Die politische Soziologie faschistischer Bewegungen und die hermeneutische Analyse nationalsozialistischer Selbstdarstellungen
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: KZfSS, Band 34, Heft 3, S. 549-563
ISSN: 0023-2653
Im Hinblick auf historisch-soziologische Untersuchungen der national-sozialistischen Bewegung in Deutschland und faschistischer Bewegungen in anderen europäischen Ländern sind insbesondere in der Bundesrepublik gravierende Forschungslücken zu konstatieren. Empirische Analysen einer soziologisch orientierten Geschichtswissenschaft liegen nur vereinzelt vor. Neue Anregungen und Forschungsstimuli können von ausländischen Untersuchungen ausgehen. Der Beitrag befaßt sich mit zwei kürzlich erschienenen Werken (James M. Rhodes: The Hitler Movement. Stanford, Ca. 1980 und Stein Ugelvik Larsen/Bernt Hagtvet/Jan Petter Myklebust (Hrsg.): Who were the Fascists. Bergen/Oslo/Tromsö 1980). Die Studie von Rhodes versucht mit hermeneutischen Methoden nationalsozialistisches Gedankengut zu analysieren; dabei wird der Nationalsozialismus als "politische Religion" betrachtet. Im einzelnen werden Bücher, Reden, Tagebücher und Schlagzeilen des "Völkischen Beobachters" untersucht. Vor dem Hintergrund der hermeneutischen Untersuchungen macht der Autor den Versuch, zentrale Fragen zu beantworten (Wie setzte sich die Hitler-Bewegung zusammen? Wer waren die Wähler? Wie ist der Erfolg zu erklären? etc.). Die vorliegende Rezension merkt unter anderem kritisch an, daß der aktuelle Forschungsstand nicht angemessen berücksichtigt wird; zudem wird ein "Verzicht auf Methode und Kontextanalyse" bemängelt. Der Sammelband von Larsen et al. geht auf eine Konferenz zurück, die - unterstützt von der UNESCO - 1974 in Bergen stattfand. Die 44 Aufsätze zeigen einen inzwischen erfolgten Paradigmawechsel von der Schuld- zur Strukturfrage; statt geschichtsphilosophischen Kategorien herrschen inzwischen sozialwissenschaftliche Ansätze vor. Neben dem Nationalsozialismus werden faschistische Bewegungen in zahlreichen anderen Ländern behandelt. Die vorgestellten Arbeiten zeigen einen unbefangeneren Umgang mit dem Gegenstand und eine unbefangenere Verwendung soziologischer Verfahren; hier könnte die deutsche Forschung lernen. (JL)