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Gabriele Dietze: Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus.: Bielefeld: transcript 2019. ISBN: 978-3-8376-4708-2. 222 Seiten, kartoniert, 34 Abb., 19,99 €
Gabriele Dietze untersucht in ihrem Essay Sexueller Exzeptionalismus das Wie und Warum von Überlegenheitserzählungen der Neuen Rechten. Sie konzentriert sich auf das Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht für die zunehmende Verbreitung rechtspopulistischer Positionen. Ihre Analyse soll etablierte sozioökonomische Erklärungsansätze ergänzen und wendet sich Rassismus und Sexismus als "zweiten Strom des neurechten Kraftfeldes" (S. 9) zu. Für dieses Vorhaben betrachtet sie Zeitschriften, Karikaturen, Socialmediaprofile, Romane und Memes, die durch neurechte Akteur*innen erstellt wurden, sie zu Wort kommen lassen oder ihre Überlegenheitsnarrative aufgreifen. Der Essay führt zwei Begriffe ein, die eine Auseinandersetzung mit der Verquickung von Rassismus und Sexismus ermöglichen sollen. Ethnosexismus erfasst Formen "von Sexismus, dem Rassismus zugrunde" (S. 12) liegen, und eine abwertende und rassifizierende "Kulturalisierung von Geschlecht, Sexualität und Religion" (S. 12). Die so produzierte Hierarchie ermöglicht ein Gefühl von Freiheit und Überlegenheit gegenüber den vermeintlich sexuell Unfreien. Die ethnosexistische Konstellation, die titel- und richtungsgebend für den Essay ist, nennt Dietze sexuellen Exzeptionalismus. Angelehnt an den american exceptionalism steht sexueller Exzeptionalismus für die Überzeugung, dass der globale Norden über die "'beste' aller denkbaren Sexualordnungen" (S. 27) verfügt und dass diese in die Welt getragen werden müsse. Dieses Narrativ lenkt von den eigenen Defiziten und Ambivalenzen in Bezug auf Emanzipationsfragen ab: Das eigene Unbehagen und die eigene Rückständigkeit werden zu jenen der Anderen. Das erste Kapitel beschäftigt sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Fixierung auf Sexualität im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen und macht drei Themen aus, an denen sich die Wirkungsweise des sexuellen Exzeptionalismus exemplarisch zeigen lassen: Die sogenannte "Kopftuchfrage" (S. 29), die Infragestellung der Akzeptanz von Homosexualität (S. 30) und die Figur "des sexuell gefährlichen Geflüchteten" (S. 31). Diesen aktuellen Beispielen stellt Dietze eine historische Kontextualisierung zur Seite: Vorgänger des gegenwärtigen sexuellen Exzeptionalismus' sind im sexual-hygienischen Kolonialdiskurs (vgl. S. 33) und der Sexualmoral des fin de siècle zu finden. Ethnosexistische Konstellationen verändern sich also mit der Sexualmoral: "Was [früher] als Schande galt, gilt jetzt als Emanzipationsausweis" (S. 36). Gegenstand des zweiten Kapitels sind die Geschehnisse der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte. Diese konnten zu einem wirkungsvollen Ereignis werden, weil sie auf ein "noch unstrukturierte[s] Meinungsklima" (S. 41) zur Ankunft hunderttausender Geflüchteter im selben Jahr gestoßen sind. Sie hatten zahlreiche (rechts)politische Konsequenzen und wurden unter der Chiffre Köln "zu einem Topos für neurechtes Denken und Fühlen" (S. 43). Dieser Topos wird weltweit von Neuen Rechten aufgegriffen. Er konnte so wirkmächtig werden, weil die damit verbundenen Gefühle und vermeintlichen Zusammenhänge gefühlt und gesehen werden wollen (vgl. S. 45). Davor sind auch zunächst betrauerte Schicksale nicht gefeiht: Aus den Toten des europäischen Grenzregimes werden potenzielle Gewalttäter, jedes zugewanderte Kind könnte zu einem "erwachsenen Belästiger" (S. 46) heranwachsen. Fantasien der Vernichtung der Anderen zum Schutze der Eigenen infiltrieren Diskurse, die sich zuvor noch wohlwollend zur Aufnahme von Geflüchteten geäußert haben. Der liberale sexuelle Exzeptionalismus wird vom rechtspopulistischen "überholt und angepasst" (S. 48). Die liberale, bürgerliche Presse beteiligt sich, so vollzieht Dietze einleuchtend nach, an der Konstruktion eines "Wissensobjekt[es] 'arabischer Mann'", das nicht Fakten entsprechen muss, sondern Wahrheiten über dieses Wissensobjekt produziert. Die Presse dokumentiert, welche Auswirkungen sexueller Exzeptionalismus auf die Subjektivierung von jungen muslimischen Männern hat, und bedient sich zugleich der von Edward Said herausgearbeiteten Sexualisierung des 'Orientalen'. Ethnosexistische Konstellationen müssen nicht dauerhaft präsent sein, um Wirksamkeit zu entfalten, sondern werden strategisch aufgerufen, um später, wenn sie keinen Vorteil mehr bieten, wieder zu verschwinden (S. 55). Dabei setzen diese Konstellationen asymmetrische Geschlechterverhältnisse voraus und verstärken sie, indem sie sich immerzu auf eine vermeintlich schützenswerte weibliche Schwäche berufen. Zu Beginn des dritten Kapitels unterzieht die Autorin die diagnostizierte Krise weißer Männlichkeit einer kritischen Revision. Weiße Männlichkeit sei nicht ernsthaft gefährdet, vielmehr nehmen "(heterosexuelle) weiße Männer" (S. 60) wahr, dass vereinzelt Menschen in ihren Machtfeldern auftauchen und mitreden, die nicht mit ihnen identisch sind. Dieser Exklusivitätsverlust sei es, der als Krise empfunden wird. Im Angriff gegenüber dieser Krisenabwehr werden all jene aufgestellt, die keine weißen Männer sind. Und diese Abwehr "bewegt sich also immer in ethnosexistischen Konstellationen." (S. 60) Die von Dietze diskutierten Selbstinszenierungen weißer Männlichkeiten, wie beispielsweise die postheroische und die heroische Männlichkeit, und dessen, was sie abwehren, führen vor Augen, wie vielgestaltig sexueller Exzeptionalismus und seine Konstruktionen sind. Ihre Überlegenheitserzählungen bedienen sich dabei nicht nur offenkundiger Rassismen und Misogynie, sondern greifen auch Remaskulinisierungsfantasien, sozialdarwinistische Ideen und Homonationalismen auf. Das vierte Kapitel widmet sich den Anknüpfungspunkten der Neuen Rechten im Feminismus. Dietze bespricht zu Beginn die Wirkmächtigkeit von Alice Schwarzers Positionen als feministische "Bewegungspionierin" (S. 99) und stellt deren Ermöglichungsbedingungen heraus. Auch Schwarzer nutzt sexuellen Exzeptionalismus als Argumentationsgrundlage. Durch die Universalisierung der weißen Frau in der Kategorie Frau und die "Ethnisierung von Sexismus" (S. 101) als Eigenschaft der Anderen stellt sie eine Überlegenheit weißer Männer her und lässt deren Sexismus und Rassismus vergessen. Der hier fehlenden Verknüpfung von Antirassismus und Feminismus wird Sara Farris' Konzept des Femonationalismus' gegenübergestellt. Dieses identifiziert und erklärt die neoliberale und nationalistische Indienstnahme feministischer Forderungen. Jedoch bewertet Dietze das Konzept als für ihre Analyse zu wenig differenziert und übernimmt lediglich den Begriff des feministischen Ethno-Nationalismus'. Beispielhaft für feministischen Ethno-Nationalismus führt Dietze den französischen Mainstreamfeminismus an. Diesem Feminismus sei es ein Anliegen, muslimische Frauen vom Kopftuch zu befreien und den Männern die Freiheit zu lassen, Frauen gegenüber aufdringlich (oder auch übergriffig) zu sein (vgl. S. 115). Er macht sich so zum Komplizen des französischen Machismo und Nationalismus'. Im Rest des vierten Kapitels widmet sich die Autorin rechten Frauen(politiken). Sie portraitiert Frauen, die innerhalb der Neuen Rechten, sei es in deren ThinkTank, in der identitären Bewegung oder der AfD, eine gewisse Bekanntheit genießen und für unterschiedliche Seiten der Geschlechterpolitiken der Neuen Rechten stehen. Sie knüpfen in ihrer öffentlichen Selbstinszenierung an Bedrohungs- und Überlegenheitserzählungen an und führen teilweise paradoxe Existenzen, wie Dietze am Beispiel der Frauen an der Spitze rechtpopulistischer Parteien herausarbeitet: Sie vertreten eine Frauenpolitik, die politische Arbeit, wie sie sie betreiben, verunmöglichen würde. Zugleich stellen "[r]echtspopulistische Frontfrauen […] ein dynamisches Paradox dar. Als weibliche Anti-Feministinnen delegitimieren sie Gleichheitsforderungen von Frauen. Das geht umso besser, je erfolgreicher und sichtbarer sie selbst sind." (S. 140) Raewyn Connells Konzept hegemonialer Männlichkeit bietet im letzten Kapitel den Interpretationsrahmen für das Verhältnis zwischen den von Dietze herausgearbeiteten Männlichkeiten, deren Vorstellungen von Macht und Überlegenheit und der Komplizinnenschaft bestimmter feministischer Strömungen. Zur Erklärung dieser Komplizinnenschaft führt Dietze, leider etwas knappgehalten, drei Thesen an. Die erste bezieht sich auf die Angst der Frauen vor der Freisetzung als ökonomisches Subjekt im Neoliberalismus, den unter anderem die stete Aushöhlung des Staates kennzeichnet. Die Verunsicherung des Staates übertrage sich auf dessen Subjekte, die darauf mit Renationalisierung reagieren. Die zweite greift das Thema Komplizinnenschaft explizit auf: Sich mit dem Rechtspopulismus gemein zu machen, ermöglicht ein Gefühl der Überlegenheit, das Selbstermächtigung verspricht. Die letzte These geht von einer Emanzipationsverdrossenheit aus. Diese Verdrossenheit stelle sich bei jenen ein, die sich durch die permanente Thematisierung der noch nicht abgeschlossenen Gleichstellung der Geschlechter, abgewertet fühlen. Dietze schließt ihren Essay mit der Forderung nach einer selbst- und herrschaftskritischen, intersektionalen Analyse rechter Erzählungen. Gabriele Dietze bezieht in ihrem Text sprachlich klar Position gegen die neue Rechte. Der Essay macht es so leicht, sich von neurechten Personen, Positionen und ihrer öffentlichen Wirksamkeit zu distanzieren. Pauschalisierungen und Pejorative verhindern an vielen Stellen eine Auseinandersetzung mit der Mehrdeutigkeit des Materials, die ebenfalls zu ihrer Wirkmächtigkeit beiträgt. Diese fehlende Differenzierung holt die Autorin nur in ihrer Diskussion der feministischen Antworten auf die Silvesternacht 2015 in Köln ein. An anderen Stellen bleiben medien- und literaturwissenschaftlich zweifelhafte Einordnungen unkommentiert stehen und trüben die analytische Schärfe des Essays. Der Autorin gelingt es, entlang zahlreicher Beispiele nachzuweisen, wie Sexualität und Geschlecht im Rechtspopulismus diskursiv in Stellung gebracht werden und diese Narrative in liberalen Medien Eingang finden. Die Fülle und Medienwirksamkeit des Materials verdeutlichen, dass die neue Rechte kein Randphänomen (mehr) ist. Die Arbeit mit dem Konzept des sexuellen Exzeptionalismus zeigt, wie Fortschritts- in Überlegenheitserzählungen kippen und von reaktionären politischen Kräften in Dienst genommen werden. Allerdings gerät durch das Augenmerk auf die neue Rechte und ihre Narrative die deutsche Vergangenheit aus dem Blick. Da die neue Rechte im deutschen Kontext keineswegs geschichtslos ist, ist eine Berücksichtigung der Kontinuitäten altrechter Positionen in der neuen Rechten und der deutschen Öffentlichkeit, gerade im Hinblick auf das Erklärungspotenzial von Geschlecht und Sexualität für die Verbreitung derartiger Positionen vielversprechend.
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Julia Roßhart: Klassenunterschiede im feministischen Bewegungsalltag. Anti-klassistische Interventionen in der Frauen- und Lesbenbewegung der 80er und 90er Jahre in der BRD.: Berlin: w_orten & meer 2016. (Reihe: wissen_bewegen). ISBN 978-3-945644-06-5. 567 S., Preis: € 19,80
Julia Roßhart fragt in ihrem Buch nach antiklassistischen Interventionen innerhalb der autonomen Frauen-/Lesbenbewegung der 80er und 90er Jahre in Westdeutschland. Damit greift sie die unlängst wieder populäreren Themen Klasse und Klassismus auf und wirft mit ihrer Frage einen Blick zurück in einen so bisher wenig betrachteten Teil feministischer Bewegungsgeschichte. Dieser Blick zurück ist gekennzeichnet durch eine breite Sichtung von Texten, darunter auch verschriftlichte Gespräche aus Frauen-/Lesbengruppen, und Expertinnengespräche, die sie selbst geführt hat. Ihre Betrachtung hört allerdings nicht bei dem Material auf, das ihr konkret vorliegt. Sie würdigt auch die Interventionen, auf die im Material verwiesen wird. So erarbeitet sie ein Bild der feministischen Auseinandersetzung mit Klassenunterschieden, das über die Untersuchung schriftlich verfasster Kritiken hinausgeht und breit gefächert Material zum Themenfeld einbezieht. Die Urheber*innen der Materialien, die Roßhart in ihrer Arbeit sichtet, befanden sich mit den Themen Klassenherkunft und -erfahrung in einer zweifachen Randposition innerhalb der politischen Linken: Viele Frauen/Lesben haben sich in geschlechterhomogenen Gruppen organisiert, da ihre Belange in anderen Gruppen zum Nebenwiderspruch erklärt worden waren. Die Klassenfrage war dort Primus. Klasse wurde dadurch allerdings in Frauen-/Lesbengruppen häufig nebensächlich (S. 42ff). Das Buch ist in zwölf Kapitel unterteilt, die wiederrum in Unterkapitel untergliedert sind. Eine weitere Unterteilung der Unterkapitel findet dort statt, wo es die im Text besprochenen Perspektiven anbieten. Die Einleitung erläutert Forschungsfrage, Forschungsstand und den Aufbau des Buches. Außerdem dient sie der Begriffsklärung beziehungsweise der Offenlegung der sprachpolitischen Entscheidungen der Autorin. Im Vergleich zu anderen Texten aus den Sozialwissenschaften wird damit bereits in der Einleitung die wichtige Frage nach der Benennungspraxis bestimmter Sachverhalte geklärt. Zwei für das Buch zentrale Begriffe, den der Klasse und den des Klassismus klärt Roßhart in diesem Kapitel jedoch nicht. Dieses Vorgehen liegt in ihrem Forschungsansatz begründet, der nicht den Abgleich mit Begriffen und Theorien, sondern Interventionen gegen Herrschaftsverhältnisse ins Zentrum der Diskussion stellt. Damit rückt der Fokus von der Autorin und ihrem Verständnis von Klasse und Klassismus weg und hin zu dem der Aktivist*innen, die Teil dieser Interventionen waren. Diesen Ansatz, den damit verbundenen Forschungsprozess und den Zugang zu den Gegenständen ihrer Auseinandersetzung erläutert sie im zweiten Kapitel näher. Dabei reflektiert Roßhart, in welchem Verhältnis ihre gesellschaftliche Position und ihre Erfahrungen zu ihrem Forschungsgegenstand stehen und welchen Einfluss das auf ihre Arbeit hat. Ebenso legt die Autorin offen, wie sie ihre Quellen kontextualisiert und welche Funktion diese Kontextualisierung für ihre Arbeit hat. Zuletzt listet sie eine Reihe von Fragen, die sie an die Interventionen stellen will. Dabei geht es einerseits um die Interventionen an sich, also um die Aktionen, die Akteurinnen, den Bewegungskontext und die Themensetzung. Andererseits befragt Roßhart die Interventionen nach ihrem Verhältnis zu Kapitalismuskritik und Ökonomietheorie, nach ihrem Verständnis von Klassismus und anderen dazu interdependenten Herrschaftsverhältnissen wie Rassismus, Antisemitismus und Ableismus und nach einer möglichen Unterscheidung zwischen Klassenherkunft und Klassenerfahrung. Die neun darauffolgenden Analysekapitel werden diesem Programm in großen Teilen gerecht. Davon befassen sich sechs mit Binneninterventionen innerhalb der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung in der BRD. Die DDR klammert Roßhart bis auf einige Anmerkungen zu Bestrebungen westdeutscher Gruppen, sich mit Gruppen aus der ehemaligen DDR in den 90er Jahren zu vernetzen, aus. An die sechs Kapitel zu Binnenkritik schließen sich noch weitere drei an: Eines widmet sich feministischen, antiklassistischen Interventionen in Hochschule und Wissenschaft und zwei weitere nehmen Interventionen in den Blick, die in den Niederlanden und den USA ihren Ursprung genommen haben. Die sechs Kapitel mit Bezug auf die BRD befassen sich mit einer großen Bandbreite an Formaten: Angefangen bei einem verschriftlichten Gespräch zwischen zwei Frauen/Lesben mit unterschiedlichen Klassenerfahrungen, das aus einem Aufsatz entnommen wurde, Texte, Umverteilungspraxen und Workshopankündigungen und -dokumentationen von zwei Proll-Lesben-Gruppen aus Berlin; Veröffentlichungen der afro-deutschen Frauenbewegung insbesondere von Audre Lorde, einem Aufsatz von Ilona Bubeck, den Ausgaben der radikalfeministischen Lesbenzeitschrift Ihrsinn und den Protokollen ihrer Redaktionssitzungen bis hin zu einem Artikel einer Berliner Frauenlesbengruppe und ergänzenden Interviews. Dabei wechseln nicht nur die Formate, sondern auch die Perspektiven, die aus den Dokumenten sprechen, und die Formen von und Ansprüche an Wissensbildung. Die Diskussion der Interventionen im Raum Hochschule stellt die hochschulspezifischen, klassistischen Ausschlüsse und die Auseinandersetzungen der Arbeiter*innentöchter mit diesen in den Mittelpunkt. Es handelt sich dabei um den einzigen Exkurs, in dem Roßhart das Bewegungsaußen in ihre Untersuchung einbezieht. Jedoch ist die Betrachtung gerade deshalb aufschlussreich, weil besagte klassistische Ausschlüsse die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas im Raum Hochschule bis heute erschweren. Um so interessanter ist, dass die Autorin eine Vielzahl von Forschungsvorhaben, die die Hochschule als klassistisch strukturierten Raum und die Position von Arbeiter*innentöchtern darin thematisieren, in die Sammlung der Interventionen aufnimmt. Es geht also nicht nur um die Auseinandersetzung mit dem Herrschaftsverhältnis und dessen Auswirkung auf Betroffene, sondern konkret um die Schaffung eines wissenschaftlichen Diskurses zu diesem Thema durch Betroffene. Die sich daran anschließende Diskussion des Verhältnisses zwischen Frauenbewegung und Frauenforschung endet mit einer kurzen Besprechung der Tendenzen in der Theorie und der Praxis der Gender Studies an Hochschulen in Bezug auf Klassismus als zugangsbeschränkendem Faktor zum Fach und die dort stattfindende Wissensbildung. Die zwei Exkurse zu Interventionen, die außerhalb des deutschsprachigen Raums stattgefunden haben, nennt Julia Roßhart passenderweise "Denkanstöße". Es handelt sich jeweils um Bücher bzw. Texte, die später ins Deutsche übersetzt wurden. Im niederländischen Bewegungskontext befasst sich die Autorin insbesondere mit Anja Meulenbelts Buch Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus, welches 1985 in den Niederlanden erscheint und drei Jahre später im deutschen Buchhandel verfügbar ist. Für den US-amerikanischen Kontext untersucht Roßhart Aufsätze von bell hooks, die ab den frühen 1990er Jahren auf deutsch zugänglich waren, wobei sie vor allem den Text Schwesterlichkeit: Politische Solidarität unter Frauen im Exkurs analysiert. Spätestens nach der Übersetzung haben diese Interventionen auch Einfluss auf die deutsche Frauen-/Lesbenbewegung genommen. Mit diesem Einfluss befassen sich die Exkurse zum einen durch eine Betrachtung der Rezeption in der BRD. Zum anderen werden hooks und Meulenbelt als Quellen und Textgrundlagen in der Kontextualisierung der einzelnen Interventionen in der BRD besonders häufig referenziert. So werden die historisch zwar gleichzeitigen, aber geographisch getrennten Interventionen immer wieder innerhalb der Arbeit Roßharts miteinander in Verbindung gesetzt. Insgesamt wird das Buch den Erwartungen gerecht, die die Einführungskapitel wecken. Die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit den klassen- und herrschaftskritischen Interventionen sind systematisch und detailliert aufbereitet. Auch mit wenig Vorwissen über die Frauen-/Lesbenbewegung der 80/90er Jahre ist der Text durch die stetige Einordnung in den Bewegungskontext gut verständlich und die Lektüre eine Bereicherung. Wie Roßhart selbst feststellt, konzentrieren sich die Interventionen, die sie untersucht hat, in einem mehrheitlich studierten, weißen, nicht-migrantischen Umfeld (S. 510). Im Gegensatz zur Feststellung, dass die Mehrzahl der untersuchten Interventionen in Lesbengruppen ihren Ursprung haben, lässt sich diese Tendenz jedoch nicht durch eine stärkere Betroffenheit von ökonomischen Ungleichheiten erklären. Folgerichtig macht die Autorin in ihrem Fazit darauf aufmerksam, dass es eine differenziertere Auseinandersetzung mit den einzelnen Strömungen innerhalb der Frauen-/Lesbenbewegung geben müsste, um Aussagen über anti-klassistische Eingriffe außerhalb der beschriebenen Gruppe treffen zu können. Auch heute sind Klassenherkunft und Klassismuserfahrung keine populären Themen in der feministischen Debatte. Binnenkritik ist nach wie vor schwierig, da sie in dem Ruf steht zu spalten und nicht etwa die Auseinandersetzung mit den Verhältnissen zu vertiefen. Die Arbeit von Julia Roßhart zeigt aber das Gegenteil. Und so ist das Buch nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern lässt sich selbst ebenfalls als Intervention in die feministische Bewegung lesen. Sicherlich bleibt es eine akademische Arbeit und muss sich damit den ebenfalls im Buch thematisierten und kritisierten Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Schreibens fügen. Das macht die Arbeit sowohl in ihrem Format wie auch auf einer sprachlichen Ebene für einen nicht-akademischen Bewegungskontext schwer zugänglich. Jedoch kann das auch schwerlich das Ziel eines Buches sein, das in seinem Kern eine Dissertation ist. Dass Hochschule ein klassistisch strukturierter Raum ist und damit auch alles Schreiben und Sprechen in diesem Raum von Klassismus mitgeformt ist, reflektiert Roßhart allerdings, wie bereits ausgeführt, und stellt somit nicht nur Fragen an die Geschichtsschreibung der Bewegungsforschung, sondern auch an die zunehmende Akademisierung des Feminismus und eine problematische Klassenblindheit. Formal sorgt die Abgeschlossenheit der Kapitel, die dazu einladen den Text nicht linear zu lesen, für eine gewisse Redundanz, was jedoch für die Verständlichkeit des Buches kein Hindernis darstellt. Ebenso motiviert ein Verweissystem im Text dazu, im Buch zu blättern und so an andere Stellen im Text zu gelangen – und damit auch an andere Orte und Zeitpunkte in der Frauen-/Lesbenbewegung – die sich mit gleichen oder ähnlichen Themen befassen. Eine lineare Lektüre hingegen ergibt eine Erzählung, die einen kritischen, suchenden Blick auf die Gegenwart erlaubt. Der gleichzeitige Blick auf Vergangenheit und Gegenwart, den der Text einfordert, provoziert auch den Entwurf einer Zukunft, der sich den Klassenverhältnissen annimmt, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Klassenunterschiede im feministischen Bewegungsalltag als Arbeit an Archiven und Dokumenten, sowie als Eingriff in die Bewegungsforschung und den akademischen Feminismus und schließlich als Aufforderung an die Zukunft der feministischen Theorie und Praxis ein sehr lesenswertes Buch ist.
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