Soziale Partizipation und Persönlichkeitsentwicklung im Vorschulalter: Begriffsklärung und Ergebnisse einer Längsschnittstudie
Die vorliegende Arbeit betrachtet Partizipation aus einer interaktionalen Perspektive und nimmt zunächst eine interdisziplinär orientierte Begriffsbestimmung vor. Daran anschließend werden anhand einer Längsschnittstudie Entwicklungsbedingungen sozialer Partizipationskompetenzen im Vorschulalter untersucht und Förderempfehlungen abgeleitet. Partizipation (Teilhabe) soll in Kontexten wie Schule oder Arbeitswelt Entscheidungen demokratisch legitimieren, individuelle Ressourcen ausschöpfen und soziale Grundbedürfnisse des Menschen befriedigen. Ein engeres Verständnis von sozialer Partizipation aus einer interaktionalen Perspektive erfordert die Beteiligung an den Aktivitäten einer bereits bestehenden Gruppe und die Aushandlung eigener Interessen innerhalb dieser Gruppe und wird in der Arbeit als Prozess anhand dreier Phasen (Anbahnung, Projektierung und Realisierung) dargestellt. Im Vorschulalter werden wichtige Grundsteine für eine erfolgreiche soziale Entwicklung und für den Erwerb von sozialen Partizipationskompetenzen gelegt. In der vorliegenden Arbeit wurden deshalb die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen sozialen Partizipationskompetenzen (Bereitschaft und Fähigkeit) und (1) kognitiven Leistungsparametern (Intelligenz und Perspektivenübernahme), (2) dem Selbstkonzept und (3) dem Konfliktverhalten (Aggression und Schüchternheit) mit 5- bis 7jährigen Kindern mit Hilfe von Kreuzpfadanalysen untersucht. Zudem wurde die Situationsgebundenheit sozialer Partizipationskompetenzen und die Bedeutung struktureller Parameter der Familie und der Kindertageseinrichtung auf explorativer Ebene analysiert. Die Stichprobe bestand aus 334 Kindern (51,5 % weiblich, Altersdurchschnitt zum ersten Messzeitpunkt 5,4 Jahre) in 71 Kindergartengruppen in 21 Kindertageseinrichtungen in vier Bundesländern. Die längsschnittliche Datenanalyse basiert auf drei Messzeitpunkten. Die Ergebnisse zeigen, dass soziale Partizipationskompetenzen über verschiedene Situationen hinweg bedeutsame, aber nur mäßig ausgeprägte, Zusammenhänge aufweisen. Hohe Ausprägungen kognitiver Leistungsparameter gehen mit hohen Erziehereinschätzungen sozialer Partizipationskompetenzen einher. Über die Zusammenhänge hinaus zeigen sich im Längsschnitt bedeutsame Wechselwirkungen zwischen kognitiver Entwicklung und sozialen Partizipationskompetenzen im Vorschulalter. Selbsteinschätzungen zur eigenen Kompetenz hängen im Vorschulalter hingegen nur gering mit Erziehereinschätzungen der sozialen Partizipationskompetenz zusammen. Im Längsschnitt zeigt sich, dass junge Kinder bei der Beurteilung ihrer Kompetenzen zunächst auf soziale Partizipationserfolge zurückgreifen. Später hingegen scheint der Partizipationserfolg dann umgekehrt eher durch das Selbstbild bedingt zu sein. Geringe Partizipationskompetenzen gehen mit hohen Erziehereinschätzungen beim aggressiven (schwach signifikant) und schüchternen Verhalten (mäßig signifikant) einher. Hinsichtlich der Aggression und des schüchternen Verhaltens ergaben sich längsschnittlich betrachtet nur schwache Wechselwirkungen zur sozialen Partizipationskompetenz. Die Kumulation familiärer Belastungssituationen (z.B. Krankheit und akute Finanznot) stellen eine größere Bedrohung für die kindliche Entwicklung dar als der sozio-ökonomische Status der Familie. Mit Blick auf die Förderung sozialer Partizipationskompetenzen lassen sich die Ergebnisse mit einem sozial-konstruktivistischen Ansatz verbinden. Dessen Ziel ist es, intra- und interpersonelle Konflikte auszulösen, deren erfolgreiche Bewältigung produktive Lernprozesse auf kognitiver, emotionaler und behavioraler Ebene anstoßen.