"Es scheint ein internationales Phänomen zu sein, dass in kapitalistischen Ländern neoliberaler Prägung die wachsende soziale Ungleichheit und Polarisierung zunehmend naturalisiert und kulturalisiert wird. Die Autorin über eine derzeit in Großbritannien geführte Debatte und ihr Übertragbarkeit auf Deutschland." (Autorenreferat)
Nach der Jahrhundertwende avancierten die militanten Frauenwahlrechtlerinnen Großbritanniens - die Suffragetten - zu wahren Galionsfiguren moderner und Aufsehen erregender politischer Inszenierungsformen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Visualisierungsstrategien der Bewegung, welche sich in zahlreichen Fotografien, Images und Symbolen widerspiegelt. Die Suffragetten übernahmen Teile des Aktionsrepertoires der Arbeiterbewegung, erprobten spektakuläre Akte kollektiven zivilen Ungehorsams und kreierten neue ikonografische Stilmittel, um ihr Anliegen in der Öffentlichkeit geeignet und medienwirksam zu platzieren. Demonstrative Protestformen, die damit verbundene kollektive Repräsentation des politischen Anliegens und die Formierung der "Truppe" nach innen und nach außen können als wichtige Theatralisierungsmomente der Suffragettenbewegung definiert werden. Exemplarisch für die radikale und militante symbolische Politik der frühen britischen Frauenbewegung ist die Entwicklung der Women´s Social and Political Union (WSPU). Bereits 1904 kam es zu ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritten. Ab 1911 gab die WSPU jedoch ihre demonstrativen Protestformen zugunsten einer Kampagne der "Deeds not Words" auf. Sie bedienten sich zunehmend eines militärischen und religiösen Bild- und Inszenierungsrepertoires und definierten ihren "Guerrilla warfare" als "holy crusade". Da die politisch aktiven Frauen gänzlich dem noch etablierten viktorianischen Bild der sittsamen Haus- und Ehefrau widersprachen, standen militante wie gemäßigte Wahlrechtlerinnen vor der besonderen Herausforderung, sich selbst in einer Perspektive "neuer Weiblichkeit" zu inszenieren, ohne tradierte Geschlechtermuster zu reproduzieren. Einerseits identifizierten sich die Suffragetten als Opfer männlicher Unterdrückung, andererseits agierten sie als aktive Täterinnen und streitbare Schwestern, welche die männlich konnotierten Symbole der politischen Macht gezielt angriffen. Neben der Darstellung einer "neuen Weiblichkeit" spielten auch der Bezug der Bewegung auf Jeanne d´Arc, das britische Empire und die Adaption militärischer Stilmittel eine wesentliche Rolle in Auftreten und Darstellung der Suffragetten in der Öffentlichkeit.
"Der als vergleichende Studie angelegte Beitrag fokussiert die historische russische und britische Frauenbewegung mit dem beginnenden 20. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg. Zu den Hauptthemen der beiden Frauenbewegungen gehörten der gleichberechtigte Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit, die Erlangung allgemeiner ziviler Rechte und der Kampf um politische Partizipation. Die jeweiligen nationalen Kontexte unterschieden sich deutlich in ihren politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, was zu spezifischen Ausprägungen im Feld der sozialen Bewegungen führte. Nichtsdestotrotz lassen sich auch Gemeinsamkeiten bezüglich der Forderungen, Protestformen und Mobilisierung aufzeigen. Auf der Basis einer 'most-different-case selection' wird in dieser Studie systematisch diesen Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf den Grund gegangen, um weiterführend Prozessen von Machtgenerierung und Ermächtigung nachzuspüren." (Autorenreferat)