Der Beitrag untersucht unter Berufung auf das klassische Völkerrecht und das Verbot des Präventivkrieges bei Grotius (1583-1645) die Frage nach dem gerechten Krieg bzw. die Problematik des Präventivkrieges im Zusammenhang mit der iusta causa der Kriegsführung. Am Beispiel des Dreißigjährigen Krieges und des oft zitierten Caroline-Falls von 1837 werden im weiteren Verlauf sowohl die Relativierung von iusta causa als auch Rechtfertigungen militärischer Prävention durch Notstand und staatliche Selbsterhaltung im Laufe der Geschichte und Rechtsentwicklung behandelt, bis hin zur Problematik des Präventivkrieges gegen neutrale Staaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Unter der Herrschaft der Charta der Vereinten Nationen wird das Selbstverteidigungsrecht grundsätzlich erst durch die Anwendung von Waffengewalt oder eine gleichartige militärische Aktion eröffnet. Auf dieser Grundlage wird abschließend die Missachtung des Verbots des Präventivkrieges im Irak-Konflikt untersucht und die massive Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak durch die USA als völkerrechtswidrig eingestuft. (ICH)
Auf dem Hintergrund der langen Vorbereitungsphase für einen Krieg gegen den Irak, die grundsätzliche Fragen zur amerikanischen Strategie bzgl. der präventiven Eindämmung von äußeren Bedrohungen aufgeworfen hat, befasst sich der Beitrag zunächst mit dem historischen Bedeutungswandel des Begriffes "Präventivkrieg" und fragt, unter welchen Bedingungen es überhaupt eine Legitimation für einen solchen Krieg geben könne. Daran schließt sich eine Kritik am Präventivschlag in der neuen strategischen Doktrin der USA (Bush-Doktrin) sowie eine Betrachtung der Gefahr der Weiterverbreitung von ABC-Waffen durch den Irak an. Es wird betont, dass das politisch-strategische Ziel des Angriffskrieges gegen den Irak zwar zumindest vordergründig erfüllt wurde, dass aber weder von einem Präventivkrieg im historischen Sinn gesprochen werden kann, noch der Kampf gegen den Terrorismus ein stichhaltiges Motiv bietet und die USA damit gegen ihre eigenen Rechtsgrundsätze gehandelt haben. (ICH)
'In der amerikanischen Irak-Debatte geht es nur vordergründig um den Kampf gegen den Terrorismus. Dieser ist vor allem die innenpolitisch nützliche Legitimation für den Sturz eines nach Massenvernichtungswaffen strebenden Regimes, das als wachsende geopolitische Bedrohung strategischer Interessen in einer kritischen Region gesehen wird. Derzeit verfolgen die USA eine zweigleisige und zugleich zweideutige Politik: Zum einen soll die Eindämmung des Irak durch Sanktionen und Rüstungsinspektionen verstärkt werden, zum anderen werden die militärischen Optionen für einen 'Regimewechsel' vorbereitet. Die Rhetorik ist eindeutig auf den Regimesturz hin orientiert, die militärischen, geheimdienstlichen und politischen Vorbereitungen für eine Intervention und die Zeit danach sind im Gange. Dass die Drohung mit militärischen Optionen in eine politische Lösung - sprich in ein neues Rüstungsüberwachungssystem - münden werde, ist die auf europäischer Seite weithin gehegte Hoffnung. Es ist jedoch sehr fraglich, ob den USA unter Präsident Bush an einer solchen Lösung gelegen wäre. Die Forderung nach neuen Rüstungsinspektionen hat für Teile der Administration in erster Linie die Funktion, die militärische Option zu legitimieren. Kann der massive Einsatz amerikanischer Bodentruppen vermieden und zumindest der Eindruck multilateraler Einbettung erzeugt werden, dann dürften amerikanische Öffentlichkeit und Kongress ein militärisches Vorgehen mit großer Mehrheit unterstützen. Noch sind führende Politiker im Kongress jedoch nicht der Auffassung, dass der Irak eine unmittelbare, ein baldiges militärisches Vorgehen rechtfertigende Bedrohung darstellt. Präsident Bush mag aus Gründen des dauerhaften politischen Rückhalts gut beraten sein, vor einem Krieg gegen den Irak die Zustimmung des Kongresses einzuholen. Erzwingen wird der Kongress seine Mitsprache jedoch nicht. Ungewiss ist, ob der Präsident am Ende vor der vollen Konsequenz eines militärischen Vorgehens - nämlich Besetzung und Restrukturierung des politischen Systems des Irak - aufgrund der politischen und strategischen Risiken und Kosten zurückschreckt. Staatsmänner sind jedoch mitunter zu äußerst riskanten Schritten bereit, wenn die künftige Bedrohung als so groß gewertet wird, dass ein Krieg als das geringere Risiko eingeschätzt wird, oder wenn am Ende einer erfolglosen Drohpolitik die eigene Glaubwürdigkeit und die der Nation auf dem Spiel zu stehen scheint. Ein ohne Mandat der Vereinten Nationen geführter Präventivkrieg gegen den Irak, um dessen Regime zu stürzen, wäre eine völkerrechtlich, politisch und ethisch höchst problematische Entwicklung: völkerrechtlich, weil die Beschränkungen für den Einsatz militärischer Macht gelockert würden; politisch, weil es sich um einen Präzedenzfall handeln würde, auf den sich andere berufen könnten; ethisch, weil sich ein präemptives militärisches Handeln nur angesichts eines drohenden Krieges rechtfertigen lässt - wenn der Verzicht auf Präemption eine ernsthafte Gefährdung für die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit eines Staates darstellen würde. So wünschenswert ein Ende der Diktatur im Irak wäre - die Entscheidung zu einem Krieg birgt so viele völkerrechtliche, ethische und strategische Probleme, dass die Alternative, nämlich eine robuste Eindämmungspolitik, nicht vorschnell als aussichtslos und zu riskant verworfen werden sollte. Gerade die Einschätzung, dass die USA auf einen militärischen Angriff gegen den Irak zusteuern, hat eine veränderte Konstellation geschaffen, die von europäischer Seite für eine Verstärkung der Eindämmungspolitik genutzt werden könnte.' (Autorenreferat)