Haben die Niederlande ihre multikulturelle Unschuld verloren?: die Krise der Integration im Lande Pim Fortuyns
In: Die missglückte Integration?: Wege und Irrwege in Europa, S. 139-167
Der Beitrag zu nationalstaatlichen Integrationspolitiken befasst sich mit der aktuellen Integrationskrise in den Niederlanden, die unter anderem Ausdruck findet in der Ermordung des rechtspopulistischen Politikers P. Fortuyn und den damit einhergehenden Debatten zu Integration und Multikulturalismus. Wie lässt sich dieser ebenso stürmische wie unerwartete Stimmungswechsel erklären, der alle Kritiken und bitteren Vorwürfe auf die - einst wegen ihren integrativen und pazifizierenden Leistungen von der ganzen Welt beneidete - multikulturelle niederländische Gesellschaft konzentriert? Kaschiert diese Krise der Integration in den Niederlanden - einseitig fokussiert auf die als gefährlich eingestufte Nicht-Integrationswilligkeit muslimischer Allochthonen - nicht den kollektiv geäußerten Wunsch nach einer Generalsanierung der außer Tritt gekommenen eigenen nationalen Identität, und dies vor dem Hintergrund einer breit angelegten Infragestellung des Wohlfahrtsstaates? Für mögliche Antworten wird zunächst aus historischer Perspektive auf die Entwicklung von Migrationsphänomenen und Integrationspolitiken in den Niederlanden eingegangen. Dabei werden folgende Punkte betrachtet: (1) die Niederlande auf dem Weg zum modernen Immigrationsland seit 1590, (2) Multikulturalität und Verzuiling sowie (3) die Wohlfahrtsstaatskrise der 1990er Jahre und die schwierige Integration der Allochthonen. Im Anschluss wird die Entstehung und Ausgestaltung vom 'multikulturellen Drama' zum politischen Fortuynismus veranschaulicht. Die Ausführungen schließen mit einem Blick auf die 'multiethnische' Gesellschaft, geprägt durch die Konfrontation mit der muslimischen Kultur am Beginn des 21. Jahrhunderts. (ICG2)