Die Solidarität ist im Vergleich zur Freiheit und zur Gerechtigkeit merkwürdig »theorielos«. Liegt dies an der Dominanz eines politischen Liberalismus aus vorindustriellen Zeiten, der unser Denken bis heute prägt? An die sozialphilosophischen Aufbrüche des französischen Solidarismus von Akteuren wie Léon Bourgeois, Alfred Fouillée und Charles Gide erinnernd, fragt Hermann-Josef Große Kracht, ob es nicht an der Zeit ist, die philosophischen Freiheitslektionen des 18. Jahrhunderts mit den soziologischen Solidaritätslektionen des 19. Jahrhunderts zu einem postliberalen Solidarismus zu verbinden.
Der Begriff der Solidarität, der in der Zeit nach der Französischen Revolution geprägt wurde, steht in einer spezifischen Spannung zu den liberalen Sozialtheorien des 18. Jahrhunderts. Während er in den Sozialwissenschaften, bei Comte und Durkheim, als zentrale Beschreibungskategorie arbeitsteiliger Gesellschaften fungiert, avanciert er im Solidarismus der Jahrhundertwende (u.a. bei Léon Bourgeois) zum republikanischen Legitimationskonzept des entstehenden Wohlfahrtsstaates. Im 20. Jahrhundert erlebt er dann jedoch theoretisch und programmatisch einen eigentümlichen Niedergang. Hermann-Josef Große Kracht wirft in seiner Ideengeschichte des Solidaritätsbegriffes die Frage nach einem 'Neustart solidaristischer Vernunft' auf.
Andreas Exner: Ökonomien der Gabe - Frühsozialismus, Katholische Soziallehre und Solidarisches Wirtschaften. Wien, Berlin: Mandelbaum 2021. 978-3-85476-895-1
Die Solidarität ist im Vergleich zur Freiheit und zur Gerechtigkeit merkwürdig »theorielos«. Liegt dies an der Dominanz eines politischen Liberalismus aus vorindustriellen Zeiten, der unser Denken bis heute prägt? An die sozialphilosophischen Aufbrüche des französischen Solidarismus von Akteuren wie Léon Bourgeois, Alfred Fouillée und Charles Gide erinnernd, fragt Hermann-Josef Große Kracht, ob es nicht an der Zeit ist, die philosophischen Freiheitslektionen des 18. Jahrhunderts mit den soziologischen Solidaritätslektionen des 19. Jahrhunderts zu einem postliberalen Solidarismus zu verbinden.
Birgit Rommelspacher: Wie christlich ist unsere Gesellschaft?: Das Christentum im Zeitalter von Säkularität und Multireligiosität. Transcript 2017. 978-3-8376-3496-9
In den öffentlichen Debatten um die »Renaissance der Religionen« wird u.a. deutlich, dass das Verhältnis der modernen Gesellschaften zu den fortbe- stehenden Religionsgemeinschaften in ihrer Mitte bis heute keineswegs ge- klärt ist. Dies gilt partiell auch für den Katholizismus, die sich zunächst auf ein strikt ultramontan-antimodernistisches Selbstverständnis festgelegt hatte, heute aber zu einem wichtigen Unterstützer der Menschenrechte und der De- mokratie geworden ist. Der Beitrag zeichnet zunächst nach, wie der deutsche Katholizismus im 19. Jahrhundert gleichsam in eine »Öffentlichkeitsfalle« geriet, die ihm ungewollte, aber wichtige Lernerfahrungen mit der politischen Moderne vermittelte. Dadurch integrierte er sich zusehends in das Profil einer demokra- tischen Republik, trug aber auch dazu bei, dass diese selbst ebenfalls ungewollte, aber wichtige Lernschritte im Umgang mit kultureller Pluralität und religiöser Dif- ferenz vollzog. Anschließend wird dann knapp das mit der Französischen Revo- lution entstandene Leitbild einer strikt säkular verfassten Staatlichkeit rekon- struiert, die sich im Namen der Demokratie von allen religiösen bzw. ersatzre- ligiösen Legitimationsquellen des Politischen emanzipiert, ohne sich deshalb als ein laizistisch-liberaler Weltanschauungsstaat verstehen zu müssen. Auf dieser Grundlage wird es möglich, das Verhältnis der Republik zu den Religionen nicht als Konkurrenz, sondern als prinzipiell produktive Komplementarität zu fassen. Damit lassen sich Perspektiven gewinnen, die eine selbstbewusste staatliche Säkularität mit einer zivilgesellschaftlichen Religions- bzw. Religionenfreund- lichkeit verbinden und dazu beitragen können, in den gegenwärtig oft überhitzt geführten Debatten um den Umgang der Demokratie mit wiedererstarkten Re- ligionen »einen religionspolitisch kühlen Kopf« zu behalten. In current debates about the «renaissance of religions» it becomes – amongst other things - apparent that to this day the relationship of modern societies to the persisting religious communities in their middle has by no means been clarified. This can also be applied partially on the Catholicism, which initially had committed itself to an ultramontane and anti-modernistic self-conception, has in these days turned into an important supporter of human rights and demo- cracy. This article lines out how in the 19th century the German Catholicism fell into a «publicity trap», which imparted unwanted but important learning experiences with the political Modernity. Therewith, Catholicism visibly blend- ed into the profile of a democratic republic, but also contributed to the republic's development of making unwanted but important steps of learning in dealing with cultural plurality and religious diversity. Afterwards, the mission statement - which developed with the French Revolution – of a strict secular composed statehood will be reconstructed tersely. In the name of democracy the statehood had eman- cipated itself from all religious and replacement religious legitimation source of politics, without having to understand itself as a secular-liberal philosophy country. On this basis it is possible to comprehend the relationship of the republic to the religions not as a competition but as a basically productive complementarity. With this perspectives can be gained, which connect a selfconfident state secularity with a civil societies religion - or religions-friendliness. Those perspectives can contribute to keeping «a religious political cool head» in the current often overheated debate democracy's way of dealing with strength regaining religions.