In: Materialien aus der soziologischen Forschung: Verhandlungen des 18. Deutschen Soziologentages vom 28. September bis 1. Oktober 1976 in Bielefeld, S. 765-777
Der Beitrag zum Thema 'Eingriffsstaat und öffentliche Sicherheit' in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sich mit dem Aspekt möglicher Vollzugs- und Eingriffsverzichte. In einem ersten Schritt werden zunächst eingriffsorientierte politische Programme als Ausdruck symbolischer Politik charakterisiert, um das politisch-administrative System von gesellschaftlichem Druck zu entlasten. Gerade bei 'nicht lösbaren' Problemen können symbolische Problemlösungen im Hinblick auf die Ressourcenallokation eine vergleichsweise wirtschaftliche Lösung darstellen, solange sich eine Eingriffsverwaltung über den symbolischen ('als ob') Charakter ihres Eingriffshandelns im Klaren ist. Der zweite Schritt erörtert sodann die Mikroökonomisierung und den damit einher gehenden outputorientierten Legitimationsdruck der Eingriffsverwaltung. An dieser Stelle wird insbesondere auf den Produktansatz als konzeptionellen Kern aktueller Reformansätze zurückgegriffen. Der Verfasser führt in die Produktions- und Kostentheorie ein und verweist auf das Phänomen der verbundenen Produkte ('Kuppelprodukte'). Der dritte Schritt betrachtet abschließend die Mikropolitik des law enforcement, also die Spielräume, die sich daraus ergeben, dass eingriffsorientierte politische Programme oft nicht vollzugsgerecht, unpräzise, interpretationsbedürftig und - notwendigerweise - offen formuliert sind. (ICG2)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 438-442
"Der im Sommer 1995 im Auftrag des BMFSF veröffentlichte Bericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über 'sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum' bestätigt erneut internationale Erkenntnisse zur Prävalenz von Vergewaltigung in der Ehe: Die repräsentative Opferbefragung erhellt, dass annähernd 350.000 Frauen zwischen 20 und 59 Jahren im Zeitraum von 1987-1991 von ihrem im gleichen Haushalt lebenden Ehemann vergewaltigt wurden. Dennoch gibt es in der BRD im Unterschied zu anderen europäischen und aussereuropäischen Staaten - trotz einer seit 1968 geführten Pönalisierungsdiskussion - den Straftatbestand der Vergewaltigung innerhalb der Ehe nicht. Der Mai 1996 durch den Rechtsausschuss des Bundestages gebilligte jüngste Gesetzesentwurf der Fraktionen der Bonner Regierungskoalition sieht nun zwar eine Bestrafung auch des Ehemannes vor, dies jedoch im Unterschied zur ausserehelichen Vergewaltigung mit einem irreversiblen 'Widerspruchsrecht' des Opfers bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung. Das vorläufige Ergebnis der über zwanzigjährigen Auseinandersetzungen über den Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Ehefrauen im Horizont von Gleichheits- und Gleichbehandlungsdiskursen lässt sich als Interessenvermittlungsprozess abbilden, in welchem im Rahmen von sich verschiebenden Kräfteverhältnissen und Koalitionen heterogene politische und wissenschaftliche Funktionseliten einerseits, soziale Bewegungen und eine medial vermittelte Öffentlichkeit andererseits das verhandelte Phänomen (re-)definieren und (re-)normieren. Die Rekonstruktion von Kontinuität und Wandel der Argumentationsfiguren und -strategien für und gegen eine Pönalisierung sowie die spezifische Verschränkung von Responsivität und Immunisierung gegenüber den jeweiligen Konzeptionen von Gewalt und Sexualität bei der Implementierung an dieser Schnittstelle von Öffentlichkeit und Privatheit fokussiert den analytischen Blick auf die geschlechter- und somit gesellschaftspolitischen Dimensionen des Reformprozesses." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5729-5736
"Jüngere Entwicklungen wie der Aufstieg der institutionellen Investoren, die Ausweitung des Marktes für Unternehmenskontrolle sowie die allmähliche Auflösung der Kapital- und Personalnetzwerke der 'Deutschland AG' lassen sich als Hinweise interpretieren, dass sich das deutsche Corporate Governance-Modell auf das amerikanische Shareholder-Modell zubewegt. Auch auf unternehmensrechtlicher Ebene sind unter Rot-Grün im Zuge der Corporate Governance-Reformen die Weichen für eine Erweiterung von Aktionärsrechten gestellt worden. Während die bisherige Literatur den Wandel des Gesellschaftsrechts vornehmlich auf der legislativen Ebene analysiert, schlägt der Verfasser in seinem Vortrag eine Erweiterung des Blickwinkels auf das Zusammenspiel von Gesetzgebung, Rechtssprechung und Rechtsdogmatik vor. Im Rahmen eines Vergleiches zwischen Deutschland und den USA untersucht er, inwieweit sich die Inhalte (und Begründungskonzepte) gesellschaftsrechtlicher Schlüsselkategorien im Verlauf der letzten 30 Jahre verändert haben. Vor allem in den USA hat sich unter dem Einfluss der ökonomischen Agency-Theorie der Begriff der Aktiengesellschaft von entitätstheoretischen Konzeptionen zur aktionärszentrierten 'nexus of contracts'-Doktrin verschoben. Parallel hierzu wurde die Geltungsgrundlage gesellschaftsrechtlicher Normen von materialen Gerechtigkeitsvorstellungen auf ein marktwertgetriebenes Effizienzparadigma umgestellt. Konzipiert man das Rechtssystem als soziales Handlungssystem, in dem die Vertreter unterschiedlicher Rechtsauffassungen um interpretative Hegemonie ringen, lässt sich rechtlicher Wandel als Reallokation interpretativer Autorität beschreiben. Die Liberalisierung der Finanzmärkte, die Veränderung der Eigentümerstrukturen und - im Falle Deutschlands - der Privatisierungsdruck auf die Rentensysteme dienen den Kontraktualisten als Opportunitätsstruktur, um die Vertreter der herrschenden Lehre zu diskreditieren und aktionärsgetriebenen Rechtsvorstellungen zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Nachdem Law & Economics in den USA weitgehend etabliert worden ist, wird diese Lehre über epistemische Netzwerke und die Veränderung juristischer Karrierestrukturen allmählich auch nach Deutschland (und andere Länder) importiert." (Autorenreferat)
"This article focuses, from the vantage point of modernization theory, on the reforms of the Code of Social Law II (Sozialgesetzbuch II) in Germany. Its argumentation is based on the historico-genetic theory. The argument is that the reforms of SGB II in the year 2005 implement a structural change within social policy that is based on the loss of autonomy of its subjects and reproduce the 'theoreme of the poverty trap' (Armutsfallentheorem), which has already been refuted empirically. The new dimension of social policy lies in a downsizing of autonomy based on a cut of planning horizons and of individual rights as well as on a reinforced connection of employment and food. The possibility of autonomous action gets lost. That means that the constitutive condition of social policy, the idea that people shape their own lives, is undermined and social policy is regressing behind the functional achievements of modernity. The argumentation is based on a semantic analysis of the reforms within two functional systems of society, law and politics." (Author's abstract, IAB-Doku) ((en))
Der Beitrag beschreibt die Veränderung des föderalen und demokratischen Systems Russlands. Der Schwerpunkt der von Präsident Putin angekündigten Reformen ist die Abschaffung der Volkswahl der Gouverneure und ihre Bestimmung durch die Exekutive in Moskau, d.h. durch den Präsidenten. Weiterhin werden auch die Elemente des Mehrheitswahlrechts im Wahlsystem entfernt, um über ein reines Verhältniswahlrecht zu verhindern, dass populäre Einzelkandidaten in die Duma einziehen können. Schon in den 1990er Jahren, insbesondere aber seit dem Amtsantritt von Präsident Putin, zeigt der Umgang mit dem in der Verfassung festgelegten Postulaten "Demokratie" und "Rechtsstaat", dass das Recht für die Politik instrumentalisiert wird und nicht das Recht über den Staat, sondern der Staat über das Recht herrscht. Die "rule of law" bleibt Theorie. Der die 1990er Jahre bestimmende umfassende Import von Rechtsideen und Rechtsnormen aus dem Ausland hat insgesamt an der Oberfläche wohl zu einer Öffnung und Änderung des Verfassungsrechtssystems, nicht aber zu einer Kehrtwende in dem Verständnis von der Bedeutung des Rechts für die Gestaltung - und auch Begrenzung - des politischen Prozesses geführt. (ICA2)
Vor genau vierzig Jahren wurde die italienische Verfassung verabschiedet. Seit zehn Jahren findet in Italien eine intensive Debatte über ihre Reform statt. Zentrale Institute und Institutionen wie das Wahlrecht, das Parlament und die Regierung sollen reformiert werden, um das politische System effizienter zu machen. Eine unvoreingenommene Analyse der italienischen Demokratie zeigt jedoch, daß diese weder unregierbar ist, noch einen Vergleich mit den anderen Demokratien des Westens zu scheuen braucht. Aus dieser Perspektive läßt sich die verfassungspolitische Debatte eher als ein Akt symbolischer Politik deuten, denn als ein notwendig gewordenes Reformunterfangen zur "Rettung der italienischen Demokratie".
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 3844-3854
"Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 'Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen' bearbeitet das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS derzeit ein Forschungsprojekt zum Thema 'Erben in der Schweiz'. Das Projekt konzentriert sich auf folgende Fragen: Welchen Umfang haben Erbschaften in der Schweiz, und aus welchen Motiven wird vererbt? Welchen Stellenwert haben vorgezogene Erbschaften oder Schenkungen zu Lebzeiten innerhalb der Vermögenstransfers zwischen den Generationen? Welche sozio-ökonomischen Auswirkungen ergeben sich dadurch? Entspricht das Erbrecht den Realitäten des Erbens? Gibt es Reform bedarf bei der Erbregelung oder bei der Erbschaftsbesteuerung? Es werden unterschiedliche Datenquellen ausgewertet: Eine Bevölkerungsbefragung soll Informationen über Erbschaftserfahrungen, Erbschaftserwartungen und Einschätzungen zum Thema 'Erben' liefern. Die Steuerstatistiken des Kantons Zürich ermöglichen es abzuschätzen, wie groß das Erbschaftsvolumen ist. Eine vertiefte Analyse von Steuerinventaren, die bei Todesfällen im Kanton Zürich erstellt werden, erhellen die Zusammenhänge zwischen ErblasserInnen, Erbenden und Erbschaften. Im Rahmen der Ad-hoc-Gruppe kann über erste empirische Ergebnisse berichtet werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der ersten Welle der Bevölkerungsbefragung und der Auswertung der Datenbank und den Dossiers der kantonalzürcherischen Steuerbehörden. Dabei können die sozio-ökonomischen Charakteristiken von ErblasserInnen und Erbenden näher ausgeleuchtet werden. Anhand der Steuerdossiers werden interessante Erbkonstellationen vertieft untersucht: a) Fälle mit ungleichen Erbschaften unter Kindern, b) Erbschaftsfälle ohne Pflichterben, c) Erbschaftsfälle mit un-verheirateten LebenspartnerInnen als Erbenden und d) Erbschaftsfälle mit früheren lebzeitigen Zuwendungen." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5773-5784
"Behindertenpolitik bedarf wie jede nicht universalistische sozialpolitische Intervention einer Normierung sozialer Tatbestände. Wie die große Variation der Definitionen und Klassifikationen von Behinderung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zeigt, ist diese Normierung aber keineswegs natürlich und Behinderung letztlich das, was politische Akteure als Behinderung definieren (vgl. Hahn 1985). Selbst innerhalb der Staaten existieren differenziert nach Hilfeleistungen und Rechten unterschiedliche Definitionen, welche die Grenze zwischen behinderten und nicht-behinderten Personen ziehen und auf verschiedene Modelle von Behinderung Bezug nehmen. Die große Pluralität der Definitionen sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb der Staaten ist aber nicht beliebig. Während kompensationsorientierte Leistungen nach wie vor meist auf der Basis von restriktiven Definitionen vergeben werden, die sich am medizinischen Modell von Behinderung orientieren, verwenden sowohl Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation als auch Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze in der Regel breiter angelegte Definitionen (vgl. Europäische Kommission 2002). Insbesondere bei letzteren ist dies auch zwingend notwendig, da sich Diskriminierungen potenziell auch auf Personen erstrecken können, bei denen andere eine Behinderung vermuten oder die in Kontakt zu behinderten Menschen stehen. Innerhalb der Vielfalt der internationalen Definitionen dient für nationale Politikgestaltung die Klassifikation der WHO, die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) neben dem sozialen Modell von Behinderung als ein Orientierungspunkt. Am Beispiel von Dänemark, Großbritannien und Deutschland wird überprüft, wie sich die Definitionen in den verschiedenen behindertenpolitischen Bereichen seit Beginn der neunziger Jahre verändert haben und in welchen dieser Bereiche sich die politischen Akteure bei den Reformen an der ICF orientiert haben." (Autorenreferat)
In: Materialien aus der soziologischen Forschung: Verhandlungen des 18. Deutschen Soziologentages vom 28. September bis 1. Oktober 1976 in Bielefeld, S. 778-784
Das Kapitel widmet sich drei Schwerpunkten zur Teilhabe auf Grundsicherungsniveau. Es werden individuelle zeitliche Muster des SGB-II-Bezugs typisiert und Erwerbskonstellation von Paaren vor und nach dem Bezug betrachtet. Auch der Einfluss von Betriebswechseln bei erwerbstätigen Beziehenden wird untersucht: Meist sind sie mit einem höheren Stundenlohn verbunden, aber nicht jeder mündet in stabile Beschäftigung. Ferner werden Teilhabewirkungen des SGB II in den Blick genommen. Leistungsbeziehende leiden unter einer Teilhabelücke, die sich in den letzten Jahren aber verkleinert zu haben scheint. Analysen qualitativer Längsschnittdaten zeigen zudem, dass trotz dieses Trends Teilgruppen mit verschlechterten Lebensbedingungen und weiterhin großem "Leidensdruck" bestehen.