Wie lässt sich die Verbindung zwischen Leiblichkeit und der Konstitution kultureller Bedeutungen denken? Die Beiträge des Bandes reichen von begrifflichen Überlegungen zu den Körpern über die Einbeziehung der Psychosomatik zu jenen Körperpraktiken, welche die akademische Praxis selbst mitbestimmen. Der Vielfalt von Blickwinkeln gemeinsam ist die Aufmerksamkeit für den Körper als Ausgangspunkt und sinnstiftendes Medium wissenschaftlichen Denkens, Vortragens und Schreibens. Künstlerische Formen wie die Lecture-Performance geraten ebenso in den Blick wie die Frage, ob sich die Philosophie in der
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In den ersten Kapiteln werde ich ein ethologisches Modell von Körperlichkeit vorstellen, in dem Körper, ganz im Sinne Spinozas, als lokale Bestandteile eines weltweiten Gefüges gedacht werden. Körper sind demnach keine von ihrer Umgebung isolierbaren Substanzen, in ihnen treten vielmehr Sach-Verhalte in Erscheinung, denen ein systemisches Selbsterhaltungsstreben (conatus) innewohnt. Der den Körpern immanente Appetit, sich in ihrem Sein zu erhalten, bezieht sich daher nicht nur auf die Selbsterhaltung des eigenen Organismus, sondern auf die systemische Erhaltung des eigenen In-der-Welt-Seins, das ein Organismus mit seiner Umwelt teilt.
In den darauffolgenden Kapiteln analysiere ich die dunkle Alchemie, die Körper erleiden, wenn ihr Appetit, sich in ihrem Sein zu erhalten, durch äußere Ursachen gehemmt und schließlich vergiftet wird. Eine Dynamik, die Nietzsche in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral treffend als Wille zum Nichts charakterisiert hatte. In ihr verkehrt sich der Lebenswille in einen Hass auf das Leben, der sich am Leben zu rächen beginnt, indem er es verdammt.
Diesem destruktiven, selbstwidersprüchlichen Willen zum Nichts setzt Spinoza im fünften Buch seiner Ethik eine Glückseligkeitslehre entgegen, die den Geist der Rache immunisiert, indem sie an der Hervorbringung freudvoller Lebensverhältnisse arbeitet. Nicht der dialektische Kampf gegen das Ressentiment und seine destruktive Dynamik steht daher im Zentrum seiner Ethik. Es ist vielmehr die Kultivierung aktiver Affekte – Affekte der Freude, Liebe und Selbstzufriedenheit –, die für Spinoza das Ende der Hass- und Gewaltspirale versprechen. Damit zieht er die Konsequenzen aus der Einsicht, dass ein Affekt nur durch einen anderen, stärkeren Affekt gehemmt und schließlich außer Kraft gesetzt werden kann: Hass durch tiefgründige Liebeserfahrungen, Ressentiment durch freudvolle Erfahrungen.
Die Lecture-Performance "Unzeitgemäße Betrachtung. Nietzsche et cetera" wurde bei dem Forschungsfestival Philosophy On Stage#4 am Tanzquartier Wien uraufgeführt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, neue Allianzen zwischen Philosophie und den Künsten zu erproben.In dem folgenden Script zur Performance wird die Philosophie als ein Modus des In-der-Zeit-seins verstanden, in der sich Unzeitgemäßes zeigt, indem eine Revolte der Zeit gegen die Zeit zu Gunsten einer kommenden Zeit in Gang gebracht wird. Die Zeitlichkeit des Unzeitgemäßen, die das philosophierende Denken begrifflich freisetzen kann, gehört weder dem Regime der Vergangenheit, noch dem der Ewigkeit an, sie ruft vielmehr Zukunft hervor.Da die Philosophie diese Fähigkeit mit den Künsten teilt, wird kunstbasiertes Philosophieren in der Lecture-Performance als ein Feld gedacht, das Unzeitgemäßes erscheinen lässt. Wobei unter kunstbasiertem Philosophieren jene Allianz der Künste mit der Philosophie verstanden wird, in der die Philosophie künstlerische Forschungspraktiken in die Praktiken des Philosophierens mit einbezieht.In seiner Schrift Politik der Freundschaft hat Jacques Derrida aufgezeigt, dass der Satz "Ach! Wenn ihr wu?sstet, wie es bald, so bald schon – anders kommt! …" das aporetische Prinzip einer Demokratie der Zukunft zur Sprache bringt, in der die Zeitlichkeit des Unzeitgemäßen in Gang gebracht wird. Dabei verweist der Genitiv in der Formulierung Demokratie der Zukunft auf eine Form von Demokratie hin, die nur solange existiert, solange sie sich für ihre eigene Veränderlichkeit und Ereignishaftigkeit offen hält. Eine solche Form von Demokratie wird stets das Vorspiel einer Zukunft gewesen sein, die man vorab mit ganzem Herzen bejahen muss, um ihr Kommen zu ermöglichen; wieder und wieder.Ein Modus der Bejahung des Werdens, der eng mit Nietzsches abgründigstem Gedanken in Verbindung steht – dem Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen, in dem die Zeit ihr Werden ewig wieder-holt, um sich als Leben einer immanenten, nicht enden wollenden Bewegung der Unendlichkeit in sich selbst unaufhörlich zu vollziehen.
The following lecture performance was a part of the research festival Philosophy On Stage#4 at Tanzquartier Wien, where new relations between philosophy and the arts were tested and put into practice. The lecture starts with the claim that philosophical thinking necessarily performs the temporality of the untimely as a mode of being-in-time, which realises a revolt of time against its times in favour of a time to come. Being neither part of the past nor of eternity, the temporality of the untimely calls future events into being.Insofar as philosophy shares the temporality of the untimely with the arts, the lecture-performance defines arts-based philosophy––the alliance of art and philosophy, by which philosophy has started to implement artistic practices into philosophy––as a field for the appearance of the untimely. As Jacques Derrida has shown in Politics of Friendship, the proposition "Alas! if only you knew how soon, how very soon, things will be – different! –", characterises precisely the aporetic principle of a democracy of the future, grounded in the temporality of the untimely. The genitive 'of' thereby indicates a mode of democracy which does only exist as long as it keeps itself open towards its own changeability and eventfulness. Therefore it necessarily takes place as the prelude of a future one is able to affirm full heartedly in advance, that is to say, over and over again. A mode of being-in-time that touches the secret of Nietzsche's most abysmal thought: the thought of the eternal return of the same, in which somebody has realized the never ending eternity loops of be-coming; a life of immanence; a recurring movement of eternity within itself.
Die Yoga-Sūtren von Patañjali stellen die erste systematische Niederschrift indischer Yoga- Philosophien dar. Patañjali beschreibt darin den 8-gliedrigen Pfad des Yoga (aṣṭāṅgayoga), der in der Realisation der drei inneren Glieder der yogischen Sammlung (saṃyama) gipfelt: Konzentration (dhāraṇā), Meditation (dhyāna) und Versenkung (samādhi). Ein Zustand, in dem nur noch der Gegenstand leuchtet. Gerade so, als ob das Ich verschwunden wäre. Für Patañjalis Auffassung von Meditation ist charakteristisch, dass dieses meditative Sein zur Welt von den Menschen zwar nicht willentlich herbeigeführt, durch die Übung der fünf äußeren Glieder von Yoga aber sehr wohl tätig vorbereitet werden kann: durch die Einübung yogischer Verhältnisse zu anderen (1), zu uns selbst (2) und die Ausbildung einer yogischen Körperhaltung (3) und Atmung (4). All diese Praktiken machen uns reif für das Ereignis jenes Sinneswandels (5), der uns das innere Selbst schmecken lässt und damit die Tore für die yogische Sammlung (6-8) öffnet.
Abstract On the basis of Patañjali′s classic definition of yoga in Yogasūtra 1.2 yoga usually has been interpreted as a practice to calm down the restless agitations of our embodied minds during their entanglement with the material world. A yoginī thus has to turn her senses away from the outside world in order to unite herself with the absolute that dwells in all of us. In line with David G. White one could call such a classic view of the Indian body a closed model of the same. It is the aim of this text to offer an alternative reading of the Indian body as an open system, in which a body is understood as an entity, always already ex-posed, substantially, toward the world it is surrounded by, so that it is impossible for it to hide itself from the environment it is embedded in and affected by. In the final part of my text I will compare this ancient Indian concept of an open model of bodies with contemporary efforts of Jean-Luc NANCY to induce such an idea in the West by interpreting bodies as a space of a world-wide being-with.
Biographical note: Arno Böhler (Univ.-Doz. Dr. habil.) lehrt Philosophie an der Universität Wien. Krassimira Kruschkova (Univ.-Doz. Dr. habil.) ist Leiterin des Theoriezentrums am Tanzquartier Wien und lehrt an der Universität für angewandte Kunst Wien. Susanne Granzer alias Susanne Valerie (Univ.-Prof. Dr. phil.) ist Schauspielerin und lehrt Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar Wien (Universität für Musik und darstellende Kunst).
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