Die moderne Wissenschaft definiert sich einerseits als selbstzweckhaftes Streben nach Wahrheit, andererseits hat sie zugleich den praktischen Nutzen des neuen Wissens im Blick. Die Genese und Bedeutung dieser doppelten Referenz rekonstruiert David Kaldewey mittels historisch-soziologischer Semantikanalysen. Er zeigt, wie die beiden Zielsetzungen in vielfältigen Autonomiediskursen und Praxisdiskursen kondensieren. Die Spannung zwischen diesen Diskursen erweist sich aus einer differenzierungstheoretischen Perspektive als konstitutiv für die Dynamik der modernen Wissenschaft. Modern science is
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Modern science is defined on one hand as an autotelic pursuit of truth. On the other hand, it also keeps the practical benefit of new knowledge in its sights. David Kaldewey reconstructs the origin and significance of this dual goal by means of historical-sociological semantic analysis. He shows how both objectives condense among a variety of autonomy and practice discourses. The tension between these discourses reveals itself from a differentiation theoretical perspective as constitutive of the dynamics of modern science.
This article explores the question of what systemic relevance means in times of the pandemic and to what extent "systemic relevance" could become a component of the socio-political semantics of the 21st century. To answer this question, empirical, theoretical, and thought-experimental considerations are being combined. The first part understands systemic relevance as an actor category and examines the term's career and shifting meanings in different discursive contexts. The second part understands systemic relevance as an analytical category and discusses three theoretical perspectives that accompany the establishment of quasi-sociological observational schemes in everyday life and politics. Finally, the third part is devoted to the conceptual challenges for sociology during and after the pandemic. Starting from a conceptual gap in the discourse of systemic relevance, it is argued that we cannot talk meaningfully about systemic relevance without at the same time considering the expected or planned duration with which certain institutions are being closed down or put into minimal operation in critical situations.
Große gesellschaftliche "Herausforderungen" sind eine Entdeckung des späten 20. Jahrhunderts. Natürlich sind Gesellschaften schon immer mit Großproblemen konfrontiert gewesen, doch erst seit etwa drei Jahrzehnten beobachtet man die Stabilisierung einer genau dies explizierenden Semantik. In den 1980er Jahren beginnt man, von "Global Challenges" zu sprechen; wenig später etabliert sich im Kontext der US-amerikanischen Wissenschaftspolitik der zuvor nur in sportlichen Kontexten verwendete Ausdruck "Grand Challenges"; und im aktuellen EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon 2020" sind die für den europäischen Bürger dringlichsten "Societal Challenges" zu einer neuen, mit knapp 30 Milliarden Euro ausgestatteten Säule der Förderpolitik geworden.Die neue Semantik evoziert ein Set von Großproblemen, deren Bearbeitung als dringliche Aufgabe der Gesellschaft und ihrer Teilsysteme wahrgenommen wird: Etwa die Erderwärmung, die Energiesicherheit oder der demographische Wandel. Die EU präsentiert konkret sieben solcher Herausforderungen, eine vielleicht nicht ganz zufällige Zahl, wenn man sich erinnert, dass in den 1980er Jahren Ossip Flechtheim in Analogie zu den sieben Todsünden der katholischen Theologie von "sieben existentiellen Herausforderungen" der Menschheit gesprochen hatte. Wissenschaftspolitische Programme, so lässt sich entsprechend festhalten, bedürfen einer und konstruieren eine Tatsächlichkeit von Sachlagen und Sachzwängen, denen sich die Weltgesellschaft im Allgemeinen und die Wissenschaft im Besonderen zu stellen hat.Der Vortrag stellt die These zur Diskussion, dass es sich bei der Rede von "Grand Challenges" nicht einfach um eine neue wissenschaftspolitische Rhetorik handelt, etwa analog den älteren Diskussionen um eine problemorientierte oder transdisziplinäre Forschung, sondern um einen neuen Modus der Konstruktion von Objektivität. Die Entstehung und Entwicklung des Diskurses und seiner Vorläufer wird historisch aufgearbeitet. Sichtbar wird damit erstens eine Verschiebung vom alten Begriff der "gesellschaftlichen Probleme" zum Neologismus der "großen Herausforderungen". Zweitens zeigt sich, dass mit dem semantischen Wandel neue Werte und gesellschaftliche Rationalitätsformen Eingang in die Identitätsarbeit der Wissenschaft finden, nicht zuletzt die im Begriff der "challenge" kondensierte Logik von Sport und Wettbewerb.
Die moderne Wissenschaft definiert sich einerseits als selbstzweckhaftes Streben nach Wahrheit, andererseits hat sie zugleich den praktischen Nutzen des neuen Wissens im Blick. Die Genese und Bedeutung dieser doppelten Referenz rekonstruiert David Kaldewey mittels historisch-soziologischer Semantikanalysen. Er zeigt, wie die beiden Zielsetzungen in vielfältigen Autonomiediskursen und Praxisdiskursen kondensieren. Die Spannung zwischen diesen Diskursen erweist sich aus einer differenzierungstheoretischen Perspektive als konstitutiv für die Dynamik der modernen Wissenschaft.
Präsenz - definiert als zeitliche und räumliche Gegenwart und Unmittelbarkeit - steht in einem Begründungszusammenhang mit implizitem Wissen. Innerhalb der Forschungsdiskussion um Präsenz etabliert der Band einen neuartigen Ansatz, indem er verschiedene Diskursivierungen von Präsenz in Religion, Kunst, Politik, Medien sowie Populärkultur aus dieser Interdependenz heraus zugänglich macht. Die Beiträge verfolgen dabei eine kulturvergleichende Perspektive, die speziell auf die Klärung der Kulturspezifik von Präsenzkonzepten abzielt und neue Möglichkeiten zur Analyse eines bisher wenig beachteten Themas eröffnet.
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Ausgehend von einerseits den hohen Nutzenerwartungen an die Wissenschaft und andererseits vielfältigen Befürchtungen ihr gegenüber entwickeln die Verfasser das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit als eines der wechselseitigen Angewiesenheit und Beobachtung. Das Verhältnis hat sich inzwischen von einer Vermittlung von Wissen in einen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gewandelt. Die Öffentlichkeit ist zur "Legitimations- und Ressourcenquelle" von Wissenschaft geworden. Versuche der direkten öffentlichen Partizipation an wissenschaftlichen Prozessen überstrapazieren dieses Verhältnis dann aber wiederum. Die "Ethisierung der Wissenschaft" ist demgegenüber eine abgestufte und relativ neue Form, in der das Verhältnis zur Öffentlichkeit zu gestalten gesucht wird - Ausgang ungewiss. (ICB2)
Die Wissenschaftsforschung macht die Wissenschaft zum Gegenstand von Wissenschaft. Sie untersucht zum einen die Innenwelt der Wissenschaft, also die Produktion wissenschaftlichen Wissens, die Praxis der Forschung und ihre institutionellen Strukturen. Zum anderen interessiert sie sich für die Außenbeziehungen der Wissenschaft, ihre Prägung durch die gesellschaftliche Umwelt und ihre Effekte in verschiedenen Anwendungskontexten. Als interdisziplinäres Feld mit Wurzeln in der Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie ist die Wissenschaftsforschung nicht leicht einzukreisen. Vor diesem Hintergrund versteht sich das vorliegende Lehrbuch als Wegweiser in einem manchmal unübersichtlichen interdisziplinären Gelände. Im ersten Teil werden Grundlagen und Grundbegriffe erläutert. Der zweite Teil sortiert zentrale Forschungsfelder; es geht um Expertise, um das Labor, um die Universität und um die Rolle der Wissenschaft für Innovationprozesse. Der dritte Teil bietet Orientierung in wissenschaftspolitischen Debatten; behandelt werden hier Fragen der Qualität von Forschung, ihre gesellschaftliche Relevanz und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit. Der vierte Teil führt in methodologische Debatten ein, bevor abschließend Erfahrungen aus der Lehrpraxis reflektiert werden.
How does tacit knowledge inscribe itself into cultural and social practices?As the established distinction between tacit and explicit or discursive forms of knowledge does not explain this question, the contributions in this volume reconstruct, describe, and analyze the manifold processes by which the tacit reveals itself: They focus, for example, on metaphors, feelings, and visualizations as explications of the tacit as well as on processes of embodiment. Taken together, they demonstrate that the tacit does not constitute a single or unified knowledge complex, but has to be understood in its differentiated and fragmented forms. In addition to scholarly essays, the volume features interviews with Mark Johnson, Theodore Schatzki, and Loïc Wacquant
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Obwohl der Autonomiebegriff in akademischer Forschung wie öffentlicher Debatte gleichermaßen eine prominente Rolle spielt, hat sich die soziologische Theorie bislang nicht systematisch mit ihm auseinandergesetzt. Der Band präzisiert die Relevanz des Autonomiekonzepts für die Analyse gesellschaftlichen Wandels und rekonstruiert die diskursive Bedeutung von Autonomie in den Feldern der Wissenschaft, Kunst und Politik. Der Autonomiebegriff wird sowohl in der akademischen Forschung als auch in öffentlichen Debatten einerseits normativ eingesetzt, um als legitim erachtete Grenzen zu markieren, andererseits analytisch genutzt, um den Wandel gesellschaftlicher Teilsysteme zu beschreiben. Trotz der Prominenz und Relevanz dieses Grundbegriffs hat sich die soziologische Theorie bislang nicht systematisch mit ihm auseinandergesetzt. Die Beiträge des vorliegenden Sonderbandes zielen auf konzeptuelle Präzisierungen sowie empirische Operationalisierungen des Begriffs und rekonstruieren die sich wandelnden diskursiven Bedeutungen von Autonomie in der Wissenschaft, der Politik und der Kunst.
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In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2826-2836
"Der in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre institutionalisierte umweltsoziologische Diskurs ist geprägt vom Topos der aus der Soziologie ausgegrenzten Natur. Der Soziologie wird vorgeworfen, mit der Perspektive auf die soziale Realität die andere Realität der Natur aus dem Blick verloren zu haben. Seither testet die Umweltsoziologie verschiedene soziologische Theorieprogramme daraufhin, ob in ihnen Natur eine Rolle spielt oder nicht. Niklas Luhmanns Systemtheorie hat in diesem Test besonders schlecht abgeschnitten. Der systemtheoretische Umweltbegriff, so der Vorwurf, blende den ökologischen und physischen Umweltbegriff völlig aus. Diese Kritik an Luhmann hat dazu geführt, dass eine systematische Auseinandersetzung mit dem umweltsoziologischen Potenzial der Systemtheorie Desiderat geblieben ist. Die Schwierigkeit einer umweltsoziologischen Rezeption der Systemtheorie besteht darin, dass diese die Begriffe Umwelt und Natur schlicht anders verwendet als die Umweltforschung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ›Natur‹ im Sinne einer nicht sozialen Realität in der Systemtheorie nicht vorkommt. Eine umweltsoziologische Lektüre der Systemtheorie muss deshalb nicht nur auf die Verwendung der Begriffe Umwelt und Natur achten, sondern untersuchen, welche Kategorien darüber hinaus von umweltsoziologischer Relevanz sind. Im Rahmen des Beitrags möchte der Verfasser die These vorstellen, dass die Konzeptualisierung von Natur in der Systemtheorie im Zusammenhang mit einer bislang kaum geklärten Realitätssemantik stattfindet. Der späte Luhmann hat einen dreiteiligen Realitätsbegriff entwickelt, der - wenn auch auf einer sehr abstrakten Ebene - als Rekonzeptualisierung der klassischen Unterscheidung von Natur und Gesellschaft gelesen werden kann. Er unterscheidet zwischen einem 'Realitätsunterbau', einer 'operativen Realität' und einer 'semiotischen Realität'. Ausgehend von einer Erläuterung der Architektur dieser Begriffe soll die Frage aufgeworfen werden, ob es Luhmann gelingt, im Spannungsfeld zwischen Realismus und Konstruktivismus den klassischen Naturbegriff durch das Konzept des Realitätsunterbaus zu ersetzen." (Autorenreferat)