Eine gendertheoretische Untersuchung zu Theorie und Praxis deutschsprachigen Theaters im Zeitalter der Aufklärung. Zeitgleich mit der Neuordnung der Geschlechter im Verlauf des 18. Jahrhunderts finden im deutschsprachigen Raum grundlegende Veränderungen von Theater statt. Beide Neuordnungen sind im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen dieser Jahrzehnte zu sehen. Die Modifikationen betreffen auf institutioneller Ebene Organisation und Struktur der Theatertruppen, auf gesellschaftspolitischer Ebene Funktion und Bedeutung von Theater als wesentlichem Medium des Bürgertums und auf ästhetischer Ebene Spielvorlagen und Spielstil. Sowohl aufgrund ihres Öffentlichkeitscharakters als auch ihrer Wirkungsmacht wird die Schaubühne im 18. Jahrhundert zum begehrten Reformobjekt. Bisher wurde ausschließlich der Einfluss der aufklärerischen Theaterreformen auf die gegenwärtigen Theaterverhältnisse und Theaterkonzepte hervorgehoben, ohne jedoch die geschlechtliche Perspektive zu berücksichtigen. Mit diesem Band liegt erstmals eine gendertheoretische Untersuchung zu Theorie und Praxis deutschsprachigen Theaters im Zeitalter der Aufklärung vor. Beate Hochholdinger-Reiterer, geb. 1968, ist Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Bern.
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Anlässlich des 200. Todestages von Anna Amalia und des 250. Geburtstages des Großherzogs Carl August wurde von der Klassik Stiftung Weimar und dem Sonderforschungsbereich (SFB) 'Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800' der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2007 eine interdisziplinäre Tagung veranstaltet, die sowohl "die internen und externen Zusammenhänge von Politik, Gesellschaft und Kultur [.] als auch einzelne künstlerische und wissenschaftliche Leistungen" (S. 8) des Ereignisraumes Weimar-Jena um 1800 thematisierte. Wurde in der nationalen Wissenschaft des späten 19. und auch des 20. Jahrhunderts die 'Weimarer Klassik' ausschließlich als singuläre literarische Periode aufgefasst, so geht der innovative Ansatz sowohl des SFB als auch der Klassik Stiftung Weimar davon aus, dass es sich bei 'der Klassik' um ein höchst komplexes kulturgeschichtliches Phänomen handelt, "um eine solitäre Verdichtung und Aufgipfelung der Wissenschaften und Literatur von globaler Geltung und Wirkungsmacht, sowohl in der Residenzstadt Weimar als auch in der benachbarten Universitätsstadt Jena." (S. 8) Diese "integrative Grundposition" geht auf Goethes 1825 formulierte Einschätzung zurück, wonach er "Jena und Weimar wie zwey Enden einer großen Stadt anzusehen habe, welche im schönsten Sinne geistig vereint, eins ohne das andere nicht bestehen könnten." (S. 8) Georg Schmidt legt in seinem Beitrag "Das Ereignis Weimar-Jena und das Alte Reich" daher auch die methodischen Vorzüge des 'Ereignisbegriffs' dar. Seit den 1780er Jahren verbarg sich hinter "der Chiffre Weimar" die Doppelstadt Weimar-Jena "mit der ganzen Vielfalt ihres geistigen und literarisch-ästhetischen Potentials", nicht "die Normierung eines bestimmten Stils oder Geschmacks" stand im Vordergrund, "sondern die Ausrichtung auf dieses Zentrum kommunikativer Verdichtung, das kulturelle Höchstleistungen provozierte." (S. 31) Überdies lässt sich das 'Ereignis Weimar-Jena' als "ein Laboratorium" verstehen, in dem u. a. "neue Nations- und Staatsideen kreiert wurden." (S. 32) Die Tagungsschwerpunkte bestimmen auch die Gliederung des von Lothar Ehrlich und Georg Schmidt herausgegebenen Sammelbandes. Trotz der interdisziplinären Ausrichtung dominieren germanistische und historische Beiträge. Den Anfang machen Analysen der historischen Zeitumstände, in denen wesentliche politische Einschnitte, wie das Ende des Alten Reichs oder die empfindliche Niederlage des preußisch-sächsischen Heeres gegen die napoleonischen Truppen 1806, stets mit Blick auf die damit einhergehenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur dargestellt werden. So kann beispielsweise Gerhard Müller in seinem Beitrag "Kultur als Politik in Sachsen-Weimar-Eisenach" zeigen, dass sich der Ruf Weimars und das internationale Ansehen seiner Dichter und Literaten nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 "als unschätzbares politisches Kapital" erwiesen haben und dass mit Hilfe der von den Dichtern und Intellektuellen über Jahre aufgebauten "personellen Beziehungs- und Kommunikationsnetze" (S. 67) der drohende Untergang des Herzogtums abgewendet werden konnte. "Die Kultur ersetzte in dieser besonderen historischen Situation gleichsam die Politik, genauer gesagt das, was man damals unter Staatspolitik verstand, das Handeln der Regenten, Regierungen und Diplomaten. Daß Weimar in der Krisensituation von 1806 in der Lage war, auf ein solches Potential zurückzugreifen, war das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung." (S. 67) Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes widmet sich Interpretationen von wissenschaftlichen und künstlerischen Werken. So liest etwa Ernst Osterkamp Goethes Alterswerk sowohl inhaltlich als auch formal als eine "Poesie der Einsamkeit" (S. 106), die nach Schillers Tod als Ergebnis von Goethes Strategie zur aktiven Bewältigung des Verlustes zu verstehen sei. Die formale Radikalität der späten Werke sei, so Osterkamp, erst durch die gewählte Einsamkeit, durch den Rückzug auf 'das Innere' möglich geworden. Goethe habe darin keinerlei Konzessionen an den Zeitgeist und die Publikumserwartungen mehr gemacht. Wie ertragreich die Erschließung unbeachtet gebliebener Quellen stets sein kann, zeigt Cornelia Brockmann in ihrem Beitrag zum "Repertoire der Weimarer Hofkonzerte", für den sie den umfangreichen 'Katalog über Noten für Instrumentalmusik um 1750' auswertet. Aus theaterwissenschaftlicher Sicht könnten im Katalog verzeichnete Musikalien, die nachweislich in den Zwischenakten des Weimarer Theaters verwendet wurden, weitere Hinweise auf die Aufführungspraxis am lange Zeit unter Goethes Leitung stehenden Hoftheater geben. Die Analyse des Katalogs legt die Vermutung nahe, dass im Bereich der Musik "die Vernetzungen zwischen Wien und Weimar weitaus intensiver waren, als bisher angenommen" wurde. (S. 125) Nicht von ungefähr findet sich im Sammelband daher auch ein eigener Beitrag zum "Ereignis Wien um 1800 – Dichtung und Musik von der Aufklärung zum Biedermeier". Leider erweist sich der von Herbert Zeman verfasste Aufsatz, sowohl was den Zugriff auf die dargestellte Thematik als auch was die verwendete Sekundärliteratur betrifft, als äußerst selbstreferentiell. Während die Herausgeber des Bandes einen klar reflektierten, jeglichem Epochendenken kritisch begegnenden Zugang zum 'Ereignisbegriff' offenlegen, vermisst man in diesem Beitrag über Wien Analoges. Ein großer Schwerpunkt des Sammelbandes ist Beiträgen zu deutschen und europäischen Konstellationen in Bezug auf Weimar-Jena gewidmet. Paul Raabe gibt Einblick in "Herzogin Anna Amalias Lebenshintergrund", indem er das von Sammelleidenschaft, kulturellen Interessen und vor allem von einer hervorstechenden Buchkultur geprägte kulturelle Umfeld der in Wolfenbüttel und Braunschweig aufgewachsenen späteren Regentin skizziert, während Walter Schmitz mit seinem anregenden Beitrag "Stadtbilder und Funktionen der Stadt: Dresden – Weimar um 1800" die neuesten Tendenzen der Stadtforschung reflektiert. So lässt sich nachweisen, wie sich unter der Regierung Carl Augusts Weimar gemeinsam mit Jena "zum Zentrum einer modernen Kultur von Bildung und Wissenschaft, deren Medium die Schrift ist" (S. 167), entwickelt. "Es zeigt sich eben, daß sich in der medialen Karte die Größenverhältnisse durchaus anders gestalten können, als nach den üblichen Maßstäben der Parameter von Politik – Wirtschaftskraft und gesellschaftlichem Einfluß – zu erwarten wäre. In der 'süßen Anarchie' der Medienlandschaft Deutschlands ist Weimar tatsächlich ein Hauptort." (S. 168) Dass in den Untersuchungen der internationalen Beziehungen des Ereignisraumes Weimar-Jena um 1800 zwei Texte Frankreich gewidmet sind, verwundert freilich nicht. Roland Krebs unterstreicht die zentrale Bedeutung Wilhelm von Humboldts "als Mittler zwischen Paris und Weimar". Während seines Paris-Aufenthaltes (1797-1801) habe Humboldt seine Mittlerfunktion in doppelter Weise erfüllt, " indem er einerseits die Pariser Intellektuellen mit der deutschen kritischen und idealistischen Philosophie und ihrer neuen Poesie bekannt zu machen versuchte, andererseits, indem er den Weimarern Auskünfte über die französische Dramatik und Schauspielkunst bot." (S. 230) In seinem amüsant zu lesenden Beitrag "Wie im 19. Jahrhundert der deutsche Geist den englischen gerettet hat" führt Terence J. Reed die Ursprünge und Auswirkungen der großen Vorurteile der Briten gegenüber den Deutschen vor: Schillers Räuber hielt man für zu revolutionär, Goethes Stella für moralisch verwerflich. "Suspekt an den Deutschen waren nicht nur die vermeintlichen moralischen und politischen Tendenzen, sondern auch ihre nationale Vorliebe für Ideen." (S. 236) Dennoch gab es stets Bestrebungen einzelner britischer Schriftsteller, die Vorzüge der deutschen Literatur und der von Humboldt eingeleiteten pädagogischen Reformen für England zu nutzen. Die allererste Goethe-Biografie wurde von einem Engländer, George Henry Lewes, verfasst und 1859 publiziert, zweifellos "für einige Deutsche ein Affront", aber "ein Markstein in der Akzeptanz Goethes und der deutschen Kultur in England" (S. 243). In den Beiträgen Franziska Schedewies über "Dieprivaten politischen Briefe Carl Augusts und Maria Pavlovna, 1805-1815" und Joachim von Puttkamers über die "Ungarischen Hintergründe einer diplomatischen Episode" wird die Figur des Herzogs aus ungewohnter Perspektive beleuchtet. So lässt sich aus den Briefen Carl Augusts an seine Schwiegertochter Maria Pavlovna, die Schwester der russischen Zaren Alexander, deren Funktionalisierung als informelle "Diplomatin zwischen Weimar und St. Petersburg" (S. 247) ablesen. Der Blick auf die Hintergründe bzw. das Interesse, ausgerechnet Carl August die ungarische Königskrone anzutragen, wiewohl in der Forschung nur als Marginalie behandelt, ermöglicht es, "den Horizont europäischer Diplomatie aus den Kommunikationsgeflechten der Epoche zu rekonstruieren" und "die Stellung mindermächtiger Fürstentümer im Vorfeld der großen europäischen Umbrüche um 1800 auszuloten" (S. 265). Auch im Rahmen dieser Untersuchung zeigt sich die um 1800 an Weimar-Jena wahrgenommene enge Verflochtenheit von Politik und Kultur. In seiner Rekonstruktion "der politischen Vorstellungswelt der Verschwörer" kann Puttkamer zeigen, inwiefern Weimar kurzzeitig "zur Projektionsfläche hochfliegender ungarischer Erwartungen geworden" war, "die den Schutz ständischer Freiheiten mit dem Programm nationalkultureller Erneuerung verband" (S. 277). Darüber hinaus lässt die "ungarische Episode [.] das Potential mindermächtiger deutscher Fürsten aufscheinen, neben ihren politischen Beziehungen auch das kulturelle Ansehen ihrer Höfe nicht nur innerhalb Deutschlands nutzbar zu machen, sondern auch außerhalb Deutschlands zu wirklich souveränen Monarchen aufzusteigen" (S. 277). Lothar Ehrlichs Beitrag über die Erforschung und Rezeption der 'deutschen Klassik' in der DDR, vor allem die Darstellung und Einschätzung der höfischen Gesellschaft und ihrer Repräsentanten Anna Amalia und Carl August als "reaktionär" und "im Widerspruch zur Herausbildung der progressiven klassischen deutschen Literatur" (S. 291) stehend, beschließt den Sammelband. Obwohl in Weimar umfangreiches Material lagerte, gab es in der DDR auch in den 1980er Jahren noch keine quellenorientierte Erforschung des höfischen Umfelds und seiner Protagonisten. Erst im Wendejahr 1989 erfolgte ein von Wolfenbüttel ausgehender erster nachhaltiger Impuls "für eine quellengestützte wissenschaftliche Beschäftigung mit Anna Amalia" (S. 293) in den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG). "Erstmals wurde der Forschungshorizont der Weimarer Institution, der bislang allein auf die klassische deutsche Literatur und Kultur (ohne die höfische Dimension) beschränkt geblieben war, aufgebrochen und erweitert durch das Interesse an der ihre Entstehung fördernde[n] Tätigkeit der Fürstin Anna Amalia" (S. 294). Die Lektüre des vorliegenden Sammelbandes ist aufgrund der nahezu durchgängig hohen Qualität der Beiträge, der Hinweise auf noch unerschlossene Quellen und der in zahlreichen Texten aufgeworfenen Neuperspektivierungen von Fragestellungen äußerst anregend. Mag auf den ersten Blick die Zusammenstellung der Texte willkürlich erscheinen, so vermittelt sich gerade aufgrund der unterschiedlichen thematischen und methodischen Zugänge die Komplexität des Ereignisraumes Weimar-Jena. Ohne immer direkt aufeinander zu verweisen, erschließen sich vielfach innere Bezüge zwischen den einzelnen Beiträgen. Dass diese Vernetzungen nicht redundant, sondern aufschlussreich sind, spricht für die gelungene thematische Streuung und erweist überdies, wie methodisch gewinnbringend die Wahl des 'Ereignisbegriffs' sein kann.
Als zentrale Untersuchungsgegenstände seiner Publikation Gereinigtes Theater? Dramaturgie und Schaubühne im Spiegel deutschsprachiger Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts (1750-1800) nennt Peter Heßelmann das Theater als Institution und audio-visuelles Medium, die Schauspieler als Produzenten und die Zuschauer als Rezipienten der Bühnenkunst. Vornehmlich diesen drei genannten Bereichen galten im 18. Jahrhundert auch die Bemühungen der Theaterreformer. Heßelmann untersucht nun aus funktionsgeschichtlicher und zivilisationstheoretischer Sicht, inwiefern die Forderungen der Reformer im Theateralltag umgesetzt worden sind. Als Material wählt er sich Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts, die als die wesentlichen schriftlichen Zeugnisse dieser Reformierungsversuche in den vergangenen Jahren verstärkt ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses gerückt sind. Erleichtert werden alle Forschungen, die sich mit Theaterzeitschriften, Theaterkalendern, Theateralmanachen und Theatertaschenbüchern des 18. Jahrhunderts beschäftigen, durch die mittlerweile fast vollständig gedruckt vorliegende Bibliographie und inhaltliche Erschließung deutschsprachiger Theaterzeitschriften, Theaterkalender und Theatertaschenbücher.¹ Heßelmanns Studie, die überarbeitete Fassung seiner Habilitationsschrift, ist in enger Zusammenarbeit mit diesem Projekt entstanden, sie versteht sich als dessen "Ergänzung", in der "eine Interpretation von einigen Segmenten des überaus umfangreichen, heterogenen Materials unter ausgewählten, speziellen Fragestellungen" (S. 19) versucht werde. Mit seinem Buch "soll der Forschung lediglich eine Tür geöffnet werden, hinter der sich weitere Arbeitsfelder auftun." (S. 28) Gerade aufgrund der offensichtlich engen Bindung an das Projekt verwundert es aber umso mehr, dass Heßelmann derart vehement die Relevanz der Theaterperiodika für eine (literatur)wissenschaftliche Untersuchung beweisen zu müssen glaubt. Heßelmann verortet seine Studie im "Grenzbereich von Literatur- und Theaterwissenschaft" (S. 30). Wo sich auf den ersten Blick wenig Konfliktstoff vermuten lässt, treten auf den zweiten, den theaterwissenschaftlichen Blick doch genügend Kritikpunkte zutage. Zumeist handelt es sich dabei um Ungeduld erzeugende Redundanzen auf begrifflicher und auch interpretatorischer Ebene. Wen hat diese Studie als Zielpublikum vor Augen? Neben der Tendenz zur Übererklärung theaterwissenschaftlicher Grundbegriffe (Dramaturg, dramatisch, dramaturgisch) und nichtsdestotrotz missverständlicher Verwendung des Begriffs "Regietheater" für die Aufführungspraxis des 18. Jahrhunderts [!] werden auch methodisch vielfach diskutierte Vorgangsweisen für theaterwissenschaftliche Bedürfnisse viel zu eingehend abgehandelt: so z. B. die Theaterhistoriografie, in der als Grundbedingung "ein Beharren auf Partialität" unverzichtbar sei, "d.h., die erkenntnisleitenden Fragen und Themenbereiche müssen bei einem problemorientierten Vorgehen vorab formuliert werden" (S. 30), oder die Entdeckung des Transitorischen ("In dem Augenblick, in dem ein Theaterkunstwerk der Kritik unterzogen wird, ist es bereits nicht mehr existent." (S. 376)). Auch auf interpretatorischer Ebene bietet die Studie für Theaterwissenschaftler/innen leider nur dürftige Ergebnisse. Was hat man - nun freilich gestützt durch zahllose Zitate aus den diversesten Theaterperiodika - nicht auch schon bisher aufgrund der umfangreichen Forschungsliteratur rund um das Theater des 18. Jahrhunderts gewusst? Dass zwischen den Bestrebungen der Reformer um eine "gereinigte", sittliche Bühne und dem Theateralltag bzw. der Aufführungs- und Darstellungspraxis große Unterschiede bestanden? Dass die Nationaltheateridee trotz vehementer Bemühungen an der politischen Situation Deutschlands scheitern musste? Dass das Verhalten des Publikums während der Aufführungen bzw. dessen Theatergeschmack längst nicht den Zielvorstellungen der Reformer entsprachen? Dass ein eklatanter Unterschied zwischen der heute als kanonisiert geltenden Literatur des 18. Jahrhunderts und der im Bühnenrepertoire dieser Zeit präferierten Stücke besteht? Methodisch besonders problematisch erscheint jedoch eine Vorgangsweise, die Aufführungsberichte bzw. -kritiken als nahezu dokumentarische Belege für den so genannten Theateralltag deutet. "In Anbetracht des transitorischen Charakters der Schauspielkunst bieten die Berichte der zeitgenössischen Theaterkritiker, die als Augenzeugen den szenischen Ereignissen beiwohnten, eine der ganz wenigen Möglichkeiten zur authentischen [!] Erforschung der theatralen Darbietungen." (S. 427) So findet keine Reflexion darüber statt, was Theaterkritiken, stellt man adäquate Fragen an sie, tatsächlich leisten könn(t)en (mit Sicherheit jedoch keine Authentizität), genausowenig werden Parteilichkeit und Ideologiepotenzial von Theaterkritik an sich problematisiert. Selten wurde das Zauberwort jeder theaterwissenschaftlichen Erstsemestrigenübung - "Quellenkritik" - so schmählich vernachlässigt. Nun kann der Wert einer Arbeit, die bisherige Forschungsergebnisse durch die Erschließung und Auswertung neu entdeckten Materials (und zwar unbestreitbar umfassend eingesehenen Materials) stützt, selbstverständlich in eben dieser Affirmation bestehen, wenn die Präsentation der Quellen für ein Weiterarbeiten hilfreich wäre. Heßelmann wählt aber für seine Studie weder exemplarische Darstellungen der umfangreichen schriftlichen Zeugnisse, noch wird die Heterogenität derselben durch Diskursanalysen beispielsweise aufbereitet. Statt dessen wird jeder Themenkreis durch die wahllos erscheinende Aneinanderreihung von weder lokal noch chronologisch präzise in Beziehung gesetzten Zitaten aus diversesten Periodika abgehandelt. Im Übermaß häufen sich (oft nahezu analoge) Aussagen z. B. zu den programmatischen Konzepten und Strukturtypen der Theaterperiodika, zum Selbstverständnis der Theaterkritik, zu Organisationsformen des "gereinigten" Theaters, zu Disziplinierung und Professionalisierung des Theaterbetriebs, zu den theoretischen Grundlagen der neuen Schauspielkunst, zur Erziehung des Publikums etc. - so, als hätte die Begeisterung über die Vielzahl an Fundstellen jede exemplarische Vorgangsweise behindert. Es fehlt einfach die Arbeit am und mit dem Material, dessen Darbietung über weite Strecken wie ein Exzerpt wirkt. Die gekonnt gewählten und pointierten Zitate "warten" geradezu darauf, dass von ihnen ausgehend abstrahiert wird. Doch über weite Strecken vermisst man die im Eingangskapitel angekündigten Interpretationen, vielmehr wird die durchgängige Tendenz zur inhaltlichen Redundanz - nicht nur von einem Kapitel zum nächsten, was ja unter Umständen als Leserfreundlichkeit deutbar wäre - noch dadurch verstärkt, dass ausführliche Zitate (in der durchaus verständlichen Sprache des 18. Jahrhunderts) nochmals paraphrasiert, statt analysiert werden. Vergleichbar verhält es sich mit der für die funktionsgeschichtlich ausgerichtete Fragestellung herangezogenen Zivilisationstheorie von Norbert Elias, die zwar anfangs ausführlich diskutiert, danach aber wiederum kaum angewandt wird. An einer Stelle der Publikation gelingt die erfolgreiche Darstellung eines Diskurses rund um einen von Grüner im Theater-Kalender auf das Jahr 1793 veröffentlichten Beitrag mit dem Titel "Ist der Staat verbunden dem Schauspielstande eine bürgerliche Existenz und Würde zu verleihen, oder sich für die Sache selbst zu interessieren?". Darauf reagierende Gegenpositionen und Parteinahmen werden präsentiert und vermitteln somit ein anschauliches Bild von den geführten Diskussionen. Unbestreitbar wertvoll ist das ans Bibliografische grenzende Literaturverzeichnis, das neben der repräsentativen Auflistung der umfangreich verwendeten Theaterperiodika (dankenswerterweise mit Angabe von Herkunft und Signatur der jeweils benutzten Exemplare) sowie der im 18. Jahrhundert erschienenen einschlägigen Texte eine umfassende Zusammenstellung der bis 2001 publizierten (nahezu unüberschaubaren) Forschungsliteratur bietet. Auch Heßelmanns weiterführende Literaturhinweise und die biografischen Angaben zu den Herausgebern der Theaterperiodika in den Fußnoten sowie die dreifache Aufteilung des Registers nach Namen, deutschsprachigen Theaterperiodika und Orten erweisen sich als äußerst hilfreich. Da die Arbeit einen Überblick über die wesentlichsten Diskussionen rund um das deutschsprachige Theater des 18. Jahrhunderts gibt, scheint sie sich als Einführung in und Annäherung an die umfassende Thematik zwar durchaus anzubieten, umwälzende neue Erkenntnisse für Spezialist/innen werden aber leider nicht geboten. Als Motto ist der Studie folgender Auszug aus einem von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann verfassten Epilog vorangestellt: Jedoch die schwerste Kunst von allen ist wohl, es Allen recht zu machen und Allen zu gefallen. Ich denk, ich denke, sie gehört, wie des Zirkels Quadratur zu den unmöglichen Sachen. Wie hinlänglich bekannt, wurde der wissenschaftliche Austausch gerade durch polarisierende Arbeiten angeregt. ¹ Wolfgang F. Bender, Siegfried Bushuven und Michael Huesmann (Hg.). Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts: Bibliographie und inhaltliche Erschließung deutschsprachiger Theaterzeitschriften, Theaterkalender und Theatertaschenbücher. München 1994ff.
Mit dem von Heide Hollmer und Albert Meier unter Mitarbeit von Lars Korten und Thorsten Kruse herausgegebenen Dramenlexikon des 18. Jahrhunderts soll die "Lücke zwischen dem engen literaturgeschichtlichen Kanon und der weitaus differenzierteren Bühnenkultur der Zeit" geschlossen werden - ein hoher, großes Interesse erweckender Anspruch. Das Dramenlexikon enthält Inhaltsangaben und kurze Interpretationen von Theatertexten, die das kolportierte Wissen um die am deutschsprachigen Theater des 18. Jahrhunderts aufgeführten Stücke wesentlich erweitern wollen. Dass nur Werke des Sprechtheaters, "sofern sie im Druck überliefert und damit heute noch zugänglich sind", aufgenommen wurden oder werden konnten, ist verständlich, reduziert aber aus theaterwissenschaftlicher Sicht den Blick auf die erwähnte "Bühnenkultur" des 18. Jahrhunderts somit schon von vornherein. Insgesamt 111 Autorinnen und Autoren wurden für das Lexikon ausgewählt. Dass den "Fixstartern" Lessing, Goethe, Schiller auch in diesem Lexikon breitester Raum geboten wird, zeigt die - bei bestem Willen zum Aufbrechen des literaturwissenschaftlichen Kanons - Abhängigkeit von der tradierten Geschichtsschreibung. Auch wenn niemand ernsthaft einen "systematisierten Überblick über das gesamte Spektrum" der deutschsprachigen Dramatik des 18. Jahrhunderts einfordern würde, stellt sich - wie bei jedem lexikalischen Unternehmen - dennoch die Frage nach den Auswahlkriterien. Die im Vorwort angegebene "Repräsentativität des Werkes: entweder des zeitgenössischen Erfolgs wegen oder als Beleg für ein seinerzeit beliebtes Genre bzw. ein originelles Formexperiment" erscheint mir denn doch zu "allumfassend" bei gleichzeitiger Beschränkung auf die tradierten wissenschaftlichen Bewertungen dessen, was als repräsentativ zu gelten hat. Dem Befund: "was tatsächlich gespielt wurde, hat wenig mit dem zu tun, was im literaturgeschichtlichen Rückblick heute als entscheidend gilt", ist vorbehaltlos zuzustimmen, aber genügt es, einfach die tradierten (literatur)wissenschaftlichen Messlatten an die aus der Mottenkiste der Dramenliteratur hervorgeholten Theatertexte anzulegen, wenn man eine "Lücke" zu schließen gewillt ist? Wo "die Repräsentativität des Werkes" als "vorrangiges Kriterium der Auswahl" gilt, schaffen es eben gerade mal sieben (!) weibliche Autorinnen, in die engere Wahl zu kommen - und das, wo feministische Forscherinnen längst Umfang und Bedeutung weiblicher Dramatikerinnen für das Theaterleben des 18. Jahrhunderts nachgewiesen haben. Auch unter weiblichen Autorinnen gibt es "Fixstarterinnen": die Neuberin, die Gottschedin und Charlotte von Stein. Nicht von ungefähr galten diese drei Frauen als "erinnernswert" oder "repräsentativ" (?) - wurden sie doch vornehmlich in ihren Funktionen für und Beziehungen zu Gottsched und Goethe rezipiert. Dass diese klischierte Wahrnehmung im vorliegenden Band von den Einzelbeiträger/inne/n nicht mehr unreflektiert übernommen wird, sei dankenswerterweise hervorgehoben. So erwähnt Tobias Witt in seiner Deutung von Charlotte von Stein-Kochbergs Trauerspiel Dido, dass diese lange Zeit "ausschließlich als Schlüsseldrama und persönliche Abrechnung mit Goethe betrachtete Tragödie [.] sich auch als Kommentar zur Thematik des politischen Umsturzes lesen" lässt. Am Gesamtbefund ändert das freilich wenig. Gerade bei der Auswahl der Dramatikerinnen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob - abgesehen von der genannten populären Trias und der (aus anderen Gründen) populären russischen Zarin Katharina II. - vor allem diejenigen zum Zug gekommen wären, deren Texte (in Neudrucken) leicht zugänglich waren. Von der ebenfalls aufgenommenen Caroline von Wolzogen ist bisher nur ein einziges Drama bekannt, sie wird allerdings als "Schiller-Biografin" erinnert. Die Entscheidung über die Repräsentativität von Werken scheint auch in diesem neuen Dramenlexikon traditioneller Geschlechtsspezifik verhaftet. Zur leichteren Orientierung innerhalb des Dramenlexikons wurde alphabetisch nach Autor/inn/ennamen gereiht. Den Dramentiteln samt bibliografischen Angaben (viele der Texte sind selbstverständlich in Sammlungen erschienen) wurde der Erstdruck zugrunde gelegt, sofern eruierbar wurde das Uraufführungsdatum inklusive geografischem Ort, leider nicht die Uraufführungsstätte, angegeben. Jeder Einzeleintrag enthält ein, zwei weiterführende Literaturhinweise, großteils neueren und neuesten Datums. Dass bei manchen Autoren nicht einmal mehr die Lebensdaten bekannt sind, verweist auf die durch das vorliegende Lexikon evident gewordenen Forschungslücken. Auch insofern könnte der Band neuere Untersuchungsgegenstände initiieren. Das Register der Werktitel mit Verweisen auf Autor/Autorin ist leider etwas unübersichtlich geraten, da bestimmte und unbestimmte Artikel in der alphabetischen Reihung zwar ignoriert, aber dennoch an den Anfang jedes Titels gestellt wurden. Der schnellen Orientierung ist eine Reihung wie folgt wenig förderlich: Der Freygeist Friederich von Tokenburg Galora von Venedig Die geistliche Braut als weltliche Hochzeiterinn Die Geistlichen auf dem Lande Das gerettete Helvetien oder Orgetorix Der geschäfftige Müßiggänger Der gestiefelte Kater Gianetta Montaldi Im Vorwort wird darauf verwiesen, dass von den im 18. Jahrhundert gespielten Stücken deutscher Sprache nur noch ein marginaler Ausschnitt präsent sei, "obwohl ein Gutteil der Textvorlagen zugänglich wäre". Und da die meisten der präsentierten Dramentexte "selbst den Literaturhistorikern bestenfalls vom Hörensagen bekannt" sein dürften, wäre es von großem Wert gewesen, wenn abgesehen von den bibliografischen Angaben zu den Erstdrucken auch Hinweise auf die "Lagerstätten" derselben gegeben worden wären. Als Abbildung für den Umschlag wurde ein Gemälde Angelika Kauffmanns gewählt, das Lady Hamilton als Komische Muse zeigt. Die Engländerin Lady Hamilton gilt als eine der ersten Protagonistinnen der so genannten Attitüdenkunst, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts als populäre, überwiegend von Frauen ausgeübte Kunstform etabliert hat. Die Besonderheit der Kunst der Attitüden bestand im stummen Spiel einer einzelnen Darstellerin oder eines einzelnen Darstellers, die dargestellten Posen und Stellungen zitierten zumeist Motive aus der griechischen oder römischen Antike. Für das Publikum erläutert wurden die Attitüden der Lady Hamilton vom Kunst- und Altertumsforscher Lord Hamilton. Attitüden gelten und galten als semitheatrale Ereignisse, mit Dramatik haben sie - soweit bisher bekannt - nichts zu tun.
Was ist von einer Künstlerbiografie über Heinrich George zu erwarten, deren letzte Umschlagseite die lobende Stellungnahme des jüngeren Sohnes Götz ziert? Was ist weiters davon zu halten, wenn der Autor der vorliegenden Biografie dem älteren Sohn ein "besonderes Dankeschön" für die Kooperationsbereitschaft schuldet? Man erwartet nichts weniger als eine unkritische, lobhudelnde Studie. Kurt Frickes vorliegende George-Biografie ist die überarbeitete Version seiner ausführlich recherchierten, zahlreiche Quellen erschließenden Dissertation. Die Arbeit ist weder lobhudelnd, noch anbiedernd - aber sie ist, wie wäre es anders möglich, auf sehr diffizile Weise tendenziös. Es gehört wohl zum Schwierigsten jeder wissenschaftlichen Beschäftigung, eine Biografie zu verfassen. Wie kann es gelingen, das Leben eines Menschen zu beschreiben, ohne "Geschichtsfälschung" zu betreiben? Worauf kann man sich für eine Lebensschilderung stützen, welche Quellen mit welcher Aussagekraft zieht man heran? Wie bekommt man eine Biografie in den Griff, wissend, dass man die Geschichte eines Lebens neu erzeugt, indem man sie schreibt? Kurt Fricke hat versucht, Heinrich Georges Lebensgeschichte als "politische Biographie" zu gestalten. Streng chronologisch wird das Leben des 1946 im sowjetischen Speziallager Nr. 7, dem ehemaligen KZ Oranienburg, verstorbenen 52-jährigen Schauspielers Heinrich George erzählt: beginnend mit einer kurzen Schilderung der "normal" [!] (S. 13) verlaufenen Kindheit, über die Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges (der junge Schauspieler meldet sich 1914 als Freiwilliger), die als "Neuanfang" titulierte Etablierung als Schauspieler während der Zwanzigerjahre in Berlin, bis hin zu Georges Schauspiel- und Intendantentätigkeit während der Nazi-Zeit. Sehr positiv zu bewerten ist Frickes Anliegen, die politischen Umstände, die Georges Laufbahn geprägt haben, in der vorliegenden Biografie ausführlich darzustellen. Georges künstlerische Tätigkeiten sind nur in engster Verbindung mit der politischen Situation Deutschlands zu verstehen. Während der Zwanzigerjahre tritt er auf den Berliner Bühnen Reinhardts und Piscators auf, für kurze Zeit engagiert er sich als einer der Initiatoren des 1923 aus Protest gegen die führenden Theatermacher Berlins gegründeten Schauspielertheaters und ab 1933 zählt er zu den wesentlichsten und populärsten Künstlern des Nationalsozialismus. Sowohl Georges Theater- als auch Filmtätigkeit, seine zahlreichen Gastspielreisen und vor allen Dingen Heinrich Georges Zeit als Intendant des Berliner Schiller-Theaters von 1938 bis 1945 werden ausführlichst und mit genügend historischen Hintergrundinformationen dargestellt. Auf diese Art und Weise erhält man eine komprimierte Einführung in die Wechselwirkungen von Politik und Kunst. Fricke ist es durch sorgfältige Recherchen gelungen, den älteren Arbeiten zu und über Heinrich George nicht nur Neues hinzuzufügen, sondern diese auch mehrfach zu korrigieren. Dafür hat er, abgesehen von einschlägiger Sekundärliteratur sowie Auto- und Biografien, zahllose Akten, Rezensionen, Korrespondenzen durchforstet und nicht zuletzt auch Zeitzeugengespräche in seine Untersuchung einbezogen. Der vorbildliche Anmerkungsteil mit der Unzahl an Hinweisen auf zahlreiche verstreute Dokumente wiederum kann als wahre Fundgrube für vielfältige Forschungen dienen, so zum Beispiel, wenn Fricke Heinrich Georges Lebensweg stets in Beziehung zu Biografien anderer Künstlerinnen und Künstler setzt und diese mit weiterführenden Hinweisen versieht. Fleiß und Mühe des Zusammentragens sind deutlich sichtbar. Wer nicht eingearbeitet ist, kann nicht wirklich beurteilen, ob es (was kaum zu vermuten ist) Unterlassungen der Recherche gab. Allerdings leidet die Benutzerfreundlichkeit der Biografie unter der ausführlichen Verbalisierung aller Theater- und Filmrollen, wo doch ein Rollenverzeichnis im Anhang Frickes Recherchen zu einem fundierten und gut zugänglichen Nachschlagewerk gemacht hätte. Dankenswerterweise verfügt die Studie über ein Personenregister. Nicht weniger lobenswert erscheint mir Frickes Bekenntnis zur Lücke. Statt sich, wie leider nur allzu oft anderweitig üblich, in wilde Spekulationen zu verlieren, benennt er nicht beantwortbare Fragen: so zum Beispiel die Ungewissheit, ob Heinrich George als "Beisitzer der Filmoberprüfstelle Berlin" tatsächlich tätig gewesen ist (S. 98). Leider verfügt die Studie aber auch über einige nicht unwesentliche Schwächen. Dazu zählt am auffallendsten die nur allzu oft in geradezu peinliches Pathos abgleitende Sprache Frickes. Als hätten sich Heinrich Georges im Übermaß vorhandenen sprachlichen Entgleisungen und Anbiederungen auf fatale Weise auch des Wissenschaftlers Fricke hin und wieder bemächtigt. So leitet Fricke seine Untersuchung mit Reflexionen zur Problematik "einer Biographie über einen so vielschichtigen und gegensätzlichen Charakter wie Heinrich George" (S. 11) ein, um, im Wissen, "kein annähernd vollständiges Bild seiner Persönlichkeit geben" (S. 12) zu können, dennoch zu behaupten: "Es werden aber zumindest Schwächen und Stärken Georges sichtbar, sein Verhältnis zum NS-Staat deutlicher und letztlich klar, daß George, trotz mancher Selbsttäuschung über die Zeit, in der er lebte, das blieb, was er auch in anderen suchte: ein Mensch." (S. 12) Es menschelte also häufig in Georges Leben und nicht weniger in Frickes Studie. Aber wieso sollte es Aufgabe und Ziel einer wissenschaftlichen Beschäftigung sein, nach "Entschuldigungen" für Taten des Porträtierten zu suchen? Frickes Argumentationen ufern daher häufig aus, übrig bleiben reinste Zynismen: "Bis heute wird der tragische Tod Hans Ottos dazu benutzt, seinem Kollegen Heinrich George moralisches Fehlverhalten anzulasten, weil er nicht freudig ins Messer der Gestapo lief, um zu retten, was nicht mehr zu retten war: Hans Ottos Leben." (S. 64) Sprachliches Pathos und obsolete Wendungen wie "die junge Liebe zeitigt Früchte" (S. 37), "hier vollendet sich sein Schicksal" (S. 261) oder "Für George ist dieser Tag der letzte auf Erden, mittags richtet er sich noch einmal auf und ruft den Namen Götz." (S. 278) [Eine Fußnote erläutert:" So ruft er gleichnishaft seine beiden Söhne und zugleich sein alter ego, den historischen Reichsritter." (S. 337)] können eben nicht nur isoliert betrachtet oder als Geschmacksdifferenzen abgetan werden. Vor allem dann nicht, wenn Fricke für die politischen Unruhen während der Weimarer Republik nur das Bild der "sich am politischen Himmel" verdüsternden Wolken (S. 39) findet, das Jahr 1933 in einer Kapitelüberschrift mit "Schicksalsjahr" (S. 5 bzw. 52) tituliert, die Zusammenarbeit von Künstlern mit führenden Nationalsozialisten als "Pakt mit dem Teufel" (S. 54) bezeichnet oder über den nationalsozialistischen Propagandafilm Jud Süß (uraufgeführt 1940) allen Ernstes schreibt: "George spielt, wie seine Kollegen auch, nur widerwillig in dem Auftragswerk von Goebbels, aber die Schauspieler sind zu gut, um den Film zu sabotieren." (S. 237) Derartiges weist nicht nur auf sprachliche Unsensibilität und Ungeschicklichkeit hin, sondern entlarvt darüber hinaus auch mangelnde ideologiekritische Kompetenz. Die Beurteilung der vorliegenden Arbeit gestaltet sich somit schwierig: Anerkennung für die Menge an angehäuftem Material, aber größte Bedenken gegen die sprachliche und auch methodische Präsentation. Die Sprache verrät die Tendenz, auch wenn der Autor meint, durch wissenschaftliche Objektivität zu glänzen, und macht die methodischen Schwächen doppelt sichtbar: zuallererst in der Bewertung der vorliegenden Materialien. Fricke arbeitet nur äußerst bedingt quellenkritisch. So werden Rezensionen wie "Kunstbetrachtungen" unreflektiert als Dokumentationen der Theater- und Filmpremieren interpretiert und ausgewertet. Wiederholt werden die von Heinrich Georges Ehefrau Berta Drews behaupteten Fakten - fast mit Genuss - widerlegt, ohne dass Fricke jedoch bemerkt, dass Berta Drews' Darstellung nicht im Mindesten wissenschaftlichen Kriterien genügen kann oder will. Die Aufzeichnungen der Witwe Georges aus dem Jahr 1959 können weder als Textsorte, noch in ihrem Anliegen mit theater- oder filmwissenschaftlichen Abhandlungen verglichen werden. Auch Frickes Vorwurf, seine Wissenschaftskollegen hätten einseitiges Quellenstudium betrieben (vgl. S. 11), entlarvt vor allen Dingen eines: eine fatale und irrtümliche Objektivitätsgläubigkeit in geisteswissenschaftlichen Bereichen, die ihr Heil in Aktenzahlen zu finden meint. Der anfängliche Hinweis Frickes, wonach die Darstellungen der Zeitzeugen "subjektiv" (S. 10) zu bewerten sind, gilt ja um nichts weniger auch für wissenschaftliche Arbeiten. Fricke reiht in seiner Studie unterschiedlichste Textsorten (Korrespondenzen, Verordnungen, Interviews, Autobiografien etc.) endlos aneinander, vorgeblich wohl, um seinem Objektivitätsanspruch zu genügen, und bezieht selbstverständlich mit jedem selbst verfassten oder zitierten Satz, allein durch die getroffene Auswahl, bereits Stellung. Besonders auffallend ist dies, wenn man die im Haupttext präsentierten Quellen mit den im Anmerkungsteil "versteckten" vergleicht. Während im laufenden Text das Bild des hilfreichen Heinrich George zum wiederholten Male vorgeführt wird, entdeckt man in den Fußnoten - wohl um dem Objektivitätsdiktum zu genügen - durchaus kritischere Stellungnahmen zur Person Heinrich Georges. Doch gerade die permanente bewusste Konfrontation diametraler Einschätzungen und Aussagen im Haupttext hätte den Diskurs um einen während der Nazi-Zeit derart exponierten Künstler sichtbar und nachvollziehbar gemacht. Fricke hat sich für ermüdend ausführliche Aufzählungen und Aneinanderreihungen entschieden, statt exemplarisch und damit analytisch vorzugehen. So präsentiert er beispielsweise zahllose Dankesschreiben von Kolleginnen und Kollegen sowie Freundinnen und Freunden Georges, reiht einen Brief an den anderen, bis man sich fragt: Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit? Soll durch die Auflistung der Anzahl des Geleisteten das Versäumte getilgt oder entschuldigt werden? Wie sind diese Schriften zu bewerten? Warum half George dem einen, während der dem anderen seine Hilfe versagte oder versagen musste? Frickes Kommentar dazu: "Aber George verwendet sich auch für Personen, die nicht in Deutschland verfolgt werden. Wichtig ist ihm nicht die Rassenzugehörigkeit oder die politische Überzeugung, sondern der einzelne Mensch." (S. 74) Alles läuft in Frickes Biografie darauf hinaus, Heinrich George als "unpolitischen", ja geradezu naiven Menschen auszuweisen, der sich "fern von politischen Absichten, aus rein menschlichen Gründen für seine Freunde und Bekannten" eingesetzt habe. "Daß er sich auch in Fällen politischer oder rassegesetzlicher Verfolgung - trotz eigener Gefährdung, die man nicht unterschätzen darf - nicht zurückhält, spricht unbestritten für ihn." (S. 75) Allerdings fehlen die Argumente der nationalsozialistischen Machthaber, mit denen Georges Interventionen zu bestimmen Zeiten des NS-Regimes erfüllt bzw. abgelehnt wurden. Nur im Vergleich damit wären Georges tatsächlicher Einfluss, seine Hilfsbereitschaft, seine Gefährdung und sein Einsatz für Verfolgte auswertbar. Durch die mangelnde analytische Betrachtung und durch die sprachlichen Fehlleistungen wird weiters sichtbar, dass Fricke offenbar für sich selbst keine ausgewiesene, reflektierte Haltung zur NS-Zeit gefunden hat. Wer sich jedoch mit einem derart sensiblen Thema befasst, so meine ich, muss sich der Thematik stellen, muss zu einer Sprache kommen. Mit Begriffen wie "Schicksalsjahr" oder "Pakt mit dem Teufel" dürfte am Ende des 20. Jahrhunderts in einer wissenschaftlichen Abhandlung wohl nicht mehr ernsthaft hantiert werden. Die sprachliche Nichtreflexion bewirkt darüber hinaus auch eine geradezu bagatellisierende Haltung Frickes gegenüber Georges schriftlichen Äußerungen für den NS-Staat. Während Fricke die (nachträglichen) Selbststilisierungen anderer Künstler sehr wohl erkennt und benennt, sucht man vergleichbare kritische Äußerungen über Heinrich Georges Selbstinszenierungen vergeblich. Heinrich Georges offizielle Stellungnahmen während der NS-Zeit sind, daran ist einfach nicht zu rütteln, belastendes Material. Selbstverständlich ist ein Künstler, der während der NS-Zeit zu den bestbezahlten und meistbeschäftigten Schauspielern des Regimes gezählt, der in mehreren Propagandafilmen (Hitlerjunge Quex, Jud Süß, Wien 1910, Die Degenhardts, Kolberg, Das Leben geht weiter) mitgewirkt hat, der bis Kriegsende Intendant eines der wesentlichen Berliner Theater gewesen ist und der wiederholt und an exponierter Stelle seine Verbundenheit mit dem nationalsozialistischen Terrorregime verschriftlicht hat, nicht einfach nur als vielschichtiger und gegensätzlicher Charakter abzutun, und seine ideologischen Texte können nicht nur als bloße Produkte von "Erpressung" (S. 261) oder in ihrem Duktus als dem "Geist der Zeit" (S. 261) entsprechend interpretiert werden. Das ist denn wohl zu schlicht gedacht. An einer Stelle des Buches zeigt sich, was aus dieser schwierigen Arbeit hätte werden können. Als Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast vor ausgesuchtem Publikum die "Notwendigkeit des Totalen Krieges" propagiert, waren auch Heinrich George und dessen Ehefrau, die Schauspielerin Berta Drews, anwesend. "Die Wochenschau bringt Bilder von der Veranstaltung, u.a. die Beifall klatschenden Heinrich George und Berta Drews. (Erst neuere Analysen des historischen Bildmaterials konnten belegen, daß das Händeklatschen von George und seiner Frau gefälscht ist, es wurde nachträglich eingearbeitet.)" (S. 170f.) Entgegen der sonstigen Akribie Frickes fehlt hier der Verweis auf die verwendete Literatur, wodurch die gesamte Beweisführung an Glaubwürdigkeit einbüßt. Gerade das Aufzeigen derartiger Vorgangsweisen und Manipulationen durch die NS-Medien hätten das von George überlieferte Bild tatsächlich verändern können, hätten eine differenziertere Sicht auf den 1937 von Hitler mit dem Titel "Staatsschauspieler" ausgezeichneten Künstler ermöglicht. Selten trägt schon der Titel eines Buches Stärken und Schwächen derart offensichtlich zur Schau: "Spiel am Abgrund" verweist auf die sich in unhaltbare Pathetik verlierende Sprache, während der Untertitel "Eine politische Biographie" andeutet, wozu man das beeindruckende Material hätte nützen können.