Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert: Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: Das Beispiel Preußens
In: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 68
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In: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Band 68
Claudia Huerkamp untersucht in ihrer Arbeit die Anfänge des Professionalisierungsprozesses der Ärzteschaft in Deutschland. Sie sieht die Weichenstellung für diesen Prozess eindeutig im 19. und frühen 20. Jahrhundert, da in dieser Zeit der Arztberuf tiefgreifende Funktionswandlungen erfuhr. Diese und ihre Auswirkungen auf die Position und das Verhalten der Berufsangehörigen sind Thema der vorliegenden Untersuchung. Die Arbeit orientiert sich an einer Konzeption sozialgeschichtlicher Forschung, die zwar soziologische Theorien als Strukturierungselemente der thematisierten sozialen Prozesse einbezieht, aber gleichzeitig darauf besteht, dass diese Prozesse in ihren jeweiligen konkreten historischen Entstehungs- und Wirkungszusammenhängen untersucht werden müssen.
"Die Arbeit versteht unter Professionalisierung einen Vorgang, der sich in allen industrialisierenden Ländern während des 19. Jahrhunderts feststellen lässt. Auf einer hohen Abstraktionsebene weist der Prozess der Professionalisierung folgende Merkmale auf: (1) Die Erweiterung des Marktes für professionelle Dienstleistungen, und zwar sowohl durch Ausweitung der Nachfrage als auch Verdrängung anderer Anbieter vom Markt. (2) Die Entwicklung standardisierter wissenschaftlicher Ausbildung und dadurch klare Außenabgrenzung und soziale Distanzierung der "professionals". (3) Die Maximierung beruflicher Autonomie, hauptsächlich durch Berufung auf spezialisiertes Expertenwissen. Damit ist auch die Durchsetzung größtmöglicher Freiheit von Fremdkontrolle durch Laien (seitens des Staates oder seitens der Abnehmer der Leistungen, der Klienten)" (Huerkamp, C., a. a. O., S. 17f). Der in dieser Untersuchung zugrunde gelegte Ansatz mit seinen drei Dimensionen erlaubt nicht nur die Darstellung des grundlegenden Wandels vom vormodernen Bildungsberuf zur modernen "profession", sondern lässt auch die besonderen Bedingungen dieses Wandels im konkreten historischen Prozess hervortreten (Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883, die zentrale Funktion des Staates in der Ausbildung der Ärzte, das Weiterwirken ständischer Traditionen). "Insgesamt geht es bei der Analyse der Triebkräfte des ärztlichen Professionalisierungsprozesses in Preußen – Deutschland vor allem um folgende drei Faktoren: (1) die spezifischen Interessen und Aktivitäten des Staates, die diesen Prozess vorantrieben und ihm eine besondere Ausprägung gaben; (2) die Strategien und Ressourcen der sich professionalisierenden Berufsgruppe, die nicht nur Subjekt des Professionalisierungsprozesses war, sondern in vielerlei Hinsicht auch Objekt, von übergeordneten gesellschaftlichen Entwicklungen und staatlichem Handeln profitierend; (3) die Funktion der wissenschaftlichen Entwicklung, speziell des medizinischen Fortschritts" (Huerkamp, C., a. a. O., S. 20f).
In der Arbeit werden einzelne Felder der Geschichte der Ärzte im 19. Jahrhundert analysiert. Zunächst werden soziale Herkunft und Ausbildung untersucht, wobei der Wandel der Ausbildung im Hinblick auf Verwissenschaftlichung und Standardisierung im Mittelpunkt steht. Es folgt ein Kapitel über das ärztliche Berufsleben. Das fünfte Kapitel zeigt Differenzierungen (und auch Interessenkonflikte) zwischen verschiedenen Ärztegruppen auf (Medizinalbeamte, niedergelassene praktische Ärzte, Spezialärzte, Allgemeinpraktiker). Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit einer weiteren wesentlichen Differenzierung der Ärzteschaft. Das Krankenversicherungsgesetz von 1883 brachte die Unterscheidung von Kassenärzte und Nicht-Kassenärzte. Den Abschluss bildet die Untersuchung der ärztlichen Berufsorganisationen, die wesentlichen Anteil an der Durchsetzung der professionellen Ziele der Ärzte hatten.
Die Daten beziehen sich unter anderem auf die Zahl der Medizinstudenten an deutschen Universitäten, ihre soziale Herkunft, die Ärztedichte in Deutschland und Preußen und auf den Organisationsgrad der Ärzte.
Datentabellen in HISTAT:
Deutschland; Preußen (1828 – 1912).
Tab.01 Zahl der Ärzte und Wundärzte in Preußen (1828-1846)
Tab.02 Die medizinischen Staatsprüfungen in Preußen (1832-1841)
Tab.03 Medizinstudenten an deutschen Universitäten (1830-1911)
Tab.04 Die soziale Herkunft der Göttinger Medizinstudenten (1852-1891)
Tab.05a Soziale Herkunft der Studenten in Berlin (1850-1878)
Tab.05b Soziale Herkunft der Studenten in Leipzig (1850-1878)
Tab.06 Soziale Herkunft der reichsangehörigen Studierenden an preußischen Universitäten nach ausgewählten Väterberufe (1887-1912)
Tab.07 Das Studienverhalten der Arztsöhne (1887-1912)
Tab.08 Entwicklung der Ärztedichte in Preußen (alte Provinzen) (1828-1887)
Tab.09 Ärztedichte nach Gemeindegrößenklassen im Deutschen Reich (1876-1909)
Tab.10 Die Ausdehnung der gesetzlichen Krankenversicherung (1885-1914)
Tab.11 Einkommensverteilung der Ärzte im Bezirk der Ärztekammer Brandenburg/Berlin (1900-1906)
Tab.12 Organisationsgrad der deutschen Ärzteschaft (1874-1911)
Tab.13 Die Tätigkeit der ärztlichen Ehrengerichte in Preußen (1904-1909)
Tab.14 Die Mitgliederentwicklung im Leipziger Verband (1901-1911)
GESIS
In: Bürgerliche Berufe: zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich, S. 200-222
Untersucht wird die Lage studierender Frauen in Deutschland anfang des 20. Jahrhunderts. Gefragt wird, warum die meisten Universitäten erst im 20. Jahrhundert für die Frauen geöffnet wurden, wie sich das Frauenstudium ab 1908 bis zum Anfang der dreißiger Jahre entwickelte und welche Motive junge Frauen in den zwanziger Jahren an die Universitäten führte. Es werden Daten darüber geliefert, wieviele Frauen, mit welcher Vorbildung, aus welchen Schichten und Konfessionen ein Studium ergriffen. Gezeigt wird, daß für Mädchen die Universität offenbar in weit geringerem Maße ein Aufstiegskanal darstellte als für Jungen. Nach wie vor wurde der Sozialstatus von Frauen in der Regel an der Position ihres Ehemanns gemessen, eine akademische Berufstätigkeit nur als Notlösung angesehen, wenn sich über eine Heirat nicht der Sozialstatus einer Bildungsbürgerin erreichen ließ. Das männliche Bildungsbürgertum öffnete die Universitäten für die Frauen, um ihre nicht heiratenden Töchter vor dem sozialen Abstieg zu bewahren. (GF)
In: Bürgerliche Berufe, S. 200-222
In: Journal of contemporary history, Band 20, Heft 4, S. 617-635
ISSN: 1461-7250
In: Journal of contemporary history, Band 20, Heft 4, S. 617
ISSN: 0022-0094
In: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, S. 358-387
Der Beitrag analysiert anhand gedruckter Quellen am Beispiel der Ärzte drei miteinander verflochtene Dimensionen historischer Professionalisierungsprozesse: Erringung eines Marktmonopols, Entwicklung standardisierter Qualifikationserfordernisse durch den Wandel der Ausbildung, Durchsetzung beruflicher Autonomie. Schließlich wird der Frage nachgegangen, welchen Platz die Ärzteschaft innerhalb des Bildungsbürgertums einnahm. Die Ärzteschaft zerfiel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in eine Reihe hierarchisch geordneter, extrem heterogener Subgruppen. Seit 1825 griff der preußische Staat durch Prüfungsordnungen und Kompetenzabgrenzungen in die Struktur des Medizinalwesens ein. Die seit den 1850er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnende Krankenversicherung beschleunigte die Medikalisierung der Unterschichten. Tendenziell gelang die Durchsetzung des ärztlichen Anspruchs, in Fragen von Gesundheit und Krankheit allein zuständig zu sein. Die Überlegenheit der wissenschaftlichen Ausbildung gegenüber dem Laienwesen setzte sich nach 1850 allmählich durch. Die durch den wissenschaftlichen Fortschritt gestiegene Fachkompetenz der Ärzte erleichterte den Aufbau einer autoritativen Stellung gegenüber den Patienten. Auf der Prestigeskala nahmen die Ärzte nach den Juristen den zweiten Platz innerhalb des Bildungsbürgertums ein. (AM)
In: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 68
In: Was ist Gesellschaftsgeschichte?: Positionen, Themen, Analysen, S. 11-21