Religion und sozialer Zusammenhalt in Europa
In: Transit: europäische Revue, Heft 26, S. 101-119
ISSN: 0938-2062
Auf dem Hintergrund der EU-Osterweiterung und auch der Debatten über die neue EU-Verfassung erhält das Nachdenken über die Rolle der Religion und Religiosität für den sozialen und politischen Zusammenhalt Europas neues Gewicht. Der Beitrag untersucht aus religionssoziologischer Sicht nicht nur den Prozess der Säkularisierung in Europa, die objektiven Indikatoren des Rückgangs praktischer Religionsausübung und die Erosion traditioneller Glaubensüberzeugungen, sondern auch die politisch-kulturellen und ethisch-symbolischen Strukturen, die das Zusammenleben der verschiedenen Gesellschaften tragen. Dabei wird einerseits herausgearbeitet, dass ein Prozess der religiösen Aushöhlung der europäischen Kultur im Gange ist, andererseits wird eine zunehmende Tendenz beobachtet, die rein zivilisatorische Kraft, die die europäischen Religionen als Erbe hinterlassen haben, zu bewahren. Dieser Rückbezug auf das religiöse Erbe Europas kann damit zur Produktion gemeinschaftlicher Normen beitragen, und dies unter zwei Vorzeichen: unter dem Vorzeichen der Autonomie, auf der Basis der jüdischen und christlichen Vorstellungen von Anderssein und Beziehung, und unter dem Vorzeichen einer Naturbeherrschung, bei der Natur mehr bedeuten könnte als Rohstoff und Profitquelle. (ICH)