Die ab 1939 verwirklichten "Großraum"-Pläne der Nationalsozialisten werden mittlerweile auch in der deutschen Zeitgeschichtsforschung als radikale Ausprägung antiliberaler Europakonzepte anerkannt.1 Diese überhaupt als eigenständige europäische Ideen innerhalb politisch konkurrierender Vorstellungen zu behandeln war noch vor zehn Jahren keineswegs gängige Forschungsmeinung. Wenig Aufmerksamkeit wird jedoch nach wie vor den Konzeptionen anderer faschistischer Regimes und Bewegungen zuteil. Diese gerieten im Zuge des Kriegsverlaufs in ein zunehmend konfliktbeladenes Verhältnis zur deutschen Hegemonialmacht, scheiterten gleichwohl weitgehend an der Realität der nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken. So steht eine grundlegende Untersuchung der groß angelegten Neuordnungspläne des faschistischen Italiens noch aus.2 In noch stärkerem Maße trifft dies für jene Faschismen im übrigen Europa zu, welche weder vor 1939/40 noch danach unter der deutschen Besatzung die Position eigenständiger Regimes erreichten. Gerade diese Bewegungen entwickelten aber trotz ihres politisch marginalen Einflusses eine beachtliche konzeptionelle Eigenständigkeit und Vielfalt.
Die meisten Experten stellen es als widersprüchlich dar, jemand könne zugleich wissenschaftliche Prinzipien und nationalsozialistisches Gedankengut in einem Werk von Rang vereinigen, da die Prinzipien eine rationale Grundlage besäßen, während sich das nationalsozialistische Gedankengut aus einer irrationalen Ideologie speise. Der hohe Respekt, den Rothackers Philosophie unter den Fachphilosophen genoss, war zweifellos ein wichtiger Grund dafür, dass Rothacker nach 1945 wieder in den universitären Dienst übernommen worden ist, um der Universität Bonn zu einem neu zu gewinnenden Ansehen zu verhelfen. Und das, obwohl gegen ihn weit mehr belastendes Material seiner nationalsozialistischen 'Einlassungen' vorgelegt wurde als gegen viele andere Professoren und Dozenten, die suspendiert wurden. Auch in den Jahren nach der nationalsozialistischen Herrschaft sind Rothacker zahlreiche Ehrungen zuteil geworden, wie Festschriften und andere Würdigungen. Diese Ehrenbezeugungen deuten darauf hin, dass man in Rothackers Philosophie genau das erfüllt sah, was die meisten Wissenschaftler an Ansprüchen an eine wissenschaftliche Arbeit stellen. Hier wären zu nennen: Originalität, Problemrelevanz, historischer Bezug, saubere Argumentation, Folgerichtigkeit, Objektivität, Wahrhaftigkeit und Allgemeinheit. Sollte sich also herausstellen, dass Rothackers Philosophie diese Kriterien erfüllt und zugleich ein ernst zu nehmender Beitrag zur Ausgestaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung ist, dann ist es nicht einfach so, als ließe sich nationalsozialistisches Schrifttum stets durch gewisse politische Begriffe und Platitüden – z.B. in Form von Lobpreisungen des Führers Hitler oder der nationalsozialistischen Bewegung – entlarven. Vielmehr wird man feststellen können, dass auch subtile, fein verwobene Argumente in die nationalsozialistische Ideenwelt hineinführen, und zwar nach weithin von der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptierten Maßstäben.
Mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933 vollzog sich nicht allein ein Systemwandel von der ersten demokratischen Republik des Deutschen Reiches zum totalitären Führerstaat, sie markierte zugleich die, auch im internationalen Kontext, einzigartige Ausrichtung der Politik am Konstrukt "Rasse". "Rasse", "Volkszugehörigkeit" und damit biologische Abstammung des Einzelnen bildeten die Termini, die Ausgangspunkt, aber auch Zielvorgabe aller Politikfelder im "Dritten Reich" prägten. Staatlich sanktioniert, entschieden "Erbgesundheit" und "Rassereinheit" über eine Förderung der als "wertvoll" Erachteten und, im Falle von diagnostizierter "Minderwertigkeit", über Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung unerwünschter Bevölkerungsgruppen. Zur Legitimation dieser staatlichen Ausgrenzungspolitik verwiesen die Nationalsozialisten auf die "gesicherten Erkenntnisse" einer bereits bestehenden Wissenschaft: der Rassenhygiene. Diese sich in den 1890ern als naturwissenschaftliche Lehre und sozialpolitische Bewegung formierende Disziplin zielte auf eine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen praktizierte staatliche Kontrolle über das generative Verhalten überindividueller Sozialstrukturen, in diesem Fall der Rasse, ab. Mit Berufung auf die Erkenntnisse der Vererbungswissenschaft (Genetik), stellten Rassenhygieniker die "Züchtung" bestimmter körperlicher und seelischer, als auf dem Weg der Fortpflanzung vererbbar betrachteter Eigenschaften – im Dienste einer umfassenden Optimierung des genetischen Bevölkerungsstandards – in das Zentrum ihrer Programmatik. Ziel der vorliegenden Dissertation ist weder eine Analyse der Genese der Rassenhygiene im "Dritten Reich" noch eine isolierte Darstellung der Rassenpolitik der Nationalsozialisten, sondern die Entwicklung der wechselseitigen Beeinflussung von Rassenhygiene und Rassenpolitik, um so eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Radikalisierung der Rassenpolitik geben zu können. Zugleich impliziert die genannte Zielsetzung, Akteure und Inhalte der Rassenhygiene in ihrer Beziehung zur staatlichen Rassenpolitik des "Dritten Reiches" zu untersuchen, Divergenzen und Parallelen aufzuzeigen sowie Art und Umfang der Funktionalität der Rassenhygiene für die nationalsozialistische Rassenpolitik zu analysieren. Ergänzend geht es darum, die Veränderungen der Rassenhygiene unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Politik, d.h. die Aufwertung dieser Disziplin und ihre Radikalisierung bzw. Ideologisierung einer systematischen Betrachtung zu unterziehen. Der Studie liegt der Anspruch zugrunde, die gegenseitige Instrumentalisierung von Rassenhygiene und Rassenpolitik zu beleuchten, um einen Beitrag sowohl zur Aufhellung der nationalsozialistischen Durchdringung der Wissenschaft wie zur Analyse der Gefährdung durch Inhumanität im Gewande scheinbarer Wissenschaftlichkeit zu leisten. Darüber hinaus soll mit dieser Dissertation ein Beitrag zur Kontroverse um die Zielgerichtetheit des Weges zu "Euthanasie" und "Endlösung der Judenfrage" geleistet werden.
Mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933 vollzog sich nicht allein ein Systemwandel von der ersten demokratischen Republik des Deutschen Reiches zum totalitären Führerstaat, sie markierte zugleich die, auch im internationalen Kontext, einzigartige Ausrichtung der Politik am Konstrukt "Rasse". "Rasse", "Volkszugehörigkeit" und damit biologische Abstammung des Einzelnen bildeten die Termini, die Ausgangspunkt, aber auch Zielvorgabe aller Politikfelder im "Dritten Reich" prägten. Staatlich sanktioniert, entschieden "Erbgesundheit" und "Rassereinheit" über eine Förderung der als "wertvoll" Erachteten und, im Falle von diagnostizierter "Minderwertigkeit", über Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung unerwünschter Bevölkerungsgruppen. Zur Legitimation dieser staatlichen Ausgrenzungspolitik verwiesen die Nationalsozialisten auf die "gesicherten Erkenntnisse" einer bereits bestehenden Wissenschaft: der Rassenhygiene. Diese sich in den 1890ern als naturwissenschaftliche Lehre und sozialpolitische Bewegung formierende Disziplin zielte auf eine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen praktizierte staatliche Kontrolle über das generative Verhalten überindividueller Sozialstrukturen, in diesem Fall der Rasse, ab. Mit Berufung auf die Erkenntnisse der Vererbungswissenschaft (Genetik), stellten Rassenhygieniker die "Züchtung" bestimmter körperlicher und seelischer, als auf dem Weg der Fortpflanzung vererbbar betrachteter Eigenschaften – im Dienste einer umfassenden Optimierung des genetischen Bevölkerungsstandards – in das Zentrum ihrer Programmatik. Ziel der vorliegenden Dissertation ist weder eine Analyse der Genese der Rassenhygiene im "Dritten Reich" noch eine isolierte Darstellung der Rassenpolitik der Nationalsozialisten, sondern die Entwicklung der wechselseitigen Beeinflussung von Rassenhygiene und Rassenpolitik, um so eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Radikalisierung der Rassenpolitik geben zu können. Zugleich impliziert die genannte Zielsetzung, Akteure und Inhalte der Rassenhygiene in ihrer Beziehung zur staatlichen Rassenpolitik des "Dritten Reiches" zu untersuchen, Divergenzen und Parallelen aufzuzeigen sowie Art und Umfang der Funktionalität der Rassenhygiene für die nationalsozialistische Rassenpolitik zu analysieren. Ergänzend geht es darum, die Veränderungen der Rassenhygiene unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Politik, d.h. die Aufwertung dieser Disziplin und ihre Radikalisierung bzw. Ideologisierung einer systematischen Betrachtung zu unterziehen. Der Studie liegt der Anspruch zugrunde, die gegenseitige Instrumentalisierung von Rassenhygiene und Rassenpolitik zu beleuchten, um einen Beitrag sowohl zur Aufhellung der nationalsozialistischen Durchdringung der Wissenschaft wie zur Analyse der Gefährdung durch Inhumanität im Gewande scheinbarer Wissenschaftlichkeit zu leisten. Darüber hinaus soll mit dieser Dissertation ein Beitrag zur Kontroverse um die Zielgerichtetheit des Weges zu "Euthanasie" und "Endlösung der Judenfrage" geleistet werden.
Die "Reichsfrauenführerin" Gertrud Scholtz-Klink – Zur Wirkung einer nationalsozialistischen Frauenkarriere in Verlauf, Retrospektive und Gegenwart Gertrud Scholtz-Klink war von 1934 bis 1945 die ranghöchste Frau des Nationalsozialismus. Wenngleich mit geringer politischer Entscheidungsbefugnis ausgestattet, unterlag ihr als "Reichsfrauenführerin" eine wesentliche Funktion: die Integration von Frauen in das nationalsozialistische System. Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine exemplarisch-biographische Analyse, die in drei verschiedenen Perspektiven – Verlauf, Retrospektive und Gegenwart – mit politiksoziologischen Fragestellungen die Wirkung Scholtz-Klinks illustriert. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage nach der vermeintlichen Harmlosigkeit, die das äußerliche Bild einer sozial-karitativen Arbeit der nationalsozialistischen Frauenorganisationen präsentiert. Zudem steht der Eklektizismus nationalsozialistischer Ideologie mit der Frage im Zentrum, welche linken und feministischen Fragmente von Scholtz-Klink aufgegriffen werden und wie diese der eigenen rechten politischen Agitation zugeführt sind. Die Untersuchung zum Verlauf ihrer Karriere, die sich auf ihre Reden und Zeitschriftenaufsätze als "Reichsfrauenführerin" stützt, verdeutlicht unter einem politiksoziologischen Blickwinkel Funktionsmechanismen, die das Nazi-Regimes zur Integration von Frauen entwickelt. Scholtz-Klink ruft Frauen kontinuierlich und penetrant zum Dienst an Familie und Volk auf und offeriert ihnen im Gegenzug die Zugehörigkeit zum nationalsozialistischen Volkskollektiv. In diesem Dienstaufruf agiert sie deutlich wahrnehmbar gegen drei politisch-ideologische Gefährdungen, die das Nazi-Regime zwecks Sicherung der Frauenloyalität ausmachen musste: 1.) sozialistische Ideen in Kreisen proletarischer Frauen, 2.) Emanzipationsansprüche bürgerlicher Frauen und 3.) die christliche Religionsbindung des Gros der Frauen. Die Untersuchung zur Retrospektive speist sich – im differenzierenden Abgleich zur entsprechenden zeithistorischen Forschung – aus Stellungnahmen, die Scholtz-Klink nach der faschistischen Diktatur in Deutschland über den Nationalsozialismus allgemein (u.a. Krieg und Genozid) und ihre Karriere darin insbesondere (u.a. nationalsozialistische Gleichschaltung der Frauenverbände) artikuliert. Neben anderem stellt ein umfangreiches Verhörprotokoll, das Teil ihrer sogenannten "Entnazifizierungsakte" ist, einen Fundus diesbezüglicher Aussagen dar. Der grundlegende Befund dieser Retrospektive lautet: Scholtz-Klink blendet Terror, Tod und Vernichtung der nationalsozialistischen Herrschaft in einer Weise aus, die in politisch-historischer Perspektive als exemplarisch für weite Teile der deutschen Bevölkerung gewertet werden kann: der Krieg wird als Schicksalsschlag begriffen, die eigene erfahrene Not (die der >arischengutenVorbild< Gertrud Scholtz-Klink verwiesen.
Der Aufstieg der Sudetendeutschen Heimatfront (SHF), später Sudetendeutschen Partei (SdP), zur bedeutendsten Partei der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei wurde in der historischen Forschung bislang nicht näher untersucht. Man verwies lediglich auf einige Faktoren, wie beispielsweise die Attraktivität der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland, die von den Deutschen empfundene Diskriminierung durch den tschechoslowakischen Staat oder die ablehnende Haltung gegenüber dem parlamentarischen System. Allerdings wurde dabei die Rolle der Partei als eigenständige politische Akteurin weitgehend ausgeblendet. Der Fokus dieser Publikation richtet sich auf die politische Kommunikation der sog. Henlein-Partei. Es wird untersucht, warum und mit welchen Mitteln der SdP nicht nur eine kurzfristige Mobilisierung der deutschsprachigen Bevölkerung, sondern eine längerfristige Wählerbindung gelang. Neben der Beleuchtung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation der Deutschen in der Tschechoslowakei sowie der Entwicklung und Struktur der Partei, erfolgt eine ausführliche Analyse des Kommunikationssystems, des Wahlkampfmanagements sowie der diskursiven Praktiken der selbsternannten politischen Interessensvertretung aller Sudetendeutschen.
Der Aufsatz berichtet über eine Untersuchung der Frage, in welchem Zusammenhang die Wählerrekrutierung der NSDAP mit dem Wahlverhalten vor 1918 steht und stellt sich dem Problem, welche Rolle den politischen Traditionen in Erklärungsansätzen des Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung zukommt. Der empirische Vergleich der Wahlergebnisse zwischen 1924 und 1932 mit denen im Kaiserreich zeigt, daß die NSDAP in erster Linie eine sozialstrukturell definierte Partei war. Für die Erfolge der Nationalsozialisten spielte die regionalspezifische Tradition, also ob eher liberal oder konservativ, keine entscheidende Rolle. Die regionale Streuung der NSDAP-Anteile geht vielmehr fast ausschließlich auf das Konto der Konfessionsverteilung und des Urbanisierungsgrades. Die Befunde widersprechen der Auffassung, die NSDAP habe die Liberalen beerbt. ; A virtual consensus prevailed over many decades that the Nazi constituency were overwhelmingly middle class. Postwar analysts explained the origins of Hitler's political breakthrough in terms of a radicalisation of the liberal milieu. During the last decades, however, it has become increasingly apparent that the National Socialist constituency at the end of Weimar was far more diverse than hitherto believed. However, no one doubts that the NSDAP owes its electoral success to the liberal voting tradition before 1914. In this article, I examine the electoral strength of National Socialism as a function of the social structure and the voting behaviour in the Kaiserreich. The empirical analysis shows that we are only in a slightly better position to forecast the Nazi Party's regional electoral performance if we know not only the social composition of the regional electorate but its voting traditions.
Überformen und überschreiben sind stets wiederkehrende Begriffe, wenn es darum geht dramaturgische und ästhetische Formen der NS-Massenspiele zu charakterisieren, während überbieten und die rhetorische Stilfigur der Hyperbole die politische Propaganda kennzeichnen. Joseph Goebbels Proklamation eines Theaters der Hunderttausend – mit der er sowohl Benito Mussolinis Aufruf zu einem Theater der Zwanzigtausend und Max Reinhardts Theater der Fünftausend überbietet – verdeutlicht gleichzeitig, dass ästhetische und gouvernementale Praktiken während der NS-Zeit nicht nebeneinander existieren, sondern zutiefst miteinander verschränkt sind. Der Frage nach der wechselseitigen Bezogenheit von Ästhetik und politischer Propaganda (S. 9) geht Evelyn Annuß denn auch in ihrer material- und detailreichen Studie zur Volksschule des Theaters konsequent nach. "Nationalsozialistische Massenspiele", so der Untertitel der Publikation, umfassen die zunächst von Goebbels unterstützten und später verworfenen Thingspiele, die von der Rosenberg-Fraktion favorisierte Landschaftsbühne bis hin zu den Festspielen im Rahmen der Olympiade 1936 und darüber hinaus. Annuß beschränkt ihre Studie jedoch nicht auf eine historische Untersuchung ästhetischer Formkonzepte und der damit einhergehenden Formprobleme, sondern verbindet diese mit einer umfassenden diskursanalytischen und mediengeschichtlichen Herangehensweise. Dadurch ergibt sich eine diachrone und synchrone Achse der Analyse, die das Phänomen der NS-Massenspiele zeitlich sowohl be- als entgrenzen. Konkret bedeutet dies, dass Annuß die (weitgehend) chronologisch geordneten Fallbeispiele einerseits dramaturgisch und formspezifisch untersucht und andererseits mit "Denkfiguren" konfrontiert, die diesen vorausgehen oder nachfolgen. So bilden im ersten Kapitel mit dem Titel "Regierungskünste" zwei Inszenierungen von Hanns Niedecken-Gebhard – das im Sommer 1933 inszenierte Stück Heilige Heimat in Ober-Ingelheim sowie Das Spiel von Job dem Deutschen im November 1933 in der Messehalle Köln – den Ausgangspunkt, um zentrale Konzepte des sich herausbildenden Massentheaters herauszuarbeiten. Unter dem Vorzeichen von Volkswerdung und Vergemeinschaftung kommt dem Chor als Kollektivfigur eine Schlüsselposition zu, der sich zugleich als Formproblem gegenüber der dramatischen personae einerseits und der Inszenierung der Führerinstanz andererseits erweist. Annuß verschränkt die dramaturgische und formspezifische Analyse, mit der sie etwa die Anlehnung an die historische Avantgarde, Expressionismus und Mysterienspiel (Reinhardt) aufzeigt oder die Liturgie als Formzitat verdeutlicht – mit einer Diskursanalyse, die die Anforderungen der Propaganda, die Vereinnahmung und Gleichschaltung von bestehenden Vereinskulturen wie Laienspiel sowie die AkteurInnen aus den Bereichen Theaterwissenschaft und Kultur berücksichtig. Daneben scheut sie nicht vor Exkursen zu zeitgenössischen TheatermacherInnen wie Einar Schleef oder Christoph Schlingensief zurück, um formspezifische Differenzen zu verdeutlichen. Bereits im ersten Kapitel zeichnen sich die grundlegenden Spannungslinien in Bezug auf die Formprinzipien der Massenspiele einerseits und das Verhältnis von Kunst und Propaganda/Politik andererseits ab: es geht hierbei insbesondere um das Verhältnis von Chor und Einzelfigur und um das Ausloten der Schnittstelle zwischen Fiktion und Politik. Wird mit den Inszenierungen von Niedecken-Gebhard Bewegung als zentrales Dispositiv von Massenspielen und Propaganda ausgewiesen, so kreisen die folgenden Kapitel um die Dispositive des Hörens im Zusammenhang mit dem Thingspiel und des Visuellen im Rahmen der Landschaftsbühne. Die "Okkupation des Hörraumes" (S. 85) zeichnet die Autorin auf der Grundlage der politischen Massenveranstaltungen anlässlich der 1. Maifeier 1933 sowie des Erntedankfestes am Bückeberg am 30. September 1934. Mit Rekursen auf Richard Wagners Meistersinger und Johann G. Fichtes "erziehungsstaatlich begründete Stimmmodell" (S. 87), wird die Mobilisierung der Massen durch die Führerstimme (S. 85) beziehungsweise die akustische Produktion von Erlebnisgemeinschaften verdeutlicht, die mit dem massiven Einsatz von Technik und der Möglichkeit von live-Übertragung über Radio einhergeht. In einer vergleichenden Darstellung kommunistischer Chorstücke, sozialdemokratischer Weihespiele und dem NS-Chorspiel rückt die "Okkupation der Vertikale" (S. 117) in den Blick, die sowohl auf die Inszenierung der Stimme (als Sound) als auch auf die Choreografie des Chores im Raum zutrifft. Gilt in den Anfangsjahren des nationalsozialistischen Regimes die propagandistische Aufmerksamkeit vor allem der affektiven Aktivierung des Publikums im Sinne der Volkswerdung, so steht die Entwicklung des Architekturtheaters und der Thingbühne im Zeichen der Disziplinierung. In den Blick rücken hierbei nicht nur die Allianz von Technik, Medien, Kulturbereich und Propaganda, sondern auch die Anschlussfähigkeit der sich etablierenden Theaterwissenschaft (S. 202) – mit Carl Niessen als einem der Protagonisten des Thing-Netzwerkes. Insofern sich bei Thingstätten szenischer Raum und Versammlungsraum geradezu programmatisch überschneiden, wird wiederum das Verhältnis von Fiktion und Politik virulent, hinsichtlich der Formproblematik jedoch vor allem die Allegorisierung der Einzelpersonen in den Thingspielen. Einen Ausweg bietet Lothar Müthel mit der Inszenierung von Der Weg ins Reich in Heidelberg (1935). Der Chor erhält hier Züge des Ornaments, die Volksgemeinschaft wird nicht durch Affizierung evoziert, sondern schuldet sich der Drohung, verkörpert durch die Gestaltung der Gegenseite als komische Figur, die es auszuschließen gilt. Hier zeichnet sich der Weg der Volkwerdung und Gefolgschaft im Sinne einer Politik der exklusiven Inklusion ab (S. 452). Lässt sich das Nationalsozialistische Thingprojekt mit Annuß als Labor und durchaus modernes Experimentierfeld politischer Kundgebung zur Produktion von Erlebnisgemeinschaften lesen, so trifft dies ebenso auf die Landschaftsbühne, das Konkurrenzproject der Rosenberg-Fraktion, zu. Entscheidend ist hierbei, dass das Landschaftstheater das Formproblem Chor und Allegorie über das Visuelle zu lösen versucht und hierbei bei der Wahrnehmungsregulierung des Films anknüpft. Als weiteres theatrales Mittel der Organisation der Perspektive erweist sich das Panoptikum, das Ende des 19. Jahrhunderts seine Konjunktur erlebte. Überraschend und zugleich bezeichnend ist hierbei, dass Annuß die durch das Panoptikum gewährleistete Produktion des Realitätseffekts nicht nur mit Roland Barthes, sondern auch durch die Linse der panoptischen Montagen von Yadegar Asisi (2013) liest. Das Projekt des NS-Massenspiels endet zwar nicht mit den Festspielen im Rahmen der Olympischen Spiele, findet hier jedoch mit dem Ornament der Masse, bei dem das Publikum sich selbst zum Schau- und Hörobjekt wird (S. 408), seine abschließende Transformation. Den sich stets wieder manifestierenden Formproblemen und Formlösungen und den damit einhergehenden Subjektivierungsangeboten geht Annuß präzise, geradezu unermüdlich und unterstützt durch umfangreiches Bildmaterial nach, ausgehend von den Stadionspielen über Architekturtheater und Thingbühne zu den Landschaftsbühnen und mit den Olympischen Spielen 1936 wieder zurück in die Stadien. Im Postscriptum formuliert Annuß: "Die Geschichte nationalsozialistischer Massenspiele und der Medienmigration theatraler Regierungskünste lässt sich nicht angemessen schreiben, ohne das Verhältnis von Propaganda und Lagern, von Massenkultur und Massenvernichtung zu adressieren und dabei auch unsere Praktiken des Erinnerns zu reflektieren." (S. 440) Obwohl Ausschlussmechanismen sowie die Inszenierung rassistischer Blut- und Bodenpropaganda immer wieder angesprochen werden, bleibt die explizite Reflexion des genannten Verhältnisses dem Postscriptum vorbehalten. Weder die Präfiguration der Lager noch der Massenvernichtung in und durch die Massenspielen und Massenspektakel an der Schnittstelle von ästhetischer und politischer Praxis kommt explizit zur Sprache. Das heißt nicht, dass die nationalsozialistische Exklusions- und Vernichtungspolitik der in diesem buchstäblich schweren Buch verhandelten Frage der NS-Massenspiele nicht eingeschrieben wäre. Doch gerade die minutiöse, detaillierte Analyse von ästhetischen Formfiguren in Verbindung mit Fragen der Subjektivierungsangeboten stellt die Möglichkeit in Aussicht, das Verhältnis von Propaganda und Lagern im Sinne der Präfiguration zu untersuchen. Eine der Fragen, die sich hierbei stellt, ist, inwiefern neben Mechanismen des Überschreibens, Überformens und Zitierens nicht auch Strategien der Aneignung und Auslöschung im Spiel sind. Die Fülle an Material, die permanente Verschiebung der analytischen Perspektive, das Sezieren der den Fallbeispielen eingeschriebenen Diskursen sowie ihrem Nachleben macht die Volksschule des Theaters zu keinem einfach lesbaren Buch, die gewählte Form des Schreibens ist aber letztlich konsequent im Sinne eines kritischen Subjektivierungsangebots im Prozess der Lektüre.
Die Arbeit untersucht die Rezeption der Kritischen Theorie und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit von der antiautoritären Fraktion der bundesdeutschen Studentenbewegung zu den K-Gruppen. Während die Theorien der Frankfurter Schule zu Beginn der Studentenbewegung großen Einfluss auf die Akteure der Bewegung haben und die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit eines der zentralen Themen der Proteste ist, verändert sich dies mit dem Höhepunkt und v.a. während der Zerfallsphase der Bewegung. Nun kommt es zu einer scharfen Abkehr und Abwehr von der Kritischen Theorie und aus der konkreten Auseinandersetzung mit der national-sozialistischen deutschen Vergangenheit wird ein pauschal und undifferenziert benutzter Faschismusbegriff. Aus Teilen der antiautoritären Bewegung werden spätestens mit der Konstitution der K-Gruppen autoritäre Kaderparteien. ; This work examines the reception of the critical theory and the discussion about the nationalsocialist german past from the antiautoritarian part of the german student movement to the so called K-Gruppen. It shows a development from an antiautoritarian movement to autoritarian cadre-partys.
Der Autor zeichnet aus Anlass des Todes von Irmgard Heydorn am 17.5.2017 ihren Lebensweg nach, der geprägt war vom Widerstand im Nationalsozialismus und ihrer beeindruckenden Aufklärungsarbeit nach dem Krieg bis zu ihrem Lebensende. Gemeinsam mit Trude Simonsohn war sie das über Frankfurt am Main hinausreichende Gesicht einer Zeugenschaft des Widerstands gegen nationalsozialistische Tendenzen und Bewegungen. (DIPF/Orig.)
Am 30. Juni 1934 ('Röhm-Putsch') versuchte die NS-Führung, sich auch des 'Fememörders' Paul Schulz zu entledigen, obwohl sie ihn nur wenige Jahre zuvor mit aufwändigen Kampagnen zum 'Helden' stilisiert hatte. Denn nachdem Schulz von einem republikanischen Gericht wegen Mordes an den 'Verrätern' in den Reihen der 'Schwarzen Reichswehr' zum Tode verurteilt worden war, wurde er 1927 vorzeitig in den 'Kult um die toten Helden' der nationalsozialistischen 'Bewegung' aufgenommen. 1930 jedoch wurde er amnestiert und musste als nun wieder lebendiger 'toter Held' in die NSDAP (re)integriert werden. Der Beitrag untersucht, wie von hier an der Schulz-Mythos ein bemerkenswertes, den Nationalsozialisten bedrohlich werdendes Eigenleben entwickelte. Das Interesse gilt im Folgenden vor allem zwei Aspekten: 1. den 'Femeprozessen' und der Frage, wem und aus welchen Gründen die vermeintliche Leiche ikonisch (1927) und politisch (1934) nützte. Sodann geht es 2. um die Charakteristika dieser Ikonisierung. Sie stehen auch im Mittelpunkt der anschließenden Analyse des Umgangs der Nationalsozialisten mit Schulz nach 1930, an dessen Ende der Beschluss zur Liquidierung von Mythos und Person stand. ; At the 30th of June 1934 ('Röhm-Putsch') the Nazi leaders also attempted to kill the 'Fememörder' Paul Schulz, although they had stylized him as a hero only several years before. After a startling criminal case in 1927, in which Paul Schulz had been sentenced to death due to the murder of 'betrayers' in the 'Schwarze Reichswehr' he was admitted - prior to his death - to a specific cult, which the Nazi 'movement' built around its 'dead heroes'. But in 1930 he was amnestied and had to be (re)integrated into the Nazi party - as a living 'dead hero'. This paper investigates the Schulz-myth, which - from that incident on - evolved into a remarkable life on its own, endangering the national socialists and their concept of 'martyrs'. Two aspects are in the focus of this investigation: 1. The 'Femeprozesse' and the questions who had an iconical (1927) and political (1934) interest in the corpse; furthermore the reasons behind this interest. 2. The characteristics of that iconification of Schulz intended by the Nazi propaganda as well as the problems evocing due to Schulz' survival after 1930 - finally ending in the decision to liquidate both, myth and personality.
Das Häuflein Neonazis, das ca. zweimal jährlich Sinsheim heimsucht, beruft sich auf Sinsheim als eine "Stadt der Bewegung." Und bis zur Auflösung des Kreises wurde das Autokennzeichen SNH von Auswärtigen spöttisch mit "Sehnsucht nach Hitler" übersetzt. Aber waren Stadt und Amtsbezirk Sinsheim wirklich eine frühe und besonders starke Hochburg der Nationalsozialisten? Für die Zeit der Weimarer Republik und danach liegen über den Raum Sinsheim im Gegensatz zu den umliegenden Städten und fast allen Nachbargebieten nur sehr wenige Veröffentlichungen vor. Zwar gibt es für 39 der 45 Orte Ortschroniken, aber die Zwanziger Jahre und die anschließende NS-Zeit finden darin mit wenigen Ausnahmen nur summarisch Erwähnung als Notzeit nach Krieg und Weltwirtschaftskrise, sowie Ehrentafel der Gefallenen und Vermissten, allenfalls werden noch ein paar Wahlergebnisse angeführt.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Wahrnehmung der katholischen Kirche in Kärnten, insbesondere in der Zeit des so genannten "Christlichen Ständestaates" von 1933/34 bis 1938. Unter Bezugnahme auf die politischen und gesellschaftlichen Sonderentwicklungen in Kärnten wird zunächst auch die Haltung der Kärntner und Kärntnerinnen zur katholischen Kirche als Sonderfall beschrieben. Anhand einer Auswahl an empirischen Daten wird argumentiert, dass Kirchenbindung und Vertrauen in die Institution Kirche in Kärnten geringer ausgeprägt sind als in anderen österreichischen Bundesländern. Dieser Sachverhalt wird anhand einer regionalspezifischen, sozial geformten Persönlichkeitsstruktur erklärt, die in weiterer Folge als "Kärntner Habitus" bezeichnet und deren Genese als langfristiger Entwicklungsprozess im Kontext der Kärntner (Kirchen-)Geschichte geschildert wird.In einem weiteren Schritt wird die Wahrnehmung der katholischen Kirche in Kärnten im "Christlichen Ständestaat" untersucht. Der starke Zulauf, den die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten nicht zuletzt aufgrund der hohen Ablehnung des katholisch-autoritären Systems hatte, wird dabei als Folgewirkung der geschilderten Zusammenhänge gesehen. Eine Analyse von bislang noch unveröffentlichtem Archivmaterial, das den Umgang von Kärntner Klerikern mit der um sich greifenden Kirchenaustrittsbewegung im "Austrofaschismus" dokumentiert, ist Kernbestandteil dieses Abschnitts.Im dritten Teil der Arbeit werden die erörterten Zusammenhänge anhand ihres Niederschlags im kulturellen Gedächtnis Kärntens überprüft bzw. illustriert. Dazu werden sieben Erinnerungstraditionen vorgestellt, die sich vorrangig in der Zwischenkriegszeit nachhaltig ausgeformt haben. Anhand von Text- und Bildbeispielen aus Kunst, Literatur und Historiographie werden die einzelnen Facetten des Kärntner Habitus und die Rolle, die dieser für die Wahrnehmung der katholischen Kirche spielt, herausgearbeitet und anschließend zusammengefasst. ; This thesis focuses on the perception of the Catholic Church in Carinthia, especially during the era of the so-called "Christlichen Ständestaates" from 1933/34 to 1938. In consideration of the exceptional political and social developments in Carinthia, empirical data shows that affiliation to and confidence in the Catholic Church in Carinthia is lower than in other Austrian Estates. This issue is explained by a specific social structure of personality, a "Carinthian habitus", whose historical development is outlined in chapter one. In the second chapter, the attitude towards the Catholic Church in the austo-fascist era is examined. The refusal of the authoritarian catholic regime supporting the rise of the illegal national-socialist movement during these years is explained as the outcome of the analyzed historical interdependencies. An examination of so far unpublished archive material, in which Carinthian clergymen report their experiences with the apostate-movement during this period, is the core part of this chapter.In the third chapter, the outlined propositions are reviewed and illustrated by its manifestations in the cultural memory of Carinthia. Therefore, seven traditions of remembrance that mainly were formed in the interwar period are analyzed. Based on text and image samples from arts, literature, and historiography, the particular facets of the Carinthian habitus and his impact on the attitude towards the church are outlined and summarized. ; eingereicht von Mag. theol. Mag. rer.soc.oec. Johannes Thonhauser ; Abweichender Titel laut Übersetzung des Verfassers/der Verfasserin ; Karl-Franzens-Universität Graz, Dissertation, 2017 ; OeBB ; (VLID)2245966
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis - 7 1.Fragestellung - 5 Der Totalitarismus - 6 Die Totalitarismusforschung in der Politikwissenschaft - 9 Verschiedene Theorietypen der Totalitarismusforschung - 14 Aufbau der Untersuchung und Thesen - 20 Methode der Untersuchung und verwendete Literatur - 26 2.Eric Voegelin – ein "bekannter Unbekannter" - 33 3.Die Totalitarismustheorie Eric Voegelins - 47 3.1. Kommunistische und nationalsozialistische Ideologie als moderne Gnostizismen - 48 Totalitäre Massenbewegungen als "Politische Religionen" - 51 Die Gnosis - 63 Voegelins Einführung in die antiken gnostischen Bewegungen - 67 Die wissenschaftstheoretische Position Voegelins - 73 Wie überzeugend ist Voegelins Wissenschaftstheorie? - 83 Nationalsozialistische und kommunistische Ideologie als gnostische Denkgebäude - 87 Warum ist die Gnosis schlecht? - 100 3.2 Gnostische Massenbewegungen und allgemeiner Weltverlust - 105 Gnostische Massenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert - 106 Die Totalitarismusanfälligkeit der modernen Gesellschaften - 109 Anfälligkeit für den Totalitarismus I – Der Verlust des Ordnungswissens - 111 Anfälligkeit für den Totalitarismus II – Realitätsverlust und Mangel an "common sense" - 123 3.3. Totale Herrschaft als Radikalnegation der Menschlichkeit - 131 Eric Voegelins Haltung zum Nationalsozialismus - 131 Anfälligkeit für den Totalitarismus III – Das Versagen der Institutionen im Dritten Reich - 137 Der totalitäre Staat als Radikalnegation der Menschlichkeit - 143 3.4 Zusammenfassung der Totalitarismustheorie Eric Voegelins - 148 4\. Die Totalitarismustheorie Hannah Arendts - 152 4.1 Antisemitismus und Imperialismus als Elemente des Totalitarismus - 155 Der Nationalstaat als politisches Ordnungsprinzip - 159 Der Nationalstaat und das europäische Judentum - 165 Der frühe politische Antisemitismus - 167 Der späte politische oder sozialdemagogische Antisemitismus - 170 Der gesellschaftliche Antisemitismus - 176 Der Imperialismus - 183 Die politische Brisanz des Imperialismus - 190 4.2 Der Verfall des ...
Frühjahr 1934. Vorübergehend sieht es so aus, als kehrten im deutschen Reich wieder Ruhe und Ordnung ein: Hilfspolizei und "wilde" Konzentrationslager werden aufgelöst, mit der Wirtschaft geht es bergauf und ein Nichtangriffspakt mit Polen verheißt außenpolitische Stabilität. Das neue Regime hat sich konsolidiert; nun wird die revolutionäre "Bewegung" in rechtsstaatliche Bahnen gelenkt – so sieht es jedenfalls der "Reichsjuristenführer" Dr. Hans Frank. Am 20. März tönt seine Stimme landesweit durch die Volksempfänger: "Der Staat Adolf Hitlers … ist ein Rechtsstaat." Die Macht des Nationalsozialismus verwirkliche sich "ausschließlich in den Formen des Rechts"; sie strebe nach "Rechtssicherheit", "Rechtsschnelligkeit" und "Rechtsklarheit". Kurze Zeit später scheinen Frank Bedenken zu kommen: Im Sommer protestiert er gegen die verfahrenslose Erschießung Ernst Röhms und seiner Gefolgsleute. Die Hinrichtung von Parteigenossen der ersten Stunde passt nicht zum Bild eines völkischen Rechtsstaates. Roland Freisler sieht das anders. Selbstverständlich sei der nationalsozialistische Staat ein Rechtsstaat; man müsse diesen Begriff nur richtig deuten: nicht im Sinne eines Staates der "Shylockgerechtigkeit", in dem "das Formale… zur Zwangsjacke des Lebens" wird, sondern eines Staates des "richtigen", weil aus dem gesunden Volksempfinden geschöpften Rechts: "Ihm ist … Recht alles, was dem Volke dient und frommt" – auch Terror, Verfolgung und Mord. .