Kernwaffen können keinem irgendwie gearteten militärischen Zweck dienen. Sie sind schädlich, weil sie die Menschen in Angst halten und weil Rüstung immer teurer wird. Zur Begründung dieser Position gibt der Autor einen Überblick über die Nuklearwaffen, beschreibt Reichweite, Treffsicherheit, Sprengkraft und Kosten. Besonders berücksichtigt werden hierbei die Mittelstreckenraketen SS-20 und Pershing II. Die Gefahr der kleinen taktischen Atomwaffen sieht der Autor im fließenden Übergang zum großen Atomkrieg. Alle diese Waffen und auch das Konzept des Gleichgewichts bergen die Gefahren der Eskalation. Sinnvoll sind allein die Vermeidung destabilisierender Faktoren und eine gleichgewichtige Abrüstung. (KA)
Während vielfach behauptet wird, dass die Einführung von Kernwaffen große Kriege unwahrscheinlicher gemacht habe, gibt es kaum Einschätzungen zu den politischen Auswirkungen ballistischer Fernwaffen. Hat die Entwicklung strategischer Raketen die Gefahr eines großen Krieges verringert oder erhöht? Wäre das Risiko einer militärischen Eskalation geringer gewesen, wenn als Trägermittel nur Bomber oder Marschflugkörper zur Verfügung gestanden hätten? Dieser Beitrag versucht am Beispiel der amerikanisch-sowjetischen Konfrontation, das Risiko abzuschätzen, das mit der Einführung ballistischer Raketen verbunden ist. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass alles in allem wenig für die Vermutung spricht, dass ballistische Fernraketen die Welt sicherer gemacht haben. Das Gegenteil erscheint weitaus wahrscheinlicher. Besonders die kurzen Flugzeiten, die hohen Treffgenauigkeiten, die geringen Abwehrmöglichkeiten und die Irreversibilität eines irrtümlichen Abschusses lassen ballistische Raketen als besonders gefährlich, ja destabilisierend erscheinen. Ein ungewollter Nuklearkrieg war längst nicht so unwahrscheinlich, wie von den politisch Verantwortlichen behauptet wurde. Politische Entscheidungsträger sollten hieraus Konsequenzen ziehen. Militärische Einsatzdoktrinen sollten nicht länger die Option prompter Vergeltungsschläge betonen, weil sie militärisch wenig Sinn machen und die Gefahr eines irrtümlichen Großangriffes unnötig erhöhen. Dazu ist die zivile Kontrolle über militärische Planungen, Routinen und Verfahren konsequent umzusetzen. (ICB)
Die bisherigen Kontrollsysteme für ballistische Raketen und andere Trägersysteme stützen sich im Wesentlichen auf Exportkontrollen und bilaterale Vereinbarungen zwischen Russland und den USA. Weiterreichende Maßnahmen wurden bislang nicht umgesetzt. Die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägersysteme steht im Zentrum der aktuellen amerikanischen Sicherheitspolitik. Neben Abschreckung und Raketenabwehr werden in den letzten Jahren verstärkt Forderungen nach Abrüstung und Rüstungskontrolle im Raketenbereich laut. Zu entsprechenden Initiativen zählen das Joint Data Exchange Center, das Global Control System, der International Code of Conduct Against Missile Proliferation, der Hague Code of Conduct, der Bericht des UN Panel of Governmental Experts on Missiles sowie die Proliferation Security Initiative. Optionen der Rüstungskontrolle liegen ebenso in der Schaffung regionaler Sicherheitsregime wie im Aufbau eines wirksamen Raketenkontrollregimes. (ICE2)
Der Aufsatz ist eine Kritik von Abschreckungs- und Verteidigungsideologien, die der Natosicherheitspolitik zugrunde liegen. Zentrales Anliegen ist die Verdeutlichung von Irrationalitäten und Paradoxien der Abschreckungsargumente. An den militärischen Strategien der Nato und der Sowjetunion wird herausgearbeitet, daß es keine denkbare bzw. wahrscheinliche Situation gibt, in der der Einsatz von Atomwaffen nicht die Zerstörung Europas beinhalten würde. Zentrales Argument ist, daß im Atomzeitalter der Begriff Verteidigung eine ideologische Verschleierung darstellt, weil die dementsprechenden Waffen entweder zum Angriff gebraucht werden müssen oder nicht mehr benutzt werden können, das vorgeblich zu Verteidigende (Freiheit/Kultur etc.) also auf jeden Fall auf der Strecke bleibt. Anhand der Nato-Nachrüstung wird verdeutlicht, daß die Abschreckungsstrategie nicht tragfähig ist und mit den Mittelstreckenraketen eher weniger glaubwürdig wird. Insgesamt wird die sogenannte Sicherheitspolitik als eine Politik der großen Unsicherheiten und Irrationalitäten dargestellt, der nur mit Aktionen, die von einer ethischen Logik in Sinne der praktischen Vernunft geleitet sind, begegnet werden kann. (MB)
In den strategischen Doktrinen einzelner Akteure im Nahen Osten haben die Entwicklung, der Besitz und die Einsatzfähigkeit von ballistischen Trägerwaffen zentrale Bedeutung für die Abwehr regionaler Sicherheitsbedrohungen gewonnen. Diese Raketen können mit konventionellen Sprengköpfen bestückt werden, sie sind jedoch vor allem als Trägersysteme für nukleare, biologische oder chemische Waffen vorgesehen. Diese Analyse untersucht in einem ersten Schritt den gegenwärtigen Stand der Raketenproliferation in den Nahen Osten und deren Gründe. Zweitens wird nach den politischen und militärisch-strategischen Konsequenzen für die regionale Ordnung gefragt. Schließlich werden mögliche Gegenmaßnahmen regionaler und extraregionaler Akteure diskutiert, nämlich die Begrenzung der Proliferation durch die Lieferländer und die vorhandenen Ansätze für eine Raketenabwehr. Zwei Faktoren werden die Frage der Stationierung, Bewaffnung und des Einsatzes ballistischer Raketensysteme im Nahen Osten in besonderer Weise beeinflussen: Technisch wird entscheidend sein, ob die seit 2000 von Israel installierten Raketenabwehrsysteme im Konfliktfall tatsächlich einen vollständigen Schutz vor Raketen mit konventionellen und nicht-konventionellen Sprengköpfen bieten können. Wäre dies der Fall, so würden ballistische Raketen für die arabische Seite sicherlich zügig an Bedeutung verlieren. Politisch wird hingegen bedeutsam sein, wie sich der arabisch-israelische Konflikt entwickeln wird; ob er auf den Nahen Osten im engsten Sinne begrenzt bleibt oder andere regionale Ordnungen einbeziehen wird. Sollte es den regionalen Akteuren gelingen, das die Region prägende Freund-Feind-Schema zu überwinden und den arabisch-israelischen Konflikt einer Regelung zuzuführen, wäre die zerstörerische Kraft ballistischer Raketensysteme dauerhaft eingrenzbar und bekannte Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen vorstellbar. (ICB)
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Krefelder Appell und der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre. Im Mittelpunkt der politischen Bewegung rund um den Krefelder Appell stehen die Verhinderung der nuklearen Aufrüstung der Bundesrepublik, die Stationierung von Pershing II Raketen und Cruise Missiles. Nachdem Parlament und Regierung jedoch am 22.11.1983 der Stationierung zugestimmt hatten, sank der Einfluss der Krefelder Initiative erheblich und führende Persönlichkeiten wie Bastian und Kelly verließen die Initiative. Der Beitrag betrachtet das politische Klima in Krefeld und seine Entstehungsgeschichte sowie den politischen Verlauf der Ereignisse, die Akteure und das Verhältnis zwischen Friedensbewegung, Krefelder Initiative, den Grünen und dem Kommunismus. (ICB2)
Der Autor skizziert das Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel vor dem Hintergrund der deutsch-arabischen Beziehungen und fragt nach den Auswirkungen des Golfkrieges auf beide Beziehungen. Juden und Deutsche, so die These des Autors, sind in ihrem Selbstverständnis aufeinander angewiesen - nach dem Holocaust mehr denn je. Die irakischen Raketen, die Israel trafen und der mögliche Einsatz von mit deutscher Hilfe hergestelltem Giftgas gegen Israel hätten die Stimmung in der deutschen Bevölkerung verändert: Israel wurde beliebt, sichtbar werde daran nicht nur ein Mitleidseffekt, sondern auch die strategische Dimension des deutsch-israelischen Verhältnisses. Der Autor kontrastiert die Ergebnisse von Meinungsumfragen beider Länder und kommt unter anderem zum Resultat, daß etwa zwei Drittel der Israelis trotz ihrer Verärgerung über Deutschland korrekte zwischenstaatliche Beziehungen befürworten. (rk)
In: Globale Herausforderungen - globale Antworten: eine wissenschaftliche Publikation des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport, S. 151-168
"Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion kam es zu einem dramatischen Anstieg an - vermeintlich illegal - weiterverkauften Raketen- und Raketenbauteilen. Insbesondere revisionistische Drittweltstaaten suchten durch den Ankauf solcher Systeme den technologischen Vorsprung des Westens und insbesondere den der USA zu unterlaufen und durch den Aufbau einer eigenen Abschreckungskomponente mögliche Interventionen der Staatengesellschaft' hintanzuhalten. Diese Entwicklung gefährdet die Ordnungsfähigkeit der etablierten Mächte. Da Russland und China an der Raketenproliferation maßgeblich beteiligt sind, können die Nonproliferationsbemühungen auf Basis von Abrüstung, Verifikation und Rüstungskontrolle als weitgehend gescheitert angesehen werden. Es scheint also aus Sicht der etablierten Ordnungsmächte notwendig, sich mit militärischen Korrektiven zu beschäftigen. Die USA sind in dieser Entwicklung sicherlich Vorreiter, aber auch ihre Verbündeten beteiligen sich zumindest durch Ankauf entsprechender Systeme an der Entwicklung. Neben dem amerikanischen Forschungsverbund (USA, Israel, Japan, Europa) verfügen nur China und Indien über ein glaubhaftes Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Raketenabwehr. Dies ist auch als Voraviso auf die künftige systemweite Militär- und Machtstruktur zu sehen." (Autorenreferat)
Der Beitrag gibt einen detaillierten Überblick über die Geschichte der UN-Waffeninspektoren im Irak nach dem Ende des ersten Golfkriegs 1991 und der die Waffenstillstandsbedingungen festlegenden Sicherheitsratsresolution 687. Unter dem Druck der Befunde von UNSCOM und IAEA wurden noch 1991 große Teile des Raketen-, Nuklear- und Chemiewaffenprogramms des Irak offen gelegt und später unter UN-Aufsicht zerstört. Erst 1995 gab der Irak unter dem Druck der gesammelten Indizien auch ein Biowaffenprogramm zu; die entsprechenden Anlagen wurden 1996 zerstört. Zudem überwachte UNSCOM dual-use-Anlagen und Importe von dual-use-Gütern. 1999 übernahm die neu gegründete "UN Monitoring, Verification and Inspection Commission" (UNMOVIC) die Aufgaben von UNSCOM auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle. Das Organisationsprinzip der UNMOVIC - ein kleines dauerhaftes Kernteam, ergänzt durch einen flexibel einsetzbaren Inspektorenpool - bietet sich auch für die Zukunft an. (ICE)
In diesem Artikel werden die politischen und militärischen Funktionen der Streitkräfte der USA in Europa beschrieben. Dazu wird zunächst dargelegt, wie die Sowjetunion aufgerüstet hat und wie die Amerikaner und Westeuropäer hierauf politisch und militärisch reagierten. In dem NATO-Doppelbeschluß, der die Stationierung von Raketen und gleichzeitige Verhandlungen mit der Sowjetunion zwecks Reduzierung taktischer Atomwaffen vorsieht, wird eine der Ursachen für die massive Verunsicherung der europäischen öffentlichen Meinung gesehen, die letztlich die Verteidigungsbereitschaft schwächt. Die Einsicht, daß Europäer unmittelbar oder mittelbar die Möglichkeiten ausgeschlossen haben, daß amerikanische Truppen siegen können, könnte die amerikanische Meinung dahingehend lenken, daß man den Rückzug der US-Truppen aus Europa fordert. Ein Rückzug der amerikanischen Streitkräfte hätte aber nach Meinung des Autors verheerende Folgen. Daher sei es notwendig, die Streitkräfte der NATO zu stärken, sodaß amerikanische Truppen in Europa zusammen mit ihren Verbündeten die Fähigkeit behielten, wirklich zu kämpfen, die Zivilbevölkerung in Europa zu beschützen und zu siegen. (NG)
Der Beitrag thematisiert die Gefahren der Proliferation von Kernwaffen und Raketen, aber auch chemischer und biologischer bzw. bakteriologischer Waffen im Zusammenhang mit diktatorischen Regimen oder ethnischen und religiösen Spannungsfeldern in Entwicklungsländern. Durch Terroranschläge wächst selbst innerhalb der Industrieländer die Gefahr des Einsatzes von Waffensystemen großer Zerstörungskraft. Die Angst vor Drohungen, Erpressungen und Anschlägen durch terroristische Gruppen aufgrund von Schmuggel mit waffenfähigem Spaltmaterial hat sich heute schon in der Presse breitgemacht. Da konventionelle oder chemische Waffen jedoch mit weit geringerem technischen Aufwand produziert und sogar leichter eingesetzt werden können, konzentriert sich der Beitrag hier nicht nur auf die Möglichkeiten einer terroristischen Nutzung von Kernwaffen, sondern auch von Streuwaffen, chemischen und biologischen Waffen und von Fuel Air Explosives. Neben möglichen Proliferationsszenarien im Zusammenhang mit religiösen Sekten, rechtsradikalen Gruppen und islamischen Kommandos werden auch die Rückwirkungen auf einzelne Gesellschaften bzw. die internationalen Beziehungen dargestellt und die Notwendigkeit internationaler Verträge und Sanktionen zur Eindämmung nuklearer Proliferation sowie zur Kontrolle der Produktion chemischer und biologischer Waffen diskutiert. (ICH)
Vorwort Die Gesellschaft für Deutschlandforschung hat seit 1979 auf ihren Tagungen, soweit dies angängig war, immer wieder Probleme der Militärpolitik der DDR in den jeweiligen Themenkatalogen berücksichtigt. Erinnert sei hier nur an die in den Periodika der Gesellschaft veröffentlichten Beiträge von Jens Hacker (Die DDR im Warschauer Pakt), Walter Rehm (Militärtraditionen in der DDR; Die Kriegstheorie von Karl Marx), Fritz Birnstiel (Die Militärpolitik der DDR), Henning von Löwis of Menar (Militärisches und Paramilitärisches Engagement der DDR in der Dritten Welt) und Gerhard Ritter (Die Position von Karl Marx in der Militärpolitik der DDR). Nunmehr wurde in dieser Richtung ein Schritt weitergegangen. Auf der wehrwissenschaftlichen Tagung der Gesellschaft zur Erforschung der politischen Systeme in Deutschland (Korporatives Mitglied der Gesellschaft für Deutschlandforschung) in Münsterschwarzach am Main (5.-8. November 1984) stand diesmal allein ein wehrpolitischer Themenkomplex zur Debatte, der sich nicht nur auf die DDR beschränkte, sondern in einem erweiterten geographischen Bezugssystem Probleme behandelte, ohne dabei das Grundproblem Deutschland aus dem Auge zu verlieren. Das gewählte Generalthema: "Angst als Mittel der Politik in der Ost-West-Auseinandersetzung" entsprach der aktuellen politischen Situation, gegeben durch die Nachrüstung im Bereich des westlichen Verteidigungsbündnisses der NATO als Folge der sowjetischen Hochrüstung seit der KSZE-Konferenz in Helsinki und das damit im Zusammenhang stehende plötzliche Wiederaufleben der westlichen Friedensbewegung, die sich gute 30 Jahre zuvor in der Picasso'schen Friedenstaube ihr Symbol gegeben hatte. Kennzeichnend für diese Renaissance waren ebenso die Wohlorganisiertheit dieser Bewegung wie die gehäufte Herausgabe wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Untersuchungen in den Jahren 1983/84 über den totalen Nuklearkrieg mit den Alpträumen eines Nuklearinfernos. Dies war Anlaß genug, um sich zu fragen, warum die seit Jahrzehnten bestehende atomare Bedrohung überraschend in dieser Intensität in das Zentrum der Forschung gerückt wurde, warum eine Vielzahl von Massenmedien, die jahrelang diese Frage ignoriert hatten, damit begannen, die atomare Situation in aller Schärfe und bis zur Grenze des Unerträglichen zu dramatisieren. Als augenfällig zeigte sich ferner, daß trotz wirtschaftlicher Misere und ungelöster innenpolitischer sowie außenpolitischer Fragen man sich in der Bundesrepublik den Luxus einer hausgemachten Hitze in sogenannten Friedensdiskussionen und überbordenden Friedenskampagnen leistete, während in den westlichen Nachbarländern derartige Symptome weitgehend peripheren und sporadischen Charakter trugen. Die auffällige Hinnahme der unmittelbaren Bedrohung der Bundesrepublik durch die in der DDR und CSSR aufgestellten sowjetischen SS-20-Raketen einerseits, das aktive Nichthinnehmenwollen der Installierung des amerikanischen Waffensystems Pershing II zur Wiederherstellung des Kräftegleichgewichtes in Mitteleuropa durch die militanten Kreise der Friedensbewegung andererseits, mußte den Verdacht nahelegen, daß hier nicht allein genuine pazifistische außerpolitische Einflüsse mitbestimmend waren. Hieran ließen sowjetische Äußerungen keinen Zweifel. Das vitale Interesse der SU erforderte es, mit allen Mitteln, außer denen des Eingehens eines militärischen Risikos, die westliche Raketenstationierung zu verhindern. Gelang dies nicht, dann mußte sie ebenso die direkte Bedrohung des eigenen Territoriums bis zur Linie Leningrad-Moskau hinnehmen wie jenes Nahziel der Abkoppelung Westeuropas von den USA und damit dessen Erpreßbarkeit in weite Ferne gerückt sehen. Da sich eine militärische Lösung ausschloß, griff sie, wie so häufig in ihrer Geschichte, auf das Mittel des propagandistischen Einwirkens auf den Westen in Gestalt der sogenannten Volksdiplomatie zurück, d.h. sich unmittelbar über die Köpfe der gegnerischen Regierung hinweg an das Volk zu wenden, sei es an bestimmte soziale Schichten, sei es an in Opposition zur Regierung stehender Kräfte oder Einzelpersonen. Ein nach wie vor gültiges Konstituens der sowjetischen Volksdiplomatie stellt die Weisung der Kommunistischen Internationale aus dem Jahre 1924 dar, die folgendermaßen lautet: "Wir müssen sozusagen ein ganzes Sonnensystem von Organisationen und kleineren Komitees um die Kommunistische Partei herum aufbauen, die unter dem faktischen Einfluß unserer Partei (nicht unter einer mechanischen Leitung) stehen werden." Dementsprechend handelte auch die sowjetische Außenpolitik in der Frage der westlichen Nachrüstung. Die unverhüllte Übernahme sowjetischer Thesen und Parolen durch das linke Spektrum der Friedensbewegung, deren Umsetzung in einen gezielten, wenn auch hektischen Aktionismus, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß hier unmittelbare und mittelbare Beziehungen zu den sowjetischen und DDR-Propagandazentralen bestanden. Die sowjetische Kennzeichnung der westlichen Friedensbewegung als "Antikriegs- und Antiraketenbewegung" legte den Kern der Sache bloß, um den es letztendlich ging. Bei dieser Frage konnte die Sowjetunion nicht in innenpolitische Schwierigkeiten geraten, dafür aber die DDR, auf deren Territorium die SS-20- ihre Aufstellung gefunden hatte, und sich zudem über den Äther der Einfluß der bundesdeutschen Friedensbewegung bemerkbar machte, den es nun aufzufangen, zu kanalisieren und zu neutralisieren galt. Mit den Geistern, die die SU gerufen hatte, kam die Unruhe in die Bevölkerung der DDR, insbesondere in kirchlich orientierte Kreise der jungen Generation, die sich provokativ jenes Mottos auf Plakaten bedienten, das die Sowjetregierung einst als Aufschrift für eine der UNO geschenkte Plastik selbst gewählt hatte: "Laßt uns aus Schwertern Pflugscharen machen". Die sukzessive Ausschaltung dieser Gruppen aus dem öffentlichen Leben, damit die Durchsetzung des Anspruchs der DDR-Partei- und Staatsführung, daß es außer der "offiziellen Friedensbewegung" keine Duldung pazifistischer Randgruppen geben könne, die verstärkte Erziehung zum Haß in der NVA gegen den "imperialistischen Gegner", bewiesen nur zu deutlich die Schwierigkeiten, die die DDR mit der Auflösung des Widerspruchs hatte, einerseits dem westlichen Pazifismus Hilfestellung zuteil werden zu lassen, andererseits den als antisozialistisch deklarierten Pazifismus im eigenen Land vehement zu bekämpfen. Im "Kommunistischen Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels steht der einleitende Satz: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Für die Jahre 1982 bis 1984 könnte auch der Satz stehen: "Ein Gespenst geht um in der Bundesrepublik Deutschland - das Gespenst der Angst vor der nuklearen Vernichtung." Das Phänomen der Angst, das in diesen Jahren in allen Spielarten vermittelt und indoktriniert wurde, das massenhafte Auftreten der Agitatoren der Angst und Angstkampagnen ließen deutlich werden, daß hier Angst als Mittel der Politik ins Spiel gebracht wurde. Dieses Phänomen der Angst als politisches Instrument in seiner praktischen Anwendung zu analysieren, aber auch eine Antwort darauf zu finden, wie ihm auf westlichem Boden im Sinne des "Was tun" begegnet werden kann, war die Aufgabe, die sich die Tagung in Münsterschwarzach stellte. Die weitgehend bundesdeutsche - nicht etwa europäische - Fixierung auf die Raketenstationierung mit den sie begleitenden Angstkampagnen ließen es nicht ratsam erscheinen, den Fragenkomplex isoliert, allein bezogen auf die beiden deutschen Staaten zu behandeln. Dies hätte zu einem Verrücken der Maßstäbe im internationalen Kontext geführt, wenn lediglich in eigenem "teutschen" Saft gekocht würde. Wie schaut es mit den Nuklearängsten der anderen Völker im Nachbarbereich aus, das war die Frage, die miteinzubeziehen, zu klären war, ob das Phänomen der deutschen Friedensbewegung ein spezifisch deutsches ist oder aber auch seine Entsprechung in den neutralen Staaten Österreich und der Schweiz sowie beim Bündnispartner Italien findet. Der Versuch, hierauf Antworten zu finden, liegt in den nachfolgenden Referaten vor, von denen jedes für sich sprechen soll. Leider mußte es sich der Herausgeber versag.