Der Beitrag untersucht die interethnischen gewalttätigen Vorkommnisse seit 2003 in der autonomen Provinz Wojwodina in Serbien zwischen den dort lebenden ethnischen Minderheiten, insbesondere den Ungarn, und den Serben, welche die Mehrzahl der Einwohner stellen. Nach einer Skizzierung der historischen Entwicklung der Provinz seit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 werden zunächst das Ausmaß der ethnischen Gewaltkonflikte sowie die Opfer und Täter dargestellt. Im Anschluss folgt eine Betrachtung der Reaktionen auf die Zwischenfälle, die vor allem durch das Milosevic-Regime geschürt wurden. Sie umfassen sechs Punkte: (1) die Politik und das Gerichtswesen, (2) die Regierung, (3) die Institutionen in Wojwodina, (4) die Allianz der Ungarn in Wojwodina, (5) die Staatsform und die internationale Politik sowie (6) die Medien. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen werden einige Schlussfolgerungen abgeleitet, die folgende Aspekte umfassen: (1) Die Rolle des serbischen Staates, (2) die Berücksichtigung der Minderheitenrechte, (3) die Rolle der Gesellschaft sowie (4) die Internationalisierung des Problems und der 'Dialog der Tauben'. Im Hinblick auf eine anzustrebenden Entspannung der gewalttätigen interethnischen Beziehungen in der Provinz werden abschließend einige entsprechende Handlungsempfehlungen genannt, wobei vor allem die Installierung eines alternativen Wertesystems angemahnt wird. (ICG2)
"Sudan erlebt den ersten Jahrestag des umfassenden Friedensabkommens zwischen der Regierung und der (süd)sudanesischen Befreiungsbewegung SPLM. Der Jahrestag ist Anlass, die bisherige Umsetzung der Friedensvereinbarungen zu analysieren und nach den künftigen Perspektiven zu fragen, steht doch am Ende der vereinbarten sechsjährigen Interimsperiode das Referendum über die Sezession des Südsudan. Das sudanesische Friedensabkommen erweist sich als dadurch belastet, dass es exklusiv zwischen der Regierung und der SPLM geschlossen wurde ohne andere südsudanesische Kräfte und Oppositionsgruppen einzubeziehen. Entscheidend für den Fortgang des Friedensprozesses bleibt der Wille der Regierung in Khartum, die im Friedensabkommen gemachten Zusagen auch de facto zu erfüllen und die Legitimitätsbasis durch Berücksichtigung bislang marginalisierter Bevölkerungsgruppen zu verbreitern. Die SPLM-dominierte südsudanesische Regierung unter Salva Kiir steht vor der Aufgabe, die autoritären Strukturen des 'System Garang' zu überwinden und die ethnische Dominanz der Dinka in den administrativen Strukturen abzubauen. Von Bedeutung für Konsolidierung und Stabilität des Friedensprozesses ist schließlich auch, dass die internationale Gemeinschaft ihre Zusage zur Entsendung einer UN-Friedensmacht zügig umsetzt." (Autorenreferat)
'Ethnic politics continue to dominate political discourse and institutions in the post-conflict regions of former Yugoslavia (Bosnia-Herzegovina, Kosovo, Macedonia). This has rendered these regions dependent on external intervention and blocked or delayed political and economic development, including the process of integration into European and Euroatlantic structures. Some of the post-conflict arrangements have rightfully come under criticism-both from within and outside the region-as obstacles in the normalization of ethnic relations. While the status quo needs revision and a different approach to institutional design is required, this paper argues against abandoning groupbased institutions altogether. Instead, it argues for a more dynamic and processoriented approach to accommodate ever-changing interethnic relations.' (author's abstract)
Der Konflikt um Nagorno Karabakh erweist sich als hartnäckigste Auseinandersetzung im Süd-Kaukasus, da er eine Kombination von Separatismus und Irredentismus präsentiert und die Beziehung zwischen den beiden Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan verschärft hat. Die geopolitische Orientierung beider Länder, Gegenstand grenzübergreifender regionaler und externaler Interessen und Einflüsse, ist in der Schwebe. Nagorno Karabakh ist der erste schwerwiegende Konflikt, bei dem in erster Linie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit ihrem konkreten Konzept der Friedenserhaltung als Vermittler involviert ist. Die Ausführungen orientieren sich an der Annahme, dass der normative Kontext der OSZE einen der Faktoren bildet, die die Konfliktlösung zu einer entmutigenden Aufgabe machen. Dem gemäß gilt die Aufmerksamkeit dem allgemeinen Effekt internationaler Normen und Prinzipien auf die Konfliktdynamiken und die Bemühungen um Konfliktlösungen. Zudem werden die Hauptbeschränkungen bei der Aussöhnung der gegensätzlichen Positionen der Konfliktparteien untersucht. Dem gemäß gliedern sich die Ausführungen in die folgenden Abschnitte: (1) Manifestationen der Gebiets-Identitäts-Verbindung, (2) Unvereinbarkeit des Prinzips der territorialen Einheit und dem Recht auf Selbstbestimmung sowie (3) Auswirkungen der Rivalität auf den OSZE-Friedensprozess. In einer Schlussfolgerung merkt die Autorin an, dass (1) sich die legitimierte Macht internationaler Normen und Prinzipien in einem uneindeutigen Zustand befindet und (2) die Haltung der Konfliktparteien häufig auf ihre eigenen Auslegungen der Normen und Prinzipien ausgerichtet ist. Somit bedarf es der Ausarbeitung eines angemessenen Rahmens, in dem nach kooperativen Lösungen auf der Basis gemeinsamer Bedürfnisse und Interessen der Konfliktparteien gesucht wird. (ICG2)
In den vergangenen Jahren . wurde die Arbeitsmarktpolitik in einigen Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) grundlegend reformiert, in anderen EU-Ländern sind solche Reformen im Gange oder stehen zur Debatte. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist weder die Einführung neuer Maßnahmen noch die zum Teil beachtliche Veränderung des Umfangs bestehender Programme. Das Gemeinsame und Besondere dieser Reformen ist die Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik, wobei vor allem mehr Wettbewerb und die Verlagerung der Zuständigkeiten nach unten die Anreize zu effektiverem Handeln vor Ort stärken sollen. Privatisierung, Regionalisierung, Dezentralisierung und Vernetzung sind deshalb die zentralen Stichworte der Örganisationsreform. Wie steht es mit den Erfolgsaussichten dieser Reformen und was können wir daraus lernen? Diese Studie will sich der Beantwortung dieser Fragen in drei Schritten annähern: Erstens durch die Entwicklung eines analytischen Bezugsrahmens zur Evaluierung solcher Organisationsreformen (Kapitel 1), zweitens durch die Anwendung dieses Bezugsrahmens auf die Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik in vier ausgewählten Ländern - Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Niederlande - mit Schwerpunkt auf der Weiterbildung für Arbeitslose (Kapitel 2); und drittens in einem theoretischen Diskurs zu den organisatorischen Bedingungen einer erfolgreichen Weiterbildung für Arbeitslose (Kapitel 3). Der analytische Bezugsrahmen zielt auf eine sozio-ökonomische Synthese von Handlungs-, System- und Institutionentheorie. Er unterscheidet vier Filter, die bei einer vollständigen Evaluierung von Organisationsreformen zu berücksichtigen sind: Politikregimes, die Art und Inhalt von Programmen determinieren; Implementationsregimes, die die Effektivität der Umsetzung von Programmen beeinflussen; Anreizregimes, die letztlich die Akzeptanz der Programme bei den Politikadressaten bestimmen; und schließlich die Arbeitsmarktstruktur, die letztlich über den arbeitsmarktpolitischen Erfolg entscheidet. Dabei ist bei der Messung des Regimeerfolgs sowohl zwischen individuellen und gesellschaftlichen (Mikro-Makro) als auch zwischen ökonomischen und sozialen (Effizienz und Gerechtigkeit) Leistungskriterien zu unterscheiden. Die ersten drei Filter werden jeweils noch einmal in vier analytische Dimensionen untergliedert: in die Werte- und Motivationsstruktur, Kooperations- und Konfliktstruktur, Marktstruktur und Rechtsstruktur. Für alle vier Filter werden Erfolgsindikatoren diskutiert und soweit wie möglich operationalisiert. Organisation und Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik in den vier ausgewählten Ländern werden dann diesem Raster entsprechend beschrieben und analysiert; synoptische Übersichten und Tabellen fassen die empirischen Ergebnisse zusammen. Die Studie kommt zum Schluß, daß die Hoffnungen, das Heil allein in Privatisierung und Dezentralisierung zu suchen, trügerisch sind. Vieles spricht dafür, daß die Organisation der Arbeitsmarktpolitik sich eines Mix von Koordinationsinstrumenten bedienen muß, in dem die Stärkung von Wettbewerb oder die Verlagerung der Verantwortung nach unten wesentliche, aber nicht die ausschließlichen Elemente sein können. Dieser Mix ist nicht beliebig, sondern vom Kontext und vom Steuerungsziel abhängig. In Zukunft wird es kein dominantes gesellschaftliches Steuerungsparadigma mehr geben. Weder Märkte noch zentrale politische Steuerung (Hierarchie) und schon gar nicht die vielbeschworenen Netzwerke können leitende Richtschnur für die Reorganisation zukunftsgerechter Arbeitsmarktpolitik sein. Zweifellos muß Arbeitsmarktpolitik die kooperativen Beziehungen verstärken; zweifellos müssen Vielfalt und Wettbewerb zwischen Anbietern von Weiterbildung gestärkt werden; zweifellos ist die effektive Kontrolle der Arbeitsverwaltung durch Dezentralisierung und erfolgsorientierte Budgetzuweisung zu verbessern; zweifellos sind aber auch eine aktivere zentrale Steuerung von Qualitätsstandards und ein entsprechendes Monitoring notwendig; und zweifellos ist die Revitalisierung einer gemeinschaftlichen Weiterbildungsethik, die das Recht auf Weiterbildung - wenn nicht de jure, so doch de facto - institutionalisiert, eine weitere notwendige Ergänzung zu den erwähnten Organisationsreformen. Kurz: Die paradoxe oder gar widersprüchlich erscheinende Vielfalt von Anforderungen an eine erfolgreiche Organisationsreform setzt das Prinzip der flexiblen Koordination voraus, dessen grundlegende Elemente am Schluß der Arbeit resümiert werden. ; In recent years labour market policy has been fundamentally reformed in some of the member states of the European Union (EU); in other EU states such reforms are under way or under discussion. What these reforms have in common and what is novel about them is the re-organisation of the implementation of labour market policy in order to improve the incentives for efficient actions especially by increased competition and by delegating responsibilities to the local level. Privatisation, regionalisation, decentralisation and networking, therefore, are the keywords for this organisational reform. What are the perspectives for success and what can we learn from these reforms? This study tries to answer these questions in three Steps: First by developing an analytical framework for the evaluation of organisational reforms (chapter 1); second by the application of this framework to the reorganisation of labour market policy - especially connected to the further training of the unemployed - in four selected countries of the EU, i.e. Denmark, Germany, Great Britain and the Netherlands (chapter 2); and third by a theoretical discourse about the organisational conditions of successfui further training of the unemployed (chapter 3). The analytical framework aims at a socio-economic integration of action theory, Systems theory and institutional theory. It distinguishes four filters that are necessary to be regarded in a complete evaluation study: Policy regimes which influence type and content of policy programmes; implementation regimes which determine whether the programmes put into action are effective; incentive regimes which decide upon the take-up of the programmes; and, finally, the labour market structure which filters or causes the overall effectiveness and efficiency. Careful distinction, thereby, has to be made between individual and social Performance measures (i.e., between micro and macro Performance), and between economic and social Performance criteria (i.e., between efficiency and equity). The first three filters are further differentiated by four analytical dimensions respectively: the value and motivational structure, the cooperation and conflict structure, the market structure and the legal structure. Performance indicators for all of the four filters are discussed and Operationalised as far as possible. Organisation and reorganisation of labour market policy in the four selected countries are then described and analysed by the screens of the framework; synoptic figures and tables summahze the empirical results. The study comes to the conclusion that the great hopes set in privatisation and decentralisation are delusive. The evidence suggests a mix of coordination mechanisms in which the endorsement of competition and the delegation of responsibilities to the local level are important but not exclusive elements. This mix is not arbitrary but depending on context and goals of the policy programmes. There will be no longer a dominant paradigm of societal coordination. Neither markets, nor hierarchies, nor the much applauded networks can serve as the central guidelines for re-organising labour market policy for the future. Certainly, labour market policy has to strengthen cooperative relationships; certainly, variety and competition between suppliers of further training has to be increased; certainly, effective control of the public labour administration can be improved by decentralisation and Performance oriented budget allocation; but there are also no doubts about the necessity of more central guidance and control through quality Standards and corresponding monitoring; and there are no doubts about the necessity of revitalising a communitarian culture of further training which institutionalises the right to further training de jure or at least de facto. In Short: The paradoxical or seemingly contradictory variety of criteria for a successfui organisational reform requires flexible coordination as a new principle, the elements of which are resumed in the concluding pari of this study.
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1. Einleitung Das Besondere an Wilhelm Heitmeyer ist, dass er uns empirisch erklärt, was wir vorher nur vermutet oder gesagt bekommen haben. Der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, Jahrgang 1945, forscht seit Jahrzehnten zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus (Universität Bielefeld, o.J.). Bekannt geworden ist er als Gründungsdirektor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld 1996, wo er bis zu seiner altersbedingten Emeritierung als Direktor fungierte. Seine Langzeitstudie "Deutsche Zustände" zu rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft und zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit machen ihn zu einem der "wichtigsten Rechtsextremismus-Forscher der Bundesrepublik" (Laudenbach, 2023).Im folgenden Beitrag soll es um ausgewählte Arbeiten von Heitmeyer gehen. In seinen jüngeren Veröffentlichungen nimmt er die Mechanismen von Krisen und daraus resultierenden Kontrollverlusten als Treiber von autoritären Versuchungen in den Fokus. In Bezug darauf wird in der vorliegenden Arbeit genauer auf Heitmeyers Beitrag zur Erklärung des Erstarkens des "autoritären Nationalradikalismus" eingegangen. Hierunter fällt die Partei "Alternative für Deutschland (AfD)", die den Kern dieses Politiktypus in Deutschland ausmacht.Heitmeyer stellte um die Jahrtausendwende die These auf, der globalisierte Kapitalismus bringe vielfältige Schieflagen mit sich in Form von Desintegration, Abstiegsängsten und Kontrollverlusten. Damals ahnte er noch nichts von den Krisen, die in den folgenden "entsicherten Jahrzehnten" auf uns zukommen und uns vor erhebliche Herausforderungen stellen würden (Heitmeyer, 2018, S. 89).Die aufgestellte These rund um soziale, politische und ökonomische Strukturentwicklungen wurde mit individuellen und kollektiven Verarbeitungsmustern gekoppelt und 2022 um Krisen der "Post-9/11"-Ära und Kontrollverluste als Krisenfolgen erweitert. Diese wiederum bilden einen Nährboden für autoritäre Versuchungen, für sogenannte rechte Bedrohungsallianzen als politische Folgen autoritärer Entwicklungen.Die Ergebnisse der Langzeitstudie eignen sich, um das Aufkommen und Erstarken einer autoritär nationalradikalen Partei wie der Alternative für Deutschland zu beleuchten. Heitmeyer ist es, der durch seine Sozialstrukturanalyse das vielzitierte Fünftel (19,6%) der Bevölkerung empirisch nachweisen konnte, das der rechtspopulistisch eingestellten Gruppe in der Bevölkerung mit Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zugeordnet werden kann (Schaefer, Mansel & Heitmeyer, 2002, S. 125 f.).Wahlpolitisch blieben diese Teile der Bevölkerung lange unbedeutend. Die Wähler:innen waren meist keiner Partei zugehörig, sie "vagabundierten" zwischen den Parteien von Wahl zu Wahl oder wählten gar nicht; viele harrten in einer "wutgetränkten Apathie". Bis zu dem Jahr, als die AfD auf die politische Oberfläche trat und ab 2015 eine radikale Entwicklung nahm; ein "politisches Ortsangebot" für diese Teile der Bevölkerung ist gefunden (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 113 ff.).Im folgenden wird zuerst eine begriffliche Rahmung des Politiktypus des "autoritären Nationalradikalismus" vorgenommen. Zentrale Schemata der Arbeiten von Wilhelm Heitmeyer sollen beleuchtet werden. Nach diesen Ausführungen wird der Blick auf Krisen und Kontrollverluste und ihre Funktion als Treiber autoritärer Entwicklungen gerichtet. Im letzten Schritt geht es um die Ausprägung des autoritären Nationalradikalismus in Form der AfD.2. Der autoritäre NationalradikalismusUm über Heitmeyers Arbeiten zu schreiben, bedarf es einer Konturierung der von ihm verwendeten Begriffe. Im Folgenden werden die Begriffe des Autoritarismus und der dichotomischen Welt- und Gesellschaftsbilder erklärt, um anschließend den politischen Typus des autoritären Nationalradikalismus von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus abzugrenzen und entsprechend zu erläutern. 2.1 AutoritarismusDas Legitimations- und Strukturmuster politischer Macht des Autoritarismus gründet auf einer Beziehung zwischen "Machthaber:innen" in Regierungen, Parteien und anderen Organisationen und "Machtunterworfenen". Unter Machthaber:innen versteht man Amts-, Funktions- und Handlungsträger:innen, während Machtunterworfene Mitglieder, Gefolgsleute oder Anhänger:innen sind (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 31). Abhängig ist diese Beziehung in der sozialen Praxis von der Autorität der Machthabenden und der Reaktion der Unterworfenen.Autorität kann aus Bewunderung, begeisterter Unterstützung, Respekt, Ehrfurcht oder gleichmütiger Duldung aus freien Stücken zugeschrieben werden und gründet in Anerkennung. Jedoch wird Autorität dann autoritär, "[...] wenn Willfährigkeit aufgenötigt, Unterwerfung durch Täuschung bewirkt, Gehorsam durch Drohung oder handgreifliche Gewalt erzwungen wird" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 32).Eine dominante Rolle spielen Grunderzählungen in der Entwicklung des Autoritären. Hierzu zählen die Bedrohung von Ordnung, die Auflösung von Identitäten, das Zerstören von Hierarchien und Dominanzen, Fantasien vom Untergang des (deutschen) Volkes sowie der Opferstatus aufgrund des Agierens feindlicher Mächte sowohl aus dem Inneren wie von außen (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 35). Diese Kennzeichen der Bedrohung, Auflösung, Zerstörung, des Untergangs etc. haben die Funktion, kollektive Ängste zu schüren. Zugleich sollen so Mobilisierungen in Gang gesetzt und autoritäre Bewegungen und Bestrebungen angetrieben werden (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 35).Frankenberg & Heitmeyer beschreiben die politische Rhetorik des Autoritären als Diskurslogik, die sich vor allem in Wahlpropaganda und programmatischen Erklärungen zeigt. Diese konstruieren manichäische Weltbilder, weisen eine dichotomische Struktur auf und manifestieren sich auf drei Ebenen, wie die folgende Abbildung zeigt. Häufig anzutreffen sind die Gegensätze von Volk vs. Elite, geschlossene vs. offene Gesellschaft, wir vs. die oder Ungleichwertigkeit vs. Gleichwertigkeit. Abbildung 1: Dichotomische Welt- und Gesellschaftsbilder (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, 2018, S. 248)2.2 Dichotomische Welt- und GesellschaftsbilderDiese Gegensätze laufen auf "Entweder-Oder"-Konflikte hinaus, die sich immer aufs "Ganze" beziehen, da es um "Alles" geht (Heitmeyer, 2022 b, S. 275). Der Streitgegenstand wird der Verhandlung oder dem Kompromiss entzogen, ein "Mehr-oder-Weniger" ist nicht möglich. Die von autoritären Bewegungen, Organisationen und Regimen geführten Konflikte zielen demnach nicht auf Verständigung oder Verhandlungen ab. Es geht um "[...] Entscheidungen zugunsten einer rigiden Machtdurchsetzung und Machtsicherung mit möglichst umfassender Verhaltenskontrolle in allen Lebensbereichen der Gesellschaft und den Institutionen des politischen Systems" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 37).Gesellschaftliche Entwicklungen sind von immer höherer Komplexität und Ambivalenz geprägt. Ebenso nimmt ihre Unübersichtlichkeit zu und sie verändern sich mit zunehmender Geschwindigkeit. In diesem Zuge stehen politische Akteur:innen vor der Herausforderung, ihre Ambitionen und Machtansprüche für die jeweilige Wähler:innenschaft passend aufzubereiten. Hierzu gehört das Anbieten von Welt- und Gesellschaftsbildern, die Unübersichtlichkeit strukturieren, Entschleunigung versprechen und Komplexität reduzieren. Aus diesen Gründen werden von gemäßigten und extremen rechten Bewegungen und Parteien solche Dichotomien verwendet, die das Ordnen der eigenen Gefühlslagen, Erfahrungen und der eigenen Weltsichten erleichtern. 2.3 Populismus und RechtspopulismusPopulismus sieht Heitmeyer als Stil der Mobilisierung, der übergehen kann in eine "machiavellistische Strategie zur Erlangung oder Verteidigung der Macht" und auf marginalisierte Gruppen abzielt. Hinzu kommt häufig eine populistisch etikettierte Rhetorik und schlichte, aber einflussreiche Weltdeutungen, die dazu dienen, Ressentiments zu aktivieren, um eine imaginäre, kollektive Identität zu beschwören. Dies ganz im Sinne eines authentischen Volkes oder "der Nation" gegen Elit:innen, gegen "das System", Minderheiten oder die "Lügenpresse" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 24).Nach Heitmeyer hat sich eine allgemein akzeptierte Definition von Populismus etabliert, wonach eine Bewegung dann als populistisch charakterisiert werden kann, "[...] wenn ihr die Unterscheidung zwischen dem "wahren" Volk einerseits und den ausbeuterischen, dekadenten, volksverräterischen Eliten andererseits zugrunde liegt" (Heitmeyer, 2018, S. 231). Heitmeyer verwendet mittlerweile meist den Begriff autoritär anstelle von populistisch, im Folgenden wird ebenfalls diese Bezeichnung verwendet.Beim Rechtspopulismus prangert Heitmeyer eine "inflationäre Verwendung" ohne wirkliche Trennschärfe an, der keine einheitliche Definition hat, oftmals jedoch als Form des Autoritarismus mit "dünner Ideologie" und als Vergangenheitsorientierung beschrieben wird (Heitmeyer, 2018, S. 231). Im Allgemeinen bezeichnet er den Rechtspopulismus als eine Ergänzung des populistischen Grundprinzips "Volk gegen Elite" um eine nationalistische Rhetorik (Heitmeyer, 2018, S. 232).Zur These der "dünnen Ideologie" führt Heitmeyer an, dass sich populistische bzw. autoritäre Bestrebungen nicht nur durch ihren Politikstil und einer auf Machterwerb zielenden Strategie auszeichnen, sondern durch ein "Set von Ideen" und einem spezifischen Politik- und Demokratieverständnis, also ein Muster zur Deutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit anbieten, das sich nicht nur auf Kritik an Elit:innen und demokratischer Repräsentation beschränkt."Mit der ideologischen Kombination und politischen Handlungsagenda von Antielitismus und Antipluralismus, einer Kultur der unmittelbaren Kommunikation, einem xenophoben Nationalismus und dem Phantasma imaginärer Gemeinschaftlichkeit entfernt sich die Beschreibung des Populismus weit von demokratischen grass roots und nimmt die Deutungsangebote aus dem Lager des Autoritarismus an" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 25). 2.4 Autoritärer NationalradikalismusDer Einheitsbegriff des Rechtspopulismus als "catch-all-term" wird nach Heitmeyer der sperrigen Realität nicht gerecht und hat viele alternative Benennungen verkümmern lassen. Zudem werden mit Nutzen dieses Begriffes durch Wissenschaft, Politik und Medien Vernebelungstaktiken der politischen Akteur:innen und Bewegungen bedient, da nicht die genauen ideologischen Komponenten ihrer jeweiligen Programme benannt werden. Das Abbilden der vielfältigen Realität muss auch begrifflich differenziert abgebildet werden, was notwendig ist, um "Gegengifte" zu entwickeln. Daher müssen die Begriffe "sperrig und unpoliert" sein (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 105).Der autoritäre Nationalradikalismus bewegt sich zwischen dem Rechtspopulismus und dem gewalttätigen Rechtsextremismus bzw. Neonazismus. Anzumerken ist, dass es sich nicht um eine faschistische Gesinnung handelt, da der italienische Faschismus nicht mit dem Nationalsozialismus identisch ist, in dem der Antisemitismus zentral ist (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 106). Der gewalttätige Rechtsextremismus schreckt viele Wähler:innen oder Sympathisant:innen ab, da er in öffentlichen Räumen situativen Schrecken verbreiten will.Im Gegensatz dazu weist der Rechtspopulismus eine "flache" Ideologie auf und ist mit der dramatisierten Konfliktlinie Volk vs. Elite auf kurzzeitige Erregungszustände ausgerichtet, die über klassische Massenmedien und die sozialen Medien verbreitet werden sollen, wie Abbildung 2 anschaulich darstellt (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 106). Der autoritäre Nationalradikalismus hingegen zielt auf die destabilisierende Veränderung gesellschaftlicher und politischer Institutionen. Zudem bedient er sich dichotomischer Welt- und Gesellschaftsbilder, um destabilisierende Veränderungen erreichen zu können. Abbildung 2: Die Erfolgsspur des autoritären Nationalradikalismus (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, 2018, S. 236; Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 107)Drei markante Charakteristika des autoritären Nationalradikalismus werden in der Sozialforschung hervorgehoben. Diese werden im folgenden erklärt und in Kapitel 6 auf die AfD bezogen:Das Autoritäre zeigt sich in der Betonung einer hierarchischen sozialen Ordnung, in Forderungen nach rigider Führung politischer Institutionen und in einem fundamentalistischen Verständnis des Agierens und Opponierens auf politischer Ebene ohne Kompromisse. Politik und Gesellschaft sollen also entsprechend einem Kontrollparadigma organisiert werden. Dichotomische Gesellschaftsbilder sind maßgebend und operieren als Grundlage für kämpferisch initiierte "Entweder-oder-Konflikte" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 105).Die Betonung der besonderen Stellung des deutschen Volkes bildet das Nationale des autoritären Nationalradikalismus. Formulierungen und Parolen wie "Deutschland den Deutschen" oder "Deutschland zuerst" unterstreichen eine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern, Nationen, ethnischen und religiösen Gruppen und eine neue, "deutsche" Vergangenheitsdeutung wird reklamiert (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 105 f.).Das Radikale, vom ursprünglichen Wortsinn aus dem Lateinischen (radix = Wurzel) her bestimmt, richtet sich gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie, die trotz zahlreicher kritikwürdiger Defekte erst durch jahrzehntelange Entwicklungen und Freiheitskämpfe ermöglicht wurden. Ein rabiater und emotionalisierter Mobilisierungsstil wird dazu angewendet, der sich vor allem durch menschenfeindliche Grenzüberschreitungen auszeichnet (vgl. Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 106).Weiterhin ist auf acht Elemente hinzuweisen, die zum Instrumentarium des organisierten autoritären Nationalradikalismus zählen:""Deutsch-Sein" als Schlüsselkategorie und sicherheitsspendender Identitätsanker;Propagandierung dichotomer Weltbilder;Kontrollparadigma als Versprechen einer autoritären sozialen Ordnung;Emotionalisierung gesellschaftlicher Probleme als Kontrollverluste;eskalativer Mobilisierungsstil zur Wiederherstellung von Kontrolle;Forcierung sozialer Vergleichsprozesse zwecks Radikalisierung;Ausnutzen der "Gewaltmembran", um mit bestimmten Begriffen andernorts Gewalt freizusetzen und Legitimationen zu liefern;Konstruktion einer "Opferrolle", um Sympathisanten an sich zu binden und ein Recht auf "Notwehr" zu etablieren" (Heitmeyer, 2018, S. 213-276; Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 111).Diese Elemente sind deshalb wichtig zu nennen, da sie als Grundlage für drei wichtige Ziele dienen, die autoritär nationalradikale Parteien verfolgen:Das Besetzen vakanter politischer Themenräume, die von etablierten Parteien in der Vergangenheit übersehen wurden,das Verschieben des Sagbaren, wobei Heitmeyer auf die Theorie des "Overton-Windows" hinweist, sowie drittensdie Normalisierung von Positionen und dadurch die Schaffung neuer Normalitätsstandards (vgl. Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 111 f.).Der autoritäre Nationalradikalismus wird ab Kapitel 5 ausführlich in Bezug auf die Partei "Alternative für Deutschland" dargestellt, die den Kern des autoritären Nationalradikalismus in Deutschland bildet. 2.5 Rechtsautoritär und rechtsextremDen Bezug von Autoritärem zu Rechtsautoritärem und Rechtsextremem begründen Frankenberg & Heitmeyer damit, dass "für die Übersetzung des Autoritären in die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Zustände und Entwicklung [...] eine Fokussierung auf das rechtsautoritäre und rechtsextreme Spektrum angebracht" ist (2022, S. 40).In Ermangelung einer umfassenden Definition von Rechtsextremismus, die die Dimension der Gewalt beinhaltet, hat Heitmeyer ein eigenes Konzept vorgelegt (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 40). Dieses akzentuiert die "Kernverbindung" von Ideologie der Ungleichheit und Gewaltakzeptanz. Die Ideologie der Ungleichheit enthält zwei zentrale Dimensionen, wobei die erste gruppenbezogen auf Ungleichwertigkeit ausgerichtet ist und sich später als "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" ausgeprägt hat:"Sie zeigt sich in Facetten wie nationalistische bzw. völkische Selbstübersteigerung; rassistische Einordnung; soziobiologische Behauptung von natürlichen Hierarchien; sozialdarwinistische Betonung des Rechts des Stärkeren; totalitäre Normverständnisse im Hinblick auf Abwertung des "Anders-Sein" und die Betonung von kultureller Homogenität gegen Heterogenität" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 40 f.).Diese erste Dimension lässt sich als Vorlage für die späteren Studien "Deutsche Zustände" von Wilhelm Heitmeyer verstehen. Die zweite Dimension der Ideologie der Ungleichheit hat sich als lebenslagenbezogen erwiesen und verweist auf Ausgrenzungsforderungen in Form von kultureller, politischer, rechtlicher, ökonomischer sowie sozialer Ungleichbehandlung von Fremden bzw. "Anderen".Die Gewaltakzeptanz haben Frankenberg & Heitmeyer in vier ansteigend eskalierende "Varianten der Überzeugung unabänderlicher Existenz von Gewalt" kategorisiert, hinter denen die Grundannahme steht, dass Gewalt als "normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten" und demnach als legitim angesehen würde (2022, S. 41). Insofern überrascht die Tatsache nicht, dass etwa rationale Diskurse oder demokratische Regelungsformen von sozialen und politischen Konflikten abgelehnt und autoritäre oder gar militaristische Umgangsformen und Stile betont werden (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 41).Die politikwissenschaftliche Forschung zum Rechtsextremismus sieht Heitmeyer fixiert auf politische Symbole, historisch-politische Bezugnahmen, Parteiprogramme und Wahlerfolge. Jedoch reicht dieser Fokus nicht aus, um den Aufschwung rechter und rechtsextremer Kräfte in der Gesellschaft zu erklären – weshalb der "[..] Blick auf die Zusammenhänge zwischen ökonomischen, sozialen und politischen Strukturentwicklungen, den individuellen und kollektiven Verarbeitungen und den politischen Handlungskonsequenzen, wenn ein entsprechendes Handlungsangebot vorhanden ist", geweitet werden muss (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 41).Dies beschreibt das "Analyseschema" (siehe Abbildung 5) im folgenden Kapitel. Fürderhin sollen nicht einzelne Aspekte oder Ereignisse parzelliert betrachtet werden, sondern mittels des "konzentrischen Eskalationskontinuums" die "rechten Bedrohungsallianzen", die bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen, sichtbar werden. Hierzu hat Heitmeyer 2018 ein weiteres Untersuchungsmodell entwickelt (siehe Abbildung 3). Die beiden Schemata werden folgend beschrieben. Vorangestellt finden sich die zentralen Ausgangspunkte und Thesen von Wilhelm Heitmeyer, auf denen die Schemata beruhen. 3. Heitmeyers Arbeiten: Zentrale Thesen und SchemataWilhelm Heitmeyers Studien knüpften ursprünglich an die mittlerweile vielzitierte Prognose Ralf Dahrendorfs aus 1997 an, dass wir uns "an der Schwelle zum autoritären Jahrhundert" befinden würden, da vieles auf solch eine Entwicklung hindeuten würde (Dahrendorf, 1997; Heitmeyer, 2022 b, S. 256). Dahrendorf wies vor über 25 Jahren auf das verhängnisvolle Zusammenwirken von Ökonomie, politischer Partizipation und sozialer Integration bzw. Desintegration hin und deutete dieses Spannungsverhältnis als eine "Quadratur des Kreises". Heitmeyer fragt in diesem Zusammenhang, "zu wessen Lasten diese Spannungen gehen würden" und "[...] wie sich unter dem Druck der kapitalistischen Kontrollgewinne die individuellen, kollektiven und institutionellen Kontrollverluste auswirken würden" (Heitmeyer, 2022 b, S. 256).Insbesondere die Langzeitstudie "Deutsche Zustände" zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hat ergiebiges Daten- und Analysematerial erbracht, welches Heitmeyer in seinen Arbeiten verwendet (Heitmeyer, 2018, S. 28). Das Projekt mit seinen jährlichen repräsentativen Bevölkerungsbefragungen dient dazu, Langzeitverläufe sichtbar zu machen und eignet sich, um das Aufkommen und Erstarken der autoritär nationalradikalen AfD zu beleuchten.Heitmeyer konnte mit Hilfe der Resultate empirisch Zusammenhänge in zwei Richtungen nachweisen: "für die Unterstützung autoritärer Bewegungen sowie Parteien und gegen verschiedene Gruppen in der Gesellschaft (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 55). Je deutlicher man autoritäre Überzeugungen vertritt, desto eher stimme man fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen zu, abgeschwächt auch Äußerungen zu Antisemitismus, Heterophobie und klassischem Sexismus sowie der These von Etabliertenvorrechten, also sozialer Dominanz in einem Hierarchiengefüge.So kam Heitmeyer auf das oben erwähnte und seither vielzitierte Fünftel der Bevölkerung (19,6%), das Einstellungen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hegt und als "Machtmaterial" für autoritäre Bewegungen, Parteien und Regime zur Etablierung und Sicherung von autoritären gesellschaftlichen und politischen Machtstrukturen dienen kann (Schaefer, Mansel & Heitmeyer, 2002, S. 125 f.; Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 56). 2001 formulierte Wilhelm Heitmeyer seinen Ausgangspunkt wie folgt:"Die zu verfolgende These geht davon aus, daß [sic] sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden" (Heitmeyer, 2001, S. 500).Der sogenannte "autoritäre Kapitalismus" entstand durch eine neoliberale Politik rund um die Jahrtausendwende. Weitreichende ökonomische Kontrollgewinne in einerseits gesellschaftlichen Lebensbereichen über soziale Standards von Verdiensten und soziale Absicherung sowie andererseits über Standortentscheidungen waren zu verzeichnen, ergo übergriffig eindringende Prozesse, sodass nun mehr ökonomische Dominanz als Quelle für Kontrolllosigkeit sowie für Anomie gilt.Diese weitreichenden Kontrollgewinne des Kapitals wurden begleitet von ebenso weitreichenden politischen Kontrollverlusten nationalstaatlicher Politik, verbunden mit sozialen Desintegrationsprozessen von Teilen der Bevölkerung. Diese Auswirkungen blieben auf politischer Ebene allerdings solange wahlpolitisch folgenlos, bis ein entsprechendes politisches Angebot auf den Plan trat. In Deutschland erschien dieses Angebot in Form des autoritären Nationalradikalismus der AfD, besonders anschaulich im Jahr 2015 durch die politisch-kulturelle Krise der Flüchtlingsbewegungen und die Spaltung der AfD auf Bundesebene (Heitmeyer, 2022 a, S. 301; Heitmeyer, 2022 b, S. 261).2018 schreibt Heitmeyer, dass sich dies tatsächlich so ereignet hat und sich empirisch nachweisen lässt: "Ein zunehmend autoritärer Kapitalismus verstärkt soziale Desintegrationsprozesse in westlichen Gesellschaften, erzeugt zerstörerischen Druck auf liberale Demokratien und befördert autoritäre Bewegungen, Parteien und Regime" (Heitmeyer, 2018, S. 23). Nachfolgend werden das Modell des konzentrischen Eskalationskontinuums und das Untersuchungsschema beschrieben. 3.1 Konzentrisches EskalationskontinuumMit dem Schema des konzentrischen Eskalationskontinuums soll dargestellt werden, wie autoritäre Eliten auf Legitimation und Partizipation – unter anderem durch die Bürger:innen - angewiesen sind, zumindest so lange, wie sie ein "formales Demokratiesystem westlicher Prägung" aufrecht erhalten wollen oder auch durch soziale, politische und ökonomische Gegenkräfte dazu genötigt werden.Heitmeyer rückt somit die "[...] Entstehung von Eskalationsdynamiken ins Blickfeld, mit denen die zustimmende oder schweigend duldende Beteiligung von erheblichen Teilen der Bevölkerung zu erfassen ist" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 43). Das konzentrische Eskalationskontinuum dient dazu, die Wucht rechter Bedrohungsallianzen herauszukristallisieren und soll helfen, Gewalt, Gewaltstadien und deren Ursachen besser verstehen zu können.Betrachtet werden Einstellungen und Verhaltensweisen einzelner unverbunden nebeneinander lebender Personen sowie formelle Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Vereinigungen. Dem Eskalationsmodell zugrunde liegt das Milieukonzept. Heute sind nicht mehr zwingend physische Kontakte notwendig, da Milieubildung auch im virtuellen Raum stattfindet. Heitmeyer weist darauf hin, dass in diesem Zusammenhang durch ein entstehendes "Wir"-Gefühl gleichzeitig eine abwertende, diskriminierende und ausgrenzende "Die"-Kategorie mitgeliefert wird.Das Schema stellt im "Zwiebelmodell" fünf Stufen dar, die als Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung zu verstehen sind, die wiederum autoritären Versuchungen nachgeben und somit den Autoritären Nationalradikalismus der AfD in Deutschland, aber auch Fidesz in Ungarn oder der FPÖ in Österreich begünstigen (Heitmeyer, 2022, S. 43). Die jeweiligen eskalierenden Akteur:innengruppen in den Schalen des Modells werden kleiner, während die Gewaltorientierung im Inneren des Modells zunimmt.Als Kernmechanismus und verbindendes Element der Schalen zueinander werden die verschiedenen Legitimationsbrücken genannt. Fürderhin darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Ideologie der Ungleichwertigkeit der kleinste gemeinsame Nenner aller Schichten des Eskalationskontinuums ist. Sie dient als Legitimationsfundus für personen- wie gruppenbezogene Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 20). Abbildung 3: Konzentrisches Eskalationskontinuum (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, 2018, S. 356; Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 59) Nachfolgend werden die Schichten im Spektrum von rechtem Denken bis zum terroristischen Handeln kurz erläutert: Die äußerste Schicht repräsentiert die gesamte Bevölkerung, in der in unterschiedlichem Ausmaß Einstellungen vertreten werden, je nach gesellschaftlicher Debatte, die der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zugeordnet werden können. Diese Einstellungen in der Bevölkerung stellen individuelle Positionierungen dar, die parteipolitisch gebunden, "freischwebend" sein oder auch zwischen Parteien "vagabundieren" können. Diejenigen Teile der Bevölkerung mit menschenfeindlichen Einstellungen sympathisieren zwar maßgeblich mit der AfD, sind an sie jedoch nicht zwangsläufig gebunden und können auch andere Parteien präferieren und wählen (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 60).Das Milieu des autoritären Nationalradikalismus, insbesondere der AfD, das an diese erste Schicht anschließt, präsentiert und propagiert entsprechende Ausgrenzungsstrategien und konstruierte Feindbilder. Die AfD "saugt" die jeweiligen individuellen Einstellungen in der Bevölkerung auf und verdichtet sie zu kollektiven Aussagen, die sie dann wiederum auf die politische Agenda setzt. Sie konzentriert also potenzielle menschenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung, die bereits im Vorfeld durch andere Bewegungen, wie beispielsweise Pegida, verdichtet wurden und bildet für sie den parlamentarischen Arm.Ein weiteres Kennzeichen dieses Milieus ist eine gewisse ideologische Heterogenität, da die Einstellungen von "[...] rechtskonservativen bis hin zu "Übergangspositionen" in das systemfeindliche Milieu des völkischen "Flügels" der AfD" reichen" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 62). Zudem bemüht sich die AfD um den Anstrich einer "bürgerlichen" Partei, um anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft zu sein.Im systemfeindlichen Milieu ist man parteipolitisch eindeutig im rechtsextremen Milieu verortet, Bezug genommen wird etwa auf die NPD, was auch für die extremistisch-modernistische Identitäre Bewegung gilt. Gemeint sind also rechtsextremistische Bewegungen und neonazistische Kameradschaften, die sich an einschlägigen historischen Vorbildern orientieren. Die gemeinsame Grundlage stellt die Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. In diesem Milieu sind bereits Gewaltattitüden verbreitet, Gewalt wird akzeptiert und zur Ausübung ist man situativ bereit (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 62). Jedoch lässt man sich in Form von Parteien durchaus darauf ein, vorübergehend am demokratischen System teilzunehmen.An staatliche Vorgaben passt man sich nur aus strategischen Überlegungen an, indem beispielsweise Demonstrationen angemeldet werden; zugleich ist "Systemüberwindung" das zentrale Ziel: "In der "Parteifantasie" arbeitet man auf den "Volksaufstand" hin, mit dem die Vergangenheit wiederhergestellt werden soll. Es ist ein offener und weitgehend öffentlicher Kampf gegen das verhasste System" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 64).Diese wenn auch nur vorübergehende Teilnahme am demokratischen System gilt als wesentlicher Unterschied zur vorletzten Schicht, dem klandestinen terroristischen Planungs- und Unterstützungsmilieu. Es schließt jegliche Teilnahme am demokratischen System aus und fasst jede partielle und temporäre Teilnahme als Verrat an der Bewegung auf (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 64). Dieses Milieu gilt als noch radikaler und agiert im Geheimen, oft mit eindeutiger Gewaltoption oder Gewalttätigkeit. Ziel ist der "Umsturz", wenn nötig mit Waffengewalt, weshalb dieser verdeckte Kampf auch aus dem Untergrund unterstützt wird – hier weist Heitmeyer auf die hohe Zahl untergetauchter rechtsextremistischer Straftäter:innen als aufschlussreiches Indiz hin (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 64).Den Kern der "Zwiebel" stellen terroristische Zellen oder Einzeltäter:innen dar. Den Unterschied zur vorherigen Eskalationsstufe stellt das alleinige Merkmal des "Grad(s) der Klandestinität und Vernichtungsrealisierung" dar: "Die einen führen zum Schein noch ein "normales" Alltagsleben, die anderen eine Existenz im Untergrund. Sie beschaffen Waffen, erstellen Todeslisten und bereiten sich auf den Tag X vor. Die einen planen die Vernichtungstaten, die anderen setzen sie um" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 64).Die fünf Schichten des konzentrischen Eskalationskontinuums werden durch sogenannte "Legitimationsbrücken" zusammengehalten. Diese können dann entstehen, wenn es für gesellschaftliche Entwicklungen keine Lösungen zu geben scheint. Die Entwicklungen werden als Bedrohungen empfunden, für die die "Anderen", beispielsweise Geflüchtete oder Menschen mit anderen Lebensstilen, oder "die da oben", ergo der Staat als Ganzes, demokratische Institutionen oder demokratisch gewählte Entscheidungsträger:innen, verantwortlich gemacht werden. Diese kollektiven Schuldzuweisungen aus Teilen der Bevölkerung können sich dann in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit übersetzen.Zum anderen können sich die Legitimationen aus Verschwörungsideologien, aus Anleihen bei gesellschaftlichen Ordnungen oder historischen ideologischen Konzepten, wie dem Regime des Nationalsozialismus, dessen Ordnung wiederhergestellt werden soll, ergeben. Diese beispielhaft aufgezeigten Legitimationsquellen werden dann im Eskalationskontinuum von den äußeren Schichten weiter nach innen "transportiert (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 65). Heitmeyer hat vier solcher Legitimationsbrücken jeweils zwischen den Stufen bestimmt, wie die folgende Abbildung zeigt:Abbildung 4: Legitimationsbrücken im Eskalationskontinuum (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 67)1. Das Einstellungsmuster gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung stellt den Ausgangspunkt dar. Es dient dem autoritären Nationalradikalismus der AfD als Legitimation, entsprechende Feindbilder aufzubauen und zuzuspitzen. Wichtig anzumerken ist, dass auch Menschen mit diesen Einstellungen, die nicht die AfD wählen oder mit ihr sympathisieren, zu diesem Legitimationsfundus beitragen. Sie bestimmen das gesellschaftliche Klima mit, aus dem die AfD ihre politische Legitimation "saugt" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 66 f.).2. Führende Vertreter:innen des autoritären Nationalradikalismus der AfD machen von einer "Gewaltmembran" Gebrauch, was bedeutet, dass eine aggressive Rhetorik die trennende Membran zur nächsten Stufe in gewissen Fällen durchdringen kann und den Weg freilegt für autoritär nationalradikale Bewegungen mit weiteren Aufheizungen – psychische Gewaltandrohungen können von gewalttätigen Akteur:innen in physische Gewalt umgesetzt werden, "[...] ohne dass diese Gewalt den sprachlichen Urhebern und Legitimationsbeschaffern direkt zuzurechnen wäre" (Heitmeyer, 2018, S. 271). Durch diese Gewaltmembran werden dem systemfeindlichen Milieu Motive für entsprechende Gewalt geliefert. Zur aggressiven Rhetorik zählen beispielsweise Erzählungen von einem "Bevölkerungsaustausch", Parolen wie "Corona-Diktatur" oder das Beschwören von Untergangsszenarien von Führungskräften der AfD. Auch das Propagieren einer Reinterpretation der deutschen Geschichte insbesondere seitens des völkischen "Flügels" der AfD durch Begriffe wie "Umvolkung" bringt die Gewaltmembran zum Schwingen. Diese Rhetoriken und Untergangsfantasien erzeugen Handlungsdruck (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 67 f.).3. Das systemfeindliche Milieu ist geprägt von verschiedenen Akteur:innen, die sich auf der Schwelle zur Legitimation offener Gewalt gegen Vertreter:innen des Staates und gegen Minderheiten bewegen. Heitmeyer führt als Beispiel die Partei "Die Rechte" an, die den klandestinen terroristischen Planungsmilieus Motivation und Legitimation liefert (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 68).4. Im letzten Schritt stehen die klandestinen Planungsmilieus. Diese errichten im Gegensatz zu den vorherigen Eskalationsstufen keine zusätzlichen ideologischen Legitimationsbrücken. Ihr Ziel sind die "Brücken zur Tat" und das Abschirmen terroristischer Akteur:innen gegen staatliche Verfolgung (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 68).Hieraus resultiert die Schlussfolgerung, dass über verschiedene, eskalierende Stufen jene Teile der Bevölkerung, die explizite autoritäre Einstellungen oder Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aufweisen, an politischer Gewalt beteiligt sind; nicht zwangsläufig als Täter:innen im juristischen Sinne, aber als Gehilf:innen und Legitimationshelfer:innen, wie das konzentrische Eskalationskontinuum anschaulich darstellt (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 43). Das Modell des konzentrischen Eskalationskontinuums wird in Kapitel 6 in Bezug auf das Auftreten der AfD näher erläutert und an Beispielen untersucht.3.2 Analyseschema2018 hat Heitmeyer ein weiteres Analyseschema eingeführt. Ausgangspunkt für dieses soziologische Analysekonzept ist die Thematik, dass allein das Vorhandensein von autoritären Versuchungen in Teilen der Bevölkerung nicht ausreicht, um die entsprechenden Inhalte dann auch umgesetzt zu sehen. Hierzu ist es notwendig, dass diese Einstellungen in der Bevölkerung zusammen mit autoritären politischen Angeboten wirken. Insofern, formuliert Heitmeyer, "[...] wäre es zu kurz gegriffen, die Entstehung von autoritären Versuchungen nur aus Fehlentwicklungen des politischen Systems erklären zu wollen" (2018, S. 21).Die erste Ebene des Analyseschemas bildet Interdependenzen zwischen dem ökonomischen, sozialen und politischen Bereich ab. Diese sind als strukturelle Entwicklungen gekennzeichnet. Die unter "individuelle Verarbeitung" genannten Punkte sind von großer Bedeutung. Zentral ist hier, wie diese Erfahrungen bzw. Wahrnehmungen der ersten Ebene seitens der Bevölkerung subjektiv und individuell verarbeitet werden. Die individuellen Verarbeitungsmechanismen werden nach der Konzeption von Heitmeyer durch die "gesellschaftliche Integrations- und Desintegrationsdynamik" geprägt. Hierfür sind die folgenden Faktoren und Fragen von besonderer Bedeutung:"Sicherheit oder Unsicherheit der materiellen Reproduktion, der Anerkennung, des Statusaufstiegs, der Statussicherung bzw. des Statusabstieges, und ein Gefühl der Kontrolle über die eigene Biografie.Wird die eigene Stimme bzw. die Stimme der sozialen, ethnischen oder religiösen Gruppe, der Personen sich zugehörig fühlen, von den Regierenden wahrgenommen oder vielmehr ignoriert?Verlässlichkeit oder Erosion sozialer Beziehungen und Anerkennung der eigenen Identität bzw. der Identität der eigenen Gruppe durch Dritte, um emotionale Zugehörigkeit zu sichern" (Heitmeyer, 2018, S. 22).Zentral in Heitmeyers Analyse sind der Kontrollverluste und die Defizite in der Wahrnehmung sowie der subjektive Begriff der Anerkennung. Diese Verarbeitungen haben Auswirkungen auf die Integrations- und Desintegrationsprozesse bzw. auf Anerkennungsverhältnisse, aus welchen im letzten Schritt politische Konsequenzen, also politische Handlungsfolgen, resultieren.Essenziell ist an dieser Stelle die Tatsache, dass die individuellen Verarbeitungen auch als Grund dafür angeführt werden können, weshalb nicht alle Teile der Bevölkerung, die unter einer Art von Desintegrationsdynamik leiden, zwangsläufig für autoritäre Versuchungen anfällig sind und sich wahlpolitisch entsprechend verhalten. Von einer Krisenfolge betroffen zu sein, hat also nicht zwangsläufig das Annehmen eines autoritär nationalradikalen Angebots zur Folge (Heitmeyer, 2022 b, S. 269).Auch die autoritären Bewegungen, Parteien und Regime weisen autoritäre Versuchungen auf, die zu entsprechenden Einstellungen und Entscheidungen führen, die das gesellschaftliche Zusammenleben beeinflussen, da sie Bezug auf die ökonomischen, sozialen und politischen Systeme nehmen (Heitmeyer, 2018, S. 21 f.). Dieses Schema wurde von Heitmeyer mit diversen theoretischen Ansätzen angelegt und ausgefüllt mit empirischen Daten (Heitmeyer, 2022 b, S. 252).Das Theoriegeflecht aus mehreren sich ergänzenden disziplinären Zugängen besteht aus der Theorie Sozialer Desintegration von Anhut & Heitmeyer, der Konflikttheorie von Hirschman, der Theorie kapitalistischer Landnahme von Dörre, der Anomietheorie von Thome und dem kontrolltheoretischen Ansatz aus der Sozialpsychologie von Frey & Jonas. Die für das Analysekonzept wichtigsten Charakteristiken dieser Theorien werden in Heitmeyer 2018 und 2022 b ausführlich erklärt. Die genauere Betrachtung dieser Theorien würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, weshalb darauf an dieser Stelle verzichtet wird.Abbildung 5: Analyseschema (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, 2018, S. 21)Erfolge rechter Parteien und Bewegungen wären demnach nicht möglich gewesen ohne bestimmte Entwicklungen im sozialen System der Gesellschaft, im politischen System der Demokratie und im ökonomischen System des globalisierten Kapitalismus (Heitmeyer, 2018, S. 16). Durch das vorliegende Analyseschema soll verdeutlicht werden, wie autoritärer Kapitalismus in Zusammenwirken mit sozialen Desintegrationsprozessen und politischer Demokratieentleerung als "Ursachenmuster für die Realisierung autoritärer Sehnsüchte" fungiert (Heitmeyer, 2018, S. 16 f.).Demokratieentleerung meint, dass ein Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, nicht mehr wahrgenommen zu werden und gleichzeitig das Vertrauen schwindet, dass die herrschende Politik bzw. die Regierung willens und fähig ist, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Dies mündet bei Teilen der Bevölkerung in ein Gefühl, Bürger:innen zweiter Klasse zu sein (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 48). Heitmeyer hat 2022 das Analyseschema ergänzt; die Komponenten Krisen und Kontrollverluste wurden entsprechend ausdifferenziert (siehe Abbildung 6). Im Folgenden werden Krisen und Kontrollverluste als besondere Treiber autoritärer Entwicklungen und die dahingehende Erweiterung des Analyseschemas beleuchtet.4. Krisen und Kontrollverluste als Treiber autoritärer EntwicklungenEine Krise wird von Frankenberg & Heitmeyer durch drei Charakteristika definiert. Die bisherigen sozialen, ökonomischen und politischen Routinen zur Bewältigung von Ereignissen greifen nicht mehr und die bis dato vorhandenen Wissensbestände zur Problemlösung reichen nicht aus. Zusätzlich sind die Zustände, wie sie vor diesen Ereignissen herrschten, nicht wieder herstellbar. Darüber hinaus konkurrieren in solch krisenhaften Situationen verschiedene Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung, was wiederum anomische Verhaltensunsicherheiten erzeugt (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 45).Die Kombination der drei Kriterien legt nahe, dass "Situationen mit notstandsähnlichem Zuschnitt" mit der Erfahrung von Kontrollverlusten verflochten sind (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 45; Heitmeyer, 2023, S. 253). Insofern verwundert die Tatsache nicht, wenn die These vertreten wird, dass krisenhaft zugespitzte Entwicklungen und Ereignisse nicht allein, jedoch in besonderem Maße als Treiber und Pfade des Autoritären sowie rechtsextremer Aktivitäten zählen (Heitmeyer, 2022 b, S. 251).Von autoritären Regimen wird in Krisen oder notstandsähnlichen Situationen erwartet, dass sie Sicherheit und die Wiedergewinnung der Kontrolle gewährleisten können (2022, S. 44 f.). Zudem werden die Ereignisse von der Bevölkerung individuell je nach Betroffenheit und auch Resilienz unterschiedlich bearbeitet. Diese Verarbeitung wiederum wird unterschiedlich intensiv und nachhaltig in individuelle Befürchtungen sowie kollektive Ängste übertragen. Somit dienen sie dazu, Vorstellungen von Entsicherungen und Kontrollverlusten zu erzeugen, die sich identifizieren lassen als Treiber autoritärer Bestrebungen (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 45 f.).Eine weitere wichtige Unterscheidung in der Konzeption von Krise ist die Unterteilung in zwei Typen von Krise. Der erste Typus, sektorale Krisen, erfasst unterschiedliche Lebensbereiche und Funktionssysteme einer Gesellschaft schlagartig und mit massiven "Funktionsstörungen". Dazu gehören ein zeitlich entzerrtes Auftreten sowie die Lokalisierung in unterschiedlichen Teilbereichen der Gesellschaft. Zudem gab es verschiedene Instrumente, um diese Funktionsstörungen einzudämmen und gravierendere Auswirkungen zu verhindern.In der "Post-9/11"-Ära, in den sogenannten "entsicherten Jahrzehnten" seit Beginn des 21. Jahrhunderts, werden nach Heitmeyer vor allem drei – mit 9/11 als religiös-politische Krise vier - verschärfte Gefahrenlagen als sektorale Krisen identifiziert. Dazu zählt ab 2005 die Einführung von Hartz IV als eine sektorale, soziale Krise für gewisse Teile der Bevölkerung, die mit Statusängsten oder auch mit sozialem Abstieg konfrontiert waren. Weiter ist ab 2008/2009 die weltweite Banken- und Finanzkrise zu nennen, die die "systemrelevante" Finanzökonomie ins Wanken brachte mit Ausstrahlungseffekten auf das Gesamtsystem als ökonomisch-politische Krise. Fürderhin wird die sogenannte "Flüchtlingskrise" 2015/2016 als sozial-kulturelle bzw. kulturell-politische Krise angesehen, die das politisch-administrative System prägte (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 46; Heitmeyer, 2022 b, S. 255).Der zweite Typus bezieht sich auf systemische Krisen. Sie erfassen das gesamte Gesellschaftssystem in sich zuspitzenden Gefahrenlagen. Als langsame bzw. schleichende systemische Krise kann die Klimakrise angesehen werden, als "schnelle" systemische Krise die COVID-19 Pandemie. Hier werden die Potenziale für autoritäre Entwicklungen besonders offen sichtbar, da zahlreiche "Einhegungsinstrumente" nicht greifen, wodurch politische, individuell-biografische und kollektive Kontrollverluste auftreten, die politisch instrumentalisiert und mit Verschwörungstheorien und Wahnvorstellungen verbunden werden können (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 46 f.). Krisen lösen je nach Gefahrenlage individuelle und kollektive Befürchtungen aus, die sich in der Vorstellung einer "kollektiven Hilflosigkeit" verdichten können.In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Krisenängsten, ob und wie sie zu Treibern autoritärer Entwicklungen werden können. Ängste, unabhängig davon, ob eingebildet oder realistisch, ob auf Wissen oder Unwissen beruhend, lassen sich schwerlich von einer politischen Klasse, von Unternehmen oder dem freien Markt abfangen. Je mehr sich Gefahrenlagen häufen und sich Wahrnehmungen von Kontrollverlusten sowie Unsicherheiten ausbreiten, fallen auch Rechtsprechung und Verfassung als Orientierungsmedien aus und auch Wissenschaften können diese nicht mit der Lieferung von Begleitgewissheit neutralisieren.In solchen Situationen "[...] mutieren selbst Realängste, die vor greifbaren, konkreten Gefahren warnen, zu frei flottierenden, allfälligen Befürchtungen, die jede Risikoeinschätzung verhindern und irrationale Rettungsbedürfnisse wecken" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 53). Diese Situationen können dann von autoritären Bewegungen, Organisationen und Regimen ausgebeutet werden, indem zunächst Ängste geschürt und im zweiten Schritt die Anhänger:innen mit wahnhaften Rettungsphantasien "versorgt" werden. Alexander Gaulands Aussage, "Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen", liefert ein entsprechendes prominentes Beispiel für das Versprechen, die Kontrolle wieder herzustellen (Reuters Staff, 2017; Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 53; Nickschas, 2023).Eine Annahme von Heitmeyer & Heyder lautet hier, dass die Faktoren der Standortlosigkeit und Kontrollverluste Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bestärken. Eine Variante zur Wiederherstellung von Stabilität stellt die Demonstration von Überlegenheit dar, die durch autoritäre Aggression ausgeübt werden kann. Um wirklich Überlegenheit demonstrieren zu können, muss diese möglichst risikoarm sein; dies ist dann gegeben, wenn besonders schwache, machtlose Gruppen als Gegner:innen ausgewählt werden (Heitmeyer & Heyder, 2002, S. 62). Empirisch stehen Abstiegsängste in einem signifikanten Zusammenhang mit einerseits Kontrollverlust-Situationen und andererseits der Abwertung schwacher Gruppen:"Wenn jemandem das eigene Leben außer Kontrolle gerät (oder zu geraten scheint), kann das Panik erzeugen. Zur Panikbekämpfung erfolgt dann eine Selbstaufwertung, die gleichzeitig die Abwertung von ungleichwertig markierten Gruppen bedeutet (Flüchtlinge, Migranten, Langzeitarbeitslose etc.)" (Heitmeyer, 2018, S. 109).Die individuellen Verarbeitungsmuster von Krisen und (gefühlten) Kontrollverlusten lassen sich durch entsprechende autoritäre Angebote von "rechtspopulistischen Mobilisierungsexperten" – mittels scharf konturierter Feindbilder und Kontrollversprechen - politisch aufladen und bedienen zur vermeintlichen "Wiederherstellung von Ordnung" (Heitmeyer, 2018, S. 106).2022 stützt Heitmeyer also die oben erwähnte These von Krisen als besondere Treiber autoritärer Entwicklungen und rechtsextremer Aktivitäten, indem er formuliert, dass der Blick auf Veränderungen in Richtung autoritärer Entwicklungen in gesellschaftlichen und politischen Verläufen geweitet werden soll, die unter verstärktem Einfluss zeitlich verdichteter Krisen stattfinden (Heitmeyer, 2022 b, S. 251). Das soziologische Analysekonzept von 2018 wird entsprechend angepasst um die zwei zentralen Eskalationstreiber Krisen und Kontrollverluste bzw. "Kontrollverluste als Krisenfolgen" (siehe Abbildung 6).Dies geht aus der Abbildung insofern deutlich hervor, als in die Strukturentwicklungen der ökonomischen, sozialen und politischen Dimension "[...] verschiedene Krisen mit unterschiedlichen Auswirkungen "hineingewirkt" und Einfluss genommen haben auf die individuellen psychologischen und sozialen Verarbeitungen, die wiederum mit Kontrollverlusten durchsetzt waren – immer auch je nach Krisenbetroffenheit" (Heitmeyer, 2022 b, S. 252 f.). Hierdurch entstanden durch das generelle Bedürfnis nach Realitätskontrolle Handlungsoptionen, die mehrfach variieren und auch autoritäre Versuchungen bzw. Gefahren beinhalten können.Abbildung 6: Analyseschema, erweitert und angepasst (Quelle: eigene Darstellung nach Heitmeyer, 2018, S. 21; Heitmeyer, 2022 b, S. 254)Fürderhin ist anzufügen, dass sich Kontrollverluste in Krisen verschiedenartig ausdrücken und sich Verhaltensmöglichkeiten zur Realitätskontrolle, also zur Lösung von Problemen, massiv verengen, insbesondere in systemischen Krisen. Individuelle Suchbewegungen setzen ein, um das grundlegende Bedürfnis nach Realitätskontrolle zu befriedigen. Diese Suchbewegungen schließen politische Suchbewegungen nach autoritären Akteur:innen mit ein, die die Wiederherstellung von Kontrolle durch Reduktion der Krisenkomplexität versprechen (Heitmeyer, 2022 b, S. 256).Krisen und Kontrollverluste treten daher als Treiber autoritärer politischer sowie gesellschaftlicher Entwicklungspfade in Erscheinung, da indes eine kritische Masse entstanden ist, die nicht mehr in der Lage ist, ihr zentrale Bedürfnis nach Realitätskontrolle im "bisher gewohnten Maße" zu realisieren. Genau das bieten autoritäre Akteur:innen im Gegensatz zur abnehmenden Kapazität liberaler Demokratien, geeignete Lösungen schnell zu finden und die Kontrolle wiederherzustellen (Heitmeyer, 2022 b, S. 257). Zudem ist diese versprochene Wiederherstellung keine Wiederherstellung des vorhergehenden Prä-Krisenzustandes, "[...] sondern eine autoritäre Veränderung von Kontrolle und damit auch veränderte ökonomische, soziale, kulturelle und politische Verhältnisse" (Heitmeyer, 2022 b, S. 257).Als Indiz sieht Heitmeyer zwei Mechanismen, die besonders hervorstechen: Einerseits die Ambivalenz, dass zahllose Widersprüche zunehmen, und andererseits die Ambiguität, dass zunehmende Komplexität von modernen Gesellschaften gepaart sind mit uneindeutigen Situationen und Zukünften. Ambivalenz- und Ambiguitätstoleranz kristallisieren sich also als unabdingbar heraus, um autoritären Versuchungen nicht nachzugeben."Denn wenn Sitationen [sic] oder auch die Anwesenheit von fremden Menschen als unberechenbar oder unkontrollierbar wahrgenommen werden, dann reagieren Personen, deren Ambiguitätstoleranz niedrig ist, mit vereinfachten Weltsichten oder Stereotypen, um wieder Ordnung, Struktur und Kontrolle zu erreichen" (Heitmeyer, 2018, S. 80).Hinzu tritt das Verschwimmen von gesellschaftlichen Koordinaten, die eigentlich als Vergewisserungen der jeweils eigenen Position in der Gesellschaft dienen, welches die Suchbewegungen nach politischen Akteur:innen aktiviert, die vorgeben, Widersprüche zu lösen, Unklarheiten in Klarheiten verwandeln und Kontrolle wiederherzustellen versprechen (Heitmeyer, 2018, S. 109 ff.; Heitmeyer, 2022 b, S. 258 f.).Hieraus könnte die Folgerung gezogen werden, dass das Potenzial von autoritären Versuchungen in der Moderne angelegt sei: "Ambivalenzen und Ambiguitäten als Grundparadigma der Moderne entfalten unter dem Druck von Krisen und damit verbundenen Kontrollverlusten eine neue Wucht, die ins Autoritäre drängt" (Heitmeyer, 2022 b, S. 259). Beispielsweise ist die erwähnte "Entweder-Oder" Logik im Vergleich zu "Mehr-oder-weniger" darauf angelegt, Ambivalenzen und Ambiguitäten zu beseitigen. "Das Autoritäre dient dann als Strategie zur Reduzierung von ökonomischer, sozialer und politischer Komplexität – und gleichzeitig von Freiheitsräumen" (Heitmeyer, 2022 b, S. 259).Heitmeyers Analysen zeigen, dass die Fähigkeiten zum Aushalten von Ambiguitäten und zum Umgang mit Ambivalenzen über zukünftige soziale, politische und ökonomische Entwicklungspfade in Teilen der Bevölkerung abnehmen. Dies ist passgenau für das Angebot vonseiten der autoritär-nationalradikalen Akteur:innen mit ihren dichotomischen Welt- und Gesellschaftsbildern (siehe Kapitel 2.2); das Angebot eignet sich hervorragend für mobilisierende Ideologien und rhetorische Eskalation (Heitmeyer, 2018, S. 246 f.).Erfolge rechter Parteien und Bewegungen wären demnach also nicht möglich gewesen ohne bestimmte Entwicklungen im sozialen System der Gesellschaft, im politischen System der Demokratie und im ökonomischen System des globalisierten Kapitalismus (Heitmeyer, 2018, S. 16). Konkreter ist es das Zusammenwirken eines autoritären Kapitalismus, sozialer Desintegrationsprozesse und politischer Demokratieentleerung als Ursachenmuster für die "Realisierung autoritärer Sehnsüchte" (Heitmeyer, 2018, S. 17).5. Die Partei "Alternative für Deutschland"Mit der inhaltlichen Neuausrichtung der vormals liberal-konservativen, eurokritischen Partei ab 2015 sowie mit dem immer weiter um sich greifenden Einfluss von rechtsextremistischen Akteur:innen innerhalb der AfD hält Heitmeyer es nicht mehr für angemessen, die AfD als rechtspopulistisch zu "verharmlosen", noch die Partei als vollständig rechtsextrem oder neonazistisch zu bezeichnen (Heitmeyer, 2022 a, S. 302; Heitmeyer, 2022 b, S. 265 f.; Heitmeyer & Piorkowski, 2023). Mit der herkömmlichen Typologie sei die AfD, als Typ einer neuen Partei, nicht zu beschreiben. Ebenso reichen die bisherigen Begriffe und Kategorien nicht aus, um "analytische Klarheit" über Zustand und Entwicklung der AfD zu gewinnen (Heitmeyer, 2018, S. 233).Seit dieser Neuausrichtung zieht die AfD Teile der Bevölkerung an, die unter den oben beschriebenen Krisen Kontrollverluste wahrnehmen oder empfinden und eine Wiedererlangung der Kontrolle forcieren. Das Autoritäre ist dann ein Weg zur Realitätskontrolle. Insofern lässt sich deutlich machen, dass die AfD nicht der Grund für die Entstehung von autoritären Versuchungen in der Bevölkerung ist. Diese autoritären Einstellungsmuster "schlummern" in Teilen der Bevölkerung bereits über einen längeren Zeitraum als Gefahrenpotenzial für die offene Gesellschaft (Heitmeyer, 2018, S. 113):"Ein Zwischenfazit zum Zusammenwirken von strukturellen Entsicherungen und individuellen Verunsicherungen zeigt, dass aufgrund der Krisen und ihrer Verarbeitungen, aufgrund von veränderten Lebensumständen und von Verschiebungen der gesellschaftlichen Koordinaten in entsicherten Zeiten bei Teilen der Bevölkerung ein erheblicher "Vorrat" an gruppenbezogen-menschenfeindlichen Einstellungen existiert, an die autoritäre politische Akteure bloß noch anzuknüpfen brauchten" (Heitmeyer, 2018, S. 117).Dies bedeutet, dass die Erfolgsvoraussetzungen des autoritären Nationalradikalismus der AfD eine längere Vorgeschichte haben, die in den letzten Jahrzehnten geformt und vorangetrieben wurden durch neue Entwicklungen des kapitalistischen Systems. Die Wähler:innen der AfD waren zuvor Wechselwähler:innen oder wählten gar nicht (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 115). Sie verharrten dann in "wutgetränkter Apathie", was folgenlos blieb für die Politik, da diese Teile der Bevölkerung keinen wahlpolitischen Ausdruck fanden.Dieser in der Bevölkerung existierende Autoritarismus, der laut Heitmeyer "[...] vagabundierte, mal auf diese, mal auf jene im Bundestag vertretene Partei setzte oder aber gar nicht offen zutage trat, sondern in der politischen Apathie verharrte [...]" (2018, S. 237), hat durch das Aufkommen der Partei "Alternative für Deutschland" und ihren autoritären Nationalradikalismus ein neues politisches "Ortsangebot" bekommen. Hinsichtlich des oben beschriebenen Zwischenfazits lässt sich konstatieren, dass es der AfD offensichtlich gelungen ist, "[...] Personen aus ihrer individuellen Ohnmacht herauszuholen und mit kollektiven Machtfantasien auszustatten. Dazu gehört es auch, gruppenbezogen-menschenfeindliche Einstellungen zu kanalisieren und gegen schwache Gruppen zu richten" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 116).In diesen Prozessen ist die Ideologie der Ungleichwertig eingelagert und wird genutzt, um sich selbst aufzuwerten durch Abwertung und Ausgrenzung der vermeintlich "Anderen". Für die sogenannte "rohe Bürgerlichkeit" entstehen neue Anschlussmöglichkeiten. Unter diesem Begriff verbirgt sich keine soziale Klassenzugehörigkeit, sondern es handelt sich um eine verachtende Haltung gegenüber Schwächeren, geäußert in einer rabiaten Rhetorik und gepaart mit einer Ideologie, in der bestimmte Gruppen als ungleichwertig angesehen werden, während sich die eigentlichen autoritären Haltungen hinter einer dünnen Schicht zivilisiert-vornehmen, also bürgerlichen äußeren Umgangsformen, verbergen (Heitmeyer, 2018, S. 310; Heitmeyer, 2022 b, S. 273).6. Der autoritäre Nationalradikalismus der AfDSo folgert Heitmeyer, dass die AfD vorrangig für jenes Publikum attraktiv ist, "[...] das sich einerseits von den flachen Sprüchen rechtspopulistischer Akteure, die nur auf schnelle Erregungszustände fixiert sind, nichts verspricht, und sich andererseits von der Brutalität des Rechtsextremismus distanziert, um seine Bürgerlichkeit zu unterstreichen" (Heitmeyer, 2018, S. 235). Er weist zurecht auf ihre "bürgerliche Patina" hin, die die AfD für viele gesellschaftliche Gruppen wählbar macht (Heitmeyer & Piorkowski, 2023).Vor diesem Hintergrund überrascht der empirische Befund nicht, dass die bereits benannten 19,6 % der Bevölkerung mit Einstellungen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sich selbst in der "politischen Mitte" einordnet, weshalb sich die "bürgerliche Patina" für die AfD als unentbehrlich erweist (Schaefer, Mansel & Heitmeyer, 2002, S. 132 f.).Die neue begriffliche Rahmung dient dazu, unterschiedliche inhaltliche und formale Ebenen zusammenzufassen, wie prägende Einstellungsmuster, der Mobilisierungsstil sowie zentrale programmatische Aussagen zu "bewegenden Themen" (Heitmeyer, 2018, S. 234). Daher ordnet Heitmeyer die AfD als autoritäre nationalradikale Partei ein, die gleichzeitig als Kern des autoritären Nationalradikalismus in Deutschland fungiert. Im Folgenden wird das Agieren der Partei als Protagonistin des autoritären Nationalradikalismus anhand der in Kapitel 2.4 erklärten Charakteristika erläutert:Als autoritär wird sie charakterisiert, da das Kontrollparadigma grundsätzlich ihre Vorstellungen von Politik sowie Gesellschaft durchzieht. Beispiele sind Forderungen nach einer streng hierarchisch organisierten sozialen Ordnung sowie nach rigider Führung in politischen Institutionen. Auch beruht das Verständnis von Politik und Gesellschaft wesentlich auf den Kategorien "Kampf und Konflikt", womit dichotomische Gesellschaftsbilder und strenge Freund-Feind-Schemata einhergehen (Heitmeyer, 2018, S. 234).Als national wird sie aufgrund der "[...] Betonung der außerordentlichen Stellung des deutschen Volkes" bezeichnet (Heitmeyer, 2018, S. 234). Hinzu kommt auch die Beanspruchung einer "neuen deutschen" Vergangenheitsdeutung sowie eines Überlegenheitsanspruchs gegenüber anderen Nationen oder ethnischen und religiösen Gruppen (Heitmeyer, 2018, S. 235).Das radikale Moment liegt in der Bekämpfung der offenen Gesellschaft und dem Ziel, die liberale Demokratie grundlegend umzubauen. Somit positioniert sich die Partei gegen zwei zentrale politisch-gesellschaftliche Errungenschaften. Hierzu dient ein rabiater und emotionalisierter Mobilisierungsstil der AfD, der mit menschenfeindlichen Grenzüberschreitungen arbeitet (Heitmeyer, 2018, S. 235).Die AfD hat die Destabilisierung gesellschaftlicher und politischer Institutionen zum Ziel, was entscheidend für die Erfolgsgeschichte der Partei ist, es geht um Militär, Polizei, Gerichte, Gewerkschaften, Rundfunkräte, politische Bildung, Theater oder auch Feuerwehrverbände (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 107). Hierin besteht nach Heitmeyer die eigentliche Gefahr. Das Fiasko rund um die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen 2020 zeigt, dass mittlerweile auch das parlamentarische System von der forcierten Destabilisierung betroffen ist (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 107). Der autoritäre Nationalradikalismus der AfD und das Agieren der Partei soll im folgenden exemplarisch an zwei Krisen der vergangenen Jahre behandelt werden.Die Fluchtbewegungen ab 2015 bezeichnete Alexander Gauland als "Geschenk" für seine Partei, die AfD (Decker, 2022). In der Tat diente sie AfD und PEGIDA, um Personen, die vorrangig unter Anerkennungsdefiziten litten, mittels dichotomischer Weltbilder und der Emotionalisierung sozial-kultureller Probleme zu instrumentalisieren. Der anhaltende Erfolgsmechanismus von Parteien und Bewegungen wie AfD und PEGIDA besteht demnach darin, Anerkennungsprobleme zu bearbeiten und so Selbstwirksamkeit erfahren zu lassen. Als (potenzielle) Wähler:in würde man wahrgenommen werden und dies ließ Handlungsbereitschaften entstehen, die einerseits autoritäre Ausrichtungen entwickelten und andererseits themengebunden immer wieder neu aktiviert werden können (Heitmeyer, 2022 b, S. 275). Dies ist bei dem bereits genannten "Entweder-Oder"-Mechanismus der Fall, da es um "Alles" geht und Kompromisse von vornherein ausschließt.Weiter führt Heitmeyer aus, dass die Verbindungen von einem systemischen Krisentypus, wie beispielsweise der COVID-19-Pandemie, mit einer "Entweder-Oder"-Konfliktstruktur gesellschaftliche Entwicklungen begünstigen, die zwar nicht die Gesellschaft spalten, jedoch asymmetrisch polarisieren zwischen einer Bevölkerungsmehrheit und einer Minderheit (Beispiel: Geimpfte vs. Impfgegner:innen). In solchen Konstellationen enthüllt sich das Zusammenwirken und gemeinsame Auftreten der aufgeführten Mechanismen als äußerst gewaltanfällig (Heitmeyer, 2022 b, S. 275 f.).Im Jahr 2015 war der "Kampf um die Opferrolle" ein zentraler Mechanismus der AfD, um die Mobilisierung gegenüber Geflüchteten und staatlicher sowie gesellschaftlicher Integrationspolitik voranzubringen. Entsprechend entstanden Kampfbegriffe wie "Umvolkung" oder das Propagieren des "Untergangs der deutschen Kultur". Die Opferrolle kann nach Heitmeyer als Schlüsselkategorie interpretiert werden, "[...] denn wer [sich] in der öffentlichen Wahrnehmung glaubhaft als Opfer darstellen kann, schafft damit eine zentrale "moralgetränkte" Kategorie, um Widerstand als Notwehrrecht einschließlich Gewalt zu legitimieren" (Heitmeyer, 2022 b, S. 266). Insofern gilt der Opferstatus als eines der wichtigsten Instrumente, um Anhänger:innen an sich zu binden.Im Verlauf der COVID-19-Pandemie verkehren sich die Verhältnisse in den digitalen Medien, auf radikalisierten Demonstrationen und in der öffentlichen Debatte, was auch darauf zurückzuführen ist, dass der Mechanismus einer veränderten "Täter-Opfer"-Konstruktion sich ausbreitet. Neue Gelegenheitsstrukturen und Mobilisierungsaktivitäten werden in Figuren von "Freiheitskämpfern" ausgebaut und radikalisiert.Während der sogenannten "Flüchtlingskrise" waren es vor allem männliche Geflüchtete, die in der öffentlichen Wahrnehmung als bedrohliche Täter, die Verbrechen wie Vergewaltigungen und Tötungen begehen, dargestellt wurden. Staatliche Institutionen ließen sie "gewähren" im Sinne einer bevorstehenden "Umvolkung" (Heitmeyer, 2022 b, S. 266). In der COVID-19-Krise trat der Staat als Haupttäter auf: Die Bevölkerung wurde in den Lockdown getrieben, massiven Freiheitsbeschränkungen unterworfen und Ungeimpfte – ob Gegner:in oder nur Zweifelnde – wurden durch eine "Corona-Diktatur" in die Knie gezwungen.In diesem Strukturwandel wirken Verschwörungstheorien passgenau auf ideologische Konzeptionen ein, die an Krisen sowie an Kontrollverluste andockt. Verschwörungstheorien bilden hier als quasi-religiöses, glaubensbasiertes Kampfinstrument eine Art Ersatzlösung für die in der Moderne verloren gegangenen Gewissheiten und markieren gleichzeitig Feindgruppen für autoritäre politische "Lösungen", meist auch antisemitisch aufgeladen.Im Sinne des angeführten konzentrischen Eskalationskontinuums sind es unter anderem solche Parolen und Kampfbegriffe, die als begrifflich "notwehrrelevante" Legitimationsbrücken dienen. So wurden während der COVID-19-Pandemie von parlamentarisch einflussreichen Positionen weitere eskalationsorientierte Handlungsweisen beflügelt (Heitmeyer, 2022 b, S. 267). Die bisher aufgeführten Mechanismen und Strukturen fungieren demnach also als Bestandteile von Radikalisierungsprozessen. Diese wiederum bilden die Voraussetzungen für das Aufkommen von physischer Gewalt, von Körperverletzungen bis hin zu rechtsterroristischen Vernichtungstaten. Um diese Wirkung aufzuzeigen, soll folgend das Agieren der AfD anhand des oben beschriebenen Eskalationskontinuums verdeutlicht werden.In den "Schalen" des "Zwiebelmusters" wird, wie oben erläutert, die Gewaltorientierung größer, während die eskalierenden Akteur:innengruppen kleiner werden. Als Kernmechanismus werden die verschiedenen Legitimationsbrücken angeführt. In der äußersten, der größten Schale, finden sich feindbildliche autoritäre Einstellungsmuster in Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Staat als Ganzes und generell demokratischer Politik. Diese liefern die entsprechenden Legitimationen für das Auftreten und Agieren des autoritären Nationalradikalismus der AfD.Zu Beginn der Pandemie forderte die AfD zunächst besonders harte Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung, sie blieb bei ihrem Stil der Emotionalisierung politischer und sozialer Probleme inklusive dem autoritären Kontrollparadigma. Da hiermit keine Zustimmungserweiterungen von potenziellen Wähler:innen gewonnen werden konnten, wurde eine radikale Richtungsänderung ins Gegenteil vollzogen. Dies führt Heitmeyer an, um zu verdeutlichen, "[...] dass es der Partei nicht um sachbegründete Prinzipien, sondern um opportunistische Nutzenkalküle zur Ausbreitung von Zustimmungen bzw. Verfestigungen der Wählerschaft geht – und um die Straße" (Heitmeyer, 2022 b, S. 276). Insofern mussten Parolen geprägt werden, wie der Begriff der "Corona-Diktatur", dem Selbststilisieren als "Freiheitskämpfer:innen" oder dem Verbreiten von Verschwörungsideologien wie des "Great Resets" (Siggelkow, 2023).So trat die AfD im Herbst und Winter 2021/2022 als wesentlicher Treiber der Corona-Proteste auf und baute gleichzeitig mit diesen Parolen, wie bereits ab 2015 in Zusammenhang mit der Krise um die Flüchtlingsbewegungen, gezielt Legitimationsbrücken für ohnehin schon mit Gewalt operierende rechtsextremistische Gruppen (Heitmeyer, 2022 b, S. 277). Diese Gruppierungen können sich durch diese Parolen auf eine Art gewaltlegitimierendes "Notwehrrecht" berufen, um gegen eine "Diktatur" zu agieren, verbunden mit "Umsturzfantasien".Heitmeyer führt weiter aus, dass diese Gruppen sich öffentlich in Demonstrationen bewegen und gleichzeitig klandestine rechtsterroristische Kleingruppen bedienen, "[...] die unter anderem aus Misserfolgen gegen die staatlichen Ordnungsmächte dann Legitimationen zum Umsturz des Systems ziehen" (Heitmeyer, 2022 b, S. 277). Aus diesem Mechanismus eröffnet sich, was Heitmeyer durch das konzentrische Eskalationskontinuum eindrucksvoll darstellen kann, dass schlussendlich Teile der Bevölkerung durch die verschiedenen "Schalen" hindurch zu den Legitimationslieferant:innen zählen, auf die sich Gewaltakteur:innen berufen, wenn sie sich auf "das Volk" beziehen (Heitmeyer, 2022 b, S. 277).Die Mechanismen verweisen insgesamt auf Bedrohungen der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft. Weiter führt Heitmeyer an, dass staatliche Kontrollapparate sowie die Politik samt Appellen oder Ankündigungen der "wehrhaften Demokratie" nicht in der Lage sind, mehrere dieser Mechanismen in ihren Wirkungen "in den Griff zu bekommen". Die aufgezeigten Mechanismen, die bereits während der Krise der Flüchtlingsbewegungen und der Corona-Pandemie gewirkt haben, sind etabliert und werden auch weiterhin wirken.Die so genannte "3K-Trias" - Krisen, Konfliktstruktur und Kontrollverluste - gilt mittlerweile als etabliert und wirkt als wirkungsvoller Zusammenhang für autoritäre Entwicklungen. Die zukünftigen Krisenthemen werden wechseln, jedoch bleiben die gesellschafts- und demokratiezerstörerischen Mechanismen bestehen und können durch autoritär-nationalradikale Akteur:innen immer wieder neu themenbezogen aktiviert und emotional aufgeladen werden (Heitmeyer, 2022 b, S. 277).7. Fazit & AusblickHeitmeyers Arbeiten bilden einen Meilenstein in der empirischen Forschung zu Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und zu rechten Einstellungen in der Bevölkerung. Er wies bereits zu Beginn seiner Studien im Jahr 2001 darauf hin, dass ein globalisierter Kapitalismus zu politischen und sozialen Kontrollverlusten führen könne, die mit Demokratieentleerung und einem Erstarken des rabiaten Rechtspopulismus einhergehen.Anhand der Ergebnisse seiner langjährigen Forschung, unter anderem der Langzeitstudie zu den "deutschen Zuständen", konnte er empirisch nachweisen, dass knapp 20 % der Bevölkerung autoritäre Einstellungen haben (Schaefer, Mansel & Heitmeyer, 2002, S. 125 f.). Diese Einstellungen "schlummerten" in diesen Bevölkerungsteilen und fanden politisch bis zum Aufkommen der AfD keine sonderliche Beachtung. Sie "vagabundierten" zwischen den Parteien - meist zwischen den Volksparteien CDU/CSU und der SPD - oder verharrten in einer "wutgetränkten Apathie" und machten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch (Schaefer, Mansel & Heitmeyer, 2002, S. 127 f.).Die strukturellen Ursachen des autoritären Kapitalismus, also Transformationsprozesse in ökonomischen Strukturen samt den Krisen in der "Post-9/11"-Ära führen zu Veränderungen im sozialen Bereich, wie individuelle Verarbeitungsprozesse der Krisenfolgen in Form von Abstiegsängsten oder Anerkennungsverlusten, also soziale Desintegrationserfahrungen bzw. Desintegrationsgefährdungen. In Kombination mit den damit einhergehenden Kontrollverlusten sehnen sich Teile der Bevölkerung nach einem krisensicheren, kollektiven kulturell-politischen Identitätsanker und nach der "Wiederherstellung der Ordnung" (Heitmeyer, 2022 a, S. 325). Dies schafft günstige Gelegenheitsstrukturen für die AfD, die sich 2015 inhaltlich radikal neu ausrichtete und als autoritär nationalradikales Angebot wahlpolitisch von diesen Entwicklungen profitierte. Durch ihre Fokussierung auf die kulturelle Dimension hat die Partei die Möglichkeit erhalten, "[...] soziale Kontrollverluste in Versprechungen zur Wiederherstellung von politischer Kontrolle zu übersetzen" (Heitmeyer, 2022 a, S. 325).Die Frage nach dem weiteren Verlauf liegt auf der Hand. Hier spricht Heitmeyer von "Zukünften" in einer Zeit, in der viele Menschen auf tiefgreifende Verunsicherungen seit 2001 mit einer Sehnsucht nach Ordnung, Kontrolle und Sicherheit reagiert haben, die von dem autoritären Nationalradikalismus der AfD bedient wird (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 281). Zu den Entsicherungen der sozialen Zustände der letzten Jahrzehnte gesellt sich nun eine "Unübersichtlichkeit möglicher Zukünfte". Klar ist, dass die Routinen zur Bewältigung politischer, ökonomischer und sozialer Probleme und Krisen nicht länger funktionieren und es kein Zurück zu den Zuständen davor geben wird.Nach Heitmeyer muss die Frage nach der Resilienz demokratischer Einstellungen und Gegenevidenzen zum grassierenden Autoritarismus auf der Ebene der Akteur:innen angesetzt werden, bei der Bürger:innenschaft. Jedoch beschreibt er sie, die in Krisen sonst durchaus wehrhaft und spontan auf Herausforderungen reagierten und heute mehr denn je gefragt seien, als erschöpft, auch wenn in der Mehrheit der europäischen Staaten bisher nur eine Minderheit der autoritären Versuchung vollends nachgibt (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 282; Heitmeyer, 2022 b, S. 277).Dennoch haben sich quer durch die Altersgruppen und unabhängig von der sozialen Lage unterschiedliche Teile der Bevölkerung "[...] statistisch signifikant und im Erscheinungsbild deutlich autoritären Versuchungen nachgegeben [...]" (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 74). Ebenso erschöpft seien auch die politischen Eliten, die eigentlich Visionen und Ideen für individuelle und gesellschaftliche Zukünfte, die Freiheit spenden und Sicherheit verheißen, entwickeln sollten. Es benötigt also mehr visionäre und zukunftssichernde Gesellschafts- und Politikvorstellungen gepaart mit neuen Beteiligungsformen, die von den Bürger:innen wahrgenommen werden (Heitmeyer, 2022 b, S. 278).Aktuelle empirische Befunde zu weiteren demokratischen Fortschritten geben wenig Anlass zu Optimismus (Frankenberg & Heitmeyer, 2022, S. 73 f.). Insofern folgert Heitmeyer, dass sich der Höhenflug autoritärer Politikangebote weiter fortsetzen wird, insofern sich der autoritäre Nationalradikalismus nicht selbst (von innen) zerlegt und es kein massives politisches Umsteuern mit gravierenden wirtschaftspolitischen Reformen gibt, wofür derzeit keine Anzeichen bestehen (Heitmeyer, 2018, S. 368). Nach Heitmeyer müssten aus den folgenden Punkten ökonomische, soziale und politische Konsequenzen gezogen werden:"Der finanzialisierte Kapitalismus verfolgt weiter ungehindert seine globale Landnahme, ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Integration.Die nationalstaatliche Politik ist angesichts der ökonomischen Abhängigkeit nicht willens oder in der Lage, soziale Ungleichheit konsequent zu verringern.Ein Fortschreiten der sozialen Desintegration ist angesichts von Prozessen wie der Digitalisierung sehr wahrscheinlich.Kulturelle Konflikte entlang konfessioneller und religiöser Grenzen werden nicht dauerhaft befriedet; vielmehr ist davon auszugehen, dass sie – auch im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen – immer wieder angefacht werden.Sozialgeografische Entwicklungen wie Abwanderung und das ökonomische Abdriften ganzer Regionen gehen ungebremst weiter" (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 283 f.).Die aufkommenden Probleme dieser auf Dauer gestellten Faktoren können von autoritär nationalradikalen Parteien und Bewegungen als "Signalereignisse" für sich ausgebeutet werden. Sie stellen also "stabile" günstige Voraussetzungen für ein weiteres Erstarken des autoritären Nationalradikalismus der AfD dar (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer, 2021, S. 284). Es ist mittelfristig nicht abzusehen, dass die Themen, die die AfD mit ihrer eskalativen Rhetorik bearbeitet, in absehbarer Zukunft von der Bildfläche verschwinden werden.Zudem weisen die Strukturen der AfD und des sie unterstützenden Milieus mittlerweile einen hohen Organisations- und Institutionalisierungsgrad auf. Insofern ist davon auszugehen, dass die autoritär nationalradikalen Parteien und Bewegungen öffentliche Debatten weiterhin maßgeblich prägen und so das soziale Klima innerhalb der Gesellschaft dauerhaft in Richtung von mehr Aggressivität verschieben werden.Die Bedrohungen für die liberale Demokratie und die offene Gesellschaft durch den globalisierten Kapitalismus, durch Desintegrationsprozesse und dem autoritären Nationalradikalismus sind offensichtlich. Es hängt also viel von der Kraft konfliktbereiter und widerspruchstrainierter Gegenbewegungen ab, die für die offene Gesellschaft eintreten und sich nicht mit den Normalitätsverschiebungen, die aktuell bereits ablaufen, abfinden wollen (Heitmeyer, 2018, S. 372).LiteraturverzeichnisDahrendorf, R. (14. 11 1997). Die Globalisierung und ihre sozialen Folgen werden zur nächsten Herausforderung einer Politik der Freiheit. Von zeit.de: https://www.zeit.de/1997/47/thema.txt.19971114.xml/komplettansicht abgerufen am 21.10. 2023.Decker, F. (02. 12 2022). Etappen der Parteigeschichte der AfD. Von bpb.de: https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/afd/273130/etappen-der-parteigeschichte-der-afd/ abgerufen am 21.10. 2023.Frankenberg, G., & Heitmeyer, W. (2022). Autoritäre Entwicklungen. Bedrohungen pluralistischer Gesellschaften und moderner Demokratien in Zeiten der Krisen. In G. Frankenberg, & W. Heitmeyer (Hg.), Treiber des Autoritären: Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (S. 15-86). Frankfurt a. M.: Campus Verlag GmbH.Heitmeyer, W. (2001). Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus. Eine Analyse von Entwicklungstendenzen. In D. Loch, & W. Heitmeyer (Hg.), Schattenseiten der Globalisierung (S. 497-534). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 1. Auflage.Heitmeyer, W. (2018). Autoritäre Versuchungen. Berlin: Suhrkamp Verlag.Heitmeyer, W. (2022 a). Autoritärer Nationalradikalismus (2018). In K. Möller (Hg.), Populismus. Ein Reader (S. 300-328). Berlin: Suhrkamp Verlag, 1. Auflage.Heitmeyer, W. (2022 b). Krisen und Kontrollverluste - Gelegenheitsstrukturen für Treiber autoritärer gesellschaftlicher Entwicklungspfade. In G. Frankenberg, & W. Heitmeyer (Hg.), Treiber des Autoritären: Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (S. 251-280). Frankfurt a. M.: Campus Verlag GmbH.Heitmeyer, W., & Heyder, A. (2002). Autoritäre Haltungen. Rabiate Forderungen in unsicheren Zeiten. In W. Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 1 (S. 59-70). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 1. Auflage.Heitmeyer, W., & Piorkowski, C. (09. 10 2023). "Autoritärer Nationalradikalismus". Von bpb.de: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/522277/autoritaerer-nationalradikalismus/ abgerufen am 21.10. 2023.Heitmeyer, W., Freiheit, M., & Sitzer, P. (2021). Rechte Bedrohungsallianzen. Bonn: Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung.Laudenbach, P. (09. 07 2023). Die Gründe des Aufstiegs der AfD: Soziologe Wilhelm Heitmeyer im Interview. Von sueddeutsche.de: https://www.sueddeutsche.de/kultur/wilhelm-heitmeyer-afd-analyse-1.6012038?reduced=true abgerufen am 21.10. 2023.Nickschas, J.-B. (06. 02 2023). Zehn Jahre AfD: Zunehmend radikal. Von tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-zehn-jahre-103.html abgerufen am 21.10. 2023.Reuters Staff. (24. 09 2017). Gauland kündigt an - "Wir werden Regierung jagen". Von reuters.com: https://www.reuters.com/article/deutschland-wahl-afd1-idDEKCN1BZ0QJ abgerufen am 21.10. 2023.Schaefer, D., Mansel, J., & Heitmeyer, W. (2002). Rechtspopulistisches Potential. Die "saubere Mitte" als Problem. In W. Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 1 (S. 123-135). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 1. Auflage.Siggelkow, P. (16. 01 2023). Verschwörungsmythen: Klaus Schwab, das WEF und der "Great Reset". Von tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/wef-schwab-101.html abgerufen am 21.10. 2023.Universität Bielefeld. (o.J.). Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer. Von ekvv.uni-bielefeld.de: https://ekvv.uni-bielefeld.de/pers_publ/publ/PersonDetail.jsp?personId=21765 abgerufen am 21.10. 2023.
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Exakt 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kündigte der derzeit amtierende US-Präsident Joe Biden den Abzug aller amerikanischen Truppen aus Afghanistan an. "Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden" (Böhm 2021, 92). Bereits vor dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen am 7. Oktober 2001, bekannt als die Operation "Enduring Freedom", hatte Amerika Stützpunkte der in Afghanistan ansässigen Terrorgruppe Al-Qaida attackiert. Der Grund hierfür waren die durch Mitglieder der Gruppe geplanten und durchgeführten Anschläge auf amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia im Jahr 1998. "Aber die Schwelle der Kriegserklärung gegen Terroristen wurde nicht überschritten, auch um Letztere politisch nicht aufzuwerten" (Böhm 2021, 94).Als Wendepunkt gilt der 11. September 2001. Neunzehn Terroristen der Terrorgruppe Al Qaida entführten vier Passagierflugzeuge. Zwei dieser Flugzeuge wurden in die Twin Towers des World Trade Centers gesteuert. Ein weiteres zerstörte den westlichen Teil des Pentagons in Washington. Das vierte stürzte in einem Feld in New Jersey ab. Insgesamt starben durch diese vier Flugzeuge fast 3000 Menschen aus 80 verschiedenen Ländern (vgl. Hoffmann 2006, 47).Die Anschläge veränderten die Wahrnehmung der durch den Terrorismus bestehenden Bedrohung. Bereits wenige Tage nach den Anschlägen verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush den "Global War on Terror" (Böhm 2021, 92), eine Kriegserklärung an den Terrorismus. Damit definierte er die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus als Krieg.Neben dieser Auslegung gilt auch die Interpretation des Verhältnisses zwischen terroristischen Gruppierungen und Amerika feindlich gesinnten Staaten als entscheidend. Unmittelbar nach den Anschlägen wurde zunächst nur die Bekämpfung der Terrorgruppe Al-Qaida und des Taliban-Regimes in Afghanistan priorisiert. In den darauffolgenden Monaten wurden neben diesen auch den Terrorismus unterstützende, autoritäre Staaten und Staaten mit Zugang oder Beschaffungsmöglichkeiten von Massenvernichtungswaffen zu möglichen Zielen von Militäraktionen zur Bekämpfung des Terrorismus (vgl. Böhm 2021, 92; Kahl 2011, 19).Durch die Anschläge am 11. September 2001 wurde neben der "seit längerem bekannte Dimension der internationalen Kooperation von terroristischen Gruppen […] die neue Dimension der transnationalen Kooperation, Durchführung, Logistik und Finanzierung terroristischer Gewalt deutlich" (Behr 2017, 147).Im Rahmen dieses Beitrags wird der Terrorismus als eine Herausforderung für die Vereinten Nationen vor und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 thematisiert. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, inwiefern diese die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen beeinflusst haben. In einem ersten Schritt wird eine Klärung des Begriffs Terrorismus vorgenommen. Im Anschluss daran wird auf die Strategien der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vor dem 11. September 2001 eingegangen. Darauf folgt eine Darstellung der direkten Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft auf die Anschläge. In einem letzten Schritt werden die daraus resultierenden Folgen für die internationale Sicherheitspolitik näher beleuchtet.BegriffsklärungIn einem ersten Schritt gilt es nun, den Begriff des Terrorismus näher zu definieren. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort terror ab, das als Schrecken oder Furcht übersetzt werden kann (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 10). Nach dem Terrorismusexperten Bruce Hoffmann wird unter dem Begriff des Terrorismus die "bewusste Erzeugung und Ausbeutung von Angst durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt zum Zweck der Erreichung politischer Veränderung" (Hoffmann 2006, 80) verstanden.Dementsprechend ist eine terroristische Tat zunächst einmal gekennzeichnet durch die Androhung oder die Ausübung von Gewalt. Im Hinblick auf die Intensität der ausgeübten Gewalt wird deutlich, dass keine humanitären Konventionen respektiert werden und terroristische Anschläge sich oft durch "besondere Willkür, Unmenschlichkeit und Brutalität" (Waldmann 2005, 14) auszeichnen."Die Gewalttat hat primär einen symbolischen Stellenwert, ist Träger einer Botschaft, die in etwa lautet, ein ähnliches Schicksal kann jeden treffen, insbesondere diejenigen, die den Terroristen bei ihren Plänen im Wege stehen" (Waldmann 2005, 15). Basierend auf dieser Tatsache bezeichnet der Soziologe Peter Waldmann den Terrorismus "primär [als] eine Kommunikationsstrategie" (Waldmann 2005, 15).Auf der psychologischen Ebene verfolgt der Terrorismus das Ziel, über die unmittelbaren Ziele und Opfer hinaus bei einer bestimmten Gruppe Furcht hervorzurufen, um für deren Einschüchterung zu sorgen. Als Zielgruppe kommt neben Staaten, Regierungen und einzelnen religiösen oder ethnischen Gruppen auch die allgemeine öffentliche Meinung in Frage (vgl. Hoffmann 2006, 80).Davon ausgehend verfolgt der Terrorismus mit der Erzeugung von Furcht und Schrecken auf der politischen Ebene das Ziel, das Vertrauen in eine bestehende politische Ordnung zu erschüttern (vgl. Waldmann 2005, 16). Im Hinblick auf die politische Dimension des Terrorismus grenzt Waldmann diesen bewusst vom Staatsterrorismus ab. Nach Waldmann kennzeichnen terroristische Anschläge ihre planmäßige Vorbereitung und ihre Aktivität aus dem Untergrund heraus.Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Staatsterrorismus um ein Terrorregime, errichtet durch staatliche Machteliten. Von Seiten des Staates kann zwar Terror gegenüber seinen Bürgern ausgeübt werden, er ist jedoch nicht in der Lage, die genannten Strategien gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 17; Waldmann 2005, 12).Bei den Akteuren handelt es sich um einen Zusammenschluss von Handlungswilligen, die sich in annähernd bürokratischen Strukturen organisieren, wobei Hierarchien und informelle Abhängigkeiten entstehen. In den meisten Fällen verfügen diese Gruppierungen über eine "geringe quantitative Dimension […] handelt es sich doch überwiegend um kleinere Personenzusammenschlüsse von wenigen Aktivisten" (Pfahl Traughber 2016, 12).Diese agieren im Untergrund, da sie weder über den erforderlichen Rückhalt innerhalb einer Bevölkerung noch über die erforderliche Kampfstärke verfügen. Am Beispiel von Al-Qaida in Afghanistan wird deutlich, dass ein Hervortreten aus dem Untergrund, beispielsweise durch die Errichtung von Lagern, das Risiko impliziert "angegriffen und vernichtet zu werden" (Waldmann 2006, 13).Hinsichtlich der Bezeichnung werden im Sprachgebrauch zwei Arten von Terrorismus, der internationale und der transnationale Terrorismus, unterschieden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das Phänomen des Terrorismus eher als international oder transnational zu bezeichnen ist. Nach Steinberg zeigt sich aus historischer Sicht ein fließender Übergang von dem internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der internationale Terrorismus zeichnet sich in erster Linie durch "zahlreiche grenzüberschreitende Aktionen [aus], bei denen häufig vollkommen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger fremder Staaten zu Schaden kamen." (Steinberg 2015). Ferner ist für den internationalen Terrorismus charakteristisch, dass die terroristischen Aktivitäten durch Staaten unterstützt werden. Zu den Unterstützerstaaten in der Vergangenheit zählten insbesondere Verbündete der ehemaligen Sowjetunion wie beispielsweise Syrien oder Libyen.Als historisches Beispiel für den internationalen Terrorismus gelten die Attentate auf israelische Sportler*innen während der Olympischen Spielen in München 1972 durch palästinensische Terroristen. Mit dem Fall der UdSSR verloren diese Staaten ihren Schutz vor Sanktionen westlicher Nationen. Damit endete nach und nach auch die Unterstützung terroristischer Gruppierungen. Es folgte ein fließender Übergang vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der Unterschied besteht darin, dass die terroristischen Aktivitäten nicht mehr durch einen Staat unterstützt werden. Die Gruppierungen werden privat mit Geld und Waffen unterstützt oder bauen eigene, substaatliche Logistik- und Finanzierungsnetzwerke auf. Der Terrorismus gilt zudem als transnational, "weil sich die terroristischen Gruppen auf substaatlicher Ebene länderübergreifend miteinander vernetzen und sich dementsprechend aus den Angehörigen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen" (Steinberg 2015).Basierend auf diesen Erkenntnissen ist ab den 1990er Jahren nicht mehr von internationalem Terrorismus, sondern vielmehr von transnationalem Terrorismus zu sprechen (vgl. Steinberg 2015). Dies hat auch Auswirkungen auf die Organisationsstrukturen terroristischer Gruppierungen. Sie zeichnen sich durch "Dezentralisierung, Entterritorialisierung und durch Überlagerung und Fragmentierung zwischen wechselnden, funktional orientierten Akteuren aus" (Behr 2017, 150).Ein Beispiel für den Übergang von einer internationalen Organisation hin zu einem transnationalen Netzwerk stellt die im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 stehende Terrorgruppe Al-Qaida dar. Vor den Anschlägen galt sie als eine internationale Organisation, die über ein "recht einheitliches Gebilde" (Hoffmann 2006, 425) verfügt. In Folge der Reaktionen auf die Anschläge entwickelte sie sich als eine transnationale Bewegung "mit gleich gesinnten Vertretern an vielen Orten, die über ein ideologisches und motivierendes Zentrum locker miteinander verbunden sind, aber die Ziele dieses noch verbleibenden Zentrums gleichzeitig und unabhängig voneinander verfolgen" (Hoffmann 2006, 425).Nach Vasilache ist "der gebräuchliche Terminus des internationalen Terrorismus irreführend, da er keine gängige Strategie eines Staates gegen einen anderen, sondern ein transnationales Phänomen ist, das vor Staatsgrenzen nicht halt macht" (Vasilache 2006, 151). Als Begründung führt er an, dass terroristische Anschläge oftmals von einzelnen Gruppierungen ausgehen, wobei auf die unterschiedlichen Motive in einem nächsten Schritt eingegangen wird. Weiterhin begründet er seine Aussage mit der Tatsache, dass das Ziel von staatlich initiiertem Terrorismus nicht direkt ein anderer Staat ist, sondern vielmehr zivile Ziele verdeckt attackiert werden (vgl. Vasilache 2006, 151).Anders als Steinberg spricht Vasilache also nicht von einer historischen Veränderung vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus, sondern bezeichnet das Phänomen Terrorismus generell als transnational. Da beide in der Ansicht übereinstimmen, zum Zeitpunkt der Anschläge am 11. September 2001 handele es sich um die transnationale Form des Terrorismus, wird im weiteren Verlauf von transnationalem Terrorismus gesprochen.Im Hinblick auf die Motive terroristischer Gruppierungen können im Wesentlichen vier Motive benannt werden, die sich überschneiden oder einander angleichen können. In diesem Zusammenhang wird von der Tatsache ausgegangen, dass terroristische Gruppierungen mit ihren Zielen und ideologischen Rechtfertigungen nicht zufällig entstehen, "sondern einen bestimmten gesellschaftlich-historischen Hintergrund widerspiegelt, der seinerseits wieder durch ihr Vorgehen eine spezifische Aktivierung erfährt" (Waldmann 2005, 100).Der sozialrevolutionäre Terrorismus möchte die politischen und gesellschaftlichen Strukturen nach der Ideologie von Karl Marx verändern (vgl. Waldmann 2005, 99). Ein Beispiel hierfür stellt die Rote Armee Fraktion (kurz: RAF) dar, die in den 1970er Jahren in Deutschland terroristische Anschläge verübte.Wenn unterdrückte Völker oder Minderheiten das Ziel von mehr politischer Autonomie oder staatlicher Eigenständigkeit mit terroristischen Strategien verfolgen, handelt es sich um ethnisch-nationalistischen Terrorismus. Als Exempel hierfür kommt die baskische ETA infrage, die aus einer Studierendenorganisation heraus entstanden ist und sich in den 1960er Jahren zunehmend radikalisierte (vgl. Waldmann 2005, 103f.).Unter die dritte Form des Terrorismus, "der militante Rechtsradikalismus" (Waldmann 2005, 115), fallen unterschiedliche Gruppen wie beispielsweise die Ku-Klux-Klan-Bewegung in Amerika. Trotz der unterschiedlichen Ausprägungen können bei all diesen Gruppen im Wesentlichen zwei Merkmale ausgemacht werden: zunächst einmal kämpfen sie für den Erhalt bestehender Strukturen und wollen keine strukturellen Veränderungen hervorrufen. Zudem richtet sich diese Form des Terrorismus in erster Linie nicht gegen das politische System, sondern vielmehr gegen einzelne Gruppen der Gesellschaft (vgl. ebd., 115). Ferner kennzeichnet den rechtsradikalen Terrorismus auch eine andere Strategie und eine andere Erscheinungsform. Bei den Aktivisten handelt es sich um "Teilzeitterroristen" (ebd., 117), die typischerweise in ihrer Freizeit agieren. Ihre Aktivitäten sind nicht im Untergrund, sondern werden vielmehr offen durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Anschläge teils geplant und teils spontan erfolgen, mit dem Ziel, die Opfer zum Verlassen des Ortes oder Landes zu bewegen (vgl. ebd., 117f.).Bei der vierten Form des Terrorismus handelt es sich um religiös motivierten Terrorismus. Beispiel hierfür ist die bereits mehrfach angesprochene Terrorgruppe Al-Qaida. Sie entstand als Reaktion auf den Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan Ende der 1970er Jahre. Die Brutalität der Invasion sorgte für eine große Solidarität innerhalb der islamischen Welt und führte zu einem Zuzug von zahlreichen islamischen Glaubenskämpfer*innen aus anderen Ländern, darunter auch Osama Bin Laden. Dieser gewann im Laufe der 1980er Jahre immer mehr an Einfluss und gründete mit dem Abzug der Sowjets Ende des Jahrzehnts Al Qaida mit dem Ziel, an einer anderen Front weiterzukämpfen. Es erfolgte ein Strategiewechsel "des Djihads nach innen, gegen verräterische Herrscher in den islamischen Staaten, auf die Strategie eines Djihads nach außen, gegen den Westen" (ebd., 152).Ein definitorisches Problem von Terrorismus ergibt sich aus der Tatsache, dass auf der internationalen Ebene bislang keine einheitliche Definition gefunden wurde. Im Rahmen der Resolution 1566 aus dem Jahr 2004 definierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Begriff Terrorismus wie folgt als "Straftaten […], die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzten, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen […]" (UN-Resolution1566 2004).Neben dieser existieren weitere nationale und internationale Definitionen, wie unter anderem die der Europäischen Union oder die Definitionen einzelner amerikanischer Behörden. Auf der politischen Ebene können die Schwierigkeiten hinsichtlich einer einheitlichen Definition anhand folgender Punkte näher beleuchtet werden: zunächst einmal werden Handlungen von unterschiedlichen Staaten unterschiedlich eingestuft. Für die einen handelt es sich um gewalttätige terroristische Angriffe; andere stufen die Aktivitäten als politisch legitimierte Handlungen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts während eines nationalen Befreiungskampfes ein.Ferner herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine Definition auch den Staatsterrorismus umfassen sollte oder ob sie lediglich die motivationalen Hintergründe der Täter umfasst. Anhand der genannten Schwierigkeiten wird deutlich, dass die Einschätzung, ob es sich bei der Bedrohung um eine terroristische Bedrohung handelt und ob es sich bei der Organisation um eine terroristische Organisation handelt, dem nationalen Verständnis oder dem Verständnis der jeweiligen Institution unterliegt. Folglich könnte die Klassifizierung missbraucht werden, um ungewünschte innerstaatliche Gruppierungen oder andere mit dem Begriff zu stigmatisieren und deren Verfolgung zu rechtfertigen (vgl. Finke/Wandscher 2001, 168; Kaim 2011, 6).Abschließend gilt es noch zu klären, ob terroristische Aktivitäten als Kriegshandlungen bezeichnet werden können oder ob vielmehr eine Trennung der beiden Begriffe erforderlich ist. Als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers bekundete Amerika immer wieder seinen Krieg gegen den Terror. Neben Präsident Bushs "global war on terror" sprach auch der amerikanische Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld im Zuge der Anschläge von einer neuen Kriegsart, "die sich vor allem neuer Technologien bedienen, asymetrisch verfahren und deswegen auch nicht leicht zu erkennen sein würde" (Czempiel 2003, 113).Diese Verwendung des Kriegsbegriffes in Verbindung mit terroristischen Anschlägen offenbart einen strategischen Zug der US-Regierung. "Dehnt man den Kriegsbegriff auf terroristische Akte aus, legitimiert dies den Angegriffenen auch zu Kriegshandlungen" (Geis 2006, 12). Der Regierung ist es infolgedessen möglich, über rechtsstaatliche Mittel hinaus Maßnahmen zu ergreifen und sie kann zudem von einer breiten Unterstützung innerhalb der eigenen Bevölkerung ausgehen (vgl. Geis 2006, 12). Bei der Frage, ob der transnationale Terrorismus als eine Form des Krieges bezeichnet werden kann, offenbart sich aus politikwissenschaftlicher Sicht eine erhebliche Kontroverse.Neben der Kategorisierung zwischen den alten und neuen Kriegen existiert auch die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Kriegen. Diese "basiert auf der Art der Vergesellschaftungsform der Kriegführenden" (Geis 2006, 21). Im Fall des großen Krieges sind die Akteure in gleichem Maß vergesellschaftet, ein Staat kämpft gegen einen anderen Staat. Im Falle eines kleinen Krieges besteht eine "asymetrische Konfliktstruktur zwischen ungleich vergesellschaftlichen Akteuren: Staatliche Kombattanten treffen auf nichtstaatliche Kämpfer" (Geis 2006, 21).Ob unter die kleinen Kriege auch der Terrorismus zu subsumieren ist, ist jedoch umstritten. Zunächst einmal wird dagegen angeführt, dass der Preis auf normativer Ebene zu hoch sei. Eine Unterscheidung beider bedeutet einen Fortschritt des Völkerrechts, da die Trennung immer eine Unterscheidung zwischen politisch legitimierter Gewalt im Zuge einer Kriegshandlung und illegitimer Gewalt, ausgeübt im Zuge eines Verbrechens, ermöglicht.Hinzu kommen Bedenken "bezüglich der Folgen eines ungehegten Counterterrorismus der angegriffenen Staaten" (Geis 2006, 22). In einem permanenten Kriegszustand hätten demokratische Staaten die Möglichkeit, die Erweiterung des Sicherheitsapparates und Bürgerrechtseinschränkungen zu legitimieren (vgl. ebd., 21f.). Als weiteres Argument wird angeführt, dass eine Trennung beider Begriffe aus analytischer Sicht sinnvoll sei, da es sich beim Terrorismus primär um eine Kommunikationsstrategie handele. Dieser fehlen neben der territorialen Dimension auch die wechselseitig beständige Gewaltanwendung und das Charakteristikum eines Massenkonflikts (vgl. ebd., 23).Für eine Subsumierung des Terrorismus unter den Kriegsbegriff spricht insbesonders die Sichtweise der Vereinten Nationen, die im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 den Vereinigten Staaten von Amerika das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta zugesprochen hat (vgl. Resolution 1373 2001). Auf diese Tatsache wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingegangen. Anschließend wird der Sichtweise der Vereinten Nationen gefolgt und folglich der Terrorismus unter den Begriff des Krieges subsumiert.Reaktionen der Vereinten Nationen auf Terrorismus vor dem 11. September 2001In einem nächsten Schritt gilt es, auf die Reaktionen der Vereinten Nationen auf das Phänomen des Terrorismus vor dem 11. September 2001 einzugehen. Hierbei wird zunächst auf das unterschiedliche Verständnis in Bezug auf den Sicherheitsbegriff näher eingegangen. Seit den 1970er Jahren gilt nicht mehr nur die politische Souveränität und die territoriale Integrität der einzelnen Staaten als das zu schützende Objekt der Sicherheitspolitik.Neben der zu schützenden staatlichen Sicherheit geriet auch die Gesellschaft, definiert als ein "Zusammenschluss von Individuen" (Kaim 2011, 3), in den Mittelpunkt sicherheitspolitischen Handelns. In den 1990er Jahren erfolgte die Aufnahme einer weiteren Dimension in Gestalt der menschlichen Sicherheit in den Diskurs rund um den Sicherheitsbegriff und die damit verbundenen Aufgaben. Nach diesem Verständnis ist die Sicherheit, die Freiheit und der Wohlstand des Individuums zu schützen. Es zeigt sich jedoch, dass die Dimensionen in der politischen Praxis nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Der Schutz des Individuums umfasst ebenso die Gesellschaft, in der es lebt, und letzlich auch den Staat (vgl. Kaim 2011, 3f.).Aus sicherheitspolitischer Perspektive gilt der "Terrorismus als entterritorialisiertes Sicherheitsrisiko" (Behr 2017, 151), das zu drei Konsequenzen führt. Zunächst einmal sind terroristische Aktivitäten nicht voraussagbar. Es besteht das Risiko, dass sie sich zu jeder Zeit an jedem Ort ereignen können. Hinzu kommt, dass die Akteure anders als Staaten keine politische Einheit darstellen. Vielmehr ereignen sich einzelne, verstreut zusammenhängende Handlungen ohne einen genau ausmachbaren Anfang oder Ende. Folglich kann auf das sicherheitspolitische Risiko Terrorismus nur reagiert werden, wenn die Maßnahmen "Handlungs- und Organisationslogiken transnationaler Politik erfassen und übernehmen" (Behr 2017, 151).Die Problematik des transnationalen Terrorismus als Herausforderung für die Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen führte zu einer Reihe von Abkommen mit der Intention der Beseitigung und Bekämpfung der Problematik. In diesem Zusammenhang kristallisierte sich ein pragmatischer Ansatz heraus. "[B]esonders häufig auftretende terroristische Aktivitäten [wurden] zum Gegenstand spezifischer Konventionen gemacht" (Finke/Wandscher 2001, 169).Nahezu alle von der Generalversammlung und den Sonderorganisationen verabschiedeten Abkommen können aufgrund bestimmter Kernelemente als Antiterrorkonventionen bezeichnet werden. Zu den besagten Kernelementen gehört zunächst einmal die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die in dem jeweiligen Abkommen genannte strafbare Handlung in das jeweilige innerstaatliche Recht aufzunehmen und angemessen zu bestrafen.Hinzu kommt, dass verdächtige Personen entweder durch den Staat selbst zu verfolgen sind oder an einen anderen, verfolgungswilligen Staat ausgeliefert werden müssen. Eine Auslieferung kann nur dann verweigert werden, wenn das Auslieferungsgesuch aufgrund religiöser, ethischer, nationaler, rassistischer oder politischer Gründe erfolgt ist. Ferner sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, untereinander zu kooperieren und sich gegenseitig Rechtshilfe zu gewähren (vgl. Finke/Wandscher 2001, 169).Das erste derartige Übereinkommen stellt das Haager Abkommen von 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen dar. Darauf folgte das Montrealer Abkommen von 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (vgl. ebd., 169). Die besagten Abkommen ordnen bestimmten Aktivitäten zwar das Adjektiv terroristisch zu, stufen diese jedoch nicht als Bedrohung des Weltfriedens ein oder führen zu der Anordnung von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta durch den Sicherheitsrat.Dies änderte sich mit der Explosion einer Bombe an Bord des Pan-American-Flugs 103 über der schottischen Ortschaft Lockerbie im Jahr 1988. Hier wurden zwei Staatsangehörige Libyens für die Anschläge verantwortlich gemacht, und das Land von den Vereinigten Staaten und Großbritannien zu deren Auslieferung aufgefordert. Der libysche Staat verweigerte das. Als Reaktion darauf wurde der Terrorakt im Rahmen der Resolution 731 durch den Sicherheitsrat als Bedrohung des Weltfriedens gemäß Kapitel V Artikel 24 eingestuft.Durch Resolution 748, ebenfalls 1992 verabschiedet, wurde die Nichtauslieferung durch Libyen als "eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Finke/Wandscher 2001, 171) bezeichnet und Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta gegen das Land erlassen (vgl. Behr 2017, 147; Finke/Wandscher 2001, 170f.).Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta erwies sich als wirksames Mittel der Terrorismusbekämpfung im Hinblick auf die Durchsetzung bestimmter Maßnahmen. Hierunter fallen insbesonders Maßnahmen, die zwar Gegenstand geltender Antiterrorkonventionen sind, diese durch die betreffenden Staaten jedoch nicht ratifiziert wurden oder die Konvention selbst noch nicht in Kraft getreten ist (vgl. Finke/Wandscher 2001, 171).Diese Strategie des Sicherheitsrates etablierte sich insbesonders hinsichtlich der Situation in Afghanistan. In Folge der Anschläge auf amerikanische Botschaften in Nairobi und Daressalam erließ der Sicherheitsrat mit der Resolution 1267 Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban. Der Grund hierfür war die Tatsache, dass diese den Verantwortlichen für die Anschläge, der Terrorgruppe Al-Qaida und ihrem Anführer Osama bin Laden, Unterstützung gewährte.Insbesonders durch das Einfrieren der finanziellen Mittel, aber auch durch ein Waffenembargo und ein Reiseverbot, sollten diese zur Auslieferung Bin Ladens gezwungen werden. Um die Umsetzung dieser Maßnahmen zu gewährleisten, setzte die Resolution zudem einen Unterausschuss des Sicherheitsrates ein (vgl. Kreuder-Sonnen 2017, 159).Direkte Reaktionen der Staatengemeinschaft auf den 11. September 2001Als erste Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 wurde vom Sicherheitsrat bereits am Tag nach den Anschlägen die Resolution 1368 erlassen. In dieser wurde der Terrorismus einstimmig als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (UN-Resolution 1368 2001) im Sinne von Art. 39 UN-Charta bezeichnet. Zugleich wurde auf das Recht zur individuellen und zur kollektiven Selbstverteidigung verwiesen (vgl. UN-Resolution 1368 2001).Noch im gleichen Monat, am 28 September 2001, wurde das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung mit Resolution 1373 bekräftigt und die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, "durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen […] mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta zu bekämpfen" (Resolution 1373 2001).Neben dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte auch der Nordatlantikrat umgehend. Am 12. September erklärte der damalige Generalsekretär George Robertson die Anschläge zum kollektiven Verteidigungsfall, wodurch Artikel 5 des NATO-Vertrages in Kraft trat. Nach diesem ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, mit von ihm ausgewählten Mitteln zu helfen (vgl. Robertson 2001).Aus amerikanischer Sicht dienten die Anschläge nicht nur dem Zweck der Tötung von amerikanischen Zivilisten, "Bush sah darin die gesamte westliche Zivilisation herausgefordert" (Czempiel 2003, 114). In seiner Rede am 20. September 2001 warnte der amerikanische Präsident alle Staaten hinsichtlich der Unterstützung und der Beherbergung von Terroristen. Innerhalb der Regierung wurde hinsichtlich der Bekämpfungsstrategie "offen von Präemption gesprochen" (Czempiel 2003, 115).Als Adressaten der amerikanischen Drohung kamen insgesamt 60 Länder mit aktiven terroristischen Organisationen in Frage (vgl. ebd., 114). Auch wenn die meisten Attentäter der Anschläge ursprünglich aus Saudi-Arabien stammten, erhärtete sich zunehmend der Verdacht, dass ihre Aktivitäten von Afghanistan aus gelenkt wurden. Im Zuge dessen wurde das Land als "Prototyp" (ebd., 115) für die Terrorismusbekämpfung ausgewählt. Mit der Operation "Enduring Freedom" starteten amerikanische und britische Truppen am 7. Oktober 2001 Angriffe auf Talibanstützpunkte wie etwa auf Regierungsgebäude in Kandahar und Kabul (vgl. Bruha/ Bortfeld 2001, 162; Czempiel 2003, 115).Der Umstand, dass sich am Tag nach den Anschlägen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit diesen befasste "ist ein erstaunlicher Beweis für die politische Klugheit der USA" (Tomuschat 2002, 20) hinsichtlich der Legitimation der Reaktion auf diese. In diesem Zusammenhang gilt es sich jedoch zu fragen, ob die genannten Resolutionen das Land tatsächlich zu einem Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 UN-Charta legitimieren.In Resolution 1368 findet sich in Bezug darauf ein entscheidender Widerspruch, welcher die rechtlich bedeutsamen Aussagen schwer greifbar macht. Dieser bekräftigt das Recht auf individuelle und kollektive Sicherheit im Sinne der Charta, bezeichnet die Angriffe jedoch lediglich als eine Bedrohung des globalen Friedens und der Sicherheit. Die bekundete Entschlossenheit, die Bedrohung "mit allen Mitteln zu bekämpfen" (UN 2001, 315), kann nicht als eine Ermächtigung für einzelne Staaten aufgefasst werden, sondern steht für die grundsätzliche Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft.Anders als Resolution 1368 enthält Resolution 1373 mehr rechtlich eindeutige Aussagen. Bereits in der Präambel wird auf die Anwendung der Maßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta verwiesen. Zudem bestätigt sie die Zulässigkeit des Einsatzes "aller Mittel" durch die Opfer von terroristischen Anschlägen (vgl. UN 2001, 316f.). Es zeigt sich also, dass eine Berechtigung zu der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die Vereinigten Staaten im Rahmen der genannten Resolution durchaus vorliegt (vgl. Tomuschat 2002, 20f.).Nun stellt sich die Frage, ob die Verbindungen zwischen den Anschlägen und dem Taliban-Regime derart offensichtlich waren, dass die militärischen Aktionen gegen die Taliban in Afghanistan unter die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts fallen. In diesem Zusammenhang kann man sich nicht auf die genannten Resolutionen berufen, da diese nicht aufzeigen, "gegen wen Gegenwehr zulässig sein soll" (Tomuschat 2002, 21). Folglich gilt es, die Reaktionen des Sicherheitsrates und der Generalversammlung näher zu betrachten.Es zeigt sich, dass beide Institutionen die amerikanisch-britische Militärintervention nicht verurteilten. Vielmehr verabschiedete der Sicherheitsrat am 12. November 2001 einstimmig Resolution 1377. In dieser wurde der Terrorismus als "eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im 21. Jahrhundert" (UN-Resolution 1377 2001) bezeichnet. Mit dieser Qualifikation wurde implizit der Einsatz von äußersten Mitteln gestattet, da die Resolution keine "Grenzen und Schranken von Gegenmaßnahmen enthält" (Tomuschat 2002, 21). Letztendlich kann man also davon ausgehen, dass die Vereinten Nationen die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die USA als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 zumindest implizit gebilligt haben (vgl. Tomuschat 2002, 21f.).Als Reaktion auf die Anschläge wurden die bislang geltenden Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban und das Terrornetzwerk Al-Qaida mithilfe der Resolution 1390 zu allgemeinen, dauerhaft geltenden Maßnahmen gegen den transnationalen Terrorismus umgewandelt. Damit wurde nicht nur der Adressatenkreis erweitert, es wurde zusätzlich auch die räumliche und die zeitliche Begrenzung aufgehoben.Jede Person, die von einem Staat als Terrorverdächtiger genannt wurde, bekam ab diesem Zeitpunkt die Sanktionen im Hinblick auf das Privatleben, das private Eigentum, auf den Sozialstatus und das Unterhalten von geschäftlichen Beziehungen zu spüren. Fundierte Beweise für eine Aufnahme in die sogenannte "Schwarze Liste" (Kreuder-Sonnen 2017, 160) durch die Staaten waren ebenso wenig notwendig wie eine Begründung gegenüber dem Individuum (vgl. Kreuder- Sonnen 2017, 160).Folgen für die SicherheitspolitikAngesichts der aufgezeigten Gegenmaßnahmen als direkte Reaktion auf die Anschlage des 11. Septembers 2001 wird deutlich, dass man "bezüglich der Reaktion auf den Terrorismus von einer neuen Ära" (Waldmann 2005, 229) ausgehen muss. Es zeigt sich, dass sowohl bei diesen Anschlägen als auch bei terroristischen Anschlägen in den Folgejahren "die durchschnittliche Zahl der Opfer pro Anschlag […] kontinuierlich ansteigt" (Waldmann 2005. 16).Infolgedessen spricht auch Waldmann im Kontext von terroristischen Anschlägen von Kriegshandlungen. Seiner Ansicht nach hat das zunehmende Ausmaß der Anschläge dazu geführt, dass diese nicht mehr als `low intensity´ war, sondern vielmehr als `high intensitiy´ war eingestuft werden müssen. Der Grund hierfür ist seiner Ansicht nach die Tatsache, dass der Begriff des low intensity war neben dem fehlenden Einsatz von konventionellem Kriegsgerät und größeren Truppenverbänden auch einen begrenzten Personen- und Sachschaden impliziert (vgl. Waldmann 2005, 16f.).Auf der internationalen Ebene spiegelten sich die Reaktionen auf das zunehmende Ausmaß der Anschläge vor allem in den zahlreich erlassenen Konventionen und Resolutionen wieder. Hinzu kommt die Tatsache, dass terroristische Anschläge erstmals zu militärischen Interventionen in Länder geführt haben, die sich in erheblicher Entfernung von dem betroffenen Land befinden. Zumindest im Fall von der militärischen Intervention in Afghanistan herrschte eine seltene Einigkeit zwischen den Großmächten im Sicherheitsrat.Ferner führten die Ereignisse zu einem erheblichen Medieninteresse (vgl. Waldmann 2005, 229). Anhand dessen lässt sich "[d]ie neue Einschätzung des gewaltigen, vor allem dem internationalen Terrorismus zugeschriebenen Drohpotentials" (ebd., 230) feststellen. Diese führte zu drei als signifikant zu bezeichnenden Veränderungen im Hinblick auf die Politik und die Einstellung in Bezug auf den Terrorismus (vgl. ebd., 230).Zunächst einmal bewirkte der transnationale Terrorismus in den westlichen Nationen nicht nur einen "politischen Rechtsruck" (ebd., 230) aller regierenden Parteien. Er wirkte sich auch auf alle Ebenen der Gesellschaft aus. Dieser Wandel auf der nationalen Ebene wirkte sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien aus. Die bislang vorhandene Balance zwischen der individuellen und kollektiven Sicherheit auf der einen Seite und den Grund- und Freiheitsrechten auf der anderen Seite hat sich zunehmend zugunsten des Sicherheitsaspektes verschoben (vgl. ebd., 230).Insbesonders um den Informationsaustausch zwischen den Staaten gewährleisten zu können und damit ein gemeinsames Vorgehen gegen die Bedrohung zu ermöglichen, wurden internationale Instanzen zur Koordinierung geschaffen (vgl. Behr 2017, 151; Waldmann 2005, 231). Ferner erfolgte eine erhöhte Aufmerksamkeit und Ressourcenbereitstellung für national und international agierende Behörden hinsichtlich terroristischer Aktivitäten und damit verbunden eine Reihe neuer, zu diesem Zweck erlassener Gesetze.Neben dem Informationsaustausch wurden auch die Möglichkeiten der Polizei und anderer Instanzen erweitert, um Anschläge bereits im Planungs- und Vorbereitungsstadium erkennen und verhindern zu können. Hierzu gehören beispielsweise Einreiseverbote für Mitglieder islamistischer Gruppierungen. Neben den erweiterten präventiven Maßnahmen wurden auch Notfallszenarien entwickelt, die im Fall eines Anschlags in Kraft treten (vgl. Waldmann 2005, 232).Im Hinblick auf die dargestellten Veränderungen stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, inwiefern weitere Maßnahmen aus der Sicht der Vereinten Nationen erforderlich sein könnten. Nach dem Terrorismusexperten Peter Waldmann "wird keine Unterscheidung zwischen Maßnahmen auf der nationalen und der internationalen Ebene getroffen, weil beide längst immer enger ineinander greifen und in die gleiche Richtung zielen" (Waldmann 2005, 239).Als zentrale Handlungsmaxime benennt Waldmann in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Strategien gegenüber terroristischen Netzwerken beziehungsweise dem Terrorismus im Allgemeinen "klar, konsistent und glaubhaft" (Waldmann 2005, 239) sein sollen. Hinsichtlich des Umgangs mit dem islamistischen Terrorismus besteht die größte Problematik darin, dass westliche Nationen ihre Glaubhaftigkeit bezüglich ihrer Leitlinien teilweise verlieren. Insbesonders den Vereinigten Staaten von Amerika wird vorgeworfen, dass sie ihren Prinzipien der Demokratie, des Grundrechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit zugunsten von politischen und wirtschaftlichen Interessen teilweise nicht treu sind (vgl. ebd., 240)."Dass sie aus machtpolitischen Erwägungen jederzeit dazu bereit sind, mit Diktaturen Bündnisse zu schließen, und hinter ihrem quasi messianischen Diskurs, es gelte in der ganzen Welt demokratische Verhältnisse herzustellen, nun allzu deutlich das dringende Bestreben durchscheint, der eigenen Wirtschaft lukrative neue Erdölfelder zu erschließen." (Waldmann 2005, 240).Hinsichtlich der Maßnahmen auf der internationalen Ebene gilt es zunächst auf die Transnationalität näher einzugehen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei terroristischen Gruppen in den meisten Fällen nicht um eine Gruppe aus einem Land, sondern um Angehörige unterschiedlicher Länder, die sich länderübergreifend miteinander vernetzt haben. Um dem begegnen zu können, erscheint es unabdingbar, dass auch Staaten grenzübergreifend miteinander kooperieren. Dies würde eine erhebliche Bereitschaft der Teilnehmenden zu einem Teilverzicht auf ihre staatlichen Souveränitätsräume und ihrer Souveränitätsrechte bedeuten.Hinsichtlich der nationalen und internationalen Rechtsordnungen im Allgemeinen verlangen transnationale Rechtsverstöße auch eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechts auf internationaler Ebene. Transnationale Verbrechen können nicht durch an nationale Grenzen gebundenes Recht bekämpft werden, da aufgrund der unterschiedlichen Verfassungen rechtsfreie Sphären auf globaler Ebene entstehen. Folglich ist eine Ausweitung des transnationalen Rechts erforderlich. Hierfür müsste das Völkerrecht, bislang mit dem Staat als Rechtsperson und einer rechtlichen Bindung auf dem staatlichen Territorium, entterritorialisiert werden (vgl. Behr 2017, 151; Schmalenbach 2004, 266).Neben der Kooperation von Staaten und der Erweiterung des internationalen Rechts spricht Ernst-Otto Czempiel von einer "dreigeteilte[n] Strategie" (Czempiel 2003, 57) hinsichtlich der Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge. Kurzfristig ist es die Aufgabe der Staaten, weitere Anschläge zu verhindern. In diesem Zusammenhang offenbart sich jedoch eine in demokratischen Staaten schwierige Güterabwägung hinsichtlich des Schutzes der kollektiven Sicherheit und der individuellen Freiheitsrechte (vgl. Czempiel 2003, 57).Die bürgerliche Freiheit stellt in demokratischen Staaten ein hohes Gut dar. Auf der anderen Seite würde der fortschreitende Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates eine "allmähliche Aushöhlung der individuellen Grund- und Freiheitsrechte um des Schutzes angeblich höherwertiger Güter willen" (Waldmann 2005, 242) bedeuten. Die Folge wäre eine Entwicklung des Rechtsstaates hin zu einem "präventiven Sicherheitsstaat" (Waldmann 2005, 242) mit einer teilweisen Abkehr von demokratischen Grundsätzen (vgl. Hofmann 2006, 446; Waldmann 2005, 242).Infolgedessen gilt es mittelfristig, sich mit dem Hintergrund der Akteure auseinanderzusetzen. "Als besonders fruchtbare Brutstätte gelten die zahlreichen `failing states´, also die gescheiterten oder zerfallenen Staaten" (Czempiel 2003, 58). Am Beispiel Afghanistans wird deutlich, dass der Westen einen erheblichen Anteil an dem Scheitern des Landes und an der Entstehung der dort ansässigen Terrorgruppe hatte.Im Zuge des Konflikts mit der Sowjetunion hatte Amerika die Kämpfer unterstützt. Mit dem sowjetischen Abzug endete auch die amerikanische Unterstützung, und das zerstörte Land wurde ebenso wie die von Amerika ausgebildeten Kämpfer sich selbst überlassen. Es gründete sich die Terrorgruppe Al Qaida mit dem neuen Feind in Gestalt der USA. Die Entwicklungen in Afghanistan haben gezeigt, dass bei jeder Einmischung von außen neben den kurzfristigen auch die langfristigen Konsequenzen zu bedenken sind und dass "das Objekt der Einmischung auch politisch und wirtschaftlich davon profitiert" (Czempiel 2003, 58).Aus langfristiger Sicht gilt es, die "Quellen des Terrorismus auszutrocknen" (ebd., 58) und eine Veränderung des Kontextes zu erwirken. In diesem Zusammenhang ist die Stabilisierung der "failing states" von entscheidender Bedeutung. Czempiel spricht von einer Neuordnung der Welt, "die immer mehr als ein Quasi-Binnenraum begriffen und mit entsprechender Strategie bearbeitet werden muss" (ebd., 59). Neben der Verringerung der Dominanz des Westens ist eine Änderung der Werteverteilung und ein Lösen der großen Konflikte erforderlich (vgl. ebd., 59).FazitDie Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika am 11. September 2001 wirkten sich nicht nur traumatisch auf das "Selbst- und Machtbewusstsein der USA" (Czempiel 2003, 40) aus, sie versetzten auch den Rest der Welt in "Angst und Schrecken" (Czempiel 2003, 40). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschien eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten unwahrscheinlich. Vielmehr stellte der Terrorismus als eine "neue Bedrohung von innen durch gesellschaftliche Akteure" (ebd., 57) das größte sicherheitspolitische Risiko insbesonders für westliche Industriestaaten dar. (vgl. ebd., 57). "Der Terror soll Angst und Schrecken verbreiten, ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit erzeugen und offene Panik auslösen" (Hofmann 2006, 445). Hinzu kommt, dass mit dieser Form der psychologischen Kriegsführung das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft in die politische Führung und in den Staat im Allgemeinen zerstört werden soll.Aus historischer Sicht existiert das Phänomen des Terrorismus seit mehr als 2000 Jahren. "Er hat überlebt, weil es ihm gelungen ist, sich immer wieder an die veränderten Bedingungen und Gegenmaßnahmen anzupassen und die verwundbaren Stellen seines Gegners ausfindig zu machen, um sie für seine Zwecke zu nutzen" (Hofmann 2006, 446). Entsprechend muss bei Gegenmaßnahmen "das gesamte Spektrum der verfügbaren Mitteln […], psychologische und physische, diplomatische und militärische, ökonomische und moralische" (ebd., 445) eingesetzt werden.Es gilt nun abschließend eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern die Anschläge im Herbst 2001 die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen verändert haben. Kurzfristig führten diese zu einer seltenen Einigkeit der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, was sich in den zahlreichen erlassenen Resolutionen wiederspiegelt. Darunter fällt auch die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft die Militärintervention in Afghanistan nicht verurteilte, sondern vielmehr den Vereinigten Staaten ihr Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta einstimmig zugestand.Es erwies sich jedoch hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit als problematisch, dass keine einheitliche Definition des Begriffs Terrorismus besteht. Das könnte dazu führen, dass wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Aktionen zur Durchsetzung eigener Interessen fälschlicherweise als Terrorismusbekämpfung etikettiert werden.Generell zeigt sich, dass die Anschläge einen erheblichen innenpolitischen Rechtsruck bewirkten, der sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien auswirkte. Das wurde durch erweiterte Befugnisse für die Polizei und andere Exekutivorgane in Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit sichtbar.Mit der Resolution 70/291 stellte der amtierende UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 22. Februar 2017 strategische Handlungsoptionen für die Terrorismusbekämpfung vor. Zunächst einmal soll die Effizienz der Vereinten Nationen im Bereich der Terrorbekämpfung allgemein gestärkt werden. Zudem soll die Qualität der Vereinten Nationen hinsichtlich der Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der UN-Terrorismusbekämpfungsstrategien hinterfragt werden. Hinzu kommt der Anstoß zu einer Debatte hinsichtlich der regionalen und internationalen Zusammenarbeit von Staaten und UN-Sonderorganisationen.Außerdem wurde Wladimir Iwanowitsch Woronkow auf Vorschlag von Guterres zur Umsetzung und Koordinierung der Vorschläge am 21. Juni 2017 als Untergeneralsekretär eingesetzt. Diese strategische Neuausrichtung wird als eine strategische Aufwertung der Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen verstanden (vgl. Behr 2017, 152).Zusammenfassend zeigt sich also, dass sich die internationale Gemeinschaft der Tatsache bewusst ist, dass eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des transnationalen Phänomens erforderlich ist. "Wenn wir den Terrorismus erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir ebenso unermüdlich, innovativ und dynamisch vorgehen wie unsere Gegner" (Hoffmann 2006, 446).LiteraturBehr, H. (2017): Die Antiterrorismuspolitik der UN seit dem Jahr 2001. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 147-151.Böhm, A. (2021): Die Gesetzte des Dschungels. In: ZEIT Geschichte 4/21. S 92-97.Czempiel, E.-O. (2003): Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen. München: Verlag C.H.Beck oHG.Finke, J./ Wadscher, C. (2001): Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. 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