In: Soziologie in der Gesellschaft: Referate aus den Veranstaltungen der Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der Ad-hoc-Gruppen und des Berufsverbandes Deutscher Soziologen beim 20. Deutschen Soziologentag in Bremen 1980, S. 759-763
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4896-4905
"Der Eurovision Song Contest (ESC) ist der weltweit größte internationale Wettbewerb für populäre Musik und das erfolgreichste Fernsehunterhaltungsprogramm in Europa. Obwohl der ESC ursprünglich das Ziel verfolgte, die Entstehung neuer Lieder zu fördern, handelte es sich doch stets um ein von den Fernsehanstalten inszeniertes Medienereignis, das erst nachrangig musikökonomischen Zwecken dient. Für das Publikum ist der ESC auf Grund seiner Periodizität, seiner spezifischen Programmstruktur und nicht zuletzt des Zugehörigkeitsgefühls der Zuschauer, das auf Schemata nationaler und kultureller Identifikation beruht, zu einem hochgradig ritualisierten Medienereignis geworden. Seine Bedeutung geht daher weit über die eines bloßen Musikwettbewerbs hinaus, und viele Länder nutzen den ESC als Mittel national-kultureller Repräsentation. Somit bietet die Veranstaltung eine einmalige Möglichkeit zur Gegenüberstellung unterschiedlicher Nutzungsmodelle von Popularmusik für die Präsentation und Konstruktion nationaler Identitäten, da sie bereits in der Anlage auf einen internationalen (und damit interkulturellen) Vergleich von Musik ausgelegt ist. Der Erfolg der Darbietungen hängt letztlich davon ab, wie die kulturspezifisch geprägten Darstellungsformen von Popmusik mit den Hörgewohnheiten der Zuschauer in anderen Ländern resonieren. Die Ergebnisse einer Befragung der 36 Delegationsleiter beim 49. Eurovision Song Contest in Istanbul 2004 bestätigen, dass der ESC eine Fernsehsendung mit einem ausgesprochen hohen national-kulturellen Repräsentationspotenzial ist, das von den Programmgestaltern erkannt und aktiv genutzt wird. Sie bestätigen auch die Vorreiter-/ Nachzügler-Theorie von Reinhard Bendix (1996): Je stärker sich ein Land als 'Nachzügler' gegenüber den demokratischen und industriellen Standards der westeuropäischen 'Vorreiter' begreifen muss, desto eher wird es seine national-kulturelle Diversität beim ESC zur Schau stellen, da es in der nationalen Kultur die Quelle seines künftigen Erfolgs sieht. Ein Ende dieses 'Kampfes der Kulturen' ist nicht abzusehen, da die Aufteilung zwischen Vorreitern und Nachzüglern nicht statisch ist, sondern einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterliegt." (Autorenreferat)
Der in den 70er Jahren einsetzende Boom biographischer Forschung hält weiter an; in den unterschiedlichsten Fachdisziplinen werden erzählte und niedergeschriebene Lebensgeschichten als Datenbasis verwendet. So versprechen sich Soziologen und Psychologen von biographischen Materialien (aus Interviews, Tagebüchern, Aufsätzen, Briefen) Einsicht in bestimmte Milieus und in die Perspektive der Handelnden; Anthropologen nähern sich auf diese Weise fremden Kulturen, und Vertreter der Oral History nutzen biographische Interviews als weitere Quelle für ihre Analyse historischer Epochen. In der Geschichtswissenschaft ist mit diesem Trend die Entdeckung des Alltags, des Lebens der sogenannten kleinen Leute verbunden, in der Soziologie ist man hier auf der Suche nach dem verlorenen Subjekt.
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2783-2789
"Die Steuerung räumlicher Entwicklung ist nicht nur ein bedeutendes Feld von Nachhaltigkeitszielen, sondern kann aus mehreren Gründen dienen, um zentrale institutionelle Voraussetzungen für Wandlungsprozesse zu untersuchen: So sind die Raumordnungspolitik und Raumplanung - das institutionelle Rückrat der politischen Steuerung räumlicher Entwicklungen - als Teil der funktionalen Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften entstanden, um im begrenzten Staatsgebiet die gesellschaftlichen Wachstumsdynamiken zu regulieren und zu steuern. Sie sind also grundsätzlich integrativ angelegt. Die empirische Auseinandersetzung mit diesen Institutionen war in der deutschen Theoriebildung zudem eine der wichtigen Quellen für die Steuerungstheorie und den Steuerungsskeptizismus. Eine Untersuchung der (deutschen) Raumentwicklungspolitik und zentraler räumlicher Dynamiken lässt zwei zentrale Entwicklungslinien erkennen, die auch für Nachhaltigkeitsstrategien eine entscheidende Ausgangsbedingung darstellen: Erstens haben die Instrumente der Raumentwicklungssteuerung die Dynamik wirtschaftlicher, infrastruktureller und siedlungsräumlicher Entwicklungen zu keinem Zeitpunkt gebremst, sondern nur moderiert. Obwohl sie auch entstanden sind, um naturräumliche Funktionen zu sichern, hat ihre Entwicklungsfunktion gegenüber der Regulierungsfunktion regelmäßig ein Übergewicht gehabt. Zweitens wurden und werden die Form und die Entwicklungsrichtung der Raumnutzung seit dem Beginn der Industrialisierung in erheblichem Maße von ökonomischen Kalkülen bestimmt, die den Raum zu einer Ressource unter anderen machen, deren Nutzung Rentabilitätskriterien unterliegt und gleichzeitig als spatial fix zukünftigen Veränderungen entgegensteht. Diese Dynamik wirkt trotz gewachsener ökologischer Gefährdungen weiterhin fort. Die Internationalisierung und Globalisierung des Wettbewerbsdrucks hat die Bereitschaft, der ökonomischen Restrukturierung Priorität einzuräumen, sogar weiter erhöht. Im Rahmen eines emergenten Entwicklungsprozesses führen die bestehenden Machtstrukturen damit auch in Hinblick auf die ökologischen Qualitäten von Räumen kontinuierlich zu einer Degradierung. Gleichzeitig lassen sich aber drei Prozesse erkennen, die aus der inkrementellen Ausdifferenzierung des politisch-institutionellen Systems resultieren und verschiedene Steuerungsinstrumente hervorgebracht haben, die sich bei der Regulierung von räumlicher Entwicklung als wirksam erwiesen haben: die fachliche Professionalisierung, die zur Bildung von Regulierungsfunktionen in spezialisierten Behörden führte, die kontinuierliche Verlagerung von Regulierungspotentialen auf höhere Ebenen im staatlichen Mehrebenensystem, die Stärkung prozeduraler Partizipation, die über die Einbeziehung organisationsschwacher Gruppen eine Pluralisierung der zu berücksichtigenden Interessen begünstigt. Um Nachhaltigkeit gerichtet entwickeln zu können, bietet es sich also an, bei der Entwicklung wirksamer Steuerungsinstrumente gezielt an diese Trends und Mechanismen anzuknüpfen. Sie wirken in erster Linie auf eine Begrenzung der Durchsetzungsfähigkeit ressourcenstarker Akteure und Akteursbündnisse zugunsten einer Pluralisierung von Aushandlungsprozessen. Steuerung und Nachhaltigkeitsorientierung würden an ein prozedural angelegtes Verständnis von Nachhaltigkeit anschließen, bei dem allerdings eine ökologische Schwerpunktsetzung des Leitbildes nicht von vornherein normativ unterstellt werden könnte, sondern sich im Dialog mit ökonomischen und sozialen Interessen an der Raumnutzung erst durchsetzen müsste - allerdings gestützt auf wirksame inhaltliche und prozedurale Regulierungen. Im Rahmen diese prozeduralen Verständnisses von Wandel kann davon ausgegangen werden, dass Wandel sich erzielen lässt - allerdings nur in begrenztem Umfang gerichtet und in Abhängigkeit von der Lernbereitschaft von Akteuren mit divergenten Interessen." (Autorenreferat)
Das Werk des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman wird zusammenfassend dargestellt. Geprägt durch die Erfahrungen des nationalsozialistischen und kommunistischen Totalitarismus, des Krieges und des Exils, steht für Bauman die Förderung von Verantwortung, Freiheit und Autonomie des Individuums im Zentrum seiner Arbeit. Um Aufklärung mit dem Ziel der menschlichen Einsicht zu erreichen, ist eine soziologische Auseinandersetzung mit der Kultur unverzichtbar. In der postmodernen Kultur verlieren nach Bauman die traditionellen und lokalen Bindungen an Bedeutung. Wenn Mobilität zur vorherrschenden Lebensform wird, schrumpfen auch die Möglichkeiten des kollektiven Handelns. Bauman ist der Überzeugung, dass in der Postmoderne die menschlichen Beziehungen ihre moralische Bedeutsamkeit verlieren, wobei die Adiaphorisierung durch neue Mechanismen verstärkt wird. (GB)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 424-436
"'Konsum' ist nicht allein ein spezifisches soziologisches Analysefeld; ihn angemessen zu berücksichtigen, fordert die Gesellschaftstheorie und Theorie der Moderne insgesamt heraus. Im Vortrag soll zweierlei geleistet werden: a) In einem historischsoziologischen Schema, das sich auf das 19. und 20. Jahrhundert bezieht, soll die Entstehung der ungewöhnlichen Konsumorientierung der modernen Subjektform aus einem kulturellen Transfer von Elementen aus den ästhetischen Bewegungen, den Gegenkulturen der Moderne (Romantik, Modernismus, Postmodernismus), in die dominante Kultur der Hochmoderne erklärt werden. Die Codierung der dezidiert antikonsumistischen bürgerlichen Kultur der klassischen Moderne wird damit komplett umkehrt. Zu verstehen, was 'Konsum' in der Moderne bedeutet und wie er entstehen konnte, verlangt von der Soziologie die Relevanz ästhetischer Bewegungen für die Entwicklung der Moderne anzuerkennen und die Konkurrenz von bürgerlicher und nach-bürgerlicher Kultur herauszuarbeiten. b) Die Konsumorientierung hochmoderner Subjekte lässt sich als Erwerb spezifisch ästhetisch-expressiver Kompetenzen (Erlebnisfähigkeit, Kreativität, Selbststilisierungsfähigkeit) begreifen. Dies bedeutet keineswegs, dass die klassische soziologische Frage nach sozialen Ungleichheiten irrelevant würde. Vielmehr muss soziale Ungleichheit anders als im klassischen Verständnis konzeptualisiert werden: nicht als eine Ungleichheit von Ressourcen, sondern als eine Ungleichheit von Kompetenzen, und zwar von Kompetenzen, die zunächst solche der ästhetischen Gegenkulturen waren. Unter hochmodernen Bedingungen hängt der soziale Erfolg und die gelungen erscheinende Identität von Subjekten von ihrer Erlebnis-, Kreativitäts- und Selbststilisierungsfähigkeit, ihren i. w. S. konsumtorischen Kompetenzen ab. Ironischerweise sind damit Dispositionen des Subjekts der 'revoltierenden' ästhetischen Gegenkulturen selbst zu einem normativen Anforderungskatalog gelungener Subjektwerdung geworden, deren Nichtentsprechung den Preis neuer sozialer Exklusion zahlt." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 1469-1477
"Im Zusammenhang mit aktuellen Bestrebungen von Wirtschaftskonzernen insbesondere im Automobilsektor, durch eine globale Präsenz deren Überleben zu sichern - mit dem Ergebnis einer Vielzahl von Fusionen und Joint Ventures -, rückt die Thematik der Interkulturalität von Arbeitsmilieus in multinationalen Unternehmen in den Fokus speziell des gegenwärtigen Managementdiskurses. Eine der bedeutendsten Unternehmensfusionen, welche besonders viel Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit erregte, war der Zusammenschluss von Daimler-Benz und Chrysler, der von der Chefetage des neu geschaffenen Weltkonzerns als 'Hochzeit im Himmel' gefeiert wurde. Ausgehend von Erkenntnissen einer qualitativen empirischen Untersuchung der 'Interkulturalität' und 'interkulturellen Kommunikation' im Bereich des internationalen Managements bei DaimlerChrysler wird im Rahmen des Vortrages gezeigt, welche kulturellen Kategorisierungen - beispielsweise 'National-' oder 'Unternehmenskultur' für die dortigen individuellen Akteure für ihre Fremd- und Selbstbeschreibung relevant bzw. handlungsleitend sind. Die Forschungsstudie konzentriert sich auf eine Rekonstruktion der Grundüberzeugungen und Weltanschauungen der individuellen Manager sowie auf deren Identifikation mit kulturellen Zuschreibungen bzw. Symboliken innerhalb der Organisation. Entgegen vielerlei Annahmen des Diversity Managements wird bezüglich des Zusammenschlusses von Daimler und Chrysler erkennbar, dass national- und unternehmenskulturelle Differenzen und Diskrepanzen aus der Sicht der Führungskräfte nahezu unüberwindbar sind und die Kooperation beider Seiten einschränken. Die Identifikation mit Daimler als klassischem deutschen Prestige-Automobilhersteller wird konfrontiert mit der Zugehörigkeit zum traditionell amerikanischen Chrysler-Konzern - eine Distanzierung von der nationalen Perspektiven zugunsten des Gesamtkonzerns kann kaum festgestellt werden. Die prinzipielle Unüberwindbarkeit der Nationalkulturen in interkulturellen Arbeitsmilieus zeichnet sich ab; die Vision einer neuen Unternehmenskultur erweist sich als ausgesprochen problematisch." (Autorenreferat)
Der Autor geht in seiner Untersuchung über gegenwärtige Phänomene ritueller politischer Gewalt in Algerien von der Kultur- und Gewalttheorie aus, die Frantz Fanon im Kontext des Algerienkrieges entwickelt hat. Politische Gewalt soll dieser Theorie zufolge zum einen als grenzziehende Gewalt Emanzipation ermöglichen; zum anderen soll sie den Übergang von einer traditionalen Gemeinschaft in eine solidarische Gesellschaft freier und gleicher Individuen ermöglichen. Im heutigen Algerien zielt dieses Handlungsprogramm nach der Interpretation des Autors darauf ab, einerseits die Sippenverbände ('assabiya') zu zerschlagen und durch eine gesellschaftsförmige Ordnung ('umma') zu ersetzen sowie andererseits eine Grenze zwischen säkularem Staat und islamischer 'umma' zu ziehen. Übertragen auf die politische Situation in den 1990er Jahren führt dieses Programm zu paradoxen Folgen: Da der Versuch einer klaren Grenzziehung scheitert, wird Gewalt zum Dauerzustand. Vor diesem Hintergrund kann das kulturelle Muster von Frantz Fanon - so die These des Autors - die heutige Eskalation extremer und ritueller Gewalt in Algerien erklären. (ICI2)