Von der nationalen zur post-nationalen Konstellation
In: Transformationen des Staates?, S. 19-65
Der Beitrag rekonstruiert zunächst die westliche Geschichte der Verschmelzung von Staat und Nation im 19. Jahrhundert und beschreibt, wie sich die "nationale Konstellation" des modernen Nationalstaats herausbildet. Anschließend wird eine umfassende, aber integrierte Sichtweise der Entwicklung moderner Staatlichkeit vorgestellt. Damit werden einige der Herausforderungen umrissen, denen der Nationalstaat gegenwärtig gegenübersteht. Beschrieben werden die Transformationen des Staates in vier einander ergänzenden Dimensionen: Ressourcen, also die Kontrolle über die Gewaltmittel und die Steuern; Recht, also das Zuständigkeitsgefüge, die Normsetzung und das Gerichtssystem; Legitimität, also die demokratische Akzeptanz politischer Herrschaft durch die Beherrschten; und Wohlfahrt, also die Intervention zur Regelung von Märkten sowie die Umverteilung zum Erreichen sozialer Sicherheit. Im "Goldenen Zeitalter" des Staates war die vorherrschende Konfiguration der demokratischen Rechts- und Interventionsstaat (DRIS). In den vergangenen drei Jahrzehnten haben Globalisierung, Privatisierung und Individualisierung eine neue Dynamik in Gang gesetzt. Die Arbeitshypothese lautet: Die Staatskonstellation des Goldenen Zeitalters löst sich nicht einfach auf, sie zerfasert vielmehr. Vor uns liegt demnach ein Zeitalter der strukturellen Unsicherheit. Wandel mag zwar überall stattfinden, er ist jedoch nicht gleichgerichtet, sondern fällt zentrifugal und asymmetrisch aus. Die strukturellen Veränderungen von Staatlichkeit führen weder zu einem großen europäischen Regionalstaat noch zum Zerfall in viele Kleinstaaten und auch nicht zum Siegeszug des Minimalstaates bei weitgehend unregulierten Marktbeziehungen. (ICA2)