Utopisches Potential der Bibel: Mythos, Eschatologie und Säkularisation
In: Utopieforschung: interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. 1, S. 375-401
"Kurz zusammenfassend können wir feststellen, daß das utopische Potential des Paradies- und des Bundesmythos von Prophetismus und Apokalyptik aktualisiert wurden. Obwohl die Entwicklung der Dogmatik die Interpretation des Genesisberichtes später festlegte, akzentuierte und begrifflich mit Urstand, Erbsünde, Gottebenbildlichkeit usw. umschrieb, ließ sich die Rezeption dieses mythischen Textes nicht festlegen, weil der Text in seiner bildlich-narrativen Prägnanz mehrdeutig bleibt und immer wieder neue - auch revolutionäre - Aktualisierungen hervorrief. Ähnliches gilt für die Offenbarung des Johannes. Die Amtskirchen versuchten zwar, den prophetisch oder apokalyptisch auftretenden Chiliasmus zu neutralisieren, da die Texte aber besonders in Zeiten der Krise als Gottes Wort und Mahnung an die auserwählten Frommen gelesen und gehört wurden, drängten sie auf Verwirklichung, und wenn die chiliastischen Führer der Sekten sich auch nicht als Christus auffaßten so doch oft als Vorläufer und Wegbereiter. Diese Skizze hat verdeutlicht, daß die Zeitutopie nicht, wie oft behauptet, die ältere Raumutopie ablöst, sondern eher umgekehrt: die Raumutopie entsteht später und hört übrigens keineswegs um 1800 auf, weil die ganze Welt erforscht sei, wie ein beliebtes Argument lautet." (Autorenreferat)