Kommunalfinanzen, Kommunalunternehmen, Kommunalpolitik im Deutschen Kaiserreich
Durch die Reichsgründung vom 18. Januar 1871 wurde die Idee von einem deutschen Zentralstaat (etwa nach französischem Vorbild), die noch 1848 als Vision bestanden hatte, endgültig verworfen. Der 'Bund souveräner Fürsten' war gewissermaßen der Grundstein des dreigeteilten deutschen Föderalismus. Die kommunale Ebene als dritte administrative Einheit ist allerdings erst im Laufe der Zeit zu ihrer vollen Bedeutung gelangt. Der Betrachtung und näheren Untersuchung dieses kommunalen Entwicklungsprozesses ist die vorliegende Arbeit schwerpunktmäßig gewidmet. Zwei Problemkreise sind dabei von besonderem Interesse: (1) die Frage nach den Motiven der Stadtentwicklung und (2) die Frage nach deren Erfolg. "Bei der erste Frage geht es vor allem darum, ob die Städte die Zunahme ihrer Bedeutung eventuelle bewusst aktiv beeinflusst haben, ob jene Entwicklung einzig und allein als Anpassung an die geschilderten Wachstumsprozesse interpretiert werden muss und man demzufolge mit Recht von einer Systemimmanenz der kommunalen Handlungsdynamik sprechen kann. Die Erfolgsfrage soll dann anhand der konkreten Ausprägungen der Lebensverhältnisse in den Städten überprüft werden, wobei zunächst die Frage der individuellen Belastung der einzelnen Bürger von Interesse ist. Daran anschließend wird die Versorgungslage einer näheren Betrachtung unterzogen. Eine im Großen und Ganzen gleichförmige Situation soll dabei als Ausprägung des Erfolgs verstanden werden" (Hühner, a. a. O., S. 1f).
Die vorliegende Arbeit vermittelt einen Eindruck über die Entwicklung der größeren deutschen Kommunen vor dem ersten Weltkrieg, wobei besonderes Gewicht auf die wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Aspekte dieser Entwicklung gelegt wurde. Dabei wurden alle bedeutenden Bundesstaaten des Deutschen Reiches berücksichtigt, so dass u. a. auch die teilweise existierenden regionalen Besonderheiten in den gesetzlichen Rahmenbedingungen identifiziert werden konnten. Die Vielzahl berücksichtigter Städte soll ein möglichst umfassendes Bild von den städtischen Verhältnissen im gesamten Reich vermitteln, insbesondere von eventuell existierenden regionalen Disparitäten.
Im ersten Teil der Arbeit steht die Entwicklung der kommunalen Aufgabenstruktur im Vordergrund. "Eine Auswahl von kommunalen Tätigkeitsfeldern [Armenpflege und Fürsorge; das Schulwesen; die Polizeiverwaltung; die Infrastruktur der Städte: der Hoch- und Tiefbau und die öffentlichen Betriebe] steht stellvertretend für die Gesamtheit der kommunalen Aufgaben. Bei den ausgewählten Bereichen handelt es sich sowohl um 'alte', d.h. auf eine lange Tradition städtischer Zuständigkeit zurückgehende, als auch um neue kommunale Tätigkeiten, welche zuvor von anderen Körperschaften erledigt worden waren oder gänzlich unbekannt sind. Anhand von Zeitreihendaten soll man zum einen erkennen, dass es zu einer Intensivierung jener 'alten' Tätigkeiten gekommen ist, und dass zum anderen die – vor allem finanzielle –Belastung der Kommunen durch die Übernahme der neuen Tätigkeiten weiter zugenommen hat. Durch die gleichzeitige Dokumentation der rechthistorischen Entwicklung soll die Einflussnahme des jeweiligen Bundesstaates oder des Reiches nachgewiesen werden" (Hühner, a. a. O., S. 4).
Im zweiten Teil wird die Entwicklung des kommunalen Finanzierungsrahmens diskutiert, gleichsam die Einnahmeseite des kommunalen Haushaltskontos. In diesem Teil wird untersucht, ob die kommunalen Finanzierungsmöglichkeiten eine den Aufgaben entsprechende Entwicklung zu verzeichnen hatten. Ziel dieser Betrachtung ist, einen Eindruck von der Funktionsfähigkeit der Kommunen als Leistungszentren im historischen Föderalismus zu vermitteln.
Im dritten Teil der Arbeit werden Indikatoren vorgestellt, welche einen Einfluss auf die Entwicklung der der Aufgaben rsp. der damit verbundenen Ausgaben der Gemeinden gehabt haben können. Zu den exogenen Indikatoren zählen: die regionale Lage der Städte im Reich; die Bevölkerungsstruktur in den Städten (Schülerkonzentration, Altersstruktur, Anteil der Industriearbeiterschaft), demographische Entwicklungen (Einwohnerdichte, Bevölkerungswachstum). Zu den endogenen Indikatoren zählen: die Wohnsituation in den Städten (relatives Steueraufkommen, Kindersterblichkeit, das Postwesen) und die individuellen Verhältnisse der Bewohner (Sparkassenwesen, Todesfälle), besondere untersuchungsspezifische Indikatoren (Lehrerdichte, Einnahmeüberschüsse der Gaswerke).
Die konkrete Berechnung ist dann Gegenstand des vierten Teils der Arbeit. Inhalt dieses Teiles ist die konkrete Überprüfung des Zusammenhangs zwischen den Indikatoren der städtischen Lebensverhältnisse und der Entwicklung der kommunalen Ausgaben. Zu diesem Zweck werden insgesamt acht Untersuchungen für separate Ausgabenbereiche in Form von linearen Mehrfachregressionen vorgenommen. Die Untersuchungen beziehen sich auf das Jahr 1912; für dieses Jahr liegen Angaben von teilweise 94 größeren Städten Deutschlands vor.
Im fünften Teil der Arbeit wird anhand der Ergebnisse der Querschnittsanalyse von 1912 die kommunale Situation gegen Ende des Kaiserreiches dargestellt und diskutiert. Gestützt auf die empirischen Ergebnisse wird ein Bild von den nachweisbaren Beeinflussungen der kommunalen Ausgabengrößen entworfen. Hieraus sollen mögliche Differenzierungsmerkmale erkennbar werden, denen man eine positive oder negative Einwirkung auf die allgemeinen städtischen Lebensverhältnisse zuordnen kann. Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, inwiefern es tatsächlich unterschiedliche Entwicklungen der Städte von gravierender Art gegeben hat. Merkmale der Infrastruktur sind hier von besonderem Interesse.
Datentabellen in HISTAT (Thema: Städtestatistik):
Die Daten der Anhangstabellen A3 (Einwohner, Einnahmen, kommunale Nettoausgaben preußischer Städte für die Polizeiverwaltung und die Verwaltung der sonstigen Einrichtungen für die öffentliche Sicherheit für die Jahre 1888, 1898, 1908) und A14 (Indikatoren der Entwicklung deutscher Städte im Jahre 1912) sind als Querschnittsdaten archiviert und können unter der Archivnummer ZA8442 bestellt werden.
A 01: Die Entwicklung der kommunalen Ausgaben in Mark pro Kopf für die öffentliche Armenpflege (1885-1912)
A 02: Die Entwicklung der kommunalen Volksschul-Gesamtausgaben in Mark pro Kopf (1888-1912)
A 04: Die Entwicklung der kommunalen Ausgaben in Mark pro Kopf für den Hochbau (1888-1911)
A 05: Die Entwicklung der kommunalen Ausgaben in Mark pro Kopf für den Tiefbau (1888-1911)
A 06: Die Entwicklung des kommunalen Gesamtschuldenstandes in Mark pro Kopf (1887-1913)
A.07 Bevölkerungsentwicklung, Einwohnerzahl absolut (1871-1913)
A 08: Die Entwicklung der Gemeindesteuereinnahmen in Mark pro Kopf (1888-1913)
A 09: Die Entwicklung der an die Stadtkasse abgeführten Netto-Betriebsüberschüsse der kommunalen Gaswerke in Mark pro Kopf (1890-1913)
A 10: Die Entwicklung der an die Stadtkasse abgeführten Netto-Betriebsüberschüsse der kommunalen Wasserwerke in Mark pro Kopf (1888-1913)
A 11: Die Netto-Betriebsüberschüsse der kommunalen Gas- und Wasserwerke, in % der kommunalen Steuereinnahmen (1891-1912)
A 12: Die Entwicklung der Anzahl der Volksschüler gemessen, in Promille der ortsanwesenden Gesamtbevölkerung (1888-1912)
A 13: Die Entwicklung des Anteiles der älteren Personen (ab 60 Jahre) an der Gesamtbevölkerung (1885-1910)
A 15: Die Einwohnerdichte, Einwohner pro Hektar (1871-1913)
A 16: Die Entwicklung der Kindersterblichkeit, in Promille der Geborenen (1885-1912)
A 17: Die Entwicklung der Anzahl der Sparkassenbücher (1887-1913)
A 18: Die Entwicklung der Sparkasseneinlagen in Mark pro Kopf (1883-1913)
A 19: Die Entwicklung der allgemeinen Sterblichkeit, dargestellt anhand der Sterblichkeitsziffer (Gestorbene auf 10.000 Einwohner) (1885-1912)
A 20: Die Entwicklung der Sterblichkeit in Folge spezieller Krankheiten, dargestellt anhand der Totenziffer (1885-1912)