Der Verfasser behandelt die Abwanderung von türkeistämmigen Hochqualifizierten aus Deutschland in die Türkei. Auf der Basis von vier Leitfadeninterviews und zwei E-Mail-Befragungen geht er drei Fragen nach: (1) Können hochqualifizierte AbwanderInnen mit türkischem Migrationshintergrund aus Deutschland in der Türkei wirklich mit dem Begriff TransmigrantIn beschrieben werden? (2) Welche Probleme überschatten die in der Regel als Erfolgsgeschichte dargestellte Abwanderung dieser Personengruppe? (3) Was macht Istanbul als Abwanderungsziel besonders attraktiv? Diese Fragen werden auf der Basis von vier Fallstudien beantwortet. (ICE2)
"Die Angehörigen des mit dem Islam zumindest bekenntnisverwandten Alevitentums bilden nach den Sunniten die größte muslimische Glaubensgemeinschaft in der Türkei.' Im Gegensatz zu Sunniten lehnen Aleviten das enthaltsamkeitsrituelle Fasten im Monat Ramadan, das muslimische Reihengebet in der Moschee, die Scharia und die zeremonielle Pilgerfahrfahrt nach Mekka ebenso ab wie das Verschleierungsgebot für Frauen, das allgemeine Alkoholtabu und die religiös legitimierte Geschlechtertrennung. Stattdessen nehmen Männer und Frauen gemeinsam an den von Tanz und mystischen Liedern begleiteten Cem-Riten in eigens dafür bereitgestellten Gebets- und Versammlungsorten (Cem-Häusern, cemevleri) teil. Aufgrund ihrer mehrheitlichen Missachtung der Fünf Säulen des Islams, ihrer liberaleren Auslegung der islamischen Lehre und 'heidnisch anmutenden' Ritualen scheint ihnen laut Kehl-Bodrogi der Zutritt zu gesellschaftlichen Ressourcen nur über die Verbergung der eigenen Herkunft vor der sunnitischen Mehrheitsgesellschaft möglich zu sein. Dieser Beitrag folgt der These, dass die Geschichte der Aleviten mit der Islamisierungs-, Säkularisierungs- und Re-Islamisierungsgeschichte der sunnitischen (Mehrheits-) Gesellschaft der Türkei untrennbar verbunden ist und die Zunahme der Religiosität der Mehrheitsmuslime Benachteiligungen für die Aleviten bzw. die Verweltlichung der Sunniten eine graduelle Entdiskriminierung mit sich bringt. Es wird daher davon ausgegangen, dass es unter der gemäßigt-islamististischen AKP-Regierung zu einer 'Verschlimmbesserung' der Lage der Aleviten kommt." (Autorenreferat)
Der Autor zeichnet die Entwicklungen des kemalistischen Werte- und Normensystems in der Türkei nach, das im ehemaligen Einparteienstaat zur Konstruktion der Kerngesellschaft der "Nation der westlichen Türken" anstelle der abgeschafften Scharia eingeführt wurde. Ziel der "Sechs Pfeile" war die Entstehung des Glaubens der zu säkularisierenden und zu türkisierenden Beherrschten an die Rechtmäßigkeit der Herrschaft der kemalistischen Staatspartei. Weitere Gründe für das kemalistische Werte- und Normensystem waren die Herbeiführung transethnischer Binnenintegration der zu beherrschenden Bevölkerung zum Schutze vor Abspaltung, die Erschaffung eines türkischen Bürgertums sowie die Herstellung internationaler Souveränität der Türkei zur Sicherung der internationalen Zukunftsfähigkeit. Es wurden darüber hinaus Flagge, Nationalhymne und Atatürk als weitere Identifikationssymbole und Bezugsmerkmale zur Definition der westlich-türkischen Kerngesellschaft zur Konstruktion der modernen türkischen Nation in Abgrenzung von der islamischen oder ethnisch-separatistischen Reaktion benutzt. Aber mit der Einführung des Mehrparteiensystems begann der Wiedereinzug des Islams in Politik und Gesellschaft. Der zunehmende Einfluss des Islams auf die Gesellschaft und Politik, der Zuwachs der pro-kurdischen Bewegung und die von der Europäischen Union verlangten Binnenstrukturreformen hinterfragen die Rolle des Kemalismus heute. (ICI2)