Wie können Freiheit und Widerstand innerhalb von Foucaults Theorie der Macht und Subjektivierung konzipiert werden? Der Autor liefert die erste systematische Rekonstruktion der sozialphilosophischen Debatte um Freiheit bei Foucault und eine neue Lösung für das Freiheitsproblem: Freiheit als die Fähigkeit zur reflexiven Kritik der eigenen Subjektivierung - kurz: Freiheit als Kritik - ist das Resultat von freiheitlicher Subjektivierung in politischen Institutionen. Der Band zeigt so die Konsequenzen von Foucaults Freiheitsdenken für die Demokratietheorie und die allgemeine sozialphilosophische Freiheitsdiskussion auf.
Die vorliegende Untersuchung widmet sich dem konservativ erscheinendem Widerstandverbot innerhalb der politischen Philosophie Baruch Spinozas. Dabei wird im Widerstandsverbot ein subversives Moment ausgemacht, welches den Wandel als die Grundlage des Staates und seinen Strukturen zeigt. In der Folge wird dargestellt, dass Spinoza den Widerstand und den Wandel in einer sehr spezifischen Weise denkt: Er richtet sich gegen die Gefahr, die von einer Regierung ausgeht, die gegen die eigenen Grundlagen der Souveränität handelt. Auf diese Weise tragen gehorsame Bürger*innen, wenn sei den Grundlagen der Souveränität gegenüber Gehorsam sind, zum Wandel bei, beziehungsweise ermöglichen diesen.
Die "phänomenologische Soziologie" zeichnet sich weder durch einen einheitlichen Forschungsansatz noch durch eine einheitliche Methode aus. Auch die Ansätze der Soziologie, die mehr oder weniger explizit ans Werk von Alfred Schütz anschließen, variieren stark. Der vorliegende Beitrag geht vom Standpunkt eines soziologischen Erkenntnisinteresses der Frage nach, wie sich Schütz' Analyse der Lebenswelt in den verschiedenen sozialphänomenologischen Ansätzen umsetzt. Die Beantwortung der Frage wird zunächst an zwei polar entgegengesetzten Positionen aufgerollt: Psathas' "phänomenologische Soziologie" als ein eigenständiges soziologisches Paradigma und anhand Luckmanns These, Phänomenologie und Soziologie seien zwei unterschiedliche Unternehmen. Weiterhin wird die Lebensweltanalyse mit zwei "Konkurrenzunternehmen" konfrontiert: der Rahmenanalyse von Erving Goffman und der Ethnomethodologie. (ICE)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 3715-3735
"Helmuth Plessners Begriff der 'exzentrischen Positionalität' ist wie kaum ein anderer geeignet, die Relevanz des gebauten und umbauten Raumes für die menschliche Sozialkonstitution in den Blick zu nehmen. Menschen sind körpergebundene Lebewesen, 'positional', grenzrealisierend wie Pflanzen und Tiere, aber - 'exzentrisch' situiert - sind sie miteinander gezwungen, ihre 'Grenzen' künstlich zu setzen und das darin errungene Gleichgewicht zu stabilisieren, zu symbolisieren. So wie sie sich als lebendige Körper in der 'Kleidung' voreinander disziplinieren und zugleich zur Erscheinung bringen, so im Kontroll- und Ausdruckscharakter ihrer 'schweren', 'trägen' Gebäude. Als exzentrisch positionierte Lebewesen können sie nahezu ubiquitär siedeln und müssen sich doch zugleich an einer je spezifischen Stelle niederlassen, verorten, bauen, bleiben (wie vorübergehend auch immer). Sie wohnen und gebrauchen diesen je markierten Raum, und zugleich kommunizieren sie im und durch den bebauten, damit beharrlichen Raum: schließen sich ab und andere ein (durch Fortifikation etc.) und räumen sich einander (auf öffentlichen Plätzen etc.) Raum zur Darstellung und Repräsentation ein, verhüllen und verschonen sich hinter Fassaden. Die leibphänomenologischen (Hermann Schmitz) bzw. leibästhesiologischen (Plessner) Befunde der philosophischen Anthropologie lassen beobachtbar werden, wie Menschen aus ihren positionalen Raumerfahrungen dieses 'schwere' Kommunikationsmedium der Architektur codieren (Innen/ Außen, Engung/ Weitung etc.). So gesehen erläutert Philosophische Anthropologie nicht nur die Voraussetzungen der Soziologie des Raumes (Simmel) und der Soziologie der Stadt (Bahrdt). Sie rückt Architektursoziologie gleichsam ins Zentrum der soziologischen Theoriebildung. Systematisch beobachtbar wird die Ko-Evolution von 'leichten', geflügelten Kommunikationsmedien und 'schweren', massiven Kommunikationsmedien. Schrift als Paradigma aller geflügelten Medien löst sich ab von lokaler Kommunikation unter Anwesenden, aber sie kann Bauten als dauerhaft präsente Kommunikationsmedien vor Ort nicht auflösen." (Autorenreferat)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 23-27
"Seit ihren Anfängen hat die Soziologie soziale Ungleichheit thematisiert, nicht aber soziale Ungerechtigkeit oder soziale Gerechtigkeit. Das hat zu einer unfruchtbaren Wasserscheide zwischen Philosophie und Soziologie geführt, wonach die Philosophie normativ über Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit reflektiert und die Soziologie empirisch-analytisch Gleichheit/Ungleichheit studiert. Diese Arbeitsteilung - auf Anhieb einleuchtend - hat zu einer inversen Einseitigkeit in den beiden Disziplinen geführt: die Philosophie hat es mit dem heiligen Geschäft der normativen Konstruktion eines reinen Ideals von Gerechtigkeit zu tun; die Soziologie hingegen mit dem profanen Geschäft der empirischen Analyse der harten Realität von Ungleichheit. Die Folgen sind fatal: So wird weder genügend reflektiert, inwieweit unser Gerechtigkeitsverständnis auf Gleichheit beruht, noch warum und unter welchen Umständen Ungleichheiten als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden. Ebenso unbeleuchtet bleibt, wann und unter welchen Voraussetzungen Ungleichheiten als gerecht angesehen werden, noch wann und unter welchen Bedingungen konsequente Gleichheit als ungerecht erachtet wird. Im ersten Schritt wird diese Wasserscheide zwischen Philosophie und Soziologie historisch und systematisch nachgezeichnet; im zweiten Schritt werden die Implikationen dieser Konstellation untersucht; im dritten Schritt sollen einige Bereiche genannt werden, wo sich eine Engführung von Ungleichheitsanalyse und Gerechtigkeitsforschung gerade heute anbieten würde." (Autorenreferat)
"Dem Beitrag liegt ein Naturbegriff zugrunde, der ebenso sehr mit antiken wie mit modernen Referenzen arbeitet. War für Aristoteles die Natur ein Prozess der Auseinandersetzung zwischen Perfektion und Korruption, so ist sie für die Naturwissenschaften der Moderne ein Prozess der Auseinandersetzung zwischen Ordnung und Chaos. In beiden Versionen liegt der Akzent nicht darauf, entweder die Perfektion und die Ordnung oder die Korruption und das Chaos für den gleichsam 'natürlichen' Zustand zu halten, um die jeweilige andere Seite der Unterscheidung zur Bezeichnung entweder göttlich oder teuflisch intervenierender Instanzen zu verwenden, so als seien entweder die Perfektion und die Ordnung oder die Korruption und das Chaos nicht natürlichen Ursprungs. Stattdessen liegt der Akzent auf dem Prozess der Auseinandersetzung selbst. Naturbeobachtung zielt darauf, Perfektion und Korruption sowie Ordnung und Chaos als die beiden Seiten einer Medaille zu verstehen. Darauf ist um so mehr zu verweisen, als es sich historisch als schwierig erwiesen hat, die Natur nicht entweder für das eine oder das andere, für Perfektion und Ordnung oder für Korruption und Chaos, verantwortlich zu machen, um so Raum dafür zu gewinnen, ihr die Gesellschaft gegenüberstellen und an ihr messen zu können. Dann war die Natur entweder jenes Ideal, das von der Gesellschaft laufend verfehlt wird, oder jenes Böse, gegen das die Gesellschaft laufend zu schützen ist. Von diesem imago der Natur gilt es Abschied zu nehmen, um statt dessen nach einer Natur der Gesellschaft fragen zu können, die gemäß der Tendenz der modernen Kognitionswissenschaften ebenso sehr als ein Prozess der Auseinandersetzung zwischen Perfektion und Korruption oder zwischen Ordnung und Chaos verstanden werden kann wie die Natur selbst. Damit sollen die erheblichen Differenzen zwischen dem antiken und dem modernen Naturbegriff ebenso wenig geleugnet werden wie die ganz unterschiedlichen Gesellschaftsvorstellungen, die von der Antike oder der Moderne in Anlehnung an entweder die eine oder die andere Seite der Unterscheidung von Perfektion und Korruption oder von Ordnung und Chaos entwickelt worden sind. Vielmehr geht es darum, sich darüber klar zu werden, dass jede Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft ihrerseits bereits ein Moment der Auseinandersetzung mit der Natur, aber auch ein Moment der Reproduktion von Gesellschaft ist. Maßgeblich für die Frage nach der Natur der Gesellschaft ist daher eine genaue Kontrolle der Zurechnung von Zuständen der Perfektion und der Ordnung beziehungsweise der Korruption und des Chaos sowie die Entwicklung einer Theorie, die darüber Auskunft zu geben vermag, wie man sich diesen Prozess der Auseinandersetzung zwischen dem einen und dem anderen vorstellen kann." (Autorenreferat)
In der postmarxistischen politischen Philosophie wird die Veränderung gegenüber der Verstetigung analytisch und normativ bevorzugt. Deshalb leistet die postmarxistische Theorie keine realistische Analyse und normativ-differenzierende Bewertung von politischen Institutionen, insbesondere des Rechts. Der Beitrag liefert einen Ansatz, um diese Lücke zu schließen, indem er der Abblendung von institutionellen Fragen mit einer neuen postfundamentalistischen Institutionentheorie begegnet. Diese Theorie basiert auf dem Freiheitsbegriff der Kritik, der im Anschluss an Foucault entwickelt wird und zeigt, dass kritischer Subjektivität durch die Institutionalisierung von freiheitlichen Subjektivierungsregimen bedingt ist. Dieser Freiheitsbegriff korrigiert den avanciertesten Ansatz der postmarxistischen Rechtstheorie, Menkes Rechtskritik. Deren Stärke ist es, die liberal entpolitisierende Subjektivierung des Rechts zu kritisieren, doch Menkes Vorschlag einer radikalen Politisierung ist paternalistisch. Mit Foucault lässt sich hingegen ein Recht denken, das Subjektivierung kritisiert und dennoch nicht paternalistisch ist, weil es die Subjekte zur Kritik der Institutionen befähigt.
In: Die Wirtschaftswissenschaft nach dem Kriege : Festgabe für Lujo Brentano zum 80. Geburtstag ; neunundzwanzig Beiträge über den Stand der deutschen und ausländischen sozialökonomischen Forschung nach dem Kriege. Bd. 1, Wirtschaftspolitische Ideologien, S. 321-347
Der Beitrag betrachtet die Grundzüge der objektiven Hermeneutik und arbeitet dabei die Herausforderungen sozialwissenschaftlicher Erkenntnisbemühungen heraus. So wird im ersten Schritt zunächst die psychoanalytische Technik der objektiven Hermeneutik an einem Fallbeispiel skizziert. Der zweite Schritt beschreibt sodann die objektiv hermeneutische Rekonstruktion, die im Prinzip in zwei Schritten verfährt: Im ersten Schritt wird der betrachtete Gegenstand, in der Regel eine im schriftlichen Protokoll vorliegende Alltagsszene, ethnologisiert. Die hermeneutische Operation der Lesartenvariation stellt den Versuch dar, im Innern der eigenen Kultur ohne ein Außen fremd zu sein. Dies ist die Voraussetzung für den zweiten Schritt: die Nostrifizierung des zuvor ethnologisierten sozialen Sachverhalts. Der dritte Schritt widmet sich schließlich den latenten Sinnstrukturen, die das positive Unbewusste der gesellschaftlichen Praxen bilden. Darunter kann man das Ganze der stillen Vorentscheidungen verstehen, die unsere Vorstellungen von dem, was real, wahr, möglich und wahrscheinlich ist, regieren. Es sind dies die selbstverständlichen Normierungen, die die Stellung nehmenden Akte zur Wirklichkeit, die uns Max Weber zufolge zu Kulturwesen machen, überhaupt erst ermöglichen. Im Mittelpunkt des vierten Schritts steht der duale Schematismus von 'manifest' und 'latent', der in den Texten der objektiven Hermeneutik häufig mit dem von 'Erscheinung' und 'Wesen' gleichgesetzt wird. Die latenten Sinnstrukturen bilden das Wesen der Interaktionstexte. Um zum Wesen der Interaktionsstruktur zu gelangen, muss der objektive Hermeneut die Erscheinungen der Interakte durchdringen. Abschließend merkt der Autor an, dass vielleicht, dem dekonstruktiven Ansatz folgend, das Verfahren der Interpretation überhaupt in Frage gestellt werden muss. Demnach ist der Verdacht, dass es irgendwo das Latente oder das Wesen der alltäglichen Äußerungen zu entdecken gäbe, nicht gerechtfertigt: Hinter dem Vorhang ist nichts, es sei denn, man schaut Dahinter. (ICG2)
In: Kultur und Gesellschaft: gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988 ; Beiträge der Forschungskomitees, Sektionen und Ad-hoc-Gruppen, S. 446-449