboren wurde in den vergangenen Tagen ordentlich gezittert und gebangt. Denn auch wenn die 39 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dem ExStra-Expertengremium angehören, am Donnerstag nur eine Vorauswahl unter den 143 eingereichten sogenannten Antragsskizzen getroffen haben, nahmen sie damit eine der wichtigsten Weichenstellung in der Exzellenzförderung für die nächsten sieben Jahre vor.
Nicht für die Etablierten, die Inhaber der 57 bestehenden Exzellenzcluster. Die müssen sich erst in der jetzt beginnenden Hauptrunde dem Wettbewerb stellen. Doch all jene Forschenden, die hofften, künftig auch ein Stück vom Förderkuchen abzubekommen, erfuhren mit der Pressemitteilung von Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Wissenschaftsrat am Freitagmorgen, ob sie weiter hoffen können. Und für etliche Hochschulen, die bislang nicht Exzellenzunis sind, ging es darum, ob sie im Rennen bleiben, um 2025 vielleicht eine zu werden.
Erfolgschance: 29 Prozent – bis jetzt
Genug auf die Folter gespannt. Hier sind die Ergebnisse, und das wichtigste lautet: Es war ein harter Schnitt. Das Expertengremium winkte nur 41 der 143 eingereichten Antragsskizzen durch, was einem Anteil von 29 Prozent entspricht. Und die Vollanträge kommen ja erst noch. Zum Vergleich: Bei der letzten vergleichbaren Cluster-Vorauswahl 2017 kamen 45 Prozent durch, insgesamt 88 Antragsskizzen. Warum jetzt so viel weniger? Weil, siehe oben diesmal die neuen Anträge mit den Platzhirschen konkurrieren, die nicht durch diese Vorrunde mussten. Hier zeigt sich eine Eigenart der ExStra, die für viele ihrer Kritiker zu ihren Hauptproblemen zählt: der potenziell geringe Grad ihrer Erneuerung. Welche Folgen das hat, dazu später mehr.
Schaut man in die Liste der 41 Erfolgsskizzen, fällt zunächst die Vielzahl der noch vertretenen Hochschulen auf. 37 Hochschulen aus 13 Bundesländern sind weiter dabei, was im Umkehrschluss aber auch bedeutet, dass 22 der 59 Hochschulen, die Skizzen eingereicht hatten, rausgefallen sind. Unter den 37 Erfolgreichen wiederum sind (nur?) zwölf Universitäten, die bislang keine Exzellenzcluster vorzuweisen haben. Sie dürfen jetzt Anträge schreiben oder sich daran beteiligen. Konkret sind das die Universität Siegen, die Technische Universität Darmstadt (gleich 3-mal), die Universität Duisburg-Essen, die Universität Erlangen-Nürnberg, die Universität Halle-Wittenberg, die Universität Marburg (2-mal), die Universität Regensburg, die Technische Universität Hamburg, die Universität Leipzig (2-mal), die Universität Magdeburg, die Universität des Saarlandes und die Universität Hohenheim.
Während umgekehrt an 24 der 41 Skizzen, die jetzt zu Vollanträgen werden dürfen, aktuelle Exzellenuniversitäten beteiligt oder alleinige Träger sind: die RWTH Aachen (2-mal), die Freie Universität Berlin (3-mal), die Humboldt-Universität und die Charité (2-mal), die Technische Universität Berlin, die Universität Bonn (2-mal), die Technische Universität Dresden (3-mal), die Universität Hamburg, die Universität Heidelberg (2-mal), das Karlsruher Institut für Technologie, die Universität München (3-mal), die Technische Universität München (3-mal) und die Universität Tübingen, die unglaubliche sechsmal durchkam und jetzt inklusive ihrer drei bestehenden Exzellenzcluster mit neun Vollanträgen ins Rennen gehen kann. Das schafft nicht einmal der bisherige Cluster-Spitzenreiter Bonn, der mit sechs bestehenden und zwei Neuanträgen auf acht kommt. Der Berliner Verbund mit seinen sieben aktuellen Clustern hat insgesamt drei Neuanträge am Start. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass zehn von elf Exzellenzuniversitäten (inklusive des Berliner Verbundes) mit neuen Skizzen dabei sind. Umso auffälliger, dass einer fehlt: Konstanz.
Die übrigen Universitäten, die bereits mindestens einen Exzellenzcluster haben und jetzt mindestens eine weitere erfolgreiche Skizze vorweisen können, sind: Bremen, die Technische Universität Dortmund, die Universität Frankfurt, die Universität Gießen, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universität Jena, die Universität Ulm, die Universität Freiburg (2-mal), die Universität Stuttgart (2-mal), die Universität zu Köln (2-mal), die Universität Mainz, die Universität Würzburg und die Universität Oldenburg.
Hat sich durch die Anpassungen der Wettbewerbsregeln etwas getan?
Ja und nein. 2022 hatten Bund und Länder ihre Vereinbarung zur Exzellenzstrategie abgeändert. Seitdem können mehr als drei Universitäten an einem Cluster beteiligt sein, wodurch kleine und mittlere Standorte eine größere Chance auf einen Erfolg erhalten sollten. Nur hat diese Möglichkeit kein Konsortium genutzt. Gleichzeitig wurde Interdisziplinarität als Qualitätsmerkmal bei der Antragstellung stärker als bislang betont, auch sonst wurde eine größere Offenheit auch für überregionale und stärker transferorientierte Kooperationen signalisiert. Beides zeitigte jetzt gewisse Erfolge: Im Vorhaben "CARE: Klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen" wirken zum Beispiel die TU Dresden und die RWTH Aachen über große geografische Entfernungen zusammen und im "Zentrum für Chiräle Elektronik" die FU Berlin und die Universität Halle-Wittenberg mit der Universität Regensburg.
Insgesamt wurden sechs erfolgreiche Antragsskizzen von drei Hochschulen eingereicht, was erfreulich viel ist. Und es sind noch zahlreiche mittelgroße Universitäten im Wettbewerb, einige davon haben erstmals Aussicht auf einen Cluster. Die Mehrzahl der am Donnerstag erfolgreichen Konzepte werde von interdisziplinären Konsortien getragen, hat die DFG ausgewertet, dabei seien in zehn Skizzen die Geistes- und Sozialwissenschaften am stärksten vertreten, in 15 Skizzen die Lebenswissenschaften, in acht Skizzen die Naturwissenschaften und in ebenfalls acht Skizzen die Ingenieurwissenschaften.
Nur etwas besser als zuvor in der Exzellenzstrategie steht der Osten der Republik da. Zu den gerade mal vier bestehenden Clustern außerhalb Berlins gesellen sich jetzt sieben erfolgreiche Antragsskizzen, erstmals hat Sachsen-Anhalt zwei darunter. Allerdings: Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wo es schon bislang keine Cluster gibt, gehen jetzt schon in der Vorrunde wieder leer aus. Die Wissenschaftsministerinnen beider Länder hatten sich für die ExStra-Reform stark gemacht. Im Westen ist allein Schleswig-Holstein ohne erfolgreiche Antragsskizze – allerdings hat die Universität Kiel zwei bestehende Cluster.
Ansonsten setzt sich das Muster der geografischen Exzellenz-Konzentration fort, besonders augenfällig wird das durch den Erfolg der baden-württembergischen Universitäten, aber auch der großen Wissenschaftsmetropolen Berlin, München, Hamburg und der Region Köln/Bonn. Der Verbund der Rhein-Main-Universitäten mit Mainz, Frankfurt und Darmstadt holt bei nur zwei bestehenden Clustern dank des Skizzenerfolgs deutlich auf. Aber all das ist natürlich nur eine Momentaufnahme, nach der Entscheidung zu den Vollanträgen sprechen wir uns wieder. Apropos...
Welche Chancen haben jetzt die Cluster, die durchgekommen sind?
Ziemlich gute. Würden alle 57 bisherigen Exzellenzcluster und alle 41 durchwundenen Skizzen tatsächlich Vollanträge einreichen, kämen 98 Vorhaben auf bis zu 70 zu vergebene Plätze. Auf diese Zahl hatten sich Bund und Länder 2022 nach langen Verhandlungen festgelegt, pro Cluster und Jahr soll es zwischen drei und zehn Millionen Euro Förderung geben. Die theoretische Erfolgschancen pro Antrag liegen jetzt also bei gut 70 Prozent. Wobei das nur gelten würde, wenn die neuen Projekte genauso behandelt würden wie die Verlängerungsanträge der bestehenden, obwohl die ja auf das Erreichte pochen können (allerdings auch an selbigem gemessen werden).
Wie stark das Neue gegenüber dem Bestehenden so oder so im Nachteil ist, wird deutlich, wenn man von den ursprünglich 143 neuen Antragsskizzen ausgeht. Dann stünde (bei angenommen gleichen Chancen ab jetzt) die gut 70-prozentige Erfolgswahrscheinlichkeit bestehender Cluster rund 20,5 Prozent bei den Skizzen gegenüber. Tatsächlich wird aber intern damit gerechnet, dass etwa vier von fünf bestehenden Clustern verlängert werden könnten, womit die Erfolgschance der jetzt durchgegangen Skizzen bei knapp 60 Prozent läge. Und bezogen auf alle ursprünglich eingereichten 143 bei etwa 17 Prozent.
Was bedeutet das Ergebnis für den Wettbewerb in der Förderlinie "Exzellenzuniversitäten"?
Mindestens vier neue Exzellenzuniversitäten kann es 2026 geben, abhängig natürlich vom wissenschaftsgeleiteten Verfahren, darauf hatten sich Bund und Länder im Juni 2023 nach einem monatelangen Konflikt geeinigt. Es können aber auch mehr werden, denn die sogenannte Exzellenzkommission aus Wissenschaftlern und Politik bestätigte am Donnerstag offiziell per Beschluss: Schaffen es nicht alle elf Titelinhaber in die erneute Förderung, können auch ihre Plätze nachbesetzt und neu vergeben werden.
Woraus folgt: Zusätzlich zu den gegenwärtig elf Exzellenzuniversitäten können nach heute noch etliche weitere Universitäten davon träumen, sich um den Titel zu bewerben. Das sind zum einen diejenigen Hochschulen, die schon seit 2018 (mindestens) zwei Cluster haben (die zentrale Bewerbungsvoraussetzung), aber 2019 nicht zum Zug kamen: Kiel, Braunschweig, Freiburg, der Verbund von Uni und MHH Hannover, Köln, Bochum (das aber mit ihren Partnern bewerben will, siehe nächster Absatz), Münster, Stuttgart.
Zusätzlich hoffen, mindestens bis die Vollanträge bewilligt sind, können jetzt: Oldenburg, Bremen, Würzburg, Jena, Leipzig, Ulm, Würzburg, Gießen, Marburg und die Rhein-Main-Universitäten Mainz, Frankfurt und Darmstadt. Ebenso die Universitätsallianz Ruhr der Universitäten Bochum, Duisburg-Essen und der TU Dortmund, weil sie zusammen inklusive bestehender Cluster und Neuanträge auf deutlich mehr als die für einen Verbund nötigen drei Cluster kommt. Schon jetzt wieder raus ist eine frühere Exzellenzuniversität, die wiederholt in der Krise steckte: die Universität Göttingen, aktuell mit einem Cluster, aber ohne erfolgreiche Antragsskizze. Bitter.
Noch eine Ergänzung: Theoretisch könnten sich Universitäten, die am Ende eine erfolgreiche Clusterbewerbung (ob neu oder verlängert) haben, mit zwei weiteren in ihrer Umgebung zu einem Exzellenzverbund zusammenschließen und so in der Exzellenzuni-Förderlinie ins Rennen gehen. Dafür wären im Verbund wie gesagt drei Cluster nötig. Nur erscheint kaum vorstellbar, dass plötzlich entstehende Zweck-Neuverbünde ein so überzeugendes Bewerbungsnarrativ finden könnten, um das Wohlwollen der Gutachter zu erreichen.
Wie geht es jetzt weiter?
Den gesamten Zeitplan für diese Wettbewerbsrunde in beiden Förderlinien hat die DFG hier veröffentlicht. In den nächsten Monaten werden die Antragsteller jetzt zusätzlich zum gewohnten Zittern wieder neuen Stress haben. Bis zum 22. August 2024 sollen sie ihre Skizzen zum Voll-Förderantrag ausarbeiten und einreichen. Die gleiche Deadline gilt für die Fortsetzungsanträge für die 57 bereits geförderten Exzellenzcluster. Zwischen Oktober 2024 und 2025 folgen die Begutachtungen durch erneut international besetzte Panels, bevor am 22. Mai 2025 die Exzellenzkommission die finale Förderentscheidung trifft. Wieviel Erneuerung wird die Exzellenzlandschaft dann erleben, wieviel Bestätigung laufender Projekte? Wie wird es austariert, das Verhältnis zwischen Dynamik und Kontinuität? In der Kommission sitzen neben den Wissenschaftlern des Expertengremiums die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern. Spätestens dann, das zeigt die Erfahrung vergangener Runden, werden die Entscheidungen in der Exzellenzstrategie auch politisch, das gilt umso mehr für die Auswahl in der Förderlinie Exzellenzuniversitäten, die im September 2026 ansteht und wiederum in der Exzellenzkommission fallen wird.
Hier ist die Liste mit allen erfolgreichen Antragsskizzen auf der DFG-Website zum Nachlesen. Hinweis: Ich habe diesen Artikel am 05. Februar 2024 um einen Absatz ergänzt.
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