Probleme der deutsch-polnischen Beziehungen
In: Politische Studien: Magazin für Politik und Gesellschaft, Band 59, Heft 420, S. 15-57
ISSN: 0032-3462
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In: Politische Studien: Magazin für Politik und Gesellschaft, Band 59, Heft 420, S. 15-57
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World Affairs Online
In: Osteuropa, Band 54, Heft 5-6: Die Einigung Europas - Zugkraft und Kraftakt, S. 460-472
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2019 hat Thomas Hofmann den scheinbar ewigen Präsidenten Wolfgang Herrmann an der Spitze der TU München abgelöst. Was macht er jetzt anders? Ein Gespräch über das bayerische Genderverbot, die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die Beziehungen zu China – und Hofmanns Verständnis der unternehmerischen Universität.
Thomas Frank Hofmann, Jahrgang 1968, ist Lebensmittelchemiker und war von 2009 bis 2019 geschäftsführender Vizepräsident der Technischen Universität München (TUM) für Forschung und Innovation. Seit 2019 ist
er Präsident der TUM. Foto: Astrid Eckert / TUM.
Herr Hofmann, auf Betreiben von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist Anfang April in Bayern das Genderverbot in Kraft getreten. Schulen, Hochschulen und Behörden ist die Verwendung
geschlechtersensibler Sprache von nun an ausdrücklich untersagt. Was bedeutet das für die Technische Universität München (TUM)?
Wir glauben, dass Diversität, ihre Förderung und Wertschätzung die Schlüssel sind für den Erfolg unserer Universität. Durch die Nutzung gendersensitiver Sprache versuchen wir seit Jahren eine
möglichst große Vielfalt an Talenten anzusprechen. Und das gelingt zunehmend gut, auch wenn wir wie auch andere technische Universitäten gerade bei weiblichen Studierenden und
Wissenschaftlerinnen weiterhin Aufholbedarf haben. Wir interpretieren das Verbot so, dass es für die Universität im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben gilt, also beispielsweise bei der Erstellung
von Satzungen oder Promotionsordnungen etwa. In anderen Bereichen, wie beispielsweise in der Kommunikation innerhalb unserer Universitätsgemeinschaft verfahren wir im Bestreben einer weiteren
Steigerung unserer Vielfalt wie bisher.
Also sämtliche Lehrveranstaltungen, Lehrunterlagen und Forschungsarbeiten fallen nach Ihrem Verständnis nicht unter das Verbot?
Soweit ist unser Verständnis, und ich bin sicher, dass die noch ausstehenden Ausführungsempfehlungen des Freistaats in dieser Form die Autonomie der Hochschulen nicht unnötig einschränken.
"Dieser vermeintliche 'Genderzwang'
existiert doch gar nicht."
Ärgert es Sie, dass Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) als Beispiel für den vermeintlichen "Genderzwang" an bayerischen Hochschulen einen inzwischen gelösten Fall angeführt hat, der
sich, wie später herauskam, ausgerechnet an der TUM zugetragen hat?
Nein, zumal dieser vermeintliche "Genderzwang" doch gar nicht existiert. Dass die besagte Promotionsordnung gendersensitive Sprache nutzt, ist lediglich Zeichen unseres Inklusionsverständnisses.
Im Übrigen entspricht sie auch andernorts dem heutigen Standard. Wenn Sie die Promotionsordnung der TU Berlin oder auch der ETH Zürich anschauen, dann lesen die sich genauso. Die ganze Aufregung,
auch in den Medien, halte ich für unangemessen und vor allem für wenig zeitgemäß, zumal in diesen bewegten Zeiten Deutschland doch vor ganz anderen Herausforderungen steht. Wissenschaft,
Wirtschaft, Politik und Medien sollten ihre vereinten Kräfte besser auf innovative Lösungsansätze fokussieren, denn der laufende Wettbewerb um die Zukunftsstandorte der Welt wartet nicht auf
Deutschland!
Der Vorwurf lautete, dass einer Promovendin die Verleihung des Doktorgrades verwehrt worden sei, solange sie sich geweigert habe, auf dem Titelblatt das
Gendersternchen zu verwenden – was, wie Blume sagte, "sogar in der Promotionsordnung so vorgeschrieben ist". Laut dem Minister "ein klarer Fall von sprachlicher Übergriffigkeit".
Es gab den Fall, dass sich die Veröffentlichung einer Dissertation wegen Diskussionen um Formulierungen auf dem Titelblatt der Dissertation verzögerte. Die Promovendin hatte ihre Prüfungen zuvor
bereits erfolgreich bestanden. Daran gab es keinen Zweifel. Die Promovendin hatte sich zudem gewünscht, den Titel "Doktor" als Bezeichnung des generischen Maskulinums zu erhalten statt
"Doktorin". Dies war lediglich der erste derartige Fall an der TUM seit Inkrafttreten der Neufassung der Promotionsordnung 2021. Deshalb hat sich der Ablauf etwas verzögert, was auch nicht mehr
vorkommen sollte. Da wir an der TUM möglichst große individuelle Freiheiten bezüglich geschlechterspezifischer Bezeichnungen gewähren, haben weibliche Promovierende natürlich die Möglichkeit, den
akademischen Grad "Doktor" oder "Doktorin" zu wählen, so auch in diesem konkreten Fall. Also erneut: kein Grund zur Aufregung.
Ebenfalls von der Staatsregierung beschlossen wurde ein Entwurf für ein "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern", das nicht nur Zivilklauseln an bayerischen Hochschulen untersagt,
obwohl es gar keine gibt, sondern ein allgemeines Kooperationsgebot für die Hochschulen mit der Bundeswehr festschreibt. Stellt das Wissenschaftsministerium auf Antrag der Bundeswehr fest, dass
eine Kooperation für die nationale Sicherheit erforderlich sei, sollen die Hochschulen künftig sogar ministeriell zur Zusammenarbeit gezwungen werden. Eine Grenzüberschreitung?
Die grundgesetzlich verankerte Freiheit von Lehre und Forschung wird an der TUM mit höchster Wertigkeit gelebt und schließt aus meiner Sicht ein Verbot von Forschung zu Dual-Use-Technologien und
eine entsprechende Zivilklausel aus. Darum gab es an der TUM auch nie eine Zivilklausel. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass wir uns keiner Technologie verschließen sollten, nur weil sie
gegebenfalls Dual-Use-Potential mit sich bringt, also neben zivilen auch für defensiv-militärische Zwecke genutzt werden könnte. Oft genug war es in der Vergangenheit doch sogar umgekehrt:
Zahlreiche Technologien wurden beispielsweise in den USA primär für militärische Zwecke entwickelt und führten dann, etwa in der Luftfahrt, zu innovativen Fortschritten in der zivilen Nutzung.
Unnötige Einschränkungen bei der Erforschung von Dual-Use-Technologien an der TUM wären somit zum Nachteil des Innovationsfortschritts im zivilen Bereich.
"Wenn der Staat seine Universitäten verstärkt für den Schutz der Bevölkerung in die Verantwortung nehmen will, hat dies aus meiner Sicht nichts mit einem
Verlust der Freiheit in der Wissenschaft zu tun."
Außerdem dürfen wir nicht leugnen, dass sich in den vergangenen zwei Jahren die Sicherheitslage in der Welt dramatisch verändert hat. Im Sinne einer friedlich ausgerichteten
Verteidigungspolitik sehe ich auch die Hochschulen gefordert, ihre technischen Entwicklungen und Innovationen auch zum Schutz unserer Bevölkerung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung und
der nationalen Sicherheit zu nutzen. Wenn der Staat seine Universitäten nun verstärkt in die Verantwortung nehmen will, hat dies aus meiner Sicht nichts mit einem Verlust der Freiheit in der
Wissenschaft zu tun. Denn nicht für einzelne Forscher oder einzelne Forscherinnen soll das Gebot zur Kooperation gelten, sondern für die Hochschule als Institution. In die individuelle
Entscheidungsfreiheit wird aus meiner Sicht mit dem aktuellen Gesetzesentwurf an keiner Stelle eingegriffen.
Im Oktober 2019 haben Sie Wolfgang Herrmann nach 24 Jahren als TUM-Präsident abgelöst. Herrmann war eine Institution, er hat die Universität zu der gemacht hat, die sie heute ist. Und was
machen Sie jetzt anders als er, Herr Hofmann?
Wir sind seit 2019 noch besser geworden, in den Hochschulrankings weiter aufgestiegen und rapide gewachsen bei den Studierendenzahlen, während zahlreiche andere deutschen Hochschulen stagnieren
oder schrumpfen. Im aktuellen THE-Universitätsranking besetzen wir Platz 1 in Deutschland und der Europäischen Union. Diese Entwicklung der TUM ist auch Ergebnis mutiger Reformen seit 2019. Also
kein einfaches "Weiter so", sondern ständige Veränderung ist unser Gebot der Stunde im international galoppierenden Wettbewerb. In dieser Grundhaltung bin ich geistig sehr nahe bei Wolfgang
Herrmann. Wie er bin ich fest davon überzeugt, dass zur erfolgreichen Führung einer Universität Weitsicht, Veränderungsmut und Furchtlosigkeit gehören, immer wieder neu zu denken, innovative
Maßnahmen zu entwickeln und Überkommenes einfach zu lassen. Diese operative Agilität und Adaptierungsdynamik sind für zukünftigen Erfolg genauso wichtig wie eine möglichst große Diversität der
Talente. Und genau das macht die TUM als "unternehmerische Universität" aus. Aber natürlich gibt es Unterschiede zwischen Wolfgang Herrmann und mir. Viele sagen, dass der größte Unterschied in
unseren Führungsstilen liegt. Das mag sein und das ist gut so. Denn der Führungsstil muss zeitgemäß sein, um erfolgreich zu sein, und heute die kreative Kraft der gesamten
Universitätsgemeinschaft einbinden.
"Der
ewige Patriarch" lautete die Überschrift eines Porträts, das ich einmal über Ihren Vorgänger geschrieben habe.
Mein Führungsstil ist inklusiv und kooperativ. Ich gebe die grobe Richtung vor, höre zu, stimme mich ab und lasse mich hin und wieder mit guten Argumenten auch gerne überzeugen. Und natürlich
braucht es manchmal am Ende mutige Entscheidungen, denn wir dürfen unsere Ziele nicht aus dem Blick verlieren.
Mutig ist zum Beispiel, dass die TUM als einzige Universität in Bayern die gesetzlichen Möglichkeiten nutzt und Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführt, und zwar in beträchtlicher
Höhe: zwischen 2000 und 6000 Euro pro Semester. Beunruhigt es Sie nicht, dass keine andere Hochschule mitzieht?
Ich kann nichts zu den Gründen sagen, warum andere die Studiengebühren nicht einführen wollen. Entscheidend ist doch, warum wir uns dazu entschieden haben, Gebühren für Studierende außerhalb der
Europäischen Union einzuführen. Als Universität mit internationalem Exzellenzanspruch wollen wir uns nicht nur in der Forschung, sondern gerade auch in der Lehre mit den Besten der Welt messen.
Beim Blick auf unsere internationalen Wettbewerber fällt sofort auf, welche enormen Summen die Spitzenuniversitäten in die Erneuerung des gesamten Lehrumfelds investieren, in neue
Infrastrukturen, in innovative Lehrtechnologien und -formate oder auch in die weitere Verbesserung der Betreuungsrelationen, die vielerorts völlig anders aussehen als bei uns. Das bedeutet für
uns: Um mithalten zu können, um Studiengänge auf höchstem internationalen Qualitätsniveau anbieten zu können und unsere Studierenden wirklich zukunftsfähig auszubilden, braucht es viel mehr Geld
als uns staatliche Mittel dazu zur Verfügung stehen. In ganz Deutschland ist die staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen dazu nicht ausreichend. Daher wollen wir unsere Finanzierungsbasis
verbreitern und eingenommene Studiengebühren gezielt für die Verbesserung der Lehre einsetzen. Davon profitieren alle Studierenden, die nationalen wie die internationalen, und von den
bestausgebildeten Talenten ihre späteren Arbeitgeber.
Und Sie haben keine Sorgen, Sie könnten mit der Einführung internationale Studierende abschrecken? Baden-Württemberg schafft die Gebühren gerade wieder ab mit dem erklärten Ziel, dann wieder mehr Talente aus dem Ausland anziehen zu können.
Es gibt da doch große Unterschiede zu uns. Erstens: Die Universitäten in Baden-Württemberg waren beim Anteil internationaler Studierender nicht ansatzweise auf unserem Niveau. Bei den
Master-Studiengängen liegen wir inzwischen bei 57 Prozent internationale Studierende. Zweitens war es ein politischer Fehler der Landesregierung in Baden-Württemberg, dass ein Großteil der
Gebühren gleich wieder eingezogen wurde, so dass eine spürbare Verbesserung der Lehrqualität eben nicht erreicht werden konnte. Doch nur spürbare Verbesserungen hin zu einem wirklich exzellenten,
modernen Lehr- und Lernumfeld werden internationale Studierenden trotz der (international ohnehin üblichen) Gebühren nach München bringen. Sicher wird es in den ersten zwei, drei Jahren
Schwundeffekte geben. Das zeigen die Erfahrungen aus den Niederlanden und anderen europäischen Ländern. Es hat sich aber gezeigt, dass an diesen Hochschulen anschließend die internationalen
Studierendenzahlen wieder hochgingen – und dann schnell über den Stand vor der Einführung der Studiengebühren hinausgeschossen sind.
"In international ausgerichteten Berufsfeldern
macht es heute keinen Sinn mehr,
einen Studiengang auf Deutsch anzubieten."
Aber rechtfertigen die Erträge überhaupt den Aufwand?
Das System fährt stufenweise hoch über mehrere Jahre, weil wir nur von neuen Nicht-EU-Studierenden Gebühren verlangen und nicht von denen, die schon bei uns sind. Außerdem wird es für bis zu 20
Prozent der Studierenden Erlass-Stipendien geben: für die absolut herausragenden Talente genauso wie für finanzschwächere Bewerber, weil wir andernfalls an Diversität verlören, wenn die soziale
Herkunft über den Universitätszugang entscheiden würde. Insofern tue ich mich schwer, einen konkreten Eurobetrag zu nennen. Aber wir rechnen mittelfristig schon mit einem signifikanten
zweistelligen Millionenbeitrag.
2014 hatte Wolfgang Herrmann angekündigt, bis 2020 alle Masterstudiengänge auf Englisch umstellen zu wollen. Was ist eigentlich daraus geworden?
Das wurde als Ziel diskutiert damals, aber in dieser Absolutheit nie beschlossen. Wir haben den Anteil englischsprachiger Studiengänge seitdem organisch wachsen lassen, heute liegt er im Master
bei über 70 Prozent. Darunter sind etliche Studiengänge, die Sie zu großen Teilen auch auf Deutsch studieren können, die also im Prinzip zweisprachig sind. Wir erleben aber, dass der
Nachfragetrend immer stärker Richtung Englisch geht. Vor kurzem haben wir sogar den ersten Bachelor-Studiengang auf Englisch, für Luft- und Raumfahrt, gestartet, und seitdem ist die Bewerberlage
mehrfach überzeichnet mit Bewerberinnen und Bewerbern aus der ganzen Welt. Wir sehen: In international ausgerichteten Berufsfeldern macht es heute einfach keinen Sinn mehr, einen Studiengang auf
Deutsch anzubieten, sondern nur auf Englisch.
Wie aber soll das funktionieren, wenn ein Großteil der Lehrenden deutsche Muttersprachler sind? Führt das nicht zwangsläufig zu einer intellektuellen Verflachung, weil sich die Lehrenden
und Lernenden in einer Fremdsprache nicht so präzise ausdrücken können wie in ihrer eigenen?
Wir lassen bei der Beantwortung von Fragen in Klausuren in der Regel beide Sprachen zu. Sie können also, wenn die Frage auf Englisch gestellt ist, auch auf Deutsch antworten. Wir sehen aber, dass
für die meisten jungen Leute – unabhängig von deren Herkunft – die Kommunikation auf Englisch überhaupt kein Problem mehr ist. Sie sind damit aufgewachsen und dank Social Media und Internet ganz
anders darauf getrimmt als frühere Generationen.
Für die Studierenden mag das stimmen. Aber was ist mit ihren Profs?
Ich kann wieder nur für uns an der TUM sprechen, aber unsere Professorinnen und Professoren sind weltweit unterwegs und auf ihren Dienstreisen, bei Vorträgen und auch der Lehre gewohnt,
Englisch zu sprechen. Viele kommunizieren mit ihrem gesamten Mitarbeiterkreis nur auf Englisch. Trotzdem bieten wir über unser Sprachenzentrum Kurse an für Dozenten, die ihr Englisch verbessern
wollen. Und diejenigen, die aus dem Ausland zu uns kommen, unterstützen wir beim Deutschlernen. Und das tun wir vor allem, damit sie in Deutschland auch außerhalb der Hochschule sprechfähig sind
und sich integriert fühlen. Ohne Sprachkompetenzen ist es einfach schwieriger, ausländische Talente und deren Familien in Deutschland zu halten.
Die TUM ist unter anderem mit einem Verbindungsbüro in der Volksrepublik China vertreten. Im Oktober 2020 haben Sie persönlich eine sogenannte Flaggschiffpartnerschaft mit der
Tsinghua-Universität in China besiegelt. Bereuen Sie den Schritt inzwischen?
Keineswegs! Auch wenn der politische Druck auf die deutsch-chinesischen Beziehungen massiv zugenommen hat, stehen wir zu einer Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen mit ausgewählten
chinesischen Partneruniversitäten. Erst vergangene Woche bin ich nach China geflogen zum Besuch des Präsidenten der Tsinghua University, nachdem vergangenes Jahr eine chinesische Delegation der
Universität bei uns war. Auch die Besuche an der Tongji University und der Shanghai Jiao Tong University waren äußerst spannend und inspirierend. Denn wer glaubt, dass diese Universitäten etwas
von deutschen Universitäten lernen können, irrt sich grundlegend. Ich glaube, dass viele deutsche Universitäten von diesen Spitzenuniversitäten aus China lernen können!
"Generalverdacht hilft niemanden weiter
und entzieht jeder Zukunft die Grundlage."
Also alles wie immer in den Beziehungen zu Ihren chinesischen Partner?
Unsere Ziele sind beständig, aber der Blick und die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Wir gehen heute mit großem Bedacht in unsere internationalen Partnerschaften. Wir schauen uns schon
sehr genau an, mit welchem Partner wir zu welchen Themen zusammenarbeiten, unter welchen Konditionen und mit welchen Standards wir kooperieren und wann wir es eben nicht tun. Und wir bereiten
unsere Mitarbeitenden vor; wir unterstützen sie mit Coachings, Reisehandys und Reisecomputern, bevor sie auf Dienstreise gehen. Ich halte es für einen kapitalen Fehler zu glauben, Deutschland
könnte sich aus einer Zusammenarbeit mit China zurückziehen. Nur durch internationale Spitzenallianzen werden wir unsere heutigen Herausforderungen wie beispielsweise zu Gesundheit oder
Klimaschutz lösen können und auch den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern können.
Was antworten Sie einer Bundesforschungsministerin, die sagt: "Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die kommunistische Partei verbergen"?
Generalverdacht hilft niemanden weiter und entzieht jeder Zukunft die Grundlage! Aus der Geschichte können wir lernen: Unwissenheit und Ignoranz trennen die Welt, nur der Austausch verbindet
Menschen und Kulturen – und dies ist die Grundlage für Partnerschaften. Natürlich müssen wir dazu unsere Sicherheitsprotokolle anpassen und achtsamer sein als früher, aber wir müssen auch
die über viele Jahre aufgebauten Brücken bewahren, mit denen wir deutsche und chinesische Partner in Austausch bringen. Denn sind diese Brücken einmal abgebrannt, wird es Jahrzehnte dauern,
wieder Vertrauen aufzubauen.
Bayerns Staatsregierung brüstet sich damit, wie kein anderes Bundesland in die Wissenschaft und die Hochschulen zu investieren, Überschrift: "Hightech Agenda Bayern" (HTA). Laut Wissenschaftsminister Blume sind darüber
über 1000 neue Professuren entstanden und verstetigt worden, außerdem sind die Rahmendaten für die Hochschulfinanzierung schon bis 2027 vereinbart. Glückliches Bayern?
Mit der HTA hat Ministerpräsident Söder einen echten und weit sichtbaren Impuls gesetzt für Innovationen aus Bayern; dieser sucht bundes- und europaweit seinesgleichen. Andererseits wird es
überall im Land enger, auch bei uns. Ein insuffizienter Bauunterhalt oder die gestiegenen Energiekosten setzen uns wie alle anderen Hochschulen zunehmend unter Druck. In Verbindung mit der
unzureichenden Grundfinanzierung presst die Inflation die Hochschulen in ein Korsett, welches jeglichen Atem für die im heutigen internationalen Wettbewerb so dringend erforderlichen
Neuausrichtungen in Forschung und Lehre nimmt. Auf der anderen Seite müssen wir einsehen, dass die Staatshaushalte sowohl im Bund als auch in den Ländern momentan sehr belastet sind. Anstatt nur
mehr Geld zu fordern, müssen wir daher als Hochschulen selbst agiler werden und alte Zöpfe abschneiden, um dem Neuen eine Chance zu geben, beispielsweise den Ausbau der Unterstützung von
Ausgründungen und Start-ups. Denn nur mit neuer Wirtschaftskraft in Deutschland werden auch die Staatskassen wieder besser gefüllt werden, und das Land kann wieder in seine Hochschulen
investieren. Also, nicht Jammern bringt uns weiter, sondern Machen!
Das mit der Agilität ist Ihnen, wie man merkt, sehr wichtig. Können Sie Ihren Anspruch mit ein paar Zahlen unterlegen?
Genau zu der Frage haben wir eine Studie durchführen lassen mit dem Ergebnis, dass jede Personalstelle, die der Freistaat bei uns an der TUM finanziert, im Schnitt 14 neue Arbeitsplätze in
unseren Start-ups generiert. Das kann sich doch sehen lassen und ist, neben tausenden Absolventen jedes Jahr und unseren Forschungsallianzen mit der Wirtschaft, ein ganz konkreter Return on
Investment.
Mit Verlaub: Solche Studien präsentieren viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen, und jedes Mal kommen fast unglaubliche Zahlen dabei heraus.
Unsere Zahlen sind belastbar. In der Wissenschaft streben wir vor allem nach neuem Wissen und Erkenntnissen, aber in einem nächsten Schritt übernehmen wir die Verantwortung dafür, dass aus dem
Wissen auch marktfähige Innovationen und neue Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ermutigen wir alle Universitätsmitglieder, von den Studierenden bis zu den Professorinnen und Professoren, wenn sie
eine tolle Geschäftsidee haben, diese auch zu verfolgen. Und wir unterstützen sie dabei. Mit dem Ergebnis, dass heute fast 500 Gründungsteams durch die TUM gefördert werden und weitere 180
studentische Initiativen, über alle Fächer und Disziplinen hinweg. Gerade war eine Gruppe von Studierenden bei mir, die an einer Methan-Sauerstoff-Rakete arbeitet, um sie Ende des Jahres über die
100-Kilometer-Grenze hinaus in den Orbit zu schießen.
"Die Reduzierung der Höchstbefristung in
der Post-Doc-Phase ist ungerecht, denn sie ist zum Schaden der jungen Menschen selbst."
Wenn Sie so viel Wert auf das Schaffen neuer Arbeitsplätze in der Wirtschaft legen, was tun Sie für gute Arbeit an der eigenen Universität? Schließlich sehen sich die Hochschulen selbst
mit dem stärker werdenden Fachkräftemangel konfrontiert.
Ich danke Ihnen ausdrücklich für diese Frage, denn damit sind wir an einem Schlüsselpunkt angelangt. Wir Hochschulen müssen als Arbeitgeber attraktiver werden, uns dafür am eigenen Schlafittchen
packen und viel mehr tun für verlässliche Karrierewege auch unterhalb der Professur. So sind auch zahlreiche Stückelverträge hintereinander unfair gegenüber den jungen Menschen, die sich uns
anvertrauen. Die Ampel will zu diesem Zweck das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) novellieren, doch das wird ins Auge gehen, wenn sie das falsche Modell wählt. Laut aktuellem Entwurf
sollen künftig nach der Promotion vier Jahre Befristung erlaubt sein und dann nochmal zwei Jahre – aber nur, wenn klar ist, dass die Person danach einen Dauervertrag erhalten kann. Dies kann aber
nur in wenigen Fällen erfolgen, so dass de facto für die meisten nach maximal viel Jahren als Postdoc Schluss wäre. Vier Jahre sind aber oft zu kurz, um sich über exzellente Forschung und
hochkarätige Veröffentlichungen tatsächlich für eine Professur zu qualifizieren. So täuscht der Reformvorschlag für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eine falsche Gerechtigkeit vor. Tatsächlich
ist die Reduzierung der Höchstbefristung in der Post-Doc-Phase ungerecht, denn sie ist zum Schaden der jungen Menschen selbst. Und sie wird einen enormen Brain Drain auslösen, entweder heraus aus
der Wissenschaft insgesamt oder hinein in ausländische Universitäten, die sich kein solch wissenschaftsfeindliches Korsett anziehen.
Ihr Alternativvorschlag lautet also: Einfach die Regelung lassen, wie sie ist?
Nein, ich unterstütze prinzipiell ein Tenure-Track-System für den wissenschaftlichen Mittelbau mit Nachdruck. Der aktuelle Gesetzesvorschlag ist allerdings verlogen! Statt den Befristungszeitraum
von maximal sechs auf vier Jahre zu kürzen, wäre es im Sinne einer Karriereplanbarkeit sicher sinnvoller, die realen Vertragslaufzeiten für Postdocs generell an die Förder- oder
Zuwendungsbescheide für Projekte anzupassen, anstatt sie mit Stückelverträgen zu gängeln. Wie auch immer macht die Umsetzung des aktuellen Gesetzentwurfs nur dann Sinn, wenn im dimensionalen
Ausmaß neue entfristbare Stellen an die Universitäten kommen. Und dies halte ich vor dem Hintergrund der heute knappen Staatskassen für schieres Wunschdenken. Die Politik muss sich der
Konsequenzen ihres Handelns schon bewusst sein!
Sie sagen, die Hochschulen seien gefragt, sich intelligente Konzepte für Karrierewege auch unterhalb der Professur zu überlegen. Welche fallen Ihnen da konkret für die TUM ein?
Das Wissenschaftsmanagement wird immer wichtiger und ist ein hoch attraktives Aufgabenfeld. Diese Kolleginnen und Kollegen tragen maßgeblich dazu bei, dass an der TUM Spitzenleistungen in
Forschung und Lehre erzielt werden. Deswegen haben wir zum Beispiel das berufsbegleitende Qualifizierungsprogramm TUM Science Manager aufgelegt. Es dauert zwischen 12 und 24 Monate und die
Teilnahme am Kursprogramm erfolgt während der Arbeitszeit – wird also bezahlt.
"Als Franke müsste ich angesichts der Gründung
der TU Nürnberg jubeln, aber eine Spitzenuni lässt sich nicht mit der Brechstange schaffen."
Sie haben es vorhin gesagt: Die Hochschulfinanzierung wird auch in Bayern enger. Gleichzeitig hat der Freistaat vor wenigen Jahren die Technische Universität Nürnberg (UTN) neu gegründet,
übrigens mit tatkräftiger Unterstützung Ihres Vorgängers, und massive Investitionen versprochen.
Da sehen Sie, dass wir uns doch in einigen Dingen unterscheiden.
Inwiefern?
Als Franke müsste ich jubeln! Aber wenn wir in die Welt hinausschauen sehen wir, dass sich international führende Forschungsstandorte evolutionär und über lange Zeiträume hinweg entwickelt haben.
Eine Spitzenuni lässt sich nicht mit der Brechstange schaffen, sondern braucht Geld und vor allem Zeit – viel Zeit! Ein Professor in Stanford hat zu mir mal gesagt, eine wissenschaftliche
Top-Einrichtung zu schaffen, koste 100 Milliarden und dauere 100 Jahre.
Erst neulich hat Ministerpräsident Söder einen Strategiewechsel verkündet: die Fokussierung der UTN auf das Thema
Künstliche Intelligenz. Sogar einen schnittigen neuen Titel hatte er im Angebot: "Franconian University of Artificial Intelligence".
Ich habe das nicht zu entscheiden. Ich persönlich würde eine Universität nicht thematisch einschränken, selbst wenn es sich wie bei der KI um eine disruptive Querschnittstechnologie handelt. Aber
ich glaube, das ist so auch nicht gemeint.
Vielleicht sagen Sie das nur, weil Sie fürchten, dass die UTN ihnen demnächst Ihre KI-Talente abjagt.
Das erwarte ich nicht, und es wäre auch kein sinnvoller bayerischer Ansatz, dass wir jetzt das Wildern beieinander anfangen.
Wie aber wollen Sie überhaupt all die neuen KI-Lehrstühle besetzt bekommen, die in den vergangenen Jahren im Freistaat ausgelobt wurden?
Da sehe ich kein Problem. Wir haben praktisch alle Professuren der HTA besetzt – mit wirklich exzellenten Leuten. Es ist nicht so, dass alle 150 sogenannten KI-Professuren in Bayern jetzt
mit Mathematikern und Informatikern besetzt werden, die KI-Grundlagenforschung machen. Davon gibt es in ganz Europa vielleicht 50 ernstzunehmende Leute. Aber die KI hat viele Facetten und
Anwendungsdomainen, in denen dann auch die Wertschöpfung von KI entsteht. In solchen Feldern haben wir zahlreiche Berufungen gemacht, wie beispielsweise in der Robotik, der Medizin, in den
Sozialwissenschaften und vieles mehr.
Wie passt es eigentlich zusammen, dass Sie an der TUM Spitzentechnologien und KI derart in den Mittelpunkt stellen, gleichzeitig aber gerichtlich bestätigt einen Bewerber abgelehnt haben
mit der Begründung, dessen Motivationsschreiben sei mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt worden? Warum sind Sie da nicht offener?
Weil das Motivationsschreiben die individuelle Prägung des Kandidaten zeigen soll. Welchen Sinn hätte es sonst? Etwas völlig Anderes ist es, wenn unsere Studierenden und Lehrenden ChatGPT oder
andere sogenannte Large Language Models im Studium einsetzen, das stimulieren wir mit Nachdruck. So wie sich der Taschenrechner zum bewährten Hilfsinstrument entwickelt hat, wird das auch mit
KI-Anwendungen sein. Darum bauen wir sie proaktiv in unsere Lehre ein, damit unsere Studierenden vorbereitet sind. Aber erklären, warum sie zu uns an die TUM kommen wollen, sollen unsere Bewerber
schon noch selbst.
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Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume kritisiert die BAföG-Reform von BMBF-Chefin Stark-Watzinger, fordert eine Zeitenwende auch in der Wissenschaftspolitik – und sagt, warum die Hochschulen im Krisenfall zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet werden sollen.
Markus Blume, 49, ist studierter Politikwissenschaftler und war von 2018 bis 2022 CSU-Generalsekretär. Seit Februar 2022 ist er bayerischer
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Außerdem fungiert er als länderseitiger Vorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK). Foto: Axel König.
Herr Blume, das Bundeskabinett beschließt heute den nächsten Schritt der BAföG-Reform von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Damit sollen
weitere strukturelle und finanzielle Verbesserungen "noch in diesem Jahr" erreicht werden, sagt das BMBF. Was sagen Sie?
Ich bin sehr enttäuscht von diesem Entwurf. Und ich bin mir sicher, dass Millionen von Studierenden in Deutschland auch enttäuscht sind. Denn dieser groß angekündigte Beschluss geht am
Notwendigsten vorbei: der zwingend erforderlichen Anhebung der Bedarfssätze. Die Bundesregierung setzt hier die falschen Prioritäten. Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den
Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden.
Ein wenig wohlfeil ist Ihre Entrüstung schon angesichts der Tatsache, dass die Bundesländer seit 2016 den Bund allein das BAföG finanzieren lassen, oder?
Dadurch wird die Kritik nicht weniger relevant, zumal der Bund auch die steigenden Mietkosten der Studierenden nicht berücksichtigt und die immerhin vorgesehene Erhöhung der Freibeträge viel zu
gering ausfällt. Anstatt bei den bewährten Instrumenten für alle großzügiger zu sein, will die Koalition mit einem Teil des eingesparten Geldes ein neues Programm starten, die Studienstarthilfe.
Die aber im Kern zunächst vor allem eines bedeutet: noch mehr Bürokratie bei der Antragstellung und Bewilligung. Mir fehlt hier die Sinnhaftigkeit. Wir wissen doch, unter welchem Druck die
Studierenden und Auszubildenden heute stehen. Wenn wir gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Interesse daran haben, unsere jungen Menschen hier im Land auszubilden, dann braucht es für
unsere Talente die bestmögliche Startrampe. Diese wirksame Startrampe war über Jahrzehnte das BAföG. Daher klare Botschaft: die Bedarfssätze deutlich anheben, aber auf bürokratische Monster wie
die Studienstarthilfe verzichten.
"Das macht mich zunehmend unruhig,
und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen."
Ihre öffentliche Enttäuschung passt nicht zu dem Eindruck, dass zuletzt Tauwetter zwischen Bundesministerin Stark-Watzinger und ihren Länderkollegen herrschte. Das vertrauliche
Kamingespräch vergangene Woche am Vorabend der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) soll fast schon harmonisch verlaufen sein.
Was nichts daran ändert, dass die entscheidende wissenschaftspolitische Frage noch unbeantwortet bleibt: Wann kommt die Zeitenwende, die der Bundeskanzler vor zwei Jahren ausgerufen hat, bei
Wissenschaft und Forschung an? Das macht mich zunehmend unruhig, und ich spüre dieselbe Unruhe bei meinen Ministerkolleginnen und -kollegen aus den Ländern. Wir müssten viel mehr tun. Es braucht
mehr Missionsorientierung – und zwar kooperativ gedacht, in der Gemeinschaft von Bund und Ländern. Eine Zeitenwende bedeutet ja nicht nur mehr Geld, sondern vor allem bedeutet sie mehr Fokus –
und eine bessere Koordination zwischen Bund und Ländern und den unterschiedlichen beteiligten Ressorts. Bei den Schüsselmissionen für unsere Zukunft von der Künstlichen Intelligenz über das
Quantenrechnen bis hin zu neuen Energieformen wie der Kernfusion geht es nur gemeinsam mit Bund und Ländern.
Bei der neuen Wissenschaftsministerkonferenz, auf die Sie und Ihre Kollegen sich gerade geeinigt haben, nehmen Sie den Bund
auch nicht mit ins Boot.
Nochmal, das Gebot der Stunde ist: Fokus, Fokus, Fokus. Die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen sind in erkennbarer Weise endlich – im Bund und in den Ländern. Weshalb wir uns auch auf
Länderseite besser konzentrieren und koordinieren müssen. Dazu brauchen wir einen geschützten Raum, wo wir uns austauschen können. Die WissenschaftsMK wird dieser Raum sein.
Wie passt die Gründung einer neuen Ministerkonferenz innerhalb der bestehenden Kultusministerkonferenz eigentlich zu der Kernkritik an der KMK, diese bestehe schon jetzt aus viel zu vielen und oft
genug nur schlecht miteinander abgestimmten Gremien?
Die KMK hat schon einen Bereich Hochschule. Doch die aktuellen Strukturen sind nicht geeignet, um den Herausforderungen der Zeitenwende zu begegnen. Das ist das übereinstimmende Ergebnis aller
Kommissionen und Gutachter. Insofern passt die neue WissenschaftsMK sehr wohl zu der gemeinsamen Grundüberzeugung von Schul- und Wissenschaftsministern, dass wir in der KMK schlanker,
handlungsfähiger und agiler werden wollen – und müssen. Wir werden getrennt marschieren, trotzdem aber an den gemeinsamen Themen weiter gemeinsam arbeiten. Ich halte es für klug, dass sich die
Wissenschaftsseite kraftvoll verselbständigt. Wissenschaft und Forschung sind kein Anhängsel, sondern eine Lebensader für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es ist sinnvoll, dass jährlich eine
Sitzung der WissenschaftsMK zusammen mit der Schulseite stattfinden soll. Unsere wichtigste Mission als Wissenschaftsminister wird aber sein, miteinander Strategien zu entwickeln, um im
Wettrennen der Welt um die Zukunftstechnologien mithalten zu können – als Deutsche und als Europäer. Dazu müssen wir als Länder für die Verhandlungen mit dem Bund in der GWK gut abgestimmt sein.
Und wir müssen im globalen Wettbewerb um die Talente die Weichen dafür stellen, dass wir unser wichtigstes Gut, die klügsten Köpfe, in Deutschland halten und nach Deutschland zurückbringen.
"Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen
und ihren Beitrag leisten können."
Neben dem internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe befinden wir uns mittlerweile auch in einem Wettbewerb der Systeme, der zunehmend aggressiv ausgetragen wird. Die bayerische
Staatsregierung hat Ende Januar ein "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern" beschlossen, das unter anderem Zivilklauseln an Hochschulen untersagen und "aus Gründen der nationalen
Sicherheit" die Wissenschaft sogar zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichten soll. Verstoßen solche Regelungen nicht gegen die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit?
Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit aber auch. Eine freie Wissenschaft kann es nicht geben, wenn wir nicht in Freiheit leben. Deshalb müssen wir alles tun, um unsere
nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die Zeiten, in denen wir ohne eigene Anstrengungen die Friedensdividende einsammeln konnten, sind leider vorbei. Unsere Sicherheit als Gesellschaft, aber
auch unsere militärische Stärke hängen ab von unserer Stärke in den Feldern von Technologie und Innovation. Deshalb wirken Zivilklauseln, die Forschung zu militärischen Zwecken verbieten, derart
aus der Zeit gefallen. Nochmal: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. In diesen Zeiten müssen wir auch Entwicklungen ins Auge sehen, die auf den ersten Blick unbequem erscheinen mögen.
Es gibt aber gar keine Zivilklauseln an einer bayerischen Hochschule.
Und das ist auch gut so! Wir müssen dort zusammenarbeiten, wo es die nationale Sicherheit erfordert. Die Wissenschaft muss sich auf die neue Zeit einstellen und ihren Beitrag leisten
können. Es kann keine Sicherheit geben ohne technologische Stärke. Führend in Wissenschaft und Forschung zu sein, ist am Ende auch eine Souveränitätsfrage. Ich möchte, dass wir in Deutschland und
Europa technologiepolitisch souverän bleiben.
Ein "Kooperationsgebot" mit der Wissenschaft, wann immer es die "nationale Sicherheit" erfordert: Sind nicht schon die Begrifflichkeiten viel zu schwammig, um einer Verfassungsklage
standzuhalten?
Wir halten den Gesetzentwurf für verfassungsrechtlich gut abgewogen. Im Übrigen ist es doch so: In anderen Teilen der Welt, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, stehen Militärforschung und
Dual Use wie selbstverständlich auf der Tagesordnung. Egal, welche wissenschaftliche Einrichtung ich bei meinem letzten Aufenthalt an der Ostküste besucht habe, überall waren das Department of
Energy oder das Department of Defense massiv an der Forschungsförderung beteiligt. Das sind Mittel, die der Wissenschaft in Deutschland fehlen. Darum würde ich mir wünschen, dass sich die
Forschungs- und Technologieförderung auch bei uns künftig nicht nur aus den Haushalten von BMBF und BMWK speist, sondern dass zusätzlich diejenigen Ministerien einen größeren Beitrag leisten, die
von unserer technologischen Stärke sicherheits- und militärpolitisch profitieren.
Debatten über die Freiheit von Lehre und Forschung hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch durch seine Ankündigung ausgelöst, das Gendern in Schulen und Verwaltungen untersagen zu
wollen. Sie selbst wollen zu diesem Zweck eine Klarstellung ins Bayerische Hochschulinnovationsgesetz einbauen. Was genau gilt es denn da klarzustellen?
Die generelle Leitplanke wird sein: Geschlechtersensible Sprache: Ja. Sprachliche Künstlichkeit und erzieherische Tendenzen: Nein. Man könnte auch sagen: Genderfreiheit statt Genderzwang. Mich
erreichen immer wieder Zuschriften von Studierenden, die sich einem gefühlten Druck oder tatsächlichen Vorgaben ausgesetzt sehen, in einer Art und Weise zu formulieren, wie es von der amtlichen
deutschen Rechtschreibung eben gerade nicht gedeckt ist.
"Forschende können formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein dürfen,
die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen."
Mit Sonderzeichen wie dem Binnen-I oder dem Genderstern?
So ist es. Selbstverständlich kann jeder so reden und schreiben, wie er möchte. Zumal die deutsche Sprache reichlich Möglichkeiten bereithält, gendersensibel so zu formulieren – und zwar im
Einklang mit den Empfehlungen des Rats für deutsche
Rechtschreibung. Auch Forschende können in ihren Arbeiten formulieren, wie sie wollen. Wir werden aber klarstellen, dass keine Dinge von Studierenden gefordert oder bewertungsrelevant sein
dürfen, die nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entsprechen. Und dort, wo eine Hochschule als staatliche Einrichtung auftritt, bei amtlichen Bescheiden, Zeugnissen und Formularen etwa,
werden wir festhalten, dass die amtlichen Vorgaben zur Rechtschreibung eingehalten werden müssen. Ansonsten beschränken wir uns darauf, die Studierenden vor Übergriffigkeit zu schützen. Vielen
geht dieser gefühlte Zwang auf die Nerven.
Kritiker werfen Ihnen vor, aus politischem Kalkül ein Problem aufzublasen, das keines sei. "Uns haben als Studierendenvertretungen noch nie Beschwerden zu einem "Genderzwang" erreicht,
auch zu schlechteren Bewertungen durch ein "Nicht-Gendern" ist an allen Hochschulen, die an diesem Schreiben beteiligt sind, kein Fall bekannt", steht in einer Erklärung der Studierendenvertretungen unter anderem der
Universitäten Erlangen-Nürnberg und Würzburg, der Ludwig-Maximilians-Universität und der TU München.
Wir führen keine Statistiken über solche Fälle, und die meisten Konflikte werden schon an den Hochschulen gelöst. Aber ich kann Ihnen gern konkrete Beispiele nennen, die bei uns aufschlagen und
inzwischen gelöst sind. Jüngst meldete sich die Promovendin, der die Verleihung des Doktorgrades verwehrt wurde, solange sie sich weigerte, auf dem Titelblatt das Gendersternchen zu verwenden.
Was sogar in der Promotionsordnung so vorgeschrieben ist. Das ist ein klarer Fall von sprachlicher Übergriffigkeit.
Wissenschaftsfreiheit erfordert zudem eine auskömmliche Hochschulfinanzierung. Angesichts von Inflation und Wirtschaftsflaute sorgen sich allerdings auch bayerische Hochschulen um ihr
Auskommen. Neulich sagte zum Beispiel die Pressesprecherin der Universität Erlangen-Nürnberg bei Forschung & Lehre, an ihrer Hochschule gehe
man von einem stabilen Haushalt aus, erwarte aber keine wesentlichen Steigerungen. Weiter erklärte die Sprecherin: "Selbstverständlich betrachten auch wir Inflation und Tarifsteigerungen mit
Sorge, besonders auch die massiven Steigerungen bei den Energie- und Bewirtschaftungskosten" und, speziell in Erlangen-Nürnberg, den steigenden Sanierungsstau bei den in die Jahre gekommenen
Unigebäuden. Regiert an Bayerns Hochschulen künftig der Schmalhans, Herr Blume?
Wir befinden uns gerade in der Aufstellung für den Doppelhaushalt 2024/25, und ich kann nur sagen: Er wird ein echter Gegenentwurf zum Bund. Auch in schwierigen Zeiten sparen wir nicht an
Forschung und Wissenschaft – ganz im Gegenteil. Wir legen noch eine deutliche Schippe drauf, allein 2024 einen dreistelligen Millionenbetrag, und werden über sieben Milliarden Euro pro Jahr
ausgeben. Über die vergangenen Jahre haben wir über unser Aufbauprogramm, die Hightech Agenda Bayern, mehr als 1000 neue Professuren geschaffen und verstetigt und die Rahmendaten der
Hochschulfinanzierung schon bis 2027 vereinbart. Wir geben Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Bei Wissenschaft und Forschung wird in Bayern nicht gespart, sondern weiter investiert.
Mehr Professoren bedeuten auch mehr Kostensteigerungen, wenn die Gehälter angehoben werden.
Aber nicht für die Hochschulen, weil der Großteil des Personals der Hochschulen direkt vom Freistaat bezahlt wird. Wenn also überhaupt, dann können sich die Sorgen über Preis- und
Tarifsteigerungen nur auf jene Personalstellen beziehen, die bislang aus staatlichen Programm-Mitteln finanziert worden sind, und zwar ohne Inflationsausgleich. Da lautet meine Botschaft an die
Hochschulen: Wir sehen die Entwicklung und werden auch das lösen durch eine Umsetzung dieser Stellen bis zum Jahr 2026.
Änderung am 11. März: Auf Bitten des Wissenschaftsministeriums wurde die Antwort von Markus Blume zu Konflikten um die Verwendung des Gendersternchens um den Satzteil
"und inzwischen gelöst sind" ergänzt.
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Deutschlands Wissenschaftsfinanzierung ist eine föderale Erfolgsgeschichte – und beruht auf einem Wertekonsens, der politisch bislang nie in Frage gestellt wurde. Was wäre, wenn sich das änderte?
Ein Gastbeitrag von Hans-Gerhard Husung.
Hans-Gerhard Husung (SPD) war Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin und von 2011 bis 2016
Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Foto: privat.
EIN BLICK IN DIE WELT genügt, um zu erkennen, dass das Gedeihen der Wissenschaft von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. Die Niederlande und Skandinavien sind aktuelle Beispiele
dafür, dass populistische Regierungen und Parlamentsmehrheiten für das Wissenschaftssystem, insbesondere die Hochschulen, spürbar negative Auswirkungen haben. Ein erstes Opfer ist regelmäßig die
Internationalisierung, indem beispielsweise englischsprachige Studienangebote gestrichen, Visabestimmungen geändert oder Kapazitäten zurückgefahren werden. Wenn in Großbritannien die Tories und
ihr Premierminister das Ziel "50 per cent of 18 to 30-year-olds being able to enter higher education" für "one of great mistakes of the last 30 years" halten, ist es höchste Zeit für eine kurze
Besinnung über die eigene Lage.
75 Jahre Grundgesetz bedeuten auch eine Erfolgsgeschichte für die Wissenschaft und ihre Finanzierung in Deutschland. Die Pflicht des Staates, die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5, Absatz 3
materiell zu gewährleisten, gehörte ebenso zum breiten politischen Grundkonsens aller Parteien und Regierungen wie die freie Wahl des Berufs und die Gewährleistung entsprechender
Studienmöglichkeiten, zuletzt umgesetzt im Hochschulpakt und im Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken. In diesen Grundkonsens haben sich die im Laufe der Jahrzehnte neu entstehenden Parteien
regelmäßig eingebracht, zunächst die Grünen und nach 1990 auch die PDS bzw. die Linkspartei. Ihre Integration in den kooperativen Föderalismus für die Wissenschaft ist überall gelungen, wo sie in
den Ländern politische Verantwortung übernommen haben.
Wie Bund und Länder gemeinsam
die Wissenschaft finanzieren
Dieser politische Grundkonsens über die Bedeutung einer den Werten der Aufklärung verpflichteten, rationalen Wissenschaft war und ist die Voraussetzung für ihre gemeinschaftliche Finanzierung
zunächst nur durch die Ländergemeinschaft, mit der Verfassungsreform von 1969 durch die Länder und den Bund. Zweimalige Änderungen des Grundgesetzes 2006 und 2015 haben die gemeinsamen
Handlungsmöglichkeiten jeweils noch erweitert. Rund 18 Milliarden Euro fließen jährlich auf dieser Basis ins Wissenschaftssystem, ein großer Teil davon über den Pakt für Forschung und Innovation
an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und über den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" in die Hochschullehre.
Geht das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition von der Trennung der Aufgabenbereiche zwischen Bund und Ländern aus, so wird mit den Gemeinschaftsaufgaben, zu denen die
Wissenschaftsfinanzierung gehört, ein gesetzlich nicht geregelter Zwischenraum eröffnet, der von den Regierungen durch Verwaltungsvereinbarungen exekutiv ausgestaltet werden kann. Die damit
verbundene finanzielle Selbstbindung der Beteiligten unterliegt dem Einstimmigkeitserfordernis, entweder der Wissenschaftsminister und Finanzminister oder der Regierungschefs von Bund und
Ländern. Die Arena für die Aushandlung ist in der Wissenschaft die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern. Das Risiko der damit 17 potenziellen Veto-Spieler wurde bislang durch
den wissenschaftspolitischen Grundkonsens unter allen Beteiligten wirkungsvoll eingehegt. Äußerst seltene Veto-Situationen etwa bei Haushaltsnotlagen ließen sich auf der Ebene der
Ministerpräsidenten pragmatisch auflösen.
Ob das auch bei einer populistischen Landesregierung gelingen würde, deren sie tragende Partei mit ihren "verfassungsfeindlichen Strömungen" eher auf alternative Fakten und Verschwörungstheorien
als auf Aufklärung und Rationalität setzt, ist mehr als fraglich. Und was würde ein solches Szenario für die bestehenden Verwaltungsvereinbarungen bedeuten?
Mit den Vereinbarungen verpflichten sich zunächst die Regierungen von Bund und Ländern, in ihren jeweiligen Haushaltsentwürfen die entsprechenden Summen vorzusehen. Alle Vereinbarungen stehen mit
Blick auf die finanzielle Ausstattung dann jedoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der 17 Parlamente von Bund und Ländern. Nicht zuletzt wegen der konkreten finanziellen Vorteile für die
Wissenschaftseinrichtungen im eigenen Land hat allerdings noch nie ein Parlament die Bereitstellung der notwendigen Mittel verweigert. Was bislang deshalb eher formelhaften Charakter hatte,
könnte ein Landesparlament bei entsprechenden wissenschaftsaversen Mehrheiten scharf schalten – mit dramatischen Folgen nicht nur für die Wissenschaft im Land, sondern darüber hinaus für die
Gemeinschaftsfinanzierung der Wissenschaft in Deutschland.
Zwei Programmgruppen,
zwei Szenarien
Was könnte konkret passieren? Die laufenden Programme lassen sich unter dem Risikoaspekt in zwei Gruppen unterteilen: Erstens geförderte Maßnahmen, bei denen eine bilaterale Finanzierung von Bund
und jeweiligem Sitzland vorgesehen ist ("Forschung an Fachhochschulen", "Innovative Hochschule", das Professorinnenprogramm,) oder der Bund allein die Mittel bereitstellt ("Wissenschaftlicher
Nachwuchs", "Qualitätsoffensive Lehrerbildung"). Alle diese Programme haben den Charakter eines Projekts, sind deshalb zeitlich befristet und laufen automatisch aus, wenn sie nicht durch einen
entsprechenden Beschluss in der GWK verlängert werden. Aus ihnen könnte jedes Land durch eigene Entscheidung faktisch ausscheiden, zum Beispiel indem es keine Anträge weiterreichte, mit
entsprechenden Konsequenzen für die eigenen Einrichtungen, jedoch ohne unmittelbare Folgen für das Gesamtprogramm während seiner Laufzeit.
Die zweite Gruppe betrifft Verwaltungsvereinbarungen, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden und die von einem einzigen Land, das den wissenschaftspolitischen Grundkonsenses nicht mehr
mitträgt, nicht einseitig gekündigt werden könnten. Das gilt für die Exzellenzstrategie, den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" und die Innovative Hochschullehre, die für die Hochschulen
von ganz besonderer Bedeutung sind. Für eine Kündigung wären im Ernstfall zwischen drei und acht Länder notwendig, allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Beim Zukunftsvertrag besteht für
jedes Land die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, also eine individuelle Ausstiegsoption.
Eine wissenschaftsaverse Landesregierung beispielsweise in einem ostdeutschen Land hätte demnach die Möglichkeit, für ihre Hochschulen aus dem Zukunftsvertrag auszusteigen: mit erheblichen
Nachteilen für die betroffenen Hochschulen des Landes, jedoch ohne unmittelbare Auswirkungen auf das gesamte Hochschulsystem – zumindest so lange, wie der bestehende Zukunftsvertrag keine
Änderung erfahren soll.
Der hypothetisch durchgespielte Fall verweist jedoch auf ein Defizit der bestehenden Regelungen: Es ist in der Verwaltungsvereinbarung keine Wiedereinstiegsmöglichkeit vorgesehen. Im
hypothetischen Fall bliebe das Land auch bei einem Wechsel zu einer wissenschaftsfreundlichen Landesregierung dauerhaft ausgeschlossen. Die Austrittsoption sollte deshalb durch eine entsprechende
Wiedereintrittsoption ergänzt werden.
Sollte der Zukunftsvertrag inhaltliche Änderungen erfahren, würde wieder nach Grundgesetz-Artikel 91 b das verfassungsrechtliche Erfordernis der Einstimmigkeit greifen. Ähnliches gilt für den
Pakt für Forschung und Innovation, der zwar keine Kündigungsklauseln enthält, wohl aber eine zeitliche Befristung, aktuell bis zum Jahre 2030. Für seine Verlängerung wäre ein einstimmiger
Bund-Länderbeschluss notwendig.
Weil keiner es sich
vorstellen konnte
Die grundsätzliche gemeinsame Bund-Länder-Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der DFG sieht dagegen keine Kündigungsmöglichkeit vor. Die entsprechenden Vereinbarungen
unterliegen lediglich dem Risiko, dass das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung der GWK außer Kraft tritt. Als diese Vereinbarung 2007 geschlossen wurde, wurden die
Konditionen einer möglichen Kündigung relativ dilatorisch behandelt, weil der wissenschaftspolitische Grundkonsens weitergehende Überlegungen als vollkommen abwegig erscheinen ließ. Während eine
Kündigungsfrist von zwei Jahren genannt wird, ist nicht einmal ein Länderquorum vorgesehen. Gleichwohl ist die politische Kündigungshürde außerordentlich hoch. Ob sie zur Abwehr eines
destruktiven politischen Willens ausreicht, wird hoffentlich keinem Praxistest unterzogen.
Wie könnte das System der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern wetterfester gemacht werden? Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung könnte der Bund zum Beispiel ein
Gesetz zur Forschungsförderung beschließen, das seine Rolle im System der Forschungsförderung gesetzlich festschriebe. Eine Option, die historisch lediglich in den 1950er Jahren der damalige
Bundeskanzler Konrad Adenauer als Drohpotenzial ins Spiel brachte – gegenüber der Weigerung der Länder, den Bund in das Königsteiner Abkommen aufzunehmen. Der gesetzgeberische Aufwand wäre
vermutlich erheblich, die Wirkung im Vergleich mit dem Status quo begrenzt, denn die Vorhaben an Hochschulen und vor allem der Zukunftsvertrag blieben außen vor.
Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform 2006 wurden unterschiedliche Modelle einer konsequenten Entflechtung diskutiert, die dem Gedanken einer Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern
folgten. Sie sind damals vor allem wegen der Pfadabhängigkeit im erfolgreichen kooperativen Föderalismus nicht zum Tragen gekommen. Auch eine solche konsequente Zuständigkeitstrennung wäre sehr
aufwändig und mit großen Unsicherheiten verbunden, da verfassungsändernde Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat notwendig wären. Der begrenzte Vorteil bestünde in der entkoppelten
Risikoverteilung für das Wissenschaftssystem auf 17 unabhängige Akteure; dem würde als Nachteil die Abhängigkeit der betroffenen Einrichtungen von einem einzigen Akteur – Land oder Bund -
entgegenstehen. Ein mit Blick vor allem auf die Länderhaushalte wenig attraktives Szenario.
Von der Wirkung her durchaus vergleichbar wäre, den grundsätzlichen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander zu verändern. Überlegungen, das unterschiedliche
finanzielle Engagement der einzelnen Länder für ihre Hochschulen als "Hochschullast" in den vertikalen und horizontalen Länderfinanzausgleich einzubeziehen, gab es bereits in den 1950er Jahren.
Die Verlagerung zusätzlicher Umsatzsteuerpunkte vom Bund auf die Länder wäre eine weitere theoretisch denkbare Möglichkeit, die jedoch nur bei einer Entflechtung Sinn machen würde. Alle
haushaltssystematischen Varianten hätten zudem den großen Nachteil, dass die Finanzflüsse in den Finanzministerien der Länder ankämen und in Konkurrenz mit anderen Politikfeldern im Kabinett und
im Parlament für die Wissenschaft erkämpft werden müssten. Demgegenüber weist die Gemeinschaftsfinanzierung den großen Vorteil auf, dass sie ohne politische Umwegrisiken in den
Wissenschaftsministerien der Länder und damit zielgenau etwa bei den Hochschulen ankommt.
Eine "Koalition der Willigen"? mithilfe
des Grundgesetz-Artikels 91b?
Schließlich sei im Zusammenhang mit der Ausstiegsoption beim Zukunftsvertrag der naheliegende Gedanke einer "Koalition der Willigen" weitergeführt: Der Bund legt ein Förderprogramm beispielsweise
für eine größere hochschulpolitische Zielsetzung auf, verbunden mit einem Opt-in-Angebot an die Länder, die sich beteiligen möchten. Aber auch dafür bräuchte der Bund die Zustimmung aller
Länder.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat wäre nötig für eine Änderung des Artikels 91b, um eine Mitfinanzierungsverpflichtung des Bundes im Bereich der Hochschulen gesetzlich zu
verankern, wie es sie beispielsweise im föderalen System der Schweiz gibt. Eine solche Änderung könnte sich für den Hochschulbereich insofern auf den Artikel 91a stützen: "(1) Der Bund wirkt
auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse
erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)", und hier den Spiegelstrich "Stärkung der Hochschulen (durch die Förderung eines angemessenen Studienangebots und eines qualitativ hochwertigen
Hochschulstudiums)" hinzufügen. Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates würden die Gemeinschaftsaufgabe sowie Einzelheiten der Koordinierung näher bestimmt. Der Bund trüge einen
definierten Anteil der Ausgaben für die Hochschulen in jedem Land.
Es bleibt am Ende dieser Betrachtung nur eine Erkenntnis: Eine auf geteilten Werten und gegenseitigem Grundvertrauen aufgebaute institutionalisierte Kooperation zwischen Bund und Ländern, wie sie
die Gemeinschaftsfinanzierung im Bereich der Wissenschaft darstellt, muss sich ihrer Risiken bewusst sein und sie künftig verstärkt mitdenken. Ein einfacher gesetzgeberischer oder
verwaltungstechnischer Weg zu ihrer Vermeidung ist aus heutiger Sicht jedoch nicht erkennbar. Deshalb sind wir alle und unsere Institutionen aufgerufen, aktiv darauf hinzuwirken, dass
wissenschaftsaverse politische Parteien bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und zu den drei ostdeutschen Länderparlamenten keine Chance bekommen.
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Heute haben sich Kultusminister und Bundesbildungsministerin zum klärenden Kamingespräch getroffen. Die KMK-Pressekonferenz Stunden zuvor legte offen, warum beide Seiten zurzeit eine so komplexe Beziehungskiste haben.
KMK-Pressekonferenz mit Ties Rabe, Katharina Günther-Wünsch und Alexander Lorz (von links). Danach ging es zum vertraulichen Gespräch mit
Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger. Fotos: JMW.
AM FREITAGNACHMITTAG wollten die Kultusminister sich mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu dem mit Spannung erwarteten Kamingespräch treffen, direkt vorher luden sie zur
Pressekonferenz. Warum vorher? Weil KMK und BMBF vereinbart hatten, dass das Gespräch mit Stark-Watzinger vertraulich sein sollte. Vertrauensbildung war angesagt mit einer Ministerin, die sich
mit ihrer Zusage Zeit gelassen hatte.
So richtig ausgeprägt, das wurde schon zu Beginn der Pressekonferenz im Berliner Hotel Bristol deutlich, ist das Vertrauen auch auf Seiten der Kultusminister nicht. Tags zuvor hatten die Ost-Ministerpräsidenten die Bundesregierung gewarnt, auf keinen Fall den Rotstift beim
versprochenen Digitalpakt 2.0. anzusetzen, am Freitag legten die Kultusminister nach.
"Wir können uns nicht vorstellen, dass der Digitalpakt 2.0 nicht kommt", sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-regierten Kultusministerien koordiniert. "Das wäre ein derartiges
Desaster für die Schulbildung, für die Digitalisierung in Deutschland insgesamt."
Eine Journalistin hakte nach: Woher kämen überhaupt die Gerüchte, der Bund wolle das Programm streichen, wenn es doch keine diesbezügliche Ansage seitens des BMBF gebe? Rabes Antwort: Es gehöre
zur Aufgabe von Politikern, "sehr hellhörig zu sein, Signale ernstzunehmen und einzuordnen". Aber ja, es seien nur Gerüchte, und er sei optimistisch, dass es nicht wirklich zu einer Streichung
komme. Es schade aber nicht, die Bedeutung der Digitalpakt-Fortsetzung noch einmal zu betonen.
Rhetorisches Stochern
im Nebel
Ein rhetorisches Stochern im Nebel, das irgendwie symbolisch ist in diesen Tagen und Wochen, bevor Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sein
Sparpaket voraussichtlich am 5. Juli offiziell im Bundeskabinett auf den Tisch legen soll. Fest steht, dass auch Stark-Watzingers Haushalt unter großem Druck steht – und damit die
Kultusminister nicht weniger, die der Verlust der Digitalpakt-Fortsetzung offensichtlich mehr schmerzen würde als das Nichtzustandekommen des Startchancen-Programms für benachteiligte Schüler und
Schulen.
Auf die Frage, ob die Kultusminister so weit gehen würden, eine Digitalpakt-Garantie durch Stark-Watzinger zur Voraussetzung für eine Zustimmung beim Startchancen-Programm zu machen, sagte
Rabe, hier gebe es unterschiedliche Meinungen zwischen SPD- und unionsregierte Ländern. Seine Meinung sei: "Je mehr man miteinander verknüpft, desto schwieriger wird, überhaupt etwas über die
Rampe zu bringen, weil dann immer noch etwas fehlt." Aber, fügte er hinzu, "schön wär’s schon, wenn es eine klare Aussage kommt, dass man sich keine Sorgen machen muss, wenigstens das."
Etwas anders zum Thema Verknüpfung stellt sich die Meinung der Unionsminister dar, in der KMK-Pressekonferenz am Freitagvormittag repräsentiert durch ihren Koordinator Alexander Lorz: Zwar gebe
es keine direkte Verkopplung der Verhandlungen um Digitalpakt und Startchancen, sagte der hessische Kultusminister. "Was es aber natürlich gibt, sind sachliche Zwänge und in diesem Falle auch
ganz einfach monetäre Zwänge." Sollte also etwas an den Gerüchten dran sein, dass der Bund sich vom Digitalpakt verabschieden könnte (was laut Lorz eine "Katastrophe", laut Rabe ein "Desaster"
wäre), "würde uns das unter immense andere Handlungszwänge setze, weil wir dann mit Sicherheit nicht hingehen und sagen würden, wir lassen jetzt mal die Digitalisierung." In dem Fall käme,
so Lorz, "alles auf den Prüfstand", weil sich die Kultusminister dann die weiter nötigen Ressourcen für die Digitalisierung in den Schulen anderswoher holen müssten.
Was man nur als Mahnung an BMBF-Chefin Stark-Watzinger verstehen konnte. Und damit die auch wirklich ankam, betonte Lorz noch einmal: "Wir müssen die Verhandlungen nicht parallel führen,
nicht parallel die Vereinbarungen unterzeichnen, aber wir brauchen schon die Gewissheit, dass das eine nicht auf Kosten des anderen geht." Womit er Startchancen versus Digitalpakt meinte.
Damit befand sich der Hesse auf einer Linie mit Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die schon vergangene Woche hier im Blog zu Protokoll gegeben hatte: "Ohne die
Klarheit über eine Finanzierung des Digitalpakts 2.0 durch den Bund kann es keine Verständigung zum Startchancen-Paket geben." Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wiederum hatte am
Donnerstag nach der Ost-Ministerpräsidetenkonferenz mit Scholz angekündigt, er werde Druck im Kreise der Ministerpräsidenten aufbauen, damit der Digitalpakt 2.0. nicht weggekürzt werde.
Welche Garantien kann Stark-Watzinger
überhaupt geben?
Was zeigt, dass zumindest Wegner gar nicht mehr davon ausgeht, dass Stark-Watzinger Herrin des Verfahrens und der künftigen Dimensionen ihres Haushalts ist. Was dann wieder die Frage stellt,
welche Garantien genau die Kultusminister in ihrem vertraulichen Gespräch eigentlich von ihr einfordern wollten. Für den Bildungsdirektor der Bertelsmann-Stiftung, Dirk Zorn, war übrigens
genau der Einsatz der Ost-Ministerpräsidenten "ein Beleg dafür, wie er twitterte, "dass es bei zukunftsweisenden Entscheidungen für ein besseres Bildungssystem die Durchsetzungsmacht von
Ministerpräsident:innen und Bundeskanzler braucht".
Die Bertelsmann-Stifung gehörte zu den inzwischen 89 Organisationen und Verbänden, die unter der Überschrift "#NeustartBildungJetzt" den Appell für einen Nationalen Bildungsgipfel unter
Beteiligung von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten veröffentlicht haben.
Auf den die Kultusminister am Freitag auf Nachfrage unisono zurückhaltend bis ablehnend reagierten: Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, die amtierende Präsidentin der KMK
ist, sagte, bei all den "Themen und den Problemen, die wir haben, benötigen wir momentan keine Debatte um den Föderalismus", wichtiger seien konkrete Maßnahmen und Entscheidungen, und es gebe mit
der KMK eine Institution, die die nötigen Entscheidungen treffen könne.
Ties Rabe sagte, die Kultusminister müssten schon ernstnehmen, dass es eine große Bewegung gebe und dass sich bei vielen der Eindruck verfestige, das deutsche Schulsystem stecke in einer
tiefen Krise. Er sage aber ganz offen: "Diesen Eindruck habe ich nicht." Er vertrete die KMK im EU-Ministerrat, und dabei sei ihm noch einmal deutlich geworden: "Die Entwicklung, die
Deutschland macht, mit dem Nachlassen der Kernkompetenzen in Klassestufe 4, speziell im Lesen, ist kein Privileg von Deutschland, sondern Sie finden das in den meisten europäischen Ländern, vor
allem in denen, die wie wir offene Grenzen und freundlich ausgebreitet Arme haben. Deshalb halte die Zuspitzung auf eine nationale Bildungskrise für verkehrt."
Den Dialog mit den Verbänden müsse man aber trotzdem führen, sagte Rabe, auch darüber wolle man mit Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger sprechen. Aber die Lösung könne nicht darin bestehen,
"so zu tun, als ob wir Deutschland mal eben neu erfinden könnten und dass das besonders schnell geht, wenn wir uns mit 89 verschiedenen Interessengruppen an einen Tisch setzen, die sich bei allem
nur darin einig sind." Konkrete Fortschritte etwa beim Startchancen-Programm oder beim Kampf gegen den Lehrkräftemangel halte er für "wesentlich zielführender als solche riesigen
Grundsatzdiskussionen, die bestenfalls in drei Jahren das Ergebnis haben, möglicherweise aus Beteiligungsmangel langsam einzuschlafen."
Übliche Abwehrreaktionen
der Kultusminister?
Alexander Lorz verwies in dem Zusammenhang auf den Lehrkräftemangel und die seines Erachtens in den meisten OECD-Staaten sehr ähnliche Demografie. Freilich treffe auch er sehr oft die Illusion,
"da müssten sich doch alle nur einmal an den Tisch setzen, sich tief in die Augen schauen, sich die Hände reichen und sagen, so machen wir das jetzt, und dann läuft das auch." Lorz betonte: "So
funktioniert Politik ganz generell nicht, und Bildungspolitik schon mal gar nicht."
Wobei es nun auch nicht so wahnsinnig überrascht, dass Kultusminister wenig begeistert von der Aussicht sind, ihr Aufgabengebiet könnte zur Chefsache der Ministerpräsidenten werden. So wie
freilich auch dahingestellt bleibt, ob Politik so funktioniert, dass die Bildungsminister vor ihrem vertraulichen Gespräch mit Stark-Watzinger noch einmal demonstrativ per Beschluss die
Fortsetzung der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" vom Bund forderten, der demnächst ausläuft.
Die BMBF-Chefin hatte ihnen bereits mehrfach und auch per Brief zu verstehen gegeben, dass sie nicht bereit sei, das Programm zu verlängern. Man muss kein Prophet sein, um zu
erkennen, dass auch hier haushälterische Gründe eine große Rolle spielen. Ob es da wirklich viel bringt, Stark-Watzinger gleichzeitig bei Digitalpakt und QLB unter Druck zu setzen? Vielleicht ist
das Kalkül der Kultusminister aber auch eher, einen QLB-Verzicht irgendwann als Zugeständnis an den Bund darstellen zu können.
So blieb es vor dem vertraulichen Gespräch eine komplexe politische und atmosphärische Gemengelage zwischen KMK und Bund. Höchstes Ziel dürfte sein, dass der Kamin auch wirklich vertraulich
bleibt. Immerhin aber gab es den Kamin überhaupt. Bei den Wissenschaftsministern der Länder, die sich am Freitagmorgen ebenfalls trafen, herrscht weiter Konsterniertheit. Ihren wiederholten
und dringend Wunsch nach einem Treffen hatte Stark-Watzinger abgelehnt.
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Startchancen: Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?
Vergangene Woche war der Optimismus auf Arbeitsebene groß gewesen direkt im Anschluss an drei Tagen Bund-Länder-Klausur zum Startchancen-Programm. So als stünde der Durchbruch in den
Verhandlungen unmittelbar bevor. Allerdings
wurde danach sehr schnell deutlich, dass viele Kultusminister der Euphorie nur bedingt folgen wollten. Vor allem aus der CDU gab es Widerspruch: Trotz Annäherungen in einigen
Teilbereichen blieben wichtige Punkte von Seiten des Bundes noch offen und ungeklärt, erklärte Hessens Kultusminister Alexander Lorz vergangene Woche Donnerstag – "wie die Finanzierung, die
genaue Mittelverteilung oder die rechtliche Umsetzung". Die Länder benötigten endlich verbindliche Aussagen.
Womöglich hatte die Skepsis der CDU-Minister aber auch mit der Furcht zu tun, dass zu viel Einigungs-Optimismus (und infolge dessen Einigungsdruck) in Sachen Startchancen ihre
Verhandlungsposition um den Digitalpakt 2.0 schwächen könnte? Eine Vermutung, gegen die Lorz sich in der KMK-Pressekonferenz verwahrte. "Wir haben ein Interesse daran, beide Projekte so
schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen, und es würde uns überhaupt nicht weiterbringen, wenn wir das jetzt an einer Seite künstlich verlangsamen, um mit der anderen Seite
voranzukommen."
SPD-Senator Rabe kommentierte, es komme auf die Perspektive an. Die sozialdemokratischen Minister sähen das Startchancen-Glas eher halb voll, die CDU-Kollegen halb leer. Aber immerhin sei man
sich einig, dass schon Wasser drin sei. "Das kann was werden", sagte Rabe. Das sei vor acht Wochen noch nicht so erkennbar gewesen. So sei man sich etwa bei der Frage der Mittelverteilung schon
"sehr, sehr nahegekommen", er halte keine der noch offenen Punkte mehr für unüberwindbar.
Demgegenüber sagte Lorz, es gebe erhebliche Bewegungen auf Seiten des Bundes, aber: "Das Ding ist weit davon entfernt, in trocknen Tüchern zu sein." Bremsklötze sehe er unter anderem bei der
rechtlichen Umsetzung, so strebe der Bund ein sogenanntes Artikelgesetz an, das die Zustimmung der Länder im Bundesrat erfordert. Da wiederum stimmte Rabe ihm zu: Da müsse man am Ende alle 16
Länder mitnehmen.
Was sonst noch wichtig war
Man sei beim Lehrermangel konfrontiert mit strategischen Versäumnissen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die mit einer demographischen Krise kollidierten, leitete KMK-Präsidentin Katharina
Günther-Wünsch ihren Bericht über die Beratungen der Kultusminister ein. Wobei sie diesen Satz, vielleicht aus Höflichkeit gegenüber den neben ihr sitzenden Ministerkollegen, später auf
Nachfrage keineswegs als Kritik an der KMK verstehen wollte, der sie selbst erst seit wenigen Wochen angehört. Man habe das Ministertreffen am Donnerstagabend ordentlich überzogen, sagte
Günther-Wünsch weiter, was an den Inhalten und Beschlüssen abzulesen sei.
So scheint etwa die Bereitschaft in der KMK zu grundsätzlichen Reformen und Schritten gegen den Lehrkräftemangel inzwischen groß zu sein. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) will
hierzu Ende des Jahres ihr Gutachten vorlegen, dann will die KMK entscheiden. Man müsse sich freimachen von Denkverboten, sagte Günther-Wünsch, und nannte die Stichworte: duale Studienmodelle für
künftige Lehrkräfte, Ein-Fach-Lehrer, ein schnelleres, stärker an der Schulpraxis orientiertes Studium, die Qualifizierung von Bestandslehrkräften.
Weitere wichtige Themen seien eine Diskussion mit der unabhängigen Beauftragten des Bundes für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs gewesen, die beschlossene Weiterentwicklung der 20 Jahre
alten Bildungsstandards für Englisch und Französisch – oder auch der Ausbau der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen innerhalb des KMK-Sekretariats. 70 neue Stellen zusätzlich zu den 330
vorhandenen sollen gewährleisten, dass jedes Jahr 55.000 ausländische Abschlüsse und Qualifikationen zusätzlich anerkannt werden können – als Beitrag im Kampf gegen den Fachkräftemangel.
In: https://freidok.uni-freiburg.de/data/8649
Die Frage, warum eine Gerichtsentscheidung zum Prüfungsgegenstand eines außerordentlichen Grundrechtsschutzmittels werden sollte, ist nicht a priori zu beantworten. Um judikatives Unrecht zu sanktionieren, könnte man an Stelle des außerordentlichen Rechtsbehelfs noch einen weiteren Rechtsbehelf im ordentlichen Rechtsweg vorsehen. Der Grund, warum dieser Weg nicht vorzuziehen ist, lässt sich nicht durch die Annahme erklären, dass die Mentalität der Fachrichter für die Wahrung der Grundrechte weniger geeignet sei als die der Verfassungsrichter. Der politische Modus der Verfassungsrichterwahl gewährleistet nicht unbedingt die Qualifikation für einen Hüter der Verfassung. Die Notwendigkeit der Urteilsverfassungsbeschwerde ist ebenso wenig direkt aus dem Wesen bzw. Begriff der Verfassungsbeschwerde herzuleiten. Es kommt vielmehr auf das Spezifikum der Justizstruktur oder des Gerichtsverfahrens eines bestimmten Staates an. Viele Konzeptionen über das außerordentliche Grundrechtsschutzmittel sind gerade daran gekoppelt. Aus der genetischen Untersuchung lässt sich erkennen, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Verselbständigung des Verfassungsgerichtswesens, dem die Normenkontrolle obliegt, einen wichtigen Ausgangspunkt für die Einführung der Verfassungsbeschwerde bildete. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte das Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde vor allem dem Einzelnen ermöglichen, selbst die einem Gerichtsurteil zugrunde liegende Norm beim BVerfG vorzulegen und sie anzugreifen. Auch für den Fall, dass ein Gerichtsurteil zum unmittelbaren Beschwerdegegenstand wird, stellt sich das Verfahren der Verfassungsbeschwerde eher als ein neuer Modus der Normenprüfung dar denn als Korrektur einer unrichtigen rechtskräftigen Gerichtsentscheidung; die Entscheidung des BVerfG enthält in aller Regel eine – zumindest konkludente – Grenzziehung hinsichtlich des gesetzgeberischen Spielraums. In Korea ist das Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde zweigeteilt: zum einen gibt es die Verfassungsbeschwerde gemäß § 68 Abs. 1 KVerfGG und zum anderen diejenige gemäß § 68 Abs. 2 KVerfGG. Diese Zweiteilung der Verfassungsbeschwerde hängt nicht zuletzt mit dem Ausschluss der Gerichtsurteile vom statthaften Beschwerdegegenstand zusammen; wegen des Fehlens des Instituts der Urteilsverfassungsbeschwerde musste in Korea noch eine weitere Art der Verfassungsbeschwerde eingeführt werden, damit der Betroffene die vom Ausgangsgericht unterlassene Vorlage einer entscheidungserheblichen Norm nachholen kann, was in Deutschland in der Form der sog. verdeckten Rechtssatzverfassungsbeschwerde erfolgt. Ansonsten orientiert sich die koreanische Verfassungsbeschwerde im Ganzen und Großen am deutschen Vorbild. Die Grundlage für eine solche Orientierung am deutschen Vorbild ist die Verselbständigung des Normenkontrollgerichts. In der Tat bildet die Normenprüfung das Hauptfeld der koreanischen Verfassungsbeschwerde. Aber warum sollte die Normenkontrollkompetenz dem Verfassungsgericht zugeordnet werden? Darauf gibt etwa die Cappelletti'sche Erklärung keine befriedigende Antwort. Die Auffassung Cappellettis, dass die Mentalität der gewöhnlichen Richter im Civil-Law-Rechtskreis für die Verfassungsjudikatur nicht geeignet sei, ist übertrieben; ihr kommt allenfalls eine provisorische Geltung zu. Der Grund für die Errichtung des Verfassungsgerichts liegt vielmehr darin, dass die verhältnismäßig große Struktur der traditionellen höchsten Gerichtshöfe im Civil-Law-Rechtskreis und die damit verbundene breite Anrufungsmöglichkeit der Gerichtshöfe durchaus als bewahrenswert anzusehen ist, während die Wahrung der Rechtseinheit im verfassungsrechtlichen Bereich einer kleineren Gerichtsorganisation bedarf. Eine solche Erwägung gilt auch für Korea, obwohl der KOGH bislang seine relativ kleine personelle Struktur beibehält; es gibt in Korea einen großen Bedarf an höchstinstanzgerichtlicher Rechtsprechung und somit erscheint es überaus wünschenswert, etwa durch die Aufteilung des KOGH in mehrere Senate und deren fachliche Spezialisierung die Kapazität des Gerichts zu vergrößern. Um nicht nur die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern auch die der Fachgerichtsbarkeit zu fördern, empfiehlt sich durchaus die Zweiteilung der gesamten Gerichtsorganisation, d.h. die institutionelle Trennung der beiden Gerichtsbarkeiten. Zwischen der Verselbständigung des Normenkontrollgerichts und der Einführung der Urteilsverfassungsbeschwerde besteht eine enge Korrelation. Im Hinblick auf die Normenkontrollkompetenz des BVerfG beschloss der deutsche Gesetzgeber die Einführung der (Urteils-)Verfassungsbeschwerde. Die Befugnis des BVerfG zur authentischen Verfassungsauslegung, die auch dem Gesetzgeber gegenüber verbindlich ist, gibt ferner einen Ansatz für die Entwicklung einer differenzierten verfassungsgerichtlichen Prüfungsdichte bei der Urteilsverfassungsbeschwerde. Die Auswirkung der institutionellen Nichtzulassung der Urteilsverfassungsbeschwerde auf die verfassungsgerichtliche Normenprüfung lässt sich am koreanischen Beispiel gut erkennen: Wegen des Fehlens des Instituts der Urteilsverfassungsbeschwerde ist das KVerfG regelmäßig nicht in der Lage, seinen Prüfungsumfang auf einen individualisierten Normenteil einzugrenzen. Das Gericht kann ebenso wenig erwarten, dass ihm die Fachgerichte ihre Sachverhaltswürdigung bzw. Fallanschauung vermitteln. Wegen des Umstands, dass das Verfassungsgericht das Gesetz losgelöst von seiner konkreten Anwendung abstrakt und generell überprüfen muss, leidet die Rationalität der verfassungsgerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls erheblich. Allerdings ist zu beachten, dass die Einführung der Urteilsverfassungsbeschwerde in Korea ein neues Problem aufwerfen könnte. Vor allem könnte das KVerfG durch die Flut von Urteilsverfassungsbeschwerde in starkem Maße überlastet werden. Die prozessualen Steuerungsmittel wie etwa die Eintragung mangelhafter Verfassungsbeschwerden in das Allgemeine Register, die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr, die strenge Anwendung des Erfordernisses der Substantiierung bzw. des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bringen ihrerseits so viele Probleme mit sich, dass sie wenig empfehlenswert erscheinen. Stattdessen wäre es besser, über ein Outsourcing eines Teils der Verfassungsbeschwerden nachzudenken, wie es von der ehemaligen Verfassungsrichterin Karin Graßhof vorgeschlagen worden ist. Daneben ist noch in Erwägung zu ziehen, ob das bestehende koreanische Vorprüfungsverfahren nicht dahin reformiert werden sollte, dass in Zukunft die Kammern nicht nur unzulässige Verfassungsbeschwerden filtern können, sondern auch offensichtlich unbegründete. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Urteilsverfassungsbeschwerde könnte eine Differenzierung zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Grundrechtsverletzung dienlich sein: Für die mittelbare Grundrechtsverletzung sollte der Prüfungsmaßstab das Willkürverbot sein, wie es in dieser Arbeit rekonstruiert worden ist. Für die unmittelbare Grundrechtsverletzung wäre die Schumann'sche "Umdenken-Methode" maßgeblich; die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ist jedenfalls dadurch gekennzeichnet, dass sie der gesamten öffentlichen Gewalt gegenüber verbindlich sein sollte. Dies darf auch bei der Kontrolle der Zweiten bzw. der Dritten Gewalt niemals außer Acht gelassen werden. ; Why should an improper judicial decision require an extraordinary remedy for the protection of fundamental rights? This question cannot be answered in an a priori manner; instead of an extraordinary remedy, we could design another judicial process to correct a wrong decision rendered by a regular court. If this method is unpreferable, the objection should be explained substantially. But it does not seem persuasive to assume that the mentality of the regular judges is less suitable for the protection of fundamental rights than that of constitutional court judges. Political elements in the appointment of constitutional court judges do not necessarily qualify them to be guardians of the constitution. Neither can the need for an extraordinary remedy against judicial decisions be directly derived from the nature or the definition of the constitutional complaint. What is significant is rather the specific structure and jurisdiction of courts in a given state, from which various principles regarding the extraordinary remedy can be drawn. The historical approach makes it clear that the introduction of the constitutional complaint is related to the establishment of a special court for judicial review of the constitutionality of legislation. According to the prevailing opinion of the fathers of the German Federal Constitutional Court Act, the constitutional complaint was designed to be a pathway to judicial review of a statute on which the decision of a regular court was based. Even though a complaint is filed apparently against a judicial decision, its procedure represents itself mostly as another mode of judicial review of the law rather than as a reexamination of the final decision. At least in effect, the decision of the constitutional court on a constitutional issue restricts legislative discretion. In Korea, there are two types of constitutional complaint: one is regulated under Section 68.1 of the Korean Constitutional Court Act, the other under Section 68.2 of the same act. The acceptance of both types of constitutional complaint was due to the exclusion of the possibility to file a constitutional complaint against judicial decisions. This exclusion means that the unconstitutionality of a statute applied by a regular court also cannot be alleged by means of the general – i.e. the former type of – constitutional complaint. In compensation, the latter type of the constitutional complaint had to be introduced in order to give an individual a chance to allege the unconstitutionality of a statute on which a judicial decision is based. Apart from this aspect, the constitutional complaint in Korea is similar to the German model as both Germany and Korea have special courts for judicial review. Indeed, a significant number of complaints filed with the Korean Constitutional Court concern the unconstitutionality of legislation. Nevertheless, why should the task of judicial review be assigned to the constitutional court? Cappelletti did not provide a satisfactory answer to this question. His explanation, that the mentality of regular judges in civil law regions is unsuitable for the task, seems to be an exaggeration; it can serve at most as a provisional argument. The establishment of a special court for judicial review was rather due to the fact that the relatively large organization of the highest courts in civil law regions and the accordingly broad access to them were considered worth preserving while a small court is more apt to achieve legal unity, particularly in relation to constitutional issues. Regardless of the relatively small structure of the current Korean Supreme Court, such a historical precedent has significant meaning for Korea; the Korean people are longing for greater access to the highest court; thus, it seems desirable to enlarge the capacity of the court by establishing several specialized divisions. In order to promote the development not only of constitutional jurisprudence but also of other types of jurisprudence, it is highly advisable to have a separate constitutional court in addition to the regular courts. A narrow correlation exists between establishing a special court for judicial review and introducing the institution of the constitutional complaint against judicial decisions. First, with respect to the very power of the Federal Constitutional Court to control the constitutionality of statutes, the German legislature decided to introduce this institution. Second, the ability of the Court to interprete the constitution authoritatively – i.e. with binding effect even against the legislature – also gives insight into the intensity of review in dealing with constitutional complaints filed against court decisions. The situation of Korean constitutional jurisdiction shows what influence the prohibition against lodging a complaint against court decisions can have over judicial review of statues. Because of its inability to control the constitutionality of judicial interpretation – i.e. the meaning of a law as applied to a given case – the Constitutional Court is neither able to narrow the scope of review to an individualized subrule, nor can it expect the regular courts to provide their factual and legal assessment of the case. Isolated from its concrete application, a statute must always be reviewed in a general and abstract manner. This explains why the opinions of the Constitutional Court sometimes seem irrationally broad and inexpedient to solve the constitutional problem in a particular case. On the other hand, we should acknowledge that making it possible to file constitutional complaints against court decisions can also cause difficulties. Most significantly, the Constitutional Court may become overburdened by a flood of constitutional complaints against court decisions. However, procedural means such as recording defective complaints in the General Register, imposing court fees on the abuse of the constitutional complaint or strictly applying the requirement of substantiation or the principle of subsidiarity to the constitutional complaint may also have negative effects; thus, they do not seem advisable for the Korean judiciary. Instead, it would be better to consider outsourcing some constitutional complaints, as proposed by the former judge of the German Federal Constitutional Court, Karin Graßhof. In addition, we should ponder whether the present preliminary examination system should be reformed in order that the three-judge chamber can not only decide upon the inadmissibility of constitutional complaints but also dismiss obviously ungrounded ones. In deciding whether a constitutional complaint filed against a court decision should be granted, it would be useful to differentiate between a direct and an indirect violation of fundamental rights. In the latter case, the criterion for granting complaints should be the arbitrariness test as reconstrued in this dissertation. In the former case, the method proposed by Schumann – i.e. regarding a judicial decision as a legislative one – is significant. The key point is that the judgment of the constitutional court on a constitutional issue has binding effect against the entire public authority including the legislature. Even in controlling the second and the third power, this should not be disregarded.
BASE
In: Diplomarbeit
Inhaltsangabe: Einleitung: Im Rahmen des Studiums der Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal beschäftigt sich die vorliegende Diplomarbeit mit der industriellen Organisation der globalen Wirtschaft. Dabei wird insbesondere auf zeitgenössische, global orientierte Wertschöpfungs- bzw. Produktionsnetzwerke eingegangen und untersucht, wie sich derartige Netzwerke in Zukunft entwickeln werden. Die weltwirtschaftliche Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte ist von einer weit reichenden ökonomischen Globalisierung gekennzeichnet: Liberalisierung und technologischer Fortschritt führen in Verbindung mit internationalen Faktorpreisdifferenzen dazu, dass die industrielle Produktion von Gütern verstärkt in relativ kleine und hoch spezialisierte Einheiten zerlegt und weltweit an die wirtschaftlich günstigsten Standorte verlagert wird. Dies gilt insbesondere für arbeitsintensive Fertigungsschritte, die verstärkt aus Industrieländern in Niedriglohn- und Entwicklungsländer verlagert wurden. Unternehmen sind heute entsprechend ihrer nationalen Wettbewerbsvorteile auf relativ kleine Teile der Wertschöpfung eines Produktes konzentriert, Vor- bzw. Zwischenprodukte eines Unternehmens werden im Rahmen des internationalen Handels auf globaler Ebene vom günstigsten Anbieter beschafft und Endprodukte weltweit vermarktet. Es entstehen globale Produktionsnetzwerke (GPN) auf der Basis von Produktion, Distribution und Konsumption einzelner Produkte. Zielsetzung und Fragestellungen: Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie sich derartige Systeme in Zukunft entwickeln werden und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Ziel ist es dabei – auf der Basis globalwirtschaftlich relevanter Entwicklungstrends – fundierte Aussagen über die zu erwartende, zukünftige Entwicklung von GPN zu machen, wobei die folgende Frage im Mittelpunkt stehen soll: Wie wird sich die industrielle Organisation bzw. Konfiguration globaler Produktionsnetzwerke in den kommenden Jahrzehnten tendenziell entwickeln? Der Ursprung globaler Produktionsnetzwerke ist abhängig von zahlreichen Entstehungsfaktoren, so dass zunächst die relevanten identifiziert werden müssen. Hier gilt es die wichtigsten Dimensionen ökonomischer Globalisierung herauszuarbeiten und zu betrachten, inwieweit diese Faktoren die Entstehung globaler Produktionsnetzwerke begünstigen bzw. fördern. GPN können in diesem Sinne als besondere Ausprägung der Globalisierung betrachtet werden: 'Global Production Networks are remarkable manifestations of globalization that we are just starting to grasp.' Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie solch hochgradig komplexe und dynamische Gebilde aus Unternehmen, Institutionen, Konsumenten, etc. angemessen theoretisch dargestellt werden können. Eine grundlegende Beschreibung der relevanten Strukturen und Prozesse dient als Ausgangspunkt für die Kernfragen dieser Arbeit: Welche Faktoren haben aktuell den größten Einfluss auf die Konfiguration von GPN und wie sieht dieser Einfluss genau aus? Wie werden sich die Strukturen von GPN vor dem Hintergrund dieser Einflüsse mittel- bis langfristig entwickeln? Handelt es sich bei der Aufspaltung und geographischen Verteilung – insbesondere von arbeitsintensiven – Produktionsprozessen tendenziell um einen anhaltenden bzw. unumkehrbaren Trend? Konzeptioneller Rahmen und Aufbau der Arbeit: 'In der heutigen Zeit ist die innere Lage gegenüber dem Betrieb der Wissenschaft als Beruf bedingt zunächst dadurch, dass die Wissenschaft in ein Stadium der Spezialisierung eingetreten ist (…). Nicht nur äußerlich, nein gerade innerlich liegt die Sache so: dass der einzelne das sichere Bewusstsein, etwas wirklich ganz Vollkommenes auf wissenschaftlichem Gebiet zu leisten, nur im Falle strengster Spezialisierung sich verschaffen kann.'. Die enorme Komplexität der globalen Wirtschaft erweist sich schon im Rahmen der Vorbereitung auf diese Arbeit als Herausforderung. Die meisten der einzelnen Elemente, die zur Beschreibung und Darstellung von GPN herangezogen werden, hätten für sich genommen das Potential, im Umfang einer solchen Arbeit untersucht zu werden. Die relativ weit gefasste Fragestellung führt dazu, dass eine Vielzahl von Themenbereichen in die Untersuchung integriert werden muss und eher unspezifische und allgemeingültige Aussagen als Ergebnis zu erwarten sind. Auf das im vorangegangenen Zitat angesprochene, sichere Bewusstsein, etwas Vollkommenes auf wissenschaftlichem Gebiet zu leisten, muss im Hinblick auf die gedankliche Arbeit am vorliegenden Text (leider) verzichtet werden. Dies sollte jedoch kein Grund dafür sein, unnötige Vereinfachungen vorzunehmen, oder auf eine umfassende, theoretische Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema zu verzichten. Um die verschiedenen Akteure und deren vielschichtigen Beziehungen zueinander angemessen darzustellen, birgt das Konzept des Netzwerks das wohl größte Potential. Dieses Konzept ist insbesondere in der Lage, die Vielzahl verschiedener Elemente, deren geographische Verteilung und die vielschichtigen Beziehungen der Netzwerkelemente (Firmen, Konsumenten, Institutionen, etc.) zu berücksichtigen und angemessen abzubilden, während Veränderungen dieser Parameter im Zeitablauf entsprechend modelliert werden können: 'The global production network as proposed here, is a conceptual framework that is capable of grasping the global, regional and local economic and social dimensions of the processes involved in many (though by no means all) forms of economic globalization.'. Diese Arbeit bezieht sich dabei vorrangig auf globale Wertschöpfungssysteme – d.h. systematisch verknüpfte Prozesse zur Produktion bzw. Distribution eines Gutes – und betrachtet diese als ganzheitliche Gebilde. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet das nächste Kapitel mit einer Betrachtung der Entstehung von GPN auf Basis der wichtigsten Einflussfaktoren ökonomischer Globalisierung. Aufbauend auf diesem grundlegenden Verständnis dient das dritte Kapitel einer ausführlichen, theoretischen Darstellung der wichtigsten Strukturen, Prozesse und Elemente globaler Produktionsnetzwerke. Im vierten Kapitel werden verschiedene, globalwirtschaftlich relevante Entwicklungstrends aufgezeigt und gedanklich auf die Strukturen und Elemente von GPN übertragen. Dabei geht es darum, möglichst fundierte Aussagen über die zukünftig zu erwartende Konfiguration von GPN zu machen. Im darauf folgenden fünften Kapitel wird zur Ergänzung der bisherigen – eher makroökonomisch ganzheitlich orientierten – Betrachtung verstärkt die Perspektive einzelner Unternehmen eingenommen, um aktuelle Verhaltenstendenzen von Firmen im Hinblick auf die Entwicklung von GPN zu untersuchen. Das sechste Kapitel fasst die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen, beschreibt die Schwierigkeiten und bietet davon ausgehend Ansatzpunkte für weitere Forschung. Grundlegende Begriffe: In diesem Abschnitt werden zuvor grundlegende und oft benutzte Begriffe kurz erklärt bzw. voneinander abgegrenzt, um das Verständnis der vorliegenden Arbeit möglichst zu erleichtern. Der Begriff der Globalisierung bspw. wird häufig und in vielen Bereichen benutzt, so dass es leicht zu Missverständnissen kommen kann. Im Rahmen dieser Arbeit bezieht er sich vorrangig auf ökonomisch relevante Aspekte, d.h. auf die Liberalisierung des internationalen Handels, eine Ausweitung von internationalen Direktinvestitionen sowie der damit verbundenen Aufspaltung und geographischen Ausbreitung von Wertschöpfungsketten, etc. Soziale bzw. gesellschaftliche Aspekte einer solchen ökonomischen Globalisierung bleiben weitestgehend unberücksichtigt. Darüber hinaus ist die Entstehung globaler Produktionsnetzwerke eng mit großen, international operierenden Firmen, sog. multinationalen Konzernen (MNC) verbunden. Derartige MNC spielen zwar eine wichtige Rolle in Bezug auf GPN, müssen aber klar von diesen abgegrenzt werden, da es sich um grundsätzlich verschiedene Gebilde handelt. MNC bestehen meist aus einer Vielzahl allein stehender, internationaler Direktinvestitionen, ohne dass diese systematisch miteinander verknüpft sind. Auch wenn einzelne Teile multinationaler Konzerne oft die Rolle eines zentralen Unternehmens im Kern von GPN einnehmen, handelt es sich bei globalen Produktionsnetzwerken um weitaus komplexere Gebilde. GPN integrieren alle relevanten Firmen, Institutionen und Konsumenten, etc. die innerhalb eines zusammenhängenden Systems an der Produktion, Distribution und dem Konsum eines bestimmten Gutes beteiligt sind. In Zeiten weit reichender ökonomischer Globalisierung können GPN als wohl effektivste Form industrieller Organisation betrachtet werden: 'The globalization of markets is at hand. With that, the multinational commercial world nears its end, and so does the multinational corporation.'.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: AbkürzungsverzeichnisIV AbbildungsverzeichnisVI TabellenverzeichnisVII 1.Einleitung1 1.1Zielsetzung und Fragestellungen1 1.2Konzeptioneller Rahmen und Aufbau der Arbeit2 1.3Grundlegende Begriffe3 2.Wichtige Faktoren zur Entstehung globaler Produktionsnetzwerke5 2.1Institutioneller Wandel: Liberalisierung5 2.1.1Internationaler Handel und ausländische Direktinvestitionen6 2.1.2Kapitalfreiheit und Privatisierung8 2.2Technologischer Wandel: Fortschritt9 2.2.1Informations- und Kommunikationstechnologien10 2.2.2Logistik- und Transportdienstleistungen11 2.3Industrieller Wandel12 2.3.1Globalisierung des Wettbewerbs13 2.3.2Aufspaltung und räumliche Verteilung der Wertkette13 2.3.3Organisationale Integration als Wettbewerbsfaktor15 2.4Globale Unterschiede15 2.4.1Theorie der komparativen Kostenvorteile15 2.4.2Vertikale Spezialisierung16 3.Das Wesen globaler Produktionsnetzwerke18 3.1Rahmenkonzepte18 3.1.1'Global Commodity Chains'18 3.1.2'Global Value Chains'21 3.1.3'Global Production Networks'24 3.2Strukturen und Prozesse globaler Produktionsnetzwerke25 3.2.1Transformationsprozesse und Wertschöpfungsstrukturen27 3.2.2Zirkulationsprozesse – Informations-, Güter und Finanzströme29 3.2.3Machtstrukturen, externe Einflussnahme und internationale Standards31 3.2.4'Social Embeddedness' – Soziokulturelle Einbettung der Akteure33 3.3Akteure und Gruppen innerhalb globaler Produktionsnetzwerke36 3.3.1Unternehmen37 3.3.2Multinationale Regulierungssysteme, Staatenbünde und Nationalstaaten38 3.3.3Arbeit, Konsumenten und zivile Organisationen40 4.Wichtige Einflussfaktoren und Entwicklungstendenzen globaler Produktionsnetzwerke42 4.1Auswirkungen der globalen Finanzkrise42 4.1.1Nachfrageeinbrüche und Kollaps des internationalen Handels43 4.1.2Engpässe bei der Kreditfinanzierung45 4.1.3Globale Produktionsnetzwerke während der globalen Finanzkrise47 4.2Ökologische Einflussfaktoren und Trends50 4.2.1Klimatische und wetterbedingte Einflüsse auf GPN51 4.2.2'Peak Oil' – Globales Ölfördermaximum54 4.3Politische Einflussnahme und Regulierung59 4.3.1Umweltpolitische Einflüsse - Klimaschutz59 4.3.2Soziopolitische Einflüsse – Strengere Arbeits- und Sozialstandards63 5.Rückverlagerungen deutscher Unternehmen und Erhöhung der Fertigungstiefe68 5.1Probleme der Produktionsverlagerung und das Phänomen der Rückverlagerung68 5.2Rückverlagerungen deutscher Unternehmen70 5.3Erhöhung der Fertigungstiefe zur Steigerung der Produktivität72 6.Fazit74 6.1Darstellung und Zusammenfassung der Ergebnisse74 6.2Probleme und Implikationen bzw. Ansätze für weitere Forschung77 Literaturverzeichnis79Textprobe:Textprobe: Kapitel 3, Das Wesen globaler Produktionsnetzwerke: Jede Modellierung der zeitgenössischen globalen Wirtschaft, die über das rein Vordergründige hinausgehen soll, muss in der Lage sein, die komplexen Aktionen sowie Interaktionen einer Vielzahl von Institutionen und Akteuren widerzuspiegeln, welche multiskalar, im Rahmen dynamischer und asymmetrischer Machtbeziehungen aufeinander einwirken. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass materielle ökonomische Prozesse (Produktion, Distribution, Konsum) jeweils in ein Set von weiteren Umweltebenen eingebettet sind und ggf. beeinflusst werden. Um die komplizierten Strukturen, Wechselwirkungen bzw. Rückkopplungen und die geographische Verteilung von ökonomischen Prozessen zu erfassen, erscheint das Konzept des Netzwerks, insbesondere des globalen Produktionsnetzwerks als nützlich: 3.1, Rahmenkonzepte: Um das Wesen globaler Produktionsnetzwerke zu verstehen und darzustellen, werden im Rahmen dieses Abschnitts zunächst grundlegende Theorieansätze erläutert, die in gewissen Teilen ergänzend aufeinander aufbauen: (1.) 'Global Commodity Chains' bzw. der GCC- Ansatz, (2.) 'Global Value Chains' bzw. der GVC- Ansatz sowie (3.) 'Global Production Networks' bzw. der GPN- Ansatz, wobei der Fokus dieser Arbeit auf letzterem liegt. Den Kern der Untersuchung bilden in allen drei Fällen global verknüpfte Unternehmensaktivitäten und Transaktionen, die mit der Produktion, Distribution und dem Konsum eines bestimmten Gutes verbunden sind. Die genannten Konzepte werden kurz vorgestellt und gegeneinander abgegrenzt, um die Merkmale, die konzeptionellen Vorteile und die Notwendigkeit des GPN- Ansatzes zu verdeutlichen. Im Anschluss daran werden Strukturen, Prozesse und Akteure globaler Produktionsnetzwerke explizit herausgearbeitet. 3.1.1, 'Global Commodity Chains': Direkte Vorgänger des 'Global Commodity Chain'- Ansatzes betrachten Güterketten – d.h. Produktion, Distribution und Konsum – eines Gutes nicht als lineare bzw. sequenzielle Abfolge wertschöpfender Aktivitäten, sondern vielmehr als ein Netz ineinander verwobener Prozesse, Relationen und Arbeit: 'Take an ultimate consumable item and trace back the set of inputs that culminated in this item – the prior transformations, the raw materials, the transportation mechanisms, the labor input into each of the material processes, the food inputs into the labor. This linked set of processes we call a commodity chain.'. Darauf aufbauend wurde von den Autoren Gereffi et al. 1994 das GCC- Konzept ausgearbeitet, welches sich auf empirische Untersuchungen global orientierter Wirtschaftszweige stützt. Die Autoren versuchen, die Gesamtheit aller Akteure zu erfassen, die an der Produktion eines bestimmten Gutes beteiligt sind, und die Beziehungen zwischen diesen Beteiligten abzubilden. GCCs beschreiben funktional integrierte und geographisch verteilte Systeme der Produktion, die sich aus der Globalisierung ökonomischer Austauschbeziehungen ergeben. 'Global Commodity Chains' werden definiert, als Ansammlungen interorganisationaler Netzwerke um eine bestimmte Ware herum, durch die Haushalte, Unternehmen und Staaten innerhalb der Weltwirtschaft miteinander verbunden sind. Diese Netzwerke sind situationsabhängig, gesellschaftlich bedingt und lokal integriert, was die soziale Einbettung ökonomischer Organisation unterstreicht. Spezifische Prozesse bzw. Segmente der Kette können durch Knoten repräsentiert werden, die innerhalb eines Netzwerks miteinander verbunden sind, wobei eine Aneinanderreihung von Wertschöpfungsaktivitäten den Kern bildet. Das GCC- Konzept befasst sich dabei weniger mit der Betrachtung ganzheitlicher Strukturen des globalen Kapitalismus, als viel mehr mit den Organisationsstrukturen zeitgenössischer globaler Industriezweige. Die Autoren sind vor allem daran interessiert, wie insbesondere zentrale Unternehmen innerhalb einzelner Industriezweige, andere Akteure sowie die Struktur bzw. Konfiguration der für sie relevanten Netzwerke beeinflussen können. Herrschaftsstrukturen, wie bspw. rechtliche Machtbefugnisse oder Beziehungsmacht bilden in diesem Konzept ein Schlüsselelement zur Beeinflussung der Allokation von materiellen bzw. finanziellen Ressourcen innerhalb der 'Global Commodity Chains'. Gereffi und seine Mitautoren differenzieren zwei grundlegende Herrschaftsstrukturen im Hinblick auf zentrale Unternehmen in GCCs: (1.) 'Producer- driven' GCCs; und (2.) 'Buyer- driven' GCCs. 'Producer-driven' GCCs beziehen sich auf Industriezweige, in denen Großkonzerne oder andere hochgradig integrierte Industrieunternehmen die zentrale Rolle bei der Kontrolle der Produktionssysteme spielen. Dies ist vor allem bei kapital- und technologieintensiven Produkten der Fall, wie z.B. bei Flugzeugen oder Computern. Einzelne Komponenten werden weltweit an den wirtschaftlichsten (oft konzerneigenen) Produktionsstandorten gefertigt und zu einem Endprodukt zusammengesetzt, wobei die Koordination der Produktionskette von der Konzernleitung des führenden Unternehmens (bspw. 'General Motors' oder 'IBM') ausgeht. Im Gegensatz dazu beschreiben 'Buyer-driven' GCCs Branchen, in denen große Einzelhändler und Handelsunternehmen die führende Rolle beim Aufbau globaler, dezentralisierter Produktionssysteme einnehmen (z.B. 'Wal-Mart' oder 'Nike'). Vor allem in Bereichen arbeitsintensiver Konsumgüter, wie z.B. Bekleidung, Spielzeug, Haushaltselektronik oder Sportschuhe, haben sich diese Systeme durchgesetzt. Einzelhandelsunternehmen geben detaillierte Produktspezifikationen vor und koordinieren Produktionsmengen sowie den Strom der Güter bis zum Konsumenten, wobei unabhängige Firmen – im globalen Wettbewerb – die Produkte bzw. Konsumartikel herstellen. Im Gegensatz zu 'Producer-driven' GCCs (überwiegend internes Netzwerk) betreiben die zentralen Unternehmen in 'Buyer-driven' GCCs meist keine eigenen Produktionsanlagen, sondern konzentrieren sich auf die Koordination externer Produktion sowie das Design und Marketing der Produkte, die sie vertreiben (externes Netzwerk). Diese eher statische Differenzierung in 'Producer-driven' und 'Buyer-driven' GCCs ist zwar hilfreich, um ein grundlegendes Verständnis der industriellen Organisation global orientierter Wirtschaftszweige zu erlangen, doch ist sie nicht in der Lage die Dynamik aktueller Globalisierungstendenzen zu erfassen. Durch radikale Konzentration auf Kernkompetenzen und damit einhergehende vertikale Desintegration hat sich das Wesen von 'Producer-driven' GCCs fundamental verändert. In den meisten global orientierten Industrien hat sich ein Trend zum Aufbau externer Netzwerke herausgebildet, wobei die Variante der 'Buyer-driven' GCCs nicht in der Lage ist, die Vielzahl dieser Netzwerke adäquat zu erfassen. Auf Basis des 'Global Commodity Chain'- Konzepts wurde so ein neuer, dynamischer Ansatz entwickelt, der besser geeignet ist zeitgenössische, globale Industriestrukturen abzubilden: Der 'Global Value Chain'- Ansatz.
In: MA-Thesis/Master
Aus der Einleitung: Die Ereignisse rund um die deutlich verspätete Einführung der LKW-Maut in Deutschland und die deutlich gewordenen Schwächen des mit dem Betreiberkonsortium TollCollect geschlossenen Vertrages haben das Thema 'Public Private Partnerships (Öffentlich-Private Partnerschaften)' in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Insbesondere stellte sich hier konkret die Frage, ob das allgemein vertretene Postulat 'die Privatwirtschaft sei auf jeden Fall leistungsfähiger und kostengünstiger als der Öffentliche Dienst' noch bestehen bleiben kann und wie gut sich der öffentliche Partner einer PPP über vertragliche Regelungen gegen vom privaten Partner verursachte Misserfolge schützen und seine gerechtfertigten finanziellen Ansprüche verfolgen kann. Während das plakative Thema 'Maut-Chaos' über viele Monate den deutschen Blätterwald beherrschte, blieb in der deutschen Öffentlichkeit relativ unbeobachtet, dass zunächst auf Seiten einzelner Bundesländer (z.B. Nordrhein-Westfalen ab Oktober 2001) und dann auch auf der Seite der Bundesverwaltung (ab November 2004) sog. Task Forces PPP gegründet wurden, die die Nutzung des Instrumentes Öffentlich-Private Partnerschaften im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung verstärkt vorantreiben sollen. In Nordrhein-Westfalen waren es die Kommunen als hauptsächliche Träger von Investitionen in die öffentlicher Infrastruktur, die mit Unterstützung der Landesregierung erste Pilotprojekte durchführten. Das Konstrukt PPP als dritter Weg zwischen konventioneller Selbsterstellung durch den öffentlichen Dienst und Privatisierung vormals öffentlicher Dienstleistungen ist allerdings keine deutsche Erfindung. In Europa auf diesem Gebiet seit langem führend ist Großbritannien, wo die damalige konservative Regierung bereits 1992 die sog. Private Finance Initiative (PFI) als Möglichkeit, öffentliche Aufgaben durch private Partner planen, bauen, (vor)-finanzieren und betreiben zu lassen, entwickelte. Allerdings machte erst die seit 1997 amtierende Labour-Regierung verstärkt von dem neuen Instrument Gebrauch. Die beiden Regionen Nordrhein-Westfalen und Schottland wurden ausgewählt, weil erstere zu den deutschen Bundesländern gehört, die das Thema PPP in Deutschland offensiv vorantreiben, und zweitere, weil das Instrument dort bereits seit etwa einem Jahrzehnt angewendet wird und dementsprechend viele – sowohl positive als auch negative – Erfahrungen vorliegen. Ganz aktuell haben die Regierungen beider Regionen Ende Januar 2005 einen Aktionsplan über eine intensivierte Zusammenarbeit unterschrieben, die im Themenfeld 'Verwaltungsmodernisierung' auch die Nutzung des 'großen Erfahrungsvorsprungs Schottlands bei PPP-Modellen' berücksichtigen soll. Ziel dieser Arbeit ist es, im komparativen Vergleich zwischen den beiden Europäischen Regionen Nordrhein-Westfalen und Schottland darzustellen, welche Argumente aus politisch-rechtlicher aber insbesondere auch aus finanzpolitischer Sicht dafür bzw. dagegen sprechen könnten, das Instrument PPP/PFI verstärkt zur Lösung der finanziellen Probleme Europäischer Regionen heranzuziehen. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Regierungen der Europäischen Regionen unter Einwirkung verschiedener politischer Einflüsse (Stichwort: Mehrebenensystem des Regierens in Europa) agieren müssen und ihre Haushalte daher auch aus verschiedenen Quellen finanziert werden. Weiterhin soll die Arbeit darstellen, ob es – sofern man sich dafür entscheidet – unter den verschiedenen Varianten von PPP/PFI eine aus Sicht der finanziellen Belastung der öffentlichen Haushalte günstigere Variante gibt, weil sie die sich aus einer PPP möglicherweise ergebenden Gewinne nicht auf private Anteilseigner aufteilt, sondern diese wieder in den Haushalt des öffentlichen Partners reinvestiert (sog. Non-Profit Distributing Organisation / NPDO). Die Masterarbeit definiert zunächst den Begriff PPP und dessen häufigste Variante PFI. Nach einer Beschreibung der verfassungsrechtlichen und finanzpolitischen Besonderheiten der beiden Regionen und einer Darstellung der Beziehungen zwischen EU-Ebene und regionaler Ebene, geht sie auf den Vergleich der Implementierung des Instrumentes PPP/PFI in Nordrhein-Westfalen und Schottland ein. Dabei werden die Argumente der jeweiligen Protagonisten (Regierungen, Parlamente, Parteien, Gewerkschaften, Beratungsunternehmen, Rechnungshöfe) ausgewertet. Aus den gemachten Erfahrungen in beiden Regionen wird eine Aussage abgeleitet, ob und wenn ja, in welchen Fällen, PPP/PFI die Haushaltsprobleme Europäischer Regionen lösen können und welche Variante von PPP/PFI die für den Steuerzahler günstigste sein kann. Im Einzelnen wird in Kapitel 1 definiert, was unter den Begriffen PPP und PFI zu verstehen ist und welche weiteren Varianten von PPP existieren, die jedoch im Rahmen dieser Masterarbeit nicht näher behandelt werden. Kapitel 2 beinhaltet eine verfassungsrechtliche Darstellung der beiden Europäischen Regionen und die Auswirkungen, die sich hieraus für die jeweilige Haushaltssituation ergeben. Der Begriff 'Region' wird dabei sowohl für Schottland als auch Nordrhein-Westfalen – ungeachtet der staatsrechtlichen Stellung eines deutschen Bundeslandes – verwendet und ist im Sinne des statistischen Begriffes der NUTS1-Region zu verstehen. In diesem Zusammenhang wird auch verdeutlicht, wie groß die jeweilige Einflussnahme durch den Zentralstaat (in Schottland) bzw. den Bundesstaat (in Nordrhein-Westfalen) ist. In Kapitel 3 wird dargestellt, welche Bedeutung die Regionen in Europa in Bezug auf die EU-Ebene haben, welchen Einfluss sie über den Ausschuss der Regionen nehmen können und wie sie über Struktur- und Regionalbeihilfen unter Umgehung der nationalen Ebene durch die EU (teil)-finanziert werden. Auch der Zusammenhang zwischen EU-Politiken und PPP wird hier erklärt. In Kapitel 4 werden die politisch-institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für PPP/PFI in beiden Regionen und deren Auswirkungen auf dieses Modell beschrieben. Der britische Public Sector Comparator (PSC) als dort allgemein verwendeter Wirtschaftlichkeitsmaßstab wird kurz erläutert. Kapitel 5 gibt einen kurzen historischen Überblick über die Strategie der Einführung und Umsetzung von PPP/PFI in beiden Regionen, während in Kapitel 6 die realisierten und geplanten PPP/PFI auf regionaler und kommunaler Ebene dargestellt werden und ihre quantitative Bedeutung für die jeweiligen – insbesondere kommunalen – Haushalte herausgearbeitet wird. Die umfangreiche Diskussion der Vor- und Nachteile von PPP/PFI durch die jeweiligen Protagonisten wird in Kapitel 7 behandelt. Naturgemäß ist hier der Anteil, den die Diskussion in Schottland einnimmt bzw. eingenommen hat, aufgrund des deutlich längeren Erfahrungshorizontes, größer. Kapitel 8 würdigt schließlich die Geeignetheit von PPP/PFI zur Lösung der Finanzprobleme Europäischer Regionen kritisch und zieht Schlussfolgerungen, ob dieses Instrument zur Lösung der Finanzprobleme europäischer Regionen angewendet werden sollte.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 0.Einführung1 1.Was verbirgt sich hinter den Begriffen Public Private Partnership (PPP) und Private Finance Initiative (PFI)?3 1.1Definition der Begrifflichkeiten3 1.1.1Public Private Partnership (PPP)3 1.1.2Private Finance Initiative (PFI)4 1.1.3Non-Profit Distributing Organisation (NPDO)4 1.1.4Weitere PPP-Varianten6 1.2Welche Ziele werden mit PPP/PFI angestrebt?7 2.Verfassungsrechtliche Stellung der Regionen Schottland und Nordrhein-Westfalen8 2.1Verfassungsrechtliche Stellung und Finanzsituation Schottlands und seiner Kommunen8 2.2Verfassungsrechtliche Stellung und Finanzsituation Nordrhein-Westfalens und seiner Kommunen12 2.3Vergleich von verfassungsrechtlicher Stellung und finanzpolitischer Strukturen in Schottland und Nordrhein-Westfalen einschließlich der jeweiligen Kommunen16 3.Bedeutung der Regionen in Europa im Hinblick auf die EU-Ebene18 3.1Einflussnahme verschiedener Politikebenen auf die Regionen Schottland und Nordrhein-Westfalen18 3.1.1Einflussnahme von EU und britischer Zentralregierung auf Schottland18 3.1.2Einflussnahme von EU und deutscher Bundesregierung auf Nordrhein-Westfalen19 3.2Einflussnahme Schottlands und Nordrhein-Westfalens auf die jeweilige Europapolitik ihrer Staaten20 3.2.1Mitwirkungsmöglichkeiten Schottlands bei der britischen Europapolitik20 3.2.2Mitwirkungsmöglichkeiten Nordrhein-Westfalens bei der deutschen Europapolitik21 3.2.3Mitwirkung Schottlands und Nordrhein-Westfalens im Ausschuss der Regionen (AdR) und bei der Konferenz der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen (RegLeg)22 3.3Einflussnahme der verschiedenen Politikebenen auf Finanzierungsmodelle wie PPP/PFI23 4.Politisch-Institutionelle, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen für PPP/PFI24 4.1Rahmenbedingungen der Einführung von PPP/PFI in Schottland24 4.2Rahmenbedingungen der Einführung von PPP/PFI in Nordrhein-Westfalen25 4.3Vergleich der politisch-institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen in Schottland und Nordrhein-Westfalen26 5.Einführung und Umsetzung von PPP/PFI in Schottland und Nordrhein-Westfalen27 5.1PPP/PFI in Schottland27 5.2PPP/PFI in Nordrhein-Westfalen29 5.3Vergleich der Einführungs- und Umsetzungsszenarien in Schottland und Nordrhein-Westfalen31 6.Umfang realisierter und geplanter PPP/PFI auf der jeweiligen regionalen und kommunalen Ebene32 6.1Finanzielle Bedeutung von PPP/PFI für die regionalen und kommunalen Haushalte in Schottland32 6.2Finanzielle Bedeutung von PPP/PFI für die regionalen und kommunalen Haushalte in Nordrhein-Westfalen34 6.3Einfluss von PPP/PFI auf die Haushalte in Schottland und Nordrhein-Westfalen36 7.Bewertung der Vor- und Nachteile von PPP/PFI in Schottland und Nordrhein-Westfalen37 7.1Bewertung der Vor- und Nachteile von PPP/PFI aus jeweiliger Regierungssicht37 7.2Haltungen der Parteien in Schottland und Nordrhein-Westfalen zu PPP/PFI39 7.3Behandlung der Vor- und Nachteile von PPP/PFI in den jeweiligen Parlamenten und deren Ausschüssen42 7.4Bewertung der Vor- und Nachteile von PPP/PFI aus Sicht der jeweiligen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes44 7.5Einschätzung von Vor- und Nachteilen von PPP/PFI durch Beratungsunternehmen, Banken und Unternehmerverbände47 7.6Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von PPP/PFI durch die jeweiligen Rechnungshöfe50 7.7Erfahrungen mit PFI-Projekten in Schottland54 8.Geeignetheit der Instrumente PPP bzw. PFI, um die Finanzprobleme der Europäischen Regionen Schottland und Nordrhein-Westfalen zu lösen57Textprobe:Textprobe: Kapitel 4, Politisch-Institutionelle, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen für PPP/PFI: Sowohl die Mitgliedstaaten als auch ihre Regionen müssen europäisches Recht bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zwingend beachten. Die Europäische Kommission hat im Bereich des öffentlichen Vergaberechts bereits auf die Verbreitung von PPP reagiert; sie hat hierzu ein innovatives Vergabeverfahren eingeführt, das eigens auf die Vergabe 'besonders komplexer Aufträge' und somit auf bestimmte Formen von PPP zugeschnitten ist. Dieses neue Verfahren, das als 'wettbewerblicher Dialog' bezeichnet wird, ermöglicht den öffentlichen Stellen, mit den Bewerberunternehmen Gespräche zu führen, um die am besten geeigneten Lösungen zu ermitteln. Zuvor war häufig das Verhandlungsverfahren nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/37/EWG gewählt worden. Dieses ist jedoch nur ausnahmsweise zulässig und nicht für Fälle gedacht, in denen solche Unwägbarkeiten auftreten wie etwa Probleme mit der vorherigen Preisfestlegung aufgrund der Tatsache, dass die rechtliche und finanztechnische Konstruktion sehr komplex ist. Das neu eingeführte Verfahren des wettbewerblichen Dialogs nach Richtlinie 2004/18/EG wird dann eingeschlagen, wenn der öffentliche Auftraggeber objektiv nicht in der Lage ist, die für seinen Auftrag und seine Ziele geeigneten technischen Mittel zu bestimmen, oder wenn er objektiv nicht in der Lage ist, ein Projekt rechtlich und/oder finanztechnisch zu konzipieren. Das Verfahren gewährleistet, dass die Erörterung sämtlicher Auftragsaspekte mit den Bewerbern im Verlauf der Definitionsphase ausreichend flexibel verlaufen kann. Rahmenbedingungen der Einführung von PPP/PFI in Schottland: Der Schwerpunkt der schottischen Regionalregierung liegt ebenso wie der der britischen Regierung in der Förderung des Öffentlichen Dienstes. Dabei übernahm sie den gleichen pragmatischen Kurs bei der Nutzung privater Finanzierung. Den Empfehlungen des Finanzausschusses des schottischen Parlaments folgend, mussten alle PPP-Verträge in Schottland Garantien von den privatwirtschaftlichen Betreibern verlangen, dass die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen der versetzten öffentlichen Angestellten nicht nachteilig beeinflusst würden. Grenzüberschreitende Rangeleien zwischen der Regierung in Edinburgh und der in London blieben selten, so dass Kritiker behaupteten, die Regionalregierung habe die Tradition des Schottland-Ministeriums, Politik-Initiativen der britischen Regierung für den schottischen Bedarf zu 'tartanisieren', weitergeführt. Während diverse Gremien und Verfahren wie zum Beispiel der Gemeinsame Ministerielle Ausschuss oder die Vereinbarung von Konkordaten zu verschiedenen Themen das enge Arbeitsverhältnis zwischen britischer Regierung und schottischer Regionalregierung erleichtern, bleibt unklar, wie Finanzstreitigkeiten gelöst würden, insbesondere bei dem in hohem Maße zentralisierten System der Überwachung öffentlicher Ausgaben und der eingeschränkten eigenen Einnahmen Schottlands. Devolution kann zwar als ein Schritt in Richtung einer föderalen Verfassung gesehen werden, aber das britische Parlament behält die höchste Staatsgewalt und somit die Zuständigkeit für die gesamtwirtschaftliche Steuerung, einschließlich Wechselkurspolitik, Geldpolitik und Finanzpolitik. Für einen unitarischen Staat typisch, wird kein Versuch unternommen, öffentliche Einnahmen und Ausgaben je Region auszugleichen: Einige Regionen tragen weniger zu den Einnahmen pro Kopf bei als andere und einige erhalten nach Maßgabe des Bedarfs Zuweisungen in größerer Höhe. Trotz Devolution gibt es, solange das Vereinigte Königreich ein Einheitsstaat bleibt, keinen Anlass die schottischen Ausgaben auf die Mittel zu beschränken, die aus Einnahmen in Schottland erzielt werden können, oder sie auf einen strikten Einwohneranteil zu stützen. Um die Wirtschaftlichkeit eines PPP/PFI-Projektes gegenüber einer konventionellen Beschaffungsvariante zu rechtfertigen, wurde in Großbritannien ein Public Sector Comparator (PSC) als fiktiver Vergleichsmaßstab entwickelt. Er bildet alle Kosten, Erlöse und Risiken der besten machbaren und finanzierbaren Projektlösung bei Erstellung durch die öffentliche Hand als Barwert ab. Dabei werden alle Kosten des Projekts (z.B. Projektentwicklung, Planung, Errichtung), die Betriebs- und Unterhaltungskosten (inkl. Abschreibungen) und die Finanzierungskosten sowie die 'übertragbaren' (z.B. Baukostenrisiko) und 'nicht übertragbaren' (z.B. Gesetzesänderungsrisiko) Risiken erfasst. Für jedes Risiko werden Kosten und Eintrittswahrscheinlichkeit gebildet; aus diesen ergibt sich ein Erwartungswert. Schließlich wird ein Barwert berechnet, indem Kosten und Risiken als Zahlungsströme über die gesamte Laufzeit des Projekts ermittelt und diskontiert werden. Abschließend wird dem berechneten PSC der Barwert der Kosten der PPP-Variante (periodische Leistungsentgelte und zurückbehaltene Risiken) gegenübergestellt. Rahmenbedingungen der Einführung von PPP/PFI in Nordrhein-Westfalen: In Nordrhein-Westfalen bestand nicht die Notwendigkeit wie in Schottland, die gleiche PPP-Politik wie die Bundes- bzw. die Zentralregierung zu verfolgen. Aufgrund des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland war auch nicht der Bund die treibende Kraft bei der Einführung von PPP/PFI, sondern der Anstoß hierzu kam aus Nordrhein-Westfalen. Gleichwohl ist es natürlich schon rein aus Gründen der Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit erforderlich, in Deutschland einheitliche Maßstäbe z.B. bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von PPP/PFI einzuführen. Dieser Aufgabe hat sich das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Jahre 2003 angenommen und bis zum September des Jahres einen entsprechenden Praxis-Leitfaden PPP erstellen lassen. Insofern wurde auch in Deutschland eine Kongruenz der PPP/PFI-Politiken von regionaler und zentral-/bundesstaatlicher Ebene verfolgt, nur eben nicht top-down wie in Großbritannien, sondern der föderalen Grundordnung entsprechend bottom-up. Zwar soll der Länderfinanzausgleich gleichartige Lebensverhältnisse in allen Ländern herstellen; gleichwohl bestehen deutliche Wohlstandsgefälle zwischen 'reicheren' und 'ärmeren' Bundesländern. Jedes Bundesland steht demzufolge in der Verantwortung, selbst Strategien zu entwickeln, um seine Verwaltungstätigkeit kostenoptimal zu entwickeln. Insofern besteht im föderalen System Bundesrepublik Deutschland ein deutlich größerer Anreiz als z.B. im unitarischen System Großbritannien, in dem die regionalen Budgets nach Bedarf zugewiesen werden, aus eigenem Antrieb heraus Alternativen zur bisherigen Eigenerstellung öffentlicher Aufgaben zu untersuchen und zu erproben. Zwingend erforderlich für die Anwendung alternativer Modelle wie PPP/PFI ist es aber auch in Deutschland, deren größere Wirtschaftlichkeit gegenüber der konventionellen Aufgabenwahrnehmung nachzuweisen. In Deutschland gibt es allerdings bislang noch keinen anerkannten, betriebswirtschaftlichen Kriterien genügenden Bewertungsmaßstab wie den – wenn auch nicht unumstrittenen – PSC. Auf Seiten der öffentlichen Hand in Deutschland bestehen insbesondere noch Schwierigkeiten, die für einen Wirtschaftlichkeitsvergleich relevanten Daten zu ermitteln. Als erforderlich wurde jedoch die Entwicklung und Einführung eines einheitlichen Verfahrens zum Vergleich der Wirtschaftlichkeit angesehen. Ohne einen derartigen Bewertungsmaßstab sei ein fairer Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen traditionellen Beschaffungen der öffentlichen Hände und PPP-Modellen nicht möglich. Entscheidend für den Wirtschaftlichkeitsvergleich ist, dass sämtliche tatsächliche Kosten des Projekts über die gesamte Lebensdauer exakt untersucht und transparent dargestellt werden. Mit der Einführung eines doppischen Rechnungswesens über das 'Neue Kommunale Finanzmanagement' soll in Nordrhein-Westfalen die Kameralistik auf kommunaler Ebene abgeschafft und eine erhebliche Verbesserung der vorhandenen Datenbasis erreicht werden. Die ausschließliche Orientierung des Wirtschaftlichkeitsvergleichs an den Finanzierungskonditionen der öffentlichen Hand führe aber zu falschen Ergebnissen, wenn der Private Projektrisiken übernehme, da die öffentliche Kreditaufnahme ohne jede Verbindung zu Projektrisiken erfolge und daher nominell günstiger sein müsse als die private Refinanzierung. Die auch bei traditioneller Realisierung vorhandenen und bislang nicht transparenten Projektrisiken müssten im Rahmen von PPP-Projekten daher gesehen werden.
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In: Verhandlungen des Deutschen Bundestages / Drucksachen, 15/5560
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In: SWP-Studie, Band 20/2004
Bei den Wahlen zum 7. Parlament der Islamischen Republik Iran im Februar 2004 tragen die sogenannten pragmatischen Konservativen der Mitte den Sieg davon, nicht zuletzt aufgrund der massenhaften Zurückweisungen von Kandidaten der Reformbewegung durch den Wächterrat. Das Wahlergebnis wird im allgemeinen als das Ende der Reform-Ära in Iran bewertet. Vor diesem Hintergrund zeichnet die Studie ein zusammenhängendes Bild über die Wahlen und die Folgen für die iranische Politik. Dabei werden die folgenden Aspekte der inneren Dynamik Irans seit der Revolution vor 25 Jahren berücksichtigt: (1) Verlauf der Wahlen und Wahlergebnis, (2) die politische Bewegung der konservativen Mitte, (3) die innenpolitische und wirtschaftliche Entwicklung sowie die außenpolitische Entwicklung gegenüber den USA und Europa. Nach Einschätzung des Autors bedeutet das Abdrängen der führenden Reformpolitiker durch die konservativen Kräfte nicht den 'Tod' der Reformideen von Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit. Zunächst beendet sind jedoch die Versuche, bestehende Strukturen zu reformieren sowie konzeptionell und institutionell ein neues Verhältnis von Religion und Politik zu begründen. Es bleibt jedoch die Frage, wie sich die Europäer, die Fortschritte in den Reformprozessen zur Voraussetzung ihres Engagements in Iran machen, nun verhalten wollen. (ICG2)
In: Umbrüche und Aufbrüche - Europa vor neuen Aufgaben
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