Eine ethnografische Perspektive auf Müttergenerationen: in der DDR, während der gesellschaftlichen Transformation und im gegenwärtigen Ostdeutschland. Die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ist ein aktuelles Schlagwort in Politik und Medien. Dieses zentrale Thema verknüpft die Ethnografie mit einem historischen Schlüsselkonzept: über den familiären und gesellschaftlichen Generationenvergleich geht sie der Tradierung und Transformation kultureller Konzepte von kompetenter Mütterlichkeit und angemessener Erwerbsarbeit nach. Aus einer akteurszentrierten Perspektive werden die beruflichen Biografien von Frauen aus drei verschiedenen Generationen sowie ihre Einstellungen und Praktiken rund um Kinder und Mutterschaft jeweils spiegelbildlich aufeinander bezogen analysiert und generative Logiken herausgearbeitet. Die Perspektive auf den generationellen Transfer in Familie und Gesellschaft konstatiert veränderte Arbeits- und Wissensregime sowie neue Care-Ökonomien in Ostdeutschland, verliert jedoch über den gesellschaftlichen Transformationsprozess der jüngsten deutschen Geschichte hinaus auch die longue dureé-Prozesse nicht aus dem Blick. Biographische Informationen Astrid Baerwolf, geb. 1975, ist ehemalige Stipendiatin des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte« an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2011 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Universität Münster. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit & Care-Ökonomien, Generationenforschung, Childhood- & Parenthood studies, DDR und postsozialistische Transformation. Reihe Göttinger Studien zur Generationsforschung - Band 14.
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In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5609-5619
"In dem Beitrag hinterfragen die Verfasserinnen zunächst, was unter Familiengründung verstanden wird. Im Anschluss beschreiben sie, wie sich die ökonomische Unsicherheit entlang sozialer Unterschiede auf das generative Verhalten auswirkt. Die vorgestellte Forschung basiert auf mehrmonatigen Feldforschungen in einem Stadtviertel Berlins sowie einer ländlichen Ortschaft in Brandenburg im Rahmen des EU-finanzierten KASS (Kinship and Social Security) Projektes. Trotz eines vorwiegend traditionellen Verständnisses der Kernfamilie als kognitives Leitbild, waren viele der von ihnen befragten Familien unverheiratet. Dies trifft nicht nur auf Fälle konsekutiver Familiengründungen zu, sondern auch auf die erste Partnerschaft mit Kind und auch auf Paare mit vergleichsweise 'traditionellem' Lebensstil, d.h. diejenigen mit Einfamilienhaus und Garten zu. In erstaunlich vielen der von ihnen befragten jungen Familien spielt die Heirat keine Rolle, bzw. eine veränderte Rolle. Während auf rechtlicher Ebene die Heirat immer noch eine Familiengründung bedeutet, ist aus emischer Perspektive eine Familiengründung eher mit der Partnerschaft, dem Zusammenwohnen und vor allem einem gemeinsamen Kind gegeben. In dem Zuge, in dem die Notwendigkeit formaler Eheschließungen als Familiengründungritus abnimmt, verändert sich jedoch auch die Bedeutung der Hochzeit als Fest. Dieses erfährt eine ideelle Aufwertung, die sich in angestrebten aufwendigen Hochzeitsfeiern äußert. Nach der Familiengründung weisen die Familien einen hohen Grad an Retraditionalisierung auf. Sie gehen davon aus, dass die gewachsene definitorischer Bedeutung des Kindes als Familiengründung in Zusammenhang mit der gleichzeitig zu beobachtenden Verschiebung im Rollenverständnis der Geschlechter steht. Je nach Zugang zum Arbeitsmarkt finden die Verfasserinnen in den Fallstudien sowohl im ländlichen als auch städtischen Umfeld vor allem in der Generation der heutigen Familiengründer unterschiedliche Grade der Angleichung an ein male breadwinner Modell. Das stellt einen deutlichen Unterschied zu früheren Befunden in den neuen Bundesländern dar. In Bezug auf das generative Verhalten stellen sie sowohl einen Generationenunterschied als auch Unterschiede zwischen unterschiedlichen Einkommensgruppen fest. Bei derjenigen Generation, die zur Zeit der Wende im Familiengründungstadium waren, hatte die neue Jobunsicherheit einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen (weitere) Kinder. In dieser Generation unternahmen die Frauen große Anstrengungen um die Erwerbstätigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen und gaben häufig den Wunsch nach einem zweiten Kind angesichts der unsicheren Lage auf dem Arbeitsmarkt auf. Dies ist bei jüngeren Interviewpartnern ganz anders. Sie finden hier in der Gruppe der jungen Eltern überwiegend male breadwinner Arrangements, die denjenigen in Westdeutschland ähneln bzw. angestrebt werden, womit häufig ein mehr oder weniger freiwilliger Rückzug aus dem Arbeitsmarkt zu verzeichnen ist. Dieser Generationenunterschied findet allerdings unterschiedliche Ausprägungen entlang sozialer Unterschiede. Während man vermuten könnte, dass sich vor allem Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen gegen Kinder entscheiden, sind es in der Forschung gerade sie die bereit sind, sich für (weitere) Kinder zu entscheiden. Diese Verschiebung steht neben wirtschaftlichen Entwicklungen und flexbilisierten Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit einer deutlichen Werteverschiebung. Zunehmend kann das 'Muttersein' allein bereits einen gewissen Status verleihen. Zudem wird eine Erwerbstätigkeit von Müttern mehrerer Kinder ohnehin als nicht möglich, bzw. erstrebenswert angesehen. Unter diesen Umständen führt 'Modernität' in Gestalt eines flexiblen Arbeitsmarktes und scheinbarer Lösung aus 'traditionellen' familiären Bindungen zur gleichzeitigen Stärkung 'traditioneller' Geschlechterrollen." (Autorenreferat)
Diese Studie kann nur vor Ort in unserem Secure Data Center in Köln bearbeitet werden! (Für ehemalige Mitglieder des KASS Forschungsteams gibt es eine eigene Regelung.)
Familienformen, Verwandtschaftsnetzwerke. Allgemeine Lebensumstände und Muster der gegenseitigen Unterstützung. Einkommen; Innerfamiliäre Transferleistungen. Praktische Unterstützung von staatlichen und offiziel anerkannten Versicherungen.
Themen: Erfassung von genealogischen Verbindungen von allen Verwandten durch Abstammung oder Heirat, darunter nicht mehr lebende Vorfahren und entfernte Verbindungen durch Abstammung oder Heirat. Für jedes Mitglied in diesem Netzwerk wurde erfragt: Geburtsort und derzeitiger Wohnort, wirtschaftliche Lage, Bildungsniveau, allgemeiner Gesundheitszustand, Indikator des Lebensstandards. Ähnliche Informationen über die Befragten selbst, einschließlich der eigenen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Umstände, Informationen über die Häufigkeit und Art der sozialen Kontakte mit jedem Mitglied des Netzes der bekannten Verwandten (darunter rituelle Beziehungen wie Patenschaften).
Informationen über Umfang und Geflecht helfender Beziehungen, Hilfe für Dritte oder selbst empfangene Hilfe von Mitgliedern des Netzwerks von Bekannten und Verwandten; konkrete Angabe der Arten von Hilfe, z.B. Hilfe beim Einkaufen, Kinderbetreuung, Hinterlassen eines Vermächtnisses, die Zahlung von Gesundheitskosten oder Bildungskosten. Vergleichbare Informationen wurden erfragt über Nachbarn und Freunde, mit denen der Befragte helfende Beziehungen hat. Bei wesentlichen Unterstützungsleistungen wurde das Muster der Hilfe über das ganze Leben erfasst. Die Rolle der Eltern und von Verwandten und Freunden bei Entscheidungen über die Auswahl der Partner und die Planung der Familiengröße.