Die Angst vor Wissen und Wahrheit: über Relativismus und Konstruktivismus
In: Merkur: deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Band 64, Heft 1, S. 1-11
ISSN: 2510-4179
Der Relativismus hat eine lange Tradition in der Kultur- und Geistesgeschichte und tritt in verschiedenen Formen auf: zum Beispiel als Relativismus gegenüber Wissen und Wahrheit, moralischen Werten, ästhetischer Qualität und kulturellen Normen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht eine Studie von Paul Boghossian, die eine kritische Auseinandersetzung vor allem mit dem Relativismus gegenüber Wissen und Wahrheit ist. Ihr Grundgedanke lautet, dass Ansprüche auf objektive Wahrheit und objektives Wissen tatsächlich nur relativ zu einer Reihe von kulturellen Einstellungen oder einer anderen subjektiven Weise der Weltwahrnehmung gültig sind. Außerdem können dem Relativismus zufolge miteinander unvereinbare Aussagen "gleiche Gültigkeit" haben. Es kann keine universell gültigen Wissensansprüche geben. Die gegenwärtig einflussreichste Form des Relativismus ist der Sozialkonstruktivismus, den Boghossian als eine Tatsache versteht, die eine gesellschaftlich konstruierte Tatsache ist, die nur dann, wenn es notwendig, wahr ist. Der Sozialkonstruktivist ist bemüht, Konstruktionen da zu entlarven, wo niemand sie vermutet hätte, wo etwas, was in Wirklichkeit wesentlich gesellschaftlich ist, sich als etwas Naturgegebenes maskiert. (ICF2)