Teil VIII unserer Serie zum "Islamischen Staat": "Blogforum 'Kalifat des Terrors: Interdisziplinäre Perspektiven auf den Islamischen Staat". Die Kurden feiern in diesen Tagen den Sieg über den Islamischen Staat in Kobane. Die Hauptstadt des Distrikts Ain al-Arab im Gouvernement Aleppo in Syrien liegt nahe der syrisch-türkischen Grenze. Seit Anfang 2014 ist Ain al-Arab Zentrum eines der drei selbstverwalteten Kantone Rojavas. Diese Kantone stehen unter der Kontrolle der kurdischen "Partei der Demokratischen Union" (PYD) und ihrer Verbündeten. Die PYD ist eine Schwesterpartei der PKK, sie erkennt Abdullah Öcalan als ideologischen Führer an.
Der Nahe Osten erlebt einen nicht gekannten Aufschwung kurdischer Politik. Gleichzeitig stehen wichtige Weichenstellungen an. Im Irak hoffen die Kurdinnen und Kurden auf die Gelegenheit, ihre Unabhängigkeit zu erklären, was die Auflösung des Irak beschleunigen würde. In der Türkei sind der Ausgang der Verhandlungen zwischen der PKK und der Regierung und die Zukunft des Waffenstillstands offen. In Syrien werden die Kurdinnen und Kurden ohne Unterstützung des Westens ihre für autonom erklärten Siedlungsgebiete nicht halten können. Ein Rückzug der PYD würde dort mit der Gefahr einer weiteren Welle ethnischer Säuberungen einhergehen. Humanitäre Krisen um die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die Notwendigkeit zur Reetablierung einer regionalen Ordnung und die eigene energiepolitische Abhängigkeit zwingen Europa, sich über eine neue Kurdenpolitik Gedanken zu machen. Dabei kann sich europäische Kurdenpolitik nicht länger darauf fokussieren, das Vorgehen autoritärer Regime gegen ihre kurdischen Minderheiten zu unterstützen. Eine solche Politik hat längst ihr Potential zur Herstellung von Stabilität eingebüßt. Europäische Kurdenpolitik kann aber auch nicht allein darin bestehen, sich vorbehaltlos mit den jeweiligen politischen Forderungen der Kurdinnen und Kurden zu solidarisieren. Denn radikale Lösungen in der einen oder anderen Richtung bergen das größte Gewaltpotential in sich. Europäische Kurdenpolitik muss auf Ausgleich, Vermittlung und Deeskalation gerichtet sein. Sie kann indes nur funktionieren, wenn ihre Protagonistinnen und Protagonisten einerseits mehrere alternative Entwicklungsverläufe in ihre Überlegungen einbeziehen und wenn sie andererseits Kanäle für die Kommunikation mit allen Akteurinnen und Akteuren eröffnen - auch auf Seiten der Kurdinnen und Kurden. (SWP-Studien)
Für jede irakische Regierung standen zwei Probleme im Vordergrund, deren Lösung großen Mut und Verantwortungsbereitschaft und einen starken Rückhalt erfordert hätte. Das eine Anliegen bestand darin, die Entwicklung in allen Lebensbereichen des Landes aktiv voranzutreiben, und das andere darin, eine angemessene Regelung der Kurdenfrage herbeizuführen. Die Fragestellung der vorliegen Arbeit ist auf zwei Themenkomplexe gerichtet: Welche Hindernisse stellten sich der Entstehung eines kurdischen Staates in Süd-Kurdistan (heute Nord-Irak oder Irakisch-Kurdistan) nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entgegen und weshalb konnte zwischen 1917 und 1990 trotz zahlreicher politischer Bemühungen keine Regelung des Kurden-Konfliktes im Irak herbeigeführt werden. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut. Außerdem wird auch ein kurzer Ausblick auf weitere Entwicklungen nach dem Untersuchungszeitraum gegeben.
Am 19. Dezember 2018 kündigte US-Präsident Donald Trump an, die mehr als 2000 im Norden und Osten Syriens stationierten US-Truppen innerhalb von 30 Tagen abzuziehen. Der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, John Bolton, und andere versuchten daraufhin, den Rückzug aufzuschieben und an Bedingungen zu knüpfen. Noch ist deshalb unklar, wann die Amerikaner ihre Soldaten zurückholen, doch dürfte dies noch 2019 geschehen. Trumps Entscheidung hat Folgen insbesondere für die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die gemeinsam mit den US-Truppen die syrischen Regionen östlich des Euphrat vom 'Islamischen Staat' (IS) befreit haben. Die Türkei hat mehrfach angekündigt, militärisch zu intervenieren, um die kurdische Organisation zu zerschlagen. Auch die syrische Regierung hat erklärt, dass sie 'jeden Zentimeter Syriens' zurückgewinnen will. Es droht ein Wettlauf um die Kontrolle über die Kurdengebiete, deren Autonomie damit schon bald ihr Ende finden dürfte.
Für die Regierungen der westlichen Länder ist der Gang der Dinge in Syrien und im Irak ernüchternd. Für die Kurden, die in diesen beiden vom Krieg gezeichneten Staaten leben, ist er dramatisch. Denn mit dem Sieg über den IS endete für die Kurden Syriens und des Irak eine Periode, in der sie sich einerseits einem existenzbedrohenden Gegner gegenübersahen, andererseits aber Teil militärischer Bündnisse waren, auf die sie sich - auch weil die kurdischen Kämpfer für diese Bündnisse unverzichtbar waren - verlassen konnten. Mit dem Ende des Krieges gegen den IS ist diese Unverzichtbarkeit zur Disposition gestellt und die Kurden beider Länder sind erneut mit der Tatsache konfrontiert, dass sie keine natürliche Schutzmacht haben. Doch wie steht es um die Kurden selbst? Auf welcher wirtschaftlichen, sozialen und politischen Basis beruhen ihre Forderungen nach Selbstbestimmung? Wieweit deckt sich die Politik kurdischer Akteure mit ihrer Rhetorik von einer kurdischen Nation, die durch das Gefühl eines gemeinsamen Schicksals und die Erwartung einer gemeinsamen Zukunft geeint sei und die indes über einen minimalen politischen Konsens verfügt? Die Autorinnen und Autoren der Studie werfen einen kritischen Blick auf die zeithistorischen, ökonomischen und politischen Parameter des Handelns und Entscheidens kurdischer Akteure. Martin Weiss analysiert die Gründe für das politische Scheitern des Unabhängigkeitsreferendums der irakischen Kurden 2017. Caner Yildirim und Gülistan Gürbey leuchten das energiepolitische Potential des kurdischen Nord-Irak aus. Arzu Yilmaz deckt Dynamiken des Verhältnisses zwischen den beiden größten kurdischen Parteien des Nahen Ostens auf. Und Katharina Lack schildert die Machtverhältnisse unter den Kurden Syriens.
Titel und Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 Erstes Kapitel: Der Hintergrund des Volksaufstandes vom Frühjahr 1991 in Irakisch-Kurdistan 9 1\. Zwangsangliederung und Zwangsassimilierung statt Selbstbestimmungsrecht (Unabhängigkeit) oder Autonomie (1918 - 1975) 9 2\. Systematische Vertreibungen, Dörfzerstörungen und Massenmord unter dem totalitären Baath-Regime (1975 - 1991) 37 Zweites Kapitel: Die Eintracht der politischen Parteien und der Volksaufstand in Irakisch-Kurdistan 55 1\. Die Einigung der kurdischen Widerstandsbewegung im Rahmen der "Kurdistan- Front" (1988 - 1990) 55 2\. Der Überfall auf Kuwait und der zweite Golfkrieg (1990 - 1991) 59 3\. Der Volksaufstand vom März 1991 in Irakisch-Kurdistan 63 Drittes Kapitel: Die Schutzzone 80 1\. Die UN- Resolution Nr. 688 80 2\. Die Errichtung der Schutzzone 84 3\. Die Rückkehr der Flüchtlinge und das humanitäre Hilfsprogramm 91 4\. Friedensverhandlungen 95 5\. Der Wiederaufbau während des Kampfes ums nackte Überleben 102 Viertes Kapitel: De-facto-Eigenstaatlichkeit oder freies Kurdistan 107 1\. Die Wahlen in der Schutzzone bzw. in der selbstverwalteten Region Kurdistans 107 2\. Der Legislativrat der Region Irakisch-Kurdistan (das Regionalparlament) 127 3\. Der Exekutivrat oder die Regionalregierung Kurdistans (KRG) 128 4\. Die innenpolitische Situation und Außenbedrohungen 130 5\. Ökonomische und soziale Entwicklungen 137 Fünftes Kapitel: Die internen Konflikte 140 1\. Die Hindernisse und die Krise der Demokratie 140 2\. Der Machtkampf und die zweite Serie des "Bruderkrieges" und die Rolle der Regionalmächte 146 Sechstes Kapitel: Die Situation in der letzten Phase der "Schutzzone" (Ende 2002 - Anfang 2003) 173 1\. Die politische Lage 173 2\. Die ökonomische und soziale Lage 180 3\. Die kulturelle Lage 184 Siebentes Kapitel: Theoretische Ansätze zu ethnischen Konflikten und Lösungsoptionen 186 1\. Ethnische oder ethnonationale Konflikte 193 2\. Lösungsmöglichkeiten 196 3\. Lösungsoptionen für die kurdische Frage im Irak 201 Schlusssatz (Perspektiven) 217 Glossar / ...
Die Entwicklung der kurdischen Autonomiezone im Nordirak zu einem faktisch nahezu unabhängigen Gebilde wird von den Nachbarn der Kurden mit Misstrauen beobachtet. Seit 2008 versucht der irakische Ministerpräsident Maliki, den Einfluss der Kurden vor allem in den von ihnen beanspruchten "umstrittenen Gebieten" zurückzudrängen, in denen sie gemeinsam mit Arabern, Turkmenen und kleineren Minderheiten leben. Mehrfach drohten dabei militärische Auseinandersetzungen, und der Konflikt schwelt weiter. Es ist nicht auszuschließen, dass die Auseinandersetzung um die territoriale Zugehörigkeit der umstrittenen Gebiete in den nächsten Jahren eskalieren wird. Eine Eskalation würde auch die Nachbarländer des Nordirak (Türkei, Iran, Syrien) auf den Plan rufen. Da in diesen Ländern ebenfalls kurdische Minderheiten leben, fürchten die Regierungen Auswirkungen der Auseinandersetzungen im Irak auf ihre eigene Innenpolitik. Sollte der Konflikt im Irak eskalieren oder auch nur dauerhaft ungelöst bleiben, dürfte die Kurdenfrage in der regionalen Politik an Bedeutung gewinnen. Schon im Sommer 2010 mehrten sich die Anzeichen, dass die Türkei und der Iran sich auf eine Eskalation des innerirakischen Konflikts vorbereiten. Durch begrenzte Militäraktionen auf nordirakischem Territorium versuchten sie den Kurden zu verdeutlichen, dass sie ihre Ambitionen herunterschrauben müssen. Vor dem Hintergrund des 2010 eingeleiteten amerikanischen Truppenabzugs suchten die Kurden daraufhin die Nähe der Türkei, die wiederum ihre Beziehungen zur kurdischen Regionalregierung seit 2008 deutlich verbessert und ausgeweitet hat. Diese Entwicklung birgt eine große Chance für die Kurden. Noch aber ist unklar, ob die Türkei ihren Beziehungen zum Nordirak Vorrang vor ihren Beziehungen zu Bagdad einräumen wird
Irakisch-Kurdistan, bestehend aus den irakischen Provinzen Dohuk, Sulaymaniye und Arbi, ist gesellschaftlich nicht homogen, sondern sowohl ethnisch wie religiös eher ein Mosaik des gesamten Nahen Ostens mit nahezu allen dort vorkommenden Minderheiten: Turkmenen, Schiiten, Sunniten, Mandäer, Assyrer, Chaldäer, Ahl-i-Haqq und natürlich die Kurden, unter denen neben Sunniten auch Minderheiten wie Schiiten und Eziden zu finden sind. Darüber hinaus liegt Irakisch-Kurdistan inmitten einer Region, die seit Jahrzehnten und heute mehr denn je durch Konflikte gekennzeichnet ist. Nach dem Sturz des Baath-Regimes spielten beim Neuaufbau der öffentlichen Strukturen in Irakisch-Kurdistan politische und gesellschaftliche Normvorstellungen des Westens eine zunehmend wichtige Rolle. Doch der Wunsch und die Forderung nach Einführung einer Demokratie oder gar die Übertragung demokratischer Institutionen auf eine Gesellschaft, die nicht nur von autoritären Traditionen, sondern von hierarchischen Strukturen geprägt ist, erweist sich als schwieriges Unterfangen. Erforderlich sind langfristige Transformationprozesse. Aus Sicht dieser Studie sind die maßgeblichen Akteure einer Demokratisierung die gesellschaftlichen Eliten. Unter Bezugnahme auf die Akteurs-Theorie wird näher erläutert werden, welche Rolle und Funktion die Eliten Irakisch-Kurdistans im Rahmen der Demokratisierung der Region einnehmen. Hierbei geht es um die Frage: Sind die Eliten Irakisch-Kurdistans – zusammenfassend – willens und in der Lage, eine Demokratisierung zu initiieren und/oder aktiv mitzugestalten?