Alterskonzepte umfassen Vorstellungen, Wertungen, Bilder des Alters. Altersbilder sind Kommunikationskonzepte. Altersbilder werden von uns nicht neu entdeckt. Die Vorstellung, daß Alter, ganz ähnlich wie Gesundheit, nicht als Wirklichkeit existiert, sondern als Idee, als Deutungsmuster und als soziale Praktiken, nicht als biologische Entität, erscheint oft befremdend und ist gelegentlich Anlaß zur Entrüßtung. Was aber wird mit Bildern des Alters kommuniziert? Die vorliegende Studie ist aus einem langjährigen Forschungsprojekt hervorgegangen, in dem ein breites Quellenmaterial ausgewertet worden ist, vor allem Ratgeber aller Art, Anstandsbücher, Kinderliteratur und andere moralische Erzählungen, Familienzeitschriften, Predigttexte, Materialien zur Sozialpolitik für das Alter und biographische Literatur.
Sterben und Tod sind heute wieder Ereignisse, für die die Regeln der Privatsphäre dominieren und die keinen öffentlichen Pflichten unterliegen. Auch angesichts der gestiegenen Lebenserwartung hat sich ein Diskurs über "gutes Sterben" entwickelt. Aus der Kritik an den Umständen des Sterbens im Krankenhaus haben sich Palliativversorgung und Palliativstation entwickelt, die für Sterbendürfen und Sterbeerleichterung stehen. Die besondere Kultur des Sterbens, die der Verfasser basierend auf einer empirischen Studie im Krankenhaus beschreibt, ist durch Ökonomisierung und Diffusion in die Pflegeheime gefährdet. (ICE2)
In seinem Beitrag analysiert der Verfasser den Altersdiskurs in Bezug auf den Hilfebedarf als besonderes Kennzeichen der Lebenslaufphase hohes Alter seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit um 1800 liegt. Im ganzen handelt es sich dem Autor gemäß beim Altersdiskurs um einen Reflektionsprozeß über würdiges beziehungsweise unwürdiges Altersverhalten, der auf eine Verbesserung der Umgangsformen abzielt, im Kern auf eine Neuformulierung und Ethisierung der Generationsbeziehungen, in denen Hilfebedarf und Hilfeleistung ihren Stellenwert besitzen. Anhand von Ratgebern, moralischer Traktatliteratur und Autobiographien zeigt der Autor das sich wandelnde Altersbild auf und analysiert Konfliktlinien des innerfamilialen Generationswechsels. Anschließend wendet er sich der staatlichen Altersfürsorge seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu, die durch die Entkoppelung der direkten Generationsbeziehungen und die "Ver-Ruhestandlichung" des Alters durch das entwickelte System der Rentenversicherung abgeschlossen erscheint. (ICC)
"Aus historisch-systematischer Perspektive werden Grundannahmen der aktuellen Alten- (bzw. Senioren-)Politik diskutiert. Drei zentrale Begriffe: Alter, Ruhestand, Generationsvertrag werden einer kritischen Betrachtung unterzogen. Es wird argumentiert, daß die Altersdebatten in der Regel in polarisierenden Denkmustern stattfinden, die auf traditionelle Generationsbeziehungen zurückgehen. Diese traditionellen Beziehungen (etwa Rücktritt von Geschäften, Besitzübergabe), die, wie gezeigt wird, sehr konfliktreich sein können und eine Reihe wichtiger Gegenseitigkeitsanforderungen stellen, sind heute gesellschaftlich gesehen nicht wichtig. Die Denkmuster werden aber in der Thematisierung der Rentensysteme - als seien die Rentenbezieher die Kostengänger der Beitragszahler - weiter politisch perpetuiert. Die Rentensysteme konstituieren eben keinen 'Generationsvertrag', sie sind Einrichtungen zur Verteilung abstrakter Transferleistungen auf gesetzlicher Grundlage. Polarisierungen bzw. Bedarfs- und Mangelvermutungen ('die armen Alten' vs. 'die überlasteten Jungen') entsprechen allerdings den Aushandlungsmechanismen des politischen Systems, über das die Transferleistungen ökonomisch angepaßt werden müssen. Es wird argumentiert, daß durch dieses Denken makroökonomischer Zusammenhänge in mikrosoziologischen Mustern (Rentenfinanzierung in Familienzusammenhängen gedacht) Teile traditioneller Alterserwartungen reproduziert werden, die hier keine Berechtigung haben: Während unter traditionellen Verhältnissen auch von alten Leuten Gegenleistungen für ihren Unterhalt erwartet wurden, beinhaltet die Idee des Ruhestands gerade das Ende von Verpflichtungen. Die unendliche Diskussion darüber, wie dem Alter Sinn zu geben sei, d.h., wie angeblich desintegrierte alte Leute wieder in Gegenseitigkeitsverhältnisse einzubinden seien, ist daher kritisch zu betrachten." (Autorenreferat)
In seinem Beitrag befaßt sich der Autor mit den Grundlagen der Gesundheitspolitik der Arbeiterbewegung in Berlin während der Weimarer Republik einerseits und der gesundheitspolitischen Lage der Stadt andererseits. Zu Beginn stellt er den Konflikt innerhalb der Arbeiterbewegung in der gesundheitspolitischen Strategie dar, den Zwiespalt zwischen einer Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen als historisch gewachsenem Bestandteil der Arbeiterkultur und der Verbesserung der Lebensbedingungen durch Unterstützung der staatlichen Gesundheitspolitik. Es folgt eine Darstellung der gesundheitspolitischen Probleme Berlins während der Weimarer Republik: (1) Gesundheit und Krankheit in Berlin; (2) Erkrankungshäufigkeit; (3) Geburten und Fehlgeburten; (4) das Auftreten neuer Krankheiten und verändertes Krankheitsverhalten; (5) Ambulatorien und Beratungsstellen; (6) kommunale Gesundheitsfürsorge und -pflege und (7) deren Grenzen und Mängel. Im letzten Kapitel erläutert der Verfasser die gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten im Sinne von Revolutionierung des Gesundheitswesens einerseits und Integration in die staatliche Gesundheitspolitik andererseits. (ICC)
Die Krankenversicherung bzw. die Kassenarzttätigkeit kann nur eine in jeder Hinsicht begrenzte Wirkung haben. Ihre Leistungen befriedigen den materiellen Bedarf von Versicherten unter Bedingungen des hygienischen Pauperismus nur vereinzelt und zufällig. Wenn das so ist, dann kann auch eine unmittelbare Disziplinarwirkung auf die Versicherten nur gering sein, die Institution "schwimmt" auf einer relativ kompakten somatischen Kultur. Allerdings zielen auf diese ja eine Anzahl von Strategien und Institutionen zur "Optimierung" der Lebensökonomie der Unterschichten. Das KVG markiert hier nur einen, vielleicht entscheidenden Schritt, der aber erst mit der allgemeinen Verbesserung des Lebensstandards voll zur Geltung kommen kann. Die Tatsache, daß die bedeutenden Widerstände der Unterschichten gegen die akademische Medizin heute nicht mehr existieren, dabei aber gerade die reguläre Krankenversorgung deutliche Schichtpräferenzen zeigt und breite Klientenkreise benachteiligt, verweist darauf, daß die sozialisierende Wirkung als eine sanfte und kontinuierliche "Unterwerfung" eingetreten sein muß. (SJ)
"Im vorliegenden Beitrag wird die Bedeutung des Schmerzes für die Einnahme neuer Rollen am Beispiel von zwei Bereichen der Gesundheitsversorgung diskutiert. Schmerz kann durch das Erleben körperlicher Zerbrechlichkeit zur Reorganisation von Identität motivieren, wenn diese Statuspassagen in einem günstigen Kontext stattfinden und durch soziale Zuweisungen angeleitet werden. Das trifft sogar dann zu, wenn in sozial unerwünschte Rollen sozialisiert wird, wie am Beispiel der Palliativversorgung und der medizinischen Rehabilitation traumatisch querschnittgelähmter Patienten gezeigt werden kann. In teilnehmenden Beobachtungsstudien wurden Schmerzinteraktionen und Schmerzstrategien untersucht, mit denen die neuen Rollenzuschnitte als behindert und sterbend vereinbart werden. Das Schmerzmanagement besteht in der Balancierung von Schmerzen, Schmerzfreiheit und Körperbewusstsein." (Autorenreferat)