Wunschtraum und Albtraum: zur Utopieforschung von Norbert Elias
In: Leviathan: Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Band 37, Heft 3, S. 477-489
ISSN: 0340-0425
Utopische Vorstellungen vom Glück unterscheiden sich in bemerkenswerter und bezeichnender Weise von Forschungen zur Utopie. Bei Norbert Elias haben wir beides. Am Ende seines Hauptwerks "Über den Prozess der Zivilisation" charakterisiert Elias das menschliche Glück als ein dauerhaftes Gleichgewicht oder den Einklang zwischen den gesellschaftlichen Aufgaben des Menschen, zwischen den gesamten Anforderungen seiner sozialen Existenz auf der einen Seite und seinen persönlichen Neigungen und Bedürfnissen auf der anderen. Der vorliegende Essay zeigt, dass sich Norbert Elias' Utopieforschungen weder im Horizont einer konzeptuellen Unterscheidung von "Ideologie und Utopie" (Mannheim) noch im Rahmen einer Hoffnungsphilosophie, wie sie Ernst Bloch im "Geist der Utopie" und im "Prinzip Hoffnung" entworfen hat, bestimmen lassen. Stattdessen geht es ihm um wissenssoziologische Analysen am Beispiel unterschiedlicher historischer Gegenstandsfelder, in denen Utopien eine Rolle gespielt haben. Es sind vornehmlich drei, an denen dies gut beobachtbar und ablesbar ist: am Modell der frühneuzeitlichen Sozialutopie von Thomas Morus (1478-1535), dem Arkadienkonzept der französischen Schäferliteratur des 17. Jahrhunderts und am Beispiel des Malers Antoine Watteau (1684-1721) und seiner Rezeption im 18. und 19. Jahrhundert. Alle drei Beispiele lassen sich als Paradigmen des utopischen und zugleich utopiekritischen Denkens bei Norbert Elias beschreiben. (ICA2)