Zielsetzung und Ideologie gewaltsamer Protestbewegungen in Großbritannien, 1800-1848
In: Sozialprotest, Gewalt, Terror: Gewaltanwendung durch politische und gesellschaftliche Randgruppen im 19. und 20. Jahrhundert, S. 32-46
Der Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags war der von Eric Hobsbawm geprägte Ausdruck des "collective bargaining by riot" (E.J. Hobsbawm, The machine Breakers, in: Past and Present 1, 1952). Dieser Begriff geht auf die Beobachtung zurück, daß die Gewalt in den Arbeitskämpfen Großbritanniens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur eine Äußerung irrationalen und unkontrollierten Verhaltens seitens gedankenloser Arbeiter darstellte, sondern oft als eine mit Bedacht ausgewählte Protestmethode zur Durchsetzung bestimmter Forderungen angewandt wurde. Der Ausdruck des "collective bargaining by riot" diente dem Autor als Leitfaden bei der Beantwortung der folgenden drei Fragen: Inwieweit wurde Gewalt in der Phase der Frühindustrialisierung als Mittel zur Verfolgung bestimmter Ziele bewußt angestrebt? Inwieweit diente sie als Mittel zur Verwirklichung einer bestimmten Ideologie? Inwieweit war sie als Protestform erfolgreich? Der Autor räumt ein, daß es eine Reihe von Widerstandsaktionen gab, die sich kaum als Fälle des "collective bargaining by riot" charakterisieren lassen. So waren beispielsweise die Zerstörung von Dampfwebstühlen im Jahre 1826 oder die Angriffe auf das Eigentum von Gegnern der Nottingham Reform Bill im Oktober 1831 eher Racheakte für bestehende Mißstände. Die Arbeiteraufstände 1816 in East Anglia und 1830 in den südöstlichen Grafschaften Englands erschöpften sich hingegen nicht in Vergeltungsmaßnahmen, sondern strebten die Durchsetzung bestimmter positiver Forderungen (wie z.B. eine neue Festlegung der Löhne und die Verbesserung der Armenpflege) an. Als hervorragendes Beispiel für das "collective bargaining by riot" führt der Verfasser den Arbeitskampf der Strumpfweber im Osten Mittelenglands an. Die in allen Fragen der gewerkschaftlichen Organisationen und der Durchführung von Streiks bewanderten Strumpfweber setzten 1811/12 die planmäßige Zerstörung ihrer Strumpfwirkstühle als Druckmittel zur durchsetzung ihrer Lohnforderungen erst ein, nachdem alle friedlichen Lösungsversuche des Konflikts zuvor ergebnislos geblieben waren. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist keine gemeinsame Ideologie der Arbeiterklasse erkennbar, die als Grundlage politischer oder gewerkschaftlicher Aktionen hätte dienen können. Die Gewaltanwendung richtete sich nicht gegen ein ganzes System, sondern gegen eng begrenzte Mißstände. Obwohl das "collective bargaining by riot" in der Phase der Frühindustrialisierung eine unbestreitbar rationale und erfolgreiche Handlungsweise für Gewerkschaften darstellte, hat sich Gewalt als eine normale Form des sozialen Protests in Großbritannien nicht durchzusetzen vermocht. (STB)