Die Dissertation von Annika Requardt untersucht Visualisierungs- und Narrativierungsstrategien im US-amerikanischen Kriegsfilm der Stummfilmzeit, indem sie die Theorie des kollektiven Gedächtnisses mit Bildanalyseverfahren kombiniert. Ob fiction oder non-fiction: Die Arbeit schlägt einen weiten Bogen vom Spanisch-Amerikanischen Krieg, über den Ersten Weltkrieg bis hin zum amerikanischen Bürgerkrieg, um zu zeigen, wie durch Verdichtung und Wiederholung standardisierte und schematisierte Bildtraditionen entstehen, die Kriege potentiell mit Sinn versehen und als nationale Identifikationsangebote fungieren können. Allerdings schließt die Autorin, ohne einen entsprechenden empirischen Nachweis zu führen, in einem rezeptionstheoretischen Kurzschluss von den Filmbildern direkt auf die Erinnerung des Krieges. Während sie das erklärende Potential des erinnerungskulturellen Ansatzes so leider nicht ausschöpfen kann, wissen die Filmanalysen zu überzeugen. ; Annika Requardt's dissertation analyses strategies of visualization and narrativization in American war films of the silent era, employing theories of collective memory and visual culture. It covers a wide range of fictional and non-fictional films that depict the Spanish-American War, World War I, and the Civil War. Requardt shows how, by concretion and repetition, there emerges a standardized and schematic tradition of filmic images that provides war with meaning, and offers a way for the nation to identify itself. However, lacking empirical evidence, the author deduces the remembrance of war simply from the existence of films and their images without taking the particular reception into account. While she therefore cannot utilize the full potential of the memory culture approach, the analyses of the films are very convincing in their own right.
Der Realismus im Film war seit den 1920er- bis in die 1960er-Jahre ein beliebtes Thema von Filmtheoretiker*innen und -kritiker*innen, vom sowjetischen Filmemacher Dziga Vertov bis hin zum deutschen Filmhistoriker Siegfried Kracauer, aber auch etwa für die einflussreiche Filmzeitschrift Cahiers du Cinema und ihren Mitbegründer André Bazin. In Bezug auf die Frage nach Realismus und Film hatten Bazins Analysen und Theorien großen Einfluss, etwa auf den italienischen Neorealismus und Regisseure wie Roberto Rossellini, Vittorio De Sica und Luchino Visconti. Obwohl das Interesse am Realismus in den 1960er- und 1970er-Jahren, etwa bedingt durch (Post-)Strukturalismus, Semiotik und Psychoanalyse, abgenommen hatte, beschäftigt sich das kürzlich erschienene Buch von Lúcia Nagib wieder mit dem filmischen Realismus in Bazin'scher Tradition, während die Diskussion um den Realismus-Begriff in den letzten Jahren auch etwa für spezifischere Kontexte wie das japanische, brasilianische und iranische Kino geführt wurde (vgl. Nagib/Mello 2009).Für Bazin meint Realismus die wirkliche Zeit der Dinge, die Dauer des Geschehens, die der Film in sich aufnehmen soll, daher versteht Bazin etwa die italienischen Nachkriegsfilme mit ihren long takes und der Suggestion eines realitätsnahen Zeitvergehens als realistisch. Während Bazin Filmemacher*innen in verschiedene, dem Bild oder der Realität verschriebene Interessensgruppen einteilt, und die Frage nach dem Einfluss der außerfilmischen Realität (vgl. Bazin 2004, S. 90–109) nur am Rande thematisiert, stellt sich Lúcia Nagib die Frage nach Realismus und Film in einer breiteren Perspektive. In der Einleitung ihres Buches führt sie verschiedene Perspektiven auf Realismus zusammen und klassifiziert so drei verschiedene Ebenen von Realität im Film: - Realismus als Modus der Produktion- Realismus als Modus der Rezeption, den sie in den letzten Jahrzehnten als besonders präsent empfindet- Realismus als Modus der Ausstellung, worunter sie etwa Kinosäle, 3D- oder 4D-Arrangements oder Virtual Reality fasst (vgl. S. 28). Mit ihrem Fokus auf den Modus der Produktion beschreibt Nagib, basierend auf Bazins Theorien, die Rolle von Schauspieler*innen, die Drehorte der Filme sowie die Bewegungen der Kamera für die Filmaufnahme (wie etwa long takes). Diesen Realismus als Modus der Produktion unterteilt sie dabei erneut in drei Kategorien: Non Cinema, Intermediale Passage und Total Cinema.Unter "Non-Cinema" versteht Nagib die Reproduktion des 'realen Lebens' qua Film. Diese Perspektive analysiert sie anhand der Produktionssituationen von diversen Filmen. Dabei spielen für sie die Beziehungen innerhalb des Filmteams oder die Konflikte zwischen Filmemacher*innen und Schauspieler*innen eine zentrale Rolle – eine Perspektive, die einen neuen Blick auf Filmanalyse in Bezug auf die Verzahnung von Produktion und Realität ermöglicht. Als "Intermediale Passage" versteht Nagib die Transformationen zwischen verschiedenen Kunstformen und Kino, die ebenfalls eine eigene Realität produzieren können. Zum Schluss beschreibt sie das sogenannte "Total-Cinema" als ein Kino, das den Wunsch nach einer Totalität insofern verkörpert, als dass es etwa versucht, mit einem Film die gesamte Geschichte eines Landes zu erzählen oder die ganze Welt durch monumentale Landschaften zu repräsentieren. Die eingangs genannten Realismus-Perspektiven werden im zweiten Teil des Buches dann auf den Begriff des "World-Cinema" übertragen. Nagib versteht das World-Cinema als neuen Begriff für "Realist Cinema". Sie kritisiert die eurozentrischen Perspektiven von Filmwissenschaft und -theorie und arbeitet heraus, dass der Dualismus zwischen Hollywood und Europa, der meist im Fokus des Fachdiskurses stünde, einen Blickwinkel auf das Welt-Kino, mit dem sie die Perspektive marginalisierter Nationalkinematografien beschreibt, verstellen würde.Die Auswahl der Filme, die im Buch analysiert werden, passt sehr gut zu diesem Argument. Fast jedes Kapitel beschäftigt sich mit einem oder mehreren Filmen aus verschiedenen Ländern – ob diese aus Deutschland oder Japan, Brasilien oder dem Iran kommen, ist dabei zweitrangig, im Vordergrund stehen die Effekte der Zusammenschau dieser heterogenen Arbeiten. Die Filme sind zwar nach den drei Kategorien (Non-Cinema, Intermediale Passage und Total Cinema) ausgewählt, ihre bricolagehafte, heterogene Auswahl erzeugt trotzdem einige Verwirrung beim Lesen des Buches. Im ersten Kapitel analysiert Nagib beispielsweise Wim Wenders The State of Things (1982) und im zweiten This is not a Film (2011) des Iraners Jafar Panahi. Es handelt sich um einen Spielfilm und um einen Dokumentarfilm, die beide sehr diverse Themen verhandeln, wie etwa Kolonialismus, Feminismus oder Gender. Diese Auswahl hat auf der einen Seite den Vorteil, ein heterogenes Bild zu formen, anderseits wirkt die Beliebigkeit zeitweise chaotisch. Die zentrale Frage, die Nagib diesen Filmen stellt, ist jene danach, wie diese Filme als realistisch verstanden werden können. Das erste Kapitel stellt außerdem die Frage nach dem Tod des Kinos. Der dort analysierte Film The State of Things solle, so Nagibs steile These, zeigen, dass das Hollywood- und das europäische Kino bereits tot seien. Wenders, so Nagib weiter, inszeniere diesen Status durch zwei unterschiedliche Filmästhetiken. Dabei greife er einerseits auf Special Effects, Farben und rapide Kamerabewegungen zurück und andererseits auf Schwarz-Weiß-Kontraste als Realismus-Elemente.Um das Konzept des Non-Cinema anhand konkreter Beispiele zu erklären, verwendet Nagib den im Iran verbotenen Film This is not a Film von Jafar Panahi. Weil Jafar Panahi offiziell nicht mehr im Iran drehen darf, versucht dieser, sein Leben mit Smartphone-Kameras zu filmen. Die Orte seiner Filme sind etwa seine eigene Wohnung oder seine private Villa in Nord-Iran und der Protagonist des Films ist Panahi selbst. Sein eigenes Leben zu filmen, ist eine politische Reaktion auf das über ihn verhängte Berufsverbot durch die islamische Regierung. Auch im Dokumentarfilm Act of Killing (2012) von Joshua Oppenheimer erkennt Nagib das Prinzip des Non-Cinema: hier würden Realität und Fiktion zusammenfallen, wenn indonesische Kriminelle ihre eigene brutale Geschichte des historischen Massakers von 1965 bzw. 1966 erzählen. Nagibs Analyse inkludiert filmtheoretische Prämissen, Interviews, politische Nachrichten und Produktionsmodelle des Films. Im zweiten Teil des Buches steht neben dem World-Cinema auch die Intermediale Passage im Fokus. Wie andere Kunstformen, etwa Malerei oder Theater, könnten Filme eine andere Form von politischen, sowie historischen Realitäten der Gesellschaft darstellen. Dafür analysiert Nagib die Rolle von Schauspielmethoden und Theater in den zwei sehr wichtigen japanischen Filmen The Story of the Last Chrysanthemums (1939, Kenji Mizoguchi) und Floating Weeds (1959, Yasujirō Ozu) mit einem Blick auf das Kabuki-Theater (vgl. S. 127). Nagib versucht hier zu zeigen, wie japanische Filme eine andere Realität, basierend auf der japanischen Geschichte und Theatertradition, reflektieren können. Dabei greift sie auf unterschiedliche Quellen zurück, wie etwa auf autobiografische Bücher über die beiden Regisseure, die Geschichte des Kabuki-Theaters im Japan und Interviews mit den Schauspieler*innen der Filme. Darauf folgt eine Analyse von Mysteries of Lisbon (2011) des chilenischen Regisseurs Raúl Ruiz. Am wichtigsten für den analytischen letzten Teil von Nagibs Publikation ist aber das zeitgenössische brasilianische Kino, für das die Autorin den Zusammenhang zwischen Nationalidentität und Diktaturzeit erklären will. In diesem zweiten Teil gerät die Bazin'sche Perspektive aus dem Fokus und die Autorin verwendet weitere Theorien zum Realismus, etwa von Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Gilles Deleuze, Alain Badiou und Jürgen Habermas. Klar wird allerdings auch durch diese theoretische Unterfütterung nicht, warum die von der Autorin angesprochenen intermedialen Passagen eine Rolle für ein neues Verständnis von Realismus und Film spielen. Der letzte Teil des Buchs soll schließlich das dritte Konzept, das Total Cinema, durch die strukturelle Nähe zu anderen Künste wie Oper oder Musik erklären. Nagib versucht durch eine sehr genaue Analyse der Strukturen der Opernvorlage von Luchino Viscontis Film Ossessione (1943) zu zeigen, dass ein Film die "Totalität" einer Oper besitzen kann. Totalität bedeutet für sie eine Kunstform, die sich aus verschiedenen Kunst- und Literaturformen wie Musik, Tanz, Schauspiel und Lyrik zusammensetzt und so ein eigenes Wesen ausbildet (vgl. S. 201). Außerdem wird in dieser Sektion noch Edgar Reitz' Langzeitdokumentation Die zweite Heimat: Chronik einer Jugend (1992) analysiert. Edgar Reitz erzählt die deutsche Geschichte in dieser langen Serie durch verschiedene Themen (Migration, Krieg, Tradition), Zeiträume (Erster und Zweiter Weltkrieg) und andere Kunstformen (Musik, Tanz, Theater). Nagib versteht diese vielfältigen Themen als Totalität, weil Reitz auf diese Weise eine 'ganze' Geschichte erzählen will. Der Begriff des Total Cinema bleibt trotzdem bis zum Ende des Buches unklar, weil anschließend noch sehr diverse Filme aus Brasilien mit sehr unterschiedlichen Inhalten als 'Total Cinema' beschrieben werden. Die Heterogenität von Material und Themen zieht sich durch das gesamte Buch und hinterlässt schlussendlich den Eindruck, dass Lúcia Nagib dem Diskurs über Realismus und Film – selbst über die Perspektive des World Cinema – keine neuen Befunde hinzufügen konnte. Hergestellt wird vielmehr ein chaotischer Blick auf Realitätsdarstellungen in einer Vielzahl an heterogenen Filmen unterschiedlicher Nationalität. Literatur: Bazin, André: Was ist Film? Hg. v. Robert Fischer. Berlin: Alexander 2004. Nagib, Lúcia/Mello, Cecília: Realism and the Audiovisual Media. Wiesbaden: Springer 2009.
Mitte der Sechziger Jahre hatten in Happenings die verschiedensten Kunstformen zu einander gefunden. Im Moment verankerte Ausdrucksformen waren entstanden, die die Verschmelzung von Kunst und Körper, Kunstproduktion und Erfahrung vorantrieben, oft spartenübergreifend operierten und sich im grösseren politischen Zusammenhang als "Underground" verstanden. Der Begriff Expanded Cinema, der sich in der Filmszene für diese Art Veranstaltungen einbürgerte ist bis heute ein "elastischer Name für viele Arten von Film- und Projektionsveranstaltungen" (Rees 2011, S.12) geblieben, unter welchem Filmemacher/innen und Filmkünstler/innen wiederholt auch Projekte subsummierten, die formal nur noch wenig mit traditionellen Filmvorführungen gemein haben. Experimente mit dem Dispositiv des Kinos und ihrer Kontextualisierung stehen im Zentrum der Tournee Underground Explosion die 1969 Musik, Performance, Theater sowie Licht- und Filmprojektionen kombinierte. Dieser Beitrag versucht diese Tournee als Expanded Cinema zu begreifen und fragt sich, wieso diese Veranstaltungsreihe ephemer bleiben musste und keine Fortsetzung fand. ; + ID: 586504 + Reihentitel: subTexte + PeerReviewed: Peer Reviewed
Durch die Allegorie der Waldeinsamkeit, die in der Spiegelsymmetrie der Verse eingeschlossen ist, erzeugt Tieck eine Reflexionsfigur des in sich verspiegelten Subjektes und verweist auf einen selbstreflexiven Index, der die poetische Schrift mit der Schrift der Natur konvergieren lässt. Fast zwei Jahrhunderte später fängt ein Emigrant in New York die Natur so zu verfilmen an, wie sie in seinem Heimatland Litauen aussah: mit Schnee, voller Blumen, Bäume und Wind. Er verwendet "das Motiv der Romantik im modernen Kontext: die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart" (Möbius 1991, 22). Er filmt nicht nur die Natur, sondern auch sich selbst und seine unmittelbare Umgebung. Diese Person trägt auch einen Namen, sie heisst Jonas Mekas und zählt zu den ganz grossen noch lebenden Kunstlegenden des 20. Jahrhunderts. Im Westen ist Jonas Mekas als avantgardistischer Filmemacher und vor allem als Erfinder und Schöpfer einer neuen autobiografischen Filmform bekannt, den Filmtagebüchern. Mekas porträtiert die New Yorker Avantgarde-Kunstszene und politische, kulturelle, soziale Geschehnisse genauso wie seine private Familie und entwickelt mit den filmischen Mitteln der Doppelbelichtung, der Jump-cut-Methode, Single Frame und manipulierten Filmgeschwindigkeiten eine eigenartige Filmästhetik. Fast alle seine Filme sind mit narrativem, meist lyrischem extra-diegetischem Voice-Over kommentiert und mit Musik begleitet, was sehr an die Stummfilmästhetik erinnert.
Teil V der Artikelserie "Die ethische Dimension der Drohnendebatte". Zu jedem Krieg, den die USA geführt haben, gibt es mindestens eine Rede, mit der der jeweilige Präsident die Kriegsgründe erläutert, die militärischen Ziele beschreibt und den Gewalteinsatz rechtfertigt. Zum Drohnenkrieg, den US-Präsident Obama drastisch ausgeweitet hat, gibt es so eine Rede nicht. Das mag daran liegen, dass Drohnen in ganz unterschiedlichen Konflikten eingesetzt werden und es sich mehr um eine neue Form der Kriegsführung handelt, als um einen bestimmten Krieg. Es könnte aber auch daran liegen, dass die normative Rechtfertigung des Drohnenkrieges schwerfallen und einer öffentlichen Debatte nicht standhalten würde – oder der Präsident und seine Berater dies glauben – und sie deshalb die Publizität scheuen.
Im Fremdsprachenunterricht wird oftmals neben der Sprachausbildung auch auf politische, historische und kulturelle Entwicklungen eingegangen; durch sie soll die Ausbildung von Sprachkenntnissen und weiteren Kompetenzen anhand von authentischen Inhalten unterstützt werden. Andererseits werden mittlerweile in Sachgegenständen wie Geschichte, Physik oder Geografie immer wieder Themen in einer Fremdsprache durchgenommen, wobei gleichzeitig Wissenserwerb und Sprachkompetenzen gefördert werden. Diese Form von Sachfach-Unterricht kann auf verschiedenen didaktischen Theorien basieren, ein Ansatz ist beispielsweise das Content and Language Integrated Learning (CLIL), das seit Mitte der 1990er Jahre in Europa verstärkt Beachtung findet.Mit dem CLIL-Lehransatz befasst sich auch die vorliegende Diplomarbeit: Im ersten Teil wird auf die theoretischen Grundlagen sowie auf die Vor- und Nachteile eingegangen; anschließend wird CLIL von anderen Begriffen und Ansätzen abgegrenzt.Da CLIL-Unterricht häufig auf Englisch stattfindet, war es besonders spannend, der Frage nachzugehen, wie ein Sachfach, in diesem Fall Kulturmanagement, auf Italienisch gestaltet werden kann. Zu diesem Zweck wurden Unterrichtsmaterialien zu den Themen Film und Theater erarbeitet, die durch Materialien zur Durchführung von Präsentationen, zur Textsorte Rezension und zur Gestaltung eines Portfolios ergänzt werden. Die Materialien im zweiten Teil dieser Arbeit sollen als Sammlung verstanden werden, aus der individuell einzelne Module zusammengestellt werden können.Einige dieser Unterrichtsmaterialien wurden im Zuge eines CLIL-Workshops an einer Grazer BHS in der Praxis erprobt und anhand von Fragebögen evaluiert. Manche Ergebnisse der Befragten waren überraschend, andere wiederum bestätigten die Vorannahmen. Die Befragung, die im dritten Teil der Diplomarbeit zu finden ist, bietet einen interessanten Einblick in die Praxis und soll den Eindruck, den SchülerInnen und LehrerInnen von CLIL haben, wiedergeben. ; In foreign language teaching, topics such as political, historical and cultural developments are often addressed; these subjects represent authentic content and support students in language learning as well as in the formation of additional skills. Alternatively, knowledge from content subjects is sometimes taught by using a foreign language as a medium of instruction. In doing so, knowledge acquisition and language learning are enhanced at the same time. This type of instruction may be based on different pedagogical theories; one approach, for instance, is Content and Language Integrated Learning (CLIL), which has been met with great interest since the mid 1990s in Europe. The present diploma thesis also deals with the CLIL approach: the first part is concerned with the theoretical principles of CLIL, its benefits and challenges; it gets delineated from other theoretical approaches and educational programmes afterwards. As English is often used as the vehicular language in CLIL lessons, it was particularly interesting to consider the question of how the knowledge of a subject, in this case cultural management, can be taught in Italian. For this purpose, teaching materials on theatre and film were compiled; they were complemented by additional activities concerned with the preparation of presentations, the organisation and writing of a review and the design of a portfolio. These materials, constituting the second part of this thesis, should be seen as a collection which teachers can select from to arrange activities according to their needs. Some of these materials were tested in the field as part of a workshop on CLIL in a vocational school in Graz and, subsequently, evaluated with the help of questionnaires. Even though several of these findings were surprising, many of them confirmed the hypotheses. The survey, which can be found in the third part of this diploma thesis, provides an interesting insight into the practical use of CLIL. ; vorgelegt von Birgit Kuntner ; Abweichender Titel laut Übersetzung der Verfasserin/des Verfassers ; Zsfassung in dt. und engl. Sprache ; Graz, Univ., Dipl.-Arb., 2014 ; (VLID)242950
Als Bob Dylan 1965 seine erste Konzert-Tournee in England gab, galt er nicht nur als ein musikalischer Grenzgänger zwischen Folk und Rock'n'Roll, sondern wurde von der Musikpresse und dem Fanpublikum auch als Protestsänger gegen das Establishment, gegen Krieg und Unterdrückung gewertet. Als Bob Dylan im Frühjahr 1965 in London aus dem Flugzeug stieg, tat er dies nicht nur als Musiker, sondern – unfreiwillig – auch als eine Ikone der Protestbewegung. Da in der Arena der Massenmedien ökonomisch verwertbare Nachrichten von der Personalisierung von Ereignissen abhängig waren, wurde Dylan bereits lange vor seiner Ankunft in Europa zur umstrittenen Leitfigur einer jugendkulturellen Gegenkultur stilisiert. Doch bereits vor seiner Ankunft in Europa distanzierte sich Dylan in zahlreichen Interviews und Statements von der Erwartungshaltung der Medienöffentlichkeit, die ihn als populär-intellektuellen Fürsprecher der Protestbewegung zu etikettieren versuchte.
Das Anliegen des Cinema Negro ist die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse einer der komplexesten Machtstrukturen der menschheitlichen Geschichte: Die Kolonisation. Was das Cinema Negro als Widerstandsinstrument in Brasilien versucht ; ist ; der Welt die Wahrheit über Brasiliens Geschichte offenzulegen: was es in Wirklichkeit bedeutet ; Negro in Brasilien zu sein. Ein Ausgangspunkt ist die Lüge der Rassendemokratie in Brasilien ; die auf allen fünf Kontinenten verbreitet wurde. Das Kolonialerbe in Brasilien stellt ein großes Thema dar ; das für die brasilianischen Regisseure bis heute tabu ist ; und wenn es doch vorkommt ; wurde und wird es aus dem Blick der "anderen" gezeigt und nicht aus der eigenen Erfahrungswelt eines Negros heraus. Sie ; die Negros ; konnten bis vor kurzer Zeit nicht selbst Regie führen ; weil sie nicht an die beruflichen Positionen herangelassen wurden. Das Kolonialerbe in Brasilien ; welches das Cinema Negro darstellt ; ist auf der einen Seite ein Labyrinth voll ethnischer Konflikte ; Rassenfeindlichkeit ; ungerechter Gesetze ; Armut ; institutionellem Rassismus ; medialem Rassismus u. a. Auf der anderen Seite lebt dort eine ethnische Gruppe mit einer unerschöpflichen Kultur und einem großen Reichtum an politischer Kraft ; Hoffnung und Kreativität. Mit der Hoffnung auf ein bessere Zukunft kratzt das Cinema Negro viel von der starren Maske des Landes ab. Die Negros sollen besser verstehen können ; wie die Macht gegen sie strukturiert und ausgeübt wird. Nur dann können sie darüber diskutieren und wirksam dagegen angehen. Zum Beispiel müssen sie verstehen können ; wie und warum in Brasilien die soziale Schicht gegenwärtig eine deutlich ethnische Angelegenheit ist. Der Regisseur und vielseitig gebildete Joel Zito Araújo ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Cinema Negro. Die beiden Filme von Araújo – A Negação do Brasil und Filhas do Vento – weisen ; nicht nur im Rahmen dieser Untersuchung ; das Cinema Negro als eine neue Phase des brasilianischen Films aus. Araújo ist Schriftsteller ; Regisseur ; Hochschullehrer ; Produzent und Drehbuchautor von Filmen ; Lehrvideos und TV. Araújo als Regisseur stellt mit seinem Werk einen postkolonialen Diskurs bereit und den Umriss eines weitgefächerten Projektes für zukünftige Diskussionen der Filmgeschichte. 307 Schlussfolgerung Bevor die Kriterien des Cinema Negro festgelegt wurden ; vor allem durch die oben angeführten Manifeste ; war in der Geschichte des brasilianischen Kinos eine positive Bewertung der Schönheit und Fröhlichkeit der Negros und ihrer Kultur ; frei von Ironie ; frei von Stereotypen oder Unterdrückung ; leider kaum zu sehen. Die brasilianischen Regisseure sind nicht bereit ; sich auf die gewaltigen Schauspiele aus den Wohngebieten der Negros zu konzentrieren und damit ihre Leinwand zu "beschmutzen". Diese neue Phase brasilianischer Filme des Cinema Negro zeigt aber einen Kessel voller Elemente ; Zeichen und Metaphern einer langen Geschichte ; die vom Beginn der brasilianischen Filmgeschichte an oft vertuscht oder manipuliert wurde. Das Cinema Negro vollzieht eine Auseinandersetzung mit einem Teil der Brasilianer ; jenem Teil der Landesbevölkerung ; welche mit den Schatten der Kolonisation existiert und unter sehr schlechten Bedingungen zurecht kommen muss. Die Bevölkerung ; abstammend von den Sklaven in Brasilien ; ist groß ; existiert ; kämpft noch um viele Rechte und plädiert für eine Reparation. So dient das Cinema Negro diesen Zielen ; um das tragische Bild der Kolonisation und der Neokolonisation neu zu belichten. In Bildern und Ästhetik hebt das Cinema Negro z. B. in dem Film Bróder die Realität einer Favela hervor und betont das Freundschaftsverhalten und die Gemeinschaft der Mitbewohner positiv. Allein das unterscheidet diesen Film von diversen anderen brasilianischen Filmen ; in denen die Gewalt im Zentrum steht. Das Cinema Negro zeichnet das Bild der Subalternen im Rahmen der Architektur ; der Lebensqualität der Armut ; der sozialen Not und der Prostitution ; des Drogenhandels ; veranschaulicht die Distanz zwischen Reich und Arm. Der Film Bróder legt die heißen Eisen in die Hand der weißen Elite. Immer wieder wird daran erinnert ; wo die Ursache für die Missstände liegt. Bestimmte audiovisuelle Formen wie das Fernsehen stehen im Zentrum der Thematik bei A Negação do Brasil ; Bom dia Eternidade und Filhas do Vento. Das brasilianische Fernsehen ; als ein Medium verantwortlich für eine gigantische Multiplikation des Rassismus sowie für die Verbreitung aller Kriterien der Ideologie der "idealen" weißen ethnischen Gruppe ; wird oft sowohl als Quelle der Diskussion des Cinema Negro verwendet als auch als Teil der Handlung. Das Cinema Negro erreicht bis jetzt in Brasilien kein großes Publikum. Aber die zentrale Thematik ; die Stellung der Negrobevölkerung im brasilianischen Kino und in der brasilianischen Gesellschaft ; 308 Schlussfolgerung findet zum ersten Mal in der Geschichte des brasilianischen Kinos eine feste Basis – in dem Manifest Gênese do Cinema Negro brasileiro und dem Manifest von Recife. Ein weiteres Gestaltungselement des Cinema Negro liegt in der Darstellung und Inklusion einer afrobrasilianischen Ästhetik ; welche bisher nicht zur Geschichte des Kinos in Brasilien gehörte: das Bild einer Bevölkerung und ihrer Kultur ; deren Charakteristika bis dahin oft verborgen und verboten wurden. Erst das Cinema Negro konnte in Brasilien die Schönheit der Negro SchauspielerInnen vollkommen würdigen. Die Rezeption der Bilder des Cinema Negro gilt als filmische Grundlage für den Aufbau eines Selbstbewusstseins ; eines Gewahrwerdens des eigenen Wertes dieser ethnischen Gruppe in Brasilien. Die Öffnung für die Bilder dieser Filmphase ist darin begründet ; dass sie reale und authentische Situationen darstellt ; deren Wurzeln aber in der kolonialen und neokolonialen Geschichte Brasiliens liegen. Die Unterschiede im Lebensstil und in der Lebensqualität sind meistens aufgrund der gesellschaftlichen Werturteile mit den Unterschieden im Phänotyp sehr genau gekoppelt: je dunkler die Haut ; je gelockter das Haar ; desto schlechter die gesellschaftliche Perspektive. Allein das führt zu einer dringend notwendigen Debatte ; verrät die offene Wunde und identifiziert einen gravierenden sozialen Reparationsbedarf ; im Alltagsleben ; im Kino und in anderen Medien.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich am Beispiel der trauernden Mütter geschlechtsspezifische Festschreibungen von Trauer und Erinnerung zeigen. Es wird dargelegt, dass die emotionale Form der Trauer auf die Frauen begrenzt wurde und gleichzeitig in den privaten Raum, in die häusliche Sphäre verlegt wurde. Dies wurde erreicht, indem die Frauen als sakrale Mutterfiguren zwar auf den Denkmälern sichtbar gemacht wurden, aber durch die Stereotypisierung ihrer Darstellung wurde Distanz zu den lebenden Hinterbliebenen geschaffen. Durch die immer wieder postulierte 'stille Trauer' von Müttern konnte ihr politischer Einfluss auf die Hinterbliebenenverbände einerseits und auf öffentliche Trauerfeiern andererseits weitgehend beschränkt werden. Diese Exklusion wurde in der Weimarer Republik nicht - wie nachweisbar in anderen Ländern - durch eine symbolische Politik kompensiert. Erst die Nationalsozialisten lancierten eine symbolische Politik der Ehre und instrumentalisierten die Soldatenmütter des Ersten Weltkriegs für ihre Politik. ; This paper discuss the question how mourning parents demonstrate gender specific dedications of grief and remembrance. It shows that emotional forms of mourning were limited to women and dedicated to the domestic sphere. This has been achieved by visualizing women as sacral mother images, especially on monuments. Stereotyping her picture kept the distance to the surviving members of a family. The political influence on the bereavement organizations and on public commemorations could be limited by postulating the 'silent grief'. This exclusion has not been compensated in the Weimar Republic by a symbolic policy. Initially the National Socialists used a symbolic policy of honor and exploited the mothers of soldiers of the Great War for their policy.
Der rezente 'material turn' fordert mehr kritische Aufmerksamkeit für Textur, Haptik, materielle Beschaffenheit von Medien sowie die Einbeziehung von nicht-menschlicher agency in Analysen von Interaktionen zwischen Mensch und Objekt. Der vorliegende Beitrag beleuchtet das Potenzial dieser Öffnung zur Materialität für eine feministische Auseinandersetzung mit amerikanischem Exploitation- und Trash-Kino ab den späten 1960er Jahren. Der Fokus liegt dabei auf exzessiven Sound-Materialitäten: auf Störgeräusch, Verschmutzung, Verzerrung und Abnutzung in der Tonspur von Herschell Gordon Lewis ' Biker-Exploitation-Klassiker She-Devils on Wheels (1968). Mit Blick auf spätere queere und feministische Film- und Videoarbeiten (v.a. von Michael/Meredith Lucas), welche direkt auf exzessive Sound-Texturen in Lewis' Werk Bezug nehmen, thematisiert der Beitrag zwischen Bedeutung und Affekt oszillierende Resonanzen, welche Dichotomien von Sprache und Materialität zu sprengen versprechen. Current developments in cultural studies and queer feminist theory point towards a 'material turn', which calls for addressing the material bases of media etc. as significant and potentially agential in political and cultural dynamics. This turn aims towards a deconstruction of modern binaries (mind vs. body, culture vs. matter, meaning vs. affect), which also shape hegemonic conceptions of sex, gender and desire.This paper explores the critical potential of this turn for a feminist engagement with American exploitation cinema of the later 1960s. I focus on excessive sound textures: on noise, distortion, dirt and wear in the audio track of Herschell Gordon Lewis' She-Devils on Wheels. By tracing the affective-meaningful resonances sonic dirt may activate, I ask how material criticism provides productive perspectives in dealing with two central, yet problematic categories in feminist cultural criticism: agency and the sovereign subject.
Zehn Jahre sind seit dem Ausbruch schwerer Unruhen zwischen Hindus und Muslimen im Jahre 2002 im westindischen Bundesstaat Gujarat vergangen. Nun erinnern die Medien wieder an den Überfall Unbekannter auf einen mit Hindus besetzten Zug. Folge dieses Überfalls war ein Pogrom gegen Muslime, die man hinter dem Anschlag vermutete. Schnell breitete sich die Gewalt in ganz Gujarat aus. Es stellt sich immer noch die Frage nach den Hintergründen, nach der Rolle von Polizei, Medien und Politik. Der Artikel nähert sich diesem Ereignis anhand einer Theorie des Kommunalismus an. Im Mittelpunkt steht dabei die Thematisierung dieses Vorfalls in dem Film Firaaq von 2007.
Rezension zu Horst Schäfer Kinder, Krieg und Kino. Filme über Kinder und Jugendliche in Kriegssituationen und Krisengebieten. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH, 2008. 254 Seiten
Dieser Essay im Schnittbereich von Film-/Kinotheorie und Politiktheorie verbindet unter dem Namen Wartung/Maintenance die Herstellung von Reinheit als Tätigkeit der Instandhaltung und das Warten, Verbleiben. Ort beider Arten von Wartung/Maintenance ist das Kino. Es wird auf seine «Reinheit» hin gedeutet, in Verdrehung eines ästhetischen Purismus mit politischer Aufladung und entgegen dem gängigen (Kunstfeld-)Diskurs, der Kino als nicht mehr existente Form/Praxis verabschiedet. Das gereinigte Kino hingegen, d.h.: ein Multiplex-Saal, in dem während der Abspänne u.a. von Superheld_innenfilmen (noch nicht) geputzt wird, versammelt Wartungspersonal und Leute, die im Kino bleiben, um auf Credit Cookies zu warten. Diese geteilte Zeit wird gelesen als Maintenance/Aufrechterhaltung verlorener, aber nicht bereinigter Momente protodemokratischer Erfahrung. ; Situated at the intersection of film/cinema theory and political theory, this essay constellates, under the sign of maintenance (German: Wartung), the creation of purity by cleaning with waiting (German: Warten) as staying, maintaining. Both kinds of maintenance take place at the cinema. The essay questions cinema in regards to its cleanliness/purity by twisting a politically charged aesthetic purism and opposing current (art-field) discourses that bid farewell to cinema as a form/practice that is no more. «Purified» cinema, however, i.e., the multiplex theater where cleaning (just not yet) takes place while the credits of superhero movies roll, assembles maintenance people: those who clean the room and those who stay in it to wait for credit cookies. This sharing/dividing of time is read as instances of maintenance of a protodemocratic experience that is lost, but not yet washed away.
Unter einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen von medialisierter Gewalt nimmt Civilized Violence einen eher ungewöhnlichen Standpunkt ein: David Hansen-Miller fragt nicht nach dem Reiz und den Auswirkungen von Gewaltdarstellungen, sondern nach ihrer Funktion, und beleuchtet so die Beziehung zwischen Kino und Gesellschaft. Der Autor bringt hierfür theoretische Konzepte der Subjektivierung und Bio-Politik zusammen mit solchen der Gender Studies und Filmtheorie. Anhand genauer Analysen ausgewählter Filme weist er schlüssig nach, dass das Kino als kulturelles Produkt seit seinen Anfängen eine wesentliche Rolle im Spannungsfeld von Subjektkonstitutionen und Gewalt gespielt hat. In einem abschließenden Kapitel zu zeitgenössischen Gewaltfilmen bekräftigt Hansen-Miller seine These, dass Kino in besonderem Maße die Möglichkeiten hat, gesellschaftliche Machtgefüge zu verhandeln, die sonst nur äußerst subtil in sozialen Strukturen auszumachen sind. ; Contributing to the many studies on media violence, David Hansen-Miller's Civilized Violence offers an interesting perspective by means of discussing the functions of violence representation in films. David Hansen-Miller highlights the entanglements between cinema and society, and brings together theories of subjectivation and biopolitics with gender studies and film theories. The author conducts a close reading of several films, and, in result, emphasizes that cinema as a cultural product has played an important role in the discourse of subjection and subjectivation through violence since its beginnings. Concluding with a chapter on contemporary movies, Hansen-Miller underlines his assumption that cinema has the ability to narrate and interpret social forces that generally have become too opaque to be detected easily in social structures.
Schamkultur und Schuldkultur. Revision einer Theorie Die wissenschaftliche Debatte zu Schuld- und Schamkulturen nimmt ihren Anfang mit den kulturvergleichenden Studien von Ruth Benedict und Margaret Mead in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch werden die Kategorien der Schuld- und Schamkultur bald aus politischen und systematischen Gründen ad acta gelegt. Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, sie im Rahmen einer Typologie so zu modifizieren, dass letztere ein sinnvolles heuristisches Instrument zur Interpretation von Schuld- und Schamphänomenen sowie ihrer jeweiligen sozialen Kontexte darstellt. Diesem Vorhaben liegt die These zugrunde, dass sich in modifizierten Kategorien von Schuld- und Schamkulturen sowohl eine theoretisch stringente Differenzierung von Schuld und Scham als universale Phänomene wie auch die Tatsache erfassen lässt, dass Schuld und Scham kulturspezifisch zu unterscheidende Aspekte in Abhängigkeit von bestimmten, soziologisch beschreibbaren Konturen kultureller Kontexte aufweisen. Dazu werden in einem ersten Schritt ausgewählte soziologische, psychologische, anthropologische und philosophische Konzepte und Differenzierungen von Schuld und Scham untersucht. In diesem Spektrum an Positionen fällt auf, dass Scham nahezu ausnahmslos als soziales Phänomen, als Scham vor dem Anderen dargestellt wird. Damit durchzieht diesen Begriff von Scham ein Zug von Heteronomie. Dies lässt sich ebenso für das vorherrschende Verständnis von Schuld nachweisen: auch die internalisierten Maßstäbe des scheinbar individuellen Gewissens erhalten den analysierten Konzepten zufolge ihre Autorität selbstverständlich von einem Anderen her, sei dieser Andere die Eltern, die Gesellschaft oder ein Gott. In anthropologischer Hinsicht wird in diesen Konzepten von Schuld und Scham mithin die (wenn auch begrenzte) Fähigkeit zu moralischer Autonomie, d.h. die Fähigkeit des Subjekts, Normen und Werte selbst zu verantworten und sich selbst als deren legitimierende Instanz zu betrachten, als Komplement zur Integrations- und Bindungsfähigkeit des Menschen und damit die Möglichkeit, sich vor sich selbst zu schämen, systematisch nicht oder zu wenig berücksichtigt. Auf einen zweiten blinden Fleck macht die Untersuchung der Debatte zu Schuld- und Schamkulturen aufmerksam. Schuldkulturen wurden über das Kriterium der Dominanz von Schuld, Schamkulturen über das der Scham definiert. Dies verstellt den Blick dafür, dass Schuld und Scham nicht nur universale Aspekte, sondern auch kulturspezifische Züge tragen und daher beide – in je spezifischen Varianten – sowohl in Schuld- als auch in Schamkulturen in einem spezifischen Konnex zueinander stehend zu erwarten sind. Diese These wird in dem Entwurf einer Typologie von Schuld- und Schamkulturen ausformuliert. In anthropologischer Hinsicht versucht diese Typologie, die Konzepte so zu konturieren, dass sowohl Bindung als auch Autonomie als menschliche Grundbedürfnisse und Vermögen Berücksichtigung finden. Als soziologisches Kriterium der Differenzierung von Schuld- und Schamkulturen schlägt sie eine Kollektivorientierung versus einer Priorisierung des Individuums vor dem Kollektiv vor. Es wird also die These vertreten, dass Gruppen als strukturprägendem Wert entweder dem Schutz, der Integration, der Harmonie der Gruppe als Gemeinschaft höchste Priorität zuschreiben oder dem Individuum als Ideal nahelegen, dass es sich in Autonomie entwickelt, sich individualisiert. Eine Schuldkultur wird, so die Typologie, über das Kriterium der "Individualisierung" bzw. Autonomieorientierung und eine Schamkultur über das der Orientierung des Individuums auf das Kollektiv hin definiert. Die Konsequenzen für das Selbstkonzept des Individuums und das im jeweiligen kulturellen Kontext zu erwartende Verständnis von Moralität werden ausgelotet. Ebenso wird die Frage diskutiert, welche Verhältnisbestimmung von Schuld und Scham sich aus der Logik der Typologie ergibt. ; Shame culture and guilt culture. Reconsidering a theory The academic debate on shame and guilt cultures was first initiated in the middle of the 20th century through the comparative ethnographic studies of Margaret Mead and Ruth Benedict. But the categories of shame and guilt culture disappeared soon after for political and systematic reasons. The present dissertation tries to modify the categories in the framework of a typology, so that the latter may function as a helpful heuristic instrument for the interpretation of phenomena of guilt and shame within their respective social context. For it is assumed that, first, the modified categories of shame culture and guilt culture allow the emotions of shame and guilt to be differentiated precisely as universal phenomena. Second, their culturally specific aspects can be pointed out and understood particularly with regard to their dependence on the specific describable sociological characteristics of their cultural context. The study first analyses selected sociological, psychological, anthropological and philosophical concepts and their differentiation of shame and guilt. It appears that - with very few exceptions - shame is considered to be a social phenomenon occurring exclusively in the face of the other. Therefore, shame includes some sort of heteronomy. The same proves true for the dominant concept of guilt: even the norms of the seemingly individual conscience count because they are internalized from external authorities such as parents, society or in religious adherence. The author asserts that considering the concepts of shame and guilt from an anthropological point of view, moral autonomy, which can be viewed as a complement to the human ability of integration and bonding, is systematically neglected. Autonomy is defined as the (limited) ability of the subject to account for its own norms and values and to take itself to be the legitimizing authority in this question. Neglecting autonomy, the examined concepts do not take into account that a person might also be ashamed "in the face of herself" without any other person being present in this situation, not even in her mind. Having studied the debate on guilt and shame cultures, the author points to a second desideratum. The dominance of either guilt or shame has been considered the defining criterion of either guilt cultures or shame cultures. As a consequence, the cultural specificity of shame and guilt, as well as the possibility that they occur in combination in certain culturally specific relationships, has been overseen. This thesis is elaborated in a typology of guilt and shame cultures which aims at taking seriously the anthropological abilities and necessities both of autonomy on the one hand and bonding on the other hand. The author proposes to presume a normative orientation towards the collective for shame cultures and the individual being prioritized before the collective in guilt cultures. Thus, groups are considered either to give top priority to the protection, integration, and harmony of the group as a community, or to encourage the individual to develop its autonomy and, thus, to individualize. This "individualization" towards autonomy characterizes, according to the typology, a guilt culture, while the orientation of the individual towards the collective is proposed as the defining criterion of a shame culture. The consequences concerning the self-concept of the individual and the concept of morality are considered, as well as the question of how shame and guilt might be related to each other in each type of cultural context.