Sozialpolitische Implikationen ausgewählter vertragstheoretischer Lehren
In: Sozialer Fortschritt: unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik = German review of social policy, Band 51, Heft 1, S. 12-15
ISSN: 0038-609X
In jüngerer Zeit ist eine kontroverse gesellschaftliche Diskussion um die Ausgestaltung des Sozialstaats entbrannt, die sich im Kern auf die Frage des Verhältnisses von Staat und Individuen bezieht, und dabei insbesondere darauf, welche Verantwortung der Staat für die Lebenslage einzelner Gesellschaftsmitglieder zu übernehmen hat. Weniger thematisiert ist hingegen die Frage, welche konkreten sozialpolitischen Ziele ("Einkommensumverteilung" versus "Chancengleichheit") mit Sozialpolitik verfolgt werden sollen. Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, zwei Theorien, die Rückschlüsse auf eine konkrete Ausgestaltung von Sozialpolitik erlauben, zu vergleichen und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Dabei handelt es sich um die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls und die Verfassungstheorie von James Buchanan. Beide Theorien betonen die Bedeutung der individuellen Chancen zur erfolgreichen Teilnahme am riskanten marktwirtschaftlichen Spiel. Ihre sozialpolitischen Implikationen machen die Priorität des individuellen Vermögensaufbaus vor dem Einkommensausgleich in der Sozialpolitik deutlich. Der Vermögensaufbau ist dabei eng verknüpft mit dem sozialpolitischen Ziel der Chancengleichheit bzw. der Chancenwiederherstellung. Diese Forderung kommt einem radikalen Wechsel in der Ausrichtung der Sozialpolitik gleich. Es sollte also von einer hauptsächlich auf die Alimentierung der Individuen abzielenden Sozialpolitik abgerückt werden und eine Hinwendung zu einer Vermögensorientierung in der Diskussion erfolgen. (ICI2)