Gerne würden wir annehmen, daß die intergenerationellen Folgen der Verfolgungsvergangenheit von Überlebenden der Shoah von Generation zu Generation immer weniger spürbar werden und die Zeit die Wunden zu heilen beginnt. Doch läßt die Belastung durch die Verfolgungsvergangenheit in Familien von Überlebenden wirklich nach? Leiden die Enkel und Enkelinnen weniger unter der Familienvergangenheit als ihre Eltern?
"In Ruanda soll 2008 zum zweiten Mal nach dem Genozid (1994) ein Teil des Parlaments gewählt werden. Eine Debatte um die Bedeutung der Qualität dieser Wahlen für die weitere Entwicklungszusammenarbeit ist noch nicht erkennbar. Obgleich sich global ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Demokratie und Entwicklungszuwendungen etabliert hat, wird die autokratische Herrschaft in Ruanda von Geberseite akzeptiert. Das Land erhält gegenwärtig so viel Entwicklungshilfe wie nie zuvor in Friedenszeiten. Die Regierung in Kigali profitiert von einer Kritikscheu aufgrund des internationalen Nichteingreifens im Genozid sowie seiner betont kooperativen und entwicklungsorientierten Haltung. Die Wahlen von 2003 haben nur eine demokratische Fassade geschaffen, die zur Legitimierung der autokratischen Machtstrukturen beigetragen hat. Nur eine intensive internationale Begleitung der Wahlen 2008 und ein kritischer Umgang mit den Ergebnissen können einen kleinen Schritt in Richtung Demokratie bewirken. An einem hohen Wahlsieg der regierenden Ruandischen Patriotischen Front (RPF) besteht kein Zweifel. Die Wahlen werden keine substanziellen Veränderungen der Regierungsführung zur Folge haben. Die Regierung wird weiterhin versuchen, sozioökonomische Entwicklungserfolge in Legitimation und äußere Unterstützung umzumünzen." (Autorenreferat)
Das Werk des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman wird zusammenfassend dargestellt. Geprägt durch die Erfahrungen des nationalsozialistischen und kommunistischen Totalitarismus, des Krieges und des Exils, steht für Bauman die Förderung von Verantwortung, Freiheit und Autonomie des Individuums im Zentrum seiner Arbeit. Um Aufklärung mit dem Ziel der menschlichen Einsicht zu erreichen, ist eine soziologische Auseinandersetzung mit der Kultur unverzichtbar. In der postmodernen Kultur verlieren nach Bauman die traditionellen und lokalen Bindungen an Bedeutung. Wenn Mobilität zur vorherrschenden Lebensform wird, schrumpfen auch die Möglichkeiten des kollektiven Handelns. Bauman ist der Überzeugung, dass in der Postmoderne die menschlichen Beziehungen ihre moralische Bedeutsamkeit verlieren, wobei die Adiaphorisierung durch neue Mechanismen verstärkt wird. (GB)
Die Geschichte des kolonialen Namibias - und damit der Genozid an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 - avancierte in den letzten Jahren zum Politikum. Der Anerkennung des Genozids durch die Bundesregierung im Jahr 2016 gingen jahrzehntelange historiografische Kontroversen voraus, die jedoch bislang kaum Beachtung fanden. Christiane Bürger zeigt, wie der nach dem Zweiten Weltkrieg als weitestgehend verdrängt geltende koloniale Genozid in der DDR und BRD vor dem Hintergrund kolonialapologetischer Erzählungen der ersten Jahrhunderthälfte verhandelt wurde - und beleuchtet damit die Historiografie- und Wissensgeschichte der aktuellen Debatten.
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Vor dem Hintergrund von theoretischen Korrespondenzen und methodischen Synergien zwischen der qualitativ-soziologischen Narrationsanalyse und dem Erzählbegriff der neueren Psycho- und Beziehungsanalysen sowie der Psychotraumatologie wird das Desiderat eines interdisziplinären handlungstheoretischen Modells von narrativen Prozessen formuliert, das auch für Medien- und Kulturwissenschaften anschließbar ist. Die exemplarische narrativ-biografische Fallstudie untersucht die Interview-Erzählung der Abiturientin Leila, die aktiv und kompetent am schulischen und kulturellen Leben teilnimmt, hinsichtlich ihrer Lebensgeschichte und ihres Medienrezeptionsverhaltens. Psychotraumatologisch beschreibbare Belastungsfaktoren der früh zerrütteten und gewaltlatenten Elternbeziehung und einer auch in der Jetztzeit nicht spannungsfreien Familiensituation werden vor dem Hintergrund einer bis in die Zeit des Nationalsozialismus reichenden familiären Dreigenerationen-Dynamik sichtbar. Während Leilas Vater von irakisch-iranischer Herkunft ist, stammt ihre Mutter von einer vormals gut situierten Königsberger Bürgerfamilie ab, die nach dem zweiten Weltkrieg nach Norddeutschland geflohen war. Die historischen Täter- bzw. Opferaffiliationen der Familie stellen sich in der Präsentation auf unklare Weise dar. Diese verschiedenen psychotraumatologischen Belastungsfaktoren schlagen sich bei Leila zum einen in psychoaffektiven Wahrnehmungs-, Narrations- und Medienhandlungsmustern nieder, die auf dissoziative psychische Dynamiken schließen lassen. Diese werden sowohl in ihrem aktuellen Erzählmodus in der Interviewsituation als auch in der Rekonstruktion ihrer Fernseh- und Lektürenutzung deutlich gemacht. Zum anderen führen die psychotraumatologischen Belastungsfaktoren in Leilas gegenwärtigem sozialen Leben dazu, dass zentrale Freundschaftsbeziehungen ein rekurrentes (projektiv-identifizierendes) Konflikt- und Gewaltgeschehen aufweisen und dass sie in ihrer engagierten schulischen Arbeit einen Misserfolg erleidet. Eine korrespondierende Konfliktdynamik ist auch im (Gegen-) Übertragungsgeschehen zwischen Leila und dem männlichen der beiden InterviewerInnen erkennbar.
In diesem Artikel stehen Fragen politischer Sozialisation mit besonderem Bezug auf offene und verschlossene Prozesse biografischer Politisierung, d.h. biografischer Entfremdung, im Mittelpunkt des Interesses. Mithilfe von narrativ-biografischen und themenorientierten Interviews, die mit zwei Überlebenden des Holocaust durchgeführt wurden, wurde der Frage nach der Konstitution von Bewusstseinsprozessen nachgegangen. Wenn Henri LEFEBVRE im dritten Band der "Kritik des Alltagslebens" (1975) im Abschnitt "das Erlebte und das Leben" auf die Dialektik von erlebtem Vergangenen und Gegenwärtigem und dem daraus resultierenden "Leben des Bewusstseins" (individuelles und gesellschaftliches Bewusstsein) eingeht, so ist damit der unausweichliche Konflikt zwischen der Präsenz biografischer Erlebnisse im gegenwärtigen Leben angesprochen. Nach LEFEBVRE sind biografische Erlebnisse nicht allein als zeitlich vergangene Handlungen zu sehen, vielmehr fungieren sie dialektisch als Konstituenten der Gegenwart. Wenn somit, dieser Argumentationslinie folgend, biografische Erfahrungen (das Erlebte) einen wesentlichen Einfluss auf Bewusstseinsprozesse haben, dann ist es vor dem Hintergrund der Überlegungen LEFEBVREs naheliegend, biografische Erlebnisse in die Analyse von Politisierungsprozessen und politischen Einstellungen mit einzubeziehen, um ein besseres Verständnis von deren Konstitutionsbedingungen zu erlangen.