Europa: Christliche Identität und/oder multikulturelle Synthese?
In: Politische Studien: Orientierung durch Information und Dialog, Band 55, Heft 397, S. 31-38
ISSN: 0032-3462
Im Kontext der Debatte um die Frage, wie christlich Europa im 21. Jahrhundert (noch) ist, beschäftigt sich der Beitrag mit der religiösen bzw. kulturellen Identität in Europa. Dementsprechend beginnen die Ausführungen mit einer Bestimmung der Schlüsselbegriffe Identität und Identifikation. Identifikation geschieht durch Abgrenzung. Das Andere ist damit immerhin Quelle der Selbsterkenntnis und Selbstbejahung - man weiß, wer man ist, wenn man zu sagen vermag, wer man nicht ist oder nicht sein möchte. Die Identitätsebene, die man erfährt, hängt ab von dem Rahmen, in dem man sich jeweils bewegt. Identitäten sind aber auch manipulierbar, und zwar sowohl durch das Individuum selbst als auch durch andere. Das bedeutet, dass Identität von Projektionen gesteuert wird, die durchschaut werden, wenn man erkennt, womit man sich identifizieren will. Demnach kann die Herausbildung Europas als die Konkurrenz von konfessionellen Identitäten begriffen werden. Europa ist kein geographisches Faktum, sondern das ständige Projekt, das sich in einem gemeinsamen Kommunikationsraum unterschiedlicher Gesellschaftenständig verwirklicht. Dieses Projekt beruht auf einem kulturellen Gedächtnis, das zu vergegenwärtigen der stetige Rahmen ist, in dem sich Europa politisch und kulturell ereignet. Dies belegen historische Erfahrungen der Renaissance, der Aufklärung sowie des 19. Jahrhunderts. Europa ist also die ständige Neu-Justierung und Neu-Konstellation der Kräfte, die mit den Werte-Orten Athen, Jerusalem und Rom chiffrenartig beschrieben sind. Europa ist das Projekt seiner selbst. (ICG2)