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World Affairs Online
CSDP police missions: comparing bottom-up and top-down approaches
In: European foreign affairs review, Band 19, Heft 2, S. 283-305
ISSN: 1384-6299
World Affairs Online
Nuclear arms control: new consensus, renewed debate: Enthält u.a.: Ikle, Fred C.: Facing nuclear reality. - S. 87-90
In: The Washington quarterly, Band 20, Heft 3, S. 75-210
ISSN: 0163-660X, 0147-1465
World Affairs Online
The continuing relevance of Hong Kong
In: Asian survey: a bimonthly review of contemporary Asian affairs, Band 51, Heft 4, S. 581-784
ISSN: 0004-4687
World Affairs Online
Schlüsselfrage Innere Sicherheit: Vorarbeiten für EU-Erweiterung stehen erst am Anfang
In: Internationale Politik: das Magazin für globales Denken, Band 53, Heft 12, S. 38-44
ISSN: 1430-175X
World Affairs Online
Die Streitkräfte als Faktor der russischen Politik
In: Internationale Politik: das Magazin für globales Denken, Band 50, Heft 11, S. 31-38
ISSN: 1430-175X
World Affairs Online
Neue Impulse fuer die Entspannungspolitik: Ein Diskussionsbeitrag
In: Die Neue Gesellschaft, Band 26, Heft 10, S. 915-919
ISSN: 0028-3177
World Affairs Online
Legitimität, Sicherheit, Autonomie: Eine philosophische Analyse der EU-Sicherheitspolitik im Kontext der Digitalisierung
Das Buch ergründet die aktuelle dynamische und folgenreiche Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik. Dabei liefert es einen wichtigen und originellen Beitrag sowohl für die Praktische Philosophie als auch für die Bereiche der Security- und European Studies. Durch konkrete Analysen und die Herausarbeitung möglicher Lösungsansätze, verwirklicht das Buch einen philosophischen Ansatz, der in der Realität verankert ist und gleichzeitig auf Theorie und Normativität besteht. Im Fokus stehen die Charakteristika von neuen Sicherheitstechnologien und -verständnissen sowie deren Einfluss auf die "kopernikanische Wende" der Neuzeit, mit der das Individuum und der Schutz seiner Grundrechte ins Zentrum der politischen Legitimation gerückt sind.
Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis: Jahresabrüstungsbericht 1994 ; Unterrichtung durch die Bundesregierung
In: Verhandlungen des Deutschen Bundestages / Drucksachen, 13/1126
In: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale, 1994
World Affairs Online
Zwischen Reformen und Oligarchisierung: zur Wirtschaftsentwicklung in der Ukraine
In: Osteuropa, Band 51, Heft 9, S. 1022-1035
ISSN: 0030-6428
World Affairs Online
Die Menschenrechte in den Ost-West-beziehungen und die Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Band 33, Heft 48, S. 11-22
ISSN: 0479-611X
World Affairs Online
Und ob wir hungrig sind!
Blog: www.jmwiarda.de Blog Feed
Der neue Max-Planck-Präsident Patrick Cramer über
Nachholbedarf bei der Postdoc-Förderung, Deutschlands Standortschwächen, die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft
– und notwendige Veränderungen aus eigener Kraft.
Patrick Cramer ist Biochemiker und Molekularbiologe und seit 22.
Juni 2023 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Fotos:
Christoph Mukherjeee/MPG.
Herr Cramer, können Sie in wenigen Sätzen beschreiben, was für Sie die Mission der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ausmacht?
Die MPG betreibt Grundlagenforschung auf international höchstem Niveau und steht dazu mit der ganzen Welt in Kontakt. Sie rekrutiert von überall her die besten Talente, vor allem gibt sie den
Forschenden die größtmögliche Freiheit und finanzielle Sicherheit, damit sie auch riskante Forschungsprojekte über einen langen Zeitraum durchführen und so bahnbrechende Ergebnisse erzielen
können.
Ich behaupte, das hätte schon Adolf Harnack so ähnlich formuliert, und der war der erste Präsident des MPG-Vorläufers Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vor mehr als 100 Jahren.
Ja, das ist ein altes Credo, dass herausragende Forscherpersönlichkeiten der Dreh- und Angelpunkt unseres Erfolgs sind, dass wir Personen fördern und deren Ideen – und nicht Forschungsprogramme.
Aber natürlich ist im Laufe der Jahrzehnte vieles dazugekommen, und noch mehr haben wir jetzt vor. Lassen sie mich mit einer Sache anfangen, die mir persönlich wichtig ist: Wir wollen uns als
Forschungsgesellschaft weiter öffnen. Dazu gehört, unsere Karrierewege zu reformieren, wir wollen unsere jungen Forscher noch besser fördern, ihnen neue Optionen und Perspektiven
ermöglichen.
Das hört sich natürlich erstmal gut an mitten in der Debatte um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Aber was heißt das konkret?
Wir werden ein interdisziplinäres Postdoc-Programm etablieren, um die Phase zwischen der Promotion und dem Eintritt in die unabhängige Forschung zu füllen. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie verbessern. Wir wollen unsere Forschungsnetzwerke und Standorte weiterentwickeln, wir wollen die Digitalisierung vorantreiben und als Forschungsgesellschaft unsere Verantwortung für
eine demokratische Gesellschaft wahrnehmen. Dazu gehört, über unser bisheriges Verständnis von Wissenschaftskommunikation hinauszugehen. Wir haben sehr viele Expertinnen und Experten in unseren
Reihen, die wir ermutigen wollen, zu aktuellen und gesellschaftspolitisch relevanten Themen ihre Stimme zu erheben. Und wir wollen zeigen, dass bei uns alle willkommen sind: alle Nationalitäten,
alle Geschlechter – alle, die zu unseren Zielen beitragen wollen und unsere Werte teilen.
Patrick Cramer, Jahrgang 1969, studierte in Stuttgart und Heidelberg, er war Doktorand am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in
Grenoble und Postdoc an der Stanford University. 2001 erhielt er eine Tenure-Track-Professur für Biochemie an der LMU München. Zwischen 2004 und 2013 leitete er als das LMU-Genzentrum, bevor er
2014 als Direktor der Abteilung "Molekularbiologie" am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen startete. Von 2022 an fungierte er als geschäftsführender Direktor des neu
gegründeten MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. Im Juni 2022 wurde er zum Präsidenten der MPG und Nachfolger von Martin Stratmann gewählt.
Wenn Sie junge Forscher möglichst früh in die unabhängige Forschung begleiten wollen, wenn sie sich explizit neue Optionen und Perspektiven für Postdocs auf die Fahnen schreiben –
verabschieden sie sich damit nicht endgültig von genau jenem Grundprinzip der Max-Planck-Gesellschaft, das Sie am Anfang beschrieben haben und das den Namen Harnacks trägt? Die Institute wurden
traditionell um die von Ihnen erwähnten herausragenden Forschungspersönlichkeiten gebaut, damit die sich als Direktoren voll ausleben konnten – die maximale Freiheit, aber die maximale Freiheit
nur für die Chefs.
Das kommt darauf an, wie Sie das Harnack-Prinzip definieren. Von der Ausgangslage vor dem Zweiten Weltkrieg, als ein Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von einem Direktor – und ich benutze
bewusst nur die männliche Form – geleitet wurde, haben wir uns inzwischen weit entfernt. Seit Jahrzehnten gibt es Direktorien oder Kollegien an der Spitze der Institute, und fast ebenso lange
gibt es Nachwuchsgruppenleitungen, die ebenfalls unabhängig agieren können.
Wenn Sie die Postdocs in Max-Planck-Instituten fragen, werden viele davon auch heute noch sagen, dass sie abhängen vom Willen und Goodwill der Direktoren.
Ich glaube, diese Einschätzung stimmt in der Regel so nicht, und man muss unterscheiden. Wenn jemand eine Promotion anstrebt, geht es gar nicht anders, dann braucht es einen Mentor oder eine
Mentorin, mit der er oder sie das Promotionsprojekt erarbeitet. Da braucht es Betreuung, das ist ein Beginn in Abhängigkeit, aber dann schwimmen sich die jungen Leute zunehmend frei. Genau das
habe ich auf meiner Tour gesehen und gehört. Ich habe in den vergangenen Wochen alle 84 Max-Planck-Institute bereist, ich habe mit sehr vielen Doktoranden und Postdocs in separaten Runden
gesprochen, und überall haben die jungen Leute eigentlich dasselbe gesagt: dass sie unter dem Strich überwiegend sehr zufrieden sind mit ihrer Arbeitssituation, mit den Entfaltungsmöglichkeiten,
die sie haben. Natürlich gibt es arbeitsrechtlich betrachtet immer jemanden, der ihnen gegenüber weisungsbefugt ist. Doch ist die Kultur an den allermeisten Instituten inzwischen so, dass die
jungen Leute sich in einer recht großen Freiheit entfalten können und trotzdem natürlich zu gemeinschaftlichen Forschungszwecken beitragen.
"Meine wichtigste Botschaft lautet:
Ich nehme diese Ergebnisse ernst."
Dass die die große Mehrheit, 83 Prozent, der Postdocs angeben, zumindest einigermaßen glücklich zu sein, gehörte auch zu den Ergebnissen einer neuen Umfrage von PostdocNet, der
Interessenvertretung der Postdoktorandinnen und -doktoranden der MPG. Gleichzeitig berichtete aber auch mehr als die Hälfte der befragten Postdocs, leichte depressive Symptome zu haben, kaum
weniger klagten über leichte Angstzustände, und mehr als ein Fünftel zeigten laut Umfrage Anzeichen einer mittelschweren bis schweren klinischen Depression. Wie passt das zusammen?
Als die Studie herauskam, war ich zwar noch nicht MPG-Präsident, aber ich habe trotzdem gleich die Vertreter unseres PostdocNet angeschrieben und sie bei meinen Institutsbesuchen getroffen. Wir
haben vereinbart, dass wir uns, sobald ich im Amt bin und die Sommerpause vorbei ist, zusammensetzen und noch einmal in Ruhe über die Ergebnisse sprechen – und über das, was wir tun können, um
die Situation weiter zu verbessern. Meine wichtigste Botschaft lautet: Ich nehme diese Ergebnisse ernst, wobei ich nicht weiß, wie groß das Problem tatsächlich ist, da nur jeder vierte Postdoc in
der MPG an der Umfrage teilgenommen hat.
Was bedeutet das?
Ich will mit dem Positiven anfangen. 76 Prozent der Befragten können sich vorstellen oder haben fest vor, in der Wissenschaft zu bleiben. Das ist ein erstaunlich hoher Wert, den Sie anderswo
sicher nicht so finden würden. Das heißt: Wer als Postdoc zu uns in die MPG kommt, will Wissenschaft, und das auf Dauer. Das ist doch großartig, und das verpflichtet uns, mit diesen
hochmotivierten Talenten sorgsam umzugehen. Wir müssen ihnen Karrierewege innerhalb und außerhalb der MPG aufzeigen, und zwar weit über die Option einer Professur hinaus.
Wenn ich Sie richtig verstehe, entstehen die Depressionen und die Ängste dann dadurch, dass die hochfliegenden Pläne vieler Postdocs irgendwann auf die real existierende MPG-Wirklichkeit
treffen?
Nein, das sage ich nicht. Bevor ich MPG-Präsident wurde, habe ich ein sehr großes Institut in Göttingen geleitet mit rund 1000 Mitarbeitenden, und bei einer solchen Zahl gibt es immer einzelne
Menschen, die medizinische Hilfe brauchen – nach persönlichen Schicksalsschlägen, nach Todesfällen in der Familie zum Beispiel. Und dann kam in den vergangenen Jahren die Corona-Pandemie hinzu.
Ich muss gerade an eine Doktorandin denken, die aus ihrem Heimatland in den Tropen zu uns wechselte, mitten in den kalten, grauen Göttinger Winter hinein, und dann begann der Lockdown. Sie musste
wie alle in ihrem Zimmer sitzen ohne Austausch mit anderen Menschen. Die PostdocNet-Umfrage reflektiert also möglicherweise ein Stückweit auch diese Vereinsamung, die gerade junge Menschen in
dieser Zeit erlebt haben – kombiniert mit einer Zukunftsangst, die ich ganz grundsätzlich in der Generation beobachte angesichts von Klimakrise und einer veränderten internationalen
Sicherheitslage. Insofern ist die seelische Lage vieler Doktoranden ein Spiegelbild dessen, was wir auch anderswo in der Gesellschaft sehen.
"Mein Ziel ist, dass von den Direktorinnen und Direktoren bis hin zu den Gruppenleitern alle, die Personalverantwortung tragen, sensibilisiert und achtsam
sind."
Das klingt jetzt aber schon so, als würden Sie die Verantwortung der MPG für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter herunterspielen.
Keineswegs! Aber diese Probleme sind ja auch in anderen Umfragen in den vergangenen Jahren zutage getreten. Haben wir schon gehandelt? Die Antwort ist: ja. In unserem Intranet, zu der alle
Menschen mit einer MPG-Mailadresse Zugang haben, gibt es eine komplette und meines Erachtens sehr gut gemachte Seite zur körperlichen und seelischen Gesundheit. Ein sehr niedrigschwelliges
Angebot bis hin zu einer Notfallnummer, die rund um die Uhr erreichbar ist, wenn man sich mal richtig schlecht fühlt. Dieses Element der Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitenden will ich
weiter stärken. Mein Ziel ist, dass von den Direktorinnen und Direktoren bis hin zu den Gruppenleitern alle, die Personalverantwortung tragen, sensibilisiert und achtsam sind, dass sie
Mitarbeiter, die Auffälligkeiten und Anzeichen einer Erkrankung zeigen, ansprechen und auf Hilfsangebote hinweisen.
Nur dass mitunter die Vorgesetzten genau das Problem und die Ursache von seelischen Problemen sein können. In den vergangenen Jahren sind mehrfach Fälle von mutmaßlichem Machtmissbrauch
und Mobbing in der MPG an die Oberfläche gekommen.
Erstens: Wir müssen unsere jungen Leute gut behandeln. Zweitens: Dass das ganz überwiegend geschieht, habe ich auf meiner Reise gesehen. Wenn wir die MPG als Ganzes nehmen, haben wir über 24.000
Mitarbeitende und darunter mehr als 1000 Führungskräfte. Dass es einzelne Vorgesetzte gibt, die sich nicht korrekt verhalten, die ihre Macht missbrauchen, das wird sich leider nie ganz verhindern
lassen. Aber ich halte es für unzulässig, aus wenigen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen.
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Sie sollten aber Rückschlüsse ziehen, indem Sie die Strukturen in der MPG anpassen.
Unsere Strukturen müssen wir immer anpassen, einfach weil sich auch die Welt um uns herum verändert. Als Forschungsgesellschaft haben wir hier eine Führungsrolle. Vergangene Woche erst habe ich
ein dreistündiges Seminar geleitet für elf neu berufene Direktorinnen und Direktoren, die Mehrheit übrigens Frauen und aus dem Ausland. Letzteres ist wichtig in dem Zusammenhang: Unsere
Mitarbeitenden kommen aus unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Teilen der Welt, auch deshalb müssen wir unsere Führungskräfte schulen. Mit zu den ersten Briefen, die ich als
Max-Planck-Präsident unterschrieben habe, gehörte die Begrüßung neu eingestellter Forschungsgruppenleiter inklusive der dringlichen Einladung, an den entsprechenden Schulungen teilzunehmen. Zu
diesen präventiven Maßnahmen gehören auch verpflichtende Umfragen an allen Instituten, die von unabhängigen Stellen durchgeführt werden und von allen Mitarbeitenden anonym beantwortet werden
können. Es geht um die Bewertung von Arbeitsklima, Arbeitsumfeld, Arbeitsbedingungen und Vorgesetzten. Es gibt darüber hinaus auch die Möglichkeit, offen auf bestimmte Missstände und Sorgen
hinzuweisen. Anlaufstellen dafür sind die Ombudspersonen, die wissenschaftlichen Fachbeiräte, die im Rahmen der Fachbeiratsbesuche in Abwesenheit der Führungskräfte mit Doktorandinnen und
Doktoranden sowie den Postdocs sprechen. Wir haben zudem eine Anwaltskanzlei, die ebenfalls unabhängig von der MPG Beschwerden entgegennimmt und diese dann auf Wunsch auch erst einmal nur anonym
an uns weitergibt. Und wenn dann konkrete Vorwürfe von Fehlverhalten auftreten, haben wir drittens transparente Regeln für standardisierte Verfahren entwickelt – inklusive externem Rat und ohne
Einwirkung des Präsidenten, der bei allen Untersuchungen und ihrer Bewertung bewusst außen vor bleibt.
"Die Phase nach der Promotion ist die Zeit im Leben, in der man für ein paar Jahre frei forschen kann – wenn man einen guten Chef hat. Und damit es in der
Hinsicht weniger auf Glück ankommt, wollen wir eine Struktur schaffen."
Vorhin haben Sie angekündigt, die Karrierewege für Postdocs zu reformieren, ihnen neue Optionen und Perspektiven ermöglichen zu wollen – vor allem in Form eines neuen interdisziplinären
Postdoc-Programms. Das klingt nach einem großen Rad: Es gibt 2.400 Postdocs in der MPG.
Wir haben erkannt, dass wir an der Stelle Nachholbedarf haben. Wir haben sehr gute Promotionsprogramme mit einer guten Betreuung und klaren Regeln. Doch nach der Promotion folgt eine Phase, in
der vieles unklar ist. Dabei sind genau das die Jahre, in denen sich entscheidet, ob ein junger Mensch in der Wissenschaft bleibt oder etwas Anderes macht. Hier wollen wir ansetzen mit unserem
neuen Programm, wir wollen Orientierung und einen klaren Rahmen bieten, ohne dass es zu einer Verschulung kommt. Das wäre auch widersinnig, denn die Phase nach der Promotion ist die Zeit im
Leben, in der man mal für ein paar Jahre frei forschen kann. Zumindest kann sie das sein – wenn man einen guten Chef hat. Und damit es in der Hinsicht weniger als bislang auf Glück ankommt,
wollen wir eine Struktur schaffen. Erstens: Jeder Postdoc soll neben seinem direkten Vorgesetzten einen zweiten Mentor, eine zweite Mentorin aus einem anderen Max-Planck-Institut erhalten. Das
fördert die Interdisziplinarität, ermöglicht aber auch den so wichtigen Blick von draußen: Wie entwickeln sich die Postdocs? Erhalten sie die Unterstützung, die sie brauchen? Zweitens: Wir führen
eine Mindestvertragslaufzeit ein. Mir wären drei Jahre am liebsten, und dann nochmal drei, aber es kann sein, Stichwort Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dass wir bei zwei plus zwei Jahre landen.
Sie wollen also wie bisher sechs Jahre Postdoc-Befristung und dann erst den möglichen Einstieg in einen Tenure Track, der wiederum nur die Aussicht auf eine Dauerstelle enthält? Die
Unterstützer von "#IchBinHanna" sehen in einem solchen Konzept eine Verschlimmbesserung der gegenwärtigen Lage.
Da verstehen Sie mich falsch. Das eine hat nichts mit dem Anderen zu tun. Das neue Postdoc-Programm für die sogenannte R2-Phase und unsere Tenure-Track-Auswahlverfahren für R3 sollen parallel
laufen. Das heißt: Sie können sich jederzeit, wenn Sie soweit sind, aus dem Postdoc-Programm heraus dafür bewerben. Natürlich in transparenter Konkurrenz mit ausgezeichneten jungen Forschenden
auch von außerhalb der MPG. Je nach Fächerkultur kann es sein, dass Sie dann nur für sechs oder neun Monate R2-Postdoc sind, in den Computerwissenschaften etwa, wo die guten Leute oft kurz
nach der Promotion in Tenure-Track-Programme gehen. Während es in den Rechtswissenschaften oder in vielen geisteswissenschaftlichen Fächern, in denen die Leute erst Monografien schreiben müssen,
um sich zu bewerben, mehrere Jahre dauern kann.
Und wozu dann die Unterteilung in zwei befristete Verträge?
Weil es in der Mitte des Programms eine Karriereberatung geben muss, um eine Entscheidung zu fällen, wie es weitergeht. Wir planen auch einen Workshop, zentral im Harnack-Haus in Berlin. Das Ziel
ist, dass sie sich nach zwei oder drei Jahren Postdoc mit der Frage auseinandersetzen, wo genau sie ihre Zukunft sehen, auch außerhalb der akademischen Welt. Haben sie schon mal darüber
nachgedacht, eine Firma zu gründen? Wie genau funktioniert das eigentlich? Oder wäre es eine Option, an eine internationale Einrichtung zu gehen? Welche kämen da überhaupt in Frage? Oder doch der
Wechsel in die Wirtschaft?
Viele werden das Gefühl haben, Sie wollten sie loswerden.
Darum geht es nicht. Wir wollen aber, dass unsere Postdocs die vielen Optionen sehen und verstehen, die sie haben – innerhalb und außerhalb der MPG, innerhalb und außerhalb der Wissenschaft. Wir
wollen sie mit Max-Planck-Alumni zusammenbringen, die von ihren Karrierewegen berichten und Rat geben können. So dass dann die zweite Vertragslaufzeit zu einem Sprungbrett wird: Für einige, die
wissenschaftlich Talentiertesten, um sich auf ihren Einstieg in die Spitzenforschung vorzubereiten, über besagte R3-Stellen. Aber natürlich werden, wenn wir ehrlich sind, diejenigen, die in der
akademischen Welt bleiben, immer in der Minderheit sein, und noch weniger werden ihre wissenschaftliche Laufbahn in der MPG durchleben. Und das ist gut und richtig, denn die Übrigen werden
anderswo in der Gesellschaft und Wirtschaft gebraucht und erfolgreich sein.
"Wir wollen keinen Missbrauch, keine Kettenverträge,
bis jemand 50 Jahre alt ist. Solche Fälle gab und gibt es,
und die halte ich für unverantwortlich."
Ist das, was Sie da durch zusätzliches Mentoring und Workshop-Coachings erreichen wollen, nicht eigentlich ureigenste Aufgabe eines guten und engagierten akademischen Vorgesetzten? Gerade
auch das Führen ehrlicher Gespräche über die langfristige wissenschaftliche Eignung von Postdocs?
Ich habe solche Gespräche immer mit all meinen Postdocs geführt, und dabei ist das Wichtigste, dass man sich als Vorgesetzter möglichst freimacht von seinen eigenen Interessen, die Leute einfach
möglichst lang in den eigenen Projekten weiterforschen zu lassen. Erst recht, wenn man vielleicht längst weiß, dass es für den einen oder die andere höchste Zeit wäre, sich nach einer
alternativen Karriereoption umzuschauen – bevor sie so alt sind, dass es immer schwieriger wird, außerhalb der Wissenschaft unterzukommen. Das ist unsere Verantwortung als Direktorinnen und
Direktoren, als Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter. Als MPG wollen wir künftig nur ein bisschen mehr nachhelfen, indem wir langjährige Verträge und die Zweiteilung in der Mitte zum Standard
machen, damit es nicht mehr zu diesem Automatismus immer neuer Vertragsverlängerungen kommt. Wir wollen keinen Missbrauch, keine Kettenverträge, bis jemand 50 Jahre alt ist. Solche Fälle gab und
gibt es, und die halte ich für unverantwortlich. Ganz unabhängig von dem, was in einem Wissenschaftszeitvertragsgesetz steht.
Ganz am Anfang unseres Gesprächs haben sie gesagt, die MPG betreibe Grundlagenforschung auf international höchstem Niveau und rekrutiere von überall her die besten Talente. Die aus
Frankreich stammende Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier, seit 2015 bei Max Planck, sagte neulich der FAZ, dass sie zwar nirgends so lange gewesen sei wie in Deutschland – dass sie
aber in der CRISPR-Forschung "nicht mehr wettbewerbsfähig" sei. Vor allem nicht gegenüber den USA und ganz besonders nicht, wenn es um die Rekrutierung des Personals gehe. Der dortige
Enthusiasmus sei ansteckend. "Hier funktioniert das anders", fügte Charpentier hinzu, "und am Ende ist es zu spät, wenn das Schiff längst losgesegelt ist." Hört sich das für Sie auch so an, als
würde sich Frau Charpentier per Zeitungsinterview von Max Planck wegbewerben?
Nein, ich kenne Emmanuelle Charpentier gut, und ich sehe nicht, dass sie ihre Kritik auf die MPG bezogen hat. Sie leidet unter der derzeitigen Situation wie wir alle in der deutschen
Wissenschaft. Es ist sehr schwer, Fach- und Führungskräfte zu gewinnen, und in der Mitte Berlins, wo sie arbeitet, ist es nochmal schwieriger. Und wenn es darum geht eine neue Technik auch in die
Anwendung zu bringen, mobilisieren die US-Amerikaner viel schneller viel mehr Geld. Wo sie sicher auch Recht hat: In den USA und in China entstehen gerade Monopolstrukturen in der Künstlichen
Intelligenz. Wir haben zwar immer noch einige der absolut führenden KI-Forscher bei uns, werden in Europa aber durch die geltenden Regelungen beschränkt. Immerhin tut sich anderswo, in der Grünen
Gentechnik, auf EU-Ebene nach 20 Jahren politischen Diskussionen etwas, wir könnten nach einer Liberalisierung der Vorgaben wieder Anschluss finden an den internationalen Wettbewerb.
Das ging mir zu schnell. Wenn Forschende wie Emmanuelle Charpentier die mangelnde Dynamik in Deutschland beklagen, beziehen sie sich nicht auch auf die wissenschaftlichen Institutionen?
Hand aufs Herz: Ist die MPG in all ihrer Tradition und ihrem Stolz auf das Erreichte noch hungrig genug?
Und ob wir hungrig sind. Ich erlebe diese Neugier überall, wo ich hinkomme. Sie ist unsere Triebfeder. Ich habe bei meinen Institutsbesuchen gesehen, wie Liebgewonnenes aufgegeben wird, wie
unsere Wissenschaftler bereit sind, den nächsten großen Schritt zu gehen, ihre Forschungsrichtung zu ändern. Als Präsident habe ich mir vorgenommen, durch die Berufungen, die ich vornehme, noch
stärker als bislang neue Forschungsfelder zu erschließen. Und dabei will ich wegkommen von der Frage, die immer zuerst kommt.
Die da lautet?
"Wie wollt ihr das denn finanzieren?" Meine Antwort: Wir dürfen nicht beim Geld anfangen, sondern bei den Ideen. Wir müssen fragen, was jetzt in diesem Moment am dringendsten erforscht werden
muss. Dann lande ich zum Beispiel bei der großen Frage nach der Interaktion von Menschen und Maschinen. Wie entstehen emergente Eigenschaften in Maschinen, die wir als Menschen nicht
programmiert, nicht beabsichtigt haben? Wie lernen und verhalten sich Maschinen, wie verändern sie sich auch im Umgang mit uns Menschen, mit der Gesellschaft? Es gab noch nie eine Technologie,
die so eng an den Kern des Menschseins herankam, und das ist nur ein Beispiel für ein riesiges Forschungsfeld an der Grenze zwischen Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaft. Wenn wir diese
tollen Ideen haben, müssen wir da entschieden reingehen, unabhängig von den finanziellen Wechselwirkungen.
"Wir werden als MPG unsere Bedürfnisse moderat, aber mit der nötigen Transparenz formulieren – und zugleich unsere Verantwortung für die Gesellschaft
wahrnehmen."
Die aber ja nun einmal da sind. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) muss nächsten Jahr sparen. Zwar erhalten die MPG und die anderen außeruniversitären
Forschungsgesellschaften ihren üblichen Budgetaufwuchs von drei Prozent, aber die politischen Widerstände gegen den zugrundeliegenden Pakt für Forschung und Innovation (PFI) nehmen offenbar zu.
Sorgt Sie das?
Wir sind dankbar, dass wir Teil des Paktes sind. Und wir gehen davon aus, dass die Politik ihr Versprechen, ihn bis Ende des Jahrzehnts fortzusetzen, einhält. An der Stelle will ich, ohne
Forderungen zu stellen, lediglich darauf hinweisen, dass die drei Prozent mittelfristig keinesfalls reichen werden, um den Status Quo zu halten angesichts von Inflation und der Explosion der
Energiekosten. Ich hoffe, dass sich das in den kommenden Jahren, wenn die Preissteigerungen wieder niedriger werden, etwas ausgleicht. Unabhängig davon haben wir aber selbst Spielräume, die ich
nutzen will: Ein Drittel unserer Direktorinnen und Direktoren wird bis 2030 ausscheiden, das gibt uns die Möglichkeit zu den Berufungen, von denen ich eben sprach. Wir können und werden also aus
der Substanz heraus handeln. Aber natürlich gibt es Bereiche, wo wir ohne zusätzliches Geld nicht gestalten können. Wenn wir bei KI wirklich vorn dabeibleiben wollen, braucht es irgendwann ein
deutsches oder europäisches Rechenzentrum, das eine Größenordnung größer ist als alles, was wir jetzt haben. Und wenn wir das mit der Nachhaltigkeit ernst nehmen und bis spätestens 2035 als
Forschungsgesellschaft klimaneutral sein wollen, wird das nur über ein Sonderprogramm für die energetische Sanierung gehen. Das ist bei den Universitäten und den anderen Forschungsorganisationen
nicht anders. Zugleich sollten wir als Wissenschaft aber moderat auftreten mit unseren Forderungen in der aktuellen Lage.
Warum?
Weil wir doch sehen, wie enorm belastet der Staatshaushalt ist nach der Corona-Pandemie und angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Und weil es nicht nur die Wissenschaft,
sondern auch andere Bereiche unserer Gesellschaft gibt, die genauso dringend Unterstützung benötigen. Ich denke hier vor allem an den Bildungssektor. Darum werden wir als MPG unsere Bedürfnisse
moderat, aber mit der nötigen Transparenz formulieren – und zugleich unsere Verantwortung für die Gesellschaft wahrnehmen.
Sie wollen Ihre Wissenschaftler ermutigen, sich mit ihrer Expertise stärker an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Haben Sie den Eindruck, dass die MPG ihre Kompetenz abseits der
klassischen Wissenschaftsdiskurse unter Wert verkauft hat?
Es ist ja nicht so, dass wir uns in der Vergangenheit nie geäußert, dass wir die gesellschaftlich-politische Entwicklung nicht immer schon mitgeprägt hätten. Der erste Kontakt zwischen Israel und
Deutschland nach dem Krieg entstand zwischen dem Weizmann-Institut und der Max-Planck-Gesellschaft: Otto Hahn reiste damals mit einer kleinen Delegation nach Israel. Auf dieser langen Tradition
des gesellschaftlichen Engagements wollen wir aufbauen. Aber wir wollen schneller werden. Meine Idee ist, dass wir dafür je nach Thema einen unterschiedlichen Kreis von Expertinnen und Experten
zusammenbringen. Bleiben wir beim Beispiel Israel und dem aktuellen Verfassungsstreit. Wir wollen jetzt Stellung beziehen und uns solidarisch zeigen mit unseren wissenschaftlichen Partnern vor
Ort. Darum habe ich Max-Planck-Wissenschaftler eingeladen, die sich mit Israel auskennen, damit wir uns beraten können. Das ist ein Beispiel, wie wir rasch ein Meinungsbild erstellen können, ohne
jedes Mal alle Wissenschaftlichen Mitglieder der MPG befragen zu müssen. Meine Aufgabe als Präsident wird sein, dieses Meinungsbild möglichst schnell in die Öffentlichkeit zu transportieren. Auf
die Debatten, die dadurch entstehen, freue ich mich.
The role of arms control in future European security
In: Security and human rights, Band 25, Heft 2, S. 221-234
ISSN: 1874-7337
World Affairs Online
Fragmentation of information procurement from large-area forest inventory and the link to the international forest regime-complex ; Forest information in politics
Werden Wälder hinreichend geschützt und bewusst bewirtschaftet, so können sie extrem vielfältige und wertvolle Ökosysteme bereitstellen, die gleichzeitig auch eine Vielzahl von Leistungen für ein gesundes globales Klima, die Umwelt und für die Lebensgrundlage des Menschen erbringen. Letztlich sind es gerade solche Ökosystemdienstleistungen, die Wälder zu einem wichtigen Teil der neuen "grünen Ökonomie" gemacht haben, worin globale Lebensmittel-, Holz- und Klimamärkte das ökologische Kapital der Wälder vermarkten. Auch deshalb ist heute generell bekannt, dass Waldökosysteme durch geeignete Regulierung der Waldbewirtschaftung und durch effektive Forstpolitik geschützt werden müssen. Nur so kann das ökologische und ökonomische Potential der Waldökosysteme für heutige und für zukünftige Generationen, also nachhaltig, bereitgestellt werden. Für den Zweck solcher wichtigen forstpolitischen Entscheidungen brauchen Politiker jedoch verlässliche Informationen aus der Wissenschaft. Die UN Konventionen zu den sektoralen Themen Biodiversität (CBD), Klimawandel (UNFCCC), Degradierung (UNCCD) und Luftverschmutzung (CLRTAP), sowie die Berichtspflichten, die solche Konventionen ihren Mitgliedstaaten auferlegen, sind Ausdruck dieses Informationsbedarfs. Allerdings sind viele Leistungen der Wälder nur schwer messbar, auch weil sie ideell aufgeladen sind und weil sie sozio-ökonomischen Wertvorstellungen entsprechen müssen, die nur im Kontext gesellschaftlicher Hintergründe definiert werden können. Rein wissenschaftlich, also neutral und frei von sozialen Wertvorstellungen, sind sie daher kaum messbar. Das betrifft insbesondere die Vorteile und Werte die die Biodiversität bereitstellt, beispielsweise die genetische Ressourcen, landschaftliche Schönheit oder abstraktes Wissen, das biotischen Systemen innewohnt und das möglicherweise durch technische Wissenschaften wie Biotechnologie und Pharmazie nutzbar gemacht werden kann. Solche Werte müssen über Interessenvertreter der Gesellschaft, also durch gewählte Regierungen und deren Verwaltungen herausgearbeitet und vertreten werden. Ein Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, solch politisch relevante Komponenten der Biodiversität und deren Informationsbedarf zu identifizieren. Zu diesem Zweck analysiert die vorliegende Arbeit politische Berichtsprozesse und deren Datenbedarf auf drei verschiedenen Verwaltungsebenen: Von der (1) globalen- (Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen UN-CBD), zur (2) europäischen (Flora-Fauna-Habitat Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, EG FFH Richtlinie) bis zur (3) nationalen Ebene. Um den nationalen Informationsbedarf herauszuarbeiten, analysiert die Studie ferner Datenquellen, die nationale Autoritäten als relevant für die Erfüllung der oben genannten EU- und UN- Berichtspflichten erachten. Diese Analyse beinhaltet Fallstudien dreier Länder: Deutschland, Schweden und Polen. Sprachbarrieren führten allerdings dazu, dass sich die polnische Fallstudie auf die UN Berichte beschränken musste. Zudem wurde der parlamentarische Diskurs von 2010 über die Novelle des Bundeswaldgesetzes als Beispiel für die Relevanz von Waldinformationen in politischen Diskursen und Entscheidungsverfahren gewählt. Ein Ausblick eröffnet zum Abschluss denkbare Ansatzpunkte für die Wissenschaft, zur besseren Quantifizierung schwer messbarer Variablen und zur umfassenderen Berichterstattung über politische Aspekte der Biodiversität als essentiellen und integrativen Teil einer "nachhaltigen" Waldbewirtschaftung. Obwohl diese Arbeit die Bereitstellung von politisch relevanten Informationen als wissenschaftliche Aufgabe betrachtet, muss dennoch beachtet werden, dass die Beteiligung an politischen Prozessen und Entscheidungen durchaus Risiken für die Wissenschaft bergen kann. So gibt Guildin (2003) zu bedenken, dass die Einbindung von Wissenschaftlern in politische Fragestellungen als politische Parteilichkeit wahrgenommen werden könnte und somit ein Risiko für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft darstellt. Einige Autoren sprechen sogar von der "Politisierung der Wissenschaft" (Krott, 2012; Krott et al., 2014; Pregernig, 2007) und meinen damit einen Schaffungs- und Selektionsprozess von Informationen, der inhärent politisch voreingenommen und verzerrt ist, da er sich weitestgehend einseitig an politischen Agenden und den drängendsten Fragen der Politik ausrichtet (Hellström, 2000 zitiert von Janse, 2008). Dabei ist es allgemeine Auffassung, dass Entscheidungsträger voreingenommene und verzerrte Informationen akzeptieren, um im Interesse einzelner Akteure, sub-optimale Entscheidungen zu unterstützen, die aber zum Nachteil der Mehrheit sind (Krott, 2012, 2013). Im Lichte der fortschreitenden Waldzerstörung und der Unfähigkeit von Entscheidern, diese Zerstörung durch Kompromisse und eine harmonisierte internationale Waldkonvention zu bekämpfen, sprechen manche Autoren sogar von einem "fragmentierten", "politisch gewollten", "ineffektiven" oder "verfehlten" Wald- "Regime Komplex" (Humphreys, 2006, 2009; Chaytor, 2001; Dimitrov, 2005; Dimitrov et al., 2007; Rayner et al., 2010). Dieser "fragmentierte" Regime-Komplex sei, so die Ansicht mancher, durch die selektive Nutzung, Manipulation oder absichtliche Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse unterstützt (Hertin et al., 2009; Krott, 2012; Pregernig, 2007). Die vorliegende Dissertation vertritt die Ansicht, dass man bei solchen Zuschreibungen politischer Voreingenommenheit, klar zwischen den Aufgaben der "Wissenschaft" als solcher und der "politischen Entscheidungsfindung" unterscheiden muss. Es wird argumentiert, dass für die jeweiligen Seiten im Grenzbereich von Politik und Wissenschaft nur dann ein Risiko für politische Voreingenommenheit oder Verzerrung ("risk of political bias") besteht, wenn die jeweiligen Seiten zwei grundlegende Prinzipien untergraben, die ihre Existenz in demokratischen Systemen legitimieren. Für Wissenschaftler ist dieses grundlegende Prinzip primär die "Transparenz", d.h. die Verifizierbarkeit des Schaffungsprozesses von Informationen durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Für politische Entscheider hingegen ist das primäre Prinzip die "Transparenz" des Entscheidungsfindungsprozesses selbst. Diese Annahme basiert auf Krotts (2012) Theorie über "nicht verifizierbare Informationen", welche davon ausgeht, dass "nicht verifizierbare Informationen", d.h. intransparente Informationen, politischen Interessen Vorschub geben, indem sie die Verzerrung von Ergebnissen in Richtung politisch gewollter Ergebnisse ermöglichen. Basierend auf diesem theoretischen Konzept, ist das zweite Ziel der vorliegenden Dissertation, bei Wissenschaftlern ein Bewusstsein über solche Risiken politischer Verzerrungen ("risk of political bias") zu wecken. Die Aufmerksamkeit gilt dabei sowohl "wissenschaftlichen" Prozessen, wie der Bereitstellung und Generierung von Informationen, als auch politischen Aufgabenbereichen, wie der Interpretation und Entscheidungsfindung. Letztlich will die Dissertation somit auch Vorschläge für die Vermeidung entsprechender Risiken erarbeiten. Für analytische Zwecke wurde das Risiko politischer Verzerrungen durch Verifizierung zweier grundlegender Annahmen ermittelt: (1) das Vorliegen "politischer Motivationen" (d.h. politische Ziele, die Interessenvertreter motivieren könnten, auf Ergebnisse Einfluss zu nehmen) und (2) "Intransparenz" der Datenakquise, bzw. der Entscheidungsprozesse (d.h. Prozesse im wissenschaftlichen, bzw. politischen Aufgabenbereich, die es ermöglichen, Ergebnisse stillschweigend entsprechend spezifischer Interessen und Ziele zu verzerren). Beide Annahmen werden jeweils anhand von 3 Fallstudien untersucht, die repräsentativ für die verschiedenen Etappen des Wissenschafts-Politik Dialogs sind, beginnend mit der "wissenschaftlichen" Aufgabe der Datenerhebung und Bereitstellung, bis hin zur "politischen" Aufgabe der Entscheidungsfindung. (1) Dabei stellt der parlamentarische Diskurs von 2010 über die Novelle des deutschen Bundeswaldgesetzes exemplarisch eine nationale Fallstudie über die Risiken politischer Verzerrung im Aufgabenbereich der Entscheidungsfindung dar. Die beiden darauf folgenden Fallstudien beleuchten wissenschaftliche Aufgabenbereiche der Datenerhebung und Bereitstellung im Waldbereich, beginnend mit (2) den nationalen Berichtspflichten unter der EG FFH Richtlinie und dann überleitend zu den (3) internationalen Verpflichtungen unter der Biodiversitätskonvention (CBD) der Vereinten Nationen. Im Ergebnis zeigte der parlamentarische Diskurs schließlich, dass Entscheider abhängig von Parteizugehörigkeit und den entsprechenden Interessen der jeweiligen Wählerschaft, Informationen tendenziell dahingehend selektierten und interpretierten, dass sie entweder eher utilitaristische oder umweltbezogene Ziele forcierten. Obwohl die im Parlament zitierten Nachweise und Schlussfolgerungen teilweise intransparent waren, blieben sie dennoch weitgehend transparent. Nicht verifizierbare Informationen warfen hingegen Kritik auf und waren generell nicht in der Lage, Vertreter gegenläufiger Meinungen zu überzeugen und einen Konsens herbeizuführen. Im folgenden zweiten Ergebnisteil der Analyse, der sich mit dem wissenschaftlichen Aufgabenbereich der Datenerhebung befasste, stellte sich die Durchführung solcher "wissenschaftlichen" Aufgaben als größtenteils transparent heraus. Diese Transparenz eröffnete letztlich nur wenige Möglichkeiten zur versteckten politischen Einflussnahme auf die entsprechenden Kaskaden der Datenakquise, seien es die Messverfahren, die Analyse oder die Zusammenstellung in der Berichterstattung. Dies traf insbesondere auf nationale Waldinventuren zu, die sich generell auf Ökosystemdienstleistungen konzentrieren die leicht zu quantifizieren sind (z.B. Holzvolumen und Zuwachs) und die häufig genug sind, um in Stichprobenverfahren erfasst zu werden (z.B. bestimmte Baumarten im Gegensatz zu Arten der Bodenvegetation wie Moose oder Flechten, Pilze und Tierarten). Durch Biodiversität und (Wald-) Ökosysteme bereitgestellte Ressourcen und Ökosystemdienstleistungen (im Sinne der CBD-Definition) waren hingegen schwer zu messen. Daher blieben entsprechende Berichtspflichten generell so vage, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hatten, individuelle Komponenten der Biodiversität entsprechend ihrer Relevanz in den jeweiligen nationalen oder lokalen Kontexten zu definieren. Obwohl sich die Selektion von Definitionen und Analysemethoden nationaler Berichte dabei im Allgemeinen als transparent herausstellte, waren in einigen Fällen, die zugrundeliegenden Inventurmethoden und Variablen, die ein Feldbiologe für seine Aufnahmen und Messungen wählte, nicht immer uneingeschränkt transparent. Das muss generell noch kein Problem sein und man könnte annehmen, dass die Ergebnisse dennoch objektiv sind, wenn man davon ausginge, dass persönliche Interessen nicht im Wiederspruch zu den erzielten Ergebnissen stünden. Jedoch deuten Ergebnisse darauf hin, dass Gutachter in einigen Fällen Aufgaben hatten, die im Konflikt mit Monitoring Ergebnissen stehen könnten. Entsprechend der oben beschriebenen Theorie aus der Politikwissenschaft, könnte dieser Konflikt unter Umständen als ein Risiko für wissenschaftliche Glaubwürdigkeit (miss-) verstanden werden. Um dieses Thema anzugehen, versucht die vorliegende Dissertation im Ausblick und am Beispiel der schwedischen Nationalen Waldinventur, denkbare Ansätze für eine mögliche Harmonisierung von Messverfahren und eine Neuausrichtung von Mandaten vorzulegen. Interessenkonflikte, zweideutige Vorgaben und das damit verbundene Risiko für verdeckte und interessengerichtete, d.h. politische Einflussnahme durch die Selektion spezifischer Methoden könnten so möglicherweise vermieden werden. Die Anwendbarkeit solcher Vorschläge hat jedoch klare Grenzen. Bei der Lektüre dieser Dissertation und der Interpretation ihrer Ergebnisse muss stets beachtet werden, dass Vorschläge und Schlussfolgerungen auf einer theoretischen Argumentation beruhen und nur auf eine sehr begrenzte Evidenzbasis zurückgreifen konnten, bei der die Unsicherheiten in Bezug auf die Richtigkeit der erzielten Ergebnisse nicht messbar und daher unbekannt ist. So konnte sich die Dissertation ausschließlich auf wenige Interviews, öffentlich verfügbare Berichte, Gesetzestexte, Mandate und andere Publikationen zu stützen. Wobei diese Quellen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der Lage gewesen sein konnten, ein allumfassendes Bild aller beteiligten politischen Interessen zu vermitteln. Zudem ist es auch schwierig, alle in politischen Kontexten verfügbaren und verwendeten Waldinformationen vollständig zu ermitteln. Daher stellen weder die Schlussfolgerungen über politische Motivationen, noch jene über die (In-)Transparenz der politischen Informationsquellen einen Anspruch auf Vollständig- oder Richtigkeit. Auch wenn Intransparenz von Waldinformationen politischen Interessen theoretisch genützt hätten, lässt sich letztendlich unmöglich feststellen, ob Interessenvertreter die Möglichkeit versteckter politischer Einflussnahme tatsächlich genutzt haben, um "wissenschaftliche" Daten in Richtung eines politisch gewollten Ergebnisses zu lenken oder zu verzerren. Die vorliegende Studie identifiziert daher ausschließlich Risiken und macht keine Annahmen über die (statistische) Sicherheit der erzielten Ergebnisse und Schlussfolgerungen. ; If preserved and managed wisely, forests have the potential to be extremely diverse and valuable ecosystems that generate a multitude of benefits for a healthy global climate, the environment and human livelihoods. It is, in the end, such multitude of ecosystem services that have made forests an important component of a new "green economy" that markets the ecological capital of forests on global food-, timber- and carbon markets and turns them to economic assets. It is not least for that reason why today, it is generally understood that forest ecosystems have to be preserved through forest policies that effectively regulate forest management. Only then, the ecological and economic benefits of forests can be preserved such as to guarantee sustained provision for today and for future generations. Yet, for the purpose of making such important decisions, forest policy-makers need reliable scientific information. The UN Conventions on the topics of biodiversity (CBD), climate change (UNFCCC), degradation (UNCCD) and air pollution (CLRTAP), and the reporting obligations they impose on member states mirror that requirement. Yet, many benefits provided by forests are difficult to measure, not least because they are connoted by socio-economic backgrounds and charged by ideologies. From a purely scientific perspective, i.e. neutral and void from ideologies or social values, they are therefore difficult to assess and interpret. This relates specifically to assets provided by biodiversity such as genetic resources, scenic beauty or abstract knowledge intrinsic to biotic systems that may be used in sciences such as biotechnology and pharmacy. Such values have to be defined and defended by representatives of public interests, i.e. by elected politicians and their respective administrative bodies. The first objective of this study is to identify such components of biodiversity that are relevant for policy-makers. For this purpose, this thesis analyses biodiversity reporting processes and their data requirements at three different jurisdictional levels: Ranging from (1) Global (UN-CBD) to (2) European (EC-Habitats Directive) and (3) national reporting processes. To identify national data requirements, the study further analyses data sources that national authorities deemed to be relevant for meeting the aforementioned EU- and UN obligations. The analysis looks at three case-study countries: Germany, Poland and Sweden. However, language barriers meant that the Polish case-study remained restricted towards the analysis of UN reports. The 2010 parliamentary discourse on the amendment of the German forest act is further taken as a case-study for the relevance of forest information in political discourse and decision-making. An outlook eventually proposes ideas or starting points for future research such as to improve the quantification of variables that are difficult to measure and to report more comprehensively to the political aspects of biodiversity as an integral part of "sustainable forest management". Even though this thesis regards the provision of policy relevant information as a scientific responsibility, it also has to be recognized that the involvement in the political arena of policy-making may imply certain risks for scientists. As Guldin (2003) note, the involvement of scientists in political questions may create perceptions of advocacy and thus poses a risk to scientific credibility. Some authors have even introduced the notion of the "politicization of science" (Krott, 2012; Krott et al., 2014; Pregernig, 2007) where information generation and selection is inherently biased towards hot topics of political interest (Hellström, 2000 quoted by Janse, 2008). The assumption is that policy-makers accept biased information to support sub-optimal decisions that are in the interest of a selective group of powerful stakeholders, but to the disadvantage of the majority (Krott, 2012, 2013). In the face of continued forest destruction and the inability of stakeholders to combat such destruction by compromise and an international forest convention, some authors, even speak of a "fragmented", "politically wanted", "ineffective" or "failed" forest "regime-complex "(Humphreys, 2006, 2009; Chaytor, 2001; Dimitrov, 2005; Dimitrov et al., 2007; Rayner et al., 2010). Such a "fragmented" regime-complex is, as some argue, supported by the selective use, manipulation or intentional ignorance of scientific evidence (Hertin et al., 2009; Krott, 2012; Pregernig, 2007). This thesis argues that when attributing political bias to either side of the policy-science interface, it is important to make a clear distinction between the responsibilities of "science" and "policy-making". It is argued that either science or policy-makers may be perceived as politically biased only, when they undermine democratic systems by violating two basic principles that justify the existence of science and policy-making respectively. For scientists that primary principle is "transparency", i.e. verifiability, of information generation processes through the scientific community. For policy makers the primary principle is "transparency" of the decision-making process itself. These assumptions base on Krott's (2012) theory of "unverified information", which assumes that "unverified information", i.e. information that is neither verifiable nor transparent, allows political motivations to skew or bias results towards a politically favored result. Based on that theoretical concept the second objective of this thesis is to make scientists aware of the risks of political bias within data provision- and decision making processes, and to provide recommendations as how to avoid such risks. For analytic purposes, "risk of political bias" was identified by verifying two assumptions: (1) "political motivations" (i.e. political objectives that could motivate stakeholders to come to biased results) and (2) "non-transparency" of data acquisition or decision making processes (i.e. processes that allows political objectives to tacitly bias results). These assumptions are identified in 3 case studies where each is illustrative for different stages of the science-policy interface, ranging from scientific data generation to political decision-making: (1) the 2010 parliamentary discourse on the amendment in the national forest act of Germany represents a national case study on risks of bias in political responsibilities of decision-making. Subsequently, two following case studies represent scientific responsibilities of monitoring and reporting forest status from (2) the national level under reporting obligations of the EC Habitats Directive, to (3) the international level under reporting obligations under the United Nations CBD. Results on the parliamentary process eventually showed that policy makers tended to select and interpreted information such that they supported either utilitarian or environmentalist objectives, depending on party-membership and the interest of their respective groups of voters. However, apart from a few exceptions, the quoted evidence and conclusions made were largely transparent. Unverified information in contrast, tended to raise criticism and generally failed to convince opponents and did not contribute to consent. Then, in the second part of analysis, which looked at scientific responsibilities of data generation, the execution of such scientific tasks showed to be largely transparent. That transparency then provided little options of political interests to tacitly influence any stage of the data generation process, be it measurement, analysis or data compilation and reporting. This applied especially to assessments made by National Forest Inventories, which typically focus on forest resources that are easy to quantify (e.g. timber volume and increment) and common enough to be assessed by sampling (e.g. specific tree-species rather than species of the ground vegetation or mosses, lichen, fungi and species of fauna). Ecosystem services and resources provided by biodiversity and (forest) ecosystems (as defined by CBD, 1992) in contrast were more difficult to measure. In such cases reporting obligations were generally vague enough to allow member states to specify those components of biodiversity that they deem to be most relevant in national or site-specific contexts. Even though national reports and the selection of respective definitions and analytic methods proved to be generally transparent, the underlying field measurements and attributes that field experts chose to select were not always completely clear. This is no problem per-se, and we may assume that results are impartial if the assessors' personal objectives were not at odds with monitoring results. However results indicated that in few cases, assessors did have responsibilities that could possibly be at odds with monitoring results. Following the argumentation of political theory, this conflict might be (mis-) perceived as a risk to scientific credibility. To address that issue, and by using the Swedish National Forest Inventory as a role model, an outlook proposes possible options of harmonising and redistributing measurement responsibilities in very specific cases such as to avoid conflict of interest and to remove any remaining ambiguity that could possibly allow such interests to steer the outcomes. The applicability of such recommendations has, however, clear limitations. When reading this thesis and interpreting its findings, it is important to always bear in mind that conclusions drawn are based on a theoretical concept and very limited evidence to verify or measure the certainty of conclusions. The thesis thus had to rely on a few interviews, publically available reports, legal mandates and other publications, all of which are very unlikely to capture the complete picture of the political interests at stake. It is also nearly impossible to capture all the different sources of forest information used or available in forest policy contexts. Therefore, neither the conclusions on political motivations, nor those on the (non-)transparency of data-use make any claim to be complete, accurate or precise. Finally, even if non-transparency of forest information had served political interests, it is impossible to confirm that stakeholders really exploited such options of steering or biasing results towards a favoured outcome. The present study therefore exclusively identifies risks, yet it does not make any claim about the (statistical) certainty of its results and conclusions.
BASE
Die Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft auf das Migrationsverhalten: eine Analyse polnischer Migrationsprozesse vor und nach 2004
In: Bachelorarbeit
Inhaltsangabe:Einleitung: Seit der Erweiterung der Europäischen Union 2004 sticht Polen aus der Gruppe der zehn Beitrittsländer durch relativ hohe Auswanderungszahlen hervor. Während die Wanderungen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern insgesamt gering geblieben sind, steigt die Emigrationsrate aus Polen von Jahr zu Jahr. Als neue Zielländer gewinnen in diesem Prozess insbesondere das Vereinigte Königreich und Irland an Bedeutung, so dass Deutschland seine bisher vorherrschende Stellung als Zielland polnischer Migration inzwischen verloren hat. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft auf Emigrationsprozesse aus Polen, wobei Polen beispielhaft für eines der 2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Länder steht. Den Wanderungen nach Großbritannien und Irland wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Diese werden sowohl den polnischen Wanderungsprozessen vom Zweiten Weltkrieg bis 2004 als auch der EU-internen Migration bis 2004 gegenübergestellt. Polen bietet sich nicht nur wegen seiner hohen Auswanderungszahlen zur Analyse von Migrationsprozessen an, sondern auch, weil es auf eine lange Tradition der Auswanderung zurückblicken kann. Ziel der Arbeit ist es, zu untersuchen, inwiefern die EU-Mitgliedschaft Polens als Vertreter der mittel- und osteuropäischen Staaten neue Migrationsstrukturen etabliert hat. Des Weiteren soll die Frage beantwortet werden, ob die existierenden Migrationstheorien in der Lage sind, EU-interne Migrationsprozesse zu deuten, oder ob neue Anfragen an sie gestellt werden müssen. Um polnische Migration zu analysieren, ist es zunächst notwendig zu klären, was unter dem Begriff der Migration zu verstehen ist. In der Literatur findet sich eine Reihe von Definitionen, deren grobe Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie Elemente der Bewegung und des Wechsels enthalten. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres vorrangigen Interesses: Während einige Definitionen den räumlichen Aspekt in den Vordergrund stellen (Binnenwanderung vs. internationale Wanderung), konzentrieren sich andere auf den zeitlichen Aspekt (temporäre vs. permanente Wanderung), die Wanderungsursache (freiwillige vs. erzwungene Wanderung) oder ihren Umfang, d.h. die Anzahl der beteiligten Personen. Als Versuch der Vereinbarung all dieser unterschiedlicher Aspekte schlägt Annette Treibel folgende Definition vor: "Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen." Wie sich im Laufe der Arbeit herausstellen wird, ist der zeitliche Aspekt für die Analyse polnischer Migrationsprozesse von zentraler Bedeutung. Der Einordnung von Migration als in der Regel dauerhaftem Prozess, wie Treibel sie vorgenommen hat, kann unter Berücksichtigung dieser Tatsache nur mit Vorbehalt zugestimmt werden. Ludger Pries weist darauf hin, dass das Verständnis von Migration als zeitlich begrenzter "Wechsel von einem nationalstaatlichen 'Container' in einen anderen" modifiziert werden muss durch neuere Ansätze, die Migration in einen größeren Zusammenhang stellen. Generell gilt, dass die hohe Komplexität von Migration und die große Anzahl an wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit ihr beschäftigen, eine auf alle Fragestellungen zutreffende Definition unmöglich macht. Um so viele Aspekte wie möglich zu erfassen, wird dieser Arbeit eine recht allgemeine Definition zugrunde gelegt und internationale Migration betrachtet als "ein durch vielfältige Motive ausgelöster, temporärer oder dauerhafter Prozess der räumlichen Bewegung von Personen oder Personengruppen über Nationalgrenzen hinweg, der sowohl einmalig als auch regelmäßig stattfinden kann." Da der Schwerpunkt der Arbeit auf Prozessen innerhalb der Europäischen Union liegt und die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft als Grundlage jeglicher Migration gilt, muss hinzugefügt werden, dass sich die Betrachtungen hauptsächlich auf Arbeitsmigration beziehen. Die Begriffe 'Migration' und 'Wanderung' werden synonym verwendet. In den offiziellen Dokumenten der Europäischen Union wird durchgehend die Bezeichnung 'Mobilität' gebraucht. Laut Werner und Tassinopoulos kann Mobilität als Überbegriff von Migration und Pendeln bezeichnet werden. Während mit Migration die räumliche Bewegung von Arbeitskraft verbunden mit einem Wechsel des Wohnsitzes gemeint ist, gilt die räumliche Bewegung von Arbeitskraft ohne Wohnsitzverlagerung als Pendeln. In dieser Arbeit wird der Terminus 'Mobilität' nur im Zusammenhang mit den Fördermaßnahmen der Europäischen Union verwendet. Seit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge, die als Gründungsdokumente der späteren Europäischen Union gelten, ist es notwendig, zwischen Migration in Europa und Migration innerhalb der EU zu unterscheiden. Ihre Unterzeichnung 1957 schuf eine neue Form der Arbeitsmigration, indem die Freizügigkeit der Arbeitnehmer als eines der Ziele formuliert wurde, die zur Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes beitragen sollten. Spätestens mit der Ernennung des Jahres 2006 zum "Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer" ist deutlich geworden, dass die politischen Entscheidungsträger der Europäischen Union Migration innerhalb der Mitgliedstaaten als erstrebenswertes und förderungswürdiges Ziel ansehen. Laut der Europäischen Kommission werden "durch den Abbau der Hürden für die Mobilität der Arbeitnehmer und die Förderung ihrer Qualifikationen (...) die gesamteuropäischen Arbeitsmärkte allen geöffnet und eine bessere Übereinstimmung von Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage ermöglicht." Der Austausch von Arbeitnehmern zwischen den EU-Staaten soll intensiviert werden, um so die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu fördern. Während nämlich Waren, Kapital und Dienstleistungen in der Gemeinschaft relativ ungehindert und in großem Maße ausgetauscht werden, ist die EU-interne Migration sehr gering geblieben. Bis 2004 lebten nur etwa 2% aller EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat, obwohl in der gesamten Union Arbeitnehmerfreizügigkeit herrschte und die Barrieren, die der Arbeitsaufnahme und dem Leben in einem anderen Land bei abgeschotteten Märkten entgegenstehen, in großem Maße verringert wurden. Obwohl die EU-Länder sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker gegen Migration aus Ländern außerhalb ihrer Grenzen abschotteten, stammt die überwiegende Mehrzahl von Einwanderern innerhalb der EU aus Drittstaaten. Seit dem 01. Mai 2004 besteht die Europäische Union nun aus 25 Staaten. Den acht mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern wurden von Seiten der meisten alten EU-Mitglieder Übergangsbeschränkungen zum Schutz der Arbeitsmärkte auferlegt. Nur das Vereinigte Königreich, Irland und Schweden übertrugen die Arbeitnehmerfreizügigkeit sofort auf die neuen EU-Länder. Sie bildeten so einen Gegenpol zu den Ländern, die eine Überflutung ihres Arbeitsmarktes mit billigen Arbeitskräften verhindern wollten. Als Grundlage dieser Annahmen galten die relativ großen Unterschiede hinsichtlich der Wirtschaftsleistung der neuen im Vergleich zu den alten Mitgliedstaaten. Entgegen der Befürchtungen wurden in den ersten drei Jahren nach der Erweiterung jedoch auch in Bezug auf die neuen Mitgliedstaaten nur geringe Migrationsbewegungen registriert. Diese Entwicklung weist darauf hin, dass innerhalb der EU nicht allein wirtschaftliche Erwägungen zu Migrationsentscheidungen führen. Dass sie dennoch eine wichtige Rolle spielen, zeigt sich an der Rolle Polens als Land mit der schwächsten Wirtschaftslage und den höchsten Auswanderungszahlen. Drei Jahre vor der so genannten Osterweiterung wurde von der polnischen Migrationsforscherin Krystyna Iglicka folgende These aufgestellt: "International migration still seems to be a means to accumulate wealth and money." Sie bezog sich auf polnische Emigrationsprozesse vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und benannte für diesen Zeitraum wirtschaftliche Interessen als den wichtigsten Faktor für das Auftreten polnischer Emigration. Fast drei Jahre nach der Erweiterung ist Polen ein Land, das sich durch relativ hohe Auswanderungszahlen deutlich von den anderen Beitrittsländern des Jahres 2004 abhebt. Die Tatsache, dass es gleichzeitig die höchste Arbeitslosenquote innerhalb dieser Gruppe aufweist, könnte als Hinweis dafür gelten, dass die zuvor genannte These nach dem EU-Beitritt noch immer zutreffend ist. Sie wird im Laufe dieser Arbeit wieder aufgegriffen und gegebenenfalls modifiziert werden. Nach der Erweiterung haben sich das Vereinigte Königreich und Irland als neue Zielländer polnischer Migration etabliert. Bisher bestehende Migrationsbeziehungen wurden dadurch jedoch nicht unterbunden. Zwar hat Deutschland seine Rolle als bedeutendstes Zielland polnischer Arbeitsmigration 2005 erstmals an das Vereinigte Königreich abgegeben, jedoch ist die Bundesrepublik weiterhin ein wichtiges Aufnahmeland polnischer Migranten. Auch andere Länder, deren Arbeitsmärkte den Neumitgliedern noch versperrt waren, gewinnen als Zielländer an Bedeutung. Allerdings sind bedeutende Unterschiede im Hinblick auf die Charakteristika der Migranten festzustellen. So wandern überdurchschnittlich viele hoch qualifizierte Polen in das Vereinigte Königreich, während die Migration in die traditionelleren Zielländer durch gering qualifizierte Arbeitskräfte geprägt ist. Im Hinblick auf polnische Migrationsprozesse ist unverkennbar, dass Arbeitsmigration den größten Anteil an allen Wanderungsbewegungen hat. Während seit der Transformationszeit jedoch vor allem gering qualifizierte Polen in Wanderungen investierten, ist seit der EU-Erweiterung ein stetig steigendes Bildungsniveau zu erkennen. Kurzzeitige Migration dominiert, auch wenn langfristige Wanderungen nach einem Einbruch zu Beginn der Transformationszeit seit 2005 wieder an Bedeutung gewinnen. In dieser Arbeit sollen die polnischen Migrationsprozesse der letzten Jahrzehnte dokumentiert und ein Vergleich zwischen sowohl den polnischen als auch den EU-internen Wanderungsbewegungen vor 2004 mit den polnischen Wanderungen nach 2004 angestellt werden. Zunächst wird eine Auswahl von Migrationstheorien und migrationstheoretischen Ansätzen vorgestellt (Kapitel 2). Um eine Vergleichsbasis für die Prozesse vor und nach 2004 zu etablieren, werden im Folgenden die Migrationsprozesse innerhalb der EU vor der Erweiterung 2004 beschrieben (Kapitel 3). Anschließend sollen am Beispiel Polens die Migrationsbewegungen eines neuen Mitgliedstaates der EU dokumentiert werden, wobei sowohl ein Überblick über die Emigration aus der gesamten Region der mittel- und osteuropäischen EU-Neumitglieder seit 2004 als auch ein historischer Abriss über polnische Auswanderungsprozesse gegeben wird. Hierbei werden die Spezifika des Transformationsprozesses in Polen als einem Land des ehemals sowjetischen Blocks berücksichtigt. Besondere Aufmerksamkeit wird Großbritannien und Irland als neuen Zielländern und Deutschland als traditionellem Zielland polnischer Migration geschenkt. Auch werden die Wanderungsgründe nach 2004 analysiert (Kapitel 4). Im Anschluss werden die Untersuchungen aus den Kapiteln 3 und 4 auf die Migrationstheorien angewandt, wobei der Vergleich zwischen den Prozessen vor und nach 2004 im Mittelpunkt steht (Kapitel 5). Abschließend soll die Frage diskutiert werden, ob die Zugehörigkeit Polens zur EU neue Wanderungsformen bzw. Wanderungsmuster geschaffen hat. Auch sollen Schlüsse gezogen werden, ob die bestehenden migrationstheoretischen Ansätze das Potential zur Erklärung EU-interner Wanderungsprozesse haben, oder ob neue Anfragen an die Theorien bzw. an die Migrationsforschung gestellt werden müssen (Kapitel 6). Um einen möglichst umfassenden Überblick über die polnische Emigration zu geben, werden verschiedene Studien aus Polen und Deutschland sowie Dokumente der Europäischen Union herangezogen und als Datengrundlage verwendet.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: AbkürzungsverzeichnisX 1.Einleitung3 2.Theoretische Grundlage: Theorien der Migration9 2.1Klassische migrationstheoretische Ansätze9 2.2Neuere migrationstheoretische Ansätze16 3.Migration innerhalb der EU bis 200423 3.1Rahmenbedingungen der EU-Binnenmigration bis 200423 3.2Migration seit Entwicklung des Binnenmarktes innerhalb der EU-1525 4.Migrationsprozesse vor und nach 2004: Das Beispiel Polen31 4.1Rahmenbedingungen der EU-Binnenmigration seit 200432 4.2Emigration aus den neuen Mitgliedstaaten seit 200433 4.3Polnische Migration: ein historischer Überblick36 4.4Polnische Migration seit 2004: Kontinuität und Wechsel45 4.4.1Auswanderungszahlen und Zeitrahmen der Migration46 4.4.2Alters- und Geschlechtsstruktur52 4.4.3Ausbildungsniveau53 4.4.4Zielländer der Migration55 4.4.5Wanderungsgründe65 5.EU-Binnenmigration im Spiegel migrationstheoretischer Ansätze72 5.1Migration innerhalb der EU vor 2004 - Einordnung in den theoretischen Kontext73 5.2Migration nach 2004 am Beispiel Polens - Einordnung in den theoretischen Kontext77 6.Diskussion: Schafft die EU-Mitgliedschaft neue Formen der Migration?86 7.Literaturverzeichnis95Textprobe:Textprobe: Kapitel 3, Migration innerhalb der EU bis 2004: Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 wird die Migration innerhalb der EU gefördert. Obwohl die Gemeinschaft stetig um neue Mitgliedstaaten angewachsen ist, sind die internen Wanderungen eher zurückgegangen als gestiegen. Im Folgenden werden zunächst die Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, die die Grundlage der EU-internen Migrationsprozesse darstellen, näher erläutert, und im Anschluss ein Überblick über die Entwicklung der Migration innerhalb der EU von 1957 bis 2004 gegeben. Kapitel 3.1, Rahmenbedingungen der EU-Binnenmigration bis 2004: Bei der EWG-Gründung 1957 wurde der freie Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten als eines der anzustrebenden Ziele formuliert. 1968 endete die Übergangsfrist für die Umsetzung der 1957 festgesteckten Ziele, und mit der Vollendung der Zollunion im selben Jahr wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeführt. Sie wurde jedoch gegenüber 1957 modifiziert: Während sie laut Art. 39 Abs. 2 des Vertrags von Rom für die "Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten" galt, wurde sie 1968 auf Staatsangehörige der EU-Mitgliedsstaaten beschränkt. 1968 war also das Jahr, in dem die "doppelte Migrationspolitik" der EU begann. Von nun an wurde deutlich zwischen EU-Angehörigen und Drittstaatlern differenziert. Gegenüber Nicht-EU-Angehörigen wurden im Laufe der Zeit striktere Migrationspolitiken durchgesetzt, während die Arbeitnehmerfreizügigkeit im EU-Raum weiter erleichtert und als Ziel propagiert wurde. Sie ist in Art. 39 EGV geregelt und beinhaltet das Recht aller Bürger der Europäischen Union sowie des Europäischen Wirtschaftsraums (Island, Liechtenstein und Norwegen zusätzlich zur EU), in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit zu suchen und auszuüben, sich zu diesem Zweck dort aufzuhalten und zu verbleiben, sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zur Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen und alle anderen Vergünstigungen, die dazu beitragen, die Integration des Arbeitnehmers im Aufnahmeland zu erleichtern. Die Bestimmungen des Art. 39 EGV, die ursprünglich nur für Arbeitnehmer galten, wurden im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weiter entwickelt und ausgelegt, so dass "nicht mehr wirtschaftliche Gesichtspunkte im Mittelpunkt stehen, sondern die Erweiterung des Rechtskreises der betroffenen Bürger." So wurde das Recht auf Freizügigkeit in den 1990er Jahren durch Richtlinien auf alle Angehörigen eines EU-Mitgliedstaates ausgedehnt, die einen gesicherten Lebensunterhalt sowie eine Krankenversicherung vorweisen können und betrifft nun beispielsweise auch Rentner und Studenten. Unionsbürger benötigen demnach kein Visum, um in einem anderen EU-Land zu leben und zu arbeiten, sondern erhalten auf Antrag eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ('Aufenthaltserlaubnis/EG'). Ihr Erhalt ist gebunden an den Nachweis der oben genannten materiellen Voraussetzungen. Der Begriff 'Arbeitnehmer' wurde vom Gerichtshof dahingehend ausgelegt, dass er jede Person umfasst, die gegen Bezahlung eine tatsächliche Berufstätigkeit unter Anleitung einer anderen Person ausübt. Einige Rechte, wie beispielsweise das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat zu wohnen, erstrecken sich auch auf die Familienangehörigen des Arbeitnehmers, unabhängig von deren nationaler Zugehörigkeit. Anzumerken ist hier, dass das Recht der Familienzusammenführung nur im Fall der Arbeitsausübung außerhalb des eigenen Heimatlandes greift. Diese Tatsache wird auch mit dem Begriff der 'Inländerdiskriminierung' bezeichnet. So können Menschen in bestimmten Situationen möglicherweise dazu gezwungen sein, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU Gebrauch zu machen. Um der Inländerdiskriminierung entgegenzuwirken, hat die Kommission einen Antrag gestellt, das Recht auf Familienzusammenführung auf alle Unionsbürger unabhängig von ihrem Arbeitsort auszudehnen. Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt; außerdem ist der öffentliche Dienst den Bürgern des jeweiligen Mitgliedstaates vorbehalten. Mit der Vollendung des Binnenmarktes 1992 durch den Vertrag von Maastricht wurden die Freizügigkeit von Arbeitnehmern sowie die Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalfreiheit als die vier Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes formuliert, die Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen, die Unionsbürgerschaft eingeführt und weitere Mobilitätsbarrieren abgebaut. So wurde auch die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Qualifikationen vereinbart. Kapitel 3.2, Migration seit Entwicklung des Binnenmarktes innerhalb der EU-15: Nachdem bis in die 1930er Jahre in Europa die Auswanderung nach Übersee dominiert hatte und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Wanderungs- und Vertreibungsbewegungen in Form von ethnischen Säuberungen und Umsiedlungen geprägt gewesen war, gewann die Arbeitsmigration nach 1950 "zentrale Bedeutung für das europäische Migrationsgeschehen." Durch die Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 wurde der Grundstein für eine neue Form der Arbeitsmigration und für die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Migration in Europa und Migration innerhalb der Europäischen Union gelegt. Die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 1968 hatte zum Ziel, die Arbeitsaufnahme eines EU-Bürgers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu vereinfachen. Grundlage des Ziels eines gemeinsamen Marktes ist die Auffassung, dass grenzüberschreitende Wanderungen innerhalb der EU Wachstumsgewinne erzeugen. Trotz vieler Bemühungen zugunsten der EU-internen Migration machten die Bürger der EU-15 von ihren Möglichkeiten relativ wenig Gebrauch: die Wanderungsströme bis 2004 blieben marginal. Um einen strukturierten Überblick über die Entwicklung der Migration seit den Anfängen des Binnenmarktes und über die Auswirkungen der EU-Politik in Bezug auf die Mobilitätsförderung zu bekommen, werden die folgenden Ausführungen in Abschnitte entsprechend der jeweiligen Erweiterungsrunden der EU geteilt. Vor Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 stammten 44% aller ausländischen Arbeitskräfte aus dem Gebiet der späteren EU-6. Von 1957 bis 1973 hatten fünf der sechs EU-Gründerstaaten aufgrund ihrer prosperierenden Wirtschaft erhöhten Bedarf an Arbeitskräften. Die Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft fanden also Beschäftigung in ihrem eigenen Land. Wahrscheinlich aus diesem Grund blieb die EU-Binnenmigration gering. Einzig in Italien herrschte Arbeitskräfteüberschuss verbunden mit im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten niedrigen Löhnen, und es entwickelten sich Wanderungsbewegungen italienischer Arbeitskräfte besonders nach Deutschland. Von allen 1962 in Deutschland arbeitenden EU-Bürgern stammten 77% aus Italien. Mit dem Wachstum der italienischen Wirtschaft und den sich angleichenden Löhnen innerhalb der EU nahm in den Folgejahren auch die italienische Migration ab. Bis 1973 griffen die EU-Länder aus diesem Grund mit Hilfe bilateraler Verträge auf meist ungelernte oder gering qualifiziert Menschen aus Ländern außerhalb der EU zurück (die so genannten 'Gastarbeiter'), um ihren Arbeitskräftebedarf zu decken, so dass die Zahl ausländischer Arbeiter innerhalb der EU-6 bis 1973 auf fast 5 Mio. anstieg (1960: 2 Mio.). Der Beitritt des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks 1973 fiel in dasselbe Jahr wie der Anwerbestopp für Gastarbeiter, der mit der wirtschaftlichen Stagnation in Westeuropa begründet wurde. Der Anwerbestopp zeigt deutlich, dass Migrationspolitik immer den Wandel der Rolle bzw. Wahrnehmung von Migration in einem Land widerspiegelt – sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf politischer Ebene. Da sich die Rahmenbedingungen auf den westeuropäischen Arbeitsmärkten verändert hatten (Arbeitskräfteüberschuss statt Arbeitskräftemangel), wurde eine neue Migrationspolitik eingeführt (Begrenzung statt Öffnung), um den veränderten Verhältnissen zu entsprechen. Aus Angst vor einem Ansturm von Arbeitsmigranten aus den neuen Mitgliedstaaten wurden außerdem Übergangsfristen eingeführt, in denen den diesen keine volle Freizügigkeit gewährt wurde. Nach Ablauf der Fristen wurde jedoch wider Erwarten keine verstärkte Zuwanderung aus den drei Ländern gemessen. Die EU-interne Migration (größtenteils Italiener, Iren und Angestellte multinationaler Unternehmen) belief sich innerhalb der EU-9 auf nur ca. 3 Mio. (3% Anteil an der Gesamtbeschäftigung). Die Zahl Drittstaatenangehöriger war weit höher, woran die späteren EU-Länder Griechenland, Spanien und Portugal bedeutenden Anteil hatten: 1973 waren 19% der portugiesischen, 9% der griechischen und 4% der spanischen arbeitenden Bevölkerung innerhalb der EU-9 angestellt. In den 1970er Jahren kehrten etwa 200.000 Italiener von der Arbeit in EU-Ländern in ihre Heimat zurück. Diese Rückwanderung ist auf höheres Wirtschaftswachstum und damit verbundene bessere Arbeitsmöglichkeiten in Italien sowie eine Annäherung des italienischen Lohnniveaus an das der anderen EU-Länder zurückzuführen. Während sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt von 1960 bis 1969 auf umgerechnet 310,7 Mrd. Euro ungefähr verdoppelt hatte, wuchs das italienische BIP im selben Zeitraum um mehr als das Doppelte auf umgerechnet etwa 26,7 Mrd. Euro. Auch aus Belgien und den Niederlanden emigrierten immer weniger Menschen, um in einem anderen EU-Land Arbeit aufzunehmen. Die EU-Binnenmigration fiel über ihre ganze Entwicklung hinweg geringer aus, je weiter die Europäische Integration voranschritt. Im Zuge der Angleichung des Lohnniveaus zwischen neu beigetretenen Ländern und alten Mitgliedstaaten ging das Angebot an billigen Arbeitskräften innerhalb der EU zurück, so dass neue Herkunftsregionen an Bedeutung gewannen, d.h. Länder außerhalb der EU, besonders die inzwischen der EU zugehörigen mittel- und osteuropäischen Staaten. Nach dem Beitritt Griechenlands 1981 traten 1986 Portugal und Spanien und 1995 Finnland, Österreich und Schweden der EU bei. Den beiden Erweiterungsrunden der 1980er Jahre folgten Übergangsfristen zur Beschränkung des Arbeitsmarktes bis 1987 bzw. 1992; da jedoch in keinem Fall verstärkte Arbeitskräftewanderungen eintraten, sondern im Gegenteil die Nettomigrationsströme nach den Erweiterungsrunden stets zurückgingen, wurde den drei Beitrittsstaaten 1995 sofort volle Freizügigkeit gewährt. Der Binnenmarkt wurde schrittweise um neue Gebiete erweitert, Mobilitätshindernisse weiter abgebaut. Nachdem die Zahl der EU-Arbeitnehmer, die in einem anderen als ihrem eigenen Land arbeiteten, schon zwischen 1973 und 1984 um ein Drittel gefallen war, erlebte die EU-interne Migration in den Jahren 1985 bis 1990 einen weiteren leichten Rückgang. In den 1990er Jahren sorgte die steigende Anzahl multinationaler Firmen für eine verstärkte Migration hoch qualifizierter Arbeitnehmer innerhalb der EU. In den europäischen Großstädten sammelten sich Angestellte aus den Bereichen Finanzen, Banken- und Versicherungsmanagement, besonders in Frankfurt, Berlin, London, Paris, Madrid, Kopenhagen und Stockholm. Auch Universitäten griffen immer häufiger auf Wissenschaftler und Experten aus anderen europäischen Ländern zurück. Trotz dieser Entwicklungen betrug der Anteil der EU-Bürger an der Gesamtbeschäftigung 1990 im EU-Durchschnitt nur 2,4% gegenüber einem Anteil von 4,3% von Arbeitnehmern aus Drittstaaten. Während 1980 noch 47% aller ausländischen Arbeitskräfte innerhalb der EU aus einem anderen EU-Land kamen, sank dieser Anteil auf 42% im Jahr 1995. Zwar ist die absolute Zahl der EU-Arbeitskräfte leicht gestiegen, jedoch wuchs die Zahl der Arbeitnehmer aus Drittstaaten weit schneller, so dass der prozentuale Anteil der EU-Bürger sank. Der Anteil von EU-Arbeitnehmern an der Gesamtbeschäftigung beträgt seit nunmehr 15 Jahren im EU-Durchschnitt etwa 2%. Fast die Hälfte der EU-Migranten stammt aus südeuropäischen Ländern (Portugal, Italien, Spanien, Griechenland). Die EU-Binnenmigration ist charakterisiert durch einen hohen Anteil junger Hochqualifizierter. Am deutlichsten ist dies im Vereinigten Königreich, wo 1990 33% aller männlichen EU-Angehörigen auf Management-Ebene arbeiteten. Der Rückgang der EU-Arbeitsmigration insgesamt ist auf den Rückgang unqualifizierter Arbeit zurückzuführen, unter Anderem durch Rückkehrmigration in die Mittelmeerländer in den 1980er Jahren. Die Zahl der EU-Akademiker, die in einem anderen EU-Land arbeiten, ist hingegen gestiegen. In Deutschland beispielsweise sank die Zahl der unqualifizierten EU-Migranten im Zeitraum von 1977 bis 1992 um 40%, während die Zahl derer mit tertiärer Ausbildung um etwa 30% anstieg. Auch wenn nur knapp 2% aller EU-Bürger in einem anderen als ihrem Heimatland leben und arbeiten, hat die Errichtung des Gemeinsamen Marktes mit dem stetigen Abbau von Handelsbarrieren doch migrationsspezifische Konsequenzen nach sich gezogen, so auch die Diversifizierung von Migranten innerhalb der EU. Waren es früher vorwiegend ungelernte Kräfte, die in die EU strömten, können die Migranten heute drei Gruppen zugeteilt werden: (1) den Hochqualifizierten, die in der Regel aus anderen EU-Staaten stammen, (2) den gering qualifizierten oder ungelernten Migranten, oft ökonomisch motiviert und teilweise zur illegalen Einreise gezwungen, sowie (3) den Flüchtlingen und Asylsuchenden, häufig auf der Flucht vor politischer Verfolgung. Die Migration von EU-Bürgern, die das Ziel der EU-Mobilitätserleichterungen darstellt, macht einen sehr geringen Anteil an der europäischen Migration aus. Trotz einer deutlichen Abschottungspolitik nach außen, die zu immer größeren Schwierigkeiten für Drittstaatenangehörige führt, auf legale Weise Zutritt zu Ländern innerhalb der Europäischen Union zu finden, stammt die weit überwiegende Mehrzahl von Migranten innerhalb der EU aus Ländern außerhalb ihrer Grenzen. In der EU besteht ein wachsender Arbeitskräftemangel, ausgelöst durch Veränderungen in der Bevölkerungs- und Qualifikationsstruktur. Dieser kann nicht durch EU-Arbeitskräfte gedeckt werden, und Prognosen der demographischen Entwicklung in der EU weisen auf die Notwendigkeit weiterer Anwerbungen. Seit dem Anwerbestopp 1973 bemüht sich die EU um die Begrenzung der Zuwanderung. Dieses Bestreben kollidiert mit den wirtschaftlichen und demographischen Erfordernissen und fördert die illegale Migration in die EU. Aus diesem Grund bestehen heute in vielen Mitgliedstaaten Ausnahmeregelungen, die Arbeitsmigration von Drittstaatenangehörigen "über Umwege" ermöglichen. Die Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb der EU wird insbesondere seit der Lissabon-Konferenz 2000 als neues Ziel propagiert. Ziel der so genannten Lissabon-Strategie, die sich u.a. der Mobilitätsförderung verschrieben hat, ist die Modernisierung der EU-Wirtschaft, um im globalen Handel wettbewerbsfähig zu bleiben. Die neue Bedeutung der Migration wird durch das folgende Zitat deutlich: "Gelingt es nicht, eine koordinierte Politik durchzusetzen, deren Ziel es ist, das Arbeitskräfteangebot zu verbessern, Qualifikationsnachfrage und -angebot in Übereinstimmung zu bringen, die Mobilität der Arbeitnehmer zu erhöhen und für ein ausgewogenes Arbeitsplatzangebot zu sorgen, so kann es angesichts der veränderten Qualifikationsstruktur und der demografischen Tendenzen in nächster Zukunft verstärkt zu einem Mangel an Arbeitskräften kommen. Sämtliche Maßnahmen zur Förderung der geografischen wie der beruflichen Mobilität müssen neu bewertet werden, um Hindernisse, die im Zusammenhang mit dem beruflichen Abschluss, dem Alter, der beruflichen Neueinstufung, den Verhältnissen am Wohnungsmarkt, familiären Gründen usw. bestehen, abbauen zu können." Es kann festgehalten werden, dass die fortschreitende Europäische Integration Migrationsprozesse bis 2004 eher gemindert als gefördert hat. Im folgenden Kapitel werden die Entwicklungen seit der Osterweiterung dargestellt, wobei Polen als dem Beitrittsland mit der höchsten Emigrationsrate besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.