Der Jurist und Politikwissenschaftler Gerhard Leibholz (1901–1982) – Schwager von Dietrich Bonhoeffer – ist eine der prägenden Figuren in der Staatsrechtslehre des 20. Jahrhunderts. Nachdem er unter dem Nationalsozialismus als Jude verfolgt worden war und 1938 Deutschland hatte verlassen müssen, gelang es ihm, in der Nachkriegszeit in Westdeutschland wieder Fuß zu fassen und die Geschicke der jungen Bundesrepublik maßgeblich mitzugestalten, nicht zuletzt als Richter des neu gegründeten Bundesverfassungsgerichts, dem er 20 Jahre lang angehörte.Leibholz' umfassende Auseinandersetzung mit dem Repräsentationsbegriff und der Parteienstaatlichkeit, mit Gehalt und Bedeutung des Gleichheitssatzes sowie mit der institutionellen Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Seine vorgelegten Schriften zu diesen Problemkreisen aus der Weimarer Zeit und den Jahren der frühen Bundesrepublik wirken bis heute nach. Vor allem aber trug er als Verfassungsrichter in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entscheidend dazu bei, dass die von ihm vertretenen Positionen auch in die Rechtsprechung und Rechtspolitik einflossen. Dem Inhalt und Kontext seiner Überlegungen sowie ihrer Rezeption sind die einzelnen Beiträge dieses Sammelbands gewidmet.Herausgeberin:Anna-Bettina Kaiser ist Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin
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Die Corona-Pandemie hat uns den ersten Ausnahmezustand in der Geschichte der Bundesrepublik beschert. Doch was ist überhaupt ein Ausnahmezustand? Und was ist dem Staat im Ausnahmezustand erlaubt? Der Vortrag fragt nach den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Ausnahmezustands und der Verfassungsmäßigkeit der in der Bundesrepublik getroffenen Pandemie-Maßnahmen. Wie verhält es sich insbesondere mit den sehr weitgehenden Grundrechtseinschränkungen, die wir während des Lockdown erfahren mussten?
Der Ausnahmezustand ist das schillerndste Institut der Rechtsordnung. Es soll dem Staat in existentiellen Ausnahmelagen mithilfe flexiblen Rechts den Weg zurück in die Normalität ermöglichen, gleichzeitig staatlichem Handeln noch in der Krise Grenzen setzen. Diese paradoxe Struktur macht den Ausnahmezustand missbrauchsanfällig. Das »Ausnahmeverfassungsrecht« des Grundgesetzes versucht einen Ausweg zu finden, der freilich nur vor dem Hintergrund der deutschen und französischen Verfassungs- und Ideengeschichte zu verstehen ist. Doch gelingt die grundgesetzliche Gratwanderung? Anna-Bettina Kaiser analysiert die Stärken und Schwächen der ausnahmeverfassungsrechtlichen Strukturen des Grundgesetzes. Dabei erweist sich der Umgang mit den Grundrechten im Ausnahmezustand als entscheidend.
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This comment focuses on part III of the book, 'Carl Schmitt's 21st Century', by William Scheuerman. It raises two points. The first point concerns the author's continuity thesis. According to Scheuerman, Schmitt's ideas 'exhibit more continuity than widely asserted'. This has consequences both for how we should read Schmitt and for how we should approach authors who use his concepts (such as in the US counterterrorism debate Scheuerman discusses in chapter 10). This comment wants to question this view and instead wants to propose what might be called a chameleon thesis. Schmitt's thinking contains repeated shifts that are not accidental (1). This may also have implications for how we view attempts to use Schmitt in contemporary thought (2). ; Peer Reviewed
In the 1960s, the intertwinement of the private and public spheres provoked controversial discussions amongst public law scholars, who debated this issue in the context of the concept "cooperation". Some scholars regarded the so-called osmosis between state and society sceptically, fearing that society might roll back the power of the state. Others, however, regarded this cooperation as very promising, thus giving birth to the idea of the "cooperative state" (Ernst-Hasso Ritter). ; In der aktuellen verwaltungsrechtswissenschaftlichen Literatur konnte noch immer keine Einigung über den Regulierungsbegriff erzielt werden. Durchzusetzen scheint sich eine Definition, die unter Regulierung "jede gewollte staatliche Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse [versteht], die einen spezifischen, aber über den Einzelfall hinausgehenden Ordnungszweck verfolgt und dabei im Recht zentrales Medium und Grenze findet". Basierend auf einem derartigen Verständnis von Regulierung unterschied W. Hoffmann-Riem 1990 zwischen drei Regulierungsformen und prägte für sie die Begriffe staatlich imperative Regulierung, staatlich regulierte Selbstregulierung und private Selbstregulierung. Dabei soll sich die regulierte Selbstregulierung als Mittelkategorie dadurch auszeichnen, dass sich der Staat einerseits eine spezifisch gesellschaftliche Handlungslogik zunutze macht, andererseits aber den angestrebten Ordnungszweck (mit-)bestimmen kann. .
Zusammenfassung Die Konstitutionalisierung des deutschen Hochschulzulassungsrechts hat entscheidende Gleichheits- und Bildungsfortschritte gebracht. Eine privatisierte Spitzenbildung der Elite, wie sie die großen Forschungsuniversitäten an der amerikanischen Ostküste anbieten, bleibt dem deutschen System zu Recht fremd. Gleichzeitig ist das deutsche System nicht global isoliert. Das Gleichgewicht zwischen der verfassungsrechtlichen Verbürgung offener Hochschulbildung und den Druckpunkten eines international geöffneten Studien- und Forschungsmarktes zu finden, ist nicht Aufgabe der Verfassung. Es kann nur durch den demokratisch legitimierten Bildungsgesetzgeber immer neu aushandelt und justiert werden. Einer der zentralen Bereiche, in denen diese stetig neuen Kompromisse zustande kommen, ist das Kapazitätsrecht. Es hat die Funktion, schwierige Entscheidungen im Detail auszuarbeiten, sie plausibel zu machen und transparent zu begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat das früh erkannt, indem es die normative Gestaltungsmacht des Gesetzgebers betont und den Schwerpunkt seiner Maßstäbe auf die formellen Anforderungen an Verfahren und Begründung gesetzt hat. Diese gelungene Konstitutionalisierung hat über die Jahre einen stabilen Ausgleich zwischen Verfassungsrecht und politischer Reform erlaubt. Sie bleibt auch für neue Reformen offen. Dieser Ausgleich gerät erst dann in Gefahr, wenn die verfassungsrechtlichen Vorgaben auf eine Weise (miss–)verstanden und gehandhabt werden, die legitime Reformen behindert – sei es, weil die Maßstäbe zu eng gezogen werden, sei es, weil die Landesgesetzgeber aus Angst vor Niederlagen bei Gericht vor Reformen zurückschrecken. Überkonstitutionalisierung darf den Gesetzgeber nicht davon abbringen, seiner Aufgabe im deutschen Hochschulsystem nachzukommen. Seine Spielräume sind größer, als er selbst denkt. Abstract For more than fifty years, expansion has rightly been the dominating theme in university reform in Germany, paving the way for broad access to higher education and a modern knowledge society. Now that over 50 per cent of high school graduates enter universities, the federal level (Bund) and the states (Länder) are beginning to complement these reforms with a renewed emphasis on quality in teaching and research, both by improving student to professor ratios and research conditions. But this – gradual – reform shift has raised concerns among Länder administrations, as well as among academic commentators, whether these reforms are feasible under German constitutional law. Ever since the first Numerus Clausus decision of the Bundesverfassungsgericht in 1972 recognized a "right to study", university admission has been heavily constitutionalized. Every piece of reform is subject to close judicial scrutiny whether it unduly limits university capacities to take in new students. A political shift towards increased quality, the concerns go, risks failing overly rigid constitutional standards. But this is not the case. Our law-in-context-approach shows that the constitutional rules that govern university admission are much less "over-constitutionalised" than is commonly assumed. They provide ample room even for considerable shifts in reform agendas, such as towards increased quality in teaching and research.