Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände spielen in Deutschland nicht nur bei der Lohnfindung, sondern auch in sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Fragen eine wichtige Rolle. Während die Mehrheit der Firmen in Arbeitgeberverbänden organisiert ist, sind weniger als ein Viertel der Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft. Beide Sozialpartner haben große Probleme, neue Mitglieder zu gewinnen und bestehende zu halten. Ihre Organisationsgrade weisen ebenso rückläufige Tendenz auf wie die Tarifbindung. Trotz dieser Erosion sind tarifvertragliche Regelungen immer noch direkt oder indirekt für fünf von sechs Beschäftigten von Bedeutung, da (Flächen-)Tarifverträge auch für nicht formal tarifgebundene Unternehmen einen wichtigen Anker der Lohnsetzung darstellen. Empirische Studien zeigen, dass die Tarifvertragsparteien und die kollektive Lohnfindung einen signifikanten Einfluss auf die effektiv gezahlten Löhne aufweisen. Meldungen über eine abnehmende Tariftreue und eine Verbandsabstinenz der Unternehmen deuten jedoch darauf hin, dass die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien mehr und mehr bedroht ist. ; In Germany, trade unions and employers associations play a role not only in wage determination but also in social affairs and labour law. While the majority of firms are organized in employers associations, less than one quarter of employees are members of a trade union. Both social partners have severe problems in recruiting and keeping members. Union and employer densities as well as bargaining coverage are falling. Despite this erosion, collective agreements are still relevant for five out of six employees because they constitute an anchor of wage setting even for those firms that are not formally bound by collective agreements. Empirical studies show that the social partners and collective bargaining exert a significant effect on wages. There are signs, however, that the power and influence of the social partners is more and more endangered.
Das Ziel des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns besteht darin, "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen" (Bundesregierung 2014, S. S1). Seine Einführung zum 1. Januar 2015 war deshalb notwendig, weil die in Deutschland lange Zeit dominierende Form der Bestimmung von Mindestlöhnen durch Tarifverträge in wachsenden Bereichen der Wirtschaft nicht mehr funktioniert hat, sodass viele Beschäftigte ohne jegliche Mindestlohnsicherung auskommen mussten. Die Kehrseite der seit Mitte der 1990er Jahre anhaltenden Erosion der Tarifbindung war deshalb die Herausbildung eines der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Heute bildet der gesetzliche Mindestlohn ein komplementäres Element der Lohnsetzung in Deutschland, das den traditionellen Modus der Lohnfindung durch Tarifverhandlungen ergänzt. Fünf Jahre nach seiner Einführung fällt die Bilanz des gesetzlichen Mindestlohns nach wie vor eher gemischt aus. Auf der einen Seite hat der Mindestlohn tatsächlich dazu geführt, dass die Löhne von Millionen Beschäftigten angehoben worden sind und damit ihre Einkommenssituation merklich verbessert wurde. Durch die dadurch gesteigerte Nachfrage des privaten Konsums hat der Mindestlohn auch zu einer insgesamt dynamischeren Wirtschaftsentwicklung beigetragen, auch wenn seine makroökonomischen Auswirkungen eher begrenzt blieben, weil er nur einen kleinen Teil der gesamtwirtschaftlichen Lohnsumme berührt (Herr et al. 2018). Befürchtungen hinsichtlich möglicher negativer Konsequenzen des Mindestlohns für die Beschäftigung haben sich hingegen nicht bestätigt. Seit Einführung des Mindestlohns hat das Beschäftigungsniveau in Deutschland vielmehr permanent zugenommen und die Arbeitslosigkeit ist kontinuierlich zurückgegangen. Erst durch den externen Schock der Corona-Pandemie wurde diese Entwicklung abrupt abgebrochen. Dass die Bilanz des Mindestlohns trotzdem eher gemischt ausfällt, liegt vor allem daran, dass er bis heute sein grundlegendes Versprechen eines existenzsichernden Lohnniveaus für alle Beschäftigten nicht hat einlösen können (s. a. Herzog-Stein et al. 2018). Hinzu kommt, dass es nach wie vor viele Unternehmen gibt, die ihren Beschäftigten selbst den geringen Mindestlohnbetrag vorenthalten. Vor diesem Hintergrund wird seit einiger Zeit zu Recht die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des deutschen Mindestlohnregimes diskutiert, die eine deutliche Anhebung des Mindestlohns auf das Niveau eines existenzsichernden "Living Wage" und eine verbesserte Umsetzung und Kontrolle vor Ort umfasst. Im Mittelpunkt der Debatte steht dabei die Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde (Schulten/Pusch 2019). Dieser würde in etwa 60 % des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten entsprechen und damit dem Wert, der derzeit innerhalb der Europäischen Union als Benchmark für eine europäische Mindestlohnpolitik diskutiert wird (Müller/Schulten 2020).
This study seeks to explain unemployment patterns in western European countries prior to the Great Recession. Criticising the standard view that good unemployment performance is primarily due to liberal labour market institutions, the argument advanced here is that different unemployment trajectories can be explained by the different ability or willingness of policymakers in the countries, at different points in time, to influence two key variables: nominal aggregate demand and nominal wages. In a mixture of theoretical and empirical analysis, the scope for, the constraints on, and the institutional and structural prerequisites for policymakers to exert influence on nominal output and wages are identified. Time series analysis suggests that countries that ensure or experience relatively stable growth of nominal output or demand and (less so) wage variables enjoy better labour market performance (especially since 1981). On the other hand, given demand/output volatility, an adaptive wage strategy might be desirable. A fuzzy set qualitative comparative analysis (fsQCA) is conducted for OECD countries for three twelve-year periods: 1970-1981, 1982-1993 and 1994-2005. Main findings include: Coordinated collective wage bargaining and flexible labour market institutions constitute functional equivalents. The former performed better in the first two periods, the latter in the third period. In the anti-inflationary struggle characterising the second period, there is strong evidence that a lack of collective wage setting was associated with particularly poor labour market performance, and somewhat weaker evidence that its presence helped deliver relatively good performance. From a longitudinal perspective monetary policies oriented towards employment are closely associated with favourable unemployment trends; cross-sectionally the picture is more complex, however. In most specifications counter-cyclical fiscal or monetary policies to stabilise demand prove favourable to labour market outcomes. Almost no systematic relationship between labour market performance and the degree of openness of an economy was found. Overall the findings of this analysis suggest that the existing literature has unjustifiably focused, in a one-sided manner, on the importance of liberal labour market institutions, while it has underplayed the role for both employment-oriented macroeconomic policies and coordinated wage-setting. ; Diese Studie unternimmt den Versuch, die Entwicklung der Arbeitslosenquoten in den westeuropäischen Ländern bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu erklären. Die Standardsicht, dass eine niedrige Arbeitslosenquote vor allem Resultat liberaler Arbeitsmarktinstitutionen ist, wird kritisiert. Es wird argumentiert, dass unterschiedliche Verläufe von Arbeitslosigkeit durch (auch zeitliche) Unterschiede in der strukturellen Fähigkeit oder Bereitschaft der Politiker bestimmt sind, zwei Variablen zu beeinflussen: die nominelle aggregierte Nachfrage und die Nominallöhne. In einem Mix aus theoretischer und empirischer Analyse werden Ausmaß, Grenzen und institutionelle Vorbedingungen einer politischen Beeinflussung des Entwicklungspfads dieser Variablen dargestellt. Zeitreihenanalysen legen nahe, dass Länder, in denen nominaler Output oder die Nachfrage - in geringerem Maße die Löhne - relativ stabil wachsen (vor allem seit 1981) eine erfolgreichere Arbeitsmarktentwicklung vorweisen können. Andererseits, geht man von gegebenen Schwankungen von Output/Nachfrage aus, dann könnte auch eine adaptive Lohnstrategie wünschenswert sein. Es wird eine "fuzzy set qualitative comparative analysis (fsQCA) für OECD-Länder für drei Perioden (1970-1981, 1982-1993 und 1994-2005) durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Koordinierte, kollektive Lohnverhandlungen und flexible Arbeitsmarktinstitutionen, wie hier dargestellt, sind funktionale Äquivalente. In den ersten zwei Perioden war die Performanz des Ersteren, in der dritten Periode des Letzteren überlegen. Im anti-inflationären Kampf, der die zweite Zeitspanne prägt, zeigt sich, dass nur schwach koordinierte kollektive Lohnsetzung mit besonders schwachen Entwicklungen auf den nationalen Arbeitsmärkten einherging. Etwas weniger deutlich sind die Hinweise darauf, dass die Existenz von koordinierten kollektiven Verhandlungssystemen zu relativ guten Arbeitsmarktentwicklungen in dieser Periode beigetragen hat. Aus der Längsschnittperspektive ist eine beschäftigungsorientierte Geldpolitik eng verbunden mit positiven Arbeitslosigkeitstrends. Von einer Querschnittsperspektive betrachtet, ist die Erklärung über die Geldpolitik allerdings komplexer. In den meisten Spezifikationen tragen eine antizyklische Fiskal- und Geldpolitik mit dem Ziel der Nachfragestabilisierung dazu bei, die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Kaum eine systematische Beziehung wird zwischen Arbeitsmarktentwicklungen und dem Grad der Offenheit einer Volkswirtschaft gefunden. Insgesamt legen die Resultate nahe, dass in der bisherigen Literatur ein ungerechtfertigter, einseitiger Fokus auf liberale Arbeitsmarktinstitutionen gelegt wird. So wurde die Bedeutung beschäftigungsorientierter makroökonomischer Politik und koordinierter Lohnsetzung heruntergespielt.
This study seeks to explain unemployment patterns in western European countries prior to the Great Recession. Criticising the standard view that good unemployment performance is primarily due to liberal labour market institutions, the argument advanced here is that different unemployment trajectories can be explained by the different ability or willingness of policymakers in the countries, at different points in time, to influence two key variables: nominal aggregate demand and nominal wages. In a mixture of theoretical and empirical analysis, the scope for, the constraints on, and the institutional and structural prerequisites for policymakers to exert influence on nominal output and wages are identified. Time series analysis suggests that countries that ensure or experience relatively stable growth of nominal output or demand and (less so) wage variables enjoy better labour market performance (especially since 1981). On the other hand, given demand/output volatility, an adaptive wage strategy might be desirable. A fuzzy set qualitative comparative analysis (fsQCA) is conducted for OECD countries for three twelve-year periods: 1970-1981, 1982-1993 and 1994-2005. Main findings include: Coordinated collective wage bargaining and flexible labour market institutions constitute functional equivalents. The former performed better in the first two periods, the latter in the third period. In the anti-inflationary struggle characterising the second period, there is strong evidence that a lack of collective wage setting was associated with particularly poor labour market performance, and somewhat weaker evidence that its presence helped deliver relatively good performance. From a longitudinal perspective monetary policies oriented towards employment are closely associated with favourable unemployment trends; cross-sectionally the picture is more complex, however. In most specifications counter-cyclical fiscal or monetary policies to stabilise demand prove favourable to labour market outcomes. Almost no systematic relationship between labour market performance and the degree of openness of an economy was found. Overall the findings of this analysis suggest that the existing literature has unjustifiably focused, in a one-sided manner, on the importance of liberal labour market institutions, while it has underplayed the role for both employment-oriented macroeconomic policies and coordinated wage-setting. ; Diese Studie unternimmt den Versuch, die Entwicklung der Arbeitslosenquoten in den westeuropäischen Ländern bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu erklären. Die Standardsicht, dass eine niedrige Arbeitslosenquote vor allem Resultat liberaler Arbeitsmarktinstitutionen ist, wird kritisiert. Es wird argumentiert, dass unterschiedliche Verläufe von Arbeitslosigkeit durch (auch zeitliche) Unterschiede in der strukturellen Fähigkeit oder Bereitschaft der Politiker bestimmt sind, zwei Variablen zu beeinflussen: die nominelle aggregierte Nachfrage und die Nominallöhne. In einem Mix aus theoretischer und empirischer Analyse werden Ausmaß, Grenzen und institutionelle Vorbedingungen einer politischen Beeinflussung des Entwicklungspfads dieser Variablen dargestellt. Zeitreihenanalysen legen nahe, dass Länder, in denen nominaler Output oder die Nachfrage - in geringerem Maße die Löhne - relativ stabil wachsen (vor allem seit 1981) eine erfolgreichere Arbeitsmarktentwicklung vorweisen können. Andererseits, geht man von gegebenen Schwankungen von Output/Nachfrage aus, dann könnte auch eine adaptive Lohnstrategie wünschenswert sein. Es wird eine "fuzzy set qualitative comparative analysis (fsQCA) für OECD-Länder für drei Perioden (1970-1981, 1982-1993 und 1994-2005) durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Koordinierte, kollektive Lohnverhandlungen und flexible Arbeitsmarktinstitutionen, wie hier dargestellt, sind funktionale Äquivalente. In den ersten zwei Perioden war die Performanz des Ersteren, in der dritten Periode des Letzteren überlegen. Im anti-inflationären Kampf, der die zweite Zeitspanne prägt, zeigt sich, dass nur schwach koordinierte kollektive Lohnsetzung mit besonders schwachen Entwicklungen auf den nationalen Arbeitsmärkten einherging. Etwas weniger deutlich sind die Hinweise darauf, dass die Existenz von koordinierten kollektiven Verhandlungssystemen zu relativ guten Arbeitsmarktentwicklungen in dieser Periode beigetragen hat. Aus der Längsschnittperspektive ist eine beschäftigungsorientierte Geldpolitik eng verbunden mit positiven Arbeitslosigkeitstrends. Von einer Querschnittsperspektive betrachtet, ist die Erklärung über die Geldpolitik allerdings komplexer. In den meisten Spezifikationen tragen eine antizyklische Fiskal- und Geldpolitik mit dem Ziel der Nachfragestabilisierung dazu bei, die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Kaum eine systematische Beziehung wird zwischen Arbeitsmarktentwicklungen und dem Grad der Offenheit einer Volkswirtschaft gefunden. Insgesamt legen die Resultate nahe, dass in der bisherigen Literatur ein ungerechtfertigter, einseitiger Fokus auf liberale Arbeitsmarktinstitutionen gelegt wird. So wurde die Bedeutung beschäftigungsorientierter makroökonomischer Politik und koordinierter Lohnsetzung heruntergespielt.
In Folge der Osterweiterung der europäischen Union (EU) und der steigenden Arbeitsmarktintegration zwischen den EU15 und den neuen Mitgliedsstaaten ist die Lohnfindung in Mittel- und Osteuropa zu einem Schwerpunkt der europäischer Wirtschaftspolitik geworden. Zugleich wird das optimale Wechselkursregime für mittel- und osteuropäische Staaten kontrovers diskutiert. Die Dissertation befasst sich mit der Fragestellung, welche Wechselkursstrategie in Mittel- und Osteuropa vorzuziehen ist, um zum einen den Lohnfindungsprozess zu optimieren und zum anderen den Anpassungsprozess (Konvergenzprozess) an europäische Lohnstandards zu beschleunigen. Diese kumulierte Arbeit besteht aus vier unabhängigen Fachaufsätzen. Zuerst wird der Frage nachgegangen, welche Wechselkursstrategie einen optimalen Rahmen für die Lohnsetzung während des Aufholprozesses mittel- und osteuropäischer Staaten ermöglicht (Kapitel zwei). Im Kapitel drei wird die Rolle der Geldpolitik in Bezug auf die Lohnfindung in Staaten mit flexiblen Wechselkursen untersucht. Die Evaluierung der Prognosefähigkeit alternativer Konjunkturindikatoren für die Euro Zone sowie deren Implikationen für den Lohnverhandlungsprozess in Mittel-und Osteuropa ist Gegenstand der Analyse in Kapitel vier. Im fünften Kapitel wird der Rolle der Lohnpolitik auf Leistungsbilanz(un)gleichgewichte in Mittel- und Osteuropa nachgegangen. ; After the Eastern enlargement of the European Union (EU) and increasing participation of labor between the EU15 and the new member states, wage determination in Central and Eastern Europe (CEE) has become a key issue in European economic policy making. At the same time there are controversial discussions regarding the appropriate exchange rate regime for the CEE countries. In this thesis it is examined which exchange rate strategy provides a more favorable framework for wage setting in CEE and leads to faster wage convergence in Europe. This thesis has four parts. First, it is analyzed which exchange rate strategy provides a more favorable framework for wage setting during the economic catch-up process of CEE (section two). Second, the role of monetary policy in wage determination in countries with flexible exchange rate regimes is examined in section three. Third, the predictive power of different euro area business cycle indicators is analyzed in section four. Fourth, the impact of wage determination on the balance of payments in CEE is scrutinized (section five).