Tioka und die Geschichte vom Vogeltanz
In: Arbeit und Politik: Mitteilungsblätter, Band 20, Heft 33/34, S. 26-31
ISSN: 0948-1958
Im Kontext von Verstehen und interkultureller Verständigung sucht der Verfasser nach dem tieferen Sinn der Geschichte vom Vogeltanz. Er argumentiert, dass sie einen historischen Bruch in Deutung und Selbstverständnis der Marquesianer erkennen lässt: Er zeigt das Ende des rituellen Kannibalismus an und leitet in einen Prozess des Wandels, der Veränderung über, hin zu friedlichen und deshalb auskömmlichen Beziehungen und Formen des Zusammenlebens innerhalb der Clans und im Verhältnis der Clans zueinander. Und mit diesem Bruch wird auch der Anschluss an das deutlich, was angeblich erst das Christentum auf den Inselwelten des Pazifik vermittelt haben soll: Zivilität und Modernität. So ließe sich die Kritik unterstreichen, dass die Rolle der Missionierung im Prozess der Zivilisation eine recht fragwürdige war und bis heute geblieben ist. Die christlichen Missionare sorgten nicht nur für die Zerstörung der Tempelanlagen und heiligen Orte, der steinernen Skulpturen und Petroglyphen. Sie verknüpften ihre frevelhaften Taten zugleich mit einem Bannspruch gegen religiös-kultische Rituale und Bräuche, Tänze, Musik, Gesänge. So gerieten mit der Zeit deren spezifische Sinngehalte und Bedeutungshorizonte in Vergessenheit, und damit ging auch ihre Einbindung in die Lebenswelten und -wirklichkeiten der Südseebewohner verloren. Gesellschaftliche Strukturen, Regelwerke und Verhaltensmuster büßten ihre stabilisierenden Funktionen für das Leben bzw. Überleben der Marquesianer ein. Die Herrschaft der Eroberer war für Jahrhunderte gesichert. Heute gilt es für die Bewohner der Inseln, ihre unterdrückte und geraubte Geschichte zurückzugewinnen. (ICF2)