In: Kultur und Gesellschaft: gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988 ; Beiträge der Forschungskomitees, Sektionen und Ad-hoc-Gruppen, S. 735-737
Das Vertrauen, mit dem der Ordnung der Moderne begegnet wird, beruht dem Autor zufolge auf dem Zusammenwirken von drei sehr unterschiedlichen Faktoren: auf der Kontrolle der Gewaltabstinenz unter den Gesellschaftsmitgliedern, auf gewaltfreier Interaktion als unterstelltem und institutionell garantiertem Normalfall und auf einer damit korrespondierenden Imagination. Dieses Vertrauen wird jedoch zunehmend in Frage gestellt und es werden Coping-Strategien von Temporalisierung, Spatialisierung und sekundärer "Verrätselung" angewendet, um Enttäuschungen zu verarbeiten, die die Moderne den Menschen hinsichtlich ihres Versprechens, gewaltarm zu sein, dauernd zumutet. Die theoretischen und methodologischen Probleme der Soziologie im Umgang mit der Gewalt verweisen vor diesem Hintergrund auf uneingestandene Enttäuschungen über die gesellschaftliche Entwicklung und es stellt sich die Frage, inwieweit die Phänomene, die eine Soziologie der Gewalt in den Blick nehmen sollte, mit den Grundlagen der klassischen Soziologie vereinbar sind. Der Autor erörtert in seinem Vortrag die phänomenologische Grundlegung einer Soziologie der Gewalt und setzt sich unter anderem mit den Ansätzen der Modernisierungstheorie und der analytischen Sozialpsychologie kritisch auseinander. (ICI)
"Krieg und Gewalt sind Teil der Moderne und nicht nur ihrer Vorgeschichte. In diesem Vortrag sollen die Tatsache der Kriege in der Moderne und die intellektuellen Verarbeitungen dieser Tatsache als Sonde benutzt werden, um die Eignung der Modernisierungstheorie für ein Verständnis unserer Gegenwart zu untersuchen. Nach einem einleitenden Rückblick auf die wechselvollen Konjunkturen der Modernisierungstheorie ist die Frage zu prüfen, wie die Modernisierungstheorien und Modernisierungskonzeptionen sich auf die Frage von Kriegsentstehung und Kriegsfolgen bezogen (Traum von der gewaltfreien Moderne, defensive Modernisierung; Krieg und Revolution; Krieg als Weg zu einer anderen Moderne.; Krieg und Entstehung der Moderne). Zum Schluß ist nach Folgerungen aus dieser Prüfung für ein adäquates Verständnis von Modernisierung zu fragen. " (Autorenreferat)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 509-514
"Ausgehend von der phänomenologisch inspirierten Vorstellung, daß Diskurse über die Wirklichkeit zu deren Entstehung beitrügen, geraten bei dem Vorhaben, Männergewalt gegen Frauen sozialwissenschaftliche zu untersuchen, die Thematisierungen und ThematisiererInnen dieser Gewalt in den Blick. Zu diesen ThematisiererInnen gehören insbesondere die neue Frauenbewegung und die sozialen Professionen. Die von ihnen betriebene Skandalisierung dieser Gewalt hat die Annahme begründet, immer mehr Sachverhalte, die früher als normal gegolten hätten, würden nunmehr als 'Männergewalt gegen Frauen' definiert. Festzustellen sei eine Ausweitung und Immaterialisierung des Gewaltbegriffs im allgemeinen, des Begriffs 'Männergewalt gegen Frauen' im besonderen, der Gewaltbegriff werde zunehmend auch für nichtkörperliche Handlungen oder für strukturelle Bedingungen verwendet. Weiter wird angenommen, das Schicksal des Opfers werde hervorgehoben. Bei der Wahrnehmung einer Handlung als Gewalt verliere die Instrumentalität als Definitionskriterium an Bedeutung, während das Leiden des Opfers zum zentralen Merkmal werde. Im Vortrag wird aus einem Forschungsprojekt berichtet, in dem diese Annahmen mit Hilfe einer Inhaltsanalyse von Zeitungstexten aus den Jahren 1960 bis 1995 überprüft werden. Zunächst wird einem möglichen Wandel der mit dem Wort 'Gewalt' assoziierten Handlungen und Verhältnisse und der Entwicklung der Thematisierungshäufigkeiten nachgegangen. Darüber hinaus lassen sich zwischen bestimmten Beschreibungen von Männergewalt, bestimmten Erklärungen dieser Gewalt und bestimmten Vorstellungen über Reaktionen auf diese Gewalt Zusammenhänge erkennen, die es ermöglichen, mehrere Diskurse über Männergewalt gegen Frauen zu unterscheiden." (Autorenreferat)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 501-505
"Die feministische Gewaltdiskussion mit ihren Begriffsprägungen - Männergewalt, Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt, Frauenmißhandlung, sexuelle Ausbeutung - und ihren Praxisprojekten - Frauenhäuser, Notrufe, Frauenberatungsstellen, Selbstverteidigungkurse, Wildwasser, Mädchenhäuser - hatte mehrere Funktionen, denen in diesem Vortrag nachgegangen werden soll. Die Diskussion stiftete Zusammenhalt und neue Identitätsbildung für eine atypische soziale Bewegung, und gerät inzwischen in den Strudel von deren Ausdifferenzierung. Sie war gesellschaftspolitisch ein Mittel zur Veränderung der Institutionen Ehe und Familie, mit überraschendem Erfolg. Sie gehörte sozialpolitisch zum Prozeß einer Neudefinition der sozialen Pflichten des Staates, und befindet sich mit diesem Prozeß gegenwärtig in der Krise. Empirisch und praktisch hat sie schließlich Phänomene und deren Verknüpfungen sichtbar gemacht - wobei moralische Sensibilität und empirisches Sehvermögen in Wechselwirkung stehen - und sie in ersten Ansätzen analysiert; hiervon hätte die Soziologie sehr viel mehr profitieren können, als bislang erkennbar. Diese Multifunktionalität der Aussagen mag ein Grund für die überwiegende Abwehr ihres Gehaltes in der Soziologie sein. In den letzten Jahren teilt sich die feministische Diskussion in eine 'konservative' Fraktion der Radikalen, die Strategien und Begriffe bewahren wollen, und eine Vielzahl von Versuchen, die feministischen Erkenntnisse über Gewalt in anderen Diskussionen einzubetten: Bildung, Gesundheit, Friedensförderung u.a.m. Letztere entsprechen der weltweit im Gespräch befindlichen Idee der 'mainstreaming'. Sie kontrastieren aber auch mit der spezifischen Leistung des feministischen Gewaltbegriffs, der gerade darauf angelegt war, die Grenzüberschreitung ins Licht zu setzen. Soziologisch interessant ist die Frage, ob und wie die Integration der Gewaltdiskussion in einem anders benannten Kontext gelingt und mit welchen Folgen." (Autorenreferat)
In: Kultur und Gesellschaft: gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988 ; Beiträge der Forschungskomitees, Sektionen und Ad-hoc-Gruppen, S. 97-99
"Die Episodenhaftigkeit von Jugendkriminalität, d.h. ihre enge Verknüpfung mit einer relativ klar abgrenzbaren Phase der Adoleszenzentwicklung, ist eine seit langem bekannte Einsicht, deren Hintergründe allerdings kaum geklärt sind. Auf der Basis von Gruppendiskussionen, biographischen Interviews und teilnehmender Beobachtung mit über 60 Cliquen und 'Banden' im Ost- und Westteil der Stadt Berlin rekonstruieren wir in einer noch laufenden Untersuchung Zusammenhänge zwischen Orientierungsproblemen in der Adoleszenzentwicklung bei Lehrlingen und kriminalisierungsfähigen bzw. gewaltbereitem Handeln. Erste Ergebnisse werden am Beispielfall von Hooligan-Gruppen vor dem Hintergrund einer vergleichenden und kontrastierenden Analyse mit Musikgruppen (Bands) dargestellt. In allen Gruppen vollzieht sich die Orientierungssuche in der Adoleszenzkrise nach dem Modus der probehaften Entfaltung gemeinsamer Stilelemente auf dem Wege des 'Machens', des situativen Aktionismus. Die Hooligans setzen hier sozusagen im (organisatorisch und kommunikativ) Voraussetzungslosen an: bei der selbst initiierten Verstrickung der Gruppe in den situativen Aktionismus der körperlichen Auseinandersetzung, des 'fight' mit seinen verlaufskurvenförmigen Handlungszwängen. Im hieraus resultierenden Aufeinander-Angewiesen-Sein konstituiert sich eine elementar ansetzende Kollektivität, eine Art 'episodaler Schicksalsgemeinschaft'. Dies tritt als funktionales Äquivalent an die Stelle einer Kollektivität wie sie durch gewachsene milieuspezifische Einbindungen oder durch reflexive Formen von Kommunikation und Stilentfaltung (Musikgruppen) hergestellt werden kann. Wir stützen uns hierbei auf intensive Fallanalysen mit Hilfe von neueren Verfahren der Textinterpretation. Auf diesem Wege konnten auch Einblicke in sozialisationsgeschichtliche Bedingungen gewonnen werden: Erfahrungen milieuspezifischer Desintegration werden erst dort zum Problem im Sinne gewaltbereiten und kriminalisierungsfähigen Handelns, wo sie in innerfamilialer Kommunikation und Perspektivenübernahme nicht bewältigt werden. Zur Verfestigung einer abweichenden Karriere und einer Bindung an Stereotype soziale Identität (z.B. 'rechtsradikal') kommt es aber erst im Zusammenhang mit z.T. drastischen Reaktionen und Etikettierungen seitens der (DDR-) Kontrollinstanzen auf jugendliche Provokationen." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4545-4559
"Die seit Anfang der 90er Jahren intensiv betriebene Forschung zur Gewalt an Schulen hat in verschiedenen Resümees einige zentrale Determinanten und Erklärungsfaktoren für das Auftreten von Gewalt an Schulen herausarbeiten können. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um Merkmale der als 'Täter' an den Gewalthandlungen beteiligten Schüler. Hinzu kommen Analysen, die den Einfluss des familialen Kontextes und dabei vor allem der Erziehungspraktiken der Eltern untersuchten. Beides zusammen hat zu einer Betonung der individuellen Verursachung von Gewalt und zu einer deutlich ätiologischen Interpretation des Gewaltaufkommens geführt. Bisher weniger beachtet geblieben ist der Effekte des ggf. gewaltförderlichen Kontextes in der der Klasse, in der Schule und im weiteren Schulumfeld. Der Beitrag stützt sich auf eine repräsentative Längsschnittuntersuchung, in deren Rahmen je etwa 4.000 Schüler an allgemein bildenden und beruflichen Schulen in den Jahren 1994, 1999 und 2004 Befragt wurden. Durch das der Studie zu Grunde liegende Klumpen-Design - einbezogen wurden jeweils die Schüler von einer Klasse aus ca. 200 Schulen - ergibt sich die Möglichkeit die Effekte der Komposition der Schulklasse, die Bedingungen an der jeweiligen Schule und die Merkmale der Schulsitzkommune als das Gewaltaufkommen bestimmende Variablen zu untersuchen. Dabei gehen die Verfasser davon aus, dass die Handlungsbedingungen in der Klasse, in der Schule und im Schulumfeld das Auftreten von Gewalt an Schulen fördern oder unterbinden können. Der Frage nach der Determinationskraft derartiger Variablen im Vergleich zu klassischen Individualmerkmalen soll in dem Beitrag mit Hilfe einer Mehrebeneanalyse nachgegangen werden." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4517-4532
"Die Daten der Längsschnittstudie 'Kriminalität in der modernen Stadt' (Projektleitung: Prof.Dr. Klaus Boers, Prof.Dr. Jost Reinecke) basieren auf in den Städten Münster und Duisburg durchgeführten Schülerbefragungen. Die methodische Konzeption der Untersuchung zeichnet sich insbesondere durch ein kombiniertes Panel- und Kohortendesign aus, das es ermöglicht, individuelle Delinquenzverläufe nachzuvollziehen und diese zudem zwischen verschiedenen Städten sowie Alterskohorten zu vergleichen. Im Vortrag soll zunächst die Studie genauer vorgestellt werden. Im Anschluss wird die Häufigkeit des Auftretens verschiedener Gewaltdelikte dargestellt und deren jeweilige Entwicklungen im Zeitverlauf nachgezeichnet. Abschließend werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Gewalthandeln mittels selbst berichteter Angaben erhoben werden kann. Hierzu wurden in der vorgestellten Untersuchung sowohl Gewaltintentionen anhand von vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten auf eine fiktive Konfliktsituation (Vignettenanalyse), als auch tatsächlich ausgeübtes Gewalthandeln abgefragt. Die Validität beider Optionen wurde im Längsschnitt sowie im Kohortenvergleich untersucht und konnte bestätigt werden." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4517-4532
"Die Daten der Längsschnittstudie 'Kriminalität in der modernen Stadt' (Projektleitung: Prof.Dr. Klaus Boers, Prof.Dr. Jost Reinecke) basieren auf in den Städten Münster und Duisburg durchgeführten Schülerbefragungen. Die methodische Konzeption der Untersuchung zeichnet sich insbesondere durch ein kombiniertes Panel- und Kohortendesign aus, das es ermöglicht, individuelle Delinquenzverläufe nachzuvollziehen und diese zudem zwischen verschiedenen Städten sowie Alterskohorten zu vergleichen. Im Vortrag soll zunächst die Studie genauer vorgestellt werden. Im Anschluss wird die Häufigkeit des Auftretens verschiedener Gewaltdelikte dargestellt und deren jeweilige Entwicklungen im Zeitverlauf nachgezeichnet. Abschließend werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Gewalthandeln mittels selbst berichteter Angaben erhoben werden kann. Hierzu wurden in der vorgestellten Untersuchung sowohl Gewaltintentionen anhand von vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten auf eine fiktive Konfliktsituation (Vignettenanalyse), als auch tatsächlich ausgeübtes Gewalthandeln abgefragt. Die Validität beider Optionen wurde im Längsschnitt sowie im Kohortenvergleich untersucht und konnte bestätigt werden." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4533-4544
"Mittels der Daten des IKG-Jugendpanels, bei dem zwischen den Jahren 2001 bis 2005 bei jährlichen Befragungen 406 Jugendliche türkischer Herkunft, 585 GUS-Aussiedler-Jugendliche, 364 Jugendliche mit einem Aussiedlungshintergrund aus Polen und 1.244 Jugendliche deutscher Herkunft befragt wurden, werden Einstellungen zur Rechtfertigung von Gewalt im Längsschnitt untersucht. Die Jugendlichen waren bei der ersten Befragung im Jahre 2001 im Durchschnitt um die 17 Jahre alt. Bei den Einstellungen zur Gewaltbegründung werden einerseits solche Rechtfertigungen betrachtet, die ethnisch-religiöse Signalbegriffe (wie etwa 'Respekt', 'Ehre' oder 'Verteidigung der Religion') aufgreifen (Gewaltbegründung I). Dem gegenübergestellt werden Gewaltbegründungen, die mit anderen Motiven (etwa aus politischen Gründen, aus Frust oder Lust, um anderen zu helfen oder zur Interessendurchsetzung) zusammenhängen (Gewaltbegründung II). Für beide Einstellungsvarianten lässt sich im Zeitverlauf 2001 bis 2005 ein Rückgang der Befürwortung von Gewalt feststellen. Ausgehend von dieser Beobachtung wird ein Extremgruppenvergleich präsentiert, das heißt, es werden diejenigen wenigen Jugendlichen, die sich in allen fünf Jahren permanent gegenüber den Gewaltbegründungen indifferent oder zustimmend zeigten, der Mehrheit der jungen Erwachsenen gegenübergestellt, die in allen fünf Jahren keine der Gewaltbegründungen akzeptierten. Es werden also Antworten auf die Frage geliefert, in welchen Bereichen sich gewaltbefürwortende junge Erwachsene von Gewaltablehnenden unterscheiden." (Autorenreferat)
"Am Beispiel fremdenfeindlicher Aktivitäten im vereinigten Deutschland werden aktuelle Erklärungs- und Interventionsansätze für deviantes Verhalten diskutiert. Aus einer handlungstheoretischen Perspektive können die Ansätze teilweise integriert, teilweise kritisiert werden. Vielversprechend erscheint in diesem Kontext insbesondere eine kritisch-distanzierte Wendung des Rational-Choice-Paradigmas zu sein. Dabei sollen nicht nur Entscheidung zu je aktuellen Handlungen, sondern auch die Wahl handlungsleitenden normativen Orientierungen Gegenstand der theoretischen Überlegungen sein. Insbesondere der letzte Punkt eröffnet vor dem Hintergund des Ideals einer aufgeklärten Gesellschaft interessante Perspektiven für eine vernunftgeleitete Prävention aggressiver Konfliktlösung." (Autorenreferat)
Der Autor geht in seiner Untersuchung über gegenwärtige Phänomene ritueller politischer Gewalt in Algerien von der Kultur- und Gewalttheorie aus, die Frantz Fanon im Kontext des Algerienkrieges entwickelt hat. Politische Gewalt soll dieser Theorie zufolge zum einen als grenzziehende Gewalt Emanzipation ermöglichen; zum anderen soll sie den Übergang von einer traditionalen Gemeinschaft in eine solidarische Gesellschaft freier und gleicher Individuen ermöglichen. Im heutigen Algerien zielt dieses Handlungsprogramm nach der Interpretation des Autors darauf ab, einerseits die Sippenverbände ('assabiya') zu zerschlagen und durch eine gesellschaftsförmige Ordnung ('umma') zu ersetzen sowie andererseits eine Grenze zwischen säkularem Staat und islamischer 'umma' zu ziehen. Übertragen auf die politische Situation in den 1990er Jahren führt dieses Programm zu paradoxen Folgen: Da der Versuch einer klaren Grenzziehung scheitert, wird Gewalt zum Dauerzustand. Vor diesem Hintergrund kann das kulturelle Muster von Frantz Fanon - so die These des Autors - die heutige Eskalation extremer und ritueller Gewalt in Algerien erklären. (ICI2)
In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 505-509
"Ergebnisse zahlreicher empirischer Untersuchungen über die Anwendung physischer Gewalt durch Männer gegenüber Frauen (und Kindern) zeigen, daß es keinen Ort und keine Zeit gibt, in der Frauen nicht mit Bedrohung ihrer physischen (und psychischen) Integrität rechnen müßten. In der Tat steht die Bedrohung, nicht die faktische Gewaltausübung, im Vordergrund, weil sie ein Aspekt ist, unter dem Frauen ihre gesamte Lebensplanung, ihren Beruf, ihr schlichtes Erscheinen auf bestimmten Plätzen zu bestimmten Zeiten mitberücksichtigen müssen. Täglich erfahren sie, daß Vergewaltigungen geschehen, daß Frauen in Ehen mißhandelt werden, daß Frauen sexuellen Übergriffen auf dem Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Diese faktische Bedrohtheit wird durch eine Bedrohung zweiten Grades unterstützt, nämlich die, daß Frauen, die Opfer einer gewalttätigen Handlung geworden sind, dafür verantwortlich gemacht werden. Diese Schuldzuschreibung für Handlungen von gewalttätigen Männern durch Organe sozialer Kontrolle bildet das zweite hervorstechende Ergebnis der empirischen Untersuchungen. Ausgehend von diesen Feststellungen wird die Frage nach der Bedeutung der physischen Gewalt gestellt. Der Gebrauch der physischen Gewalt wird zunächst als ein strukturelles Merkmal des Frauenlebens und nicht als eine individuelle Pathologie gedeutet (Galtung). Die Tatsache, daß die faktische Ausübung der Gewalt an einigen Frauen als Inszenierung ihrer Existenz gegenüber allen Frauen gedeutet werden kann, enthüllt, daß sie eine Ressource für die Durchsetzung der Macht von Männern ist, d.h. die Grundlage einer illegalen Herrschaft bildet (Weber gegen Weber). Daß ihr 'privater' Gebrauch von Verwaltern der angeblich vom Staate monopolisierten physischen Gewalt nicht sanktioniert wird, zeigt, daß sie einen quasi-legalen Charakter hat (Luhmann gegen Luhmann). Den Ertrag der Anwendung der physischen Gewalt durch Männer für Männer haben wir im ersten Satz beschrieben: der symbolische Raum von Frauen soll vergleichsweise bescheiden bleiben." (Autorenreferat)