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Ungarn - das politische System

Eine Gesamtdarstellung des politischen Systems der Republik Ungarn von einem echten Kenner der Materie. Die Entwicklung und Veränderung der Institutionenordnung wird aus der Transformationsphase der späten 1980er Jahre heraus erklärt, außerdem geht der Autor auf die aktuellen Europäisierungsprozesse und deren Auswirkungen ein.
Aus dem Inhalt:

Einleitung: Die Genese politischer Systeme
Vom Kádárismus zur Demokratie
Parteien und Wahlen
Der Staatspräsident
Das Parlament
Die Regierung
Das Verfassungsgericht
Territoriale Selbstverwaltung
Das Volk und der Staat
Bilanz: Zwanzig Jahre nach dem Systemwechsel

Etwa ein Vierteljahrhundert ist seit dem Systemwechsel in Ungarn mittlerweile vergangen. In dieser Zeitspanne wandelt sich selbst die politische Kultur nachhaltig. Gleichwohl behaupten zentrale Akteure des Politikprozesses, erst mit den Wahlen 2010 und der neuen Verfassung vom 1. Januar 2012 sei der Systemwechsel endgültig und unwiderruflich vollzogen worden. Die Anhänger dieser These finden sich speziell in der aktuellen Regierungskoalition und in der politischen Rechten, der konservativen Publizistik und in bürgerlich-nationalen Denkfabriken. Doch hat die neue Führung, durch die Zweidrittelmehrheit im Parlament mit nie da gewesenen Handlungsspielräumen ausgestattet, das politische System der Republik Ungarn tatsächlich so verändert, dass man von einem Systembruch sprechen kann? Sind nicht stattdessen viele Maßnahmen reine symbolische Politik? Der Beitrag setzt sich mit der Frage nach Systembrüchen auseinander. Untersuchungsgegenstand ist zunächst die Verfassung selbst, dann die institutionelle Ordnung des Staates in seiner horizontalen und in seiner vertikalen Dimension (vor allem die Reform des Parlamentarismus und das Wahlgesetz), weiterhin der Umbau der Wirtschafts- und Sozialordnung und schließlich die Europapolitik und Europäisierung des Landes. (ICA2)

Nach einem ruhig verlaufenen Systemwechsel wird Ungarn heute von massiven innenpolitischen Konflikten belastet. Die politischen Lager schaffen es nicht, einen Minimalkonsens aufrecht zu erhalten, so dass das Land in einer Blockadesituation verhaftet ist. Dieser Minimalkonsens war infolge der Beitrittsverhandlungen zu NATO und EU erzielt worden. Inzwischen haben sich die Partikularinteressen wieder durchgesetzt und die institutionelle Schranke der Zweidrittelgesetze verhindert die Überwindung der Finanzkrise. Die Ursachen der Blockierung sind der Kartellcharakter des bipolaren Parteiensystems, die Zirkulation der politischen Eliten, die Zentralisierung der Staatsorgane verbunden mit einem Machtverlust des Parlaments, die Schwäche zivilgesellschaftlicher Strukturen, die allgemeine Unzufriedenheit mit der innenpolitischen Lage, die Spaltung des Landes in ein urbanes und ländliches Ungarn sowie die nicht in Übereinstimmung zu bringenden Modernisierungskonzepte des rechten und des linken Lagers.(ICC)

"Mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens ist die Osterweiterung der Europäischen Union (EU), die 1993 mit der Ausformulierung der Kopenhagener Kriterien begann, beendet. Die beiden Nachzügler hatten und haben noch umfangreiche politische und wirtschaftliche Probleme. Dies ist mithin ein Grund, warum trotz aller Reformen Bulgariens und Rumäniens der politische Vertrauensvorschuss zunächst stark begrenzt war. Wenn auch Rumänien und Bulgarien die beiden ärmsten Länder der EU sind, zeigt das bemerkenswerte Wirtschaftswachstum, dass hier eine dynamische Region beigetreten ist. Durch den Beitritt wird die EU zwar heterogener werden, weil sie - betrachtet man die wirtschaftlichen Parameter - am unteren Ende der Skala wächst. Trotzdem werden vom Beitritt letztlich beide Seiten profitieren: Die Altmitglieder von der Stabilität einer komplexen und historisch explosiven Region, die beiden Neumitglieder durch den Zugang zu einem riesigen Markt und einer Zone der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts." (Autorenreferat)

Die Frage, ob sich Ungarn nach der Revolution von 1989 zu einem semi-präsidentielles System entwickelt hat, wird im vorliegenden Beitrag mit einem klaren "Nein" beantwortet. Sämtliche Entscheidungen des Verfassungsgerichts bezüglich des Amtes des Staatspräsidenten erwiesen sich für den Amtsinhaber letztendlich als Niederlage, wohingegen die inhaltlichen Fragen oft zugunsten von Präsident Göncz entschieden wurden. Die Gefechte um die Stellung des Präsidenten waren den Geburtsfehlern der jungen ungarischen Demokratie geschuldet. Das ungarische parlamentarische Regierungssystem orientiert sich inzwischen eher am deutschen. Hier wie dort hat sich im Laufe der Zeit eine friedliche Koexistenz von weitgehend repräsentativem Staatsoberhaupt und richtliniensetzendem Regierungschef entwickelt. Göncz pflegte vor allem in seiner zweiten Amtszeit einen politischen Stil, der ihn zum "Großvater der Nation" machte. Seine Rhetorik war nah am Volk, ohne dabei populistisch zu werden. Er war analytisch, aber nicht abstrakt. Er war Zeit seines Wirkens im Amt des Staatspräsidenten der beliebteste Politiker Ungarns. Die Zustimmungswerte betrugen meist über 80 %. Solche Werte können in der Tagespolitik nicht erreicht werden. (ICA2)