Das Ziel dieser Arbeit ist nicht, die vielbekannte Kontroverse um das Politische "bei"/"ab" bzw. "nach" Heideggers \(\textit {Sein und Zeit}\) wiederaufzunehmen. Unsere Überlegungen beschränken sich vielmehr auf den weniger unternommenen Versuch, eine solche politische Dimension in der Philosophie des frühen Heidegger (1919-1923) zu entdecken und zu erörtern. Das Hauptthema der frühen Philosophie Heideggers lässt sich auf eine fundamental-phänomenologische Frage zurückführen: die Frage nach einem Denken des Ursprungs, d.h. einem Denken, das sich fähig erklärt, einen echten und adäquaten Zugang zur ursprünglichen Struktur der faktischen Lebenserfahrung zu gewinnen. Die Frage lautet nun: Wie lässt sich überhaupt die Thematik des Politischen in einer solchen phänomenologischen Dimension entdecken und artikulieren?
trad. dalla lingua greca nella thoscana dall'eccellente phisico Pamphilo Fiorimbene ; Volltext // Exemplar mit der Signatur: Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek -- LG 1022
Die 475 Briefe von und an Leibniz im Zeitraum Oktober 1698 bis April 1699 (198 von Leibniz geschriebene, 275 an ihn gerichtete Briefe und zwei Drittstücke) dokumentieren das breite Spektrum der wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten und Interessen des Universalgelehrten. Den größten Raum nimmt die Korrespondenz zur Kirchenvereinigung ein, die Leibniz (zusammen mit G. W. Molanus) von lutherischer Seite sowohl mit der katholischen Kirche (Bossuet und Buchhaim) als auch mit den Brandenburger Reformierten (D. E. Jablonski) voranzutreiben sucht. Daneben ist Leibniz mit der Herausgabe eines Gedenkbandes für den verstorbenen ersten hannoverschen Kurfürsten beschäftigt, führt seine Forschungen zur Welfengeschichte fort, ist als Gutachter zu rechtshistorischen Fragen tätig und nimmt Anteil an der Korrespondenz zwischen Kurfürstin Sophie und ihrer Nichte Elisabeth Charlotte von Orléans. Als wacher Beobachter der europäischen Politik verfolgt Leibniz den entstehenden Konflikt um die Spanische Erbfolge und die Vorboten des Nordischen Krieges. Weitgespannt ist auch die Korrespondenz, die Leibniz über die nova litteraria im Bereich der Philosophie, Mathematik, Philologie, Sprachwissenschaft und Geschichte auf dem laufenden hält und mit der er gleichermaßen Anregungen und Hilfestellungen für andere Mitglieder der Gelehrtenrepublik gibt.
Leibniz' Briefwechsel wird 1705/06 vor allem von den politischen und militärischen Großereignissen bestimmt, über deren Verlauf sich Leibniz informieren lässt und zu denen er eigene Einschätzungen an seine Korrespondenten weitergibt: Zum Spanischen Erbfolgekrieg, zum Nordischen Krieg und zu der Aussicht des Hauses Hannover auf die Thronfolge in England. Um letztere zu forcieren und eine Einladung der Kurfürstin Sophie nach England zu erzwingen, entwirft und publiziert er im Namen von Rowland Gwynne ein Pamphlet, das in London jedoch das genaue Gegenteil bewirkt und im dortigen Parlament zum Skandal wird. Im Bereich der Philosophie greift Leibniz in die zwischen J. Le Clerc und P. Bayle geführte Diskussion um das Werk von R. Cudworth, The true intellectual system of the Universe, 1678, mit seiner Considération sur les principes de vie, et sur les natures plastiques, ein. Im August 1705 erreicht Leibniz' Korrespondenz mit den China-Missionaren (J. Bouvet, J. de Fontaney, Ch. Le Gobien, A. Verjus, C. Visdelou) einen letzten Höhepunkt. Der Austausch mit dem Pariser Oratorianer J. Lelong widmet sich weiterhin nebeneinander Bibel-Bibliographie und dem Streit um die Anwendbarkeit des Differentialkalküls.
Ausgehend von zwei Fallbeispielen, dem Apollontempel im Letoon von Xanthos und demjenigen von Kyrene, geht der Beitrag der Frage nach, welche Rolle Tempelbauten für das Selbstverständnis griechischer bzw. hellenisierter Gemeinwesen spielten. In beiden Fällen sind ältere Sakralbauten, oder zumindest substanzielle Teile von solchen, im Innern jüngerer Tempel erhalten geblieben. Es scheint hier eine Strategie fassbar, mit der einerseits das historische Erbe der jeweiligen Gemeinwesen herausgestellt, andererseits der Anschluss an zeitgenössische Trends der Baukunst gesucht wird. Diese 'bewahrende Modernisierung' dient nicht zuletzt dazu, politische und soziale Positionen in Zeiten des Umbruchs, namentlich im Prozess der Eingliederung in die hellenistischen und römischen Großreiche zu behaupten.
This essay focuses on the approach to the study of political and legal phenomena that can be defined "critical realism" and with its apparent paradox. By "critical realism" I understand a way of looking at political and legal phenomena that combines a blunt analysis of social reality with a transformative, non-resigned critical attitude towards the status quo. I argue that this is the approach that inspired Danilo Zolo's lifelong reflections on politics and law. The same approach, moreover, is in my opinion shared by authors such as Raymond Geuss and Bernard Williams, who, since the beginning of the new millennium, have contributed to re-shape the international debate on the methods of political philosophy. Inherent in this approach is a paradox that can be encapsulated in the following two questions. First, if the theoretical analysis should not start from ideals and principles, but must instead take as point of departure the social and political situation in which we are inescapably entangled (both central assumptions of the critical realism), how is it possible to gain the distance necessary for criticisms? Second, if we cannot transcend our societal reality and cannot therefore rely on external and objective values, on which basis is it possible to suggest "better" alternatives to the status quo? The mentioned authors could not explain convincingly, in my opinion, how these two questions can be answered. However, and this is the central claim of the article, the paradox is not unresolvable. The two questions mentioned above can be answered, so my argument, by recurring, respectively, to the negativism characteristic of Judith Shklar's approach to political and legal theory and to the concept of "immanent critique" as understood by Rahel Jaeggi. Shklar convincingly shows that the critique of the status quo can be made not notwithstanding the blunt analysis of social reality, but exactly in reason of it. In order to recognise abuses of power and injustices, so her argument, we do not need an ideal theory of justice or of the perfect state. On the contrary, nothing better than history and the analysis of contemporary social reality can show us that injustices and abuses of power are a recurring and ever possible characteristics of politics. Jaeggi's concept on immanent critique, moreover, indicates how it is possible to build an alternative to the criticized situation that is not anchored on transcendent principles and yet can plausibly explain why the suggested alternative is "better" than the status quo. Finally, I argue that both Shklars' negativism and Jaeggi's concept of immanent critique operate implicitly in Zolo's approach, but that they, having not being made explicit, could not develop their whole potential.
Das politische Denken Ernst Cassirers steht im Mittelpunkt der vorliegenden Forschungsarbeit, die von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte ausgeht und eine spezifische methodische Perspektive einführt, um dieses Problem in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und um zu erklären, wie und inwieweit legitim von einem politischen Denken im Falle der Kulturphilosophie Cassirers gesprochen werden kann. Unter der Annahme einer Kontinuitätshypothese wird auf diejenigen Hauptmomente fokussiert, in denen Cassirer die Grundsätze seiner politisch-philosophischen Auffassung entwickelte, und zwar auf die Werke "Leibniz' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen" 1902 und "Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte" 1916: in diesen Untersuchungen über die ethisch-rechtliche Grundlegung der Geisteswissenschaften und über das Problem der Freiheits- und Staatsidee lassen sich zwei Grundmotive aufzeigen, die alle folgenden Entwicklungen der Cassirerschen politischen Reflexionen zwischen dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus bestimmen: vom Streit um den Begriff der Nation mit dem Philosophen Bruno Bauch über die Verteidigung des republikanischen Konstitutionalismus am Ende der 1920er Jahre und über die ethisch-rechtlichen Beiträge der Exilzeit in den 1930er Jahren bis hin zum posthumen The Myth of the State 1946. Das Leitmotiv dieser politisch-philosophischen Überlegungen Cassirers ist in der Tat die Betrachtung des Problems der idealistischen Verwandlung des Staatsbegriffs in einen normativen Kulturbegriff bzw. in eine Kulturform unter systematischer Berücksichtigung von der Geschichte der politischen Philosophie und Wissenschaft der europäischen Moderne. In Bezug auf diese Hauptmomente der Cassirerschen politischen Produktion werden ihr philosophisch-geschichtlicher und kultureller Kontext sowie ihre Quellen beleuchtet. ; The political thought of Ernst Cassirer is the focus of the present research work, which starts from a critical assessment of his reception and introduces a specific methodological approach in order to reconsider this issue and to clarify the sense in which it is legitimate to speak of a political thought in Cassirer's Philosophy of Culture. Assuming that there is a continuity in his philosophy, this research focuses on the two fundamental moments in which Cassirer develops the principles of his political thought, that is to say the works "Leibniz' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen" (1902) and "Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte" (1916). In his investigations on the ethical-legal foundation of the Geisteswissenschaften and on the problem of freedom and state can be recognized two crucial issues as the basis of all developments in Cassirer's political thought between the World War I, the Weimar Republic and the Nazism: from the controversy with the philosopher Bruno Bauch about the concept of nation to the defense of a republican constitutionalism at the end of the 20's, from the ethical and legal contributions of the 30's till the inquiries on the political myth in his posthumous work "The Myth of the state" (1946). In this philosophical-political elaboration Cassirer's main concern is to study the problem of the idealistic transformation of the state into a normative cultural concept and into a form of culture in the light of the history of political philosophy and political science in modern Europe. For each of the main points of Cassirer's political production are therefore highlighted the historical-philosophical and cultural context, along with the sources and the most important references.
Die Freie Universität Berlin hat dem Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Essayist Claudio Magris am 11. Mai 2017 die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften verliehen. Die Ansprachen, Laudatio und Dankesrede sowie die Beiträge eines am 12. Mai 2017 in Anwesenheit des Laureaten abgehaltenen Studientags bilden den ersten Band der Schriften des Italienzentrums der Freien Universität Berlin. Das viel beachtete Werk von Claudio Magris wurde bisher aus einer Reihe von wissenschaftlichen Perspektiven untersucht. Unter anderem hat man sich mit der Bedeutung von Orten und Örtlichkeiten in den Texten von Magris befasst, mit der politisch-historischen Dimension seines Schreibens (etwa der Bedeutung des Konzepts 'Mitteleuropa') oder mit der Problematik von Übersetzen und Übersetzung im Horizont seines Schaffens. Ein Aspekt ist dabei weitgehend vernachlässigt worden: die Frage nach der Literarizität von Magris' Texten. Sie betrifft zunächst insbesondere die in einem engeren Sinn 'literarischen' Publikationen des Autors, also etwa die Erzählungen Illazioni su una sciabola (1984) und Un altro mare (1991), die Romane Alla cieca (2005) und Non luogo a procedere (2015), Theaterstücke wie Stadelmann (1988) oder einen Text wie Le voci (1994), den die Kritik unter anderem als Theatermonolog, Radiodramma, aber auch als Erzählung bezeichnet hat. Im weiteren Sinne geht es bei dieser Frage aber auch um eine Reihe anderer Texte von Magris, darunter den viel berufenen Bestseller Danubio (1986). Die Literarizität all solcher Texte zu untersuchen impliziert mehrere Problemstellungen, darunter Fragen wie diese: Lassen sich bestimmte literarische Gattungstraditionen identifizieren, auf die sich die literarischen Dimensionen von Magris' Produktion beziehen? Wie sind überhaupt – angesichts der sehr schwankenden genremäßigen Einordnungen von Magris' Büchern im Allgemeinen – Gattungszuordnungen seiner literarischen Texte möglich? In welchem Verhältnis stehen in ihnen Fiktionalität und Faktualität? ...
Der Beitrag behandelt neuere Studien zum Thema der nationes im frühneuzeitlichen Rom in jüngeren Studien. Er bezieht sich auf Forschungen angesehener ausländischer Einrichtungen wie der Bibliotheca Hertziana, Studien italienischer und ausländischer Wissenschaftler, die an einem von der römischen Accademia di Ungheria organisierten Studientag teilgenommen hatten, aber auch auf Untersuchungen einzelner Wissenschaftler. Alle behandeln nicht nur die künstlerischen Perspektiven, dieser nationalen Einrichtungen – Kirchen, Bruderschaften, Kollegien –, sondern analysieren auch deren Rolle als soziale, kulturelle und politische Aggregations- und Integrationsorte, die sie in dem komplexen römischen Umfeld ausgefüllt haben. Eine eindeutige Definition der Begriffe natio und Nationalkirche bleibt dabei schwierig, vor allem dann, wenn in den Einrichtungen Personen und Gruppen aus entfernten Territorien und Grenzregionen zusammenkamen. Vor diesem vielschichtigen Hintergrund fehlt es ferner noch an einer vertieften Erörterung der Nationalkollegien, die eine Missions- und Beherbergungsfunktion in sich vereinten. ; This article examines the attention devoted in recent studies to the topic of the nationes in Rome during the modern period. These include studies conducted by prestigious foreign institutions, such as the Hertziana Library, of essays published by the Italian and foreign attendees of a day conference organized by the Hungarian Academy in Rome, and research undertaken by individual scholars. All attempt not only to explore the artistic aspects of these national institutions – churches, confraternities, colleges – but also to analyse their role in providing a social, cultural and political meeting place and fostering integration into the complex world of Rome. However, there remains an intrinsic difficulty in finding a coherent definition both of the concept of natio and of national church, especially for those that attracted individuals and groups from distant and frontier territories. Within this variegated context ...
Claude Lévi-Strauss nel centenario della nascita - "Ciò che devo constatare sono le devastazioni attuali, la scomparsa spaventosa delle specie viventi, sia quelle vegetali sia quelle animali, e il fatto che la specie umana – a partire dal fatto stesso della attuale densità di popolazione – vive in un tipo di regime di avvelenamento interno, e io penso al presente e al mondo nel quale sto per finire la mia vita. Questo non è un mondo che amo". Claude Lévi-Strauss (2005). Convegno organizzato a Napoli da: Istituto Italiano per gli Studi Filosofici Centro delle Ricerche EtnoAntropologiche Milano (CREAM) Conseil international de la philosophie et des sciences humaines (CIPSH) Diogène - Revue internationale des sciences humaines. Claude Lévi-Strauss nel centenario della nascita 8-10 maggio 2008 Napoli Palazzo Serra di Cassano via Monte di Dio, 14.
Der Begriff δαίμων ist semantisch äußerst vieldeutig, was seine Definition erschwert. In der vorplatonischen Antike war er nicht an einen bestimmten Kult oder an Feste und Rituale gebunden: Homer benutzt die Begriffe δαίμων und θεός ohne Unterschied, und in der Antike steht er auch für das Schicksal der Individuen (μοῖρα, τύχη), für ein Rachewesen (ἀλάστωρ) oder für die Seele der Verstorbenen. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde der Bedeutungswandel dieses Begriffes analysiert. Diese Analyse erfolgte nicht in rein chronologischer Ordnung, sondern orientierte sich vielmehr an der Bedeutung des Begriffes innerhalb verschiedener literarischer Gattungen (in der Epik homerischer Zeit und bei Hesiod, in der Tragödie und in der Komödie) und der vor- und nachplatonischen Philosophie. Die Schriften Platons wurden in diesem Teil nicht berücksichtigt. Um sie geht es im zweiten Teil der Arbeit. Die Einleitung sollte zeigen, auf welchem religiösen und kulturellen Hintergrund Platon seine Lehren entwickeln konnte und wie sich die Vorstellung des Dämonischen nach Platon gewandelt hat. Er entwickelt eine Idee, auf der zuerst die Philosophen der Alten Akademie und später die des mittleren Platonismus ihr Lehrgebäude der so genannten "Platonischen Dämonologie" errichtet haben. Gemeint ist die Idee der vermittelnden Funktion des dämonischen Elementes, das zwischen zwei ansonsten unvereinbaren Elementen vermitteln kann: zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen, zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen – Platon selbst sagt im Symposion: «Die Gottheit verkehrt nicht unmittelbar mit Menschen» (θεὸς δὲ ἀνθρώπῳ οὐ μείγνυται: Pl., Symp., 203a1-2). Das zweite Kapitel des ersten Teiles untersucht die immer schematischer werdende Ausarbeitung einer Dämonologie, die von den Dreiecken des Xenokrates bis zu den starren Katalogisierungen bei Apuleius und in den Reden von Maximus von Tyros führt. Die vorliegende Arbeit geht nicht über diese Autoren hinaus. Denn sie soll zeigen, wie die unmittelbaren Nachfolger Platons, die Mitglieder der Alten Akademie, und später die Philosophen des mittleren Platonismus ihre Theorien ausgearbeitet haben, indem sie das, was bei Platon verschiedenartige Andeutungen waren, strukturierten, und indem sie das in ein Konzept bringen wollten, was bei ihm unbestimmt blieb. Dabei wurden sie vielleicht von der Darstellung des Dämonischen (und speziell des δαιμόνιον des Sokrates) in zwei Dialogen zweifelhafter Authentizität beeinflusst: durch den Alkibiades I und den Theages. Im mittleren Platonismus werden die Dämonen fest in das gesamte kosmologische System eingebunden, und auch das δαιμόνιον des Sokrates hört auf, das unbegreifliche und undefinierbare dämonische Zeichen zu sein, von dem Platon in seinen Dialogen spricht: Es wird von dort an wie ein δαίμων dargestellt. Um diesen interpretatorischen Vorschlag zu bekräftigen, wurden im zweiten Teil dieser Arbeit die verschiedenen Termini untersucht, die Platon für das Dämonische verwendet. Diese wurden in vier "Kategorien" eingeteilt, die aber dennoch kein starres Schema darstellen sollen, sondern ineinander übergehen, weil sie alle die platonische Idee der vermittelnden Natur des Dämonischen gemeinsam haben: 1) Die δαίμονες als beschützende Mächte, Hirten für die Menschen in der Erzählung eschatologischer Mythen im Phaidon und in der Politeia, in derjenigen des Zeitalters des Chronos im Politikos und in den Nomoi; 2) Der δαίμων, der dem höheren Teil der Seele bzw. der rationalen Seele entspricht, die vom Demiurgen geschaffen wurde, von dem Platon im Timaios spricht; 3) Das δαιμόνιον des Sokartes, auf das Platon in zahlreichen Schriften verweist; 4) Eros, wie er in der Rede der Priesterin Diotima von Mantinea im Symposion als δαίμων μέγας beschrieben wird. In den zwei unterschiedlichen Darstellungen des Mythos des Chronos bei Platon im Politikos und in den Nomoi sind die δαίμονες göttliche Wesen, die über den Menschen stehen. Sie wachen über die Lebewesen wie göttliche Beschützer und Hirten, und stellen ihnen alles Lebensnotwendige zur Verfügung. Während sie im Mythos des Politikos für die Menschen sorgen, indem sie lediglich deren primären und körperlichen Bedürfnisse befriedigen – hier ist der Mensch als ein Lebewesen unter vielen dargestellt –, beziehen sich die Aussagen in den Nomoi nur auf die Menschen, die sich von den Tieren unterscheiden. Hier sorgen die δαίμονες dafür, dass die Menschen miteinander in einem Zustand leben, der sowohl durch Eigenschaften gekennzeichnet ist, die dem Goldenen Zeitalter entnommen sind (wie z. B. Frieden und Prosperität), als auch durch politisch konnotierte Begriffe wie sittliche Scheu, Gesetzlichkeit und die Fülle der Gerechtigkeit (Leg., IV 713e1-2). In den Nomoi findet sich daneben auch eine andere Vorstellung der δαίμονες, die nicht an einen mythologischen Kontext gebunden ist, sondern an einen religiösen. Gemeint ist die Beschreibung der kultischen Handlungen im Prototyp einer idealen Stadt, wie er von den drei Protagonisten des Dialoges, dem Kreter Klinias, dem Spartaner Megillos und einem anonymen Athener präsentiert wird. Hier sind die δαίμονες in ein hierarchisches System göttlicher Wesen eingegliedert, das aus Göttern, Dämonen und Helden besteht. Der Dämon wird als positives göttliches Wesen dargestellt (entsprechend der platonischen Vorstellung, dass das Göttliche nie Ursache für ein Übel bei den Sterblichen ist), das jeden einzelnen Menschen begleitet und die Aufgabe hat, dessen Lebenssituation zum Guten zu wenden, indem es ihn manchmal von bestimmten Handlungen abhält (Leg., V, 732c1-6). Diese Stelle erinnert einerseits an den apotreptischen Charakter des δαιμόνιον des Sokrates. Andererseits ist der δαίμων in den Nomoi nicht nur eine verhindernde, sondern auch eine aktive Macht. Wie bei Hesiod (Op., 121-123) und in den platonischen Darstellungen im Phaidon und in der Politeia, werden die δαίμονες hier als Wächter (φύλακες) beschrieben , die den Menschen begleiten und ihn durch sein Leben führen. Im Timaios gibt es dagegen nicht die Vorstellung, dass der Dämon eine äußere Macht ist, die für die menschlichen Seelen sorgt und sie führt; diese Funktion übernehmen dagegen die Sterne, die in der Anzahl den Menschenseelen gleichen bzw. die niedrigeren Götter, die den sterblichen Teil der Seele erschaffen und die Aufgabe haben, das Lebewesen zum Bestmöglichen hin zu lenken (Pl., Tim., 42e2-4): Sie ziehen den Menschen auf, ernähren ihn, und empfangen ihn nach dem Tod schließlich wieder (Tim., 41d1-3), so wie es die δαίμονες in den Mythen im Politikos, in den Nomoi, im Phaidon und schließlich teilweise auch in der Politeia tun. Im Timaios ist der δαίμων dagegen eine innere Kraft, weil er mit der Seele selbst gleichzusetzen ist. In diesem Punkt könnte er auch mit dem Eros des Symposion verglichen werden, der, wie im letzten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, mit einem Impuls der Seele in eine bestimmte Richtung hin gleichzusetzen sein könnte: Er strebt zum Hohen, zur Idee des Guten, bringt also auch die Seele dazu, sich zu vergöttlichen; wenn diese allerdings zum Niederen strebt, kann der Dämon nicht verhindern, dass sich der Mensch auf einen fast tierischen Zustand herabbegibt. Im eschatologischen Mythos des Phaidon (107d-108b; 113b) wird der δαίμων als eine Art Schutzgeist dargestellt, der einem Menschen bei der Geburt durch das Schicksal zugeteilt wird (λαγχάνω: 107d6), ihn im Laufe seines Lebens begleitet und seine Seele nach dem Tod zum Ort des Gerichtes führt. Aus dieser Darstellung geht nicht klar hervor, wie viele δαίμονες dabei beteiligt sind und welcher Art sie sind: Handelt es sich um zwei Dämonen gleicher Art, um zwei verschiedener Arten (der ἑκάστου δαίμων in 107d6 und der ἡγεμών in 107e1 und 108b2, der eine Art Jenseitsdämon darstellt) oder um drei δαίμονες zweier unterschiedlicher Arten (wenn man davon ausgeht, dass der ἄλλος ἡγεμών in 107e3 nur die Aufgabe hat, die menschliche Seele aus dem Hades zu seiner Reinkarnation zu führen)? Alle drei Interpretationen sind nach Platons Text denkbar. Sicher ist, dass die δαίμονες in diesem Mythos als schützende Wesen dargestellt werden, die mächtiger als die individuellen Seelen sind und als überpersönliche Kräfte auf die Einzelseele im Dienst der Gerechtigkeit einwirken. Eine analoge Funktion hat der δαίμων auch im Mythos von Er in der Politeia, doch mit dem entscheidenden Unterschied, dass er nicht durch das Schicksal einer Seele zugeteilt wird, sondern von der Seele selbst ausgewählt wird. Dadurch wählt die Seele zugleich die Art des zukünftigen Lebens aus. Das stellt eine Innovation im traditionellen religiösen Glauben dar, dem zufolge die Götter und die Notwendigkeit über das Schicksal eines Menschen entscheiden. Die δαίμονες tragen hier keinerlei Verantwortung für die Wahl, die das Individuum trifft. Aus diesem Grund dürfen die Sterblichen die Schuld für ihre eigenen Leiden nicht bei den Göttern oder Dämonen suchen, sondern nur bei sich selbst. Anders als bei Hesiod beschützt der δαίμων hier nicht den Menschen, sondern beschränkt sich darauf, das Schicksal zu überwachen, das dieser sich selbst ausgesucht hat, (a) als Begleiter seines Lebens (Resp., 620d8-c1) und (b) als Garant für die Realisierung aller getroffenen Entscheidungen (620e1). Der δαίμων der Politeia ist also Ausdruck der Wahl einer Lebensform und des Schicksals, die vom Menschen selbst getroffen wurde. Der δαίμων, der den Menschen dazu zwingt, dem Schicksal zu gehorchen, das er sich ausgesucht hat, erinnert an das δαιμόνιον des Sokrates, das in apotreptischer Weise interveniert, um den Philosophen an falschen oder ungebührlichen Handlungen zu hindern und das immer an seine philosophische Mission gebunden ist. Könnte man also die Hypothese aufstellen, dass die Seele des Sokrates das Lebensparadigma des Philosophen gewählt hat und dass sein δαιμόνιον interveniert, um ihn daran zu hindern, sich von diesem gewählten Paradigma zu entfernen? Obwohl in der Politeia der "Philosoph" nicht zu den möglichen Lebensformen zählt, wäre auch diese Interpretation möglich. Denn auch das δαιμόνιον des Sokrates ist eine Art "schützendes Zeichen", eine göttliche Macht, die mächtiger als die menschliche Seele ist. Dies würde einen roten Faden darstellen, der das Bild der δαίμονες als Schutzgeister mit dem des δαιμόνιον des Sokrates verbindet. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass das δαιμόνιον kein eigentlicher Dämon, sondern eben ein dämonisches Zeichen ist, weshalb Platon niemals den Begriff δαίμων in Bezug auf ein solches benutzt. Wenn Platon von diesem Zeichen spricht, bleibt er unbestimmt. Er nennt es φωνή (Stimme), dämonisches Zeichen (τὸ δαιμόνιον σημεῖον) oder einfach τι δαιμόνιον bzw. τὸ δαιμόνιον. Der Begriff τὸ δαιμόνιον, der eine elliptische Variante zu τὸ δαιμόνιον σημεῖον ist, suggeriert, dass es sich nicht um ein wirkliches, individuelles Wesen handelt, sondern um ein Zeichen von irgendetwas. Ein Zeichen muss eine Quelle bzw. einen Absender und einen Empfänger haben. Der Empfänger ist in diesem Fall Sokrates, und die Quelle ist mit Sicherheit eine Gottheit. Man kann nicht genau sagen, um welche Gottheit es sich handelt. Man könnte vermuten, dass Apoll der Ursprung des dämonischen Zeichens ist, weil an ihn Sokrates' philosophische Aufgabe gebunden ist und weil τὸ δαιμόνιον sich immer nur in einem philosophischen Zusammenhang zeigt. Das δαιμόνιον wäre also ein Zeichen (σημεῖον), durch das sich der Gott Sokrates auf indirektem Wege zu erkennen gibt, um ihn vom schlechten Handeln abzuhalten. Man könnte sich also fragen: Wenn die Götter, wie Platon sagt, uneingeschränkt gut sind, warum interveniert diese Gottheit dann nur zugunsten des Sokrates und nicht der anderen Menschen? Sokrates ist ein tugendhafter Mensch, das Beispiel des wahren Philosophen, und sowohl Platon als auch Xenophon stimmen überein, wenn sie sagen, dass er von den Göttern sicherlich geliebt ist. Dennoch wäre es möglich, dass der Gott seine Zeichen nicht nur ihm sendet, sondern auch allen gewöhnlichen Menschen, dass aber nur ein dämonischer Mensch (δαιμόνιος ἀνήρ: Pl., Symp., 203a5) wie Sokrates sie empfangen kann. Die Einzigartigkeit des δαιμόνιον, von der Platon in der Politeia spricht (τὸ δ' ἡμέτερον οὐκ ἄξιον λέγειν, τὸ δαιμόνιον σημεῖον· ἢ γάρ πού τινι ἄλλῳ ἢ οὐδενὶ τῶν ἔμπροσθεν γέγονεν: Pl., Resp., VI 496c3-5), hängt also von Sokrates' Atopie ab, der als einziger Mensch die Eigenschaften besitzt, das Zeichen des Gottes zu empfangen und zu interpretieren. Eine ähnliche Idee kommt auch bei Plutarch zum Ausdruck, der als erster mittelplatonischer Autor versucht hat, das δαιμόνιον des Sokrates in eine dämonologische Lehre zu integrieren. In der Schrift De genio Socratis lässt er Simmias sagen, dass das δαιμόνιον im Grunde genommen nicht nur Sokrates gehört, sondern dass tatsächlich nur er und sehr wenige weitere Personen, die frei von Leidenschaften sind, die Gedanken der Dämonen wahrnehmen können (Plut., De Gen., 588 E; 593 D). An diesem Punkt darf man fragen: Warum greift Platon in seinen verschiedenen Darstellungen auf das Konzept des Dämonischen zurück, um sich sowohl auf die Seelen derjenigen Toten, die sich in Dämonon verwandelt haben (Resp., V 469a; VII 540c; Crat., 397e-398c) als auch auf die Schutzgeister, auf göttliche Hirten im Zeitalter des Chronos, auf den höheren Teil der Seele im Timaios, auf das δαιμόνιον des Sokrates oder auch auf Eros zu beziehen? Was ist das Element, das solch unterschiedliche Bilder miteinander verbindet? Die Antwort auf diese Frage ist in der Definition des Dämonischen zu suchen, die im Symposion enthalten ist: «Alles Dämonische ist zwischen Gott und dem Sterblichen » (καὶ γὰρ πᾶν τὸ δαιμόνιον μεταξύ ἐστι θεοῦ τε καὶ θνητοῦ: Pl., Symp., 202d13-14). Das Charakteristische dieses dämonischen Elementes ist in allen Darstellungen Platons seine vermittelnde Funktion. Das haben bereits die Philosophen der Alten Akademie und des mittleren Platonismus verstanden, die ihr immer schematischer werdendes dämonologisches System entwickelt haben, das als "platonische Dämonologie" bekannt ist und das auf eben jener Textstelle basiert. Doch haben sie außer Acht gelassen, dass die verschiedenen Darstellungen des Dämonischen bei Platon trotz des roten Fadens, der sie verbindet, nicht identisch sind: Eros, der "vermittelnde Dämon", entspricht weder den δαίμονες der platonischen Mythen noch dem δαίμων, der im Timaios die rationale Seele darstellt, noch dem sokratischen δαιμόνιον. Der Eros des Symposion kann ferner als ein wirklicher δαίμων gelten (ähnlich den traditionellen δαίμονες oder den Schutzgeistern der kosmologischen und eschatologischen Mythen bei Platon), doch nur in einem allegorischen Verständnis. Innerhalb der Vorstellung des Dämonischen, die, wie gezeigt wurde, in allen platonischen Dialogen eine Verbindung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen darstellt und eine Kommunikation zwischen diesen entgegengesetzten Wesen ermöglicht, versinnbildlicht Platon einerseits auf der epistemologischen Ebene, andererseits auf der kosmologischen und psychologischen Ebene den Begriff des μεταξύ, d.h. die Theorie des Mittleren. Diese kommt nicht nur in der Darstellung des Eros zum Ausdruck, sondern auch in anderen Bereichen: Mittleres sind die δόξα und der θυμός; in der politischen Theorie gilt die Aristokratie als Mittelweg zwischen der Demokratie und der Monarchie; in der Ethik ist Mittleres das Konzept des βίος μικτός, das von Platon im Philebos ausgearbeitet wurde, und im Timaios stellt das Bild der Weltseele etwas Mittleres dar. Aber wofür ist der platonische Eros eine Allegorie? Auf der einen Seite repräsentiert er die Philosophie, personifiziert durch Sokrates und verstanden als μεταξύ zwischen Weisheit und Unwissenheit, auf der anderen Seite ist er die Personifizierung der βούλησις, der Sehnsucht nach dem, was ihm fehlt und was er besitzen möchte. Es handelt sich also nicht um ein individuelles Wesen, sondern um eine personifizierte Eigenschaft der Seele: Er ist das Bild einer formenden Kraft der Seele und ihres Strebens nach der Idee des Guten, die durch Betrachtung der immer reiner werdenden Erscheinungen des Schönen (τὸ καλόν) erreicht werden kann. Durch die Betrachtung des Schönen erinnert sich die Seele an ihre Verwandschaft mit den Ideen und erhebt sich zu ihnen und dadurch zur Unsterblichkeit. Die vorliegende Untersuchung ergibt somit das Bild einer grundlegenden Vorstellung von der Natur und von der vermittelnden Funktion des Dämonischen, einer Vorstellung, die sich in vielfältigen Facetten zeigt, in Bildern, die sich mal überlagern, mal unterscheiden, jedoch ohne Brüche, auf eine natürliche und harmonische Art und Weise.